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Der rote Löwe von Kenia
Der rote Löwe von Kenia
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eBook220 Seiten3 Stunden

Der rote Löwe von Kenia

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Über dieses E-Book

Der Roman um Liebe, Gier, Macht, Tod und Intrigen: Kenia 1980, moderner afrikanischer Staat, scheinbar weit entfernt von den hunger- und krisengeschüttelten Regionen des "Schwarzen Kontinents". Touristen jagen mit der Kamera auf der Suche nach dem Einmaligen, dem bisher noch nie Gesehenen, und als ein verletzter Löwe auftaucht, der kein Wild mehr jagen kann und inzwischen zum Menschenfresser geworden ist, rücken alle anderen Eindrücke, die nur das "Wilde Afrika" zu bieten hat, in den Hintergrund. Man ist entsetzt und gleichzeitig fasziniert. Das "Monster" wird zu einer grausigen Attraktion, avanciert schließlich zum Film- und Medienstar.
-
- Corporal Maimbo und seine Männer einer Sondereinheit erhalten von der Wildschutzbehörde einen klaren Auftrag: sie sollen den Löwen töten. Walter Heymann, Chef eines exklusiven Safariunternehmens, hingegen sieht das anders. Seit der "Rote Menschenfresser" aufgetaucht ist, strömen neugierige Gäste aus aller Welt in sein Camp. Um zu verhindern, dass der Löwe erlegt wird, zahlt er Corporal Maimbo eine "Nichtabschussprämie". Corporal Maimbo und seine Männer sehen einfach weg, wenn er in ihre Schussweite kommt. Und der Beuteinstinkt des verletzten Löwen wird für einige Menschen zur Katastrophe ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Dez. 2014
ISBN9783869922393
Der rote Löwe von Kenia

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    Buchvorschau

    Der rote Löwe von Kenia - Wolf Richard Günzel

    Wolf Richard Günzel

    DER ROTE LÖWE

    VON KENIA

    Wolf Richard Günzel

    DER ROTE LÖWE

    VON KENIA

    AtheneMedia

    Inhaltsverzeichnis

    DER ROTE LÖWE VON KENIA

    Anfang

    ISBN 978-3-86992-239-3

    Anfang

    1

    Der Löwe hatte sie nun schon eine halbe Stunde lang beobachtet, den Mann und seine Frau, die sich vor ihm fürchteten und deren Geschmack er noch nicht kannte. Er lag auf der Motorhaube ihres Wagens, starrte mit unschlüssiger Neugierde durch die Windschutzscheibe und wenn er mit der Schwanzquaste aufs Blech schlug, klang es im Auto wie ein Paukenschlag und die Frau fing wieder an zu weinen.

    Die ganze Fahrt über hatte sich die Frau in diesem Auto schon nicht wohl gefühlt, und ihrem Mann ging es wahrscheinlich genau so, aber er dachte nicht daran, es zuzugeben. Ursprünglich wollten sie ja an einer organisierten Safari vom Hotel aus teilnehmen: zu sechs Personen in einem zebragestreiften VW-Bus, wie das so üblich war. Aber ihr Mann hatte seine Meinung plötzlich geändert – unglaublich, was Männern so einfiel, wenn sie um die fünfzig waren. Er hatte sich im Hotel ein bisschen mit einer blonden Dame angefreundet, etwa so alt wie seine Tochter. Er unterhielt sich so gern mit ihr, weil sie so intelligent war, hatte er seiner Frau gesagt. Meistens lag sie barbusig am Swimming-Pool, und als er erfahren hatte, dass sie gerade an einer dieser organisierten Standardsafaris teilgenommen hatte, war er mit eingezogenem Bauch auf sie zugegangen, um sich zu informieren. Sie hatte sich die Stöpsel ihres Walkmans aus den Ohren gezogen, die Sonnenbrille ins Haar geschoben und empört gesagt: „Ganze drei Zebras haben wir unterwegs gesehen! Dann das niedrige Niveau dieser Rentnertruppe. Diese fröhlichen alten Leute mit ihrer Schein-Vitalität, wirklich ätzend. Das muss man sich nicht antun. Wozu gibt es Leihwagen?"

    Daraufhin hatte der Mann diesen Nissan bei einem Inder in Mombasa gemietet, womit er die größte Dummheit seines Lebens beging. Ein grundsolides Fahrzeug, hatte ihm der dicke Inder versichert und freundlich hinterher gewinkt, als er mit seiner Frau davongefahren war. Der Nissan war tatsächlich bis nach Voi problemlos über die asphaltierte A 109 geschnurrt. Als der Mann in Richtung Namanga abbog und die Schlaglöcher häufiger wurden, ließ es sich aber nicht immer verhindern, dass der Kopf seiner Frau wie ein Fußball unter das Blechdach knallte. Dann lief ihnen plötzlich ein Warzenschwein quer über den Weg und es ereignete sich etwas Seltsames: Der Mann riss das Steuer herum und wollte bremsen. Aber das Pedal ließ sich ohne Widerstand nach unten drücken bis aufs Bodenblech. Der Wagen raste weiter: durch den Straßengraben, einen flachen Hang hinauf, hinein in die baumlose Savanne. Als die Vorderachse einen kleineren Granitblock rammte, gab es noch einmal ein sehr hässliches Geräusch, doch der Wagen stand und es war alles noch mal gut gegangen.

    Der Mann lag jetzt unter dem Nissan und starrte auf die Achse. Er konnte ganz gut mit einer Computermaus umgehen. Aber ansonsten war er kaum imstande, einen Nagel in die Wand zu schlagen, und was er da unten sah, machte ihm zumindest klar: es lohnte sich nicht, hier nur irgendetwas eigenhändig anzufassen. „Das sieht nicht gut aus, Schatz, rief er nach oben. „Ohne einen hydraulischen Wagenheber geht hier gar nichts. Und den haben wir natürlich nicht. Er wusste, dass er Unsinn redete. Aber er wollte wenigstens etwas sagen, um nicht als völlig ahnungsloser Trottel dazustehen.

    Die Frau im Auto hatte ihr inneres Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden und reagierte ziemlich ungehalten: „War das hier meine Idee? Du hättest die kluge Blondine aus dem Hotel mitnehmen sollen, die dir diese Privatsafari eingeredet hat. Die hätte dir jetzt sicher helfen können. Solche Frauen haben immer einen hydraulischen Wagenheber dabei."

    Der Mann murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und begann zu überlegen, was die Situation, in der sie sich hier befanden, bedeutete: keine ganz große Katastrophe, aber eine mittlere schon. Man musste jemanden finden, der das Auto abschleppte und sie zurück in ihr Hotel an der Küste brachte. Das alles kostete Zeit und Geld und Nerven. Und dann war da noch die hübsche Blonde in seinem Hotel. Ihr Bericht über die alten Leute mit ihrer Schein-Vitalität hatte ihn an einer höchst empfindlichen Stelle erwischt und er war eigentlich nur ihretwegen zu dieser Safari aufgebrochen. Bloß, um ihr zu imponieren! Bloß, um zu unterstreichen, dass noch alles in Ordnung war mit ihm und er bei einem Alleingang in die Wildnis noch lange nicht in Panik verfiel. Und wo er schon einmal den Sack in seinem Inneren aufschnürte, umstülpte und nach der Wahrheit suchte, musste er jetzt einsehen, dass er sich über das, was hier passiert war, normalerweise nicht zu wundern brauchte.

    Als der Löwe kam, lag der Mann noch unter dem Nissan und verrenkte sich den Hals, weil seine Frau im Wagen plötzlich lauthals schrie. Sie konnte den Löwen genau beobachten. Er kam mit ein paar Sätzen heran, den Kopf erhoben und sein schlaffer Bauch schwang rhythmisch beim Laufen mit. Vor ihrem Fenster erhob er sich auf die Hinterläufe und kratzte mit den dicken Vorderpfoten auf dem Tür-Blech herum. Sein massiger Kopf erschien im Fensterrahmen. Er sog vibrierend die Luft ein, seine breiten Nüstern zogen sich zusammen, und das war der Moment, als die Frau zum ersten Mal in Ohnmacht fiel. Gleichzeitig machte der Mann unter dem Nissan eine sehr seltsame Entdeckung. Er starrte plötzlich auf zwei riesige behaarte Pranken und wie er schließlich in den Wagen gelangt war, konnte er später nicht mehr sagen. Irgendwie hatte er sich jedenfalls ins Wageninnere retten können und nun hörte er, wie der Löwe fauchend um den Nissan rannte, dann an den Reifen nagte und die Luft zischend entwich. Dann erschien er vor dem Wagen und sprang auf die Motorhaube, und das war der Moment, als die Frau und der Mann gemeinsam in Ohnmacht fielen.

    Als der Mann aus der Ohnmacht erwachte, saß der Löwe, brav wie eine große Katze, auf den Hinterläufen und schaute ihn mit seinen gelben Augen an. Er hatte inzwischen die Scheibenwischer abgebissen, und der Mann sah, dass sich die Motorhaube unter dem Gewicht des Tieres zu einer Mulde verformte. Seine gewaltige Mähne, sein Fell und die flauschigen Brusthaare waren rot, ganz ungewöhnlich für ein Tier seiner Rasse, und bildeten einen sonderbaren Kontrast zur schwarzen Nase und den weißen Kinnborsten. Plötzlich wackelte der Wagen wie unter der Wucht eines Dampfhammers, aber der Löwe hatte nur mit dem Schwanz aufs Blech geschlagen. Jetzt erwachte auch die Frau aus ihrer Ohnmacht, schloss aber sofort wieder die Augen, als sie den Löwen erblickte. Für den Löwen waren die Menschen im Auto nichts anderes als eine Beute. Doch der Mechanismus einer lebenslangen Gewohnheit, die aus Töten und Fressen bestand, funktionierte plötzlich nicht mehr. Die Frau und der Mann waren umgeben von einer fremdartigen, durchsichtigen Mauer, und dieses geheimnisvolle Hindernis machte ihn unsicher. Vor kurzem noch hätte er mit seinen Pranken einfach darauf eingeschlagen, fauchend und ungestüm, wie es seine Art war. Jetzt stieß er mit seiner Vorderpfote nur zögernd dagegen und zog sie sofort zurück, weil er wieder diesen Schmerz spürte, etwas Neuartiges in seinem Leben, mit dem er noch nicht vertraut war. Dann versuchte er in die Scheibe hineinzubeißen, rutschte mit den Zähnen ab und besabberte sie mit Speichel. Der Geruch der Menschen im Auto war überwältigend, stärker als der Geruch von Benzin und altem Motorenöl, das auf den Boden tropfte. Aber der Löwe begann zu resignieren, wälzte sich eine Weile auf dem verbeulten Blech herum, legte schließlich die Schnauze auf die dicken Pfoten, presste die feuchte Nase an die Glasscheibe und konnte so wenigstens hineinsehen in diese Konservendose mit Menschenfleisch.

    2

    Eine vorbeifahrende Touristengruppe hatte schließlich den Löwen auf der verbeulten Motorhaube des Nissan entdeckt. Der Busfahrer hatte sofort gestoppt und fuhr dann näher an den Nissan heran, denn ein solches Motiv bekamen seine Fahrgäste nicht jeden Tag vor ihre Kameras. Als der Bus immer näher kam, fauchte der Löwe und reckte seinen Schädel drohend nach oben. Dann sprang er von der Motorhaube und suchte hinkend das Weite. Erst jetzt sahen die Touristen, dass im Nissan zwei Menschen saßen. Beide schienen eine Zeit lang wie gelähmt. Dann stieg der Mann als erster aus. Er massierte sich verlegen den Nacken und die Angst, die ihn noch immer beherrschte, trieb ihn zu einer neuen, unbekannten Ehrlichkeit. „Danke, dass Sie gekommen sind, sagte er. „Man weiß ja nie, was diesem Biest noch eingefallen wäre.

    Der Mann und seine Frau waren inzwischen wieder in ihrem Hotel an der Küste und die Nachricht von ihrem Abenteuer hatte sich hier schnell herumgesprochen. Man redete eigentlich kaum noch über etwas anderes. Die Frau stand noch drei volle Tage unter Schock und konnte ihr Hotelzimmer nicht verlassen. Der Mann hatte sich damals, als der Löwe vor ihm auf der Motorhaube saß, geschworen: wenn er endlich von der Haube springt, wenn sich meine Panik gelegt hat und ich mich wieder bewegen kann, werde ich für den Rest meines Lebens vernünftig sein. Aber ihm war keine Vernunft geblieben. Er war schon am nächsten Morgen wieder durch die Hotelanlage geschlendert. Auch er fühlte sich innerlich noch etwas benommen, war aber ansonsten schon wieder der Alte. Die hübsche Blonde am Swimming-Pool hatte ihn schon aus der Ferne entdeckt, sich die Stöpsel ihres Walkmans aus den Ohren gezogen und die Sonnenbrille ins Haar geschoben. Grauenvoll, was er und seine Frau durchgemacht haben, dachte sie. Sie hatte die Absicht, ihm ihr Mitgefühl auszudrücken. Ihr Mitgefühl konnte der Mann aber jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Er kam auf sie zu, lächelnd, eine Hand salopp in der Hosentasche versenkt. Wenn man mich so sieht, dachte er, könnte man da nicht auf die Idee kommen, dass hier einer kommt, der sich durch einen blutrünstigen Löwen nicht verwirren lässt und Nerven wie Stahlseile hat?

    Der Mensch lernt selten aus seinen Fehlern und sieht mit geduldiger Machtlosigkeit zu, wie er ins eigene Unglück rennt. Das Tier unterscheidet zwischen den guten und schlechten Erfahrungen, die es im Laufe seines Lebens macht. Obwohl es nicht in der Lage ist, das eigene Bewusstsein zu verstehen und keine großartigen Pläne macht, werden seine Handlungen zielbewusster, denn es will einfach nur überleben und es ist ihm egal, was irgendein anderes Lebewesen von ihm denkt. Auch der Löwe wollte nur überleben und es kam ihm nicht zu Bewusstsein, dass es mit ihm in letzter Zeit nur noch bergab gegangen war. Mit seinem Status im Löwenclan war es bergab gegangen, mit seiner Kampfkraft, seinem Siegeswillen, seiner Vitalität und Wendigkeit. Vor allem aber in seinen Jagdgewohnheiten und den Ansprüchen an seine Beute war er tief nach unten gestürzt. Jetzt schlich er lautlos durch die Dunkelheit und er bewegte sich, wie wohlüberlegt, genau an jener Grenze, wo ein paar weiß bemalte Steine das Camp und die Savanne voneinander trennten. Der Löwe war nicht zum ersten Mal an diesem Ort, denn manchmal fand er hier, auf dem kahlen Seitenstreifen, wo die Zelte unter dem Schein des Lagerfeuers lange Schatten warfen, etwas Fressbares. Nicht die große Beute, die einem König, wie ihm, zugestanden hätte. Aber wenn er Glück hatte, war es ein Stück zähes Grillfleisch, das ein übersättigter Tourist fortgeworfen hatte.

    In dieser Nacht war allerdings auf dem schmalen Sandstreifen hinter der Zeltlandschaft für den Löwen nichts zu finden, denn vor ein paar Stunden hatte ein schwarzer Boy hier gründlich aufgeräumt. Er hatte zerknautschtes Stanniolpapier, Papierservietten, abgenagte Hühnerknochen, leere Bierdosen, ein schimmeliges Stück Käse und eine Handvoll Zigarettenkippen eingesammelt, den harten Boden mit einem Rechen aufgelockert und ihn schließlich mit ein paar akkuraten Zinkenmustern dekoriert.

    Der Löwe öffnete das Maul, entblößte die Zähne und beschnüffelte ein zerknülltes Tempotaschentuch. Durch die Schneise zwischen den Zelten sah er eine Gestalt, in eine Wolldecke gehüllt, vor dem Lagerfeuer sitzen. Er nahm das monotone Tuckern des Generators wahr, der das Camp mit Strom versorgte und den Funkenregen, der plötzlich aus der Glut aufstieg und die Augen der Gestalt am Feuer glitzern ließ. Dann verstummte das Tuckern des Generators für kurze Zeit und die Stille machte den Löwen noch eine Spur sensibler für alle Eindrücke, die durch Gerüche, Geräusche und ein kaum wahrnehmbares Vibrieren der Erde an ihn heran getragen wurden. Er schüttelte den Kopf und sog die Luft prüfend mit der Nase ein. Dann reckte er den Hals nach hinten und als er den Geruch, der aus dieser Richtung kam, mit einer Beute in Verbindung brachte, duckte er sich so tief nach unten, dass sein Bauchlappen die frisch geharkte Erde streifte. Er blieb unbeweglich stehen und ließ die Schwanzquaste lautlos um seine Hinterläufe kreisen. Er duckte sich noch tiefer zur Erde und spannte seine Muskeln an wie vor einem Sprung. Doch dann entspannten sich seine Muskeln wieder und er nahm erneut die Witterung mit seiner Nase auf. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen, das ihn unsicher machte; es war ein sonderbarer, fremdartiger Geruch und noch nie im Leben hatte er dergleichen wahrgenommen. Er hob noch einmal schnuppernd die Nase und machte ein paar vorsichtige Schritte nach vorn und als ihn für einen Moment der Schein des Feuers streifte, sah man, dass er verletzt war und mit einer Pfote hinkte.

    3

    Als die Frau in der Dunkelheit erwachte, hörte sie in der Ferne das Jaulen einer hungrigen Hyäne. Sie öffnete die Augen und suchte benommen die dunklen Ecken des Zeltes ab. Dann betrachtete sie die Leuchtziffern auf ihrer Armbanduhr und registrierte überrascht, dass es erst eine Stunde her sein konnte, seit sie berauscht ins Bett gefallen war. Das Jaulen der Hyäne und die anderen Tierlaute, die man jetzt in der Savanne hörte, kündigten den neuen Morgen an, und die Frau dachte daran, dass der kommende Tag für sie zu einer Katastrophe werden würde. Ihr war schlecht und unter ihrer Schädeldecke kündigte ein schriller Klingelton einen großen Katzenjammer an. Schon beim Candlelight-Dinner am gestrigen Abend hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann zwei Flaschen Wein geleert. Wie immer, wenn sie getrunken hatte, war die Welt ein Kinderspielplatz und herzensgut zu ihr. Sie hatte sich mit einem sentimentalen Seufzer an den Arm ihres Mannes gekrallt und war dann wie eine steifbeinige Spinne zur Cocktailbar gestakst, auf deren Schilfdach sich zwei Meerkatzen um eine Zuckerdose stritten. Sie war zum ersten Mal in Afrika, und die Hochstimmung, in der sie sich jetzt befand, war unbeschreiblich. Ein paar Schritte vor der Bar hielt ein alter Massai ein gewaltiges Lagerfeuer in Gang. Die zuckenden Flammen fraßen sich gierig ins trockene Holz, und die Frau versuchte mit ihren Blicken die roten Funken einzufangen, die aus der Glut aufstiegen und dann knisternd in der Dunkelheit verglühten. In den Zweigen einer abgestorbenen Schirmakazie hockten zwei große Vögel als düstere Silhouetten. Die schneebedeckte Kuppe des Kilimandscharo hatte sich den ganzen Tag über in weiße Wolken gehüllt. Jetzt frischte der Wind ein wenig auf. Er fegte die Wolken fort, und der Mond tauchte die ferne Gletscherlandschaft in ein diffuses gelbes Licht. Die Frau sah große dunkle Tiere aus dem weißen Dunst am Fuß des Berges kommen. Sie erkannte die verwackelten Konturen einer Elefantenherde, und als sie sich zur Seite drehte, schwebte der ganze Kontinent vor ihren Augen.

    Jetzt saß sie benommen auf der Bettkante und ließ die Beine baumeln. Der Schweiß strömte aus allen Poren ihres nackten Körpers und drinnen saugte ihr ein Heer von Parasiten die Eingeweide aus. Sie streifte ihr Nachthemd über und schlüpfte in die Sandalen ihres Mannes. Die Luft im Zelt war stickig und die Frau krümmte sich vor Übelkeit. Erst als sie das Zelt verließ und die klare Nachtluft atmete, fühlte sie sich etwas besser. Im blassen Mondlicht sah sie den alten Massai unbeweglich vor dem Lagerfeuer sitzen. Er hatte sich in eine graue Wolldecke gehüllt und es war nicht erkennbar, ob er wachte oder schlief. Die Frau tastete nach einem Korbstuhl auf der Terrasse vor dem Zelt. Dann überkam sie ein quälender Brechreiz. Sie lief würgend um das Zelt herum, überquerte den frischgeharkten Randstreifen und erbrach sich hinter einem staubigen Krotonbusch. Orientierungslos wie eine verirrte Krabbe, die eine Sturmflut auf den Strand geworfen hat, tappte sie eine Weile durch die Dunkelheit, und jede ihrer Bewegungen registrierte der Löwe, der sich zur Erde duckte, nicht nur schemenhaft, sondern mit mikroskopischer Genauigkeit. Eine kleine Unsicherheit, die von der Frau ausging, ließ ihn noch zögern, anzugreifen. Es ging um die Definition seines Opfers. Der Löwe konnte keine normale Beute mehr jagen: kein Zebra, kein Gnu oder gar einen wehrhaften Büffel. Er suchte

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