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Die Sprachlosigkeit der Fische
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eBook143 Seiten1 Stunde

Die Sprachlosigkeit der Fische

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Über dieses E-Book

Wir begegnen ihr als Au-pair-Mädchen in London, auf Sommerfrische in Bad Aussee oder als alte Dame in Ecuador. Wir beobachten ihren Alltag, sind bei großen Ereignissen dabei und folgen ihr auf fantastische Reisen. Sie ist Gerda, eine Frau, die immer schon dagewesen zu sein scheint und überall zugleich sein kann. Erzählt werden ihre Geschichten vom ecuadorianischen Arzt Jorge Oswaldo Muñoz, dem es sichtlich Freude bereitet, das eine oder andere absurde Detail einfließen zu lassen.
Ein unglaublich amüsantes Buch, das mit viel Charme und Verve zeigt, dass irgendwie alles möglich sein kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Atelier
Erscheinungsdatum2. März 2015
ISBN9783903005693
Die Sprachlosigkeit der Fische

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    Buchvorschau

    Die Sprachlosigkeit der Fische - Margit Mössmer

    Kopf.«

    in Madrid

    Nur weil Abigail Adams bei einem Straßenfest in Covarrubias von einem jungen Mann darauf aufmerksam gemacht wurde, dass »die Österreicherin« und sie in derselben Gasse wohnten, hatte sie das Gefühl, sie müsste sich mit Gerda verbünden, da sie beide »Ausländerinnen« waren, hier in Madrid. Gerda aber verabscheute Abby. Sie hasste es, wenn sie mit den Fingern an ihren Lippen zupfte, weil ihr nicht einfallen wollte, wie das neue Restaurant am Plaza Santa Ana hieß. Und sie hasste es auch, wenn sie über Werke von Goya oder Picasso sprach, als wären es Kleidungsstücke: »This one has nice colors!« Dennoch geschah es an einem Sonntag, dass sie sich überreden ließ, Abby zu einem Stierkampf in die Arena Las Ventas mitzunehmen, da diese, wie sie meinte, Angst habe, sich einem solchen Ereignis alleine auszusetzen, aber zu neugierig sei, um es nie kennengelernt zu haben. Gerda, die von März bis Oktober beinahe jeden Sonntagnachmittag in der Arena verbrachte, willigte ein, unter der Bedingung, dass Abby die Karten besorgte. Abby hatte Sonnenplätze gekauft. Sie hatte keine Ahnung, welche Tortur das bedeutete. Hier auf der Sonnenseite der Arena bewegten sich die Fächer der Damen wie ein Schwarm ungleicher Fische, und die bestickten Taschentücher der Herren verdunkelten sich mit dem aufgesogenen Schweiß um einige Nuancen.

    »Oh he’s such a cutie!«, kleinkindelte Abby, als sie auf dem Programmzettel das Foto des Toreros sah, der gleich in der Arena auftreten würde. Dummes Illinois-Girl, dachte Gerda. Natürlich war Domingo Valderrama kein »cutie«. Er war ein Gott. Gerda schlief mit ihm. Morgens, wenn sie in seiner weitläufigen Wohnung im Stadtteil Lavapiés die Augen öffnete, sah sie Domingo am Bettende nackt vor dem Spiegel stehen, wie er sich auf den Kampf vorbereitete. Die Füße hielt er gestreckt, die Knie durchgedrückt, das Becken stark nach vorne und die Schultern in der gleichen Strenge zurückgeschoben, das Kinn seitlich nach unten gereckt, sodass ihn die Spannung im Nacken schmerzen musste. Die Luft, die durch die geöffnete Terrassentür ins Zimmer kam, ließ den Vorhang um seine Beine tanzen, so als wäre er die muleta – das rote Tuch.

    Nicht nur, dass Domingo Valderrama die Bullen mit der muleta unverschämt nah an seinem schmalen Körper vorbeiführte und immer bis zum letzten Moment wartete, bevor er das Tuch wendete und es mit der dann gelben Farbe für das gereizte Tier unattraktiv werden ließ. Was er vor allem beherrschte, war das Töten.

    Manch ein Torero hatte den Sandboden von Las Ventas das warme Blut in Litern aufsaugen lassen, bevor das Tier endlich aus der Arena geschleift werden konnte. Doch nicht Domingo. Er setzte seinen Degenstoß immer dann, wenn er den Stier dazu gezwungen hatte, seinen Kopf tief zu senken, derart punktgenau zwischen die Schulterblätter, dass jedes der 235 bisher von ihm getöteten Tiere nach spätestens vier Schritten zu Boden fiel. Das Volk liebte ihn dafür. Denn nichts hasste man in Madrid mehr als einen Stierkampf ohne schnelles Ende.

    Die Bedingungen für den Kampf waren an jenem Sonntag, an dem Gerda Abby lieber in der Arena gegenübergestanden wäre, als mit ihr eine Tüte maiz frito auf den billigen Sitzplätzen zu teilen, hervorragend. Kein Windhauch konnte die angespannte Konzentration eines Toreros in einen Gedanken an den Tod umlenken, und kein Mann der sechs erfahrenen picadores und banderilleros, auf die sich selbst ein Matador wie Domingo auf Leben und Tod verlassen können musste, war ein leichtsinniger. Domingos Gegner wurde bereits zu Mittag ausgelost: ein ausgewachsener Bulle mit 630 Kilogramm Gewicht. Ein Tier, das zuvor noch nie im Kampf gewesen war, was essenziell für das Überleben eines jeden Matadors in der Arena war, schließlich sollte der Stier das Tuch und nicht den Mann, der es führte, als Aggressor verstehen. Dieser 236. Bulle, der sein bisheriges Leben auf einer zwanzig Hektar großen Ranch südlich von Madrid verbracht hatte, sollte Domingos Leben verändern. Nach einem fünfzehnminütigen Kampf voller Takt, Tanz, Farbe, Musik und Anteil nehmendem Geschrei von den Rängen war Domingo so weit. Er fokussierte den muskulösen, nass geschwitzt-blutigen Nacken des Stiers und hob seinen Degen zum tödlichen Stoß an, als ein plötzlich aufkommender Wind das rote Tuch ungewollt in Bewegung brachte. Das Tier machte einen Schritt zurück, senkte seinen Kopf ein weiteres Mal und versetzte Domingo einen Schlag, der ihn weit über die Ränge des Stadions, über die Fassade der Arena und die Calle Alcalá bis zur Turmspitze der Iglesia de los Angeles wuchtete.

    Von da an verbrachte Domingo sein Leben im Kirchturm. Junge und alte Frauen brachten ihm Rosen oder Kuchen, legten die Gaben auf die Treppe, die zum Turm hinaufführte. Ältere Herren kamen, breiteten Tücher aus und drapierten Stierohren oder Stierschwänze darauf. Der große Torero nahm die Geschenke an. Doch den Kirchturm hat Domingo Valderrama nie wieder verlassen.

    in Scherben

    »Was sollte das jetzt?« Sie wollte eigentlich eher cool als panisch klingen, aber sie merkte, dass sie das »das« viel zu sehr betont und wahrscheinlich auch deutlich zu laut gesagt hatte, also strich sie sich mit Daumen und Mittelfinger die Haare rechts und links vom Scheitel nach hinten, um wieder lässig zu wirken.

    »Du wolltest mir nicht glauben«, blieb Rike bewegungslos am Tisch sitzen und kritzelte scheinbar unbewusst Kugelschreiberlinien auf einen zerknitterten Zettel. Gerda ging zum Fenster und blickte durch das ausgefranste Loch nach draußen. Sie konnte den Stein nicht entdecken, die Wohnung lag zu weit oben.

    »Was denn? Was wollte ich nicht glauben?«

    »Dass alles, einfach alles, was uns umgibt, für uns da ist, damit wir es benutzen.«

    »Benutzen?«

    »Benutzen.«

    »Aber du hast einen Stein durch dein Wohnzimmerfenster geworfen. Rike, es hätte jemand da unten gehen können!«

    Rike ließ den Stift fallen, stand mit einem starken Ruck auf, sodass der Holzsessel, auf dem sie gesessen hatte, auf das mattgraue Parkett knallte, und verließ die Wohnung.

    Gerda kam sich dumm vor. In dieser Wohnung, mit diesem Menschen, den sie nicht kannte und der, wie es schien, verrückter war, als sie angenommen hatte. Ihre Sturmfrisur, ihre zerknautschte Haut, das verdreckte blassrote Shirt und die komischen Hochwasserhosen hatte sie bei ihrer ersten Begegnung vier Stunden zuvor schon als Signale empfunden, als Signale für etwas anderes. Anders als ihre Frisur, ihr Shirt, ihre Hose und ihre

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