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Das Ende einer Weihnachtsfeier
Das Ende einer Weihnachtsfeier
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eBook223 Seiten2 Stunden

Das Ende einer Weihnachtsfeier

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Über dieses E-Book

Nachdem Günter Berg bereits auf einer Weihnachtsfeier gewaltsam auf seine Frau losgegangen ist, setzt er wenig später ihrem Leben endgültig ein Ende. Die Kriminalpolizei ermittelt, dass er sie im Streit mit mehreren Messerstichen getötet und sich dann selbst zur Ablenkung ungefährliche Verletzungen zugefügt hat. Der Fall wird einem jungen Staatsanwalt übertragen, der auf Totschlag im Affekt plädieren müsste. Doch seine Überlegungen zum Tathergang und zur Persönlichkeit des Täters lassen ihn zu einer anderen Schlussfolgerung kommen …
Dieser sozialkritische Kriminalroman wurde auf Betreiben des Generalstaatsanwaltes der DDR ab 1982 verboten und erst 1987 in stark zensierter Form veröffentlicht. Auch die Verfilmung durch die DEFA wurde gestoppt.
SpracheDeutsch
HerausgeberDas Neue Berlin
Erscheinungsdatum15. Juli 2015
ISBN9783360500991
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    Buchvorschau

    Das Ende einer Weihnachtsfeier - Wolfgang Kienast

    Impressum

    eISBN 978-3-360-50099-1

    © 2015 (1981) Das Neue Berlin, Berlin

    Cover: Verlag

    Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

    www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

    Wolfgang Kienast

    Das Ende einer Weihnachtsfeier

    Das Neue Berlin

    Horst Barabasch nahm die S-Bahn, um vom Alex in die Scharnhorststraße zu gelangen. Das war ein Umweg, noch dazu mit ziemlichem Fußmarsch verbunden. Aber Barabasch wollte laufen, und außerdem wollte er im Handelshochhaus noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Im Übrigen fühlte er sich saumüde, und seine Laune hatte den Tiefpunkt eigentlich schon überschritten.

    Der Einkauf bestand tatsächlich nur aus Kleinigkeiten. Er passte in einen winzigen Faltbeutel. Dabei sind die winzigen Sachen die teuersten, stellte er mal wieder fest. Barabasch war unkonzentriert und vergaß, das Kleingeld aus dem Wechselteller zu nehmen, sodass er in wenigen Minuten glatt einen roten Schein los wurde. Aber darüber grübelte er nicht lange. Der Vormittag war nass und unangenehm, die Nacht war noch unangenehmer gewesen. Drei Wünsche gab es für Horst Barabasch: eine warme Stube, ein Bett und eine Kanne starken Kaffee. Sein derzeitiges Ziel versprach warme Räume, Betten, Kaffee vielleicht – aber bestimmt den typischen Gestank steriler Einrichtungen des Gesundheitswesens.

    Nun ja, man kann sich das wenigste aussuchen. Es war auch vorstellbar, dort mal als Patient einkehren zu müssen.

    So ging es noch an. Er passierte zwei Torkontrollen und stieg eine Treppe hinauf. Dann klopfte er an eine Tür, wurde hereingerufen und stellte sich dem Stationsarzt vor. Der nickte zerstreut. Er sah nicht weniger übernächtigt aus als Horst Barabasch. Auf seinem Schreibtisch lag eine abgegriffene hellbraune Papiertüte von ziemlichen Ausmaßen. Ihren Inhalt zog der Arzt jetzt heraus und betrachtete ihn nachdenklich. Es waren einige Röntgenaufnahmen und ein paar Bogen Papier A4, eng beschrieben.

    Der Arzt schaute zu Barabasch empor. »So setzen Sie sich doch. Ach so, ich habe Ihnen keinen Stuhl angeboten. Entschuldigen Sie bitte.« Dann schob er die Schriftstücke und dieAufnahmen etwas angewidert in das Kuvert zurück.

    »Viel Lärm um nichts«, brummte er. »Die Wunde ist zwei Zentimeter breit und zirka vier Zentimeter tief. Zwischen der zweiten und dritten Rippe rechts.

    Sie hat nicht viel Schaden angerichtet. Bisschen Blutverlust. Der Schock scheint größer zu sein. Tja.«

    Viel Lärm um nichts, dachte Barabasch. Dieses Nichts war Einbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung und – Mord.

    »Ich meine den Patienten«, sagte der Arzt. Es bedurfte keinerlei telepathischer Fähigkeiten, um Barabaschs Gedanken zu erraten. »Berg ist vernehmungsfähig, wenn Sie das nicht überziehen. Er steht unter dem Einfluss einiger nicht allzu starker Beruhigungsmittel. Wäre nur noch der Schock. Er hat bisher kein Wort gesagt, obwohl er wach ist. Ist das Vernünftigste, was er tun kann.«

    »Wie müsste ich ihn behandeln?«, fragte Barabasch.

    »Sie sollten ihn nicht anschnauzen. Wir werden ihn heute noch einem Psychiater vorstellen, erst danach können wir Genaueres sagen.«

    »Ich pflege selten Leute anzuschnauzen«, sagte Barabasch.

    Der Arzt winkte ab. »Sie wissen, was ich meine. Seine Reaktionen sind völlig unbestimmt. Ich werde dabeibleiben, mich hat er die ganze Nacht um sich gehabt. Darauf kommt es an. Dass er nicht ständig von neuen, fremden Gesichtern umgeben ist. Er hat die Figur eines Golems, aber seine Seele ist empfindlich. Vermutlich sogar Klaustrophobie, es gibt Anzeichen dafür.«

    »Er ist Bauarbeiter.«

    »Die haben viel seltener ein dickes Fell, als man annimmt«, sagte der Arzt entschieden. »Die Welt ist nicht voll von raubeinigen Helden, das liest sich nur so.« Er schien geneigt, in diesem Exkurs fortzufahren, aber Barabasch stand auf.

    »Warten Sie, ich gebe Ihnen einen Kittel. Sie sollen nicht wie ein Fremdkörper hier rumlaufen.« Er betrachtete Barabasch abschätzend. »Sie werden ein bisschen komisch aussehen, ich bin schmaler als Sie. Ist egal.« Er ging zu seinem Schrank und holte einen frischgestärkten leinenen weißen Kittel heraus. Müde betrachtete er einen winzigen rostigen Fleck am Kragen und schüttelte den Kopf. »Hier«, sagte er.

    Barabasch zog seinen Mantel aus und probierte das medizinische Kleidungsstück an. Es saß straff und stramm wie der Anzug eines ältlichen Buchhalters, aber für kurze Zeit mochte es angehen. Der Arzt grinste.

    »Dreiviertelärmel, interessantes modisches Design für Männer. Na, kommen Sie schon.« Er hielt seinem Gast die Tür auf.

    Der Linoleumbelag des langen Flurs glänzte glatt und irgendwie tückisch. Sie gingen schweigend nebeneinanderher, bis sie am anderen Ende angelangt waren, und traten in ein schmales Einzelzimmer, das eingerichtet war, wie Krankenstuben normalerweise eingerichtet sind. Aber das Fenster war vergittert. Es zeigte nach Süden, und ein Bündel Sonnenstrahlen fiel sehr schräg herein, direkt bis vor das Kopfende des weißen Metallbettes.

    In diesem Bett lag nun wirklich ein Golem. Berg mochte einsneunzig groß sein und gute zwei Zentner wiegen. Er öffnete die Augen, als sie eintraten. Er hatte große graue Augen, sein Gesicht war blass, und kurze graue oder blonde Bartstoppeln stachen aus dem Kinn. In diesem Gesicht sahen die Augen größer aus, als sie wahrscheinlich waren.

    »Wie geht es uns?«, fragte der Arzt und ergriff routiniert die rechte Hand des Mannes. Er schien Spaß zu haben an dem völlig blödsinnigen Personalpronomen, ihm ging’s also gut. Berg hatte weniger Spaß daran. Er zuckte mit keiner Muskel und hatte bis auf das Augenöffnen kein Lebenszeichen von sich gegeben. Wenn die Beruhigungsmittel tatsächlich harmlos waren und der Mann nicht wirklich unter einem Schock stand, war dieser Schock ausgezeichnet gespielt. Horst Barabasch betrachtete ihn skeptisch.

    »Unser Puls ist völlig normal«, sagte der Arzt. »Haben Sie Schmerzen?«

    Berg drehte seinen Kopf einmal nach rechts und einmal nach links.

    »Keine besonderen«, präzisierte der Arzt. »Also auch normal. Er deutete auf Barabasch und sagte: »Das ist Hauptmann Barabasch von der Kriminalpolizei. Sind Sie in der Lage, ihm ein paar Fragen zu beantworten? Ich werde dabeibleiben.«

    »Ja«, antwortete Berg mit rauer, belegter Stimme. Er hatte nicht viel Zeit gehabt, über sich nachzudenken, nur zehn Stunden Frist, in denen er untersucht und behandelt worden war. Jede etwaige gedankliche Linie zwischen den Ereignissen dieser Nacht musste unzählige Male unterbrochen worden sein. Eine Chance für Barabasch.

    Der Arzt zog einen Stuhl für Barabasch heran. Er selber blieb zu Füßen seines Patienten stehen.

    Sein Gesicht zeigte eine Spur Ironie und viel von der aufgesetzten ärztlichen Anteilnahme, die Kranke zutraulich macht. Im Großen und Ganzen beobachtete er Berg nur sachlich interessiert. Berg war ein Fall für ihn wie auch für Hauptmann Barabasch von der K.

    Die Nachteinsatzgruppe hatte den Fall aufgenommen, aber bereits eine halbe Stunde später mussten sie den Leiter der MUK aus dem Bett klingeln. Sie hatten es mit achtzehn Zeugen zu tun, einer Toten, einem Verletzten. Dazu mit Einbruch, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Der Funkstreifenwagen war eigentlich nur wegen dieser vier sekundären Delikte alarmiert worden.

    Barabasch wartete gerade so lange, bis Berg erste Anzeichen von Nervosität erkennen ließ. Dann erkundigte er sich nach den Personalien des Patienten. Günter Berg, geboren am 7. Oktober 1938 in Kreischa. Montagebrigadier beim Kombinat Industriebau Süd, Betriebsteil Dresden, eingesetzt im Komplex Industriebau Boxberg, wohnhaft Berlin-Friedrichshain, Am Petersburger Platz. Seit 1972 verheiratet mit Waltraud Berg geborene Wendlandt: zwei Kinder, einen Jungen von vier und ein Mädchen von zwölf Jahren.

    Ein Pendler, dachte der Hauptmann. Er macht auswärts zehn Schichten, darauf hat er vier Freischichten. Zwischen Wohnort und Arbeitsstelle liegen Hunderte von Kilometern, und das bedeutet stundenlange Bahnfahrten hin und her. Manche kommen damit zurecht, viele nicht. Er beobachtete, wie Berg versuchte, sich aufzurichten.

    »Bleiben Sie ruhig liegen«, sagte der Arzt milde.

    »Wollen Sie die Kopfstütze höher haben?«

    »Nein«, sagte Berg heiser. Dann fragte er den Arzt:

    »Wie steht es mit mir?«

    »Gut. Oder wenigstens nicht schlimm. Haben Sie Schmerzen?«

    Der Patient nickte.

    »Das ist normal. Haben Sie Schwierigkeiten, diesem Gespräch zu folgen?«

    Berg nickte wieder, und der Arzt sah Barabasch an. »Es ist möglich, dass bei ihm einiges durcheinander geht.«

    Der Hauptmann hatte diesen Eindruck nicht. Berg musterte unzufrieden die beiden Männer. »Ich musste dauernd Tabletten schlucken«, murmelte er.

    »Können Sie mir das Datum des heutigen Tages nennen?«, fragte der Hauptmann.

    »Wie ... wie lange ist es her?«, erkundigte sich Berg zögernd.

    »Kaum zwölf Stunden.«

    »Dann ist heute der dreiundzwanzigste Dezember.«

    Das Gesicht Barabaschs drückte gar nichts aus, weder Zustimmung noch Ablehnung. Seine Augen blickten gleichmütig auf den Patienten, der unsicher wiederholte: »Sonnabend, der dreiundzwanzigste Dezember. Morgen ist Heiligabend.« Berg schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, waren sie voll Tränen.

    »Schildern Sie mir den gestrigen Tag. Lassen Sie, wenn möglich, nichts aus.«

    Berg fuhr sich mit dem Ärmel seines Nachthemdes übers Gesicht. Zögernd wanderten seine Blicke vom Hauptmann zu dem Arzt. »Man hat mich mit Tabletten vollgestopft.«

    »So viele waren es nicht«, wandte der Arzt ein.

    Berg nickte. »Ich hatte Frühschicht. Um halb sechs waren wir draußen. Harry war noch nicht da, obwohl er zeitiger losgefahren war.«

    »Wer ist Harry?«

    »Ritzau, Harry Ritzau, der Bauleiter vom Aufschluss. Nun ja, Harry ist überall, also ist er nirgends. Wir brauchten ihn auch nicht unbedingt, denn es gab keine Unklarheiten. Aber ich musste in seine Bude. Ich weiß, wo er den Schlüssel hat, doch ich gehe nicht gern allein hinein.«

    »Gingen Sie hinein?«

    »Ja, ich musste an ein paar Zeichnungen.«

    »Weiter, weiter.«

    »Eigentlich hat sich der Tag nicht gelohnt«, sagte Berg matt. »Alles nass. Das Wasser stand kniehoch, und es regnete.« Er schwieg wieder.

    »Ja, bitte. Das Wasser stand kniehoch.«

    »Das ist doch alles Quatsch«, grollte Berg mühsam. »Das wollen Sie doch nicht von mir wissen.«

    »Das will ich wissen.«

    »Vier Stunden lang saugten wir das Wasser ab. Bis zehn, genau gesagt. Wir wollten die Trasse betonieren.«

    »Betonierten Sie die Trasse?«

    Der Arzt schüttelte missbilligend den Kopf, aber Barabasch kümmerte sich nicht darum.

    »Wir betonierten sie nicht. Der Tag verging viel zu schnell, und das Wetter war zu schlecht. Um eins packten wir ein. Ich war ziemlich spät dran, glaube ich, die Kumpels mussten auf mich warten. Ein paar Züge für die Heimfahrer hingen dran, auch meiner. Harry musste mich nach Weißwasser fahren, sonst hätte ich es nicht geschafft.«

    »Aber Sie bekamen Ihren Zug?«

    »Ja, ich bekam ihn doch noch ohne Schwierigkeiten.«

    »Hatte der Zug in Berlin Verspätung?«

    »Nein. Er fuhr gar nicht nach Berlin. Nach Königs Wusterhausen. Von da bin ich mit der S-Bahn.«

    »Wo stiegen Sie aus der S-Bahn?«

    »Storkower Straße. Ich ging über den Weidenweg und die Thaerstraße. Ein Umweg, aber ich wusste, dass meine Frau nicht daheim sein würde. Ich trank unterwegs noch ein paar Bier und ein paar Schnäpse.«

    »Wie viele? Was für Schnäpse?«

    »Braune. Drei Lagen waren es, glaube ich. Das Lokal heißt ›Zur Sonne‹.«

    »Und dann gingen Sie heim?«

    »Ja. Die Tochter war bei der Schwiegermutter. Unser Sohn schlieffest. Es war gegen acht. Ich ging noch einmal fort, um zu essen, aber in der ersten Kneipe gab es nichts, deshalb suchte ich eine andere auf. Dort bekam ich allerdings auch nichts.«

    »Wo war der Hund, als Sie nach Hause kamen?«

    »Der Hund? Wo soll er gewesen sein? Natürlich war er da. Wo sollte er sonst gewesen sein?«

    »Wo in der Wohnung, meine ich. Im Korridor oder im Wohnzimmer?«

    »In der Küche. Er war festgebunden, glaube ich. Ich weiß es nicht mehr genau.«

    Barabasch nickte karg. »Sie tranken in den beiden Gaststätten auch etwas. Wie viel?«

    »In welchen Gaststätten? Ach so, natürlich. Gewiss, ich trank in einer eine Lage und in der anderen ein paar.«

    »Wie viele?«

    »Das weiß ich nicht mehr. Aber es war inzwischen schon ziemlich spät geworden. Der Junge schlief.«

    »Was taten Sie in Ihrer Wohnung?«

    »Nichts. Ich las Zeitungen. Dann wurde ich unruhig. Ich beschloss, meine Frau von der Feier abzuholen.«

    »Und das taten Sie auch?«

    »Ich versuchte es. Zuerst fand ich sie nicht. Später, als ich sie fand, bin ich wohl ein bisschen grob gewesen. Es waren Kerle dabei, die mich angriffen. Ich erinnere mich an einen untersetzten schwarzen und an einen langen, der wohl blond war. Ich zog Waltraud dort heraus und musste die Kerle abwehren.

    Wir sind dann nach Hause gegangen. Ist nicht weit, nur eine Querstraße ’rauf. Vor der Tür ist sie losgelaufen, und ich dachte, sie wollte mich aus der Wohnung sperren. Aber die Wohnungstür stand offen. Alle Türen standen offen, und auf dem Teppich im Wohnzimmer lag sie. Dann spürte ich einen Stich. Danach weiß ich von nichts mehr.«

    Hauptmann Barabasch hatte den Mann nicht mehr unterbrochen. Als er schwieg, wartete er ab, doch Berg sagte kein Wort mehr. Erst sehr viel später fragte er zaghaft: »Ist sie tot?«

    »Es waren vier tödliche Stichverletzungen.«

    Der Arzt räusperte sich. Berg hatte die Augen geschlossen und schluchzte unhörbar in sich hinein.

    »War das nötig?«, fragte der Arzt.

    Barabasch zuckte unschlüssig die Achseln. »Wir werden nicht umhinkönnen, es ihm zu bestätigen. Wenn er’s nicht gewusst hat, hat er’s geahnt.« Er schaute auf Berg, und der Arzt klingelte nach einer Schwester. Berg regte sich nicht. Nur das leise Schluchzen schüttelte ihn krampfhaft.

    »Das ist eine Geschichte wie aus einem Räuberroman«, sagte der Arzt, als sie in seinem Zimmer waren. Er half Barabasch aus dem engen Kittel, und sein Blick lag wieder auf dem kleinen rostigen Fleck am Kragen.

    »Es ist eine Geschichte aus einem Räuberroman«, brummte Barabasch. »Tod durch dritte Hand, dazu durch einen Unbekannten, der spurlos irgendwohin verschwunden ist.«

    »Einer von den Kerlen, der untersetzte schwarze oder der lange blonde«, erinnerte der Arzt.

    »Es sind immer untersetzte Schwarze und lange Blonde oder umgekehrt, wenn man aus irgendwelchen Gründen keinen beschreiben kann oder will. Der lange Blonde ist in diesem Fall höchstens eins achtzig groß und der Chef der getöteten Frau gewesen. Der untersetzte Schwarze misst vielleicht fünf Zentimeter weniger. Es gab noch eine dritte männliche Person in der Runde, einen etwa fünfundfünfzigjährigen Mann, in dessen Räumen sich das alles abspielte. Jeder hatte seine Frau dabei, dann waren noch fünf weitere Frauen da, Angestellte des Schlossereibetriebes und des benachbarten Frisiersalons. Wie ist es nun genau um die Wunde Ihres Patienten bestellt?«

    »Glatter Einstich zwischen der zweiten und dritten Rippe rechts. Der Wundkanal ist schräg, von unten nach oben ...

    »Als wäre Berg direkt in das Messer gerannt, nicht wahr?«

    »Genau«, bestätigte der Arzt. »Es kann nicht viel Wucht dahinter gewesen sein.«

    »Nur das wollte ich von Ihnen wissen. Er hat das Heft des Messers vermutlich gegen den Türrahmen gesetzt und ist dagegengelaufen. Es ist anzunehmen, dass er seine Frau getötet hat. Natürlich erschreckt ihn jetzt diese Vorstellung, und er flüchtet sich in die Version vom großen Unbekannten. Von solchen Fällen gehen zwölfe auf ein Dutzend.«

    Jenes Messer lag zusammen mit

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