Mausetot auf hoher See: Schiffskrimi
Von Inge Hirschmann
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Über dieses E-Book
Ein Serientäter geht um auf der Magic Symphony. Die Chance für den gescheiterten Polizisten Karl Holzinger, der hier als Sicherheitsmann Zuflucht vor der Russenmafia gefunden hat, zu zeigen, was in ihm steckt. Und zum Glück ist ja auch sein pensionierter Hauptkommissar-Onkel Max Leitner an Bord. Mithilfe von Kriminaltechnik auf dem Stand der 50er Jahre versuchen die beiden zusammen mit der Bordsecurity, einen Mörder zu fassen, der bei allen seinen Opfern tote Mäuse hinterlässt. Die Lage spitzt sich zu, als ein Mädchen entführt wird. Nur noch vier Seetage bis Honolulu...
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Buchvorschau
Mausetot auf hoher See - Inge Hirschmann
Kapitel 1
Inge Hirschmann, geboren 1962, von Beruf Apothekerin, hat in vielen langen Notdienstnächten ohne Fernseher das Schreiben trainieren können. Seit 2000 arbeitet sie in der familieneigenen Papeterie und zusätzlich auch noch als Kunstmalerin. Sie lebt mit Mann und Tochter in Bad Griesbach, wo sie auch historische Altstadt-Führungen unternimmt.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen, Schauplatz und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
INGE HIRSCHMANN
MAUSETOT AUF HOHER SEE
Schiffskrimi
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Von Inge Hirschmann sind im EMONS-Verlag erschienen:
Bibergeil (ISBN 978-3-7408-0010-9)
Wenn der Waschbär kommt (ISBN 978-3-7408-0453-4)
©Karl Pritzl oHG, Bad Griesbach
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv und Gestaltung: Inge Hirschmann
Satz, Druck und Bindung: Ortmaier Druck GmbH, Frontenhausen
Printed in Germany 2019
ISBN 978-3-9821368-0-6
Schiffskrimi
Originalausgabe 2019
Für meine treuen Leser, für alle, die an mich geglaubt haben - und für meinen neuen Mitbewohner, den Neid, der an meiner Seite noch etliche Jahre im Beruf ausharren muss, obwohl er stattdessen auch gerne einmal sechs Monate lang durch die weite Welt reisen würde.
Nun ja, vielleicht nicht unbedingt auf diesem ganz speziellen Schiff...
Die Mitwirkenden
Passagiere:
Martynas Rhesa - Einzelgänger aus Litauen
Albert Hurvinek - Programmierer aus München
Melina Anders - Biologin aus Genf
Bianca Anders - ihre Tochter
die Bernkes - älteres Ehepaar
die Kepplers - Eheleute mit hinfälliger Verwandter
Elfriede Oppermann - pensionierte Studienrätin
Albin - verschollener Wirtschaftsspion
Max Leitner - pensionierter Kriminalkommissar
Sicherheitsdienst:
Edmund Sandtner - Sicherheitschef
Adam Asbeck - neuestes Mitglied mit fraglicher Vita
Jonas Hauser - Computergenie
Jochen Kornreder - vormals Animateur
Alice LeBecq - seine Freundin
Frank Marek
Josef Mühlbauer
Hilda Weber
Wiebke Braun
und noch dreizehn Kollegen
Weitere Besatzungsmitglieder:
Rudolf Klopstock - Kapitän
Ferdinand Moss - Quartiermeister (Hoteldirektor)
Luis - Maître vom Steak-House
Jacques Bach - oberster Küchenchef
Salvo - Barkeeper in der »Aurora-Bar«
Luc - sein Kollege in der »American Bar«
Dr. Mertens - Schiffsarzt
Ellen Vermeer - Krankenschwester
Wassili Kurow - Mann fürs Grobe
Der Schiffsarzt hatte eine OP-Maske umgebunden.
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben, Doc?«, fragte Adam Asbeck, der Mann vom Sicherheitsdienst, der die besorgten Blicke beunruhigter Passagiere in seinem Rücken brennen fühlte.
»Nein«, erklärte Dr. Mertens bestimmt. Er hatte einen weichen, melodischen Akzent. Vielleicht ein Ungar, dachte Asbeck. Das Schiff war deutsch, die Crew international. »Man weiß nie, was einen erwartet, wenn einer stirbt. Die Passagiere an Bord sind Weltenbummler. Theoretisch wäre sogar ein Pestfall denkbar...«
»Aber Doc, die Leute gucken schon so komisch!«
»Ach kommen Sie, die paar Meter zwischen Aufzug und Kabine! Da trifft man höchstens drei Passagiere.«
Asbeck zuckte die Schultern. Er hatte bisher neun gezählt. Heute Abend würde es ziemlich viel Gerede geben in den Speisesälen.
»Überhaupt«, fing der Bordarzt nach ein paar Schritten den langen, gut ausgeleuchteten Gang hinunter wieder an, »nach dem, was der Steward über das Aussehen der Leiche erzählt hat, könnte es sich durchaus um so etwas wie Ebola handeln. Ein hämolytisches Fieber, das zu Blutungen aus Mund und Nase geführt hat.«
Adam Asbeck blieb abrupt stehen, knapp vor der Kabinentür, die der Steward wieder abgesperrt hatte. Zwei Dutzend Sicherheitsleute an Bord der »Magic Symphony« - und ausgerechnet ihn hatte es hiermit erwischen müssen!
»Glauben Sie das wirklich, Doktor?«
Der Arzt war auch stehen geblieben. Logisch eigentlich, denn wenn Asbeck ihm nicht mit dem Generalschlüssel aufsperrte, konnte er gar nicht hinein in die Kabine. »Haben Sie auf einmal doch Angst?«
»Ich war ja schon drin«, bekannte Asbeck. »Der Steward hat als ersten mich geholt.«
»Und haben Sie ihn berührt?«
»Nur mit Handschuhen. Aber ich musste doch feststellen, ob ihm vielleicht noch zu helfen wäre.« Handschuhe gehörten zur Standardausrüstung eines jeden Sicherheitsmannes und übrigens auch aller Stewards an Bord. Schon allein deshalb, weil man gelegentlich Hilfestellung geben musste, wenn jemand seekrank über der Reling hing.
»Na, dann machen Sie sich mal nicht zu viele Sorgen! Hier, ich hab einen zweiten Mundschutz mit. Und -?«
»Was - und?«
»Was haben Sie festgestellt an dieser Leiche?«
»Dass sie - er - schon länger tot ist, mindestens acht Stunden. Die Leichenstarre ist voll ausgeprägt, auch in den unteren Extremitäten. Und die Kinnlade ist noch nicht wieder beweglich.«
»Donnerwetter, Sie scheinen sich ja auszukennen!«
Uff, dachte der Sicherheitsmann, aufpassen! »Ich war früher mal beim Ordnungsamt, da kriegt man allerhand mit.«
»Was - ein Beamter? Und das lassen Sie so einfach hinter sich?«
»Ich hatte genug von dem Ganzen«, sagte Adam Asbeck brüsk. Eigentlich hieß er ja gar nicht so, sein richtiger Name war Karl Holzinger, und er war auch nicht aus Osnabrück gebürtig, wie es in seinem Ausweis stand, sondern aus dem Markt Hallerbach im Bayerischen Wald. Wenn man dringend falsche Papiere brauchte, musste man nehmen, was man kriegen konnte. »Wollte mal etwas anderes sehen als besoffene und zugekiffte Jugendliche in Stadtparks.«
»Aber, guter Mann - Beamtenstatus - einfach sausen gelassen? Pensionsberechtigung und alle anderen Vorzüge des bemutterten Staatsdieners?«
»Tja, wissen Sie, die Wirklichkeit schaut oft anders aus. Und dazu war da noch eine Frauengeschichte, ziemlich übel. Aber lassen Sie's gut sein, Doc, zuerst sollten wir uns doch besser um den da drinnen kümmern!« Das Lügen war ihm noch nie leicht gefallen.
Der Gast der Luxuskabine war ein Mann in den Fünfzigern, leicht übergewichtig, aber auf die sportliche Art, also oben herum muskulös, nur statt des Waschbrettes ein halber Medizinball. War aber nun nicht mehr sein Problem, denn er lag tot in der Koje. Offenbar im Schlaf gestorben, seine Gesichtszüge wirkten friedlich. Getrocknete Blutspuren um Nase und Mund waren alles, was auf einen nicht natürlichen Tod hindeutete.
Adam erinnerte sich, den Mann hin und wieder unten im Casino gesehen zu haben. Und ja, auch im Steak-House. Das war keiner, der sich mit den gefräßigen Massen ums Buffett drängen mochte, nur weil es im Ticket inbegriffen war. Aber bei den horrenden Preisen, die die Reederei Joster & Colani für Kabinen mit großer Veranda verlangte, war das Edelrestaurant wahrscheinlich auch nicht mehr messbar ins Gewicht gefallen.
Der Schiffsarzt machte sich an eine grobe Untersuchung. »Wollen Sie mitschreiben?«
»Muss ich.« Adam zückte Notizblock und Kugelschreiber. »Was meinen Sie, was mir der Chef erzählt, wenn ich das hier nicht ordnungsgemäß protokolliere?« Edmund Sandtner, seines Zeichens Leiter der Security. Eine wahrhaft Respekt gebietende Persönlichkeit! »Und die Hinterbliebenen müssen benachrichtigt werden. - Was passiert denn jetzt eigentlich mit ihm? Seebestattung?«
»Ach was, wir frieren ihn ein, so wird das immer gemacht. Ist das etwa Ihr erster Toter auf See?«
»Es ist ja auch meine erste Seefahrt.«
»Na, dafür, mein Lieber, haben Sie aber einen guten Magen. Ich hab Sie gar nie unten in der Praxis gesehen, wo sich die Neuen immer reihenweise Scopolamin-Pflaster besorgen.«
Hast du eine Ahnung, dachte Adam, wie oft ich ab Southampton gereihert habe. Dass es dagegen Pflaster gab, die in der Bordapotheke kein Vermögen kosteten und die man sich einfach hinters Ohr klebte, hatte er erst erfahren, als er schon seefest geworden war. Sein Aufbruch in dieses neue Leben war etwas plötzlich gekommen und hatte ihm nicht mehr Zeit für die Lektüre von Reiseführern gelassen.
Der Arzt beugte sich unterdessen über den toten Mann, schob unter einigen Mühen - wegen der Leichenstarre - das Schlafanzugoberteil hoch und die Hose hinunter, um den Rumpf nach Wunden abzusuchen, drehte ihn auf den Bauch und wieder zurück. »Keine sichtbaren Verletzungen. Bis auf das Nasenbluten natürlich. Leber leicht vergrößert, aber nicht im pathologischen Bereich. Hm, das könnte auch an dem hier liegen.«
Er hatte die oberste Nachttischschublade geöffnet, um sich ein Bild von den Medikamenten zu machen, die der Mann einnehmen musste. Was er in der Hand hielt, war ein Blister mit ziemlich kleinen Tabletten. Erfahrungsgemäß wusste Adam: Je kleiner, desto wirksamer und meistens giftiger.
»Phenprocoumon - besser bekannt als Marcumar. Und das erklärt uns auch das Nasenbluten. Sie können Ihre Alpträume wieder einpacken, Asbeck: kein hämolytisches Fieber, stattdessen wahrscheinlich Überdosierung von Gerinnungshemmern. Er hätt besser ab und zu mal bei mir vorbeischauen und seinen Quick-Wert bestimmen lassen sollen!«
Auch hier kannte sich der ehemalige Ordnungsamtler, der in Wahrheit ehemaliger Polizeioberkommissar war, aus. »Meine Oma hat auch Marcumar nehmen müssen, die ist alle zwei Wochen zum Doktor gegangen wegen des Quick-Wertes, ob die Blutgerinnung noch stimmt. Ist er tatsächlich nie bei Ihnen gewesen deswegen?«
Der Arzt zuckte die Schultern. »Misstrauen gegenüber fremden Ärzten, sowas haben wir öfter. Kostet manchmal Menschenleben, aber ich kann's nicht ändern.«
»Ihr wievielter Toter ist das denn?«
»Hab längst aufgehört zu zählen. Aber ich bin ja auch schon auf dem Kahn hier, seit er vom Stapel gelaufen ist.«
Das war vor ungefähr fünf Jahren gewesen. Das Schiff war neu und vom Feinsten, zumindest auf den Passagierdecks. »Hätt ich nicht gedacht«, wunderte Adam sich, »dass auf Schiffen so viel gestorben wird. - Und wie geht's jetzt weiter?«
»Wir warten, bis die ganze Meute beim Futtern ist, dann bringen wir ihn hinunter auf Deck eins zum Leichenkühlraum. Und Sie machen sich besser schon mal Gedanken über ein paar salbungsvolle Worte für seine Lieben daheim, das bleibt nämlich garantiert an Ihnen hängen, weil der Kapitän sowas immer delegiert.«
»Einen Moment, ich will mich noch ein wenig umschauen.«
»Wozu das denn?« Auf einmal schien der Doktor es eilig zu haben.
»Wenn ich doch die Angehörigen benachrichtigen muss - da möcht ich wenigstens ansatzweise wissen, was mich erwartet. Zumindest die Muttersprache von dem armen Kerl da sollte ich noch rauskriegen.«
Schulterzuckend ließ sich der Bordarzt zu Füßen des Toten auf die Koje fallen. Der Ebola-Verdacht war ja vom Tisch.
Adam Asbeck schaute in ein paar Schränke und Schubladen und machte sich Notizen. Im Schreibtisch fand er den Reisepass des Verblichenen, der ihn - wie auch seine Bordkarte - als Martynas Rhesa aus Litauen kenntlich machte. »Ich nehme das hier in Verwahrung, Doktor. Vorschriftsgemäß.«
»Tun Sie das«, erwiderte der Arzt gelassen, vielleicht gelangweilt.
Ja, schon recht, dachte Adam, zeig du mir nur, dass ich hier das Greenhorn bin!
Aber besser ein Neuling im Sicherheitsdienst auf einem Kreuzfahrtschiff - als ein toter Polizist in Hallerbach. Dort, wo die Russenmafia ihm Blutrache geschworen hätte, wäre er nicht angeblich in der Donau ertrunken, nachdem er den Mann ans Messer geliefert hatte, den die Presse seither als den »Paten vom Bayerwald« titulierte. Karl Holzinger hatte seinen eigenen Selbstmord inszenieren müssen, um als Adam Asbeck noch einmal ganz von vorn anzufangen. Konnte es für ein solches Vorhaben einen passenderen Vornamen geben als eben - Adam? Und dieser Name war ihm tatsächlich zugeflogen wie eine Eingebung von ganz oben.
Sobald sein Entschluss feststand, sich abzusetzen und damit sein Leben zu retten, hatte er im Internet gezielt nach Stellenangeboten bei Sicherheitsdiensten gesucht, vorzugsweise ganz weit entfernt von seiner Heimat. Und war dabei ziemlich schnell auf die Möglichkeit Kreuzfahrtschiff gestoßen. Schiffe nämlich boten den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie praktisch zu allen Seiten hin feste und schwer überwindbare Grenzen ihr Eigen nannten und sich darüber hinaus nie sonderlich lange am selben Ort aufhielten.
Immer wieder war da in schöner Regelmäßigkeit die »Magic Symphony« in den Jobbörsen aufgetaucht, ein Kreuzfahrtschiff mittlerer Größe, dessen Reederei Joster und Colani ständig knapp an Sicherheitsleuten zu sein schien. Die perfekte Fluchtburg für einen gescheiterten Polizeikommissar, der schnellstmöglich aus einem Pakt mit dem Teufel austreten wollte und musste. Das war im Herbst geschehen, und nun stand das neue Jahr 2014 vor der Tür. Hoffentlich ein besseres als das beinahe schon vergangene!
Unbeirrt schaute er sich weiter in der Kabine um. Sie war geräumig, daher gab es viel zum Umschauen, doch seine Aufmerksamkeit war in jahrzehntelanger Praxis geschult worden. Und es sind oft die kleinen Dinge, die auffallen. So entdeckte er das graue Knäuel fast unter der Gardinenkante vor der großen Fenstertür zum Balkon. Er bückte sich, um es aufzuheben, schrak aber jäh zurück.
»Was ist denn? Haben Sie einen Geist gesehen?« Der Arzt wurde offenkundig allmählich ungeduldig.
»Nein«, äußerte Adam mit hörbarem Abscheu in der Stimme. »Eine Maus. Eine tote Maus. Hätt nicht gedacht, dass es sowas auf einem so feinen Schiff überhaupt gibt!«
»Oh, da sind Sie aber auf dem falschen Dampfer!« Der Doc lachte über sein eigenes Bonmot. Es klang ein wenig gekünstelt, als müsste er damit etwas überspielen. Vielleicht war die Hygiene an Bord ja seine Sache. »Was meinen Sie, wie's auf Deck eins, bei uns unten eben, von diesen Biestern wimmelt? Überall, wo Lebensmittel sind, sind auch Mäuse und Ratten. Und die Lagerräume fangen gleich hinter dem Hospital an.«
»Aber wie halten Sie sie aus dem OP fern?«
»Gammastrahlen«, sagte der Doktor und strahlte selbst, wohl aus Stolz wegen seiner technischen Ausrüstung. »Dasselbe Vorgehen wie bei der Bestrahlung von Lebensmitteln, das erledigt selbst Bananenspinnen zuverlässig. Kobalt-sechzig. Bringt alles Lebendige auch im Operationssaal um, und die Strahlung verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.«
Ist ja gruselig, dachte Adam, der mit Radioaktivität schon in seinem ersten Leben einmal zu tun gehabt hatte, schaudernd und spürte eine Gänsehaut an den Armen. Er versuchte, die tote Maus am Schwänzchen zu fassen zu kriegen, aber just in diesem Moment stupste eine kleine Welle das Riesenschiff seitlich an und ließ den Mäuseleichnam direkt in seine Hand gleiten. Seltsam fühlte sich der an, leicht und trocken - als wäre das Tier aus Pappmaché. Mumifiziert auf jeden Fall, elendiglich verhungert wohl. Wie lange mochte diese Maus schon tot in der Luxuskabine gelegen haben, vielleicht ganz hinten unter dem Bett?
Angeekelt und auf schwer deutbare Weise verstört, öffnete Adam Asbeck die Balkontür und verschaffte der Maus eine astreine Seebestattung.
Menschentod und Mäusetod, sinnierte er.
Kapitel 2
War das womöglich der Startschuss, auf den so manch einer auf diesem Schiff längst gewartet zu haben schien? Insbesondere der Sicherheitschef Edmund Sandtner und Adams neuer Freund und Kollege Jochen...
Sandtner war bei Adams Vorstellungsgespräch in Hamburg dabei gewesen. Er und ein Mann von Joster und Colani, denn Seven Seas Security war eine hundertprozentige Tochterfirma dieser Reederei. Außerdem ein leitender Angestellter des Hotelbereichs der »Symphony«.
»Man möchte nicht glauben, dass Sie schon zweiundfünfzig sind«, hatte Sandtner zu Adam gesagt, nachdem dieser diverse Fitnesstests und eine umfassende ärztliche Untersuchung über sich hatte ergehen lassen müssen. Wirklich eine umfassende: Für seinen Geschmack viel zu viele Spritzen, mindestens einen halben Liter Blut hatten die ihm in kleinen Dosen abgezapft. Und offenbar nichts Schädliches darin gefunden.
Adam hasste Spritzen abgrundtief. Seine Mutter war Krankenschwester gewesen und hatte ziemlich viel davon gehalten, Medikamente immer gleich auf dem direktesten Wege zu verabreichen, statt sich mit einem zäpfchenverweigernden Kleinkind herumzuschlagen. Freilich hatte sie die Tortur danach fast immer mit einer kleinen Nascherei belohnt. Oft war das eine Breze gewesen, der dicke Brezenbauch aufgeschnitten und saftig mit Butter vollgeschmiert, die knusprigen Seitenteile – von der Mutter liebevoll als Flügerl bezeichnet – mit kleinen Flöckchen belegt. Da war die Injektion dann schnell vergessen gewesen.
Tempi passati. Mutter tot, die Heimat für immer verloren. Jede Art von Heimweh im Sinne längerfristigen Überlebens ersatzlos gestrichen!
»Unser Doc sagt, Sie sind biologisch auf dem Stand eines Mittdreißigers.«
»Gute Gene«, hatte Adam erwidert, der tatsächlich auch erst neununddreißig Jahre alt war. Mittdreißiger war trotzdem schmeichelhaft. Aber wie gesagt: Wenn man falsche Papiere brauchte, musste man nehmen, was gerade im Angebot war. Unter diesen Umständen war es fast ein Wunder zu nennen, dass sich die Reederei überhaupt erst mit seiner Bewerbung befasst hatte. Ein Vorteil war wohl gewesen, dass er sie gleich persönlich vorbeigebracht hatte. Selbstbewusst und voller Elan war er dabei aufgetreten - hatte er doch gerade erst die geniale Eingebung erfahren gehabt, wie er dem Paten von Hallerbach doch noch beikommen könnte, ohne für den Rest seines vermutlich viel zu kurzen Lebens dessen Killer von der Russenmafia am Hals zu haben - und wie er seine Familie vor der rachsüchtigen Mischpoke schützen würde, die ja nur mehr aus seinem Onkel bestand (die Familie, nicht die Mischpoke). Der Oheim immerhin war unter seinem echten Namen Max Leitner an Bord, als ganz normaler Passagier.
Wahrscheinlich hatten Adams große graublaue Augen beim Vorstellungsgespräch ziemlich abenteuerlustig gefunkelt und sein gesamtes Selbst diese große Vorfreude ausgestrahlt, diese Aufbruchslust zu neuen Horizonten. Keine Ahnung, woher er das hatte: Seinen Vater hatte er nie kennengelernt, aber vermutlich kam diese Charaktereigenschaft von ihm. Obwohl seine Mutter in jüngeren Jahren schon auch ein rechter Zugvogel gewesen sein musste, wenn man seinem Onkel Max glauben wollte. Im Lichte solcher Hochstimmung war der IQ-Test auch bemerkenswert gut ausgefallen. Sicherheitsleute an Bord eines Schiffes mussten sich jedes noch so kleine Detail merken können. Da das bei Polizisten genauso war, hatte ihm diese Prüfung ebenso wenige Schwierigkeiten bereitet wie der Reaktionstest. Irgendwann später, als sie auch noch geschaut hatten, wie es mit seinen Selbstverteidigungskenntnissen stand, war er dann schon mal ein wenig stutzig geworden. »Darf ich eine Frage stellen?«, hatte er das gestrenge Dreigestirn (Sandtner, Reedereimann und Stellvertreter des Quartiermeisters) gefragt. Und dann: »Wie oft wird dieses Schiff eigentlich von Piraten überfallen?«
Woraufhin alle drei erst einmal leicht zusammengezuckt waren und dann hellauf gelacht hatten. Am wenigsten lang hatte Edmund Sandtner gelacht und sich dann zu der folgenden Aussage durchgerungen:
»Das vielleicht nicht gerade. Aber Sie werden schon noch die Gelegenheit erhalten, Ihre Fähigkeiten und Ihre erstklassige Fitness einzusetzen. Wenn die nächste Fahrt so verläuft wie alle... Tatsache ist, die Kreuzfahrtindustrie ist ein Wachstumszweig und nicht besonders versessen darauf, negative Schlagzeilen an die Presse zu liefern. Keine Reederei, die sich damit ihr Geld verdient, ist das. Also, wenn Sie nichts in den Nachrichten hören von schweren Zwischenfällen, Mord und Totschlag auf hoher See, dann heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Verstehen Sie mich?«
An diesem Punkt hatte Adam den Arbeitsvertrag schon unterschrieben gehabt und auch die Schweigeklausel. Der Arbeitsvertrag sah eine viermonatige Probezeit vor, die Klausel nicht. Und die Reederei gebot über ein Heer von Anwälten.
»Jetzt merken Sie gut auf, Asbeck: Sehen Sie das Gebäude da, das mit den postmodernen Arkaden? Also, nach jeder Fahrt steht dort drüben zuverlässig ein Mann von der Bild-Zeitung und wartet auf redselige Crewmitglieder. Leute vom Sicherheitsdienst sind besonders gefragt. Wenn wir Sie mit diesem Mann reden sehen, sind Sie gefeuert, klar?«
»Klar, Chef!«, sagte Adam und hätte beinahe salutiert. Außerdem verkniff er es sich gerade noch, zu betonen, dass man als Polizist auch keine Insiderinformationen an die Presse geben durfte.
»Und seien Sie pünktlich: Am dreiundzwanzigsten um neun Uhr früh stechen wir in See, von dem