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PROTUBERANZEN: Kosmologien - Science Fiction aus der DDR, Band 17
PROTUBERANZEN: Kosmologien - Science Fiction aus der DDR, Band 17
PROTUBERANZEN: Kosmologien - Science Fiction aus der DDR, Band 17
eBook271 Seiten3 Stunden

PROTUBERANZEN: Kosmologien - Science Fiction aus der DDR, Band 17

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Über dieses E-Book

Ein deutscher Wissenschaftler macht eine katastrophale Entdeckung: Die Ultrastrahlung der Sonne beginnt die Kohlensäure der Luft zu zersetzen, und ein Prozess läuft an, der in absehbarer Zeit zur Vereisung der Erde führen muss.

Pläne werden entwickelt und kühne Projekte in die Wege geleitet, um die Erde vor dem Kältetod zu retten und der Menschheit das Überleben zu gestatten. Aber es sind auch verantwortungslose Kräfte am Werk, die aus der drohenden Katastrophe Profit zu schlagen versuchen...

 

Rudolf Heinrich Daumann (* 02. November 1896 bei Neumarkt/Schlesien; † 30. November 1957 in Potsdam) war ein deutscher Autor von Science-Fiction- und Abenteuerromanen. Sein Roman Protuberanzen erschien erstmals im Jahre 1940.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe KOSMOLOGIEN - SCIENCE FICTION AUS DER DDR.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum22. Juni 2023
ISBN9783755444923
PROTUBERANZEN: Kosmologien - Science Fiction aus der DDR, Band 17

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    Buchvorschau

    PROTUBERANZEN - Rudolf H. Daumann

    Das Buch

    Ein deutscher Wissenschaftler macht eine katastrophale Entdeckung: Die Ultrastrahlung der Sonne beginnt die Kohlensäure der Luft zu zersetzen, und ein Prozess läuft an, der in absehbarer Zeit zur Vereisung der Erde führen muss.

    Pläne werden entwickelt und kühne Projekte in die Wege geleitet, um die Erde vor dem Kältetod zu retten und der Menschheit das Überleben zu gestatten. Aber es sind auch verantwortungslose Kräfte am Werk, die aus der drohenden Katastrophe Profit zu schlagen versuchen...

    Rudolf Heinrich Daumann (* 02. November 1896 bei Neumarkt/Schlesien; † 30. November 1957 in Potsdam) war ein deutscher Autor von Science-Fiction- und Abenteuerromanen. Sein Roman Protuberanzen erschien erstmals im Jahre 1940.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe KOSMOLOGIEN - SCIENCE FICTION AUS DER DDR.

    PROTUBERANZEN

      ERSTER TEIL

    Erstes Kapitel

    »Unsinn, mein lieber Wiedensohl!«, sagte laut eine helle, frische Stimme. »Leibhaftiger Unsinn, hier in diesem elenden Südseenest eine anständige Kneipe finden zu wollen. Wir hätten besser daran getan, im Hotel zu bleiben und uns hübsch auf das Ohr zu legen.«

    »Abwarten, Rudolf Bracke!« Die Worte klangen dunkler, ruhiger. »Astronomen haben sonst mehr Geduld als wir hitzigen Flieger. Dicht am Molo soll ein nettes Lokal liegen, in dem sogar eine leibhaftige Europäer-Kapelle spielt. Wir müssen hier bald am Hafen sein!«

    »Eine ägyptische Finsternis in der Südsee!«, erklärte wieder der erste Sprecher. »Wozu mögen in diesem verdammten Papeete nur die großen Straßenlampen über dem Makadam hängen, wenn man sie nicht anbrennt?«

    »Französische Großmannssucht!«, stellte der andere fest. »Wenn die großen Touristendampfer auf Tahiti-Nui anlegen, dann erstrahlt das ganze Städtchen in magischer Beleuchtung. Aber für die polynesischen Mischlinge, die paar verkaterten Kolonialbeamten und uns drei Deutsche lohnt sich die Geldausgabe an so einem kommunen Wochentag nicht. Die echten Eingeborenen gehen mit den Hühnern schlafen...«

    »Ich bezweifle überhaupt, dass es auf Tahiti noch reinblütige Tahitianer gibt«, wandte Rudolf Bracke ein. »Was uns bisher in Papeete vor Augen kam, waren recht unangenehme Mischungen zwischen Braun und Gelb und Schwarz und Weiß.«

    »Französische Kolonialpolitik!«, meinte Robert Wiedensohl lachend. »Die Herren in Paris wissen, dass sich nichts so leicht beherrschen lässt wie ein Bastardvolk. Doch im Innern der Insel soll es noch unverfälschte Tahitianer geben. Dort drüben schimmert übrigens Licht!«

    »Dann hin zum rettenden Pol! Der Manager im Hotel Orohenu hat mir auch hoch und heilig versichert, dass es dort ein prima Spatenbräu geben soll. Marsch, marsch, Wiedensohl! Mich dürstet es fürchterlich!«

    Bald stolperten die beiden Nachtwanderer die Treppe zu einer Veranda hinauf, über der eine blakende Petroleumlampe hing, und fanden an einem der runden Marmortische Platz. Ein farbiger Diener erschien, die Kellnerschürze wie einen Sarong um die Hüfte geschlungen, verneigte sich unzählige Mal, schleppte einen grell leuchtenden Karbidbrenner herbei und nahm auch die Bestellung entgegen.

    Nach einer Weile kam er wieder und servierte die Bierflaschen in einem Sektkühler, stellte hohe, schmale Gläser auf die Tischplatte und überreichte dann sogleich auf einem angesprungenen Teller die Rechnung.

    »Donnerwetter, Wiedensohl!«, entfuhr es Bracke. »Das echte herrliche Getränk aus der Champagne, Mumm extra dry, könnte auch nicht teurer sein.«

    »Warum kommt man auch auf den spleenigen Gedanken, in dieser verlassenen Ecke des Stillen Ozeans ausgerechnet süffiges Spatenbräu zu trinken!«, neckte ihn der andere. »Bei Ihrer Vermögensanlage aber können Sie sich ja den Scherz leisten. Der Stoff sieht übrigens recht trinkbar aus. Prosit, Herr Doktor!«

    »Prosit, Herr Chefpilot!... Schmeckt wirklich famos! He, Boy, stell gleich noch zwei Flaschen kalt! Und da ist das Geld!«

    Er warf dem Braunen mit dem üppig gekräuselten Haar einen Geldschein zu und lehnte sich dann bequem in dem Rohrstuhl zurück. Um seine schmalen Lippen lag ein richtiges Jungenlachen. Seine schlanken Hände fuhren von den Schläfen aufwärts über die hohe Stirn und durch das dichte Blondhaar. Er mochte die dreißig Jahre noch nicht erreicht haben. Der bequeme Sportanzug lag lose um seine schmalen Schultern und die schlanken Hüften. Sein Gefährte saß breit und wuchtig ihm gegenüber, den Rücken zum Park, der sich bis an das Meeresufer erstreckte. Eine kurze Haarbürste bedeckte den runden Schädel. Unter einer stark gewölbten Stirn lugten gemütliche Braunaugen über die starken Wangenpartien. Für einen braven Gastwirt aus einer deutschen Kleinstadt hätte man den kühnen Chefpiloten Robert Wiedensohl halten können, wenn man nicht in seinen massigen Schultern und seinem starken Nacken die gebändigte Kraft geahnt hätte.

    »Warum sind Sie eigentlich Astronom geworden, Herr Bracke?«, fragte er unvermutet sein Gegenüber.

    »Wie kommen Sie zu der überraschenden Frage?«, wollte Bracke wissen. »Ich könnte ebenso gut antworten: Warum sind Sie, Wiedensohl, Flieger geworden? Eigentlich sehen Sie aus wie ein echter hannoverscher Bauer.«

    »Bin ich ja auch meiner Abstammung nach!«, erwiderte der Pilot. »Und wenn ich mir genug Moneten zusammengeflogen habe und die alten Knochen bei einer gerissenen Rolle ins Zittern geraten, setze ich mich zwischen Harz und Aller irgendwo in ein gottverlassenes Nest, züchte Herdbuchvieh, Kartoffeln und Saubohnen und will bei zwanzig Bienenstöcken meine Piepe in Ruhe schmauchen.«

    »Das könnten Sie doch jetzt schon tun! Oder hat Ihnen die Fliegerei so wenig eingebracht?«

    »Nein! Aber die Knochen zittern noch nicht. Sie haben wieder nur die Hälfte meiner Ausführungen ausgewertet, Herr Astronomius. Doch ich wollte etwas wissen, und nun haben Sie mich ins Kreuzverhör genommen. Warum also sind Sie Astronom geworden?«

    Doktor Bracke nahm erst einen ausgiebigen Schluck des schäumenden braunen Trankes, ehe er antwortete: »Tja, was Sie mich eben gefragt haben, das sagt meine ganze hohe Verwandtschaft auch immer. Warum Astronom? Und diesen lapidaren Satz mit Augenaufschlag und Vorwurf. Der Rudolf Bracke könnte doch bereits heute wie sein Vater Direktor einer Großbank sein und Geld scheffeln. Stattdessen treibt er eine so brotlose Kunst! Nun, sicher bin ich erheblich mathematisch belastet. Aber eben das reizte mich, meine Veranlagung an interessanteren Gebieten zu versuchen als nur an angewandter Prozent- und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Astronom sein, heißt nämlich Rechner sein!«

    »Sie haben mich nicht ganz verstanden«, unterbrach ihn Wiedensohl. »Ich habe gegen den ehrenwerten Beruf der Sternguckerei durchaus nichts einzuwenden. Als Bankmensch könnte ich mir Sie noch viel weniger vorstellen. Aber wenn ich Sie so in Ihrer jungenhaften Schlaksigkeit dasitzen sehe, versetze ich Sie in Gedanken in eine mondäne Bar oder auf einen Golfplatz, in ein schickes Tanzlokal oder als junger Lord hingelümmelt in den Clubsessel des Vestibüls eines sehr vornehmen Hotels. Stattdessen treiben Sie sich wie ein übermütiger Schuljunge, der seinen Pensionseltern ausgekratzt ist, hier in dem finsteren Papeete herum, kriechen morgen durch Urwald und Felsstürze hinauf auf den Drohenu, nur um eine Sonnenfinsternis zu beobachten.«

    »Und nun sagen Sie bloß noch: Haben Sie denn das nötig?« Bracke lachte auf. »Prosit, Wiedensohl! Sie sind ein wahrhaft philiströser Wolkenkitzler!«

    »Wieder falsch verstanden!«, brummte der Flieger. »Ein Astronom, ein Mensch, der es mit den ewigen Sternen zu tun hat, muss, so nehme ich wenigstens an, einen ernsten und gesetzten Eindruck machen, wie...«

    »...Professor Doktor Albin Hegar!«, setzte der andere seine Betrachtung fort. »Wenn ich das Alter meines hochverehrten Lehrmeisters erreicht haben werde, wird sich auch die nötige wissenschaftliche Würde einstellen. Vorläufig aber liebe ich neben meiner Gelehrsamkeit auch noch das Leben, wogegen auch ein Herr Wiedensohl hoffentlich nichts einzuwenden hat.«

    »Nein, der freut sich sogar darüber!« Der Pilot hob sein Glas und trank ihm zu. Er horchte einen Augenblick lang auf das Rauschen der Südsee, dann eine längere Weile auf ein plötzlich aufklingendes Klavierspiel, das aus dem Innern des Hauses drang. »Musik!«, sagte er mit einem Ton der Anerkennung. »Und wenn ich mich nicht täusche, nicht einmal schlechte!«

    »Sehr gute sogar!« Die beiden lauschten den perlenden Läufen. »Die Deutschen Tänze von Franz Schubert, direkt meisterhaft gespielt. Freilich ist der Klimperkasten da drinnen den Fingern, die ihn zum Klingen bringen, nicht kongenial.«

    Sie tranken in kleinen Schlucken weiter den Gerstensaft und lauschten den Melodien, bis der letzte Ton verklungen war. Nach einer Pause des Schweigens lachte Rudolf Bracke fröhlich auf: »Wiedensohl, können Sie sich eigentlich einen größeren Kitsch denken als das Gemälde: Unter dem Kreuz des Südens und dem Triangulum australe sitzen am rauschenden Stillen Ozean zwei ergriffene Männer bei einem Topp Bier zusammen und hören zwischen Palmensäuseln und Wellenplätschern die Deutschen Tänze. Wenn wir Professor Hegar das berichten, dann wird er sagen: Narretei! Endlich wieder mal ernst werden, Bracke!«

    Wieder erklang das Instrument. Nach einem kurzen Vorspiel begann eine rührende Stimme zu singen. Ergriffen hörten die beiden Gefährten die sehnsüchtige Melodie, und sie erwachten aus ihren Träumen erst, als drinnen lärmender Beifall auf brauste.

    Eine Menge Stimmen schrien durcheinander; Gläser klangen und zerbrachen. »Eine besoffene Bande von Tahitianern und dazu Schubertlieder?« überlegte Bracke laut. »Wiedensohl, hier stimmt etwas nicht!«

    Der Kellner hatte inzwischen das zweite Pärchen der silberverkapselten Literflaschen gebracht. Als ihn die beiden nach der Sängerin fragten, grinste er augenzwinkernd: »Oh, nichts als eine hübsche Chanteuse! Serr hübsch und serr frisch hier in Papeete! Monsieur

    Hamenene, großer Mann von Vanillezucht, gibt schönes Fest für kleines Mädchen.«

    »Ist es eine Deutsche?«, wollte Bracke wissen.

    »Ich nicht wissen! Ich gar nichts nicht wissen!«, sagte er schnell und verschwand wieder im Innern des Hauses.

    »Wollen wir uns den Zauber einmal ansehen?«, fragte Wiedensohl.

    »Lieber nicht! Vielleicht erleben wir eine Enttäuschung. Reisende Künstlerin in der Südsee? Das ist gerade keine Empfehlung!«

    Der Lärm der Feier drang immer lauter heraus zu den beiden Schweigenden. Johlendes Gelächter übertönte alle Einzelheiten. Wiedensohl sprang auf: »Da hat doch jemand Hilfe! gerufen?«

    Plötzlich fiel ein greller Lichtschein durch eine hohe Tür, die hastig aufgerissen worden war. Eine schmächtige Gestalt in einem langen weißen Kleid rang mit einem fetten Mann, der sie in seine Arme zu ziehen versuchte. Nun hatte sie sich ihm entwunden und rannte flink wie ein Wiesel über die Veranda auf die beiden Deutschen zu. Doch der Farbige war trotz seiner Korpulenz schneller als die Fliehende. Mit einem brutalen Griff packte er sie bei der Schulter. Das Kleid zerriss. Mit einem Fetzen Chiffon in der Hand stand er einen Augenblick lang verdutzt da. Da warf sich schon Wiedensohl zwischen ihn und die Verfolgte: »Stopp, Junge! Was geht hiervor?«

    Ein braungelbes Gesicht verzog sich zu einer Wutfratze. Zwei grobe Fäuste stießen nach dem Gesicht des Piloten; die ausgestreckten Daumen zielten nach seinen Augen. Ein schneller Schritt rückwärts verschaffte Wiedensohl die nötige Distanz. Dann zuckten seine Arme nach vorn, und dumpf knallte eine Serie von Schlägen in das schwammige Gesicht. Wie ein Mehlsack plumpste der Mischling zusammen; schlaff lag er auf dem mit Matten bedeckten Fußboden.

    »Alter Freund, so darfst du Wiedensohl nicht kommen!«, brummte der Pilot und betrachtete kritisch sein Opfer. »Daumen in die Augen! Den chinesischen Trick kenne ich. Und dabei sieht der Mensch beinahe manierlich aus!« Er musterte den tadellosen Frackanzug, die blinkenden Lackschuhe, die wohlgestärkte Hemdbrust und die protzige Perle, die er in. der Krawatte trug. »Wer ist das?«, fragte er den Kellner, der, gutturale Klagetöne ausstoßend, herbeigeeilt war.

    »Großer Herr Olui Hamenene! Oh, ganz tot?«, stöhnte er.

    »Nur ein bisschen groggy! In zehn Minuten steht er wieder auf. Und wer ist der Herr Hamenene?«

    »Reichster Mann in Papeete! Alle Vanille sein! Viel Perlenhandel. Mächtiger als ganzer Resident!«

    »Reichtum verpflichtet! Dann soll er sich ein bisschen zivilisierter benehmen. Und was macht das Täubchen?« Er wandte sich an Bracke, an dessen Brust das Mädchen hing, das von einem hysterischen Weinkrampf befallen zu sein schien.

    Viel war von der Schluchzenden noch nicht zu sehen, so eng hatte sie sich an den Mann gepresst. Zwei schlanke, fast dünne Arme, ein tizianroter Lockenschopf und eine nackte, perlweiße Schulter, mehr konnte der Pilot vorläufig nicht ausmachen. Sorgsam drängte jetzt Bracke das Mädchen in einen Stuhl und hielt die beiden Hände fest, die sich nervös öffneten und schlossen. Fast ein Kindergesicht, tränenüberströmt, mit einem kecken Stupsnäschen wurde jetzt sichtbar. Der Mund war ausdrucksvoll geformt, und kräftig wölbten sich die Lippen, die immer noch vor Schreck zitterten.

    »Helfen Sie mir!«, bat die rührende Stimme zwischen dem Schluchzen. »Ach, helfen Sie mir doch!«

    »Keine Bange, Kindchen!«, brummte Wiedensohl. »Immer mit der Ruhe!... Aha, da ist wohl der Chef des Hauses?«, wandte er sich einem verlegen lächelnden Manne zu, der sich jetzt in den Vordergrund schob. »Was hat der ganze Zauber eigentlich zu bedeuten?«

    Er musste seine Frage auf Französisch wiederholen, ehe er verstanden wurde. Dann aber brach eine wahre Flut von Beschwörungen und Vorwürfen über ihn herein: »Sie haben Monsieur Hamenene doch hoffentlich keinen Schaden getan?... Ein Missverständnis alles! Nichts als ein großes Missverständnis, meine Herren! Diese Dame ist bei mir als Pianistin engagiert. Sie verstehen doch?... Und ihrer großen Kunst zu Ehren gab Herr Hamenene heute ein wirklich hervorragendes Souper. Er hat ihr dabei etwas stürmisch seine Verehrung zum Ausdruck gebracht. Sie fasste die Sache schief auf. Vielleicht ist sie die Glut südlicher Menschen noch nicht gewöhnt... Nur einen Kuss... was ist das schon?... nur einen Kuss wollte er von ihr haben. Nichts weiter! Da floh sie...«

    Wiedensohl betrachtete das Gesicht des Burschen, den er zusammengeboxt hatte, und lachte fröhlich auf: »Hat anscheinend noch einen unverdorbenen Geschmack, das Mädchen. So eine Froschschnauze, da kann man schon davonlaufen!«

    Das Mädchen hatte sich inzwischen einigermaßen gefasst: »Das war abgekartetes Spiel, Herr Barthelmy!«, rief es herüber. »Keinen Tag länger bleibe ich hier! Dieses Scheusal da verfolgt mich vom ersten Tag an, als ich hier mein Engagement antrat. Und Sie wollten sich einen dicken Kuppelpelz verdienen, Barthelmy!«

    Der kleine Franzose war die hämische Liebenswürdigkeit selbst: »Mademoiselle Veith, Sie sind in meinem durchaus anständigen Lokal als Pianistin und Stimmungssängerin engagiert. Auf zwei Monate lautet der Vertrag. Vierzehn Tage sind erst vorüber. So ein kleiner Scherz berechtigt Sie nicht zum Kontraktbruch!«

    Herr Hamenene schien wieder langsam zu sich zu kommen. Mit idiotischem Ausdruck hockte er auf den Matten und stöhnte einige Mal, ehe er die ersten Worte formen konnte: »Wenn sie nicht will, dann gib mir mein Geld zurück, Barthelmy!«

    »Der Fall liegt klar!«, schnitt Bracke alle weiteren Diskussionen ab. »Herr hochehrenwerter Lokälchen-Besitzer, wollen Sie der Dame sofort ihre Effekten aushändigen, die fälligen Gelder auszahlen und... na, auf ein Zeugnis über Wohlverhalten und so weiter verzichten Sie wohl in Anbetracht der besonderen Umstände, Fräulein...«

    »...Renate Veith!«, stellte sich die Schluchzende vor. »Helfen Sie mir bloß, damit ich hier herauskomme!«

    »Wird gemacht!«, stellte Wiedensohl gelassen fest. »Also erst mal die Koffer...«

    »Bitte! Bitte!« dienerte der Franzose. »Die Dame kann sofort mein Haus verlassen. Aber Zahlungen leiste ich nicht! Ich habe die Überfahrt von Batavia hierher getragen... Die Gage von vierzehn Tagen langt kaum, um diesen Betrag zu decken!«

    »Behalten Sie Ihr dreckiges Geld!«, schrie Renate Veith. »Nur heraus hier aus dieser Spelunke!«

    Eine halbe Stunde später standen die beiden Freunde mit ihrem neuen Schützling auf der Straße und stolperten durch die Finsternis auf ihr Hotel zu. Wiedensohl fragte unterwegs: »Wie kann so'n lüttes Mädchen eigentlich in so eine verflixte Situation geraten?«

    Die Pianistin schien den Schrecken vollkommen überwunden zu haben: »Von wegen lüttem Mädchen! Ich habe meine 23 Jahre schon hinter mir!«

    »Sieht man Ihnen aber nicht an!« neckte Bracke.

    »Als Musikbeflissene muss ich eben ein gewisses ätherisches Äußeres haben!« verteidigte sich Renate Veith. »Außerdem waren meine Studienjahre mehr mit trockenem Brot als mit nahrhaftem Speck gesegnet. Und was ich bisher verdient habe, hat nur gelangt, um meine Schulden zu bezahlen.«

    »Wie kommen Sie eigentlich hierher?«, wollte Wiedensohl wissen.

    »Ich wollte die Welt sehen!«, antwortete Renate. »Für den großen Konzertsaal reichen meine Gaben nicht aus. Aber in guten Hotels und ersten Karawansereien sucht man solche Kräfte, wie ich mir einzubilden erlaube, eine zu sein. In Alexandrien, Colombo, Singapur und Batavia bin ich immer sehr anständig bezahlt und behandelt worden. Auf Java erhielt ich ein blendendes Angebot für Papeete. Denken Sie sich: die Südsee, das ewig blaue Meer, die frohen Naturkinder... musste das nicht locken?... Und so kam es eben, dass Sie mich erretten konnten!«

    Etwas spöttisch klang der letzte Satz. Bracke ärgerte es, und er fragte: »Und was hätte das mutige Mädchen gemacht, wenn wir nicht gerade auf der Veranda gesessen hätten?«

    »Ja, das weiß ich auch nicht! Jedenfalls aber habe ich doch durch meine Flucht zwei kühnen Meisterwerken der Schöpfung dazu verholfen, ihren Mannesmut zu zeigen. Und damit habe ich auch in Papeete des Guten genug getan. Wo bringen Sie mich denn eigentlich hin?«

    »Zunächst einmal in unser Hotel zu Madame Brignard. Morgen wollen wir dann weiter sehen!«, bestimmte Bracke. »Was werden Sie tun? Für Ihre Fähigkeiten dürfte sich auf Tahiti kaum ein neues Tätigkeitsfeld finden.«

    »Das wollen wir lieber dem kommenden Tag überlassen. Schief liege ich ja wieder einmal gehörig! Aber es ist noch immer jutjejange, jutjejange...!« sang sie plötzlich fröhlich. »Und was haben Sie hier zu suchen?«

    »Wir gehören zur deutschen Solarexpedition, die in einigen Tagen die totale Sonnenfinsternis beobachten soll. Unser Chef wird sich wundern, was wir ihm da zu nachtschlafender Zeit ins Hotel bringen. Er ist manchmal etwas knurrig, der Professor Hegar...«

    Bracke konnte seine Betrachtungen nicht weiter fortsetzen. »Hegar?«, schrie Renate Veith erschrocken auf und blieb stehen. »Albin Hegar aus Rönneberg?«

    »Gerade der nämliche!« bestätigte Wiedensohl.

    Energisch wandte sich Renate und packte nach den Koffern, die ihre beiden Helfer trugen. »Kehrt marsch! Mein braver Onkel Albin und seine verdorbene Nichte Renate? Der kriegt einen Kollaps, wenn er mich hier auf Tahiti wiedersieht.«

    »Ach, Sie sind die Renate Veith?« feixte Bracke.

    »Die bin ich! Die des Herrn Professors onkelige Unterstützung strikt abgelehnt hat, weil er meinem Vater nicht helfen wollte. Sie werden es verstehen, wenn Sie orientiert sind!«

    »Sehr gut! Aber nun kommen Sie mit! Gerade jetzt! Denn Professor Hegar wird sich freuen, ein Missverständnis aufklären zu können, das beinahe eine schicksalhafte Tragödie heraufbeschworen hätte. Vorwärts, wir sind gleich in unserem Hotel!«

    Zweites Kapitel

    Sie standen bereits davor. Mildes Licht drang durch die mit Insektengaze bespannten Fensteröffnungen. Es war das offizielle Unterkunftshaus des Residenten, das der deutschen Solarexpedition für die Zeit ihres Aufenthalts in Papeete zur Verfügung gestellt war. Im Speisesaal saß allein Madame Brignard, die das Unterkunftshaus zu betreuen hatte, bei einer Tasse starkem, süßem Kaffee und begrüßte die Eintretenden freundlich: »Monsieur le Professeur arbeitet noch auf seinem Zimmer. Er kommt aber dann zu einem Schwarzen noch herab«, sagte sie, während sie neugierig das Mädchen musterte.

    »Fein! Er ist also in seinem Element und wird daher recht umgänglich sein!«, stellte Bracke fest. »Schwarzer Kaffee nach 24 Uhr, das bedeutet eine schlaflose, durcharbeitete Nacht. Wollen Sie mich auch mit genügend Koffein versorgen, Madame Brignard? Halt, vorher brauchen wir noch ein gutes Zimmer für Mademoiselle Renate Veith, eine Verwandte des Herrn Professors.«

    »Aber sofort! Eine Überraschung für Herrn Hegar? Oh, er wird sich sicher sehr freuen!«

    »Was ich zu bezweifeln wage!«, sagte Renate Veith. »Kaffee könnte ich auch eine ganze Kanne gebrauchen. Aber erst umziehen! Wenn mich mein Onkel in diesem ramponierten Gesellschaftsschwenker sieht, dann gibt

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