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Barfußkinder: Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit
Barfußkinder: Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit
Barfußkinder: Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit
eBook379 Seiten4 Stunden

Barfußkinder: Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit

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Über dieses E-Book

Berta Margreiter zählt zu den bekanntesten Mundartdichterinnen
Tirols. Sie kam 1924 als jüngstes von vier Kindern
der Kleinbauernfamilie Rabl an der Gemeindegrenze
von Hopfgarten/Grafenweg zu Niederau/Wildschönau zur
Welt. Das musisch geprägte Elternhaus, starkes Interesse
am Lesen und ein Lehrer, der weit über den Rahmen einer
Dorfschule hinaus auch klassische Literatur vermittelte,
waren der Keim für die spätere Liebe zur Schriftstellerei.
In diesem Buch beschreibt sie die Zeit ihrer Kindheit und
Jugendzeit während der Zwischenkriegsjahre in der Wildschönau.

SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Tirol
Erscheinungsdatum6. Apr. 2012
ISBN9781476422053
Barfußkinder: Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit
Autor

Berta Margreiter

Berta Margreiter geb. Rabl wurde am 7. Dezember 1924 als jüngstes von vier Kindern in Hopfgarten, Grafenweg 4, geboren. Ihre Familie besaß eine kleine Landwirtschaft. Leider verstarb der Vater schon im Jahre 1926. Seine Witwe musste sich allein mit den kleinen Kindern ohne jegliche Unterstützung durchbringen. Berta besuchte die Volksschule in Niederau-Wilschönau, danach half sie daheim im Haus und in der Landwirtschaft, zumal ihr Bruder Sepp, der die Landwirtschaft einmal übernehmen sollte, zum Arbeitsdienst und dann zur Wehrmacht einberufen wurde. Doch die Mutter kränkelte immer mehr, sie musste ins Spital und sodann in die Klinik nach Innsbruck eingeliefert werden. Dort starb sie am 7. März 1941. Einige Zeit vor und nach dem Tode der Mutter war Berta allein im Haus und versorgte Hauswesen und Vieh so gut sie vermochte. Dann wurde das kleine Anwesen verpachtet. Berta kam zu einer alleinstehenden Tante nach Kundl, von dort besuchte sie die Handels-schule in Schwaz. Danach war sie als Büroangestellte im Arbeitsamt Schwaz beschäftigt, kurze Zeit nach dem Krieg noch ein Jahr in den Jenbacher Werken. Berta heiratete den nachmaligen Volksschuldirektor Bartl Margreiter und bekam mit ihm zwei Kinder. Danach war sie nur noch Hausfrau und Mutter. Nebenbei aber, soweit es ihre Zeit erlaubte, begann sie mit dem Schreiben. Das war ihr schon seit jeher ein Bedürfnis. Es entstanden Mundartgedichte und auch Kurzgeschichten, vorerst ohne Ehrgeiz, sie zu veröffentlichen. Ihre ersten Förderer waren der Kulturredakteur Alfred Strobl von der Tiroler Tageszeitung, Dr. Anton Brugger vom Tiroler Bauernbund, vor allem aber Dr. Friedrich Haider vom ORF. Er förderte viele Mundartschaffende aus Nord- und Südtirol. Durch seine Sendungen machte er sie einem breiten Hörerkreis bekannt. Nach dem Ableben ihres Mannes verblieb Berta Margreiter noch 22 Jahre lang allein in ihrem Heim am Sonnbichl. Eine plötzliche Erkrankung zwang sie zur Aufgabe ihres bisherigen Wirkungskreises, sie konnte sich selbst nicht mehr versorgen. Aus diesem Grund zog sie in das Altersheim Reith und hat diesen Entschluss noch nie bereut. Von allem Anfang an bot man ihr dort die Möglichkeit zum Schreiben, ein Angebot, das sie dankbar annahm.

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    Buchvorschau

    Barfußkinder - Berta Margreiter

    Book Cover

    Berta Margreiter

    Barfußkinder

    Eine Kindheit in der Zwischenkriegszeit

    eBook Edition 2012

    © Edition Tirol

    Alle Rechte bei:

    Verlag Edition Tirol

    St. Gertraudi 16

    6235 Reith im Alpbachtal

    Nachdruck und Vervielfältigung (auch auszugsweise) verboten.

    Inhaltsverzeichnis

    Barfußkinder

    Das Haus auf dem Hügel

    Als unser Vater starb

    Der Versehgang in alter Zeit

    Die Zeit danach

    Wetti

    Unser Bruder Hans

    Der Krummer-Laden

    Die Sägemühle

    Der Bauernhof in alter Zeit

    Wie es mit der Hygiene bestellt war ...

    Die große Wäsche – Buntwäsche

    Die Männer mit dem Kautabak

    Eintritt in die Volksschule

    Erstkommunion und Firmung

    Unbestimmte Ängste und Träume

    Heiligenbilder und Wandschoner

    Der Schmerzensmann auf dem Burgstallstein

    Mein Bruder Peter

    Ein Kleinbauer als Nottierarzt

    Beleuchtung und Heizmöglichkeiten einer vergangenen Zeit

    Frieda – „Magst umfoin und sterbm?"

    Bettler – Hausierer, Zigeuner, Karrner

    Die allgemeine Not

    Ärztliche Betreuung durch Lehrer, Hebamme und Pfarrer

    Das „Gfrett" mit den Zähnen – Zahnreißer

    Botengänge

    Prügelstrafe war damals noch üblich

    Betty – nicht mehr Wetti!

    Die Bauernkost

    Schweiber Wetté

    Religiöses Leben – der Religionsunterricht

    Palmsonntag bis Pfingsten – Prozessionen

    Zu Pfingsten kam der „Ringlpater"

    Mariastein – die wichtigste Wallfahrt im Unterland

    Geselligkeit bei uns daheim

    Wo kommen die kleinen Kinder her?

    Volksmeinungen über das Neugeborene

    Die Taufe – die kirchliche Aufsegnung

    Viele Kinder – großer Segen

    Das Problem der ledigen Mütter

    Hebammen – Weise Frauen – Wehmutter

    Mein Bruder Sepp

    Der Bruggberger Wald

    Das Moosbeerklauben

    Arbeiten vom Frühjahr bis zum Herbst

    Die Heuernte und der Kornschnitt

    Das Kühehüten im Herbst – Allerheiligen

    Weite Fußmärsche, Fuhrwerke, erste Motorräder

    Das Postauto – Die Bötinnen – Die Radfahrer

    Meine Bahnfahrten mit der Mutter

    Eine Bauernhochzeit in alter Zeit

    Ansuchen um eine Heiratserlaubnis

    Und noch einmal: Die Sägemühle

    Die Kleidung in den 1930er Jahren

    Mit Frieda unterwegs

    Der Umbruch

    Abschied von der Volksschule

    Ein Unfall mit dem Rad meines Bruders

    Arbeitsdienst und Krieg

    Dann kam der Krieg.

    Advent und Weihnachten

    Der Nikolausabend

    Das Anklöpfeln

    Das Zeltenbacken

    Der Heilige Abend – Das Fisolenweibele

    Mutter kommt ins Spital

    Daheim allein …

    Die Autorin

    Werke

    Barfußkinder

    Unser Dorf, abseits der großen Verkehrsstraße im Inntal, umgeben von bewaldeten Kuppen, gegen Süden hin vom hoch gelegenen Markbachjoch, heute ein bekanntes Skigebiet. Ein Dorf, das sich vor allem in der Niederung ausbreitet, deshalb wohl sein Name Niederau. Doch bis zur Waldgrenze hinauf hatten sich schon vor Jahrhunderten die Einzelhöfe angesiedelt, oft zu zweit, vielleicht mit einem kleinen Austragshaus, das für die alten Bauersleute bestimmt war. Manche dieser Höfe mit Äckern und Wiesen ringsum, sie glichen einem kleinen Königreich. Nichts hinderte die Sicht ins Tal und über die Berge hin, Bauersleute und Gesinde lebten inmitten der freien Natur. Doch die Schattenseite war unübersehbar für ein kundiges Auge: Die harte Arbeit im steilen Gelände, viel Mühe und wenig Ertrag. Dazu der weite Weg zur Kirche, für die Kinder zur Schule.

    Ein Dorf ist immer in Weilern eingeteilt, das bedeutet eine kleine Anzahl von Häusern, die jeweils eine Einheit bilden. Der größte und wichtigste heißt heute „Moarhof. Der Name deutet auf eine erste Besiedelung hin. Dort stehen die Kirche, das Krämerhaus, der Dorfwirt, der Pfarrhof und das Schulgebäude. Auch ein paar stattliche Bauernhöfe sind vorhanden, lange Zeit mit einem Misthaufen zur Straße hin. Daran nahm man in alter Zeit keinen Anstoß. Erst als Fremdengäste mehr und mehr eintrudelten, wurde dieser Umstand als Übel erkannt. Diese „Fremden wurden durchwegs als „Hearische bezeichnet, das bedeutete nichts anderes, als dass sie „bessere Leute waren, solche mit Geld, sonst könnten sie sich eine Sommerfrische gar nicht leisten. Im Winter kamen nur ganz wenige Gäste ins Dorf, das Schifahren hatte damals noch kaum Bedeutung, auch Lifte gab es noch nicht in dieser Gegend. Was aber die Misthaufen anbelangte, so wurden sie aufs Heftigste verteidigt, sofern sie sauber angelegt waren. Jedenfalls zeugte ein „schöner" Misthaufen von der Sorgfalt eines Bauern, der das Notwendige mit dem Gefälligen zu verbinden wusste. Wenn diesem Umstand Rechnung getragen wurde, wie sollte denn eine Dorfstraße verschandelt sein, wie man behauptete? Das war nicht einzusehen. Dennoch, nach Jahren, als ich wieder in mein Heimatdorf kam, waren diese Misthaufen verschwunden, und wohl an einer weniger einsehbaren Stelle angelegt worden.

    Die Weiler des Dorfes haben durchwegs Namen, die der Örtlichkeit angepasst sind. Markbach hat seinen Namen von einem Bach, der die Grenze zwischen Niederau und Hopfgarten bildet. Er teilt aber auch unseren Weiler, der großspurig „Vorstadtl heißt, in zwei politische Hälften. Es sind insgesamt sechs Häuser, die drei jenseits des Baches gehören zur Wildschönau, die drei anderen, darunter auch das unsere, zur Landgemeinde Hopfgarten. Die Schule und die Kirche besuchten wir aber in Niederau; auch unsere Toten werden heute noch auf diesem Friedhof begraben. Das ganze Gebiet von unserem Haus bis nach Hopfgarten bezeichnet man nach wie vor als den „Grafenweg. Er zieht sich lange hin, zuerst an einigen Bauernhöfen vorbei, dann an Waldflächen, die uns als Kinder endlos schienen. Dann erst kommt der Markt Hopfgarten in Sicht.

    Auf dem dortigen Gemeindeamt hatten wir des Öfteren zu tun. Und der lange Weg dorthin musste immer zu Fuß zurückgelegt werden. Nicht nur die Weiler, auch die Häuser haben durchwegs Namen, die auf ihre besondere Lage hinweisen. Unter uns, in einer Mulde eingebettet, war „die Grub, weiter oben hieß es beim „Tischler, das wies auf einen Tischler hin, der einmal dort gelebt hatte, das nächste war der „Krummer", obwohl dort kein Krämerladen mehr bestand, seit Menschengedenken nicht mehr. Der Name aber ist geblieben. So wiesen die Hausnamen auch immer wieder auf die Tätigkeit eines längst verstorbenen Besitzers. Die Sägemühle in unserer Nachbarschaft trug diesen Namen noch immer zu Recht, besonders in der Zeit, als einer meiner Onkel die Landwirtschaft, die Mühle und die Säge aufgekauft hatte.

    Niederau

    Niederau um 1930

    Diese Namen verursachten uns weiter keine Kopfschmerzen. Wohl aber die „Holztratt – ein kleines Haus, nur wenige Minuten von unserem entfernt. Der Name hatte wohl etwas mit Holz zu tun, das scheint eindeutig der Fall zu sein. Der Hausname „Kohler verrät ganz deutlich, dass hier einmal ein Köhler sein Handwerk betrieben hatte. „Boar wies auf einen Besitzer hin, der einstmals aus Bayern gekommen war, das war einleuchtend. Ein hochgelegener Bauernhof am Sonnberg, dicht unter der Waldgrenze, heißt „Thierwald. Ob in alter Zeit wohl die wilden Tiere aus dem Wald zuweilen bis ans Haus herangekommen waren?

    Mein Großvater mütterlicherseits nannte seinen Hof „beim Schwaiger". Der Name deutet auf eine uralte Besiedelung hin, und so gäbe es noch viele Beispiele dieser Art.

    Der Grafenweg, dieses große Gebiet zwischen der Wildschönau und Hopfgarten, gibt den Forschern Rätsel auf. Manche glauben sogar, es hieße richtig „Grabenweg, aber das erstere ist wohl glaubhafter. Schon im Hinblick auf den Namen „Burgstallstein und die Höfe „Unter- und Oberburgstall". Auch steht ganz oben auf dem Burgstallstein, so nennt man die von Buchenwäldern bewachsene eindrucksvolle Kuppe zwischen Sonnberg und Bacherwinkel, eine alte Kapelle, sie trägt den gleichen Namen.

    Darunter die beiden Höfe. Besonders Unterburgstall sticht in seiner Bauweise von den übrigen Bauernhäusern ab.

    Es hat – zumindest in meiner Kinderzeit war es so – ein großes, gewölbtes Tor, einen ungewöhnlich breiten und langen Hausgang mit dicken Mauern. Sollte dieser Hof einstmals ein gräflicher Rossstall gewesen sein?

    Nun aber zurück zu anderen Hausnamen! Wiesenhäusl, wirklich nur umgeben von Wiesen und Äckern, trug seinen Namen zu Recht. Im Wiesenhäusl aber war auch eine kleine Postablage vorhanden, ein winziges Zimmer, das im Winter eiskalt war. Hier waltete die Postfrau ihres Amtes. Sie musste die Pakete, Briefe und Karten am Nachmittag austragen, die neue Post weiterleiten, damit hatte sie genug zu tun. Bei uns daheim hieß es beim „Schuster". Der Name kam davon, weil etliche Generationen vor meinem Vater Schuhmachermeister gewesen waren. Es war ein Zubrot zur kleinen Landwirtschaft. Der Name gefiel mir überhaupt nicht, ich hätte mir eher etwas Klangvolleres gewünscht.

    In dieser Zeit wurde im Dorf alles hergestellt, was nur möglich war. Man ging nur selten hinaus aufs Land um dort einzukaufen – nur dann, wenn eine Ware bei uns absolut nicht zu erwerben war.

    Handwerker aber waren im Dorf unentbehrlich. Es gab bei uns den Schneider, den Schuster, den Drechsler, den Wagner, den Weber, den Müllermeister, den Schmied.

    Viele Männer übten einen Nebenberuf aus, wenn die kleine Landwirtschaft eine Familie nicht ernähren konnte. Unter uns, in der Grub, betätigte sich der Mann als Holzschuhmacher. Das war eine ganz wichtige Aufgabe, denn damals trug man an Werktagen durchwegs Holzschuhe.

    Diese Schuhe hatten eine dicke Holzsohle, vorne eine Lederkappe, hinten waren sie offen. So konnte man schnell wieder heraus schlüpfen und auch hinein. Man trug diese Holzschuhe nie an einem Sonntag, außer bei der Stallarbeit.

    Auch andere Kleinhäusler hatten das Glück, daheim ihrem Nebenerwerb nachzugehen. Da waren zum Beispiel die Korbflechter, die neue Körbe herstellten und alte ausbesserten, auch Tischler waren gefragt, Maler und Anstreicher. Wenn aber der Mann einer außerhäuslichen Arbeit nachging, so traf es die Frau daheim umso härter. Sie musste oft die Stallarbeit verrichten, vielleicht das Vieh füttern, Gras mähen und eintragen, daneben noch den Haushalt und die Kinder versorgen. Aber auch der Mann war gefordert: Vor der Arbeit außer Haus vielleicht die Kühe melken und anderes, um die Frau ein wenig zu entlasten. Und nach der Schicht konnte er sich nicht ausruhen wie andere, immer noch gab es daheim Arbeit für ihn. Das ist auch heutzutage nicht anders.

    Auch wir gehörten zu den Kleinhäuslern. Das waren alle in unserem Viertel, jenseits und diesseits des Baches. Einzig die Sägemühle bildete eine Ausnahme, sie hatte seit jeher einen besonderen Status.

    Fabriksarbeiter gab es nur einen, das war unser Nachbar in der Holztratt. Er musste früh aufstehen, denn er ging zu Fuß den weiten Weg bis zum nächsten Marktflecken zu seiner Arbeitsstelle.

    Auf den Bauernhöfen waren es Knechte und Mägde, die dort oft jahrelang dienten, manchmal ein ganzes Leben lang. Man hieß sie auch die „Ehehalten". Das sollte wohl bedeuten, dass sie als große Stütze ihrer Dienstgeber angesehen wurden und oft ein familiäres Verhältnis zu ihnen aufbauen konnten.

    Auch Tagewerker brauchte man immer wieder. Sie halfen in Stoßzeiten aus, wenn die Heuarbeit drängte und andere Tätigkeiten. Die Frauen brauchte man besonders beim Jäten, beim Hauen und beim Kornschneiden. Manche halfen sich gegenseitig aus, das war das so genannte „Abdienen". Im Winter waren wiederum starke Männer beim Dreschen des Kornes gefragt, eine beschwerliche und staubige Tätigkeit. Die Entlohnung der Tagewerker war gering, besonders Frauen fertigte man oft mit einem Stück Butter und ein paar Eiern ab, sofern sie selber keine Landwirtschaft besaßen. Dennoch waren viele um diesen Zuverdienst froh.

    Eine beschwerliche Arbeit war gewiss das Brottragen. Es waren hauptsächlich Frauen, die über viel Kraft und Gehvermögen verfügten, die sich dazu hergaben. Immer aus der Not heraus, zum Familienunterhalt etwas beizutragen. Sie trugen einen Korb auf dem Rücken und meistens einen in der Hand. In beiden hatten sie Brotwecken, besonders aber Weißbrot in jeder Form verstaut. Das alles mussten sie zuerst bei einem Bäckermeister im nächsten Dorf besorgen. Sie kamen ein- oder zweimal in der Woche in jedes Haus und boten ihre Waren an. Das dunkle Brot fand weniger Absatz, das buken die meisten Frauen selber in einem großen Backofen, meist für einige Wochen voraus. Aber das feine Gebäck, die Semmeln, die Rosinenweckerl und nicht zuletzt die Brezen, sie waren es, die gerne gekauft wurden. Die Brezensuppe war ja sehr beliebt und erhält in unserer Zeit einen neuen Aufschwung.

    Eine der Frauen, die Brot lieferten, aber nur in Geschäfte, das war die „Zugin". Sie hatte diesen Nachnamen ihrem verstorbenen Mann zu verdanken, der Zugsführer beim Militär gewesen war. Sie erschien oft auf der Dorfstraße mit einem seltsamen Gefährt: Sie hatte nämlich einen großen Hund vor ein Wägelchen gespannt, in dem sie ihre Brote verstaut und mit einer Plane zugedeckt hatte. Der Hund musste alles ziehen. Er hatte das gleiche grimmige Aussehen wie seine Herrin, so glaubte ich jedenfalls. Vielleicht habe ich mich getäuscht. Kinder haben oft ihre eigenen Ansichten.

    Sonst waren die Brottragerinnen gern gesehen in jedem Haus, besonders, wenn es abgelegen war. Sie wussten allerhand Neuigkeiten und fanden immer interessierte Zuhörerinnen, bei der Rast auf einer Hausbank oder auch drinnen in der Küche, wo man sie gern bewirtete. Bei einer Schale Kaffee, in dem natürlich keine Bohnen enthalten waren, und einem Butterbrot konnte man gut miteinander plaudern.

    Eine besondere Aufgabe hatten auch die Bötinnen. Sie trugen Erzeugnisse wie Butter und Eier talaus und kauften ein, was man ihnen aufgetragen hatte. Auch sie mussten sehr kräftig sein, aber auch verlässlich bei der Abrechnung.

    Die angesehensten Leute im Dorf – das waren vor allem der Pfarrer, dann der Bürgermeister und der Lehrer. Letzterer war früher jedoch bekannt als „armer Schlucker, den man zu allem Möglichen heranzog, sogar zum „Sauabstechen, wenn er sich darauf verstand. Diese Lehrer hatten so wenig Gehalt, dass sie gezwungen waren, neben dem Unterricht in der Schule noch andere Dienste zu verrichten. Später, zu meiner Zeit, war unser Lehrer eine allgemein anerkannte Autorität, die niemand anzweifelte.

    Angesehen waren auch vermögende Leute und solche, die Einfluss auf das Dorfgeschehen hatten. Manche ließen sich das auch anmerken, mitunter wohlhabende Bauern, die auf ihre Knechte und Mägde herabsahen, auch auf die Kleinhäusler, die ja nur wenig Vieh hatten und vom Ertrag ihrer Äcker nicht leben konnten. Einen höheren Status hatte auch der Krämer, der Dorfwirt, nicht zuletzt unser Onkel Hans, als Sägewerksbesitzer und Landwirt, der daneben auch noch die größte Mühle im Tal betrieb.

    Solchen Leuten hörte man zu, wenn sie die Stimme erhoben, beliebt waren sie aber nicht immer, wenn sie protzig mit ihrem Geld umgingen und als asozial bekannt waren.

    Das Haus auf dem Hügel

    Unser kleines Haus, ganz aus Holz gebaut, stand auf einem kleinen Hügel, von dem man freien Ausblick hatte nach allen Seiten hin. Man sah von Norden aus den Burgstallstein, im Osten Wiesen und Felder, weiter weg vereinzelt stehende Bauernhäuser, doch alle verhältnismäßig weit entfernt. Drunten floss ein Bach, gemächlich bei schönem Wetter, doch wildrauschend nach starken Regenfällen und Gewittern. In ihn mündete der so genannte „Wua", das war das Wasser, das man für den Betrieb des nahen Sägewerkes und einer Mühle brauchte. Es schoss in einer engen Rinne daher und betrieb auch das große Mühlenrad. Dieses Mühlenrad ging Tag und Nacht. Man hörte es beim Aufstehen in der Früh als erstes und vor dem Einschlafen als letztes.

    Im Wua holten wir das Wasser, das wir zum Tränken der Tiere nötig hatten und zum täglichen Gebrauch. Das Trinkwasser besorgten wir uns von einer Quelle unterhalb der „Mühlleiten". Das war eine meiner ersten Tätigkeiten: Trinkwasser zu holen; das war der Weg hinunter zur Sägemühle, an den aufgestapelten Brettern und Spreißelhaufen vorbei, über einer kleinen Brücke hinüber zur Quelle, wo das gute Trinkwasser aus einer Rinne sprudelte. Bis die mitgebrachte Kanne voll war, verging einige Zeit, man musste Geduld haben. Doch die Leute, die auf dem Feld arbeiteten, warteten schon hart auf einen Schluck Wasser, ein besseres Getränk hatten wir nicht.

    Wassertragen von der Quelle konnte man einem kleinen Mädchen zumuten, nicht aber vom „Wua". Schon der Name allein hatte etwas Gewalttätiges an sich. Und wer mit einem Kübel hinlangte, der musste acht geben, dass das reißende Wasser nicht beide fortriss: Den Menschen mitsamt seinem Kübel. Letzteres geschah mehr als einmal. Das Gefäß tanzte auf dem Wasser, erreichte den Dorfbach, denn dahinein floss das Wasser aus dem Wua. Erst als ich größer war und kräftiger, kämpfte ich mit diesem Ungeheuer, aber den Kübel entriss er mir nicht, kein einziges Mal. Und das war ein Sieg, für mich jedenfalls.

    Meine Mutter sehe ich noch heute vor mir: eine früh gealterte, einst sehr schöne Frau. Das zeigten die wenigen Fotos, manche Leute sagten es mir. Sie lachte gern und weinte auch oft. Das Schicksal war nicht gut mit ihr verfahren. Und sie war kränklich, seit ich sie in Erinnerung habe.

    Ihr erster Mann war im Weltkrieg gefallen, da hatten sie kaum zwei Jahre Ehe hinter sich. Das Paar hatte ein bäuerliches Anwesen außerhalb des Dorfes gekauft, da musste der Mann einrücken. Nun wäre es schwierig gewesen, den Hof allein zu bewirtschaften, denn die junge Frau trug bereits ein Kind unter ihrem Herzen und war in der Gegend fremd. Zudem hatte sie keine Ahnung vom Vieh und der Stallwirtschaft und sah sich überfordert. Zudem sollten noch zwei alte Leute betreut werden, es waren die ehemaligen Besitzer, die diese Bedingung stellten. So wurde der Kauf rückgängig gemacht, das Geld auf die Bank gebracht. Das sollte sich als großer Fehler erweisen, doch damals wusste man nicht viel von einer Inflation. Der verlorene Krieg brachte sie mit sich, und Mutter war nur eine von vielen, die völlig verarmten.

    Sie hatte sich während des Krieges auf dem Hof ihres Vaters aufgehalten, wo sie auch aufgewachsen war als lediges Kind. Ihre Mutter sah sie nicht oft, so entstand auch keine tiefere Beziehung zwischen den beiden.

    Zu ihrem Vater aber hatte sie ein gutes Verhältnis. Und hier auf seinem Hof kam das Kind zur Welt. Es war ein Bub, der nach seinem Vater Peter getauft wurde. Kurz vor seiner Geburt erreichte Mutter die Nachricht, dass ihr Mann in Galizien gefallen war.

    Während des Krieges brauchte man die junge Witwe noch auf dem Hof als Magd. Dann, als ihr Halbbruder, der Hoferbe, nach der Gefangenschaft heimkehrte, wurde sie entbehrlich. Sie musste sich um eine andere Bleibe umsehen und fand sie in einem kleinen Haus im Dorf. Von dort ging sie häufig ins Tagewerk, sofern sie den kleinen Buben mitnehmen konnte. So vergingen einige Jahre, da lernte sie meinen Vater besser kennen, wie, das habe ich sie nie gefragt. Jedenfalls durfte der kleine Peter immer zum „Schuster", wenn seine Mutter ihn zur Arbeit nicht mitnehmen konnte. Dort fand er viel Zuneigung; besonders die alte Hausmutter nahm sich seiner liebevoll an.

    Dann folgte die Heirat. Mein Vater war schon älter, denn er hatte eine bittere Erfahrung hinter sich. Er hatte eine Erbtochter geliebt, sie erwiderte seine Zuneigung. Aber ihr Vater wollte einen vermögenden Bauersohn, nicht einen Kleinhäusler, wie er verächtlich meinte. Die zwei Liebesleute wollten trotzdem nicht voneinander lassen, es kam ein Kind zur Welt, ein Mädchen, es wurde Katharina getauft. Mein Vater hielt von neuem um die Hand der Erbtochter an, da hetzte ihn der Bauer mit seinen Hunden vom Hof. An eine Heirat war nicht zu denken. So vergingen einige Jahre. So waren es zwei vom Schicksal nicht verwöhnte Menschen, die sich gefunden hatten. Der kleine Peter wurde gehalten wie ein eigenes Kind. Nie, so sagte er später, habe er spüren müssen, dass dem nicht so wäre.

    Mit der Großmutter schlief er in einer Kammer. Da spielte sich am Abend immer das gleiche Ritual ab: Zuerst erzählte sie ihm eine Geschichte und betete mit ihm. Zuletzt sang sie ein Gute-Nacht-Lied. Die Frau hatte zeitlebens gern gesungen.

    An sich herrschte im Schusterhaus eine gewisse Armut. Besonders an guter Wäsche fehlte es. Mutter aber hatte dereinst eine gute Aussteuer bekommen, die kam ihr jetzt zugute.

    Vater hatte nebenbei eine Arbeit, denn mit dem Ertrag der Landwirtschaft war kein Auskommen. Und als Schuhmacher, wie seine Vorfahren, hatte Vater sich nicht ausbilden lassen. Gewiss, er konnte für den Eigengebrauch Schuhe flicken und auch neue anfertigen, doch seine eigentliche Passion war das Hegen der Tiere im Wald, die Jagd an sich. Förster, das wäre wohl sein eigentlicher Beruf gewesen, aber es hatte sich nicht ergeben. Nebenbei, so hat Peter später erzählt, war sein Ziehvater überaus geschickt in jedem Handwerk, wenn er es auch nicht gelernt hatte.

    In diesem Haus wurde damals viel gesungen und gespielt. Vater war Mitglied des Kirchenchores und der Musikkapelle. Aber auch sonst kamen Sangeslustige in der kleinen getäfelten Stube bei uns zusammen. Auch Mutter sang gerne mit, sie hatte eine schöne Sopranstimme und kannte viele Lieder.

    Dass Vater ein Musikant war, hatte einst dazu beigetragen, dass der Hofbesitzer einer Ehe mit seiner Tochter nicht zustimmte. Bei der Musikkapelle wären nur leichtsinnige Leute, hatte der Alte gemeint, da lernten sie nur das Saufen und den Aufenthalt in den Gasthäusern.

    Vater hatte noch ein besonderes Talent. Er konnte aus dem Stegreif heraus lustige Reime machen, und so wurde er zu einem gern gesehenen Gesellschafter. Dieses „Gstanzlsingen", das gegenseitige Absingen, war damals sehr beliebt, und man erzählte mir, darin wäre unser Vater unschlagbar gewesen. Einmal hatte er eine ganze Wirtsstube von Leuten gegen sich, rein zum Spaß. Die anderen mussten gegen ihn aufgeben, alles endete in Gelächter und Übermut.

    Einen Beruf zu erlernen, war damals sehr schwierig. So blieben die „weichenden Geschwister oft daheim und arbeiteten beinahe umsonst am elterlichen Hof. Andere verdingten sich als Knechte und Mägde, ebenfalls um wenig Lohn. Hatten sie Glück, so kamen sie zu verständnisvollen Bauersleuten, die mit der Kost nicht sparten und sie gut behandelten. Das war oft der Fall, doch nicht immer. Die Ausbildung zu einem Handwerker war nur wenigen vergönnt. Immerhin nahm der eine oder andere Meister einen Lehrling bei sich auf, es musste aber Lehrgeld bezahlt werden. Das aber konnten viele Eltern nicht aufbringen. So gibt es heute noch Menschen, die in ihrer Jugend gerne etwas gelernt hätten, aber nicht die Möglichkeit hatten. Besonders bei den Mädchen war man zurückhaltend. Diese würden ja doch einmal heiraten, damit hätten sie ausgesorgt. Freilich, flicken, etwas nähen und stricken, auch das Kochen, sollten sie daheim lernen, das genügte vollends.

    Bei Buben war man schon etwas großzügiger. Sie mussten einmal eine Familie ernähren können, studieren aber kam auch bei ihnen nicht in Frage. Woher das Geld nehmen? Jedoch – es gab Ausnahmen. Wenn einer gute charakterliche Eigenschaften entwickelte, ein frommer Ministrant war und in der Schule überdurchschnittlich gut lernte, der hatte möglicherweise das Zeug zu einem guten Geistlichen. Dem stand vielleicht ein Studium offen, wenn der Ortspfarrer und andere Gönner ihm hilfreich zur Seite standen. Eine spätere Primiz gehörte zu den ganz großen Ereignissen und bedeutet auch heute noch für die Pfarrgemeinde eine große Ehre. So wurden auf manchen Zehnjährigen große Hoffnungen gesetzt, doch viele der Auserwählten erreichten ihr Ziel nicht. Entweder wurde das Studium abgebrochen oder ein anderer Weg gewählt.

    Als unser Vater starb

    Mutter erzählte mir später oft, wie es kurz vor Allerseelen gewesen war. Unser Vater kam von seiner Arbeit ziemlich angeschlagen nach Hause. Er fühlte sich matt und müde, hohes Fieber kam hinzu. Mutter erkannte, dass er schwer krank war und ließ sofort einen Doktor von der nächsten größeren Ortschaft holen. Dort waren zwei Ärzte tätig. Einen Doktor zu holen, kam damals nur selten in Frage. Nur, wenn es gar zu schlecht um einen Menschen bestellt war, raffte man sich dazu auf, die ziemlich hohen Kosten eines Arztbesuches auf sich zu nehmen. Es war kaum jemand krankenversichert, und es war eine „notige Zeit" ganz allgemein.

    Zu uns kam Doktor Angeli, ein gebürtiger Italiener, der nur gebrochen Deutsch reden konnte. Er galt als besonderer Wohltäter der ärmeren Leute und war sehr beliebt. Meist ließ er sich nur einen Teil der Unkosten ersetzen. Da es damals ja noch kein motorisiertes Fahrzeug bei uns gab, musste der Doktor entweder den weiten Weg zu Fuß auf sich nehmen oder – das war ein Glücksfall –, Bauern, die ein Ross zur Verfügung hatten, holten ihn ab und brachten ihn auch zurück. Es gab aber auch Ärzte, die beritten waren und hoch zu Ross bei ihren Patienten erschienen. Das war bei Doktor Angeli nicht der Fall.

    Bei meinem Vater stellte „Anscheli", wie ihn die Leute nannten, eine schwere Lungen- und Rippenfellentzündung fest. Dagegen gab es kein Mittel, das Penicillin war noch nicht erfunden worden. Der Körper musste sich selber helfen, die Natur allein. Viele Menschen erlagen dieser Krankheit. Nach sieben Tagen, so hieß es, kam für gewöhnlich die Krise. Dann entschied sich, ob der Kranke genesen würde oder nicht.

    Bei unserem Vater kam es nicht so weit. Schon am dritten Tag verschied er. Doktor Angeli hatte es vorausgesehen, denn Vater war kein kräftiger Mann gewesen. Ihm konnte niemand mehr helfen. Doktor Angeli, der mit unserem Lehrer befreundet war, kam in dessen Stube und weinte aus lauter Gram über sein Unvermögen. „Muss sterben, muss sterben", klagte er. Und er nahm kein Honorar, keinen einzigen Schilling. Das erzählte Mutter noch oft. Sie brachte ihm dafür etwas Butter in die Ordination, ein paar Eier, was sie eben entbehren konnte. Nie vergaß sie ihm sein Gutsein, sein zartes Mitfühlen mit dem Leid anderer Menschen. Doktor Angeli war ein echter Volksarzt, dem unzählige Menschen ein ehrendes Andenken bewahrten.

    Den nahen Tod vor Augen, segnete der Vater noch seine Frau und alle seine Kinder. Auch Katharina. Mutter hatte sie von der Straße geholt, als sie von der Schule nach Hause gehen

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