Wiener Intrigen, Skandale und Geheimnisse
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Über dieses E-Book
Geheimnisse einer Walzerstadt
Küss die Hand, gnä' Frau, habe die Ehre, mein Herr, Sie dürfen sich auf einen Stadtrundgang der etwas anderen Art freuen! Wo Friedrich Torberg in seiner "Tante Jolesch" die Glanzseiten der Wiener Kaffeehauskultur beschrieb, verschwieg er tunlichst deren Abgründe. Doch jede Stadt hat ihre dunklen Seiten, und Wien hat einige besonders dunkle zu bieten.
Oder hätten Sie geahnt, dass …
… die Ringstraße zeitweise den Namen eines besonders korrupten NS-Gauleiters trug?
… der spätere Revolutionär Leo Trotzki einst im Café Central Schach spielte?
… in so manchem Wiener Kaffeehaus zum Nachtisch Kokain gereicht wurde?
Oder dass Österreichs berühmtester Spion sich in einem Hotel in der Herrengasse erschoss?
Die "Stimme Wiens" plaudert aus dem Nähkästchen
Wer könnte diese Lücken im "Mythos Wien" besser füllen als Reinhardt Badegruber? Unter den Bewohnern der österreichischen Bundeshauptstadt genießt der selbsternannte "Universaldilettant" mittlerweile Kultstatus. Der Moderator des beliebten "Grätzelquiz" auf Radio Wien flaniert durch bekannte und weniger bekannte Orte der Donaumetropole und offenbart in unterhaltsamen Anekdoten Erstaunliches, Skurriles und Morbides.
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Buchvorschau
Wiener Intrigen, Skandale und Geheimnisse - Reinhardt Badegruber
Reinhardt Badegruber
Wiener Intrigen,
Skandale und
Geheimnisse
Inhalt
Vorwort
Schottentor: Kopflose Unterhaltung
Palais Ephrussi: Nazis ohne Bernsteinaugen
Herrengasse: Gebetet, geschossen, Blut vergossen
Niederösterreichisches Landhaus: Scheidungskampf der Bundesländer
Freyung: Seismografen ohne Strom
Austriabrunnen: Goethes Enkelin und der Zigarettenschmuggler
Platz Am Hof: Schwarzhändler kaufen Grünzeug
Latour und Radetzky: Revolution und Lynchjustiz
Irisgasse: Verbotene Spiele
Café Central: Schnorrer treffen Literaten
Hotel Klomser: Ein Schuss, den keiner hörte
Café Herrenhof: Kokain zum Dessert
Schwarzwaldschule: Begabte Mädchen auf dem Dach
Wiens erstes Hochhaus: Ehestandsfeindliche Freiheit
Michaelerplatz: Gefährliche Touristenfalle
Altes Burgtheater: Laster wie in Hollywood
Café Griensteidl: Watschen für den Größenwahn
Looshaus: Was war los, Herr Loos?
Hofapotheke: Lust und Leiden
Joseph II.: Vom Kaiser, der fluchte
Brennpunkt Josefsplatz: Ballsaal in Flammen
Prunksaal der Nationalbibliothek: Kulisse der Macht
Palais Pallavicini: Wo der Mörder wohnte
Lobkowitzplatz: Ein Ort für Schweinereien
Jan Sobieski in der Augustinerkirche: Ein Reporter mit Krone
Canovas Grabdenkmal: Die Prinzessin und der Tod
Hrdlicka-Denkmal: Stein des Anstoßes
Denkmäler im Burggarten
Franz Joseph: Majestät ist denkmallos
Mozart: Ein Dandy, den Japaner lieben
Franz I. Stephan: Ein Reiter, der kein Cowboy war
Maria Theresia: Ein Schwergewicht sitzt auf dem Thron
Erzherzog Carl und Prinz Eugen: Pferde, die nicht stürzen dürfen
Ballhausplatz: Regenten, Mörder, Diplomaten
Parlament: Akten, die nicht brennen wollen
Denkmal der Republik: Verhüllte Gesichter
Karl-Renner-Denkmal: Kanzler im Vogelkäfig
Die Ringstraße
Franzensring: Die Angst des Kaisers vor dem Bürger
Ring des 12. November: Paradestrecke mit Ablaufdatum
Ignaz-Seipel-Ring: Prälat ohne Mitleid
Josef-Bürckel-Ring: Hitlers Klau- und Gauleiter
Karl-Renner-Ring: Zigarren für den Anschluss-Freund
Karl-Lueger-Ring: Der schöne Karl mag keine Juden
Volksgarten und Theseustempel: Der delogierte Held
Kaiserin Elisabeth-Denkmal: Majestät trägt keinen Unterrock
Burgtheater: Herr Peymann lässt sich nicht beschimpfen
Rathausplatz: Kaiser Max im Russen-Blech
Löwelstraße 20: Kapitale Jagdbeute erlegt, Bankrott erzielt
Palais Lieben-Auspitz: Wo Alma Gustav traf
Liebenbergdenkmal: Oben ohne für den Sieg
Pasqualati-Haus: „Ludwig van" als Mauerbrecher
OPEC-Zentrale: Der „Schakal" im Blutrausch
Anmerkungen
Register
Karte
Vorwort
Der Herr Bürgermeister hat auch nicht gewusst, dass er einen Russen auf dem Dach hat. Warum, wie, wieso? Das verrate ich Ihnen an dieser Stelle nicht, weil Sie dieses Buch, das Geheimnisse lüftet und Rätsel löst, lesen sollen. Denn: Wer kann schon beantworten, warum die Wienerinnen und Wiener ihrem Lieblingskaiser so lange ein Denkmal vorenthalten haben? Wer weiß schon, weshalb so viele Denkmalenthüllungen von Kunst- und Bauskandalen begleitet werden? Und warum wird der Stadthistoriker ständig mit dem Sexualleben der Habsburger konfrontiert? Oder kann einer erklären, warum junge Frauen nicht im Hochhaus wohnen sollten? Wieso verheimlicht man die schmutzigen Phantasien der Kaffeehausliteraten? Wo wurden Schöngeister handgreiflich? Weshalb wurde die Ringstraße mehrmals umgetauft? Welche Wiener Bürgermeister wurden umgebracht? An welchen Häusern fehlt die Hinweistafel: „Hier hat sich Oberst Redl erschossen oder: „Hier wurde ein Kriegsminister gelyncht
?
Den Wienerinnen und Wienern ist klar, in ihrer Stadt werden nicht nur Tote, sondern auch Vergangenheiten begraben. Diese Vergangenheit ist entweder ganz „schön schrecklich oder „schrecklich schön
. Wie dem auch sei, Schönheit bereitet Freude: bisweilen Schadenfreude. Viele meinen, man solle an der Vergangenheit nicht kratzen. Aber dann kratzt man doch, weil die Vergangenheit juckt.
Diese Juckreizbesänftigung macht süchtig. Es ist wie beim Wimmerlzupfen. Man sollte es nicht tun, aber man tut es trotzdem. Also nehmen Sie das vorliegende Buch und genießen Sie die Nacktheit dieser Stadt. Sie ist ein Objekt der Begierde: Man ahnt, dass unter der Hülle etwas verboten Attraktives steckt, aber man schaut g’schamig weg. Allerdings gelingt dieses Wegschauen nicht immer, wie der Leibarzt von Kaiserin Elisabeth schmerzhaft erfahren sollte und der Leser dieses Buches weiß: Majestät trug bisweilen keinen Unterrock. Dem Enthüllungsjournalisten offenbaren sich unerwartete Einsichten, wenn er in den Akten der Hofapotheke blättert oder dem Privatleben „sittenstrenger" Kaiser nachspürt.
Was unter der Oberfläche zum Vorschein kommt, mag vielleicht entrüsten. Aber: „entrüsten ist ein befreiendes Wort, weil so eine Rüstung ganz schön viel wiegt. Also legt man sie ab. Das entlastet. Ohne dieses historische Gepäck können wir gemütlich durch die Innenstadt schlendern und in diesem Buch blättern. Sollte Sie jemand fragen, warum Sie so gut Bescheid wissen über das, „was wir täglich sehen, aber nicht bemerken
, nennen Sie getrost den Titel dieses Buches. Das macht Sie dem Gegenüber sympathisch, weil Sie entwaffnend ehrlich sind. Dem Autor werden Sie noch sympathischer, weil Sie für ihn Reklame machen.
Das ist nichts Neues. Um die entwaffnende Wirkung der Reklame wusste schon der Kaiser Bescheid. Die Botschaft seiner Helden auf Reiterdenkmälern sollte umwerfend sein. Sie selbst durften jedoch nicht vom Sockel stürzen, wie das Schicksal des Prinzen Eugen beweist.
Weil in Wien die Zeit bisweilen stehen bleibt, passen wir den Rhythmus unserer Streifzüge dem Puls der Stadt an. Wir halten daher immer wieder inne und lassen die Blicke schweifen. Als informierte Leserinnen und Leser wissen wir, was wir suchen. Doch plötzlich beschleunigen wir den Schritt und machen uns auf zur krummen Tour. Wir beschreiten den Zick-Zack-Kurs. Das vorliegende Buch lässt uns schon nicht in die Irre gehen. Lassen Sie uns ungestraft in die Wiener Vergangenheit stolpern. Aber Achtung: Auch unsere Beine fordern ihr Anrecht auf Erholung. Ich glaube, es ist Zeit für eine Melange.1 Also lassen wir uns in einem Schanigarten2 nieder. Oder sollen wir in ein Beisl3 einkehren? Machen wir es wie die Intellektuellen des 19. Jahrhunderts und führen uns bei einem Seidl4 „Intrigen, Skandale und Geheimnisse" zu Gemüte.
Wenn wir uns dann wieder auf den Weg machen und die Herrengasse entlang schlendern, liegen uns zweitausend Jahre zu Füßen. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen: Wienerinnen und Wiener sind es gewohnt, ständig auf ihrer Geschichte herum zu trampeln. Stoßen Sie sich auch nicht daran, wenn „Einheimische" hoch erhobenen Hauptes durch die Innenstadt stolzieren. Das ist keineswegs ein Zeichen selbstbewusster Arroganz, sondern ein Ausdruck des Interesses, denn: Oben, unter dem Gesims, lauern die Doppeladler, rekeln sich vollbusige Karyatiden und lassen Atlanten ihre Muskeln spielen. Und Insider wissen: Auf dem Dach des Café Herrenhof wurde geturnt. Außerdem suchen manche Blicke schon seit Jahrzehnten nach dem berühmten Hochhaus, das keiner sehen kann.
Warum Madame Tussauds die Straßen der Innenstadt meidet, ist klar. Ihre Statuen sind aus Wachs und könnten dahinschmelzen, während unsere Denkmalgrößen aus Metall sind. Darum heißen bei uns Prinzen auch Erz-Herzöge. Aber auch Kaiser sind eherne Reiter. So wie Joseph II. Der hat sich auf dem nach ihm benannten Platz einen besonders aussichtsreichen Standort ausgesucht. Hier ist immer was los. Da brennt neben ihm doch glatt der Ballsaal ein paar Mal ab. Hinter ihm erhebt sich eine prächtige Kuppel, die schon zu seinen Lebzeiten Gegenstand eines Bauskandals war. Und vor ihm liegt der Unterschlupf eines berühmten Mörders. Wie der Gangster heißt, verrate ich an dieser Stelle nicht. Das müssen Sie schon selbst nachlesen.
Wenn ich mit Ortsunkundigen, aber auch mit Wienern durch den Ersten Bezirk bummle, muss ich häufig entsetzt gestehen: Ich fühle ich mich ein bisschen wie ein Fremder in der eigenen Stadt. Weil es so vieles gibt, was ich noch nicht kenne, was ich bis dahin nicht bemerkt habe. Andererseits ist das gut so, denn es gibt täglich Exotisches zu entdecken. Auf diese Weise befriedige ich meine touristische Neugier und erspare mir teure Flugtickets ins Ausland. Weil sich das Alleinsein mit dem Wiener Gemüt nicht verträgt, lade ich Sie ein: Kommen Sie mit! Unternehmen wir gemeinsam eine vergnüglich-makabre Fernreise bei uns daheim.
Schottentor:
Kopflose Unterhaltung
Das Schottentor war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein eine eher finstere Gegend. Heute sieht man vom offenen, lichten Platz auf die verspielt-filigrane neogotische Votivkirche. Früher lag das Tor aber im tiefen Schatten der Mölker Bastei, eines gigantischen Verteidigungsspitzes, der sich mit einer brutalen Wucht bis in das Gelände der heutigen Universität hineinbohrte. Vor den Mauern der Wehranlage wurde gehängt und gefoltert.
Wenn man stadtauswärts schauen wollte, verstellte, rechts neben dem Stadttor, vor dem heutigen Uniqa-Bankhaus (ehemalige CA-Zentrale), die riesige Schottenschanze die Fernsicht. Das war ein der Stadtmauer vorgelagertes Bollwerk, das über die heutige Ringstraße hinausragte. In Rufnähe, beim heutigen Schlickplatz, schrien sich gefolterte Menschen ihre Kehlen wund, denn hier fanden noch im 18. Jahrhundert Hinrichtungen statt. Männer wurden zumeist gerädert, d. h. man zertrümmerte ihnen mit dem Richtrad die Glieder. Hernach wurden die Körper auf das Rad geflochten und auf eine Stange emporgehievt, damit sie in lichter Höhe von den Vögeln des Himmels zerkratzt, zerhackt und gefressen würden. Den gefiederten Aasverwertern zur Ehre wurde der Platz auch „beim Rabenstein" genannt.5 Manche Männer wurden in einem blutrünstigen Schauspiel brutal gevierteilt. Dabei spannte man an die Extremitäten der Delinquenten Rösser, die mit Peitschenhieben auseinandergetrieben wurden. Gehängte fanden im Vergleich dazu einen milden Tod. Auch Frauen wurden vor dem Schottentor hingerichtet, wobei ihnen das Privileg eines vergleichsweise weniger grausamen Ablebens zuteilwurde. Man hat sie fein säuberlich geköpft, so etwa, am 27. Januar 1747, die 40-jährige Anna Maria M. Zuvor hatte man die Gewohnheitsdiebin mit Rutenstreichen gezüchtigt. Am 23. November 1735 fiel das Haupt des 36-jährige Kindermädchens Anna Clara E. in den Korb. Der zweifachen Mutter war nachgewiesen worden, aus dem Kanzleischrank ihrer Herrschaft immer wieder Münzen entwendet zu haben. Das Gericht sprach von einer langfristig geplanten Tat, denn die perfide Diebin habe sich abgemüht, einen Nachschlüssel kunstfertig zurechtzuschleifen. Die Körper der Armen und mittellosen Sünder wurden hernach von einer „Totenbruderschaft" bestattet und zum Teil dem Anatomischen Institut übergeben.
Die Obrigkeit hatte den Platz vor dem Schottentor deswegen gewählt, weil man für das Hinrichtungsspektakel, das den Charakter eines Volksfestes hatte, ein entsprechend großes Terrain anbieten wollte. Zeitweilig war die Gegend die begehrteste Todeszone Wiens. Einer der bekanntesten Events findet am 8. Januar 1795 statt:
Die Trommel wird gerührt, Franz Hebenstreit von Streitenfeld wird „wegen Hoch- und Landesverrat durch den Strang hingerichtet. Die Zuschauer johlen. Über 90.000 Wienerinnen und Wiener sind gekommen. Sie wollen den Umstürzler zappeln sehen. Das morbide Spektakel erfreut sich unge heuerlicher Popularität, man bedenke, dass im modernen Ernst-Happel-Stadion bloß 50.000 Fans unterkommen. Hier, im Graben vor dem Schottentor, soll eine Stimme der republikanischen Freiheit sein Leben aushauchen. Hatte doch der „Revoluzzer
Hebenstreit wenige Monate zuvor ein lateinisches Gedicht, „Homo Hominibus („Mensch unter Menschen
), verfasst. Dort wird in 500 Versen das soziale Unrecht angeprangert und behauptet, dass sich die Kraft jedweden Gesetzes stets gegen die Armen aus dem Volk richte („pro misero lex nulla viget). Hebenstreit ruft: „Ein König kann ohne Volk nicht sein, ein Volk aber ohne König.
Kaiser Franz hört’s und fürchtet um sein Leben. Einstweilen war Hebenstreit die Rolle als Rebell keineswegs in die Wiege gelegt worden. Der Sohn eines Prager Universitätsprofessors studiert zunächst schön brav Philosophie und Rechtswissenschaften und strebt eine biedere militärische Laufbahn an. Die adeligen Ulanenoffiziere lassen den bürgerlichen Eindringling indessen schmerzhaft spüren, dass er machen könne, was er wolle, die besseren Kreise würden ihn niemals als einen der ihren akzeptieren. 1773 desertiert Hebenstreit. Von der Idee der Boston Tea Party angespornt, will er sich nach Amerika durchschlagen, wird jedoch von den Preußen abgefangen und in deren Armee gepresst. Nach fünfjährigem Kadavergehorsam kann er fliehen, wird Freimaurer und bringt es in Wien bis zum Platzoberleutnant. Aber Wien hat sich inzwischen geändert, das Bürgertum glüht für die Französische Revolution, und Hebenstreit schließt sich dem jakobinischen Kreis eines gewissen Andreas Riedel an. Riedel wird von seinen Freunden „Kommunist genannt, eine eigenartige Bezeichnung, die zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht im allgemeinen Sprachgebrauch stand. Was aber noch mehr erstaunt: Riedel darf sich zu den engen „Beratern
des Kurzzeitkaisers Leopold II. zählen, weshalb er und seine Revoluzzer für kurze Zeit allergnädigsten Schutz genießen. Ja mehr noch: Der Kaiser outet sich selbst als Sympathisant einer konstitutionellen Monarchie. Aber dann erfolgt plötzlich der Schock. Franz I. erklimmt 1792 den Thron. Ihn quälen die Bilder der malträtierten Marie Antoinette. Ihm sitzt die Angst vor einem Pariser Aufstand in den Knochen. Er will Rache und den französischen Ungeist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Mit einem Schlag befindet sich Hebenstreit in akuter Lebensgefahr, zumal ihm die Autorenschaft des sogenannten „Eipeldauerlieds zugeschrieben wird. In diesem „Volkslied
heißt es:
„’S is ja das Volk kein Arschpapier/ Und darf auf sich wohl denken /Wer halt nicht lernen will Manier/den Lümmel muss man henken … So manches gutes Mutterkind/ Hat elend sterben müssen,/ Weil enker Franz, von Hoffart blind,/ Will, dass d’ Franzosen büßen."6
Kaiser Franz fühlt sich persönlich angesprochen und direkt bedroht. Er sucht fieberhaft nach handfestem Belastungsmaterial. Joseph Vincenz Degen, ein Buchdrucker und Spitzel der Krone, zaubert dieses Material herbei. Er wird dafür später mit der Leitung der k. k. Hof- und Staatsdruckerei belohnt. Dem Polizeichef von Wien, Johann Anton Graf Pergen und seinem Ermittler, Franz Josef Graf Saurau, kommt das zugespielte Material höchst gelegen. Sie blasen die dürftigen „Beweise" zur Grundlage eines gigantischen Technologiespionageskandals auf. Ihm zufolge hätte Hebenstreit einen seitlich mit Sensen säbelnden Streitwagen erfunden und die Konstruktionspläne des Kampfgefährts nach Paris schmuggeln lassen. Diese Wunderwaffe, so lautet das Propagandagerücht, hätte das französische Revolutionsheer und Aufständische aus Polen in die Lage versetzt, gegen die österreichische und russische Kavallerie siegreich vorzugehen. Jetzt setzt in Wien eine Verhaftungswelle ein. Schauprozesse werden anberaumt. Vernaderer und Denunzianten haben Hochkonjunktur. Hebenstreit wird des Hochverrats angeklagt und zum Tod durch den Strang verurteilt, und das zu einer Zeit, in der die Todesstrafe bereits abgeschafft worden war. Aber diese zivile Nachsicht gelte für einen Armeeangehörigen und Platzoberleutnant nicht, denn ein solcher obliege der Militärgerichtsbarkeit. Heute ist nach dem Jakobiner ein Kaffeehaus in der Nähe des Hinrichtungsortes benannt. Hebenstreits mumifizierter Schädel wird bis zum Jahr 2012 im Wiener Kriminalmuseum ausgestellt und erst nach Protesten aus der Vitrine entfernt.
Palais Ephrussi:
Nazis ohne Bernsteinaugen
In der Nacht des Einmarsches der Hitlertruppen stürmen jugendliche Rowdys mit Hakenkreuzschleifen das Palais Ephrussi. Sie beginnen mit einer Zertrümmerungsparty, wirbeln die Damenwäsche durch die Zimmer, lassen silberne Kerzenleuchter und Zigarettenetuis mitgehen, reißen der Hausfrau die Perlenkette vom Hals, ziehen ihr den Ring vom Finger und schmeißen einen wertvollen Sekretär mit kostbaren Intarsien in den Hof. Der Krach macht Spaß. Die Halbstarken drohen wiederzukommen. Sie kommen jedoch nicht wieder. Ihre „Nachfolger" sind viel höflicher. Es sind sechs Gestapo-Beamte mit anfangs sogar tadellosen Manieren.
„Das Palais hat korinthische Pilaster und dorische Säulen, Urnen und Architrave, an den Ecken vier kleine Türme …"7 So beschreibt Edmund de Waal die Wiener Residenz seiner Vorfahren, das Palais Ephrussi. Der Palazzo erhebt sich schräg gegenüber der Universität an der Ecke Ringstraße/Schottengasse mit der ursprünglichen Adresse „Franzensring 24. Baron Ignaz von Ephrussi, der zweitreichste Bankier Wiens, ließ 1873 das Gebäude vom Stararchitekten Theophil Hansen erbauen. Im Inneren blitzte Gold. Und natürlich gab es „überall Marmor
. Am 27. April 1938 stattet die Gestapo dem Palais einen Besuch ab. Die „Beamten" nehmen eine Hausdurchsuchung vor, unter dem Vorwand, dass der Jude Ephrussi den Anschlussgegner und nunmehrigen Staatsfeind Schuschnigg8 unterstützt habe. Die Herren sind vorerst ausnehmend höflich und sachkundig, lassen aber sogleich kostbares Inventar – Gemälde, Porzellan und Teppiche – in