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Mortem Olfactus: Die Leichenaufschneiderin (Ein utopisches Thrillerdrama für Erwachsene)
Mortem Olfactus: Die Leichenaufschneiderin (Ein utopisches Thrillerdrama für Erwachsene)
Mortem Olfactus: Die Leichenaufschneiderin (Ein utopisches Thrillerdrama für Erwachsene)
eBook315 Seiten4 Stunden

Mortem Olfactus: Die Leichenaufschneiderin (Ein utopisches Thrillerdrama für Erwachsene)

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Über dieses E-Book

»Was meinst du?«, fragt José mich knapp und reicht mir einen weißen Mundschutz mit Gummiband.
»Ich brauche eine Zigarette«, antworte ich ruhig und blicke konzentriert in die Augen der Leiche, als ob ich darin eine Antwort finden könnte. Kennen Sie das auch? Dieses Kribbeln, dieses Gefühl des Unbehagens im Bauchraum? Meine Großmutter mütterlicherseits nannte dies immer sehr poetisch den Atem des Bösen. Manchmal sagte sie uns Kindern auch nur: »Etwas atmet mich an!« Ich denke, Sie kennen dieses Gefühl auch. Selbst die Rationalen unter Ihnen kennen es!
Das blaue Meer schlägt in sanften, gleichmäßigen Wellen an den feinen, flach abfallenden Sandstrand. Die neugierigen Schaulustigen starren, während die entschlossene Insel-Polizei den Fundort konsequent absichert. José García fragt mich wiederholt nach meiner Meinung oder Einschätzung. Innerlich verlangt es mich nach der achten Zigarette. Etwas Böses hat hier seine grauenvolle Tat vollbracht. An einem der schönsten Strände von Multikulti. Und es ist auf freiem Fuß. Ich schaue in die toten Augen dieses verunstalteten Unbekannten und denke permanent an die unheilvollen Worte meiner Großmutter: »Etwas atmet mich an!«
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. März 2024
ISBN9783384187543
Mortem Olfactus: Die Leichenaufschneiderin (Ein utopisches Thrillerdrama für Erwachsene)
Autor

Sabine Benda Thomas Benda

In tiefer Liebe und Kreativität verbunden bearbeiten wir gemeinsam einige sehr interessante Romane, die demnächst ihre Veröffentlichung finden. Wir sind zwei leidenschaftliche Selfpublisher mit Herz und Seele – und das zeigt sich in unseren Geschichten. Sabine & Thomas Benda, 2024 Besuchen Sie unsere Homepage: www.bendagasmo.com www.bendagasmo.com Besuchen Sie unsere Facebook-Büchergruppe: Alles zum Thema Buch https://www.facebook.com/groups/724981905219912

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    Buchvorschau

    Mortem Olfactus - Sabine Benda Thomas Benda

    Mortem Olfactus

    Die Leichenaufschneiderin

    von

    Sabine und Thomas

    Benda

    1. Ich bin kein teures Auto!

    Die Insel Multikulti (ehemals Mallorca), im Südmeer von New Europe (das ehemalige Mittelmeer Alt-Europas)

    Es gibt Tage in meinem Leben, an denen wünsche ich mir, ich hätte mein Berufsziel vor über zehn Jahren gründlicher überdacht. Heute, an diesem 19. September, ist so ein Tag. Ich stecke mir meine siebte Zigarette an diesem sonnig-warmen Morgen an, obwohl mir, einer 35-jährigen Akademikerin, durchaus bewusst ist, dass dieses Laster Krankheiten fördert, die mitunter einen tödlichen Verlauf nehmen können. Ja, ich bin unvernünftig, und ja, ich habe meine menschlichen Schwächen – und Rauchen von krebserregendem Tabak gehört dazu! E-Zigaretten, wie sie seit Jahrzehnten Lutscher-artig angeboten werden, sind mir nicht ursprünglich genug. Ich liebe das Klassische und hin und wieder das Konservative, obwohl ich eine sehr moderne Frau bin. Tabakrauchen: Ja, das ist klassisch … und klassisch dumm, weil es nicht die Gesundheit fördert und nicht die Lebenserwartung verlängert, sondern die scharfe Sense des Schnitters liebkost. Tabakrauchen: Es ist scheiße, aber ich muss es einfach tun! Müssen? Nun ja, das sage ich auch hin und wieder über meine Tätigkeit, meinen Beruf, der eher eine wahre Berufung ist. Einer muss es machen! Und ich mache die Sache sehr gründlich, was andere Menschen wohl zum Gaffen oder Kotzen bringt. Laut meinem Vorgesetzten José García mache ich meinen Job schlicht hervorragend! Nun ist der glatzköpfige José mit seinem gepflegten Oberlippenbart nicht leicht zu beeindrucken. Als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin auf unserer wunderschönen Insel Multikulti hat er wohl in den letzten gefühlten dreihundert Jahren Dienstzeit alles gesehen, was man sich nur vorstellen kann. Zudem kann er sich erfrischend nüchtern und beachtenswert schnell ein Urteil über Menschen und Situationen bilden.

    Während an diesem Freitag mein Feuerzeug bereits zum siebten Mal aufflammt, wird mir einmal mehr bewusst, wie sehr ich diesem Mann und seiner gewissen, fast schon stoischen Gelassenheit vertraue. Dass es dazu gekommen ist, grenzt schon an ein mittelprächtiges Wunder! Sie fragen sich sicherlich, warum, oder? Nun, ich werde es Ihnen erzählen: Als ich damals, als unerfahrene Berufsanfängerin, auf José García traf, faszinierte mich dieser markante Kerl mit seinen tadellosen Manieren so sehr, dass ich unbedingt mit ihm schlafen wollte! Nein, ich musste mit ihm schlafen! Ja, und da ist es schon wieder - dieses Wort: müssen! Der Altersunterschied von fünfzehn Jahren zwischen José und mir hat mich nicht gestört. Ich erwischte ihn in einer schwachen Stunde und verführte ihn in einem einsamen Aktenraum im Keller unserer Behörde. Er ejakulierte heiß auf meine vollen Brüste und bereute es bereits, als er seine Anzughose hochzog. Erst viel später begriff ich, wer José wirklich ist, welche Prinzipien er eisern vertritt und wie sehr er dieses sexuelle Vergehen noch heute bereut. Ich war damals naiv und geil und beschäftigte mich noch nicht mit dem Glauben. José änderte dies im Laufe der Jahre, so wie er immer wieder viel Gutes in mir bewirkt hat. Seine Ehe ist - Gott sei Dank! - durch diese einmalige Aktion im Keller nicht in Gefahr geraten! Erst viel später habe ich Maria, seine Frau, auf einer Weihnachtsfeier kennengelernt. Sie kannte die Wahrheit und hatte dennoch diesen warmen, fast schon sanften und aufrichtigen Blick für mich übrig. Ich habe noch nie ein so alles verzehrendes Gefühl der Reue in meinem Herzen verspürt wie an diesem Weihnachtsfest. Das Wunder an der Geschichte? Wir wurden in den folgenden Jahren Freunde. Nicht nur José und ich - sondern José, Maria und ich! Maria ist die beste Freundin, die ich mir vorstellen kann.

    Es gibt natürlich noch Consuela, aber davon werde ich Ihnen später in der Geschichte erzählen. »Mercedes!« Eine fordernde Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Bevor Sie sich wundern, muss ich Ihnen gestehen: Ja, ich wurde tatsächlich mit diesem Namen getauft! Mercedes ist immer noch einer der beliebtesten weiblichen Vornamen spanischer Herkunft. Aber die richtige Aussprache beherrschen nur spanischsprachige Menschen phonetisch perfekt! Die deutschen Touristen, die unser schönes multikulturelles Land Tag für Tag besuchen, scheinen es nie richtig hinzubekommen! Und zur Erinnerung: Ich bin kein teures Auto, ganz ehrlich! Außerdem hat ein PS-starker Mercedes nur eine Hupe, und ich habe zwei! Ja, der Witz war flach, aber ich konnte nicht anders!

    Kurz zu unserer Insel Multikulti: Ja, unser Eiland heißt wirklich so! Dies ist definitiv kein Scherz von mir! Die Einwohner nennen sich ebenfalls Multikulti – sowohl im Singular als auch im Plural, unabhängig davon, ob Schwanz oder Schlitz! Verzeihen Sie mir bitte das Vulgäre – manchmal geht es mit mir durch! Ich schiebe das dann immer gerne auf meinen derben Beruf!

    »Mercedes!«, dringt die vertraute Stimme meines Vorgesetzten wieder an mein Ohr.

    Ich blicke den langen, feinsandigen Nacimiento Beach entlang. Über das Polizei-Absperrband steigt José und läuft mit großen Schritten auf mich zu. Ich winke ihm zu und schenke ihm ein entschuldigendes Freundschaftslächeln.

    »Du bist spät dran!«, raunzt er. »Und dann noch Zeit für eine Zigarette?« Er hat recht – wie immer! Ich schnippe die Zigarette Richtung Meer und erzähle ihm kurz von meiner schlechten Nacht. Er quittiert meine wahrheitsgemäße Geschichte mit dem kurz angebundenen Klartext: »Komm mit!«

    Ich nehme meine braune Ledertasche, schultere sie schnell und folge José, der mich sofort informiert. Ich finde, es ist nun an der Zeit, dass ich mich Ihnen kurz vorstelle. Meinen Vornamen kennen Sie ja bereits. Die Kelleraktion mit José habe ich Ihnen zu Beginn gebeichtet. Abschließend habe ich von der wunderbaren Freundschaft zwischen José García, seiner Frau Maria und mir berichtet. Nun sollten Sie noch ein paar persönliche Einzelheiten über mich erfahren – einiges davon haben Sie sich sicherlich schon gedacht!

    Ich heiße Mercedes Cruz Jiménez. Und nein, ich habe nichts mit der Pop-Diva Lena Elena Cruz zu tun, die gerade die internationalen Charts stürmt! Außerdem sehe ich um Klassen besser aus – na ja, zumindest aus der Ferne! Bitte schauen Sie amüsiert! Das war ein Witz! Warum ich mit Ihnen sprechen kann? Das war eine Idee des Autors, Señor Thomas Benda! Gewöhnen Sie sich schon mal daran. So läuft es hier!

    Die Vormittagssonne steht schon hoch über dem Meer, als wir uns der Stelle nähern. Dort herrscht die übliche Routine. Emsige Polizisten, sogenannte Guardians, versuchen, Neugierige und Reporter hinter die Absperrbänder zu verweisen. Ein Fotograf unserer Behörde (er heißt wirklich Manuel!) macht hektisch die ersten Bilder vom Geschehen. Einige Schaulustige halten ihre Com-Phones in die Höhe, um Bildmaterial für das Internet zu ergattern. Für mich sind sie moderne Leichenfledderer unserer Mediengesellschaft!

    Bitte halten Sie mich nicht für konservativ! Ja, ich besitze auch ein Com-Phone - und ich liebe Selfies! Aber in erster Linie bin ich Medizinerin. Als Doktorin der hiesigen Gerichtsmedizin finde ich, dass man einem lebenden oder toten Menschen mit Würde und Respekt begegnen muss und ihn nicht als Schauwert fotografieren und im verfickten öffentlichen Netz zum Anklicken hochladen sollte.

    Alejandro, einer der robusteren Guardians, gestikuliert streng mit seinem Schlagstock und beeindruckt mit dieser unverblümten Geste einige Gaffer. Die dreimal wöchentlichen Fitnessstudio-Trainings machen sich bei ihm bezahlt, stelle ich im Vorbeigehen fest. Und natürlich ist er verheiratet, also kein Beutetier mehr für mich! Lecker sieht er trotzdem aus! Endlich sind José und ich am Fundort angekommen. Manuel kommt uns mit seiner Kamera entgegen.

    »Guten Morgen, Mercedes! So etwas hast du noch nicht gesehen!«

    Was soll ich sagen? Er hat recht!

    Gerüche gehören zu meinem Geschäft. Jeder, der schon einmal den Geruch eines verstorbenen Tieres wahrgenommen hat, wird niemals die Erinnerung daran verlieren. Doch der Verwesungsgeruch hier ist anders. So intensiv, dass sich sensiblere Gemüter sofort übergeben müssen. Die Leiche oder das, was von ihr zu identifizieren ist, liegt auf dem Rücken. Die bemitleidenswerten Überreste sind angezogen, sogar die Turnschuhe sind an den Füßen. Erste Insekten haben sich um den Körper versammelt und freuen sich sicherlich in der inseltypischen Septemberhitze auf einen leckeren Leichenschmaus. Austretende Körpersäfte haben sich auf der braunen Haut gebildet und sind hier und da zu klebrigen und schmierigen Stellen geworden. Summende Fliegen tummeln sich dort, angelockt von Süße und Fäulnis. Die Haut der Leiche ist an einigen Stellen extrem braun, fast wie ausgetrocknet, geradezu pergamentartig dünn, sodass die Knochen durchscheinen. Das weiße T-Shirt einer Nobelmarke ist zerrissen, darunter zeigt sich der aufgeplatzte Unterleib. Unzählige Insekten laben sich an Dünn- und Dickdarm. Die weit aufgerissenen Augen der Leiche starren mich entsetzt und ängstlich an. Der Mund ist zu einem dauerhaften Schrei geöffnet, den niemand mehr hören kann. Der Gestank und das Summen nehmen scheinbar sekündlich zu.

    »Was meinst du?«, fragt José mich knapp und reicht mir einen weißen Mundschutz mit Gummiband.

    »Ich brauche eine Zigarette«, antworte ich ruhig und blicke konzentriert in die Augen der Leiche, als ob ich darin eine Antwort finden könnte. Kennen Sie das auch? Dieses Kribbeln, dieses Gefühl des Unbehagens im Bauchraum? Meine Großmutter mütterlicherseits nannte dies immer sehr poetisch den Atem des Bösen. Manchmal sagte sie uns Kindern auch nur: »Etwas atmet mich an!« Ich denke, Sie kennen dieses Gefühl auch. Selbst die Rationalen unter Ihnen kennen es!

    Das blaue Meer schlägt in sanften, gleichmäßigen Wellen an den feinen, flach abfallenden Sandstrand. Die neugierigen Schaulustigen starren, während die entschlossene Insel-Polizei den Fundort konsequent absichert. José García fragt mich wiederholt nach meiner Meinung oder Einschätzung. Innerlich verlangt es mich nach der achten Zigarette. Etwas Böses hat hier seine grauenvolle Tat vollbracht. An einem der schönsten Strände von Multikulti. Und es ist auf freiem Fuß. Ich schaue in die toten Augen dieses verunstalteten Unbekannten und denke permanent an die unheilvollen Worte meiner Großmutter: »Etwas atmet mich an!«

    2. Die Stille nach dem Zuschlagen der Kühlfachtür

    Ich betätige den kleinen Lichtschalter am Eingang. Mehrere Reihen Leuchtstoffröhren beginnen zu flackern, gleißend kaltes Licht strahlt auf die weißen Kacheln. Der Geruch von Sterilität und Formaldehyd liegt in der Luft.

    Willkommen in meiner Welt! Sie fragen sich sicherlich, ob ich schon in jungen Jahren, als ich mit Puppen spielte, den Drang verspürte, nachzusehen, ob sich etwas im Inneren einer Puppe befindet. Ich muss Sie leider enttäuschen! Es ist ein Klischee zu glauben, dass eine 7-Jährige den tiefen Wunsch hat, Medizin zu studieren, um letztendlich im Bereich der Gerichtsmedizin tote Menschen zu untersuchen. Keine 7-Jährige hegt solche Wünsche! Selbst ich, die von den Medien gefeierte Koryphäe der Rechtsmedizin, war nicht sieben Jahre alt. Ich war acht!

    Doch lassen Sie uns weitermachen und uns der Gegenwart widmen!

    Eine Leuchtstoffröhre am Ende des großen Raumes flackert fehlerhaft. Der Hausmeister hat sie immer noch nicht ausgetauscht. Ich schreibe eine Erinnerungsnotiz in mein Com-Phone und lasse es dann in die rechte Tasche meines Arztkittels gleiten. Mit ein paar Handgriffen stecke ich mein langes braunes Haar hoch und verberge es unter einer weißen OP-Haube. Das Operationsbesteck liegt auf einem kleinen Edelstahlwagen, den ich zum Tisch schiebe. Das runde Sägeblatt der Autopsie-Säge tausche ich aus und stecke das Netzteil in die Steckdose. Ich teste den Einschaltknopf. Das Werkzeug surrt kurz auf, bevor es zu den anderen Instrumenten kommt. Schließlich gehe ich gezielt zur Wand mit den Kühlfächern. Ich öffne Tür Nummer fünf.

    Und? Ist es spannend und interessant genug geschildert? Mir ist durchaus bewusst, dass der ein oder andere von Ihnen die gerade beschriebene Szenerie aus zahlreichen Horrorfilmen oder Thrillern kennt. Im Kino genießt man genüsslich Popcorn, trinkt aus dem 0,5-Liter-Softdrink und freut sich darüber, dass die Effekte-Abteilung der Filmstudios nun ihre Arbeit sichtbar macht. Spätestens bei der Szene mit dem Y-Schnitt rutschen die Mädchen tiefer in ihre Kinosessel und manche Jungs grinsen fies. Nun ja, ich will Ihnen Ihre Hollywood-Fantasien nicht nehmen, muss Ihnen jedoch ehrlich gestehen, dass die Realität nichts mit dem Kino zu tun hat. Ich habe männliche Studenten erlebt, die bei der Autopsie einen Dauerkotzanfall hatten, aber danach waren sie wieder ganz coole Jungs!

    Das Geräusch beim Herausziehen oder Hineinschieben von Metallbahren ist für mich unverwechselbar. Genauso wie das hektische Flirren der Neonröhren beim Einschalten, das helle Surren der Rundsäge und das dumpfe Knacken von Rippen, wenn ich die Rippenschere benutze. Das Herausziehen der Bahre samt Leiche hat etwas von einem Theaterbesuch, wenn der Vorhang aufgeht und die Show beginnt. Ich starre auf das weiße Leichentuch, unter dem sich die schauerlichen Überreste des Strandtoten befinden. Meine Kollegen konnten keine persönlichen Gegenstände in seiner Kleidung finden. Es gibt weder Ausweise, Führerschein noch irgendeinen anderen Anhaltspunkt, der eine eindeutige Identifikation ermöglicht. Langsam schiebe ich die Bahre zum Tisch hinüber.

    Erinnern Sie sich an eine filmische Autopsie-Szene, in der Sie gesehen haben, wie ein Leichnam von der Bahre auf den Obduktionstisch gehievt wurde? Nein? Richtig, das Fernsehen oder Kino zeigt kaum etwas von dieser gewaltigen Kraftanstrengung, die notwendig ist, um einen toten Körper zu bewegen. Sicherlich haben wir zur Not kleine Seilzüge an der Decke, um Leichname anheben zu können, doch schneller geht es natürlich mit einer helfenden Hand.

    »Brauchst du Hilfe mit Nummer fünf?«, will Paco wissen. Ich drehe mich um und sehe in ein freundliches Augenpaar.

    »Muchas gracias, Paco! Gerade habe ich an dich gedacht.«

    Paco Hernández Pareja ist seit einigen Monaten mein Assistent. Er ist immer bereit, mir bei schweren Arbeiten zu helfen. Bevor jedoch die erotischen Fantasien einiger Leserinnen und Leser durchgehen, muss ich Ihnen energisch versichern: Nein, ich habe nichts mit Paco zu tun! Er würde auch keine Chance von mir bekommen, selbst wenn er es wirklich wollte!

    Der großgewachsene Paco zieht schnell Gummihandschuhe an und staubt Talkum-Pulver ab. Dann nimmt er das Leichentuch ab und zieht überrascht eine buschige Augenbraue hoch. »Hast du eine Ahnung, was mit ihm passiert ist?«, fragt er.

    Ich betrachte die Überreste und bin froh, dass das Kühlfach die letzten Insekten zum Verstummen gebracht hat. »So auf die Schnelle? Ja, es handelt sich um einen Mann und er ist auf entsetzliche Weise gestorben«, antworte ich trocken wie Sand in der Wüste. Ein zynisches Lächeln spielt um meine Mundwinkel und ich denke schon wieder an eine Zigarette.

    Wenn Sie nun glauben, dass nun eine detaillierte Beschreibung einer sensationsorientierten Autopsie folgt, muss ich Sie erneut enttäuschen. Mein Beruf erfordert eine strenge Disziplin und ich habe eigene, unverrückbare Richtlinien, wie ich meine Arbeit durchführe und darüber berichte. Sicherlich, wir befinden uns in einem utopisch gefärbten Thriller-Roman und nicht in einer medizinischen Sachanalyse, aber ich habe meine Prinzipien! Das habe ich mit dem Autor Thomas Benda so vereinbart! Señor Benda hat dies nach langen Diskussionen auch verstanden und eingesehen. Es führt kein Weg daran vorbei! Schluss aus! Denken Sie sich einfach aus, was ich gemacht habe! Sie haben doch sicherlich eine blühende Fantasie, oder?

    Die runde Analoguhr im Autopsieraum zeigt 17:25 Uhr an. Vier Stunden sind vergangen, seitdem ich mein Aufzeichnungsgerät eingeschaltet und das Skalpell in die Hand genommen habe. Ich werfe die blutverschmierten Handschuhe in einen roten Abfallsack. Paco hat das Operationsbesteck zur Reinigung und Sterilisation in einen Nebenraum gebracht. Mit einem kurzen Ratschgeräusch verschließe ich den Leichensack. Da es sich um eine rechtliche Autopsie handelt, um die Todesursache zweifelsfrei festzustellen, waren diese vier Stunden wirklich notwendig. In dieser Zeit habe ich keine Sekunde an meine Nikotinsucht gedacht. Das ist immer so, wenn ich mich in meinem Element befinde, wie Paco täglich humorvoll mein Wissen und Können bezeichnet. Nur hat mein normales Wissen und Können dieses Mal nicht ausgereicht… wirklich nicht!

    Nach der Autopsie habe ich mehr Fragen als zuvor. Das ist sehr selten! Hmm? Nein, eigentlich kommt es nie vor! Okay, bitte halten Sie mich nicht für überheblich und eingebildet! Es ist keine Arroganz, wenn ich Ihnen das sage! Es ist eine sachliche Feststellung.

    Laut einschlägigen Medienberichten, unzähligen Reportagen und Dokumentationen über meine Person bin ich als die beste Gerichtsmedizinerin europaweit bekannt geworden. Nach mehreren Jahren in Nuevo Madrid und einem Medienrummel, der die volle Bandbreite von genial bis nervig beinhaltete, entschloss ich mich zur Flucht nach vorne und kehrte in meine multikulturelle Heimat zurück. Da meine Eltern hier sesshaft sind, war meine Rückkehr in Ihre Nähe sozusagen eine regelrechte Heimkehr-Entscheidung! Hier habe ich nach dem Studium meinen Beruf begonnen und erste Erfahrungen sammeln können. Dann ging ich der Liebe wegen nach Madrid, wurde dort fassungslos berühmt und bin nun seit einiger Zeit wieder berühmt und nikotinsüchtig auf meiner Heimatinsel zurück. Ich lebe in einer kleinen Finca am Rand von Port d’Alvarez.

    Natürlich habe ich noch die eine oder andere Besonderheit und Eigenart, doch darüber möchte ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht äußern!

    Ach ja! Bitte stellen Sie keine Fragen zu meiner vergangenen Liebesbeziehung in Madrid! Das hat leider genauso gut funktioniert wie eine Endoskopie mit einer Schöpfkelle!

    Es ist Feierabend um 17:30 Uhr! Ich rolle den Leichensack mit dem Verstorbenen zurück zur Kühlfachwand und öffne Fach Nummer fünf. Nach einer Autopsie habe ich immer ein angenehmes Gefühl, wenn ich nach dem Zuschlagen der massiven Kühlfachtür nichts höre… außer Stille!

    3. Cosmopolitans

    Der Weg zu meinem Auto ist beschwerlich. Der Fahrstuhl ist schon wieder ausgefallen. An die Schiebetür hat der Hausmeister ein provisorisches Hinweisblatt mit einem handschriftlichen FUERA DE SERVICIO angeklebt. Das bedeutet für mich, dass ich nun zwei Stockwerke tief, mit vier dicken Büroordnern beladen, in die Tiefgarage gelangen muss, um zu meinem heißgeliebten Auto zu gelangen. Nein, das Auto trägt nicht meinen Vornamen! Hinzu kommt, dass meine High Heels auf den Treppenstufen fast mein Ende bedeuten. Sicherlich fragen Sie sich nun: Warum trägt die Bescheuerte High Heels? Das kann ich Ihnen mit einem Wort sagen: Feierabend! Bei der Arbeit trage ich super flache Sportschuhe mit sicherem Halt. Bei einem normalen Feierabend trage ich normale Sportschuhe mit normalem Halt. Bei einem besonderen Feierabend trage ich besondere High Heels ohne Halt. Aber dafür machen mich die teuren Dinger smokin' hot! Klar soweit? Ja?

    Nach zehn Minuten auf meinen High Heels kippeln, erreiche ich meinen Käfer, ein US-Import aus dem Jahr 1978. Ich kann förmlich Ihr Grinsen sehen! Wie kann man mit langstieligen Damenschuhen einen VW-Käfer 1303 Cabrio in der Farbe Marinogelb fahren? Ganz einfach! Ich ziehe die Schuhe aus! Das funktioniert prima! Ich werfe die schweren Ordner auf die Rückbank und drehe den Zündschlüssel um. Der unverkennbare Käfer-Motorensound begrüßt mich. Bevor ich losfahre und die Schranke passiere, verbinde ich mein Freisprech-Bluetooth mit meinem Com-Phone und wähle die Nummer meines Vorgesetzten. Gerade als ich in den Berufsverkehr von Multikulti einbiege, meldet sich die vertraute Männerstimme am anderen Ende knapp: »García!«

    Da er seinen Nachnamen genannt hat, weiß ich, dass meine Handynummer immer noch unterdrückt ist.

    »Hier ist Mercedes. Meine Nummer ist wohl immer noch unterdrückt. Ich gehe langsam davon aus, dass ich unfähig bin«, sage ich.

    »Nein«, entgegnet José gelassen. »Du liest keine Bedienungsanleitungen und hältst sie für überflüssig.«

    Recht hatte er! »Die Autopsie ist abgeschlossen. Ich habe meinen vorläufigen Bericht per E-Mail an dich geschickt. Ich sage dir schon mal vorab, dass dir meine Ausführungen nicht gefallen werden.«

    Er schweigt einige Sekunden, dann antwortet er sachlich: »Ich werde deine E-Mail gleich lesen. Wie lange bist du heute telefonisch erreichbar?«

    Ich fahre die Nelson Avenue entlang, neben mir zeigt sich der hell erleuchtete Yachthafen von Gran Sunnéz. »Heute gar nicht mehr! Hast du vergessen, dass ich um 20 Uhr meinen großen Auftritt habe?«

    »Ist das heute?«, fragt er ein wenig abwesend, scheinbar liest er gleichzeitig meine E-Mail.

    »Richtig! Ich fahre gerade dorthin.«

    Er wünscht mir alles Gute und das Telefonat wird beendet.

    15 Minuten später fahre ich in ein öffentliches Parkhaus, das sich in der Nähe des Boulevard Anna Lorenzo befindet. Von hier aus sind es nur wenige Gehminuten bis zu meinem endgültigen Ziel. Ich schaue auf meine teure Armbanduhr französischer Herkunft. Es ist 18:46 Uhr. Ich schnappe mir meine schwarze Handtasche, verschließe meinen Käfer und verlasse die Parkebene. Auf dem mit Touristen gesäumten Boulevard beschließe ich, dass noch genügend Zeit ist, um einen Drink in einer gepflegten Bar zu nehmen. Natürlich habe ich zuvor die High Heels wieder im Auto angezogen! Das versteht sich von selbst, oder? Ich stakse den Gehweg entlang. Mein schwarzer Business-Rock passt wie angegossen. Die weiße Bluse mit dem mit Rüschen besetzten Ausschnitt ergänzt mein seriöses und zugleich sexy Outfit. Ein Push-up-BH betont das, was mir Mutter Natur ohnehin reichlich geschenkt hat. Trotz meines unsicheren Gangs mit den schwarzen Heels habe ich ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Ich weiß, dass ich toll aussehe! Zielstrebig betrete ich eine unscheinbare Cocktailbar. Ich habe noch knapp eine Stunde Zeit für einen leckeren Cosmopolitan. Cosmopolitan? Ja, ich weiß, das klingt nach einem weiblichen Klischee!

    Der Tresen ist voller Touristen, wahrscheinlich Engländer oder Deutsche. Schlimmstenfalls beides. Mir ist das recht! Je weniger Einheimische, desto besser für mich! Da ich einigermaßen bekannt bin, begrüße ich lieber die Gesellschaft von Fremden in meiner Freizeit. Vorsichtshalber trage ich auch mein langes, braunes Haar zu einem kecken Zopf. Die Öffentlichkeit kennt es überwiegend offen und schulterlang. Ich setze mein freundlichstes Gesicht auf und rutsche auf

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