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In wilden Weiten: Pirschgänge in der Bergwelt
In wilden Weiten: Pirschgänge in der Bergwelt
In wilden Weiten: Pirschgänge in der Bergwelt
eBook388 Seiten5 Stunden

In wilden Weiten: Pirschgänge in der Bergwelt

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Über dieses E-Book

Mit seinem dritten Buch knüpft Leif-Erik Jonas an sein Erstlingswerk "Auf schroffen Höhen" an und nimmt seine Leser wieder mit auf eine Pirsch durchs Jagdjahr in einem Tiroler Gebirgsrevier. Der detailreiche Erzählstil des Autors lässt den Reiz ursprünglichen Waidwerks in den wilden Weiten der Alpen mit jeder Zeile spürbar werden. Von der Hahnenbalz im Erwachen des Bergfrühlings spannt sich der Erzählbogen über rote Rehböcke in der Sommeridylle, die Faszination der Hirschbrunft und mühsame Gamspirschgänge bis hin zum winterlichen Fuchspassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum5. März 2024
ISBN9783758347498
In wilden Weiten: Pirschgänge in der Bergwelt
Autor

Leif-Erik Jonas

Geboren 1993 in Norddeutschland, wohnhaft in Osttirol. Beruflich tätig als Jagdvermittler, Jagdreisebegleiter, Pirschführer und Autor.

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    Buchvorschau

    In wilden Weiten - Leif-Erik Jonas

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Knappen im Bergwald – ein neues Jagdjahr beginnt

    Ein hart erkämpfter Spielhahn

    Das Schaf von der Mosescharte

    Der Abnorme von der Bergwiese

    Der Bock vom Felswald

    Der Einstangler vom Bergmahd

    Ein hart erwaidwerkter Knöpfler

    Schwarzwild im weiten Gebirge

    Die Pechkruckige aus der Rippn

    Das Murmel aus dem Steilgraben

    Der Murmelbär vom Kargrat

    Hirschbrunft am Falglahner

    Die Einkruckige vom Gamskofel

    Schlitzohr

    Ein zäh erjagtes Gamsl

    Ein Schneehahn aus frühwinterlicher Bergwildnis

    Ein Gebirgshirsch in Eis und Schnee

    Füchse unterm Febermond

    Kontakt

    Vorwort

    Der Erfolg meiner beiden Bücher „Auf schroffen Höhen sowie „Im Reich der Tahre hat meine eigenen Erwartungen bei weitem übertroffen und erfüllt mich mit Freude. Ohne Euer Interesse an meinen Jagderzählungen wäre dieser Erfolg jedoch niemals möglich gewesen. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und einem jeden meiner geschätzten Leser meinen ehrlichen Dank aussprechen.

    Mit diesem dritten Werk werde ich an „Auf schroffen Höhen" anknüpfen und den Leser wieder in die wilden Weiten der Tiroler Alpen entführen – vom Zauber der Hahnenbalz im Frühjahr, über die Idylle das jagdlichen Bergsommers und die Faszination der Hirschbrunft bis hin zum Reiz des Fuchspassens im tiefsten Bergwinter.

    So wünsche ich ein paar frohe Stunden beim Lesen und hoffe, dass Ihr Gefallen daran finden werdet, Euch ein wenig in meine Erlebnisse und Erfahrungen hineinzudenken.

    Leif-Erik Jonas

    Knappen im Bergwald – ein neues Jagdjahr beginnt

    Der März ist vorüber, ein erlebnisreiches Jagdjahr nur mehr Vergangenheit und Erinnerung. Ein milder und schneearmer Winter wurde drunten im Tal schon vom Frühling abgelöst – und auch droben am Berg liegt die raue, kalte, entbehrungsreiche Jahreszeit in ihren letzten Zügen. Es ist Mitte April und eine Zeit hat begonnen, die ich jedes Jahr mit Spannung und Vorfreude erwarte – die Zeit der Hahnenbalz! Heute ist mein zweiter Hahnengang im heurigen Jahr. Droben im einsamen, Jahrhunderte alten Fichten-Lärchen-Wald der Schattseite will ich dem urtümlichen Lied des Großen Hahns lauschen. Ganz ohne Waffe und jagdliche Absichten will ich einen wunderbaren Vorfrühlingsmorgen in der stillen Abgeschiedenheit der weiten Bergwelt verbringen.

    Doch bevor ich davon erzähle, muss ich von einem wenige Tage zurückliegenden Hahnenmorgen – dem ersten des noch jungen Jagdjahres also – schreiben. An jenem Tag wollte ich der Spielhahnen wegen auf einen sonnseitigen Almrücken hinaufsteigen. Der dortige Balzplatz ist zwar kein schlechter, aber halt auch keiner der ganz guten. Und dennoch hatte es seinen Grund, dass ich mir gerade diesen Balzplatz ausgesucht hatte: Er ist so früh im Jahr jener, der am leichtesten zu erreichen ist. Seit dem vorhergegangenen Abend fühlte ich mich nämlich nicht besonders gut, ein unterschwelliges Unwohlsein halt. Den vergleichsweise einfachen Weg – im Sommer so anderthalb Stunden in flachem bis mäßig steilem Gelände, im Winter je nach Schneelage freilich etwas mehr – zu diesem Platz traute ich mir aber auch trotz meiner Angeschlagenheit ohne Zögern zu. Zudem war der Hochwald der Sonnseite schon weitgehend aper und der verbliebene Schnee war in den letzten Tagen sogar am Nachmittag noch tragfähig gewesen. Es würde also ein recht kommodes Steigen sein, fast wie im Sommer – glaubte ich! Um alles in Ruhe angehen zu können, plante ich für den Aufstieg dennoch zweieinhalb Stunden ein.

    Nach einer schlaflosen Nacht – Unwohlsein und Vorfreude hatten mich wach gehalten – fuhr ich dann eine schmale, asphaltierte Bergstraße zu einem hoch gelegenen Weiler hinauf und von dort weiter auf einem Forstweg. Weit kam ich auf Letzterem jedoch erwartungsgemäß nicht, denn nach der ersten Kehre konnten auch Untersetzung und gesperrtes Mitteldifferenzial nichts mehr gegen den harten, eisigen Schnee ausrichten.

    Die Birkhenne, die mir förmlich in die Hände fiel

    Die Birkhenne, die mir förmlich in die Hände fiel

    Also ließ ich mein Fahrzeug stehen und setzte meinen Weg zu Fuß fort. Die sich in engen Kehren den Berg hinaufwindende Forststraße war zwar noch fast vollständig schneebedeckt, der Schnee aber trug – und wo immer möglich kürzte ich ohnehin durch den Hochwald ab. Das Steigen fiel leichter als erhofft und nur drei Viertelstunden waren vergangen, bis mich noch kaum mehr als ein weiter Büchsenschuss von der Waldgrenze trennte. Hier wurde der Wald lichter, es lag mehr Schnee – und dieser Schnee war sulzig weich und trug nicht. Meist sank man bis zu den Waden oder Knien ein. Langsam begann ich mich zu ärgern, meine Schneeschuhe im Auto gelassen zu haben. Aber auch wenn das Steigen jetzt anstrengender wurde, kam ich trotz meiner Angeschlagenheit noch recht gut voran – zumal ich nicht einfach geradewegs bergwärts stapfte, sondern meine Route nach Möglichkeit so wählte, dass ich von einem aperen Fleckchen zum nächsten ging.

    Der Wald lichtete sich immer weiter, wies immer mehr und größere Bestandslücken auf. Da vernahm ich aus einer nahen Lärche heftiges Geflatter und sah im Stirnlampenlicht ein Stück Birkwild in die vom Halbmond schwach erhellte Nacht hinausgleiten, gefolgt von einem zweiten. Ich mühte mich wieder einige Schritte den wadentief schneebedeckten Hang hinauf – und wieder Geflatter! Von einem zwei, höchstens drei Armlängen entfernten, tiefhängenden Ast stießen sich mit kräftigem Schwingenschlag zwei Birkhennen ab und aus der danebenstehenden Lärche eine weitere. Während die zwei ohne Probleme in die Nacht entschwanden, hatte die einzelne zweifellos Schwierigkeiten – ob ihr die Finsternis zu schaffen machte oder ob mein Lampenlicht sie blendete oder ob es beides gewesen ist, kann ich nicht sagen.

    Was sich dann zutrug, war so unglaublich, dass ich es niemandem übel nehmen kann, wenn er es meiner blühenden Fantasie zuschreibt und schlicht als pures Jägerlatein abtut – aber es hat sich doch genau so zugetragen. Vielleicht drei Bergstocklängen über mir flog die Henne gegen einen starken Lärchenast, kam dadurch ins Trudeln, fiel etwas tiefer in feineres Gezweig, konnte dort ihre Schwingen nicht mehr richtig einsetzen und stürzte richtiggehend ab – genau auf mich herunter. Dass ich sie auffing, war kein großes Kunststück, sondern eher ein Reflex. Die Henne wirkte geradezu paralysiert, lag in meiner Hand und rührte sich kaum. Schnell kramte ich meine Kamera aus der Hosentasche, schoss ein Foto – und der Blitz brachte den herrlich braun gesprenkelten Vogel offenbar wieder zu sich. Er schlug mit seinen Schwingen, flatterte zu Boden, saß ein, zwei Mannsschritte unter meinem Standort, drehte sich dann herum, flog bodennah wenige Meter bergwärts, blieb etwas oberhalb von mir sitzen – und griff mich von dort an, schlug mit seinen harten Schwingenbugen nach mir, lies aber bald ab, flatterte unter eine nahe Jungfichte, saß dort eine Weile, beruhigte sich wohl und burrte schließlich ganz normal davon.

    Ich stieg weiter und hatte wenig später die Waldgrenze erreicht. Was mich jetzt erwartete, war nichts als eine elendige Tortur. Hier auf dem flachen Almrücken lag nämlich weit mehr Schnee als im Hochwald, im Durchschnitt vielleicht etwas weniger als ein Meter. Und dieser Schnee war von solch ungünstiger Beschaffenheit, wie man es selbst im Frühjahr nur höchst selten erlebt. Das war kein normaler Bruchharsch, auch kein frühjahrstypischer Sulz. Das war so etwas wie eine Mischung aus beidem – eine heimtückische Mischung, die Fuß und Bein bei jedem Stapfschritt regelrecht einbetonierte. Unter einem knapp handbreit dicken Harschdeckel lag grobkörniger, nasser, halb gefrorener Altschnee. Der Harschdeckel war eisig und bröckelig zugleich. Bei fast jedem Schritt brach man durch ihn hindurch und steckte oft bis zu den Knien – manchmal gar bis zu den Hüften – im Schnee. Der Harsch war gerade noch so instabil, dass er nicht trug. Aber er war doch so fest und dick, dass man oft nur mit größter Mühe den Fuß wieder aus dem Schneeloch heben konnte – vor allem dann, wenn man bis übers Knie eingebrochen war.

    Der darunterliegende Altschnee hatte durch seinen halb gefrorenen Zustand ähnlich unvorteilhafte Eigenschaften: Man sank tief ein und der Schnee saugte den Fuß richtiggehend fest. Mit den unmöglichsten Verrenkungen kämpfte man sich aus einem solchen Schneeloch heraus – oft gelang das erst beim zweiten oder dritten Versuch, weil man bei seinen Bemühungen nur noch weiter einbrach –, stemmte sich dann wieder auf den Harschdeckel hinauf, tat den nächsten Schritt, verlagerte sein Gewicht also zwangsläufig kurz auf nur einen Fuß und versank dadurch erneut. Es war also nicht so, dass der Harsch schon bei der ersten Belastung brach, sondern wirklich erst, wenn das gesamte Körpergewicht auf einer kleinen Fläche lastete. Und das alles zusammen war ungemein kräfteraubend!

    Wieder burrte ein Birkhuhn neben mir unter dem dichten Gezweig einer einzelnen Lärche hervor und entschwand in die Nacht. Von meinem Ziel – einem alten, halb verfallenen Heustadl – trennte mich jetzt noch die Entfernung eines weiten Büchsenschusses. Und allein für dieses kurze Stück sollte ich beinahe eine volle Stunde benötigen. Denn war das erste Stück über die Alm noch sehr flach – oft fast eben – gewesen, musste ich nun einen reichlich hundert Meter langen, steileren Abschnitt hinter mich bringen, dann noch zwei kleine, flache Böden und zwei kürzere Steilpartien. Steil ist hier nicht unbedingt wörtlich zu nehmen – unter weniger extremen Schneeverhältnissen wäre es nicht der Rede wert, aber heute brachte einen selbst eine Hangneigung von zwanzig, dreißig Grad an die Grenzen des Machbaren. Wie soll man, wenn man bis fast zu den Hüften im hartgefrorenen Schnee feststeckt, auch noch einen Schritt bergwärts machen? An den schlimmsten Stellen gab es nur eine Lösung: Auf allen Vieren kroch und krabbelte ich den Hang hinauf! Dabei nahm ich den Bergstock in beide Hände, legte ihn flach auf den Schnee, sodass sich mein Gewicht ähnlich wie bei einem Ski besser verteilen konnte und ich kaum einbrach.

    Immer wenn es wieder einmal ganz zäh herging, überlegte ich, ob ich nicht einfach umkehren und mir diesen Wahnsinn nicht länger antun sollte. Aber ich entschied mich dagegen. Ich hatte mich jetzt schon so weit den Berg hinaufgemüht – das sollte nicht alles umsonst gewesen sein! Zudem war ich meinem Ziel ja auch bereits sehr nah.

    Also kämpfte ich mich weiter. Jeder Stapfschritt wurde zur Schinderei, zur Quälerei. Ich spürte, dass das Ende meiner Kräfte nicht mehr gar fern war. Außerdem sollte ich meinen Ansitzplatz mittlerweile längst erreicht haben – falls die Hahnen früh einfallen würden, wäre mein ganzes Mühen vergebens gewesen.

    Doch dann – nach fast drei Gehstunden – zwängte ich mich endlich durch die niedrige Türöffnung des morschholzigen Stadls, wechselte mein verschwitztes Hemd und setzte mich erschöpft auf einen kaum kniehohen Steinhaufen, den ich hier schon im Vorjahr aufgeschichtet hatte.

    Ohne das schwache Licht des Halbmondes hätte die Alm jetzt noch in tiefer Finsternis gelegen, denn noch war vom Ostlicht kein Hauch zu erahnen. So aber konnte ich doch schon deutliche Konturen erkennen. Halb links und vor mir zogen flache bis mäßig steile, noch vollständig schneebedeckte, mit einzelnen schmächtigen Lärchen, wenigen christbaumgroßen Fichten und einigen niedrigen Latschenstauden bestockten Hänge hinauf zum büchsenschussentfernten Gratrücken. Diese Hänge waren von unzähligen flachen Mulden und undeutlichen Kanten durchzogen, sodass viele Flächen überriegelt waren. Jenseits des Grats standen die abweisenden Felswände des höchsten Berges unseres Reviers gegen den sternfunkelnden Nachthimmel. Zu meiner Rechten breitete sich die weite Alm aus und hinter mir reichte steiler, lichter Lärchenwald bis fast zu meinem Ansitzplatz herauf.

    Im vergangenen Jahr hatte sich die beste Balz dieses Almrückens ein, zwei Schrotschüsse links oberhalb des Stadls abgespielt. Das war eine neue Entwicklung gewesen, denn in den Vorjahren hatten die Hahnen überwiegend oben entlang des Grats gebalzt. Und nun war ich gespannt, ob sie heuer wieder zu ihrer Gewohnheit zurückgekehrt waren oder ob sich dieser neue Balzplatz etablieren würde.

    Stille – große, weite, unendlich scheinende Stille umgab mich vorerst. Hier auf den flachen, rundlichen Bergrücken gelangt vom Talgrund kein Laut herauf – weder das Rauschen des im tief eingekerbten Tal dahinsprudelnden Gebirgsbachs noch gar irgendwelcher Lärm der fernen Zivilisation. Nach einer Weile – es dämmerte schon etwas – das erste, schläfrige Aufzwitschern einer Ringdrossel, dann wieder Stille. Plötzlich vernahm ich sausenden Schwingenschlag – und hernach wieder Stille, kein Faucher, kein Grugeln, nichts. War es eine Henne gewesen? Doch dann, ein scharfes Zischen, gefolgt von einer längeren Pause, dann wieder ein Zischen, wieder und wieder. Ich hob das Glas an die Augen, konnte den Balzenden aber zunächst nicht erschauen. Er musste sich in einer nicht einsehbaren Mulde – kaum hundert Meter links vor mir – aufhalten.

    Doch schon bald darauf entdeckte ich im ahnenden Morgendämmer mit freiem Auge einen schwarzen Fleck am Rand der Mulde – der Hahn! Immer wieder blasend und flatternd lief er zielstrebig zum Balzplatz des vergangenen Jahres, fauchte dort noch einige Male, senkte dann seinen blauschimmernden Stingl, plusterte ihn auf, begann zu grugeln und drehte sich dabei in alle Richtungen.

    Sicher ein Viertelstündlein balzte er dort selbstvergessen vor sich hin. Als dann aber weder Henne noch Rivale ihm Gesellschaft leisten wollten, trippelte er ohne Eile weiter nach rechts, blies und rodelte zwischendurch immer wieder – so würde er bald meinen Blicken über eine undeutliche Geländekante hinweg entschwinden. Ich wollte dieses faszinierende Schauspiel aber noch etwas länger genießen, also zischte ich zum Hahn hinauf. Der hatte das nicht überhört, drehte sich herum, reckte seinen Stingl, stieß sich dann vom Schneeboden ab, tat einen weiten Flattersprung und fauchte zornig. Ich antwortete – und mit einigen wilden Flattersprüngen kehrte der Hahn zum Balzplatz zurück und balzte dort wie verrückt! Da sich sein vermeintlicher Rivale aber nirgends blicken ließ und er sich mit diesem Feigling wohl nicht länger abgeben wollte, lief er dann wieder nach rechts und drohte, erneut zu verschwinden. Wieder reizte ich ihn – und jetzt war es mit seiner Geduld wohl endgültig vorbei. Geradezu erbost kam er mit weiten Flattersprüngen, begleitet von scharfen Fauchern, direkt auf mich zu und begann dann nur einen halben Schrotschuss entfernt, feurig zu grugeln.

    Ich hoffte, dass er bis zum vollen Tageslicht bleiben würde, damit ich auf diese geringe Entfernung ein paar gute Fotos von ihm schießen könnte. Aber diesen Gefallen tat er mir dann doch nicht. Wie aus heiterem Himmel unterbrach er nach einer ganzen Weile sein Spiel, stieß sich vom Boden ab und flatterte über meinen Ansitzstadl davon. Bald aber hörte ich wieder sein Grugeln – und als ich mich etwas aus dem Fenster hinauslehnte und in die Wipfel der vom Gebirgswetter gezeichneten Bäume hinaufschielen konnte, entdeckte ich ihn. Weit war er gar nicht davongestrichen, sondern hatte zwanzig Meter zu meiner Linken in einer dünnstämmigen Lärche aufgebaumt. Lange blieb er aber auch dort nicht, denn schon nach wenigen Minuten strich er endgültig in den Bergwald hinunter. Nur hin und wieder drang sein fernes Grugeln jetzt noch an mein Ohr.

    Und weil der Balzmorgen offenbar gelaufen war und mir die Kälte langsam in die Glieder kroch, packte ich meine Sachen zusammen und machte mich auf den Rückweg. Die aufgehende Sonne tauchte die zarte Bewölkung des Osthimmels in kitschiges Rosa, dann stieg sie in goldenen Farben über die Gipfel. Ein naher Gamspfiff ließ mich innehalten und einige Herzschläge später sah ich einen schwarzbraunen Wildkörper über eine Bestandslücke wischen. Der Abstieg entlang meiner nächtlichen Stapfspur fiel zwar freilich wesentlich leichter als die Schinderei des Hinaufsteigens – aber kommod war es wirklich nicht, von einem hart gefrorenen Schneeloch ins nächste zu staksen. Ich ließ mir an diesem traumhaften Morgen aber auch Zeit und so dauerte es letztendlich zwei volle Stunden, bis ich wieder zu meinem Vehikel zurückkehrte.

    Nun aber zurück zum heutigen Morgen, zum Beginn dieser Erzählung – zum Auerwild! Von den Talwiesen windet sich hier ein Forstweg den Berg hinauf. Etwa dort, wo der Weg endet – im Sommer rund zwei Gehstunden über Talniveau – geht der steile Hang in einen sanft ansteigenden, langgezogenen Waldgrat über. Kaum eine Waldgegend des Reviers ist so unberührt wie dieser lichte Bergwald. Wohl deshalb findet sich dort droben auch unser bester Balzplatz der Urhahnen. Und ebendort will ich heute hinauf!

    Hier auf der Schattseite hat es noch weit mehr Schnee als auf der Sonnseite und so ist nur das allerunterste, kurze Stück des Forstwegs schon befahrbar – und selbst das überrascht mich, hatte ich doch eigentlich erwartet, vom Talboden zu Fuß gehen zu müssen. Bald nach der ersten Spitzkehre ist dann aber auch wirklich endgültig Schluss, ich lasse mein Fahrzeug stehen, schultere den Rucksack, auf den ich heute meine Schneeschuhe gebunden habe, und mache mich unter übersterntem Firmament auf den Weg.

    Man hat hier in den tieferen Lagen kaum die Möglichkeit, durch den Wald abzukürzen, denn fast flächendeckend sind es Dickungen und Stangenhölzer – und so folge ich dem sich schier endlos dahinziehenden Forstweg. Apere Passagen wechseln mit wadentiefem Sulzschnee und es ist daher ein recht bequemes Steigen. Neben mir höre ich im dichten Fichtenwuchs ein Haselhuhn davonburren.

    Bald schon wird der Schnee höher, trägt in der beinahe sommerlich warmen Nacht nicht einmal ansatzweise. Und als ich die ersten Male bis zu den Knien einbreche, lege ich meine Schneeschuhe an. Aber selbst damit sinkt man doch oft zwei, drei Handbreit tief in den nassen Frühjahrssulz ein. Erst als ich die kühleren höheren Bergwaldlagen erreiche, erlauben die Schneeschuhe kommodes Gehen auf einem gerade tragfähigen Harschdeckel.

    Nach reichlich zwei Gehstunden bin ich dem Balzplatz schon recht nahe. Ich ziehe die Schneeschuhe aus – mit ihnen wäre man beim Anspringen eines Hahns nicht beweglich genug –, taste mich dann noch vielleicht hundert Meter weiter und setze mich am aperen Boden unter einer mächtigen Fichte auf meinen Rucksack.

    Angespannt lausche ich in den finsteren Bergwald hinaus. Hin und wieder rauscht ein sanfter Windstoß durch die Wipfel, lässt manch alten Baum ächzen und knacken. Ansonsten umgibt mich die große Stille der nächtlichen Gebirgswelt. Bald drei Viertelstunden des Wartens und Horchens sind vergangen und meine Umgebung erscheint mir schon einen Hauch heller als zuvor, da lässt mich ein kaum wahrnehmbares Geräusch aufhorchen – ist das ein fernes, zaghaftes Knappen gewesen oder habe ich mich getäuscht? Ich halte den Atem an, um mein Hörvermögen nicht zu beeinträchtigen. Doch so angestrengt ich auch lausche – es bleibt still im einsamen Gebirgswald. Dann aber, nach vielleicht einer Minute, wieder – jetzt deutlicher – dasselbe Geräusch, bald darauf erneut. Nun gibt es keinen Zweifel mehr – irgendwo weit zu meiner Linken singt einer der majestätischen Urhahnen sein Liebeslied.

    Er muss ein alter, misstrauischer Hahn sein, denn er will und will sich nicht recht einspielen. Nur sehr zögerlich folgt Knapper auf Knapper, immer wieder unterbrochen von längeren Pausen. Das geht so sicher an die zehn Minuten. Dann der erste Doppelknapper, noch einer – und wieder Stille. Nach einer kurzen Weile aber knappt der Hahn weiter, das Knappen reiht sich, geht in den Triller über, dann der sektkorkenknallartige Hauptschlag – und das erste Schleifen! Jetzt perlt Strophe um Strophe durch den noch tiefdämmerigen Frühjahrswald. Beim dritten oder vierten Gsetzl stehe ich vorsichtig auf und beginne beim nächsten Schleifen, den sicher hundert oder mehr Meter entfernten Hahn anzuspringen. Auf aperen Partien komme ich gut voran, schaffe bei jedem Schleifen zwei, drei Sprungschritte. Dort aber, wo Schnee liegt und unter meinen Bergschuhsohlen knirscht und kracht, nutze ich das Schleifen oft nur für einen einzigen Schritt.

    Nach einer kurzen Weile ist der urtümliche Gesang schon weit deutlicher zu hören. Mich verblüfft es immer wieder, wie leise das Balzlied eines solch mächtigen Vogels wirklich ist – denn wenn man es deutlich hört, ist man schon ganz in seiner Nähe. Deshalb gehe ich beim nächsten Schleifen nicht weiter, sondern hebe das Glas an die Augen und suche das kahle Lärchengeäst und das dichte Fichtengezweig ab. Und bald schon erschaue ich auf kaum halber Höhe einer Lärche gegen den sternfunkelnden Himmel einen sich bewegenden, dunklen Klumpen! Noch trennt mich etwa die Entfernung eines Schrotschusses von dem mächtigen Urvogel.

    Bei jedem Schleifen springe ich jetzt nur ein, zwei Schritte näher. Und doch verstummt der Hahn plötzlich. Hat er mich wahrgenommen? Minutenlang schweigt er – minutenlang stehe ich wie angewurzelt da. Dann aber die Erlösung – der erste misstrauische Knapper. Weitere folgen und bald schon tönen wieder volle Gsetzl durch den lichten Wald. Ich springe den Hahn weiter an, hin zu einem aperen Fleck unter einer breitastigen Fichte wenig oberhalb der Balzlärche. Durch die Steilheit des Hangs steht der Hahn jetzt schon beinahe auf Augenhöhe und er ist nur mehr reichlich ein Dutzend Armlängen von mir entfernt. Selten nur gibt es das Zusammenspiel von steilem Gelände und geringer Sitzhöhe eines Hahns her, so nah an dieses geheimnisvolle Wild heranzukommen.

    Nun stehe ich hier unter dem deckenden Fichtengeäst und habe die Silhouette des starken, in der Dämmerung noch schwarz scheinenden Wildkörpers übergroß in den Linsen meines Fernglases. Mit halb gefächertem Stoß und gesträubtem Kehlbart lässt der Hahn Strophe um Strophe aus seinem hellen Brocker perlen. Es ist etwas Wunderbares, diesem Schauspiel aus solch geringer Entfernung unbemerkt beiwohnen zu können.

    Recht bald aber stößt sich der Hahn mitten im Schleifen vom Lärchenast ab und überstellt in eine vielleicht hundert Meter weiter taleinwärts liegende Fichtengruppe. Zu sehen ist er im dichten Nadelgezweig nun nicht mehr. Ein paar verhaltene Knapper noch, dann verschweigt er. Eine Weile warte ich noch zu, doch es tut sich nichts mehr.

    Immer wieder ein faszinierender Anblick

    Immer wieder ein faszinierender Anblick

    Gerade will ich mich schon zurückziehen, da dringen wie aus heiterem Himmel wieder Knappen, Triller, Hauptschlag und Schleifen an mein Ohr. Ein Gsetzl folgt dem nächsten und das gibt mir die Möglichkeit, den Hahn erneut anzuspringen. Mittlerweile ist es schon volles Tageslicht geworden und ich hoffe nun, von dem prachtvollen Vogel ein paar gute Fotos schießen zu können. Bald bin ich wieder auf Schrotschussentfernung am Hahn. Er sitzt jetzt sehr hoch, nur wenig unterm Wipfel. Zwischen ihm und mir stehen noch einige Fichten – deren Geäst verdeckt und übergittert den Hahn so sehr, dass an ein Fotografieren nicht zu denken ist. Also springe ich etwas den Hang hinauf, um zwischen den Wipfeln hindurch freien Blick zu haben. Und gerade als mich noch zwei, drei Sprungschritte von einer brauchbaren Fotoposition trennen, unterbricht der Hahn sein Spiel. In einer reichlich unbequemen Position – zudem vom Hahn abgewandt – erstarre ich zur Salzsäule. Minuten vergehen. Nur gelegentlich tönt ein hölzerner Knapper von des Hahns hoher Warte her.

    Irgendwann, als das verkrampfte Stillstehen gar zu unbequem wird, drehe ich mich mit der Geschwindigkeit eines Stundenzeigers herum und schiele vorsichtig zum Hahn hinauf. Der brockt in aller Ruhe Fichtennadeln – und wenn er die Äsungsaufnahme einmal kurz unterbricht, knappt er. Durch meine Gewichtsverlagerung knirscht der hier reichlich knietiefe Schnee unter meinen Sohlen – das vernimmt der Hahn sofort, reckt seinen Stingl, kann dann aber wohl nichts Verdächtiges eräugen, beruhigt sich bald, knappt wieder und widmet sich seiner Morgenäsung.

    Bald darauf scheint es, als wolle er sich doch noch einmal einspielen, die Knapper und Doppelknapper werden schneller – dann jedoch stößt sich der majestätische Vogel mit kräftigem Schwingenschlag vom schwankenden Fichtenast ab und gleitet in den Bergmorgen hinaus. Ich gehe zurück zu meinem am morgendlichen Horchplatz zurückgelassenen Rucksack. Unweit davon streicht ein Auerhahn vom Boden ab.

    Der Frühlingsmorgen ist zu wunderbar, um jetzt schon ins Tal zurückzukehren. So lege ich die Schneeschuhe wieder an und stapfe entlang des licht bewaldeten Grats weiter in die Bergwelt hinein. Im Wald liegt der Schnee selten mehr als knietief, stellenweise ist es sogar aper und so ist es kein übermäßig anstrengendes Steigen. Für ein kurzes Stück muss ich die Schneeschuhe dann aber ausziehen, um eine apere, felsdurchsetzte und teilweise eisige Steilpartie zu queren. Danach geht es weiter auf dem sanft ansteigenden Waldgrat, bis ich nach etwa zwei Gehstunden das nächste Steilstück erreiche. Hier jedoch liegt der Schnee reichlich hüfttief und die Morgensonne hat den ohnehin schlecht tragenden Schnee jetzt schon merklich aufgeweicht, sodass auch die Schneeschuhe nicht verhindern können, dass man oft bis übers Knie versinkt. Manchmal – dort, wo Staudenvegetation und Jungwuchs für Hohlräume unter der Schneedecke sorgen – bricht man gar bis zum Boden durch. Und so kämpfe ich mich mühsam die Steile hinauf und erreiche schließlich an der Waldgrenze einen kaum schrotschussbreiten, nahezu ebenen Boden – ein Balzplatz der Spielhahnen! Irgendwo in der Ferne höre ich auch wirklich das Rodeln eines der schwarzblauen Ritter, aber sonst ist am Balzplatz um diese Tageszeit freilich nicht mehr viel los. Nur ein Tannenhäher fällt gleich unterhalb des Bodens in einer mächtigen Fichte ein.

    Vor mir baut sich hier eine reichlich büchsenschusshohe, extrem steile, stufige Felskuppel auf. Dort hinaufzusteigen ist schon im Sommer eine etwas heikle Angelegenheit – jetzt bei Schnee, Eis und Lawinengefahr wäre es lebensgefährlich. Und so trete ich nach kurzer Rast und Jause den Rückweg an. Das tiefschneebedeckte Steilstück rutsche ich der Faulheit halber am Hosenboden hinunter – und selbst das will im weichen Schnee nicht recht gelingen. Dann geht es weiter durch den alten, urwüchsigen Gratwald.

    Als ich später bereits ein gutes Stück des Abstiegs geschafft und auch den Balzplatz der Großen Hahnen längst wieder hinter mir gelassen habe, ziehen kaum hundert Meter entfernt zwei Hirsche – der eine schon abgeworfen – in meiner nächtlichen Stapfspur vor mir her, biegen dann bergwärts ab und entschwinden meinen Blicken.

    Mittag ist dann schon vorüber, als ich schließlich bei meinem Fahrzeug anlange. Es war wunderschön, oben bei den Hahnen gewesen zu sein. Und sehr bald werde ich wieder dort sein, denn viel zu schnell ist diese erlebnisreiche Zeit des erwachenden Bergfrühlings vorbei. Und dann wird es wieder zehn, elf lange Monate dauern, bis man von der Alm das Grugeln der Spielhahnen vernehmen kann und im frühmorgendlichen Bergwald das Knappen des Großen Hahns des Jägers Herz höherschlagen lässt.

    Ein hart erkämpfter Spielhahn

    Mitunter schreibt das Leben Geschichten, deren Wendungen und Wirrungen, Höhen und Tiefen sich ausgerechnet am Punkt der größten Hoffnungslosigkeit zum erträumten Ende zusammenfügen, sodass das Erlebte in der Rückschau geradezu unwirklich erscheint. Unauslöschlich brennen sich solche Stunden und Tage ins Gedächtnis ein, denn der Erfolg, den man sich im Grenzbereich des Machbaren hart erarbeitet hat, wiegt im Herzen weit schwerer als jener, der einzig einem glücklichen Zufall zu verdanken ist und mit dem nichts Außergewöhnliches oder Mühevolles verbunden war.

    Obwohl der Wonnemonat seine Mitte bereits erreicht hat, zeigt sich das Gebirge noch wenig frühlingshaft. Seit Wochen schon ist die Witterung für die Jahreszeit viel zu kalt und immer wieder schneit es ergiebig bis in die Tallagen herab. Droben auf der weiten Hochalm, wo im ahnenden Graulicht das zischende Fauchen der Kleinen Hahnen den neuen Frühlingstag begrüßt und ihr vibrierendes Grugeln später die Luft erfüllt, liegt der Schnee sogar auf der Südseite immer noch meterhoch. So ist der Weg dort hinauf ein ebenso weiter wie beschwerlicher, muss man das Auto doch schon im mittleren Bergwald stehenlassen.

    Die widrigen Bedingungen haben auch ganz entscheidend dazu beigetragen, dass von den drei Spielhahnen, die in unserem Revier frei sind, noch kein einziger zur Strecke gekommen ist. An den Hahnen selbst mangelt es keineswegs. Aber wenn das Hinkommen zum Balzplatz schon mühsam ist, die Balz sich aufgrund der geschlossenen Schneedecke über große Flächen verteilt, die Hennen noch kaum ans Brüten denken und zu allem Übel auch noch Pech hinzukommt, wird es schwierig, sich einen der Sichelritter zur Beute zu machen. So verbleiben von der reichlich zweiwöchigen Jagdzeit nun nur mehr vier Tage.

    Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, in diesen letzten Tagen der Schusszeit eine junge, passionierte Jägerin auf ihren ersten Spielhahn zu begleiten. Wir kennen uns nicht persönlich und nur über gemeinsame Jagdfreunde habe ich bereits viel Gutes über sie gehört. So stehe ich in wolkenverhangener Maiennacht im schwach erleuchteten Dorf und warte auf Scheinwerferlicht, das sich die nächtens kaum befahrene Talstraße entlangtastet und das Nahen der Jägerin, die mit ihrem Vater und zwei Jagdfreunden erst spät am Vorabend in ihrer steirischen Heimat abgereist ist, ankündigt.

    Gestern bin ich in nächtlicher Finsternis an den Westrand des weitläufigen Almrückens hinaufgestiegen. Dort balzen Jahr für Jahr zwei oder drei Hahnen, doch sie sind recht unstet und nicht leicht zu bekommen. Die intensivste Balz dieser Hochalm spielt sich hingegen für gewöhnlich in ihrem Nordosten ab. Im heurigen Jahr konnte ich dort bei zwei Pirschgängen auch schon

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