Hauloch
Von Willi Bechtold
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Über dieses E-Book
Hier wurden die Träume von Weltreisen - verbunden mit großen Abenteuern - geboren.
Nepal, Tibet und vor allem die Sahara waren die ersten Ziele.
Auch schicksalhafte, oft abenteuerliche Begegnungen im Alltag berührten die Seele und ließen die Gefühlswelt aufwirbeln.
Willi Bechtold, Hesse und Kosmopolit, erzählt in seinen Geschichten von außergewöhnlichen Reiseerlebnissen, wundersamen Begegnungen und prägenden Eindrücken.
Sein authentischer Erzählstil ist lebendig und unverwechselbar und bereitet mit seinen tiefgründigen Gedanken ein unvergessliches Lesevergnügen.
Willi Bechtold
Willi Bechtold, Hesse und Kosmopolit, erzählt in seinen Geschichten von außergewöhnlichen Reiseerlebnissen, wundersamen Begegnungen und prägenden Eindrücken. Sein authentischer Erzählstil ist lebendig und unverwechselbar und bereitet mit seinen tiefgründigen Gedanken ein unvergessliches Lesevergnügen.
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Buchvorschau
Hauloch - Willi Bechtold
singen
Kapitel 1
Absturz
British Columbia.
West-Kanada.
Trekking in den Bergen.
Was treibt mich eigentlich hierher?
Wollte solche Touren nicht mehr machen. Besessenheit, Illusionen oder Abenteuerlust? Vielleicht von jedem etwas.
Warum diese Plagerei wieder?
Bergauf, bergab, Regen, vielleicht Schnee, glitschiger Untergrund, Frieren, Schwitzen und weitere unangenehme Umstände.
Die Gruppengröße von acht Personen war ideal.
Ein Jeep brachte uns vom Ausgangsort, am Fluss gelegen, auf knapp 2.000 Höhenmeter.
Die ersten Regentropfen fielen.
Wind.
Nach Aussage der Einheimischen sollte das Wetter regnerisch bleiben. Keine optimalen Aussichten.
Der Fahrweg war zu Ende. Aufstieg.
Regenjacke anziehen und den Rucksack mit Regenschutz schultern.
Ein Blick in die Runde zeigte keine begeisterten Gesichter.
Der Jeep fuhr zurück und brachte unser Hauptgepäck auf die andere Talseite in eine Hütte. Diese Hütte war unser Anlaufpunkt. Die Tour ging über einen Pass, der auf 3.000 Höhenmetern lag.
Der Aufstieg, pfadlos, war rutschig und mühsam. Wir kamen in die Randzone der relativ tiefen Schlucht. Der Guide meinte, hier seien die Orientierung und auch die Bodenbeschaffenheit am besten.
Jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen. Keine Gespräche.
Näheres Kennenlernen war bisher nicht möglich gewesen.
Der seitliche Abhang zur Schlucht war sehr steil. Stellenweise bewachsen. Die Sträucher verhinderten den Blick auf die Talsohle. Bach oder Fluss? An der Schluchtkante standen noch einige recht große Bäume. Die Wurzeln waren schluchtwärts zum Teil freigespült und ragten wie ein Federbausch in die Luft. Es grenzte an ein Wunder, dass diese schweren Kolosse noch Halt fanden.
Der Aufstieg wurde immer beschwerlicher.
Der Regen nahm zu.
Wind fegte durch die Schlucht und erzeugte eigenartige Geräusche.
Die meisten der Gruppe hielten sich im sicheren Abstand zur Kante.
Ich trat auf eine größere Wurzel. Plötzlich ein Erschüttern, die Wurzel hob sich und drohte auszureißen. Meine Reflexbewegung ging Richtung Baumstamm. Ich hatte größte Mühe, das Gleichgewicht zu halten und umklammerte den Stamm. Arme und Beine krallten sich affenartig fest. Das war eine schlechte Entscheidung. Ein Blick über die Schulter lähmte meinen Körper.
„Oh Sch...", die Wurzel reckte sich in die Höhe, und der Baum neigte sich immer mehr gen Schlucht.
Hätte ich mich anders entscheiden oder reagieren können? Nein.
Angst, Verzweiflung und Gefühlslosigkeit wechselten.
Die Gruppenmitglieder schrien: „Komm zurück!"
Unmöglich.
Langsam löste sich das Wurzelwerk aus dem Boden, und der Baum begab sich rutschend bergab in die Schlucht. Noch verzweifelter klammerte ich mich an den Stamm.
Ich verkrampfte.
Langsam bekam ich mit viel Mühe eine Hand frei und angelte einen kleinen Ast. Abrutschen vom Stamm war dadurch etwas reduziert. Die Rutschfahrt in die Tiefe ging mal schneller, mal langsamer. Je nach Hangbewuchs.
Ich schloss die Augen.
Immer wieder zuckte vorwurfsvoll durchs Hirn: Ich wollte nicht hierher. Ich wollte nicht hierher. Werde ich letztlich im Bergbach oder Fluss landen und ertrinken?
Die Gedanken fanden keine rationale Basis. Plötzlich ein Krachen der Äste, ein Ruck, und die Rutschfahrt schien zu Ende zu sein. Die Baumspitze war in der gegenüberliegenden Schluchtwand verkrallt.
Für die Dauer der Abfahrt hatte ich kein Zeitgefühl.
In solchen Situationen schwinden Einschätzung für Zeit und Raum.
Hinter mir hörte ich, dass noch einiges Geröll in die Tiefe schoss. Ohne mich zu treffen.
Nachdem das Ästekrachen und der Geröllabgang sich beruhigt hatten, atmete ich tief durch.
In welchem Zustand war ich?
Hände, o.k.
Füße, o.k.
Kopf, o.k. – Oh, meine Mütze war abhandengekommen.
Keinerlei Blessuren.
Rucksack war noch auf meinem Rücken.
Was nun?
Zurück war unmöglich.
Unter mir rauschte der Bergbach. Zwei oder drei Meter konnten es sein.
Mein Blick ging zur Baumspitze und von dort weiter nach oben.
Mir lief es eiskalt über den Rücken. Eine steile Bergwand ohne Bewuchs lag vor mir. Wenn ich hier wieder rauswollte, musste ich unweigerlich zur Felswand hoch.
Die Höhe war nur schwer einzuschätzen. Könnten achtzig bis hundert Meter sein. Spontan erinnerte ich mich an meine drei Klettergrundkurse und die folgenden Klettertouren mit einem Bergführer in den Alpen. Wenn ich die Grundregeln beachte, nicht kopflos werde, müsste ich da schon hochkommen.
Sofort schoss der altbekannte Horrorgedanke durch den Kopf: Wenn du aber in der Mitte der Wand die nötige Kraft verlierst, was wird dann?
Nun, ich war gut trainiert.
Allerdings, meine letzten Klettertouren lagen schon ein paar Tage zurück. Zunächst musste ich erst einmal zur Felswand. Ich hangelte mich mühsam durch das Geäst.
Der Baum lag stabil.
Was würde der Guide der Gruppe unternehmen? Würde er mich suchen lassen oder warten, bis ich vom Bergbach in den Fluss gespült würde? Ein Hubschrauber konnte hier nicht weiterhelfen. Ob es eine Bergrettungsmannschaft mit entsprechender Ausrüstung in dem kleinen Ort gab, bezweifelte ich schon.
Selber helfen, machte ich mir Mut.
Die Wand war aus festem Gestein; welcher Art konnte ich nicht exakt einordnen. Ähnlich Granit.
Erste Griffe zeigten ein festes Felsgefüge. Grundregel: Immer drei Punkte fix; beide Hände und ein Fuß oder beide Füße und eine Hand.
Ich angelte meine Trinkflasche aus dem Rucksack und nahm einen Schluck Tee.
Tief Luft holen.
Disziplin wahren, keine Hektik, signalisierte das Hirn.
Die ersten Klettermeter waren wie üblich: leicht und schnell.
Tempo drosseln; Kraft muss reichen, bis oben.
Ich schaute nicht nach oben und nicht nach unten. Meter für Meter hangelte ich mich im Zeitlupentempo hinauf.
Die Zeit verrann, und die Kräfte ließen nach. Erstes typisches Anzeichen: Knie zitterten. Rein gefühlsmäßig müssten die letzten Meter zu bewältigen sein.
Ich schaute nach oben. Drei bis vier Meter zum Ende der Wand, schätzte ich.
Allerdings ragte eine Humus- oder Erdschicht mit Wurzeln über die Kante. Seitlich sah ich eine helle Wurzel, leicht gekrümmt.
Das könnte ein Angelhaken sein.
Ein paar Griffe musste ich seitlich queren. Einige Steine lösten sich und kullerten in die Schlucht. Im oberen Teil der Felswand war das Steingefüge nicht mehr so fest.
Ich gelangte an die Wurzel.
Mehrfach heftiges Zerren blieb ohne Folgen. Dies gab mir die Gewissheit, dass ich diese Wurzel zum Hochziehen benutzen konnte. An die Wurzel und in den Boden krallend zog ich mich über die Kante. Krabbelte zwei bis drei Meter auf allen Vieren in sichere Gefilde.
Wieder spielten die Gedanken Karussell. Freude und ein gewisser Stolz überwogen jedoch bald.
Geschafft.
Mein Anorak und die Hose waren total verdreckt und nass. Ich stellte mich auf und ging noch ein paar Schritte Richtung Wald. Der Baumbestand war hier nicht so gewaltig wie auf der anderen Schluchtseite.
Was tun?
Ich musste wieder runter, talwärts, Richtung Fluss. In den Ausgangsort konnte ich ohne Überquerung des Bergbachs nicht gelangen.
Meine Hoffnung schwand.
Zunächst einmal bergab.
Der Regen hatte an Intensität zugenommen. Der Boden war rutschig und streckenweise morastig.
Umrisse einer Hütte oder eines Hauses zeichneten sich zwischen den Bäumen und dem Buschwerk ab.
Ich rief: „Hallo, ist da jemand?"
Nichts.
Ich wollte einem Erschrockenen nicht in die Flinte laufen.
Keine Regung, kein Laut. Nur das Rauschen des Bergbachs und der Regen waren zu hören.
Natürliche Geräusche.
Ich umrundete die Hütte.
Zur Bergseite war eine Tür.
Drei Stufen gingen hoch.
Die Tür war unverschlossen.
Quietschgeräusche beim Öffnen.
Das Innere machte einen halbwegs ordentlichen Eindruck. Ofen, kleiner Herd, zwei Regale gefüllt mit nicht leserlich beschrifteten Gläschen, ein Tisch, zwei Stühle und ein Eisenbett.
Im hinteren Teil war diverses Geschirr aufgehängt. Seitlich des Ofens lag noch etwas Trockenholz.
Den Ofen anheizen und die Kleidung trocknen war der erste Gedanke. Zündhölzer hatte ich immer in meinem Rucksack.
Ich zog Jacke und Hose aus, platzierte sie auf einem der Stühle vor dem Ofen.
Tee hatte ich noch. Wasser konnte ich, falls erforderlich, vom Bergbach holen.
Einige Nussriegel konnten mich noch wenigsten zwei bis drei Tage überleben lassen. Ich betrachtete meine Fingerkuppen, einige Risse und Schrammen.
Normal beim Klettern.
Die Kleidung trocknete schnell.
Ich beschloss, die kommende Nacht in der Hütte zu verbringen.
Das Schlafen auf dem Eisenbett war eine Tortur. Die Unterlage bestand nur aus Brettern. Ohne Schlafsack war das eine harte Angelegenheit. Im Stuhl sitzend hatte ich dann etappenweise ein paar Minuten geschlafen.
Der Morgen kam sehnlichst erwünscht. Ich musste weiter bergab. Meinen Rucksack platzierte ich an der Treppe und ging das Gelände nochmals inspizieren. Links verlief ein Pfad, wahrscheinlich zum Bergbach. Halbrechts ein Weg, konnte ein Fuhrweg Richtung Tal sein. Den konnte ich nehmen. Aber wo führte er hin?
Plötzlich, kurz vor mir, eine Bodenstruktur, die mir nicht natürlich vorkam. Der Vergleich mit dem umliegenden Waldboden zeigte klar einen menschlichen Eingriff. Eine Art Lattenstruktur zeichnete sich ab, mit Laub abgedeckt. Ich ging in die Knie und tastete mich langsam an das Gebilde heran. Es schien ein zugedecktes Erdloch zu sein. Eine Fallgrube für Wildfang? Eine nähere Untersuchung bestätigte meinen Verdacht.
Eine etwa zwei mal zwei Meter große Abdeckkonstruktion konnte ich ermitteln. Mit einem Stock stocherte ich durch das Abdeckgebilde; kein Grund.
Ich ging um die Fallgrube herum, welche mit Sicherheit von Jägern errichtet worden war, um mir den Abwärtsweg näher anzusehen. Ich war im Begriff meinen Rucksack zu holen, da hörte ich ein Motorengeräusch. Es kam vom Bergbach.
Suchte man doch nach mir?
Ich blieb stehen und lauschte. Plötzlich Ruhe.
Was tun?
Unvermittelt tauchte ein Mann auf. Als er mich sah, brachte er sofort sein Gewehr in Anschlag.
„Was suchst du hier?", fragte er rechthaberisch. Er sah absolut nicht vertrauenserweckend aus.
„Ich bin auf Trekking-Tour", gab ich ohne langes Zögern zurück.
„Zieh deine Jacke aus und wirf sie hierüber!"
Ich zögerte.
„Die brauche ich aber."
Er kam mir ein paar Schritte entgegen und fuchtelte mit seinem Gewehr.
„Ich schieße, wenn du die Jacke nicht freiwillig hergibst."
Da schoss mir ein verwegener Gedanke durch den Kopf. Ich musste ihn zur Grube locken, in der Hoffnung, dass er sich hier nicht auskannte. Ich zog langsam meinen Anorak aus und legte ihn zögerlich ca. einen halben Meter auf die Grube.
„Zurück!", befahl er.
Ich ging zwei, drei Schritte zurück. Er kam wie ein gieriges Tier Richtung Grube, um sich meine Jacke zu holen.
Mein Plan funktionierte. Prompt stapfte er auf die Abdeckung.
Ein Schrei.
Er fiel in die Grube, die recht tief schien. Sein Gewehr flog seitlich weg. Sofort hob ich es auf und beförderte es in die seitlichen Büsche.
Mein Anorak lag noch obenauf.
Was jetzt tun? Ihm helfen, aus der Grube zu kommen? Nein. Er jammerte. Er würde mir nicht wohlgesonnen sein.
Ich zog meinen Anorak wieder an, nahm meinen Rucksack und stapfte Richtung Bergbach. Der Pfad war nicht lang aber recht steil.
Der Bergbach war unten weniger reißend und wesentlich flacher. Ein Schlauchboot mit Außenbordmotor lag angebunden in einer kleinen Nische. Die Nische war nicht naturgegeben. Irgendwer hatte hier nachgearbeitet. Er musste schon ortskundig gewesen sein. Vermutlich war die Grube oben jüngeren Datums. Aber wo war der Aushub geblieben?
Ich schaute mir das Boot an. Der Zündschlüssel steckte im Zündschloss. Erfahrung mit Booten dieser Art hatte ich nicht. Wenn ich mit dem Boot wenigstens auf den Fluss käme, vielleicht würde man mich dort sehen.
Mit viel Unbehagen stieg ich in das Boot. Der Außenbordmotor, ein Yamaha, war hochgestellt. Ich drehte den Zündschlüssel und probierte