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Genug geredet!: Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans
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Genug geredet!: Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans
eBook265 Seiten3 Stunden

Genug geredet!: Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans

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Über dieses E-Book

Falsche Versprechungen und enttäuschte Hoffnungen: Was hält die Fans noch beim Profi-Fußball?

Nach dem Corona-Schock, der viele Klubs an den Rand der Pleite brachte, gab sich die Bundesliga geläutert. Nachhaltiger wollte man wirtschaften und die eigene weltfremde Blase verlassen. Nichts davon ist passiert. Während die Spielergehälter ein Rekordhoch erreicht haben, werden die Fans immer dreister abgezockt, hinter den Kulissen wird die weitere Hollywoodisierung des Fußballs vorbereitet.

Um das zu kaschieren, werden "Nachhaltigkeits-Strategien" propagiert, die jedoch die größten Umweltsünden ausklammern. Am Scheideweg steht damit auch die kritische Fanszene, die den Verbänden oft auf den Leim geht und längst Teil einer Inszenierung ist, die sie eigentlich ablehnt.

• In letzter Minute: Warum die wirkungsvollen Fanproteste gegen den Liga-Investor den Finger in die Wunde legten
• Nach Corona, nach der WM in Katar: Die Branche hat nichts verstanden.
• Immer höhere Spielergagen und Beraterprovisionen: Was in deutschen Fußballvereinen schiefläuft
• "Nachhaltigkeit": Wie Umwelt- und Sozialthemen als Feigenblatt herhalten müssen.

"Christoph Ruf hat noch nie im Verdacht gestanden, den Mächtigen nach dem Mund zu reden, und kennt sich in der bundesdeutschen Fanszene so gut aus wie kein anderer Reporter."
JAN CHRISTIAN MÜLLER, FRANKFURTER RUNDSCHAU

Wie moralisch ist der Fußball? Christoph Ruf über die Reformunfähigkeit des Profifußballs und Fans, die sich instrumentalisieren lassen.

Es ist noch nicht so lange her, dass sich die deutsche Fußball-Liga nachdenklich gab und radikale Veränderungen versprach. "Schneller, höher, weiter" sollte der Vergangenheit angehören, Wirtschaften mit Augenmaß war das Ziel. Doch umgesetzt wurde davon nichts – im Gegenteil. Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass der deutsche Fußball reformunfähig ist, ist er mit dem Buhlen um einen Liga-Investor, dessen Einstieg erst durch die anhaltenden und kreativen Fanproteste gestoppt werden konnte, endgültig erbracht. Zeit, die Konsequenzen zu ziehen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. März 2024
ISBN9783730706800
Genug geredet!: Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans

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    Buchvorschau

    Genug geredet! - Christoph Ruf

    KAPITEL 1

    DER BUNDESLIGA-FUSSBALL UND ICH – EINE ABRECHNUNG

    Der Fußball und ich, wir kennen uns schon lange, unser einst so inniges Verhältnis begann schon in Grundschulzeiten. Beim Autogrammesammeln, wenn mal wieder einer der großen Vereine in meine mittelbadische Heimat kam, um bei irgendeinem Dorfverein zweistellig zu gewinnen. Damals sprachen HSV-Spieler noch norddeutsch, die vom KSC hingegen badisch. Dass das heute nicht mehr so ist, ist mir völlig egal, arrogante Spieler gab es unabhängig vom Dialekt damals auch schon zuhauf. Auch die Behauptung, dass es im Fußball „nur noch um Geld geht, lockt mich nicht hinterm Ofen hervor. Das war damals auch schon so. Goldene Steaks gab es zwar noch nicht, dumme Spieler aber schon, die sogar stolz darauf zu sein schienen, dass sie gerade ihren Porsche gegen einen Baum gefahren hatten. Auch das Gerede von den „Werten und der „Vorbildfunktion" des Fußballs habe ich schon immer für eine alberne Schutzbehauptung gehalten. Ich glaube also, von mir sagen zu können, dass ich den Fußball nie überhöht habe.

    Und doch ist in den vergangenen Jahren zu viel vorgefallen zwischen dem Fußball und mir, als dass ich mir noch unbefangen ein Bundesligaspiel anschauen könnte. „Kommerzialisierung" ist ein großes Wort, und es ist ziemlich abstrakt. Konkret äußert sie sich so: 200 Euro, um mit den Kindern ein Spiel gegen Augsburg sehen zu können, 90 Euro fürs Fantrikot, fünf für die Cola. Und fünf Millionen für den Ersatzspieler. Fünf Decoder oder Abos, um Fußball im Fernsehen anschauen zu können. Rund um die Uhr natürlich, denn ein Spieltag streckt sich heute von der ersten bis zur dritten Liga auf drei Tage – und 16 verschiedene Anstoßzeiten.

    Dabei ist das alles viel Lärm um nichts, denn eigentlich ist die ganze laut beworbene Angelegenheit meist stinklangweilig: Die Topklubs haben den 20-fachen Etat der „Kleinen in der Liga. Und trotzdem wird allerorten so getan, als würden jeden Sommer die Karten neu gemischt. Erinnert mich an den Cartoon mit dem Lehrer, der einem Affen und einem Elefanten die Prüfung abnimmt: „Im Sinne eines fairen Wettbewerbes kriegt ihr dieselbe Aufgabe: Klettert auf diesen Baum! Welch Wunder: Meister werden immer die Bayern.

    Derweil steigen die Gehälter immer weiter, nicht nur die der wenigen Superstars. Man kann davon ausgehen, dass jeder Durchschnittskicker, jede Nummer 15 im Kader, weit über eine Million Euro verdient, bei manchen Vereinen auch das Fünf- oder Zehnfache. Das ist nicht meine Liga. Calcio parlato? Geschichten, die der Fußball schreibt? Die Pest. Mich nervt das stundenlange Gequatsche über wechselwillige Stars, das wochenlange Theater um Harry Kane (Kommt er? Kommt er nicht?) – all das ödet mich fast so an wie der unsägliche Videobeweis.

    Weit besser als in den hochmodernen Arenen am Autobahnkreuz gefällt es mir bei den alten Traditionsvereinen in ihren (mit Glück) uralten Stadien. In der dritten Liga und in den Regional- und Oberligen gefällt es mir besser, und auch so manchen Zweitliga-Ground lasse ich mir durchaus für ein nettes Wochenende gefallen. Traditionsvereine und ihre Stadien strahlen etwas aus, das ein RB-Fan nie vermissen und nie verstehen wird, etwas, das sich dem Turbokapitalismus, vulgo „Kommerz", entzieht.

    Es gibt allerdings ein Problem an dieser Feststellung: Der nette Regionalligist mit den coolen Leuten auf der Geschäftsstelle wird nach dem Aufstieg auch mit ein paar Leuten von der Uni aufgestockt, die vom Lieblingsverein der Fans als „Marke" reden. Und ein, zwei weitere Aufstiege später ist der gemütliche Traditionsverein nicht mehr wiederzuerkennen.

    Ich gebe es zu, ich kriege manchmal schlechte Laune, wenn ich an den Profifußball denke. Und ich kann ziemlich genau sagen, ab wann meine kritische Distanz zur Maximaldistanz wurde. Das war während Corona, als er sich aufgeführt hat wie einst Königin Marie-Antoinette in ihren besten Tagen vor der Französischen Revolution. Kuchen wollte er essen, jeden Tag und ohne Pause. Und es war ihm völlig egal, was für den Rest auf der Speisekarte stand. Er wollte unbedingt weiterspielen, auch ohne Fans, die ja Ausgangssperre hatten – und andere Sorgen. Zumindest dann, wenn sie Angehörige auf der Intensivstation hatten oder nicht wussten, wer jetzt die Kinder betreuen soll, deren Kita schließen musste. Aber, es stimmt ja, der Profizirkus musste auch wirklich weiterspielen. Denn wenn der Spielbetrieb geruht hätte, wären die meisten Vereine in ein paar Wochen pleite gewesen. Ganz einfach, weil sie keine Fernsehgelder mehr bekommen hätten, mit denen sie die absurd hohen Spielergehälter und die daran gekoppelten Beraterprovisionen gegenfinanzieren hätten können.

    Aber ich vereinfache. Der Profifußball hat sich ja der Debatte gestellt – sagt er. Das mit der gesellschaftlichen Verantwortung, das hätten natürlich auch die Spieler verstanden, war allerorten zu hören. Weshalb sie oft sogar einem Gehaltsverzicht von fünf bis 15 Prozent zugestimmt hätten. Fürwahr ein existenzieller Einschnitt bei den branchenüblichen Gehältern, aber natürlich sickerte durch, dass der Gehaltsverzicht bei den meisten Vereinen eine Gehaltsstundung war, die fehlenden Hunderttausende sind also längst wieder auf den Konten der Spieler. Immerhin eine Stellungnahme gab es, die man als Hoffnungsschimmer interpretieren konnte. Verfasst hat sie der Mannschaftsrat einer Bundesliga-Mannschaft, um zu erklären, warum zwar die über zwei Millionen Freizeitkicker die Coronaregeln beachten und die Schulen geschlossen bleiben sollten, warum es aber ausgerechnet im Profifußball übergeordnete Gründe gebe, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten:

    „Meine Mitspieler und ich sind besorgt um unser Land und auch unsere Branche, las man. „Also reduzieren wir für mindestens die nächsten drei Monate unser Gehalt auf das eines Krankenpflegers, des wahren Leistungsträgers unserer Gesellschaft. Wir wollen zwar bald wieder spielen, damit unser Verein, aber auch der gesamte deutsche Fußball überleben und die Leute ein bisschen Abwechslung haben. Außerdem fehlt uns das Fußballspielen so sehr. Aber weil wir wissen, dass unser Job nicht nur, aber vor allem in Corona-Zeiten einem Privileg gleichkommt, wollen wir eine Gegenleistung erbringen. Und wir geben gern, weil wir sehr viel haben.

    Sind Ihnen jetzt auch gerade Tränen der Rührung gekommen? Sie können sie wieder abwischen, denn natürlich stammt das Schreiben nicht aus der Branche, sondern von meinem ZEIT-Kollegen Oliver Fritsch, der mal laut darüber nachgedacht hat, wie die Kicker-Zunft in der Corona-Pandemie auch hätte argumentieren können.

    Wobei, dass der Fußball durchgekommen ist mit seiner Heuchelei, das darf man ihm eigentlich gar nicht verübeln. Jeder ist sich selbst der Nächste, das lernt bei uns jedes Kind schon früh. Auch dass die Branche Millionen scheffelt und sich vom Steuerzahler ihre Stadien, Anfahrtswege und Polizeieinsätze finanzieren lässt, muss man eher der Politik übel nehmen, die ihr das ermöglicht. Kennt noch jemand den einstigen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans? Der hat mal in einem hellen Moment erklärt, warum das alles so läuft: „Die großen, namhaften Bundesligavereine haben immer den Staat auf ihrer Seite. (…) Wenn es um Fußball geht, tun sich alle Parlamentarier schwer, klare Kante zu zeigen. Beim Fußball gibt es keine Parteigrenzen."

    Es ist, wie es ist. Der Profifußball ist mir gleichgültig geworden. Privat gehe ich schon seit Jahren lieber in die Regional- oder Oberliga, wenn ich Fußball schauen will. Da kommt die Wurst manchmal noch vom Metzger vor Ort. Und es gibt – echt abgefahren – noch Einwechslungen und Eckbälle, die nicht vorher in unglaublichen Dezibelzahlen vom Baumarkt „präsentiert" werden. Und was das Schönste ist: Es gibt keinen Videobeweis, diese Erfindung aus der Hölle. Tor ist Tor. Und Grund für spontanen Ärger. Oder spontane Freude. Aber selbst die gönnt uns die erste Liga nicht mehr. Während 57 Experten in 58 Videoauflösungen herauszufinden versuchen, ob 59 Sekunden vor dem vermeintlichen Tor auf Höhe der Mittellinie ein Foul vorlag, ergründen andere, ob der Flankengeber beim vorletzten Pass nicht vielleicht doch mit dem linken Schnürsenkel im Abseits stand.

    Der ganze Unsinn sorgt zwar nur in 30 Prozent aller Fälle für richtigere Entscheidungen auf dem Platz, versaut dafür aber jedes Stadionerlebnis gründlich, wenn mal wieder fünf Minuten lang gecheckt wird, ob die Schuhspitze des Angreifers denn nun zwei Millimeter im Abseits war. Nie hätte ich geglaubt, dass „kalibrierte Linie" mal ein Begriff aus der Fußballwelt werden würde. Für den Zuschauer vor dem Fernseher mag eine solch skrupulöse Wahrheitsfindung eine praktische Sache sein. Man kann in der Zeit schließlich auf Toilette gehen, ein neues Bier holen und bei der Mutter anrufen, wie es ihr so geht, und kommt immer noch rechtzeitig zur Entscheidungsfindung zurück. Der Stadionbesucher hingegen hat in der Zwischenzeit komplett die Nerven verloren. Aber um den geht es ja schon lange nicht mehr.

    Kurzum: Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob es angesichts des Klimawandels so clever ist, die Atomkraftwerke stillzulegen. Aber den Profifußball, den sollte man ganz sicher stilllegen. Damit er endlich einmal aufhört, nur um sich selbst zu kreisen.

    Ab aufs Zimmer, ein bisschen über sich und das normale Leben nachdenken. Und wenn ihm etwas aufgefallen ist, kommt er wieder runter. Und dann schauen wir, ob er endlich zur Vernunft gekommen ist. Aber nach Lage der Dinge wird er oben im Zimmer nicht nachdenken, sondern die nächsten Geschäfte mit dem Dealer anberaumen, der ihm das liefert, was ihn am Leben hält: Geld.

    DER „MODERNE" FUSSBALL – EIN ERFOLGSMODELL, DAS ANGEBLICH KEINER MAG

    Fußball boomt, und zwar als „moderner" Fußball, wie ihn viele für den einzig möglichen halten. Aber auch als klassischer Zuschauersport erlebt er einen Höhenflug. Zumindest gilt das für die oberen Ligen, ganz besonders die ersten beiden. Von München bis Hamburg sind die Stadien bei Heimspielen voll, meist sogar ausverkauft. Und auch zu den Klubs im Schatten der ganz Großen kommen weit mehr Menschen als noch vor zehn, 20 Jahren. Auch das gilt von Unterhaching bis Lübeck.

    Bei den Auswärtsspielen ist ebenfalls ein regelrechter Boom zu erkennen. Es ist noch gar nicht lange her, da konnte man sich als Fan eines Erst- oder Zweitligisten – es sei denn, man hielt es mit Dortmund, Gladbach, Schalke, den Bayern, dem Club oder der Frankfurter Eintracht – am Spieltag bequem am Ort des jeweiligen Auswärtsspiels ein Ticket für den Gästeblock kaufen. Diese Zeiten sind lange vorbei, Vereine wie der HSV, Hertha, Bremen oder Stuttgart melden längst innerhalb weniger Stunden bei Spielen an den entlegensten Spielorten ausverkaufte Gästekurven.

    Doch wichtig, und das ist eine der traurigsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre, sind die Stadionbesucher eigentlich nicht mehr. Sie machen nur noch ein Fünftel bis ein Viertel des Umsatzes aus, maximal.

    Auch die Machtzentren des Fußballs liegen andernorts als noch vor 20 Jahren. Europa und Südamerika als über Jahrzehnte unangefochtene Platzhirsche des Fußballs und der Fankultur – ja, liebe Kinder, beides gehörte einmal zusammen – haben mächtige Konkurrenten bekommen. Die USA, vor allem aber der arabische Raum sind die Boomregionen der Gegenwart. Und die der Zukunft. Das ist der Grund, warum die WM 2034 nach Saudi-Arabien vergeben wird. Das ist der Grund, warum die DFL geradezu panisch ihre Auslandsvermarktung ankurbeln will. Und das ist der Grund, warum immer mehr Menschen an der Basis der Klubs den Eindruck haben, dass es um sie nicht mehr geht. Ein Eindruck, der vollkommen zutreffend ist.

    Brutaler als während der Pandemie hätte man das den Fußballfans hierzulande nicht veranschaulichen können. Der Fußball spielte weiter, vor leeren Rängen. Die Zuschauer blieben draußen. Es war Sonderspielbetrieb. Ob es eine Option hätte sein können, die Spiele einfach auszusetzen und darauf zu drängen, dass die Spieler ein paar Wochen oder Monate zumindest auf einen Großteil ihres Gehaltes verzichten, wurde nicht einmal diskutiert.

    Das Rad der Kommerzialisierung hat sich nach der Pandemie munter weitergedreht, wer dachte, dass die Branche durch den Corona-Schock reumütig werden könnte, sah sich schnell getäuscht. Und leider sahen sich auch die getäuscht, die davon ausgegangen waren, dass dem Fußball nach Corona ein Großteil der Fans abhandenkommen würde. Alle sind wieder im Stadion, auch und gerade die Ultraszenen, an deren Rändern sich allerdings ein Frust breitmacht, der unter anderem mit den Corona-Erfahrungen und dem Verhalten der Klubs zu tun hat. Einfach wegzubleiben schaffen aber auch die Ultras nicht. Stattdessen tragen sie – obwohl sie das ganz sicher nicht wollen – zum weltweiten Boom des Fußballzirkus bei.

    Wenn die Ablösesummen derart explodiert sind, liegt das also auch an Angebot und Nachfrage: Immer mehr Menschen in immer mehr Ländern schauen Fußball. Und da es in allen Ländern Menschen gibt, die von sich behaupten, sie hätten Fußball gesehen, wenn sie den Fernseher anmachen, explodieren die Einnahmen aus der Vermarktung der Fernsehrechte entsprechend. In der Bundesliga stiegen sie laut einer Auswertung der Unternehmensberatung Deloitte zwischen der Saison 2014/15 und der Saison 2020/21 von 731 Millionen auf 1,659 Milliarden Euro. Noch beliebter ist die Premier League: Der Auswertung zufolge verdienten deren Vereine im Jahr 2020/21 allein mit den Fernsehrechten rund 3,8 Milliarden Euro.

    Kann man den Managern der deutschen Profivereine, die nach immer mehr Geld rufen, da verdenken, dass ihnen bei den Summen, die in Saudi-Arabien oder der Premier League umgesetzt werden, das Wasser im Munde zusammenläuft und sie feuchte Hände bekommen? Vielleicht nicht. Was man ihnen aber ganz sicher vorwerfen kann, ist, dass sie so tun, als interessiere sie etwas anderes als das große Geld. Heuchelei gehört nicht zu den sieben in der Bibel aufgezählten Todsünden. Dabei ist sie eine der fiesesten Plagen unserer Zeit. Nicht zuletzt im Fußball.

    Allerdings haben die Fans ganz offensichtlich ein genauso schlechtes Kurzzeitgedächtnis wie die Branchenbosse. Sie machen die Stadien voll, kaufen Fanartikel und Decoder und halten so das Rad am Laufen. Nur wenige Monate nach dem endgültigen Ende des Lockdowns herrschte in der Branche schon wieder business as usual. Auf den Geschäftsstellen. Und in den Fankurven auch.

    KAPITEL 2

    CORONA – AUGENÖFFNER FÜR EINE BRANCHE, DIE NICHTS SEHEN WILL

    Wahrscheinlich ist es nur menschlich, dass man Unangenehmes schnell vergisst. Zumal, wenn es um eine Pandemie geht, die allen viel abverlangt hat. Auch denen, in deren Familien keine Todesopfer oder Long-Covid-Fälle zu beklagen waren.

    Aber ganz vergessen ist die Corona-Zeit nicht: die Bilder aus Bergamo, wo allein im März 2020 fast 700 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion starben; die Bilder aus den USA oder von deutschen Intensivstationen in den überlasteten, kaputtgesparten Kliniken, wo schlecht bezahlte Pflegerinnen und Pfleger bis zur völligen Erschöpfung schufteten; und die Erinnerungen an Wochen und Monate, als das Privatleben keines mehr war – keine Umarmung für die kranke Angehörige, kein Kneipentreffen mit den Kumpels, keine gemeinsame Feier mit dem besten Freund. Nein, eigentlich hat man all das doch nicht vergessen. Es ging damals um Existenzielles. Fußball ist vieles. Aber definitiv nicht existenziell.

    Was später zur Gewissheit werden sollte – dass die Branche weder Corona noch seine Folgen auch nur ansatzweise begreifen würde –, war allerdings schon während jener Zeit zu spüren. Denn im Innenleben der Vereine bildete sich die Pandemie nur sehr bedingt ab. Draußen ging es im privaten Gespräch um erkrankte Freunde (die meistens, aber leider nicht immer leichte Verläufe hatten) und um die Angst vor einer Infektion. Wem das Schicksal im Freundes- und Familienkreis viele Menschen in sozialen Berufen bescherte, kam vom Thema nicht mehr los. Egal ob Kita, Schule oder Krankenhaus, ob Erzieher, Lehrerin oder Intensivpfleger: Corona erforderte die volle Aufmerksamkeit.

    In diesen Tagen haben übrigens viele ganz normale Menschen (also solche, die eine Fankurve nur vom Fernsehen kennen) erstmals ein positives Bild von Fußballfans bekommen. Denn die aktiven Fans und die Ultras verstanden fast flächendeckend, was die Stunde geschlagen hatte: Sie hängten Dankesplakate an Supermärkte und Transparente vor Krankenhäuser, sie halfen ehrenamtlich dort, wo sie gebraucht wurden. Und das fiel vielen von ihnen auch gar nicht schwer – die Zahl der jüngeren Fußballfans, die in pädagogischen oder sozialen Berufen arbeitet, dürfte überproportional hoch sein. Draußen, im echten Leben, bestimmte Corona also massiv den Alltag.

    Drinnen, inside Fußball-Bundesliga, war Corona hingegen bloß dieses Ärgernis, das den geregelten Fortgang der Abläufe störte. Es ging um die Aufrechterhaltung eines verdammt kostspieligen Apparats. Und die vage Ahnung, dass da draußen doch irgendetwas passierte, das jetzt sehr ungelegen kam. Also verlegte man seine ganze Energie darauf, dafür zu sorgen, dass das Rad sich weiterdrehen konnte.

    Und das aus einem ganz einfachen Grund, der heute wie damals gilt: Die Klubs hingen und hängen schlicht und einfach am Tropf der TV-Sender und Streamingdienste, an deren stetig steigende Überweisungen sich erstaunlich viele Vereine offenbar so gewöhnt hatten, dass sie keine Rücklagen aufgebaut hatten – nicht einmal solche, die für ein paar Wochen ausgereicht hätten. TV-Erlöse machen zusammen mit Sponsorengeldern bereits gut 60 Prozent der Einnahmen aus. Hätten die Profiligen für sich keine Ausnahmeregelungen von den Regeln im Rest der Gesellschaft herbeigeführt, hätten die Vereine rund 300 Millionen Euro an TV-Übertragungsgeldern zurückzahlen müssen. Warum die Branche unbedingt weiterspielen musste, und sei es ohne Zuschauer, hatte in Wirklichkeit also nur einen einzigen Grund: Das wirtschaftliche Wohl und Wehe hing für die Vereine davon ab, ob die TV-Sender und Streamingplattformen, die ja aus gutem Grund „Rechteinhaber" heißen, die Tranche von 300 Millionen Euro überweisen würden. Oder eben nicht, weil es in Ermangelung von Spielen nichts zu übertragen gab.

    Als der Ball dann wieder rollte, zahlten auch die Inhaber der Fernsehrechte, allen voran Sky und der Streamingdienst DAZN. Von denen ist die Bundesliga abhängig wie nie zuvor. Allein in der Amtszeit des langjährigen DFL-Geschäftsführers Christian Seifert, also in den vergangenen 15 Jahren, vervierfachten sich die Fernseheinnahmen von 400 Millionen Euro auf gut 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Es wäre spannend zu sehen, in welchen Arbeitsverträgen eine Umsatzbeteiligung festgeschrieben ist. Doch die unterliegen natürlich aus gutem Grund dem Datenschutz. Was nur insofern bedauerlich ist, als Menschen, die auch persönlich vom Wachstumskurs profitieren, natürlich wenig Interesse daran

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