Kurven-Rebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene
Von Christoph Ruf
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Buchvorschau
Kurven-Rebellen - Christoph Ruf
…
„EINE COOLE GEMEINSCHAFT LEBEN"
DIE VERSCHLUNGENEN WEGE VON DEUTSCHLANDS ERFOLGREICHSTER JUGENDKULTUR
Die Ultra-Bewegung umweht die Aura des Neuen. Das mag lächerlich klingen. Zumindest für Ultras. Schließlich haben hierzulande die ersten Gruppen bereits ihr 15-jähriges Bestehen gefeiert. Und dennoch könnte die Mehrheit der Fußballinteressierten wohl nicht so genau erklären, was es mit diesen merkwürdigen Ultras auf sich hat. Sind es besonders fanatische Fans? Sind es moderne Hooligans, skrupellose Fußballschläger? Das glauben vor allem viele Menschen, die lange nicht mehr im Stadion waren. „Ultra" klingt jedenfalls extrem, verrucht, vielleicht sogar ein bisschen gefährlich. Und das soll es vielleicht auch
Mitte der Neunziger fanden die ersten jungen Fußballfans zusammen, denen die eingefahrenen Rituale in den Kurven zu langweilig geworden waren. Zwar hatten sich mancherorts bereits Ende der Achtziger kritische Fanszenen gebildet, die zum Teil spektakulär gut gemachte Fanzines herausgaben und mit dem Bild des tumben Fußballfans gründlich aufräumten. Doch sie waren meist allenfalls das intellektuelle Aushängeschild einer Kurve, die sie meist nur partiell erreichte. Deren stimmgewaltige Mitte waren fast überall die Kutten-Fans, deren einprägsamste Vertreter eine mit Aufnähern übersäte Jeansjacke, Trikot und Schal trugen – die Unerschrockeneren unter ihnen banden sich auch gerne einmal deren fünf um ein einziges Handgelenk. So oder so ging man gemeinsam ins Stadion, trank ein paar Pils – und wartete auf das nächste Auswärtsspiel. Fußball war etwas, das sich am Wochenende abspielte. Und nur am Wochenende. Es sei denn, der Kassenwart des Fanklubs war mit den Einnahmen der Tombola durchgebrannt, und es stand eine Nachwahl an. Dann gab es eine Sondersitzung neben der regulären Weihnachtsfeier.
Mitte, spätestens Ende der neunziger Jahre traten dann die Ultras auf den Plan. Den meist sehr jungen Fußballfans reichte es nicht mehr, zweimal pro Saison zu fordern, ihr Team möge den Bayern doch bitte die Lederhosen ausziehen und „Cologne auf „Scheiße vom Dom
zu reimen. Von der Tristesse bei den Spielen ihrer Lieblingsvereine hatten sie gründlich die Nase voll. Die Nachwuchsfans blickten sehnsüchtig nach Italien. Dorthin, wo die Fans seit den frühen sechziger Jahren eine ganz andere Kultur praktizierten als ihre Kollegen in Nord- und Mitteleuropa. Jenseits der Alpen, in Italien, so hörte man damals, hatte sich eine andere, eine farbenfrohere, kreativere und originellere Fankultur entwickelt.
An spielfreien Wochenenden machten sich also per Auto oder Zug Fans aus allen Teilen der Republik nach Rom, Parma oder Genua auf, um in den dortigen Fankurven auf Bildungsreise zu gehen. Für sie wurde Italien das gelobte Land der Fußballkultur. Und sie sahen schon kurz darauf keinen einzigen Grund mehr, warum das, was jenseits der Alpen so gut funktionierte, in Deutschland nicht möglich sein sollte.
Prompt machten sie sich ans Werk. Fleißig und detailversessen, wie Ultras nun mal sind. Statt sich zu Weihnachten das neue Trikot aus dem Fanshop zu wünschen, gestalteten sie ihr eigenes Merchandising. Statt Unterschriftenlisten auszulegen, schrieben sie Transparente. Und sie nutzten alle Kommunikationsformen, die das Internet ihnen bot. Die Anfangstage der Ultra-Bewegung schildern die Angehörigen der „ersten Generation" als inspirierende und inspirierte Zeit. Man diskutierte viel, probierte noch mehr aus und tat das, was Jugendliche eben richtigerweise tun, wenn sie finden, dass das Leben zu kurz ist, um es ausschließlich vor verschieden großen Bildschirmen in abgedunkelten Räumen zu verbringen. Sie trafen sich mit Gleichgesinnten, aus denen nicht selten Freunde wurden. Sie redeten, feierten und tranken zusammen – und sie gingen zum Fußball.
Auch in den deutschen Ligen tauchten nun Doppelstockhalter und Transparente auf, die Fangesänge wurden zentral von einem Menschen gesteuert, der sich Vorsänger nannte. Die ersten Choreografien wurden gezeigt, wochen- und monatelang werden die geplant, was selbst den größten Ultra-Kritikern in den Vereinen Respekt abnötigt. Auch Bengalos, leuchtende Fackeln, sah man wieder verstärkt in den Fankurven. Neu waren die allerdings nicht, das wird heute gerne einmal vergessen. Der Bieberer Berg in Offenbach und der „Betze in Kaiserslautern verdanken ihren im Rückblick immer legendärer werdenden Charme nicht zuletzt der Tatsache, dass die Fans dort an Abendspielen munter Fackel um Fackel anzündeten und damit Bilder lieferten, mit denen Fernsehsender und Stadionzeitungen nur zu gerne arbeiteten. Pyros waren damals nicht nur nicht geächtet, sie waren vom offiziellen Fußball geachtet. Und das lange, lange, bevor das Wort „Ultra
zu einem feststehenden Begriff der Fußballsprache wurde wie „Ball oder „Abseits
.
Für die meisten Ultras ist zudem die „Zaunfahne, hinter der sie sich im Stadion versammeln, ein Fetisch. Kommt die Textilie zu Schaden, ist das die denkbar größte Schande für eine Gruppierung. Als Kölner Ultras die Zaunfahne der rivalisierenden Gladbacher stahlen, löste sich „Ultras Mönchengladbach
auf. Sie hatten zugelassen, dass ihre Standesehre beschmutzt wurde.
Wem das alles ein wenig verrückt vorkommt, der hat gute Argumente auf seiner Seite. Aber auch die Riten von Gruftis, Burschenschaftern oder Karnevalisten wirken auf Außenstehende hochgradig autistisch. Wer in eine Subkultur eintaucht, verliert eben manchmal den Kontakt zum Leben oberhalb der Subkultur. Erschreckend viele Ultras geben zu, dass sie kaum noch Freunde außerhalb von Fußballzusammenhängen haben.
Am Fan-Dasein änderte sich weit mehr als nur Äußerlichkeiten. Mit dem Aufkommen der Ultras wurde es zur Vollzeitbeschäftigung, Fan eines Fußballvereins zu sein. In vielen Gruppenräumen stehen Tischkicker, Tischtennisplatten und Billardtische, es gibt einen Tresen – kurzum: Alles das, was die Jugendzentren oft aus Finanzmangel kaum noch bieten können, organisieren (und finanzieren) die Ultras selbst. Ins Jugendzentrum gehen sie natürlich schon lange nicht mehr. Warum auch, wenn sie in ihrer Ultra-Gruppe unter Gleichgesinnten sind. Und damit Teil eines kompletten Lebensentwurfes, der auch alltägliche Hilfestellungen beinhaltet, Ältere helfen Jüngeren bei den Hausaufgaben, alle sich wechselseitig beim Umzug. Mindestens einmal wöchentlich trifft sich jede Gruppe, an den anderen Tagen werden Choreografien gebastelt, für Ultras ist jedes Pflichtspiel ihres Vereins auch ein Pflichtspiel für sie selbst. Manch einer bleibt im Sommer zu Hause, weil ein Großteil des Jahresurlaubs für die Auswärtsspiele an Freitagen und Donnerstagen draufgegangen ist. Dass Ultras gegen die Zersplitterung der Spieltage kämpfen, ist also nur logisch. Weil sie so unendlich viel für ihre Leidenschaft tun, entsteht andererseits ein manchmal ungesundes Selbstbewusstsein: Manche Ultra-Fürsten stolzieren so demonstrativ durch den Block, als wären sie kurz davor, Autogrammkarten von sich drucken zu lassen. Überhaupt sind Ultras Meister der Selbstinszenierung: Wer einmal erlebt hat, wie sich hunderte Fans, die Sekunden zuvor hochkonzentriert ihre Lieder abgesungen haben, mit dem Schlusspfiff, also quasi auf Knopfdruck, in die wildesten Erregungszustände beamen können, brüllen, Fäuste schütteln und an Zäunen rütteln, weiß, was gemeint ist. Hinter dem Ultra-Dogma „Ihr für uns, wir für euch steckt also auch eine Circus-Maximus-Mentalität, die man sehr unsympathisch finden kann: Das Volk senkt den Daumen. Es fordert zwar nicht den Tod der Gladiatoren, zählt aber mit dem Metermaß nach, wie eng sich die Spieler mit angemessen gesenkten Köpfen den wütenden Massen genähert haben. „Ein saublödes Ritual
, sagt ein Erstliga-Spieler. „Wenn die wütend sind, kann man sich mit denen nicht unterhalten, es geht dann nur darum, sich beschimpfen zu lassen und mit gesenktem Kopf in der Kabine zu verschwinden."
Die Attraktivität der Ultra-Bewegung ist noch heute ungebrochen. Beobachter halten die Ultras für die größte jugendliche Subkultur dieser Tage – was allein schon mangels Alternativen stimmen dürfte. Teenager, die zum ersten Mal ohne ihren Papa ins Stadion gehen, zieht es bei Popkonzerten in die erste Reihe. Und im Stadion zu den Ultras. Dorthin, wo am meisten los ist. Um nicht allzu schnell zu wachsen, haben einige Ultra-Gruppierungen Aufnahmesperren verhängt. Wer zum harten Kern der Gruppe gehören will, muss sich vorher bewähren. In manchen Gruppen durch Sozialverträglichkeit, in anderen durch Frondienste: Der Nachwuchs einer großen Ultra-Gruppe wird bei Auswärtsspielen in den Block geschickt, um dort erst mal alle Aufkleber abzukratzen, die von Gruppen anderer Vereine in den Monaten zuvor verklebt wurden. Bei gewaltaffineren Gruppen stehen Mutproben auf dem Programm: Erbeutete gegnerische Schals dienen dann beispielsweise als Skalp. So oder so: Neulinge haben sich einzufügen in das, was die Gruppe als ihre „Identität" ausmacht. Die wird mal von den Altvorderen vorgegeben, mal basisdemokratisch ermittelt, in jedem Fall aber ist sie bindender als der Fraktionszwang im Berliner Reichstag.
Als Gründungsmythos der Ultra-Bewegung gilt das sogenannte Ultra-Manifest, das Fans des AS Rom vor Jahrzehnten verfasst haben und das in sechs Geboten („Ultras sollen …) gipfelt. Ohne falsche Scheu vor Pathos gelobte die Szene damals in den Neunzigern, nicht nur jedes Spiel ihres Teams zu sehen („unbedingt Präsenz zeigen
) und keinesfalls mit Vereinsvertretern oder der Presse zu kooperieren. Und natürlich schon gar nicht mit der Polizei, dem Feindbild Nummer eins eines jedes anständigen Ultras. Es gehe darum, „sich nicht von den Autoritäten unterdrücken zu lassen und die „Ware TV-Fußball
zu sabotieren, hieß es im „Manifest" angemessen dramatisch.
Die Bedeutung des Ultra-Manifests für die deutschen Ultras hat im Laufe der Jahre deutlich nachgelassen, viele Gruppen lächeln heute eher darüber. Nichtsdestoweniger enthält es – in überzeichneter Form – einige unverrückbare Elemente der Ultra-Kultur. Der DFB-Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Lefert berichtete jüngst im kleinen Kreis von einem Gespräch mit einem Kopf der deutschen Ultra-Bewegung. Es sei ein gutes Gespräch gewesen, das allerdings in einem bestimmten Moment an einen Scheidepunkt geraten sei. „Der hat mir glatt ins Gesicht gesagt, dass für ihn das Ultra-Manifest verbindlicher ist als das Grundgesetz." Große Lefert war schockiert.
Das Label „Ultra beschreibt allenfalls den kleinsten gemeinsamen Nenner der Bewegung. „DIE Ultras gibt es nicht
, war wohl der am meisten gehörte Satz bei der Recherche. Was keinen, der ihn sagt, davon abhält, ein paar Gemeinsamkeiten zu formulieren, die zumindest hierzulande alle Ultras einen. „Es gibt da allenfalls einen Grundtenor, meint auch Fabian aus Fürth. „Man möchte sich, seine Gruppe und seine Städte bestmöglich nach außen hin repräsentieren und zusammen mit seinen Freunden eine coole Gemeinschaft leben.
Der Gemeinschaftsgedanke eint auch die Gruppen, die – wie in Gelsenkirchen oder Frankfurt – 800 bis 1.200 Mitglieder umfassen. Selbst in facebook-Kategorien gemessen, sind das zu viele Personen, als dass man mit allen befreundet sein könnte. Doch die Gruppen setzen sich in der Regel aus einem harten Kern zusammen – meist sind es die Mitglieder, die am längsten dabei sind – und einem Unterstützerkreis, den man erst mal beobachtet, bis man ihn in seine Mitte aufnimmt.
Unbequem, meint Fabian, wollten wohl alle Ultra-Gruppen sein. Doch darüber, was das bedeute, gingen die Meinungen stark auseinander: „Niedrige Eintrittspreise und fanfreundliche Anstoßzeiten wollen alle, aber schon bei den unterschiedlichen Support-Stilen enden die Gemeinsamkeiten."
Die zunehmende Kommerzialisierung des „Premium-Produktes Bundesliga (Eigenwerbung des Ligaverbandes DFL) stößt allerdings Fans in allen Stadionbereichen übel auf. Dass in manchem Stadion jeder Eckball von einem Sponsoren „präsentiert
wird, nervt längst nicht nur die Ultras. Doch sie sind es, die am heftigsten dagegen opponieren. Das schafft Solidarisierungseffekte bei älteren, bürgerlichen Fans, die das Gewese in der Kurve gerne einmal despektierlich als „Hüpfburg bezeichnen. Der Schlachtruf der Ultras – „Gegen den modernen Fußball
– fasst vieles zusammen, was auch andere Stadiongänger nervt. Pyrotechnik und die (streng reglementierte) Länge der Blockfahnen-Stäbe mögen dabei Ultraspecial-interest sein. Aber wer weiß, mit welcher Vehemenz Vereine wie Hoffenheim oder RB Leipzig in den Fanforen von Rostock bis Burghausen angefeindet werden – als vermeintliche Stellvertreter des modernen Fußballs, der meint, auch ohne gewachsene Fanbasis auskommen zu können – ahnt, wie stark Ultras auch als lautstärkste Gruppe im Stadion das artikulieren, was fast alle im Stadion denken. Mancher Vereinsvertreter würde sich wohl wundern, wie negativ das Bild des „offiziellen" Fußballs in den Stadien längst nicht nur bei den Ultras ist.
Michael Gabriel von der sozialpädagogisch orientierten Koordinierungsstelle der Fanprojekte kommt jedenfalls zu einem bedenklichen Urteil. Die Vereine hätten mehrheitlich keinen blassen Schimmer, wie die Fans in der Kurve ticken. „Sie müssen auf die Fans zugehen und sie so pflegen, wie sie das mit den Sponsoren tun", fordert er. Ultras schlügen schließlich auch deshalb über die Stränge, weil sie den Eindruck hätten, dass ihr Engagement und ihre Kreativität von den Vereinen nicht honoriert würden.
Das mit dem Aufeinander-Zugehen ist allerdings so eine Sache. Zwar erkennen immer mehr Ultras, dass sie sich selbst schaden, wenn sie ihre Sicht der Dinge nicht im Dialog vertreten. Doch die Front der Verweigerer ist immer noch groß. Für viele von ihnen ist „Ultra" vor allem Widerstand, jeder Kompromiss deshalb Verrat. Deshalb schotten sie sich ab wie Geheimlogen. Wer die Hardliner reden hört, stößt zuweilen auf ein schlichtes Weltbild, in dem Polizisten die prügelwütigen, sadistischen Schergen eines faschistoiden Überwachungsstaates sind – und Journalisten jedweder Couleur deren Hofberichterstatter, die, ohne zu recherchieren, Polizeiberichte abschreiben.
„Ultra, und das betonen wiederum alle in der Szene, bedeute weit mehr, als einfach nur Fan eines Vereins zu sein. Das Ganze sei ein Lebensstil, mit dem man Erfahrungen mache, die zwangsläufig auf alle gesellschaftlichen Bereiche Auswirkungen haben. Wer im Stadion keinen Schritt machen könne, ohne von einer Kamera gefilmt zu werden, müsse als Ultra auch gegen die Überwachungskameras auf dem Marktplatz sein. Begriffe und Codes wie „Autonomie
, „Widerstand oder das allgegenwärtige „ACAB
(„All cops are bastards") wabern durch den Raum, wenn Ultras über ihren Alltag reden.
Dementsprechend martialisch geben sich manche Teile der Szene. Schwarze Kleidung wird bevorzugt, auch Sonnenbrillen und Palästinensertücher sind beliebt. Die Mimikri, sagen die Ultras, soll die Identifizierung durch die Überwachungskameras der Polizei erschweren. Es komme schließlich vor, dass Ultras allein deswegen Stadionverbot bekommen, weil sie einen Sticker auf einen Wellenbrecher geklebt haben. Das Outfit dient aber auch der Selbstdarstellung als Bürgerschreck. Wenn Passanten beim Nahen eines Ultra-Pulks verschreckt die Straßenseite wechseln, fühlen sie sich bestätigt.
Ob Gewalt zur Ultra-Identität gehört, ist zwischen den Gruppen umstritten. Die erste Ultra-Generation hatte mit Schlägereien noch wenig am Hut. Zwischen ihnen und den Hooligans, den Fußball-Gewalttätern, gab es in den Anfangstagen kulturell keine Berührungspunkte. Das hat sich bei einem Teil der Ultras gründlich geändert. Prügeleien mit rivalisierenden Gruppen oder der Polizei gehören für diese Gruppen zum Spieltagsmenü. Mancherorts hat sich die Gewaltspirale auch schon bis zum Anschlag gedreht. In erschreckend vielen Städten berichten Ultras, dass sogenannte Hausbesuche in ihren Städten vorkommen: Anhänger der rivalisierenden Gruppen werden in deren Privatwohnung heimgesucht, dort bedroht oder gleich zusammengeschlagen. Doch die Hochzeit der „Hausbesuche" scheint Gott sei Dank vorbei zu sein.
Wohlgemerkt: Diese Gewaltexzesse sind Randerscheinungen einer Ultra-Kultur, die zwar fast in ihrer Gänze gewaltfasziniert ist, von der aber nur eine Minderheit selbst gewalttätig ist. Dass diese Feststellung im krassen Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung steht, hat tatsächlich auch mit manch grotesk überzeichnetem Fernsehbericht zu tun. Und damit, dass seit der Fußball-WM 2006 der Hype um den Fußball einfach nicht abklingen will.
Zu Hochzeiten des Hooliganismus in den achtziger und neunziger Jahren bevölkerten mancherorts mehrere hundert Gewalttäter die Stadien und gelangten zum Teil mit Messern und anderen Waffen auf die Tribünen. Nicht selten wurde mit Leuchtspurmunition in den gegnerischen Fanblock gezielt, Massenschlägereien waren an der Tagesordnung.
Früher war also nicht alles besser – im Gegenteil. Doch heute gelangt jede noch so kleine Schubserei ins Internet, tausendfach kommentiert und nicht selten von denjenigen gepostet, die sich nachher über die vermeintliche Hysterie aufregen. Auch Ultras filmen und fotografieren jede Minute ihres Daseins wie selbstverliebte Schauspieler, sie sind Kinder ihrer Zeit, Junkies des hyperventilierenden Internetzeitalters.
Und dennoch: Verglichen mit den achtziger und frühen neunziger Jahren, geht es beim Fußball heutzutage geradezu idyllisch zu – auch wenn das außerhalb der Fußballszene ganz anders wahrgenommen wird. Ultras stehen allerdings nicht nur gegenüber der kritischen Öffentlichkeit unter Rechtfertigungsdruck, sondern in vielen Städten auch gegenüber Teilen der Fanszene. Dabei haben die Ultras mit einem Hinweis recht: Als sie das Kommando in den Fankurven übernahmen, gab es weder Tote noch Verletzte: Junge, engagierte Leute stießen in das Vakuum, das dort entstanden war. Was sie vorhatten, beobachteten auch viele Ältere mit Wohlwollen. Denn Jungen wie Alten war klar, dass etwas Neues kommen musste, dass die traditionelle Fankultur in Langeweile erstarrt war und sich in immer mehr Stadien eine träge Masse dem Anpfiff entgegenlangweilte. Zugleich dienten die Fans auf den Rängen einer immer dreister werdenden Entertainment-Industrie mit Cheerleadern und Dauer-Werbejingles nur noch als Staffage („Und jetzt die Nordkurve …). Seit die Ultras auch zahlenmäßig zu einem wichtigen Machtfaktor geworden sind, überlegen sich die Marketingabteilungen der meisten Vereine ganz genau, was sie ihrem Publikum noch zumuten wollen. Denn sie ahnen, dass sie ihm nicht alles zumuten können. Die Ultras haben es ihnen beigebracht. Und spätestens seit der „12:12
-Kampagne, mit der die bundesdeutsche Ultra-Szene ihren Widerstand gegen ein von den Vereinen geplantes Sicherheitskonzept bündelte und damit auch in den Medien viel Wohlwollen erntete, werden Ultras auch als politische Akteure ernst genommen.
Auch mit ihrer Kommerzkritik haben die Ultras viele Forderungen der kritischen Fanszene übernommen und modernisiert, sie sprechen vieles aus, was den meisten im Stadion aus der Seele spricht. Und solange das so