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Ultras im Abseits?: Porträt einer verwegenen Fankultur
Ultras im Abseits?: Porträt einer verwegenen Fankultur
Ultras im Abseits?: Porträt einer verwegenen Fankultur
eBook439 Seiten5 Stunden

Ultras im Abseits?: Porträt einer verwegenen Fankultur

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Über dieses E-Book

Mit gewaltigen Choreografien und dem Einsatz von Pyrotechnik sorgen die "Ultras" unter den Fußballfans für besondere Stimmung auf den Rängen. Doch spätestens nach den Ausschreitungen im Herbst 2011 sind sie ins Gerede gekommen: Man wirft ihnen vor, dass die Grenzen zu Krawallmachern und Gewalttätern zuweilen fließend sind.
Dieses Buch unternimmt erstmals den Versuch, diese Form jugendlicher Subkultur von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Beiträge lieferten Ultra-Anhänger selbst, aber auch andere Fans und Fanprojekte, Journalisten und Wissenschaftler. Damit gelingt es, die Ultra-Szene differenziert abzubilden und zu einem besseren Verständnis beizutragen. Für alle, die sich über das Phänomen der Ultras informieren wollen, wird dieses Standardwerk unentbehrlich sein.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Juli 2012
ISBN9783895338489
Ultras im Abseits?: Porträt einer verwegenen Fankultur

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    Buchvorschau

    Ultras im Abseits? - Martin Thein

    Autoren

    Vorwort

    Immer häufiger scheint der deutsche Fußball am Abgrund zu stehen. Das Verhalten der Fans rückt deutschlandweit regelmäßig medial in den Mittelpunkt und zeichnet das Bild einer von Hass und Gewalt durchsetzten Fankultur. Manche Medien sahen im Herbst 2011 in den Vorfällen bei den zwei DFB-Pokalspielen in Dortmund und Frankfurt Ende Oktober sogar ein „Attentat auf den Fußball" (Frankfurter Allgemeine Zeitung) oder einen „Anschlag auf den Fußball" (STERN Online). Nach umfangreichem Pyrotechnik-Einsatz und einem im Freudentaumel begründeten verfrühten Platzsturm beim Relegationsspiel für die 1. Bundesliga zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC aus Berlin im Mai 2012 verstärkte sich die Hysterie nachhaltig. Die Abschaffung der Stehplätze steht seitdem genau so im Raum wie ein Alkoholverbot in den Zügen des öffentlichen Nahverkehrs im Vorfeld von Fußballspielen. Einen unrühmlichen Höhepunkt fand die Diskussion in einer bekannten Fernseh-Talkshow, in der von „Taliban der Fans gesprochen und Choreografien als „faschistoide Versammlungsrituale dargestellt wurden. Heben die deutschen Vereine und Verbände die Fans häufig aufgrund ihrer Kreativität und der tollen Stimmung hervor, werden Fußballanhänger bei öffentlichkeitswirksamen Ereignissen schnell als Gewalttäter gebrandmarkt.

    Die Darstellungen in der Öffentlichkeit vermittelten allgemein den Eindruck, dass Straftaten in und um Stadien nachhaltig gestiegen und die heutigen Fußballfans gewalttätiger als die früheren sind. Offizielle Verlautbarungen untermauerten dies: So berichtet die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS) für die Saison 2010/11 in der 1. und 2. Bundesliga von insgesamt 846 verletzten Personen, wobei Unfallopfer in dieser Zahl nicht enthalten sind. Nach Angaben der ZIS handelt es sich dabei um den Höchststand der vergangenen zwölf Jahre.

    Doch was löste diese vermeintliche Gewaltspirale aus? Gemeinhin werden die sogenannten Ultras für diese Entwicklung verantwortlich gemacht. Wer aber sind diese „Ultras", wo kommen sie her und welche Rolle spielen sie in der heutigen Fußballwelt? Wer sind diese sich von der Masse so unterscheidenden Fans, über die jeder spricht, die jedoch kaum einer zu kennen scheint?

    Betrachtet man die medialen Darstellungen oder fragt andere Stadionbesucher, so werden Ultras primär als Chaoten oder Gewalttäter klassifiziert und der Einsatz von Pyrotechnik wird mit Gewalt verwechselt. Vielen vorgenannten Beobachtern ist dabei jedoch oft gar nicht bewusst, dass es sich bei den Ultras um eine Form des Fanseins handelt, die mit keiner Fankultur der letzten Jahrzehnte zu vergleichen ist. Oftmals werden die Ultras mit den „Schlägern und „Hooligans der 1970er und 1980er Jahre gleichgesetzt und auf eine Differenzierung wird verzichtet. Für andere, meist jüngere Fußballfans sind Ultras zu Ikonen geworden, zu hippen Trendsettern und nachahmenswerten Rebellen der Kurve. Ob im Erscheinungsbild, den Aktionsformen oder der Einstellung, viele dieser Jugendlichen identifizieren sich immer öfter mit dem Lebensentwurf der Ultras, und das nicht nur beim Stadionbesuch.

    Die Debatte um Ultras zeigte jedoch eines ganz deutlich: Viele verehren sie, aber noch mehr lehnen sie kategorisch ab. Aber kaum jemand hat sich wirklich die Mühe gemacht, sich mit dieser Erscheinungsform ernsthaft und ausgewogen auseinanderzusetzen.

    Und so entschieden wir uns, dieses Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Es lag uns am Herzen, nicht nur etablierte Wissenschaftler einzuladen, sondern möglichst umfassende Ansichten zur Diskussion zu stellen. So konnten wir Journalisten, aktuelle und ehemalige Fußballfunktionäre, verschiedene Fanprojekte, Politiker, Nachwuchswissenschaftler, Vertreter der Polizei und natürlich einige Ultras selbst für eine Mitwirkung gewinnen. Dafür gilt allen Autoren und Interviewpartnern unser herzlicher Dank! Gerade durch die unterschiedlichen Perspektiven wollen wir allen Interessierten einen ausgewogenen Einblick in das komplexe soziale Gebilde der Ultra-Bewegung ermöglichen.

    Köln, im Sommer 2012 

    Jannis Linkelmann

    Dr. Martin Thein

    Fankultur im Wandel   Vom Aufstieg einer Subkultur

    Elmar Vieregge: Fußball im Wandel

    Traditionell eingestellte Fans im „modernen Fußball" zwischen Kommerz, Komfort und Konfrontation

    Zwischen 2000 und 2010 kam es im deutschen Profifußball zu grundlegenden Veränderungen, die erhebliche Auswirkungen auf die traditionell eingestellte Fanszene hatten. Deren in Anhängerschaften einzelner Vereine unterteilte Angehörige unterstützten zwar in erster Linie ihre Klubmannschaften, konnten aber den Zustand des Ligabetriebs auch an der Leistungsfähigkeit der Nationalmannschaft ablesen. Diese schied zu Beginn des Jahrzehnts bei der 2000 in Belgien und in den Niederlanden ausgetragenen Europameisterschaft nach einer derart desolaten Leistung aus, dass sich viele Fans pessimistisch hinsichtlich der Zukunft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Fußballs zeigten. Nur sechs Jahre später belegte die DFB-Auswahl den dritten Platz bei der 2006 im eigenen Land veranstalteten Weltmeisterschaft. Dabei entstand eine als „Sommermärchen" beschriebene Stimmung, die nicht nur reine Sportfreunde, sondern auch ein eventorientiertes Publikum erfasste. Während der 2010 in Südafrika ausgetragenen Weltmeisterschaft bestätigte das Nationalteam nicht nur seine wiedergewonnene Stärke durch einen weiteren dritten Platz, sondern weckte Zuversicht auf erfolgreiche Teilnahmen an zukünftigen Turnieren.

    Die Grundlage für die internationalen Auftritte deutscher Auswahlspieler bildeten vor allem die Verhältnisse der 1. und 2. Bundesliga.¹ Die positive Entwicklung der Nationalmannschaft ging mit Veränderungen einher, die eine Steigerung des Medienengagements, eine Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten, den Neubau von Stadien und die Gewinnung neuer Zuschauergruppen einschlossen. Die als „moderner Fußball" bezeichnete Entwicklung wirkte sich erheblich auf die Situation der Fan-szene aus. Zu ihr gehören zwar unterschiedliche Gruppen, sie wird aber von Fans geprägt, die sich als Teil ihrer Vereine begreifen, diesen unabhängig vom Tabellenstand langjährig die Treue halten, sich im Alltagsleben zu ihnen bekennen und durch ihre lautstarke Unterstützung die Atmosphäre in den Stadien prägen. Diese Personen können als traditionell eingestellte Fans bezeichnet werden. Dazu gehören sowohl sogenannte Normalos und die nach ihren geschmückten Jacken benannten Kutten als auch Hooligans und Ultras.

    Rahmenbedingungen

    In den Jahren nach 2000 veränderten sich die Verhältnisse im Fußball grundlegend, wobei verschiedene Faktoren wechselseitig aufeinander einwirkten. So steigerte sich etwa die Aufmerksamkeit der Medien, was zu höheren Einnahmen der Vereine aus Werbung und Vermarktung von Fernsehübertragungsrechten führte. Zudem erhöhte sich die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft. Größere Einnahmen eröffneten den Klubs neue Möglichkeiten, Spitzenspieler anzuwerben, die Ausstattungen ihrer Spielstätten zu verbessern und die Nachwuchsarbeit zu fördern. Dies motivierte mehr Menschen zu Stadionbesuchen, was wiederum das Interesse der Medien und der sonstigen Wirtschaft verstärkte. Im Verlauf dieser Entwicklung änderten sich auch die Bedingungen für die Fußballfans.

    Medien

    Der Profifußball erfreute sich bereits vor der Jahrtausendwende eines, insbesondere im Bereich des Fernsehens, beständig wachsenden Interesses der Medien. Von 2000 bis 2010 hielt diese Entwicklung an, und insbesondere die durch Werbung finanzierten Privatsender steigerten ihr Bemühen, den Fußball zu vermarkten. Den Bundesligavereinen kam dabei zugute, dass sich ihre Einnahmen aus der Veräußerung von Übertragungsrechten erhöhten. Andererseits wirkten die Sender zur Wahrung ihrer ökonomischen Interessen auf den Spielbetrieb ein, was die Verhältnisse in den Stadien beeinflusste.

    Für deren Besucher hatte dies einerseits positive Folgen, denn die zunehmenden Einkünfte trugen dazu bei, dass die Vereine ihre bauliche Infrastruktur modernisierten, die Ausbildungsbedingungen für Nachwuchsspieler verbesserten und ihre Attraktivität im internationalen Wettbewerb durch herausragende Spieler steigern konnten. Zudem sorgten die Sender durch Investitionen in ihre Kamera- und Übertragungstechnik dafür, dass Fußballanhänger umfassend über die Geschehnisse auf den Spielfeldern unterrichtet wurden. Andererseits kam es zu diversen Nachteilen, die sich aus dem primären Interesse der TV-Gesellschaften ergaben, ihre Gewinne zu maximieren. Sie waren bestrebt, die Spieltage auf mehrere Termine zu zersplittern, um das Produkt Fußball durch möglichst viele Einzelspiele zu für Fernsehzuschauer freundlichen Zeiten zu vermarkten. Die bereits vor der Jahrtausendwende erfolgte Einrichtung von Freitagabend- und Sonntagsspielen verfestigte sich nach 2000, was den hergebrachten Anpfiff eines kompletten Spieltages am Samstag um 15:30 Uhr zu einer Erscheinung der Vergangenheit machte. Während die Fernsehsender ihren Zuschauern dadurch Übertragungen zu ihnen genehmen Zeiten anboten, belasteten die Spielansetzungen insbesondere zu Auswärtsspielen mitreisende Anhänger, also besonders stark engagierte Fans. Diese standen vor allem bei weit entfernten Sonntagsspielen vor dem Problem einer langen nächtlichen Rückreise im Vorfeld einer am nächsten Morgen beginnenden Arbeitswoche. Darüber hinaus erschwerte ihnen die erst im Verlauf der Saison erfolgende Terminierung der Freitags- und Sonntagsspiele die Vorbereitung ihrer Reisen.

    Während das verstärkte Engagement der TV-Sender sowohl Vor- als auch Nachteile für die traditionell eingestellten Fans mit sich brachte, verbesserten die Zeitschriftenverlage das Informationsangebot. Nach der Jahrtausendwende kamen zu den eingesessenen Publikationen mehr oder weniger erfolgreiche Magazine. Sie präsentierten den Sport als „Lifestyle" oder richteten sich an sehr junge Käufer, indem sie sich auf eine Berichterstattung über die herausragenden Starspieler konzentrierten. Andererseits thematisierten weitere Veröffentlichungen nun auch kulturelle und gesellschaftliche Aspekte des Massensports.

    Zu einer noch größeren Ausweitung des Informationsangebots zum Vorteil für die Fans führte die zunehmende Nutzung des Internets. Die Vereine bauten ihre eigenen Internetpräsenzen aus, um ihre Anhänger und die allgemeine Öffentlichkeit zu informieren, ihre Fanartikel und Eintrittskarten zu vermarkten oder um kostenpflichtige Zusatzangebote zu verkaufen. Zudem gründeten die Klubs oder engagierte Fans elektronische Foren, die es den Anhängern ermöglichten, sich an Diskussionen zu beteiligen oder sich zu organisieren. Über soziale Netzwerke ergaben sich Möglichkeiten der direkten Kontaktaufnahme, indem auch einzelne Spieler mit ihren Anhängern kommunizierten. Darüber hinaus bauten Fußballverbände und Zeitschriftenverlage ihre Internetpräsenzen aus. Zudem entstanden durch Werbung finanzierte Webseiten zu speziellen Aspekten, wie etwa den Entwicklungen auf dem Transfermarkt.

    Letztendlich erweiterte sich das mediale Angebot nach 2000 rasant, was unterschiedliche Auswirkungen auf die Fanszene hatte. Diese zog ihren Nutzen aus einem jederzeit verfügbaren Informations- und Unterhaltungsangebot, erlitt jedoch einen Schaden durch die Einflussnahme der TV-Sender auf die Ansetzungen von Spielen.

    Finanzen

    Zur Modernisierung des Fußballs gehörten Bemühungen, aus wirtschaftlichen Gründen neue Formen der Verfasstheit von Vereinen zu etablieren. Dazu kam eine Ausweitung des Engagements von Investoren, das weit über ein gewöhnliches Sponsoring hinausging.

    Einen folgenschweren Anlauf unternahm Borussia Dortmund, als der Verein² im Oktober 2000 Aktien zum Ausgabekurs von elf Euro herausgab.³ Der Klub investierte die dadurch erworbenen Gelder in Spitzenspieler sowie den Stadionausbau und erwartete einkalkulierte Erfolge sowie damit verbundene Gewinne. Viele Anhänger des proletarisch geprägten Vereins widersetzten sich jedoch, da sie dessen Ausverkauf an fremde Finanziers fürchteten, denen Gewinne wichtiger waren als der Klub. Sie sahen sich durch die Situation in England gewarnt, wo etwa Manchester United zum Investitionsobjekt eines ausländischen Großinvestors geworden war, der über eine erhebliche Anhebung der Eintrittspreise langjährige Anhänger mit geringerem Einkommen verdrängt hatte. Die Befürchtungen der Borussen-Fans erfüllten sich, als die angepeilten Erfolge und damit die nötigen Gewinne ausblieben und 2005 zeitweilig die Existenz des damals völlig überschuldeten Vereins auf dem Spiel stand. Während die Anteilseigner erhebliche Verluste hinnehmen mussten,⁴ gelang dem Klub jedoch in seiner Notlage ein sportlicher Neuanfang, indem er talentierte Nachwuchsspieler einsetzte. Die dann in der Saison 2010/11 errungene Meisterschaft setzte nicht nur einen Kontrapunkt zum gescheiterten Projekt, sondern bestätigte die Vorbehalte vieler traditionell eingestellter Fußballanhänger gegen derartige Finanzierungsformen.

    Eine weitere Vorgehensweise war erfolgreicher, stieß jedoch ebenfalls auf Ablehnung. Es waren hochprofessionell aufgebaute Vereine, die ohne dominante Unterstützung eines einzelnen Wirtschaftsakteurs kaum in der Lage gewesen wären, eine Rolle in der 1. Bundesliga zu spielen.⁵ Das betraf mit Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und der TSG 1899 Hoffenheim drei Klubs, die lediglich über relativ begrenzte Anhängerscharen verfügten und bundesweit häufig als „Retortenvereine bezeichnet wurden. Hinter Bayer Leverkusen stand mit dem Chemieriesen Bayer ein weltweit operierendes Großunternehmen. Auf dessen Unterstützung reagierten viele traditionell eingestellte Fans anderer Vereine mit einer grundsätzlichen Ablehnung, indem sie Bayer Leverkusen als „Werkself oder „Plastikverein" verspotteten. Wie grundsätzlich diese Zurückweisung war, zeigte sich daran, dass sie erfolgte, obwohl der Klub über eine rund hundertjährige Tradition verfügt, aus dem aufrichtig betriebenen Mitarbeitersport des Konzerns entstanden war und durch eine seit 1979 bestehende Erstklassigkeit zu einem festen Bestandteil der 1. Bundesliga geworden war.

    Abgelehnt wurde mit dem VfL Wolfsburg ein zweiter von einem Großkonzern abhängiger Verein, obwohl auch er kein alleiniges Marketing-Projekt war, sondern ebenfalls dem Betriebssport entstammte. Der mit der Unterstützung des Autoherstellers Volkswagen 1997 in die 1. Bundesliga aufgestiegene Klub etablierte sich nicht nur nach der Jahrtausendwende, sondern errang 2009 die Deutsche Meisterschaft. Damit nahm er den Gegnern dieser von einzelnen Wirtschaftsakteuren entscheidend geförderten Bundesligisten ihre sich auf die zuvor erfolglos gebliebenen Titelaspirationen Bayer Leverkusens fußende Hoffnung, dass „Geld keine Tore schießt".

    Im gleichen Jahr beendete mit der TSG 1899 Hoffenheim ein weiterer von einem dominierenden Wirtschaftsakteur abhängiger Verein seine erste Saison in der höchsten deutschen Spielklasse. In diesem Fall stand kein Großkonzern hinter dem Erfolg, sondern eine vermögende Einzelperson, die jedoch als Gründer des Softwaregroßkonzerns SAP über erhebliche Geldmittel verfügte. Es war der Milliardär Dietmar Hopp, der sich 1990 entschlossen hatte, seinen Heimatverein nach dessen Abstieg in die Kreisklasse A finanziell im großen Maß zu unterstützen.⁶ Obwohl es sich bei Hopp um einen seine Heimatregion großzügig unterstützenden Sportmäzen im klassischen Sinn handelte, war er nicht nur für traditionell eingestellte Fans ein Feindbild. Während in Leverkusen und Wolfsburg unpersönliche Weltkonzerne hinter den Erfolgen standen, personalisierte sich aus der Sicht vieler Fans hergebrachter Vereine in Dietmar Hopp die abzulehnende Entwicklung. Sie sahen eine Wettbewerbsverzerrung und in dem Mäzen ein Feindbild. Daraufhin äußerte sich ein regelrechter Hass auf Dietmar Hopp nicht nur in beleidigenden Sprechchören, sondern auch in während der Spiele präsentierten Bannern. Darunter war ein Banner, das sein mit einer Zielscheibe versehenes Gesicht zeigte.⁷

    Für traditionell eingestellte Fans anderer Mannschaften bedeuteten die Erfolge von Bayer Leverkusen, des VfL Wolfsburg und der TSG 1899 Hoffenheim nicht nur, dass sich drei von einzelnen Wirtschaftsakteuren entscheidend geförderte Klubs in der 1. Bundesliga etabliert hatten, sondern auch die Existenz von drei stimmungsarmen Heimspielen und drei unattraktiven Zielen für Auswärtsfahrten. Die Präsenz der drei Klubs in der 1. Bundesliga bedeutete zudem, dass es für alteingesessene Vereine schwieriger wurde, in die höchste Spielklasse aufzusteigen. Darüber hinaus sahen die Gegner der drei Klubs die Gefahr, dass deren Erfolge weitere Wirtschaftsakteure zu vergleichbaren Engagements animieren und mittelfristig weitere „Retortenvereine" eine gewichtige Rolle im nationalen Fußball einnehmen könnten.

    Dass diese Befürchtung nicht unbegründet war, belegte die Entstehung von Rasenball Leipzig. Dabei handelte es sich nicht um einen Verein mit eigenen Wurzeln, sondern um das Resultat eines kühl kalkulierenden Wirtschaftshandelns. Dessen Hintergrund bildeten die zuvor erfolgreichen Projekte des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull, der in verschiedenen Ländern Fußballteams als reine Träger für seine Werbung aufgebaut hatte. Als die Firmenvertreter 2009 die Oberligalizenz eines Leipziger Vorortvereins erwarben und ihr Projekt großzügig mit Finanzmitteln ausstatteten, um mittelfristig den Weg in die 1. Bundesliga zu beschreiten, entstand nicht nur für viele Fans der sächsischen Traditionsvereine ein absoluter Gegenentwurf zu allem, was der Fußball für sie bedeutete.

    Vor diesem Hintergrund sorgte Hannover 96 für weitere Unruhe, als dessen Präsident ab 2008 danach trachtete, die sogenannte 50+1-Regel abzuschaffen. Diese in § 16c der Statuten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) enthaltene Vorschrift behinderte Großinvestoren, indem sie eine mehrheitliche Beteiligung eines Vereins verlangte, falls eine Kapitalgesellschaft eine Lizenz erwerben wollte. Letztendlich bekannte sich das Schiedsgericht DFB zwar 2011 zu dieser Regel, lockerte sie jedoch, indem es den dominierenden Einstieg von Investoren zuließ, sofern sie länger als 20 Jahre mit dem Klub verbunden waren.⁹ Damit blieb die Regelung zwar auf den ersten Blick bestehen, wurde aber dahingehend abgeschwächt, dass, wenn auch unter erheblichen Einschränkungen, durchaus die Möglichkeit des Auftretens entscheidender Wirtschaftsakteure bestand.

    Spielstätten

    Unmittelbar spürten Fußballfans die Modernisierung des Fußballs anhand der Stadien. Das erste Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende sah eine grundlegende Erneuerung der Spielstätten der erfahrungsgemäß in der 1. Bundesliga und vieler der über mehrere Jahre in der 2. Bundesliga vertretenen Klubs. Die Bautätigkeit von Vereinen und Kommunen setzte bereits zu Beginn der Dekade ein, verstärkte sich im Vorfeld der WM 2006, als große Investitionen in die Austragungsstätten getätigt wurden, und hielt zum Ende des Jahrzehnts an. Die neuen Spielstätten zeichneten sich in der Regel durch komplette Überdachungen, großzügige Parkplätze und den Verzicht auf Leichtathletiklaufbahnen aus. Für die Zuschauer ergaben sich daraus die Vorteile eines optimierten Wetterschutzes, besserer Verkehrsanbindungen und einer geringeren Distanz zum Spielfeld. Zudem erhöhten ausgebaute Gastronomieeinrichtungen und Sanitäranlagen den Komfort. Auf der anderen Seite steigerten die Vereine ihre Einnahmen durch die Einrichtung großzügiger Logenbereiche, die Verringerung des Stehplatzangebots, die Ausweitung der Werbung und die Steigerung der Eintrittspreise. Zudem vermarkteten die Klubs die Spielstätten nicht mehr als reine Austragungsplätze sportlicher Wettkämpfe, sondern als Event-Orte. Dies drückte sich in der Namensgebung aus, denn Stadien hießen nun in der Regel Arenen und wurden nach Firmen benannt. Wie umfassend die Vermarktung der Stadiennamen, das Aufkommen der Arenen und die Bautätigkeit nach der Jahrtausendwende waren, lässt sich anhand eines Überblicks der Spielstätten der die 1. Bundesliga prägenden Vereine ablesen. Mit dem Berliner „Olympiastadion, dem Bremer „Weser-Stadion und dem Kaiserslauterer „Fritz-Walter-Stadion" existierten 2010 nur noch drei Austragungsorte mit einem Traditionsnamen.

    Neubauten und Modernisierungen¹⁰

    Während die meisten Zuschauer den neuen Komfort genossen, ergab sich für viele traditionell eingestellte Fans, wie im Fall der fernsehgerechten Anstoßzeiten, ein Konflikt, denn sie sahen einen Ausverkauf an Sponsoren und wohlhabende Gäste. Sie fürchteten, dass ihre aufrichtige, laut-

    ¹⁰¹¹¹²¹³¹⁴¹⁵

    starke Unterstützung als stimmungsvolles Beiwerk abgetan werden könnte, um ein zahlungsfähiges Publikum zu unterhalten, dem ein familienorientiertes Wochenendvergnügen verkauft werden sollte. Vor diesem Hintergrund erlangte für sie die Namensgebung eine besondere Bedeutung, denn sie sahen im verstärkten Sponsoring keine Chance zur Finanzierung der Vereine, sondern einen Ausverkauf der Tradition. Das galt vor allem in den Fällen, in denen bestehende Stadien mit klangvolle Namen umbenannt wurden, wie das Dortmunder „Westfalenstadion in „Signal Iduna Park, das Nürnberger „Frankenstadion in „easyCredit-Stadion, das Hannoveraner „Niedersachsenstadion in „AWD-Arena, das Frankfurter „Waldstadion in „Commerzbank-Arena oder das Hamburger „Volksparkstadion zunächst in „AOL Arena, danach in „HSH Nordbank Arena und schließlich in „Imtech Arena. Dabei wies der Umstand, dass die scheinbar unbedeutende Umbenennung von Stadien den Unwillen traditionell eingestellter Fans entfachen konnte, auf das der Entwicklung innewohnende Konfliktpotenzial hin.

    Grundsätzlich hatten die Bauherren die Wahl zwischen dem Aus- oder Neubau eines bestehenden Stadions bei laufendem Spielbetrieb oder der kompletten Neuerrichtung an einem anderen Ort. Dies geschah beispielsweise in Köln und Mönchengladbach. In der Domstadt errichtete die Kommune für die WM 2006 einen zeitgemäßen Austragungsort, indem sie die Spielstätte des 1. FC Köln in Phasen abreißen und durch eine neue, 50.000 Plätze aufweisende Konstruktion ersetzen ließ. Auf diese Weise verschwand mit dem 1975 entstandenen „Müngersdorfer Stadion eine für die 1970er Jahre typische „Betonschüssel mit Leichtathletiklaufbahnen und flachen Rängen. Obwohl die damit verbundene Umbenennung in „RheinEnergie-Stadion" bei einem Teil der Fans, insbesondere den Ultras, für Unmut sorgte, nahm der weit überwiegende Teil das neue Bauwerk am alten Ort an, das sie bis an den Spielfeldrand vorrücken ließ. Die Gründe für den geringen Widerstand gegen den Verlust des Namens dürfte in dem erheblichen Komfortgewinn und dem Umstand liegen, dass der im einige Kilometer entfernten Geißbockheim gelegene Hort der Klubtradition unangetastet blieb.

    Am Niederrhein beschritt Borussia Mönchengladbach einen anderen Weg. Der Verein nutzte ein frei gewordenes Militärgelände am Stadtrand, um nicht nur ein vereinseigenes Stadion zu bauen, sondern seine weiteren Einrichtungen wie Trainingsplätze und Geschäftsstelle an einem Ort zu konzentrieren. In diesem Fall lag ein vollkommener Traditionsbruch vor, denn der in der Nähe der Innenstadt gelegene, traditionsreiche, jedoch überalterte, nur teilweise überdachte und lediglich 35.000 Plätze fassende „Bökelberg wurde abgerissen. Dabei war sich der Verein offenbar eines möglichen Konflikts mit Traditionalisten bewusst, denn der Neubau wurde nicht nach dem legendären Trainer Hennes Weisweiler benannt, sondern erhielt den nichtssagenden Namen „Stadion im Borussia-Park, der im Fall einer Vermarktung problemlos durch die Bezeichnung eines Sponsors ersetzt werden könnte. Dass die Fans hingegen den im Vergleich zum Kölner Vorgehen vollzogenen Traditionsbruch hinnahmen, dürfte nicht zuletzt an der Hoffnung gelegen haben, mit der neuen, nun ca. 54.000 Plätze umfassenden Spielstätte die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend zu stärken.

    Entwicklungen in der Fanszene

    Wenngleich unterschiedliche Indikatoren den Zustand des Fußballs in einem Land beschreiben, zeigt er sich vor allem anhand der Zuschauerzahlen. In dieser Hinsicht sah der deutsche Fußball im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende einen regelrechten Boom. Die Gesamtbesucherzahl stieg innerhalb von zehn Jahren um mehr als 50 Prozent.

    1./2. Bundesliga   Zuschauerentwicklung 2000-2010¹⁶

    Mit den erhöhten Besucherzahlen in den modernisierten Stadien änderten sich zumeist auch die Verhältnisse in ihnen, und die gesellschaftliche Bedeutung des Massensports wurde deutlicher. Während die Zahl der unauffälligen Normalos anstieg, die ohnehin schon den größten Teil der Fan-szene stellten, verringerte sich die Präsenz der zuvor die Kurven optisch prägenden Kutten. Innerhalb der insgesamt vergrößerten Zuschauermengen fielen Hooligans weniger ins Auge, und mit den Ultras etablierte sich eine die Fanszene nachhaltig ändernde Bewegung.

    Hooligans

    Zur Jahrtausendwende stand mit den Hooligans ein kleiner Teil der Fan-szene im Blickfeld der Öffentlichkeit. Ursächlich dafür waren auch Ausschreitungen deutscher Gewalttäter während der 1998 in Frankreich ausgetragenen WM, in deren Verlauf sie in Lens einen Polizisten derart schwer verletzten, dass er zu einem lebenslangen Pflegefall wurde.¹⁷ Die Politik reagierte darauf mit verstärkter Repression. Dazu gehörten Polizeieinsätze während der Spiele, Stadionsperren, Strafverfahren und die Arbeit der bei der nordrhein-westfälischen Polizei angesiedelten „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) mit ihrer Datei „Gewalttäter Sport.

    Andererseits verbesserten politische Entscheidungsträger auch ihren Wissensstand. Dem dienten nicht nur die polizeilichen Erkenntnisse der „Szenekundigen Beamten" (SKB), sondern auch die Ergebnisse eines durch das Bundesministerium des Innern initiierten Forschungsprojektes. Dies stellte fest, dass die meisten Hooligans, entgegen wiederholt in den Medien geäußerter Auffassungen, Fußballspiele nicht allein als Austragungsbühnen nutzen, sondern in der Regel in ihren lokalen Fanszenen, häufig als vormalige Kuttenträger, aufgewachsen sind.¹⁸

    Für die Hooligans hatte die Modernisierung negative Auswirkungen. Sie hatten bereits Ende der 1990er Jahre auf ansteigende Sicherheitsmaßnahmen in und um die Spielstätten mit einer Verlagerung ihrer Aktivitäten reagiert. So stellte die ZIS seit der Spielzeit 1997/98 eine Tendenz zu verabredeten Kämpfen abseits der Stadien und sogar der Spielzeiten fest.¹⁹ Die baulichen Gegebenheiten der neuen Stadien/Arenen bewirkten eine weitere Verschlechterung ihrer Handlungsmöglichkeiten. Verbesserte Absperrungen erschwerten ein gewaltsames Eindringen in gegnerische Blöcke von außen, und die übersichtlichere Gestaltung der Ränge erschwerte den unauffälligen Positionswechsel innerhalb der eigenen Blöcke. Darüber hinaus ermöglichte neue Kameraüberwachungstechnik bei Ausschreitungen die rasche Zuführung von Ordnungskräften, die Identifizierung von Tätern sowie die Beweissicherung für Strafverfahren. Während sich der Handlungsspielraum der Hooligans in den modernen Spielstätten der 1. und 2. Bundesliga einschränkte, war für sie die Lage bei unterklassigen Vereinen günstiger. Das betraf insbesondere die in schwierigen wirtschaftlichen Umfeldern arbeitenden ostdeutschen Klubs.

    Negative Auswirkungen auf den Hooliganismus dürften nicht nur der verbesserte Erkenntnisstand staatlicher Stellen, deren Repressionsmaßnahmen und die Modernisierungen der Spielstätten gehabt haben, sondern auch zwei weitere Aspekte, welche die Gewinnung von Nachwuchs betrafen. Den ersten bildeten sozialpädagogisch arbeitende Fanprojekte, die sich auch um gewaltgeneigte Jugendliche kümmerten. Der andere war die sich ausweitende Bewegung der Ultras, in der junge Fußballanhänger, die sich nicht auf ein übliches Fanleben beschränken wollten, ihre Leidenschaften ausleben konnten, ohne dabei zwangsweise gewalttätig werden zu müssen. Die sich für die Hooligans zwischen 2000 und 2010 in den obersten Spielklassen verschlechternden Rahmenbedingungen korrespondierten mit einer Verminderung ihres Personenpotenzials in einem Zeitraum, in dem die Gesamtzuschauerzahlen stark anstiegen.

    1./2. Bundesliga   Gewaltpotenzial²⁰²¹²²

    Der zahlenmäßige Rückgang der Hooligans in den beiden obersten Spielklassen führte nicht zu einem Rückgang der Gewalt, denn gleichzeitig verdoppelte sich die Anzahl der wegen Körperverletzungen eingeleiteten Strafverfahren. Während in den Medien in der Regel Hooligans als Verursacher der Gewalttaten erschienen, wurden diese Delikte auch von den durch die Polizei als Kategorie B geführten gewaltbereiten/-geneigten Fans verübt.²³ Zu ihnen gehören Normalos, Kutten und Ultras.

    Ultras

    Die Entwicklung der in den 1960er Jahren in Italien entstandenen Ultra-Bewegung in Deutschland ist die augenscheinlichste Veränderung der Fan-szene. Sie begann in hiesigen Stadien Ende der 1980er Jahre mit einzelnen kleineren Gruppen. Als in den 1990er Jahren immer mehr junge Vereinsanhänger ihre Mannschaften mit Spruchbändern, Doppelhaltern und lang andauernden Sprechchören auf eine neue Weise anfeuerten, wurden sie zuweilen von älteren Fans zunächst mit Verwunderung registriert. Doch je aufwendiger sie Kurven mit Choreografien schmückten und je stärker sie Stimmungen durch Gesänge und den Einsatz von Pyrotechnik schufen, umso deutlicher zeigte sich, dass sich eine nachhaltige Bewegung entwickelte, deren Anhänger sich nicht nur an Spieltagen mit ihren Klubs beschäftigten, sondern sie durch ihr alltägliches Leben mit sich trugen. Die Polizei stellte ab der Spielzeit 1999/2000 bei fast allen Vereinen der vier obersten Spielklassen Ultragruppierungen fest.²⁴ In den Jahren nach 2000 etablierten sie sich derart, dass sie die Stimmung in den Stadien maßgeblich beeinflussten.²⁵

    Die neue Bewegung führte nicht nur zu einem neuen Klima auf den Rängen, sondern brachte auch neue Konfliktfelder mit sich. Unter Berufung auf ihr massives Engagement sahen sich Ultragruppierungen zuweilen als Kern ihrer Kurven oder „Herz und Seele des Vereins", was teilweise von anderen Fans als anmaßend empfunden wurde. Zur Durchführung von Choreografien benötigten Ultras Freiräume in den Stadien, was den Sicherheitsinteressen der Vereine und der von diesen eingesetzten Ordner entgegen stand. Die Ultras präsentierten sich als Wahrer der Tradition ihrer Vereine gegen das zunehmende Engagement der Wirtschaft, was den Plänen daran interessierter Vereins- und Verbandsfunktionäre zuwider---------lief. Die unbedingte Unterstützung des eigenen Klubs führte zwangsläufig zur Frontstellung gegen Ultragruppen konkurrierender Vereine, was unter anderem zum Raub von Zaunfahnen sowie zu damit verbundenen körperlichen Auseinandersetzungen führte.

    Zum größten Konfliktpotenzial wurde jedoch der Einsatz von Pyrotechnik, insbesondere von Rauchmitteln und sogenannten Bengalos. Die für Ultras zentrale Bedeutung dieser Form der Stimmungserzeugung zeigte sich anhand von Befragungen für eine im Vorfeld der WM 2006 getätigte Untersuchung. Damals gaben 66,5 % der befragten Ultras an, dass Pyrotechnik zu ihren Aktivitäten dazugehöre.²⁶ Andererseits barg die große Hitze des Bengalischen Feuers die Gefahr schwerer Brandverletzungen, und die Rauchentwicklung führte zu Gesundheitsgefährdungen anderer Stadionbesucher.²⁷ Dies ließ Polizisten und Stadionordnern aus rechtlichen Gründen keine andere Möglichkeit, als dagegen vorzugehen, was sie wiederum zu unmittelbaren Gegnern machte. Das Ausmaß der Vorfälle mit Pyrotechnik, die unter die Bestimmungen des Sprengstoffgesetzes (SprengG) fällt, manifestierte sich anhand der wegen Verstößen gegen dieses Gesetz eingeleiteten Strafverfahren. Obwohl die Verstöße auch von Stadionbesuchern verübt wurden, die nicht zu den Ultras gehörten, dürften Letztere für den Großteil verantwortlich gewesen sein, und die Versechsfachung der Verfahren innerhalb eines Jahrzehnts zeigte die steigende Brisanz des Themas. Vor diesem Hintergrund erklärte sich auch eine zu dieser Zeit ansteigende Aggression gegen Polizisten und Ordner.²⁸

    1./2. Bundesliga   Sprengstoffgesetz²⁹

    Dass sich Ultras bei ihren Aktivitäten der Gefahr von Schadensersatzklagen, Stadionverboten und Strafverfahren aussetzten, belegte deren Entschlossenheit. Diese ging mit einem hohen Organisierungsgrad einher, was ihnen ermöglichte, ihre Interessen auch auf legalen Wegen zu vertreten, etwa durch einen organisierten Vereinseintritt zur Mitgestaltung der Klubpolitik oder den Einsatz von Fachanwälten bei Auseinandersetzungen mit Behörden.

    Gesellschaftspolitik

    Zwischen 2000 und 2010 rückten auch gesamtgesellschaftliche Aspekte in das Blickfeld vieler Fußballanhänger. Das betraf etwa die Diskriminierung von Minderheiten³⁰ und das Ausmaß rechtsextremistischer Aktivitäten.³¹ Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diese Themen weckte etwa das

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