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Seattle Story
Seattle Story
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eBook585 Seiten7 Stunden

Seattle Story

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Über dieses E-Book

Amber Maguire verließ vor einigen Jahren im Streit das Haus ihrer Jugend. Als sie zur Beerdigung ihrer Mutter nach Hause zurückkehrt, trifft sie nicht nur auf alte Freunde, sondern auch auf Hayden, ihre unerfüllt gebliebene Jugendliebe. Wie immer folgt Amber ihrem ersten Impuls und will vor allen Problemen flüchten. Aber so leicht, wie sie es sich vorgestellt hat, kann sie ihr früheres Leben nicht hinter sich lassen. Zu allem Überfluss flammen ihre Gefühle für Hayden wieder auf, der noch immer eine ungewöhnliche Anziehung auf sie ausübt. Kann Amber die Schatten ihrer Vergangenheit abschütteln und ein neues Leben beginnen?

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum19. Sept. 2021
ISBN9783748795094
Seattle Story

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    Buchvorschau

    Seattle Story - Kajsa Arnold

    Seattle Story

    Seattle Story

    Kajsa Arnold

    Kajsa Arnold Edition

    Inhalt

    The Rain

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Epilog

    The Night

    Zitat

    Prolog 2

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    The Storm

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Danksagung

    Danke für eure Geduld

    The Rain

    The Rain

    Prolog

    Die Tür fiel leise ins Schloss und der Schlüssel verriegelte sie ohne Probleme. Die Fensterläden waren alle geschlossen. Als ich zurücktrat, rastete die Fliegentür automatisch ein. Ich blickte zur Seite auf die weißen Holzmöbel, die immer noch auf der Terrasse standen, und dachte an den Augenblick, als sie neu gestrichen wurden. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Ich hätte sie gerne mitgenommen, ein letztes Stück Erinnerung an meine Kindheit, denn sie standen hier schon, seit ich denken konnte. Doch ich hatte es mir geschworen: keine Andenken .

    Nichts, das mich an das Vergangene erinnerte. Ich schloss meine Erinnerungen in diesem Haus ein. Dort würden sie für immer verschlossen bleiben, wie Wasser gefangen im ewigen Eis. Nichts konnte es zum Tauen bringen, zu tief war es gefroren.

    Den Schlüssel legte ich wieder unter den großen Blumentopf neben der Tür, wo er schon immer gelegen hatte, unbemerkt für Nichteingeweihte. Langsam strich ich über die Blüten der Hortensienbüsche, die mir ihre Köpfe entgegenstreckten als warteten sie nur darauf, von mir berührt zu werden. Ich ging ein letztes Mal um das Haus in den Garten und prüfte, ob die Terrassentür auch wirklich verschlossen war, zu oft hatte ich es vergessen.

    Mein Blick fiel auf den Platz, an dem früher die Rosen standen. Sie würden später durch Lupinen ersetzt werden, ich konnte die Rosenbüsche nicht zurücklassen. Dafür waren sie zu liebevoll gepflegt worden.

    In dem großen Sommerflieder saßen zahllose Schmetterlinge und saugten geschickt mit ihren kleinen Rüsseln den Nektar der Blüten auf. Nur für einige Sekunden verharrten sie, dann flatterten sie leichtfüßig zur nächsten Blume. Ihr Flügelschlag wog für einen Augenblick so wenig, konnte aber so viel bewirken.

    Ich riss mich vom Anblick der Schmetterlinge los und ging weiter zur Garage, um mich zu vergewissern, ob ich auch das Tor gut verschlossen hatte. Auf dem Gehweg blickte ich noch ein letztes Mal zum Haus ohne Wehmut, ging mit festen Schritten an dem Schild ‚zu verkaufen‘ vorbei und stieg in den Wagen, der schon am Straßenrand mit laufendem Motor auf mich wartete.

    Kapitel 1

    Ankunft

    Die Straße zog sich endlos hin, fortwährend die gleichen Richtungsschilder. Ich fuhr die Interstate 5 von San Francisco Richtung Portland über Eugene .

    Seit elf Stunden identische Laubbäume, monotoner Asphalt, austauschbare Landschaften. Sogar das Radio schien endlos dieselben Lieder zu spielen. Ich schaltete es aus und legte eine CD ein. Leise erklangen die Töne von ‚O Mio Babbino Caro‘. Es war ein Instrumentalstück, ohne schrille Stimmen oder Texte, die man im Kopf mitsang.

    Ich beachtete die Namen auf den Hinweisschildern schon gar nicht mehr. Mit der Zeit passierte ich drei Bundesstaaten von Kalifornien über Oregon nach Washington. Der Highway am Meer entlang wäre eine Alternative gewesen, doch ich hatte mich für die Interstate entschieden. Ich wollte keinen Abstecher zum Strand, sondern so schnell wie möglich ankommen, damit ich ohne Umstände wieder abreisen konnte. Einige Städtenamen kamen mir bekannt vor, aber es gab auch viele, an die ich mich noch sehr gut erinnerte. Doch gab es nur einen Namen, in dessen Richtung ich fuhr. Nach Hause.

    Zuhause, ein großer Begriff und etwas was ich nicht hatte, schon lange nicht mehr. Es bereitete mir Unbehagen, das Wort auszusprechen. Vor über vierzehn Jahren hatte ich es verlassen und kehrte nun zurück, da mein Pflichtgefühl es verlangte. Eine Pflicht, der sich kein Mensch entziehen konnte.

    Langsam flogen die Bäume an dem Seitenfenster vorbei. Ich schenkte ihnen nur wenig Beachtung. Je weiter ich in Richtung Norden fuhr, umso grüner wurde die Natur. Immer mehr Nadelbäume mischten sich in die Vegetation. Die Farben vor meinen Augen gingen von einem hellen Gelbgrün in dunkles Grünblau über.

    Wolken zogen am Himmel auf, sie passten gut zu meiner Stimmung und der Leere in meinem Kopf. Mein Weg führte mich geradewegs in ein Gewitter, doch es machte mir nicht viel aus. Als es zu regnen begann, empfand ich den Regen wie einen schützenden Mantel, den ich eng um meinen Körper schlang.

    Die Straße war rutschig, ich hatte es aber nicht eilig. Der Regen wurde immer dichter und nahm mir fast jegliche Sicht. Die großen Tropfen flogen mir nur so entgegen und stürzten sich auf die Windschutzscheibe, wo sie in kleinen Bächen hinunterrannen. Weder vor noch hinter mir fuhren Autos, es war fast so, als sei ich der einzige Mensch auf dieser Welt. Einsamkeit, mein ständiger Begleiter.

    Gegen Abend erreichte ich mein Ziel. Olympia. Die Hauptstadt des Staates Washington, hoch oben im Nordwesten der USA, in meinen Augen eher eine Kleinstadt. Schon bei der Einfahrt wurde mir klar, sie war unverändert. Mir war, als hätte ich sie erst vor wenigen Wochen verlassen. Der Regen ließ endlich nach und einige letzte Sonnenstrahlen kamen langsam durch die Wolken gekrochen. Sie warfen ein warmes Licht auf die Stadt. Jetzt, Anfang Mai, standen die ersten Frühblüher in voller Pracht und hießen neue Touristen herzlich willkommen.

    Ich fuhr langsam durch die Straßen, die mir immer noch vertraut waren, und glaubte mich sogar an das eine oder andere Schlagloch zu erinnern. Der Weg führte mich unweigerlich am State Capitol Museum vorbei. Bei seinem Anblick kamen vertraute Gefühle auf. Ob ich sie zulassen wollte, darüber war ich mir noch nicht im Klaren. Viele Jahre war es mein Zufluchtsort für schwierige Stunden gewesen. Dort hatte ich die Zeit vergessen können und mich in unzähligen Büchern vergraben, in eine andere Welt geträumt, an einen unbekannten Ort.

    Ich parkte das Auto und schaute zur Museumskuppel hinauf. In der untergehenden Sonne erstrahlte sie in ihrem Weiß, nie war sie schöner gewesen. So stand ich dort eine ganze Weile und eine gewisse Zuversicht machte sich in mir breit, denn ich wusste, ich hatte mein Ziel erreicht. Ich war angekommen.

    Kapitel 2

    Dich wiedersehen

    Für die erste Nacht hatte ich mir von San Francisco aus ein Hotelzimmer reserviert. Nachdem ich den Mietwagen zurückgegeben hatte, machte ich mich zu Fuß auf den Weg zum Hotel. Es war einfach, aber sauber, das Bett bezogen mit frischer Bettwäsche. Darüber hing ein gerahmtes Poster mit einem Dali Druck ‚Die Versuchung des Heiligen Antonius‘. Für eine Nacht genau das Richtige .

    Gegen zwanzig Uhr hatte ich endlich eingecheckt. Über vierzehn Stunden war ich auf den Beinen. Von zwei kleinen Pausen einmal abgesehen, war ich den ganzen Tag durchgefahren. Selbst das Essen hatte ich darüber vergessen, wie so oft, seitdem ich wusste, dass ich nach Olympia zurückkehren würde.

    Früher gab es einen kleinen guten Diner, in dem ich mich nach der Schule ab und an mit einigen Freunden traf. Vielleicht gab es ihn heute noch, ich machte mich auf zum Black Lake Boulevard. Die Luft hatte sich erheblich abgekühlt, nachdem die Sonne fast ganz untergegangen war. Der Duft des wunderbaren Shrimps Omelette stieg mir in der Nase, das ich dort oft bestellt hatte. Unglaublich, ich konnte mich nach all den Jahren an den Geschmack des Erdbeershakes erinnern. Frankies Corner war leicht wiederzufinden, allerdings hieß er jetzt Kayleys Diner.

    Hoffentlich gab es wenigstens den Koch noch.

    Als ich den Laden betrat, registrierte ich schnell, dass sich außer dem Namen nicht viel verändert hatte. Die gleiche Anzahl an Tischen und eine lange Theke, an der es einige Sitzplätze gab.

    Alles sehr überschaubar.

    Die Vorhänge an den vier Fenstern zur Straßenseite waren neu. Ein freundliches Hellblau hatte die alten braunen Staubfänger abgelöst. Ich setzte mich an einen Tisch, direkt hinter der Eingangstür. Es war nicht viel los. Außer mir gab es nur einen einzelnen Gast, der mit dem Rücken zu mir in der anderen Ecke des Raumes saß. Neugierig blätterte ich in der Speisekarte, in der Hoffnung, auf mein geliebtes Shrimps Omelette zu stoßen.

    »Guten Abend, was darf ich Ihnen bringen?« Die Bedienung war geräuschlos an meinen Tisch getreten.

    »Also, wenn das Shrimps Omelette immer noch so gut ist, wie zu Frankies Zeiten, hätte ich das gerne und ein Glas …!«

    »Oh mein Gott, Amber … Amber Maguire! Ich werde verrückt, dich gibt es noch?«

    Erschrocken hob ich den Kopf und blickte in die Augen von Kayley Schapiro. Sie war früher zu High-School-Zeiten meine beste Freundin gewesen. Die Anzahl meiner Freundinnen war schon damals überschaubar und das hatte sich nach meinem Fortgehen auch nicht geändert.

    »Amber, dass ich dich noch einmal wiedersehe, ich kann es nicht fassen. Wo hast du gesteckt, wo kommst du her, was machst du hier?« Mit einem lauten Seufzer ließ Kayley sich auf der Bank mir gegenüber nieder.

    Sie war eine schöne junge Frau Mitte dreißig, nicht sehr groß, aber mit viel Durchsetzungskraft. Ich kannte sie nicht anders, als dass sie ihre langen blonden Locken offen auf ihre Schultern fallen ließ. Sie passten gut zu ihren großen blauen Augen. Kayley war eine Südstaatenschönheit, obwohl sie ihr ganzes Leben in Olympia verbracht hatte. Sie hier wiederzusehen, freute mich ungemein.

    »Hallo Kayley, das sind aber viele Fragen auf einmal.«

    Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Ich kann es nicht glauben«, und schüttelte wild ihre Locken. »Ich muss dich umarmen, damit ich weiß, dass ich nicht träume.« Kurz entschlossen sprang sie auf und setzte sich auf meine Seite der Bank. Sie legte die Arme um meine Schultern und drückte mich fest an sich. Ein frischer Veilchenduft ging von ihr aus.

    »Wie ist es dir ergangen, was machst du hier?«

    Ich versuchte, das Lächeln aufrecht zu halten. »Nun, ich bin zur Beerdigung meiner Mutter gekommen.«

    »Das mit deiner Mom tut mir leid, ich habe davon gehört.« Sie drückte leicht meine Hand. »Ich würde dir gerne mehr dazu sagen, aber deine Mutter lebte in den letzten Jahren sehr zurückgezogen. Ich habe sie kaum gesehen.«

    »Ja, meine Mom war gern allein, selbst als ich noch bei ihr wohnte. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum ich es hier nicht länger ausgehalten habe.« Meine Mundwinkel zuckten leicht.

    »Und was willst du jetzt machen?«

    »Ich muss mich erstmal um die Beerdigung kümmern. Das Haus verkaufen und all diese Dinge.« Müde strich ich mir über die Stirn.

    »Du willst es nicht behalten? Also wirst du Olympia bald wieder verlassen?«

    »Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Ich bin gerade erst angekommen. Ich bin in den letzten Jahren viel gereist und denke schon, dass ich einige Zeit hier bleiben werde, um alles ins Reine zu bringen. Was danach kommt, weiß der Himmel.«

    Etwas hilflos hob ich die Schultern. »Aber lass uns nicht immer nur von mir reden, dazu haben wir bestimmt noch später Zeit. Wie ist es dir ergangen? Was ist mit Frankie passiert, hat er den Laden aufgegeben?«

    Etwas stolz berichtete Kayley: »Es ist seit acht Jahren mein Lokal, nachdem Frankie sich zur Ruhe gesetzt hat. Kaum zu glauben, wie lange das alles schon her ist. Hier hat sich nicht viel verändert. Olympia ist immer noch die Kleinstadt, die sie war. Einige unserer Freunde sind wie du in die weite Welt gezogen, andere sind hier geblieben und …«, mit einem kleinen Lächeln fügte sie hinzu, »manche kommen zurück! Hey, erinnerst du dich noch an Hayden Dawson, er sitzt dort drüben, wie fast jeden Abend … Hayden! Schau mal, wer wieder da ist!«, rief sie dem Gast zu, der allein am anderen Ende des Raumes saß. Langsam drehte er sich zu uns um und mir wurde mit einem Schlag klar, warum ich Olympia so viele Jahre den Rücken gekehrt hatte.

    Er stand langsam auf und kam mit seiner entspannten Art, die mich schon immer auf die Palme gebracht hatte, zu uns herüber.

    »Hayden erinnerst du dich noch an Amber Maguire? Wir waren im gleichen Jahrgang.« Kayley schaute ihn mit großen Augen an.

    Lässig, die Daumen in den Hintertaschen seiner Jeans vergraben blieb er vor mir stehen, und musterte mich mit einem abschätzenden Blick. Er sah sehr gut aus. Aus dem dünnen Jungen war ein großer breitschultriger Mann geworden. Das Gesicht war mit scharfen Konturen geschnitten, die Nase gerade über seinen sinnlichen Lippen und die hellblauen Augen waren messerscharf auf mich gerichtet. Sein dunkelbraunes Haar trug er bis zum Kinn, unter seinem schwarzen Hemd zeichneten sich überdurchschnittliche Muskeln an Armen und Oberkörper ungemein sexy ab. Seine enge Jeans saß lässig auf den Hüften und die Beine steckten in abgetragenen, aber coolen Doc Martens.

    Mir war, als würde mein Herzschlag für einen Augenblick aussetzen. Ohne zu fragen, setzte er sich auf die gegenüberliegende Bank an unseren Tisch. Bevor er antwortete, legte er seine Hände sorgsam gefaltet auf die karierte Tischdecke.

    »Natürlich erinnere ich mich an Amber«, sagte er mit einem Unterton, den nur ich verstand. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, doch ein kurzer unsicherer Blick in seine eisblauen Augen bestätigte meine Vermutung.

    »Hallo Hayden, schön dich zu sehen«, kam es mir leise über die Lippen. Hitze stieg in mir auf. Ihn nach all den Jahren hier wiederzusehen, warf mich regelrecht aus der Bahn. Es hatte mich vollkommen unerwartet getroffen, als wäre ein Güterzug in voller Fahrt über mich hinweg gerast.

    »Ist das nicht Wahnsinn, da schneit sie an einem schönen Sonntagabend einfach in mein Lokal, so als wäre sie nie weg gewesen.« Kayley war immer noch ganz außer sich.

    »Ja, das kannst du wohl sagen.« Hayden wählte seine Worte bedächtig. »Mir kommt es auch so vor, als wäre gerade erst der Abend unseres Schulballs gewesen.«

    Er ließ mich bei diesem Satz nicht aus den Augen. Unsicher schaute ich aus dem Fenster. Meine Handflächen schwitzten und ich war heilfroh, dass er mir zur Begrüßung nicht die Hand gereicht hatte.

    »Jetzt sitze ich hier und vergesse ganz meine Pflichten. Ich bringe euch sofort etwas zu essen.« Ohne eine Bestellung aufzunehmen, verschwand Kayley schnell in die Küche und ließ mich mit Hayden allein am Tisch sitzen.

    Mir war nicht wohl in meiner Haut und ich rutschte etwas unruhig auf meiner Bank hin und her.

    Haydens Augen waren auf mich gerichtet und er dachte nicht daran, woanders hinzuschauen. Ich hatte nie wieder solch ein helles und durchdringendes Blau gesehen. Die Farben des Meeres an einem eisigen Tag. Diese Augen erkannte ich unter Tausenden wieder. Langsam kam mir der Gedanke, dass er es geradezu genoss, mich so verlegen zu sehen. Daher beschloss ich, in die Offensive zu gehen.

    »Und, wie ist es dir so ergangen, Hayden?« Fragend schaute ich ihn an.

    Sein gebräuntes Gesicht sah immer noch jugendlich aus. Auch er musste, wie Kayley und ich, mittlerweile um die vierunddreißig Jahre alt sein. Kleine Lachfältchen spielten um seine Augen. Er maß über einen Meter fünfundachtzig, war damit also mindestens zwei Köpfe größer als ich.

    »Nun, ich lebe immer noch in Olympia«, es klang nicht wirklich freundlich, »in dem Haus meines Vaters, du weißt ja vermutlich, dass es ganz in der Nähe deines Hauses liegt. Das mit deiner Mutter tut mir leid. Ich habe sie ab und an gesehen. Sie hatte sich nach deinem Verschwinden verändert.«

    Es klang nach einem Vorwurf. »Und du, wo hast du dich rumgetrieben?« Sein Tonfall war alles andere als freundlich. Ich wollte ihm gerade eine passende Antwort geben, als Kayley mit zwei großen Tellern an den Tisch trat.

    »Du musst ja ganz verhungert sein, Amber. Ich habe dir dein Lieblingsessen zubereitet, Shrimps Omelette, das gibt es bei mir immer noch, konnte es deinetwegen nicht von der Karte nehmen, in der Hoffnung, dass du eines Tages hier hereinschneist und es wieder bestellst. Und wie du siehst, hat es geklappt.«

    Ich lächelte Kayley dankbar an.

    »Und für dich wie immer Steak und Salat. Weißt du, Amber, Hayden ist mein bester Stammkunde. Seit sein Vater vor einigen Jahren gestorben ist, kommt er fast jeden Abend zum Essen her. Ohne ihn wäre der Laden schon längst pleite.« Sie klopfte ihm lachend auf die Schulter.

    In der Zwischenzeit hatten andere Gäste das Lokal betreten und Kayley war bereits auf dem Weg, ihre Bestellungen aufzunehmen. Ich fühlte mich unwohl in der Gesellschaft von Hayden, machte mich aber über das Essen her, denn mein Magen knurrte und verlangte nach Nahrung. Auch er schien hungrig zu sein. Ohne weiter etwas zu sagen, nahm er Messer und Gabel und begann zu essen.

    »Dein Vater ist gestorben?«, fragte ich in die Stille hinein, denn nur sein gleichmäßiges Kauen war leise zu hören.

    Er nickte und schluckte gleichzeitig. »Ja, vor einigen Jahren. Er hatte einen Autounfall.«

    »Das tut mir leid.«

    Schweigen.

    »Und was machst du so?« Meine Neugier war mir unangenehm, aber mir fiel einfach kein neutrales Thema ein.

    »Ich arbeite als Glasbläser.«

    »Was? Nein, Hayden ist ein Künstler!«, rief Kayley von der Theke aus zu unserem Tisch herüber. »Er ist ein Meister der Glaskunst und arbeitet im Museum of Glass in Tacoma, das musst du dir unbedingt ansehen.«

    »Reichst du mir bitte das Salz herüber?«

    Ich hielt Hayden den Salzstreuer hin und für eine Sekunde berührten sich unsere Finger. Mich durchfuhr ein elektrischer Schlag und ich riss meine Hand sofort zurück. Er quittierte diese Geste mit einem spöttischen Lächeln.

    »Warum bist du hier?« Hayden schaute mir direkt in die Augen und ich hielt diesmal seinem Blick stand.

    »Ich muss die Beerdigung meiner Mutter regeln, den Verkauf des Hauses, all diese Dinge. Deshalb bin ich zurückgekommen.«

    »Und ich dachte, wegen des schönen Wetters.«

    Nachdem wir gegessen hatten, kam Kayley und brachte uns Kaffee. »Ich würde euch gerne Gesellschaft leisten, aber ich muss dringend in der Küche helfen.« Und schon war sie verschwunden.

    Liebend gern hätte ich ihr meine Hilfe angeboten, nur um nicht allein mit Hayden an einem Tisch zu sitzen, doch dazu ließ sie mir keine Gelegenheit.

    »Wo kommst du jetzt her?«, nahm er den Faden wieder auf und trank einen Schluck Kaffee, schwarz wie seine Seele.

    »Aus San Francisco. Habe dort für einen Reiseführer Landschaften fotografiert. Ich arbeite als freie Fotografin für einen Reisebuchverlag«, antwortete ich nicht ganz ohne Stolz und Hayden nickte wissend.

    »Du ranntest schon immer mit diesem Kasten vor der Nase rum, dann hast du sicherlich einiges gesehen.«

    »Ja, kann man so sagen. Ich habe ein paar Jahre in New York gelebt. Doch seit geraumer Zeit reise ich durch das Land.«

    »Also ganz der unstete Mensch, der du immer schon warst.«

    Ich wusste nicht, warum er es darauf anlegte, mich zu provozieren, aber er hatte Erfolg damit.

    »Du musst dich nicht mit mir unterhalten, Hayden. Ich bin es gewohnt, allein zu essen. Wenn ich dich langweile, darfst du dich gerne an einen anderen Tisch setzen.« Wütend schaute ich in seine Augen und für einen kurzen Moment sah ich etwas darin aufblitzen. Doch äußerlich war er ganz die Ruhe selbst.

    »Von Langeweile kann keine Rede sein«, er sprach leise und bedächtig, nachdem ich etwas zu laut wurde. »Es ist interessant zu hören, was so aus dir geworden ist. Einige haben sich gefragt, wo du abgeblieben bist.«

    »Das kann ich mir kaum vorstellen, so viele Freunde hatte ich hier nicht.« Ich griff ebenfalls nach meinem Kaffeebecher, setzte ihn aber wieder ab. Meine Hand zitterte vor Wut.

    Es herrschte Schweigen zwischen uns und ich schaute ungeduldig auf die Uhr. Mittlerweile war es halb zehn und meine Augen wurden immer schwerer. Zeit mich zu verabschieden.

    »Schön, dass wir uns begegnet sind, aber ich muss jetzt los. Ich werde morgen zum Haus meiner Mom gehen, also sollte ich zeitig aufstehen.«

    »Kann ich dich mitnehmen?« Er hatte sich ebenfalls erhoben.

    »Oh, nein …«, ich winkte ab, »mein Hotel liegt ganz in der Nähe, das schaffe ich schon, aber danke für dein Angebot.« Ich zog hastig meine Jacke über und schaute noch kurz zu Kayley, um ihr Bescheid zu geben, dass ich morgen wiederkommen würde. Sie winkte mir lächelnd zu und ich verließ das Lokal wie ein gehetztes Tier. So sehr ich mich darüber freute, Kayley wiederzusehen, war ich mir sicher, dass es absolut falsch gewesen war, wieder nach Olympia zurückzukehren.

    Kapitel 3

    Water Street

    Die Nacht war kurz und trotz der großen Müdigkeit fand ich keinen Schlaf. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Ich war es gewohnt in Hotelbetten zu übernachten, ein eigenes hatte ich ja nicht. Doch sobald ich die Augen schloss, tauchten die Bilder von Kayleys Diner in meinem Kopf auf. Es war so wunderbar, ihr lautes und fröhliches Lachen zu hören .

    Sie war schon immer ein Wirbelwind gewesen und wir waren bereits als kleine Kinder befreundet. Doch nachdem ich Olympia verlassen hatte, brach der Kontakt komplett ab. Wofür ich natürlich nur mir selber die Schuld geben konnte.

    Zu Anfang schrieb ich ihr ab und an eine Postkarte, doch auch das schlief irgendwann ein. Langsam bekam ich ein schlechtes Gewissen. Eigentlich hatte ich es nicht verdient, dass Kayley mich wieder mit offenen Armen aufnahm, nach so langer Zeit, und erwartet hatte ich es erst recht nicht.

    Ich stand auf und ging ins Bad. Im grellen Licht des Badezimmers sah ich dunkle Ringe unter meinen Augen im Spiegelbild. Das lange dunkelrote Haar lag wirr um meinen Kopf. Ich fühlte mich benommen. Die weite Fahrt hatte mir mehr zugesetzt, als ich zugeben wollte, aber das war nur die halbe Wahrheit.

    Vielmehr grübelte ich über die Worte von Hayden Dawson. Ich dachte wegen des schönen Wetters … also ganz der unstete Mensch, der du immer warst, so ein Schwachsinn, reine Provokation.

    Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Ich schien nicht die Einzige zu sein, die sich verändert hatte, und musste unbedingt mit Kayley reden. Sie würde mir einige Fragen beantworten müssen.

    Nach einer viel zu kurzen und nicht wirklich guten Nacht, machte ich mich bereits früh am Morgen auf den Weg zu Kayley.

    Als ich das Lokal betrat, wurde ich herbe enttäuscht.

    Anstelle von Kayleys fröhlichem Gesicht blickte mich eine junge Frau an. Auf mein Nachfragen hin erfuhr ich, dass Kayley immer erst ab dem Abend im Diner arbeitete. Nach einem kleinen, aber guten Frühstück beschloss ich, endlich zum Haus meiner Mom zu gehen.

    Der Morgen sah vielversprechend aus. Die sommerliche Temperatur und der blaue Himmel versprachen, dass es ein schöner Frühlingstag werden würde. Obwohl es vom Black Lake Boulevard zur Water Street mehr als zwei Meilen waren, lief ich gut gelaunt drauf los. Seit Tagen hatte ich endlich ein gutes Gefühl. Ich wusste nicht woran es lag, ob das schöne Wetter meine Stimmung auf ein Hoch brachte oder Kayleys zauberhaftes Lächeln mir gut tat. Ich war mir nur einer Sache sicher, dass es nicht daran lag, Hayden Dawson begegnet zu sein.

    Warum lief ich in der Stadt mit circa vierzigtausend Einwohnern direkt am ersten Abend dem Mann über den Weg, dem ich am allerwenigsten begegnen wollte? Ich haderte mit meinem Schicksal. Womit hatte ich das verdient?

    Nachdem ich den Capitol Lake überquert hatte, war es nicht mehr weit, aber je näher ich meinem Ziel kam, umso schwerer und langsamer wurden meine Schritte. Von der 5th Avenue bog ich rechts in die Columbia Street ab. Für einen Montagmorgen herrschte hier eine Menge Betriebsamkeit.

    Von hier aus war es nur noch ein kurzes Stück bis zur Water Street. Das Haus lag an der Ecke zur 17th Avenue. Die hellblaue Fassade war mittlerweile verblasst, aber mit den weißen Fensterrahmen sah es immer noch gut aus. Es war der typische Baustil Olympias. Die Fenster mit den Holzläden gingen zu beiden Straßenseiten hinaus. Die kleine Garage stand etwas abseits des Hauses, war aber in den gleichen Farben gestrichen. Das große Blumenbeet mit dem japanischen roten Ahorn an der Ecke, wo beide Straßen aufeinandertrafen, schien schon länger nicht mehr gepflegt worden zu sein. Die Treppe vor dem Haus mit ihren zweimal vier Stufen nahm einen großen Platz ein und wirkte einladend. Den wuchtigen Hortensienbüschen neben dem Eingang erging es nicht anders, als dem Blumenbeet. Sie mussten dringend zurückgeschnitten werden. Trotz der mangelnden Pflege blühten sie in einem üppigen Weiß, Blau und Rosa.

    Auf der vorderen Terrasse standen immer noch die Holzmöbel. Auch sie hatten ihre beste Zeit hinter sich, aber sie gaben dem Haus seinen leichten viktorianischen Stil und gehörten für mich schon immer hierher.

    In der Ferne war die Kuppel des Capitols sichtbar. Erstaunlich, wie ähnlich es seinem großen Bruder in Washington D.C. sah.

    Ruhig stand ich dort und ließ den Eindruck auf mich wirken. Eine breite Rasenfläche verlief u-förmig um das Haus meiner Mutter. Der Rasen musste dringend geschnitten und gegossen werden. Ich sah, es gab viel Arbeit. Doch das hatte Zeit, es gab wichtigere Dinge zu erledigen. Ich öffnete den Briefkasten, der am Straßenrand stand. Wie erwartet gab es nur wenig Post. Neben einigen Rechnungen enthielt er nur einen Brief von dem Bestattungsunternehmen, das sich mit mir über meinen Verlag in Verbindung gesetzt hatte. Darum musste ich mich sofort kümmern, alles andere konnte warten.

    Langsam ging ich die Stufen zur Veranda hinauf und ich hatte das Gefühl, einen Berg zu besteigen. Das Atmen fiel mir plötzlich schwerer und die Luft wurde immer dünner. Ich erklomm im übertragenen Sinne einen Gipfel voller Erinnerungen. Zögerlich benutzte ich den Schlüssel, der unter dem großen Blumentopf lag. Kein fantasievolles Versteck, aber Mom war der Meinung gewesen, es gäbe bei ihr nichts stehlen. Die Blüten der Hortensie reichten bis weit über der Veranda. Ich strich ihnen leicht die Köpfe, als wollte ich Hallo sagen. »Bald werde ich mich um euch kümmern«, murmelte ich intuitiv.

    Dann betrat ich leise das Haus und lachte über mich selbst, als ob mich jemand hätte hören können. Die Fliegengittertür fiel sanft ins Schloss. Im Wohnzimmer waren alle Möbel mit weißen Stofflaken abgedeckt, so wurden sie wenigstens vor dem Staub geschützt. In der Leseecke, auf der rechten Seite, stand Moms Schaukelstuhl, ein Buch lag noch aufgeschlagen auf dem kleinen Tisch daneben. Langsam ging ich hinüber und hob es auf. City by the bay. Ich kannte es sehr genau. Es war von mir!

    Verwundert legte ich es zurück.

    Ich streifte weiter durch das Haus, welches fast zwanzig Jahre mein Zuhause gewesen war und das ich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verlassen hatte. Es schien mir eigenartig unverändert und doch war es mir fremd.

    Im hinteren Teil des Hauses lag das Esszimmer mit Blick auf die Terrasse. Ich öffnete die Türen und ließ etwas Licht herein. Der Garten war wunderschön. Überall blühten bereits die ersten Rosen und ein Meer von anderen Pflanzen. Es musste meine Mutter viel Zeit und Arbeit gekostet haben, all diese Blumen zu pflegen. Einige Blumen waren vertrocknet, aber im Großen und Ganzen war die kleine Anlage äußerst gepflegt.

    Über die Treppe im Wohnzimmer ging ich hinauf in den ersten Stock. Hier befanden sich drei Schlafzimmer und zwei kleine Bäder. Die Teppiche waren schon etwas abgenutzt, aber nicht alt. Am Ende des Flurs lag mein altes Zimmer, alle Türen waren geschlossen, daher betätigte ich den Lichtschalter, doch er funktionierte nicht. Vermutlich war der Strom abgestellt. Unterhalb der Treppe gab es einen Sicherungskasten, ich würde später danach sehen. Etwas unsicher öffnete ich die Tür zu meinem alten Leben. Sie knarrte laut. Ich trat einen Schritt vor, hielt dann aber doch inne. Mein Fensterladen war geschlossen, sodass der Raum im Dunklen lag. Mit dem wenigen Licht, das vom Flur aus ins Zimmer fiel, konnte ich mein altes Bett und das Bücherregal erkennen, auch die Tapete mit den kleinen Lavendelblüten war noch an den Wänden. Nein, ich war noch nicht bereit diesen Raum zu betreten. Ich sollte mich erst einmal um andere Dinge kümmern. Das Zimmer lief nicht weg. Ich machte einen Schritt zurück und spürte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter.

    »Ah!«, ich schrie erschrocken auf, drehte mich ruckartig um und schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes.

    »Aua, kannst du nicht aufpassen?« Hayden Dawson rieb sich seine Stirn, auf der eine rote Stelle hervortrat.

    »Mein Gott, Hayden! Musst du dich so anschleichen?«

    Meine Stimme klang schrill. Ich rieb mir ebenfalls meinen Hinterkopf. Das würde eine schöne Beule geben.

    »Was machst du überhaupt hier? Wie kommst du herein?« Ich rieb immer noch meinen Kopf und funkelte ihn böse an.

    »Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Die Haustür stand offen. Du sagtest ja gestern, dass du dich um das Haus kümmerst, da dachte ich, dass ich dir lieber den Strom wieder einschalte. Ich hatte ihn abgeklemmt, nachdem deine Mutter …«, den Rest ließ er offen. Er stand wie ein begossener Pudel vor mir. Da tat er mir fast ein wenig leid.

    »Ich wollte dich nicht verletzen, ich habe nur nicht mit dir hier im Haus gerechnet.«

    »Nein, schon ok. Es war meine Schuld, ich hätte mich eher bemerkbar machen müssen. Es ist nicht der Rede wert.«

    Er fuhr sich mit dem Handrücken über seine Stirn. Ein dunkelroter Fleck war jetzt deutlich sichtbar.

    »Zeig mal her«, ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um nach seiner Stirn zu sehen. Als ich die Haut um die rote Stelle vorsichtig berührte, wich er mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück.

    »Nein, schon gut, es ist ok.«

    »Danach sieht es aber nicht aus.«

    »Alles in Ordnung.«

    Er drehte sich abrupt um und eilte die Treppe hinunter. Ich schloss die knarrende Tür meines alten Zimmers, folgte Hayden Dawson ins Erdgeschoss und fand ihn im Garten.

    »Sorry, Amber, das wollte ich nicht.«

    Er sah verlegen aus.

    »Warum hast du den Strom abgestellt?« Ich blickte ihn fragend an.

    »Ich habe mich etwas um das Haus und den Garten gekümmert, seit es deiner Mutter nicht so gut ging.« Dabei mied er meinen Blick.

    »Du hast meiner Mom geholfen?« Ich war sehr überrascht.

    »Ja, im Garten. Bis vor ein paar Monaten kam sie gut allein zurecht. Ich habe den Rasen gemäht, die Hecken geschnitten und all das.«

    »Oh, gut, dann kannst du mir ja helfen, hier Ordnung zu schaffen«, verlegen biss ich mir auf die Lippen, »ich meine ja nur, wenn du Lust und Zeit hast.« Sofort bereute ich die Worte. »Ich werde dich natürlich dafür bezahlen.« Es wurde immer schlimmer. Je mehr ich sagte, umso konfuser hörte es sich an.

    »Hm, ich schau mal, ob ich das hinbekomme … stelle dir jetzt den Strom an.« Er drehte sich ohne weiteres um und lief schnurstracks ins Haus.

    Ich folgte ihm nicht. Mir war es wohler hier an der frischen Luft, als in der Nähe von Hayden. Die Beule am Hinterkopf pochte laut in meinen Ohren. Auf der Terrasse standen ein rechteckiger Tisch und vier passende Stühle, ebenfalls aus Holz, wie auf der Veranda, nur moderner. Ich setzte mich und blickte in den Garten. Hayden war meiner Mutter zur Hand gegangen, ich wusste nicht einmal, dass sie sich kannten. Plötzlich machte sich ein schlechtes Gewissen in mir breit. Zum ersten Mal kamen in mir wirklich Zweifel auf. War es richtig gewesen, mich all die Jahre nicht zu melden oder hätte ich mich lieber den Problemen mit meiner Mutter stellen sollen, um sie aus der Welt zu schaffen?

    Hayden brauchte nicht lange. »So, Strom ist wieder da. Für den Fall, dass du hier wieder einziehen willst.«

    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mein Hotelzimmer zwar nur für eine Nacht, aber ich kann es verlängern. Ich weiß nicht, ob es richtig wäre, hier zu wohnen.«

    »Hast du Angst vor den alten Geistern?« Er lächelte etwas verhalten, doch seine Augen blickten kühl. Na, immerhin ein leichtes Lächeln.

    »Nein, eher vor fremden Männern, die plötzlich von hinten nach mir greifen«, schoss ich zurück.

    »Ich habe dich nicht angegriffen!«

    »Das habe ich auch nicht gesagt.« Ich gab mir Mühe und lächelte ihn an. »Es gibt noch einige Dinge zu erledigen«, entgegnete ich und erhob mich von meinem Stuhl, bevor dies hier in einem Streit enden konnte.

    Hayden wandte sich um. »Gut, wenn du was brauchst, du weißt ja, wo ich wohne.« Er blickte mir kurz in die Augen und ging mit großen Schritten über den Rasen zur Straße.

    »Danke für den Strom«, rief ich ihm hinterher, doch ich war mir nicht ganz sicher, ob er meine Worte verstanden hatte.

    Kapitel 4

    Nach Hause kommen

    Die Beerdigung meiner Mutter war für den nächsten Samstag geplant. So konnten noch einige unklare Dinge in Ruhe entschieden werden. Wobei ich dem Bestatter ganz freie Hand ließ, was das Wie und Wo betraf. Der Tod war für mich bisher nie ein Thema gewesen, es gab in meinem Leben nicht viele Menschen, die ich hätte verlieren können. Also doch unstetig ! Hayden schien mich durchschaut zu haben, aber ich würde den Teufel tun und ihm zustimmen. Was wusste er schon von meinem Leben? Nur weil ich frühzeitig Olympia verlassen hatte, konnte er nicht einfach davon ausgehen, dass ich nur in den Tag hineingelebt hatte. Mein Job als Fotografin war erfüllend, ich verbrachte die meiste Zeit an Orten, die wesentlich schöner waren als Olympia. Er war vermutlich aus den Grenzen von Washington State nicht einmal im Leben herausgekommen. Den Gedanken daran, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich meine Mutter und die Stadt nicht verlassen hätte, wollte ich nicht aufkommen lassen .

    Man konnte die Vergangenheit nicht ändern, dafür aber die Zukunft planen. Obwohl ich mir eingestehen musste, dass dieses Was-wäre-wenn-Gefühl mich seit einigen Tagen doch sehr beschäftigte.

    Am frühen Abend schaute ich bei Kayley vorbei. Ich befürchtete schon, Hayden über den Weg zu laufen, aber als ich den Diner betrat, war nichts von ihm zu sehen. Ich wollte meine Schulden für das Abendessen begleichen, doch Kayley wies mich beleidigt zurück. Das Lokal war noch leer und so konnten wir über alte Zeiten plaudern.

    »Erinnerst du dich an Josh Bloom? Ich bin damals auf der High School mit ihm gegangen.« Das Leuchten in ihren Augen entging mir nicht. Ich nickte zustimmend. »Ja, natürlich erinnere ich mich an Josh.«

    »Wir sind verheiratet! Schon seit zehn Jahren.«

    »Was? Ich habe immer gesagt, dass er der Richtige für dich ist.«

    Sie nickte zustimmend. »Ja, das hast du. Und du hattest recht. Er ist das Beste, was mir passieren konnte. Josh hat Jura studiert und arbeitet in einer kleinen Kanzlei und wird bald Partner.«

    Ich beneidete Kayley um ihr Leben. Vor allem um den Glanz in ihren Augen, als sie Joshs Namen aussprach. Ich konnte mich noch gut an den großen, blonden, sportlichen Jungen erinnern, den Kapitän des Basketballteams unserer Schule.

    »Ich freue mich, dass es dir gut geht, Kayley. Was gibt es sonst Neues, was kannst du mir erzählen?« Nun hatte mich doch die Neugier gepackt.

    »Erinnerst du dich noch an Thomas Jefferson?«

    »Du meinst den Typ, der sich immer als dritter Präsident vorstellte?« Ich erinnerte mich dunkel.

    »Ja, genau. Tom ist Joshs bester Freund. Er arbeitet in der Firma seines Vaters. Sie verkaufen Lachse, er riecht öfters etwas streng.« Sie hielt sich die Nase zu. Wir brachen in großes Gelächter aus, wie zwei High-School-Schülerinnen, die sich ihre Zeit mit dem neusten Klatsch vertrieben. »Was ist aus Alison geworden? Lebt sie noch hier in Olympia?«

    »Nein, sie ist nach New York gezogen, hat dort geheiratet. Ab und zu kommt sie ihre Familie besuchen. Aber nicht oft.«

    »Und Hayden, was macht er so? Er erwähnte, dass sein Vater bei einem Autounfall ums Leben kam?« Die Frage sollte beiläufig klingen, doch mein Tonfall verriet mich.

    »Nun, mit Hayden ist das so eine Sache. Er lebt überaus zurückgezogen. Immer noch in dem Haus seines Vaters. Ein betrunkener Autofahrer nahm ihm die Vorfahrt, er war auf der Stelle tot. Das war ein schwerer Schlag für Hayden, besonders nachdem ihn Elisabeth gerade verlassen hatte. Zwei Schicksalsschläge auf einmal, wer verkraftet so etwas. Da muss man sich nicht wundern, wenn jemand seltsam wird. Aber Hayden war schon immer ein Einzelgänger.«

    »Du meinst nicht etwa Elisabeth Miller?«, unterbrach ich sie.

    »Doch, Hayden hatte sie, kurz nachdem du Olympia verlassen hast, geheiratet. Es war eine Teenagerromanze. Sie hielt nicht allzu lang. Du kennst ja Elisabeth, sie ist mit irgendeinem Schauspieler durchgebrannt. So hat es Hayden erzählt. Hier aufgetaucht ist sie jedenfalls nicht mehr. Jetzt arbeitet er im Glasmuseum in Tacoma. Dort sind auch einige seiner Werke ausgestellt. Er ist sehr begabt. Du musst es dir unbedingt ansehen. Aber erzähl doch endlich mal etwas von dir. Ich rede die ganze Zeit, dabei bist du durch die weite Welt gereist.«

    Sie schaute mich neugierig an.

    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll», gestand ich.

    Kayley blickte mich ernst an. »Wie wäre es zum Beispiel mit dem Grund deines Verschwindens? Amber, es fällt mir echt schwer, du bist meine beste Freundin und ich weiß, eigentlich geht es mich nichts an. Doch gerade weil wir so gut befreundet sind, habe ich nie verstanden, warum du es mir nie erzählt hast. Amber, bitte, was ist damals vor vierzehn Jahren geschehen, dass du Hals über Kopf weggelaufen bist?«

    Sie blickte mir tief in die Augen und ich wusste, aus dieser Nummer kam ich nicht mehr raus. Es war der Moment gekommen, an dem ich mich der Vergangenheit stellen musste.

    »Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, veränderte sich meine Mutter. Sie war früher so lebensfroh und aufgeschlossen. Aus ihr wurde ein ganz anderer Mensch. Sie igelte sich komplett ein. Ließ niemanden an sich heran, auch mich nicht. Wollte mich vor allem beschützen. Ich hatte in der High School schon kaum Kontakt zu anderen, außer zu dir und ein paar Mädchen. Einen Jungennamen durfte ich gar nicht erwähnen. Sie machte mir einfach das Leben zur Hölle, ich war eine Gefangene in ihrem Haus. Bis ich es nicht mehr aushielt. Am Abend des Abschlussballs kam es zum Eklat. Sie hatte mir verboten hinzugehen. Dabei hatte ich mich doch verliebt und war mit ihm verabredet! Einmal im Leben ausgehen, mit Freunden feiern …«

    Ich starrte gebannt vor mich hin, war nicht in der Lage, Kayley in die Augen zu schauen. Plötzlich war ich wieder zwanzig Jahre alt. »Mom ließ mich nicht gehen. Kaum zu glauben, aber sie sperrte mich in meinem Zimmer ein. Sie verlor völlig die Kontrolle. War wie von Sinnen. In der Nacht packte ich meine Sachen und flüchtete aus dem Fenster.«

    Kayley starrte mich mit großen Augen an.

    »Amber, warum hast du mir nie etwas gesagt? Wieso bist du nicht zu mir gekommen?«

    Ich hob hilflos die Schultern. »Ich konnte es nicht. Was sollte ich dir sagen? Ich schämte mich. Es war nicht zu ändern. Meine Mom war krank und egal was ich tat, sie wollte sich nicht helfen lassen. Darum musste ich gehen. Das war für mich der einzige Weg, um nicht selbst den Verstand zu verlieren.«

    »Oh, Amber!« Sie strich mir liebevoll über den Kopf.

    »Autsch.« Ich zuckte zusammen.

    »Was hast du?«

    Ich lächelte. »Sorry, ich habe mir den Kopf gestoßen. Nichts Besonderes.« Leicht rieb ich über meinen Hinterkopf.

    »Es stimmt. Es kam mir schon immer komisch vor, dass du dich nur nach der Schule mit uns trafst, nie am Abend. Ich dachte, dir läge nicht viel daran und du steckst deine Nase lieber in die Bücher. Wie konnte ich nur so falsch liegen? Oh, Amber, es tut mir so leid. Warum habe ich nicht eher davon erfahren und dir helfen können?«

    Liebevoll nahm sie mich in den Arm, mied dabei sorgfältig die Beule an meinem Kopf. Ihr Trost tat gut. Es war, als würde ich nach einer langen Reise endlich heimkehren.

    »Es ist gut Kayley.

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