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eBook415 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Die junge Emma flüchtet in ihrem betagten Renault R5 vor ihrer vermurksten Vergangenheit in den Süden. Kaum losgefahren, gabelt sie den vierzig Jahre älteren Benedict auf, der mit ähnlichem Ziel seine letzte Ruhestätte sucht. Eine Schicksalsgemeinschaft zweier Persönlichkeiten, die nicht gegensätzlicher sein könnten. Er entpuppt sich als ein arrogantes Wrack und sie als eine Rebellin auf Abwegen. Ein bizarrer Roadtrip durch menschliche Abgründe, eine Fahrt, auf der sie sich viel näher kommen, als möglich scheint.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum30. Nov. 2023
ISBN9783740760625
R5
Autor

Daniel Krumm

Ich wurde 1959 in Basel geboren und seit früher Jugend lese ich mit Leidenschaft, entwickelte mich zum Literaturenthusiasten und fand erst in der Reife des Lebens zum Schreiben. Mein beruflicher Werdegang wurde vornehmlich vom Holz geprägt. Was als Forstwart begann, endete in der Entwicklung von Holzbauten und Schulhäusern. Mich faszinieren die Randzonen der Gesellschaft mit ihren tragischen und bizarren Schicksalen. Mich reizen keine Helden, viel spannender sind Verlierer, Versager, Blender, Gestrauchelte, Ganoven, Exzentriker. Wo Grenzen verwischen, Schwarz und Weiss zu Grau werden, Gut und Böse nicht mehr klar zu unterscheiden sind, entstehen die besten Geschichten.

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    Buchvorschau

    R5 - Daniel Krumm

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1: Mein Name ist Emma

    Kapitel 2: Mein Name ist Benedict

    Kapitel 3: Das Schicksal

    Kapitel 4: Die Annäherung

    Kapitel 5: Die Vereinbarung

    Kapitel 6: Die Bewährung

    Kapitel 7: Hotel Dieu

    Kapitel 8: Bistrot de Lyon

    Kapitel 9: Der letzte Abend

    Kapitel 10: Der Tag danach

    Kapitel 11: Dunkle Gedanken

    Kapitel 12: Le Puy

    Kapitel 13: Die unerfüllte Nacht

    Kapitel 14: Neuer Tag, neues Glück

    Kapitel 16: Neuland

    Kapitel 17: Katerstimmung

    Kapitel 18: Bettgeschichten

    Kapitel 19: Am Pool

    Kapitel 20: Überflüssig

    Kapitel 21: Die Ernüchterung

    Kapitel 22: Richtung Südwesten

    Kapitel 23: Der Weg nach Albi

    Kapitel 24: Albi

    Kapitel 25: Der Schmerz

    Kapitel 26: Unheiliger Sonntag

    Kapitel 27: Das Anwesen

    Kapitel 28: Dunkle Kunst

    Kapitel 29: Der nagende Zweifel

    Kapitel 30: In der Hitze der Nacht

    Kapitel 31: Meer

    Kapitel 32: Urlaub vom Leben

    Kapitel 33: Fortsetzung folgt

    Kapitel 34: Die Wahrheit

    Kapitel 35: Narbonne

    Kapitel 36: Weidegründe

    Kapitel 37: Katerstimmung

    Kapitel 38: Tal der Tränen

    Kapitel 39: Liebe

    Kapitel 40: Unwetter

    Kapitel 41: Nach dem Sturm

    Kapitel 42: Katerstimmung

    Kapitel 43: Morgengrauen

    Kapitel 44: Marie

    Kapitel 45: Der Rausch

    Kapitel 46: Erwachen

    Kapitel 47: Plan B

    Kapitel 48: Die Tat

    Kapitel 49: Zurück

    Kapitel 50: Abschied

    Kapitel 1

    Mein Name ist Emma

    Ich warte im düsteren Licht auf meine Geburt. Die Hände schweißnass, gleich wird mich die letzte Kontraktion ins Leben hinaus drücken. Das Tor der Tiefgarage öffnet sich träge, gibt zögerlich den Blick nach außen frei, die Morgensonne blendet hinein, mit zusammengekniffenen Augen fahre ich hinaus in das neue Dasein, ein Beginn bei null, unschuldig und rein. Die Geburt als Sinnbild für einen Neustart, die diesem Moment gerecht werden soll, zumindest erhoffe ich mir das, obwohl ich mich frage, wie weit es Sinn macht, dazu das alte Wesen zu verwenden.

    Ich bleibe in der Einfahrt stehen, beobachte im Rückspiegel das Tor, wie es sich langsam schließt und den Rückweg versperrt. Es gibt kein Zurück. Den Schlüssel der Wohnung habe ich vor wenigen Minuten der Verwalterin übergeben, das Abnahmeprotokoll unterschrieben und mich mit einem feuchten Händedruck verabschiedet. Sie wünschte mir alles Gute und zeigte dabei ein geschäftsmäßiges Lächeln. Wie hieß die Frau schon wieder? Ich habe den Namen bereits vergessen, er spielt keine Rolle mehr. Die Vergangenheit ist soeben gestorben. Sollen mir doch alle am Arsch lecken.

    Ich nehme die Sonnenbrille aus dem Haar, verstecke meine überreizten Augen hinter den dunklen Gläsern, dann überlege ich, in welche Richtung ich abbiegen soll. Rechts in die pulsierende Stadt oder links in den ruhigen Jura mit seiner gefalteten Landschaft. Egal, der Weg ist belanglos, Hauptsache Süden. An einen warmen Ort, wo der Gefrierpunkt bei Klima und Mensch möglichst nicht unterschritten wird. Italien? Eher Frankreich, der Sprache wegen.

    Ich verscheuche die Gedanken, setze den Blinker und reihe mich in den Verkehr Richtung Jura ein. Dies ist der Weg, der mich schmerzloser von hier wegführt. Kein letzter Blick auf die Stadt, aus der ich stamme und bis zum heutigen Tag gelebt habe. Ich beschleunige sanft, ich habe es ja nicht eilig, fahre durch die Vororte, die allmählich ländlicher werden. Die Stadt franst aus. Der morgendliche Berufsverkehr drängt sich mir entgegen, während in meine Richtung kaum jemand unterwegs ist. Gegen den Strom. Das gefällt mir und irgendwie beschleicht mich die Hoffnung, dass die Vergangenheit mir nicht folgt, zumindest ist sie im Rückspiegel nicht zu sehen. Ich befürchte aber, dass sie sich nur außer Sichtweite hält. Am Rückspiegel baumelt ein Lederriemen mit einer Hasenpfote dran.

    Bald erreiche ich die Sprachgrenze. Ab hier wird französisch gesprochen, eine Sprache, der ich recht gut mächtig bin und deren Melodie ich so liebe. Sogar die Ortsnamen sind eine Verführung, selbst wenn sie ihr Versprechen nicht halten. Das Italienisch gefällt mir auch, nur beherrsche ich es nicht. Allerdings sind Sprachen nur Hülsen. Auf den Inhalt kommt es an, denn er ist es, der das Leben bestimmt, der uns zu dem macht, was wir sind. Sogleich kochen Erinnerungen hoch, aber ich weise mich zurecht, die Vergangenheit soll ruhen, verdammt nochmal. Ich schaue in den Rückspiegel, nur kann ich sie weiterhin nirgends entdecken.

    Ich kurble das Fenster runter und stecke mir eine Zigarette an, die erste am heutigen Tag. Ich inhaliere den Rauch tief, immer wieder, bis das Nikotin meine Sinne zu beleben beginnt. Das muss helfen, bis es einen Kaffee gibt, aber solange es mit dem Verkehr so flüssig läuft, lasse ich mich gerne darin treiben. Die Spannung versucht, verzweifelt von mir abzufallen, wogegen mein Unterbewusstsein sich sträubt. Da klemmt es hartnäckig und das liegt nicht am fehlenden Koffein, nein, da sind noch einige trübselige Gedanken, die nicht loslassen wollen. Tränen beginnen die Sicht zu verschleiern. Ich wische sie weg. Wie es aussieht, lässt sich diese scheiß Vergangenheit nicht so leicht abzuschütteln, ich befürchte, sie sitzt sogar auf der Rückbank und fährt mit. Dieses alte Leben klebt an mir wie ein ausgekauter Kaugummi am Schuh. Es zieht zähe Fäden. Geduld, Mädchen, Geduld.

    Ich fahre zur Seite, halte an, schmeiß den Zigarettenstummel wütend aus dem Fenster und atme erstmals tief durch. Keine achtzig Kilometer bis zum ersten Nothalt. Geht das so weiter, komme ich nirgendwo hin. Andererseits habe ich ja keinen Plan, also spielt es kaum eine Rolle, wann ich das Ziel erreiche.

    Ich lasse meinen Blick schweifen und stelle fest, dass ich vor einem leicht heruntergekommenen Restaurant angehalten habe. Das Schicksal hat mich zu einem Kaffee eingeladen. Ich steige aus, schließe die Karre und schlendere auf den Eingang zu, da bemerke ich seitlich des Hauses einen Gartenbereich. Einige billige Tische und Plastikstühle stehen da rum, nur an einem sitzt ein älterer Mann, der sich sein erstes Bier gönnt. Ich setze mich an die Sonne und versuche, eine möglichst lässige Erscheinung zur Schau zu tragen. Meine Neugeburt soll ja nicht gleich als Rohrkrepierer zu erkennen sein, wozu sich diese Flucht entwickeln könnte, wenn ich mich nicht zusammenreiße. Was soll das? Ich bin doch sonst kein so zartes Pflänzchen.

    Ich blinzle in die Sonne, bestelle bei der nicht mehr ganz jungen, aber überraschend adretten Dame des Hauses einen doppelten Espresso mit einem Croissant, dann inspiziere ich durch die getönten Brillengläser den alten Knacker am übernächsten Tisch, der mich unverblümt angafft. Kein Bauer aus dem Dorf, eher ein Rentner aus der Stadt, der sich hier den Lebensabend schönsauft. Ein Typ Mann, den ich nicht ausstehen kann, er erinnert mich an meinen Vater. Einer, der der Meinung ist, er hätte die Weisheit mit dem Suppenlöffel gefressen, obschon er nur einer Vergangenheit nachtrauert, die nichts mehr mit der Gegenwart zu tun hat. Mit dem Wort Früher beginnen deren Sätze, wenn sie mit dem Jetzt nicht zurechtkommen. Am liebsten hätte er die Uhr zurückgedreht bis in seine Jugend, wo er irgendwo die falsche Abzweigung genommen hat. Ein Exemplar aus verstaubten Restbeständen!

    Ich verdränge die dunklen Erinnerungen an meinen vor sechs Jahren verstorbenen Vater, als der Kaffee und das Croissant serviert wird. Beides schmeckt mir unerwartet gut, hielten doch das Äußere des Hauses meine Erwartungen eher tief. Wie heißt eigentlich diese Ortschaft? Keine Ahnung, aber sie liegt auf einem Weg, den ich auch schon mal gefahren bin, als ich meine Tante in Biel besuchte. Das ist eine Weile her, denn sie ist vor drei Jahren an Krebs gestorben. Schade, sie war einer der wenigen Menschen, die ich mochte, und die mich nicht dauernd eines Besseren belehren wollte. Ich seufze, tunke das Croissant im Kaffee und bemerke im Augenwinkel, wie mich der Alte weiterhin anstarrt. Es gibt hier nicht viel zu sehen, ab und zu ein vorbeifahrendes Auto, ansonsten herrscht hier Ödnis, seitdem die Autobahn den Durchgangsverkehr geraubt hat. Da kann ich nachvollziehen, wieso sein Blick an einer Reisenden haften bleibt. Er steckt sich eine Zigarette an, hält sie affektiert zwischen seinen langen Fingern wie eine Frau, raucht in langsamen Zügen. Ist er schwul? Möglich. Er macht einen verdächtig kultivierten und gepflegten Eindruck.

    Ich beschäftige mich mit meinem Croissant und versuche, ihn zu ignorieren, was nicht einfach ist. Er sitz mir zugewandt, wird quasi gezwungen, mich zu betrachten, außer er würde sich bewusst von mir abwenden, indem er sich auf einen anderen Stuhl setzte. Aber macht er nicht, und ich denke, das will er nicht, im Gegenteil, sein Blick nagelt mich fest.

    »Verzeihen Sie, darf ich Sie was fragen?«, fragt er so unvermittelt, dass ich erschrecke.

    Ich muss trotzdem grinsen, was auch ihm ein Lächeln entlockt. Überraschend schöne Zähne hat er.

    »Sie fragen, ob sie was fragen dürfen. Ich bin offen für alle Fragen, ob Sie eine Antwort bekommen, ist eine andere Frage.«

    Kapitel 2

    Mein Name ist Benedict

    Alles klar, somit wäre der Tarif geklärt. Eine bockige Zicke, vielleicht ist es auch nur das normale Selbstbewusstsein moderner Frauen. Angriff ist die beste Verteidigung, wird sie sich gesagt haben. Bei diesen jungen Amazonen sind wir alten Männer so oder so untendurch, macht man uns doch für alle Entgleisungen verantwortlich. Keine hoffnungsvolle Aussicht für mein Anliegen.

    »Ich wollte nur fragen, ob Sie mich ein Stück mitnehmen könnten?«

    Mit sowas hat sie nicht gerechnet, denn ihre Augen weiten sich kurz. Sie zögert, vermutlich drechselt sie an einer plausiblen Absage. Ist nachvollziehbar. Ich entspreche kaum ihrer Vorstellung eines vertrauenswürdigen Beifahrers.

    »Sie wissen ja gar nicht, wohin ich fahre«, entgegnet sie trocken.

    »Das stimmt, aber es spielt keine Rolle. Ich reise in den Tag hinein ohne ein bestimmtes Ziel.«

    Sie schmunzelt kaum sichtbar, vermutlich macht sie sich über meine Reiseroute lustig.

    »Aber zumindest sollte doch eine grobe Vorstellung vom Ziel existieren.«

    »Ungefähr Richtung Süden. Ich lass mich überraschen. Irgendwann werde ich irgendwo stranden, wo es mir gefällt«, sage ich und störe mich sogleich an meiner melodramatischem Wortwahl.

    Sie deutet auf meinen Seesack, der neben mir auf dem Boden steht und meint: »Leichtes Gepäck. Lange darf die Reise nicht dauern.«

    »Das täuscht. Ich habe mich auf das Wesentliche konzentriert, damit käme ich um die ganze Welt, wenn es sein müsste.«

    Sie mustert mich schweigend, aber meine ursprüngliche Frage beantwortet sie nicht. Was ist denn daran so schwierig? Ein Ja oder ein Nein, es gibt kein Vielleicht. Mir ist es eigentlich scheißegal. Wenn sie nicht will, dann stelle ich mich an die Straße und hänge den Daumen in den Wind. Da fährt schon wer vorbei, der mich mitnimmt.

    Die Wirtin lässt sich blicken, da gebe ich ihr zu verstehen, dass ich zahlen möchte. Sie kommt mit dem Kassenzettel zu mir, ich begleiche den Betrag, lächle sie an und lege noch was drauf. Sie lächelt auf eine Weise zurück, dass es als Angebot verstanden werden könnte. Ich bedanke mich, schnappe meinen Seesack und verabschiede mich bei den beiden Frauen, dann laufe ich davon.

    Blöde, arrogante Schnepfe, denke ich, während ich durch das Dorf latsche, um eine geeignete Stelle zu finden, wo ein Auto anhalten kann, um mich einzuladen. Da hat mir die Wirtin einiges besser gefallen, die war wenigstens nett. Verflucht, hör auf, vergiss endlich die Weiber. Ich atme tief durch, denn heute ist erst der Anfang vom Beginn. Es ist wichtig, dass das Leben an mir abperlt, nichts darf haften bleiben, sonst macht alles keinen Sinn. Keine neuen Verpflichtungen und Beziehungen eingehen, nirgends Wurzeln schlagen, all den Verführungen ausweichen, die lauern.

    Der spärliche Verkehr zieht an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Mir ist klar, dass ich nicht in das Schema eines Anhalters passe, weshalb sich die meisten Automobilisten auf das Experiment mit mir nicht einlassen wollen. Trotzdem hält ein Lieferwagen eines Baugeschäfts. Ich öffne die Seitentür, entgegen blickt mir ein etwa gleichaltriger Mann, unrasiert und mit einem fehlenden Schneidezahn.

    Ob ich nach Biel will, fragt er.

    Ich finde es perfekt und bedanke mich bei ihm.

    Ich wuchte den Seesack auf den Mittelsitz, steige ein und bevor ich die Tür geschlossen habe, lässt er die Kupplung springen, dass der Wagen einen Satz macht. Wir grinsen uns an.

    Ob ich in den Urlaub fahre, will er wissen.

    Ich verneine und erkläre, einen Ort für die alten Tage zu suchen.

    Er fährt wie ein Henker, schneidet die Kurven, ignoriert hartnäckig die Höchstgeschwindigkeit und drängt sich virtuos und unter gehässigem Gehupe durch den Kreisverkehr. Ich amüsiere mich köstlich.

    Zu arbeiten, bis man tot umfalle, sei eine Schande, wettert er und flucht verächtlich. Er speit die Worte regelrecht aus und besprenkelt die Frontscheibe mit seiner Spucke. Das furchige Gesicht hat seine gutmütige Gelassenheit verloren.

    Das sei tatsächlich nicht der Sinn des Lebens, pflichte ich ihm bei und frage nach dem Grund, was ihn denn von einem anständigen Ruhestand abhalte.

    Er wirft mir einen leeren Blick zu und knurrt etwas von Fehlern, die er begangen habe.

    Ich tröste ihn und erkläre, dass es mir ähnlich ergangen sei.

    Ob ich Scheiße gebaut habe, lautet seine Frage.

    Ich nicke vielsagend.

    Er ist kurz abgelenkt, als er einen Radfahrer überholt und dabei nur knapp eine Kollision auf der Gegenspur vermeiden kann.

    Er schielt zu mir rüber und ist der Ansicht, dass ich offensichtlich Ärger mit der Polizei habe.

    Ich verneine und bemerke nebenbei, dass man nicht unbedingt Gesetze brechen muss, um sich in die Scheiße zu reiten. Ich und das Leben an sich seien das Problem.

    Ohlala, die große Krise, meint er wissend.

    Ich stimme ihm zu und er zeigt sich mitfühlend.

    Irgendwie erhält unser Gespräch eine falsche Richtung. Ich habe keine Lust auf die Darlegung meiner Verfehlungen einzugehen. Ich sollte mir unbedingt eine harmlose Geschichte zurechtlegen, damit ich mich nicht jedes Mal in Selbstzerfleischung üben muss. Den Leuten geht mein Leben einen feuchten Kehricht an.

    Der Alte scheint begriffen zu haben, dass ich keine Lust auf eine Lebensbeichte habe und konzentriert sich auf den Verkehr. Mir passt das so. Eine halbe Stunde später erreichen wir Biel, eine unscheinbare Stadt am See, wo er mich aussteigen lässt. Wir schütteln uns die Hand und wünschen uns schmunzelnd einen angenehmen Lebensabend. Ich schultere den Seesack und marschiere Richtung See, überlege kurz, die Füße ins Wasser zu halten, aber entscheide mich, die Reise fortzusetzen. Es ist bald zehn Uhr und weit bin ich nicht gekommen. Ich stelle mich wieder an den Straßenrand und übe Geduld. Ich werde noch unzählige Stunden auf Mitfahrgelegenheiten warten müssen, also wäre es nicht falsch, mich daran zu gewöhnen.

    Der Verkehrsfluss zieht an mir vorbei und die Sonne brennt erbarmungslos hernieder.

    Kapitel 3

    Das Schicksal

    Die Begegnung mit diesem Alten hinterließ einen schalen Nachgeschmack. Ich hatte mir ernsthaft überlegt, ihn ein Stück mitzunehmen, aber bevor ich ihm zusagen konnte, lief er davon. Arschloch, dachte ich in diesem Moment und fühlte mich in der Meinung bestärkt, dass alte Männer schwer zu ertragen sind.

    Grummelnd steige ich in meinen Renault R5, Jahrgang 1982, zwölf Jahre älter als ich, den ich von meiner Großmutter geerbt habe, und orgele mir einen ab, bis er endlich zum Laufen kommt. Mach mir jetzt keine Schande, das kann ich nicht gebrauchen. Er hat mich noch nie im Stich gelassen und hat immerhin zweihundertsechzigtausend Kilometer auf dem Zähler. Ich liebe diese Karre, pflege sie aufopfernd und habe schon einiges an Geld hineingesteckt. Es gibt Männer und Frauen, die glücklich gewesen wären, sie hätten jemals so viel Zuneigung von mir erhalten.

    Ich fahre los und allmählich stellt sich eine spürbare Entspannung ein. Das Autofahren hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt. Als Kind legte ich mich während der Fahrt auf die Rückbank und schlief bald ein, später verarbeitete ich all meine Krisen und Gefühle während unzähliger Fahrten mit dem R5. Der Zählerstand gilt als Beleg für das Auf und Ab in meinem emotionalen Leben. Ich war ein schwieriges Kind und blieb dieser Strategie bis zum heutigen Tag treu. Ich bin mir dessen bewusst, aber scheiterte bei jeder Gelegenheit, dies zu ändern.

    Zärtlich streichle ich über das Lenkrad, lege den Wagen in die Kurven, bis ich mich in den schaukelnden und rhythmischen Bewegungen verliere. Summend fahre ich die kurvige Straße Richtung Biel, erreiche den Stadtrand und reihe mich in den dichter werdenden Verkehr ein. Es ist bald zehn Uhr. Ich entscheide mich, dem See entlang nach Neuchâtel zu fahren, da traue ich meinen Augen nicht. Der Alte steht da vorne am Straßenrand und hält den Daumen in die Luft.

    Soll ich mit gestrecktem Mittelfinger an ihm vorbeifahren, um auf diese Weise zu verstehen geben, was ich von ihm halte? Einen Moment lang finde ich Gefallen an diesem Gedanken. Nichts zwingt mich, anzuhalten und ihn mitzunehmen. Gar nichts, keine moralische Verpflichtung, keine Konvention. Ich bin für sein Weiterkommen nicht verantwortlich, nur für mein eigenes.

    Aber ich schaffe es nicht, an ihm vorbeizufahren. Es ist sein Blick und sein Lächeln, das mich zum Anhalten zwingt. Er hat mich erkannt. Ich halte spät, damit er wenigstens fünfzig Meter zu laufen hat. Eine kleine Anstrengung soll er auf sich nehmen, um gefahren zu werden. Aber er nimmt sich aufreizend viel Zeit und kommt mit dem Seesack auf der Schulter gemütlich angeschlendert. Er öffnet die Beifahrertür, klappt die Rückenlehne nach vorne, schwingt sein Gepäck auf den Rücksitz, bringt den Sitz wieder in die Grundstellung. Dann setzt er sich, schließt die Tür und grinst mich an.

    »So ein Zufall«, meint er, während er sich mit den veralteten Sicherheitsgurten abmüht. »Danke.«

    Ich nicke und fahre los.

    Endlich hat er sich angeschnallt, nestelt noch an seiner Hose rum, dann blickt er schweigend geradeaus. Liegt es an mir, Konversation zu machen? Ich denke nicht, also schweige auch ich. Ein seltsames Gefühl, neben einem Fremden zu sitzen, ohne sich mit ihm zu unterhalten. Andererseits schätze ich die Ruhe, da ich bemühten Smalltalk verabscheue. Es dauert knapp zehn Minuten, bis er das Schweigen bricht.

    »Jetzt nähme es mich doch wunder, wohin Sie fahren.«

    Soll ich ihm die Wahrheit erzählen? Er würde sie vermutlich nicht glauben, sähe sie sogar als einen schlechten Scherz.

    »In den Süden.«

    Er überlegt.

    »Das ist ein weiter Begriff.«

    »So ist es. Ich habe keine Idee und bin gespannt, wo es mich hinführen wird.«

    Im Augenwinkel bemerke ich, wie er mich mustert, dann wieder nach vorne schaut.

    »Also haben wir etwa dasselbe Ziel, nämlich keines. Zumindest keines, welches mit einer Ortschaft verbunden wäre.«

    »Ein lustiger Zufall.«

    Mir scheint, er benötigt immer einen Moment, bis er sich eine Antwort zurechtgelegt hat.

    »Ja, das ist außergewöhnlich. Sicherlich sind wir nicht die Einzigen, die im Süden ihr Glück suchen. Sehnsuchtsorte gibt es da ja zuhauf. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein, zufällig mit demselben vagen Ziel in demselben Auto zu sitzen.«

    Erst jetzt wird mir bewusst, was das zu bedeuten hat, besser gesagt, was sich mit dieser Konstellation aufdrängt. Erhofft er sich, bis in den Süden in dem Wagen sitzen bleiben zu können? Bitte nicht, so habe ich mir die Reise nicht vorgestellt. Eine bezaubernde Frau wünschte ich mir als Begleiterin, aber keinen alten Sack. Ich schiele zu ihm rüber und meine zu erkennen, wie er sich ähnliche Gedanken macht.

    »Was schauen Sie mich so an?«, fragt er.

    »Ich frage mich, was Sie denken.«

    »Raten Sie mal, was ich denke. Sie werden nie draufkommen.«

    »Ich sage Ihnen, was Sie denken. Sie sehen die verführerische Gelegenheit, bequem und ohne dauernd eine Mitfahrgelegenheit suchen zu müssen, in den Süden zu kommen. Richtig?«

    Es sieht aus, als wäge er seine Worte wieder sorgfältig ab.

    »Zugegeben, einen Wimpernschlag lang ging mir diese Option durch den Kopf. Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie sich das wünschen.«

    »Und wieso nicht?«

    »Weil ein in die Jahre gekommener Mann kein interessanter Begleiter für eine junge Frau sein kann.«

    Ich bin freudig überrascht.

    »Das hat was. Ich verneige mich vor Ihrer Weisheit.«

    »Aber ich könnte ja auch mit den Mitteln des alten Mannes locken und vorschlagen, die Reise zu bezahlen. Benzin, Hotel und Essen.«

    »So ein Schrott! Was macht das für einen Sinn? Wieso nehmen sie nicht gleich die Bahn oder das Flugzeug?«

    Er zögert wieder.

    »Weil ich keine Spuren hinterlassen will.«

    Irritiert blicke ich zu ihm rüber, suche den Schalk in seinem Gesicht, erkenne aber nur humorlosen Ernst. Es verschlägt mir etwas die Sprache.

    »Nein, es ist nicht so, wie Sie vermuten«, fährt er fort. »Das Ganze ist völlig unspektakulär, quasi eine komplizierte Familienangelegenheit. Ich suche nur meine Ruhe, mehr nicht.«

    Ich glaube ihm kein Wort. Er ist ein durchtriebener Hund, deutet eine dubiose Geschichte an, um meine Neugier zu wecken, und verharmlost sie im nächsten Satz. Er spielt mit mir und ich frage mich, ob ich mich darauf einlassen soll. Aber was kann ich dabei verlieren? Eigentlich nichts, im Gegenteil, er käme für alle Kosten auf. Billig käme er nicht davon.

    »Angenommen, ich zöge Ihren Vorschlag in Betracht, müssten wir zuerst die Spielregeln festlegen. Das verstehen Sie doch?«

    Er nickt.

    »Erstens: Sie lassen die Finger von mir, sie denken nicht mal daran, Doppelzimmer kommen nicht in Frage.«

    Er nickt.

    »Zweitens: Sie bezahlen sämtliche Spesen.«

    Er nickt.

    »Drittens: Ich bestimme, wo wir durchfahren.«

    Er nickt.

    »Viertens: Ich bestimme, wann die Reise zu Ende ist.«

    Er nickt.

    »Haben Sie noch etwas beizusteuern?«

    Er nickt und meint: »Fünftens: Nur Sie sitzen hinter dem Steuer. Man hat mir den Führerschein entzogen, also kann ich Sie beim Fahren nicht ablösen. Und sechstens: Ich bezahle nur in bar. Wenn eine Kreditkarte nötig ist, benützen wir die Ihrige und ich gebe Ihnen dann das Geld. Mehr fällt mir im Moment nicht ein.«

    Stoff genug, um in ein tiefes Grübeln zu verfallen und die idyllische Uferstraße mit der Aussicht auf den See und die angrenzenden Weinberge überhaupt nicht wahrzunehmen. Meine Gedanken spielen verrückt. Ich bekomme das Gefühl nicht los, soeben in irgendeinen Scheiß hineinzuschlittern. Das geht alles eine Spur zu schnell, zu einfach. Da gibt es irgendwo einen Haken, ich hab das Kleingedruckte nicht gelesen, eine Fußnote nicht beachtet. Es würde zu meinem verfickten Leben passen, völlig naiv in eine Falle zu tappen und total ausgebrannt in der lausigsten Gosse des Südens zu landen, während er sich einen hübschen Lebensabend mit allem Tralala gönnt.

    »Da gibt es ein Problem. Ich traue Ihnen nicht«, platzt es aus mir heraus.

    Er wendet sich mir zu und meint: »An Ihrer Stelle würde ich das auch nicht. Da könnte ja jeder kommen. Wer bin ich denn? Ein alter Sack, der sich von zuhause abgesetzt hat und keine Spuren hinterlassen will. Dubios, windig, vertrauensunwürdig. Da nützt es wenig, wenn ich verspreche, sie in Ruhe zu lassen. Offen gesagt, kann ich Ihnen nicht mehr bieten, als dieses Ehrenwort.«

    So eine altmodische Kacke! Jetzt bringt er noch seine Ehre ins Spiel. Typisch für diese Generation. Wer spricht denn heutzutage von Ehre, außer Angehörige von kriminellen Gangs und südländischen Sippschaften.

    »Ich weiß nicht so recht«, winde ich mich voller Unbehagen. »Sie machen einen anständigen Eindruck auf mich, aber genau aus solchen Typen wie Sie werden Frauenmörder geschnitzt.«

    Ich registriere im Augenwinkel, wie er in sich hinein grinst und zum Seitenfenster hinaus glotzt, damit ich es nicht bemerke.

    »Sie nehmen mich nicht ernst.«

    Seine Schultern beben, derart muss er lachen und in mir beginnt es zu brodeln, es säuert mich langsam an. Ich ignoriere ihn, konzentriere mich dafür auf den Verkehr, der abbremst und zum stehen kommt. Eine Baustelle mit einem Rotlicht. Ich stelle den Motor ab, kurble die Scheibe hinunter, stecke mir eine Zigarette an.

    Er dreht sich mir zu, blinzelt mich mit wässrigen Augen an und meint: »Verzeihen Sie mein Gelächter, aber die Vorstellung, einem Frauenmörder zu entsprechen, finde ich köstlich. In einem gewissen Sinn liegen Sie gar nicht falsch. Manch ein Arzt unterhält seinen eigenen Friedhof.«

    Es dauert einen Augenblick, bis ich seine Worte eingeordnet habe. Mein Blick mustert ihn eindringlich.

    »Sie sind Arzt?«

    »Arzt im Ruhestand.«

    Das muss ich zuerst verarbeiten.

    Kapitel 4

    Die Annäherung

    Das gibt ihr offensichtlich zu denken.

    Ich ärgere mich, es erwähnt zu haben. Es war ein Reflex, der in der Vergangenheit Türen öffnete und Respekt verlieh. Jetzt schäme ich mich beinahe dafür, nutzte ich doch früher diesen Status rücksichtslos aus. Genau genommen machte mich mein arrogantes Gehabe als Arzt zu dem, was ich jetzt bin: zu einem Arschloch!

    »Was für ein Arzt?«, will sie wissen.

    »Spielt das eine Rolle?«

    »Aber sicher. Wären Sie Frauenarzt, dann könnten Sie mal schauen, ob ich meinen Tripper endlich los bin.«

    Für einen Wimpernschlag bin ich geneigt, sie ernst zu nehmen, bis ich zu ihr rüber schiele und auf ihren Lippen die Andeutung eines Schmunzelns erkenne. Sie schaut zu mir und wir grinsen uns an, bis ungeduldig gehupt wird, weil unterdessen die Ampel auf Grün geschaltet hat. Krachend legt sie den Gang ein und rauscht kichernd los.

    »Das ist Vergangenheit«, versuche ich zu erklären. »Ich praktiziere schon länger nicht mehr. Vorbei ist vorbei. Punkt. Blöd, dass ich es erwähnt habe.«

    Sie wirft mir einen vielsagenden Blick zu, als will sie mir zu verstehen geben, dass das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen wurde. Zum Glück nimmt sie das Fahren in Anspruch, verdichtet sich doch der Verkehr und gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Weg.

    »Geradeaus führt uns die Straße Richtung Neuchâtel. Ich denke, das passt«, murmelt sie.

    Ich schweige, schließlich betrifft das den dritten Punkt der vorläufigen Vereinbarung. Ich verändere meine Sitzposition, dass ich sie besser im Auge habe. So genau habe ich sie bis jetzt nicht betrachtet, aber jetzt, wo wir möglicherweise eine längere Zeit miteinander verbringen könnten, macht dies Sinn.

    Sie besitzt eine lädierte Attraktivität. Noch keine dreissig Jahre alt, doch bereits hat das Leben ihre Spuren hinterlassen. Alkohol? Drogen? Eine angeschlagene Psyche? Dunkelbraune, gelockte Haare, die sie ungebändigt über die Schultern fallen lässt, zartgeschnittene Züge, traurige Augen in schlammigen Grau, dünne Lippen und ein zierliches Kinn. Ein Puppengesicht, gäbe es da nicht diese Spuren. Einzig wenn sie lacht, verschwindet der Schleier für einen Augenblick. Ihr Körper kann unter ihrem saloppen Sweatshirt nur erahnt werden, jedoch den feingliedrigen Händen entsprechend, wird ihre Figur kaum übermäßig gepolstert sein. Ich versuche, sie nicht auf das Äußere zu reduzieren, was ja früher meine Spezialität war.

    Sie ist sich bewusst, dass ich sie taxiere, aber sie lässt es über sich ergehen. Sie wirft sich sogar in Pose, streicht das Haar hinter das Ohr, damit sie besser zur Geltung kommt. Eine unwillkürliche Geste, die mich optimistisch stimmt, dass eine Vereinbarung möglich wird.

    »Und, genug gesehen? Zufrieden mit mir?«

    »Der äußere Eindruck lässt manchmal ins Innere blicken.«

    »Lieber nicht.«

    Was sagt man zu solch einer Aussage? Mir fällt auf jeden Fall nichts Gescheites ein, weshalb ich schweige.

    »Frankreich kommt immer näher«, bemerke ich beiläufig nach einer Weile.

    »Ach ja?«

    Sie hat keine Lust auf Konversation, starrt geradeaus auf die Straße und scheint in ihren Gedanken verloren zu sein. Wir queren die Stadt auf der Autobahn, die hauptsächlich durch den Untergrund führt. Ich kenne Neuchâtel aus früheren Zeiten und hätte gewusst, wo ein hervorragendes Restaurant oder eine lauschige Bar zu finden wäre. Orte, die ich ausschweifend genossen habe. Aber das gehört in ein anderes Leben.

    Wir preschen an der Zigarettenfabrik vorbei, was mich sogleich animiert. Nachdem ich mühsam die Scheibe heruntergekurbelt habe, stecke ich mir eine an.

    »Ein Klischee. Ärzte, die rauchen und den Patienten es verbieten«, stichelt sie.

    »Wie ein Priester, der Keuschheit predigt und kleine Jungs missbraucht. Etwa so?«

    »Ein etwas krasses Gleichnis, aber die grobe Richtung stimmt.«

    »Bleiben wir doch bei der Bildsprache. Wenn ich rauche, dann ist das zu vergleichen mit einer alten Karre, welche beim Einparken einen kleinen Kratzer abbekommt. Und sollte es mich umbringen, so ist es auch egal. Bei Ihnen ist das eine andere Geschichte.«

    Konzentriert fährt sie durch den dichten Verkehr und ich muss ihr zugestehen, dass sie das hervorragend und sehr sicher macht. Ich als Beifahrer bin gewöhnlich unerträglich, finde dauernd etwas zu nörgeln. Aber sie wirkt so entspannt wie die wenigsten Menschen hinter dem Steuer.

    »Zu jung zum Sterben. Ist es das?«

    »Es ist eine Frage der persönlichen Freiheit, wie man mit dem eigenen Körper umgehen will.«

    Das Gespräch versiegt, was mir gefällt. Sie hat offensichtlich keine Mühe zu schweigen und ich hasse belangloses Gelaber. Beide hängen wir in unserer Welt fest und sie überlegt vermutlich, was von der angedachten Vereinbarung zu halten ist. Da fehlt noch die Übereinkunft, irgendetwas passt ihr nicht. Sie zaudert.

    Sie folgt der Straße nach Yverdon, lässt sich im Verkehr treiben, schaltet das Radio ein, findet aber keinen Sender, der ihr zusagt. Das Gerät ist nicht das neuste, trotzdem ist ein CD-Player integriert. Aus dem Seitenfach fischt sie eine silbrige Scheibe und füttert den Schlitz damit. Es beginnt mit dem rhythmischen Schlagen des Herzens und es wird mir auf der Stelle klar, das ist Pink Floyds The Dark Side of the Moon. Ich kenne jeden Ton, jeden Akkord, den ganzen Text, einfach alles, jeder Song hat mich geprägt. Das Album meiner Jugend und es läuft mir heute noch kalt den Rücken runter, die Härchen stellen sich auf, der Puls beschleunigt.

    Sie bemerkt meine Unruhe und fragt: »Soll ich was anderes einlegen?«

    »Im Gegenteil. Bitte lauter machen.«

    Sie

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