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Brief vom Vater
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eBook196 Seiten3 Stunden

Brief vom Vater

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Über dieses E-Book

Kleinstadtleben - Kleinstadtsterben. Der gesellschaftliche Auf- und Abstieg einer Frau und ihrer Umgebung zwischen Enteignung und dem Bröckeln bürgerlichen Lebens.
Rosa ist Friseurin in einer steirischen Kleinstadt. Ihr Leben ist mit drei Männern verbunden. Mit Sigi, ihrem ersten Mann, der das Scheitern seiner Beziehungen nicht mehr erträgt, mit Klaus, ihrem zweiten Mann, der das langsame Sterben der Kleinstadt nicht wahrhaben will, und mit Severin, ihrem Sohn, der der Liebe seines Vaters hinterherläuft.

In Gabriele Kögls Roman geht es um emotionale und materielle Entwurzelung, darum, was es für den Einzelnen bedeutet, alles zu verlieren.
Und es geht um eine Frau, die sich nicht zum Opfer machen lässt und sich resilient und offen den Schicksalsschlägen ihres Lebens entgegenstellt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum11. Sept. 2023
ISBN9783039300525
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    Buchvorschau

    Brief vom Vater - Gabriele Kögl

    Er habe sich einen Plastiksack über den Kopf gezogen, sagte der Feuerwehrhauptmann. Rosa wollte ihn nicht sehen, und der Feuerwehrhauptmann sagte auch, es sei besser so. Ein schöner Anblick sei es nicht. Rosa blieb draußen stehen, vor der aufgebrochenen Tür. Ob es ein Unfall gewesen sei, fragte sie. Sie könnte besser damit leben, wenn es ein Unfall gewesen wäre. „Kann sein, sagte der Feuerwehrhauptmann, „aber ich glaube es ehrlich gesagt nicht. Er reichte ihr den Brief, den er in Severins Hand gefunden hatte.

    Severin hatte sich in letzter Zeit zurückgezogen, war ein paar Tage nicht bei ihr aufgetaucht, wenn er zu Hause war. Rosa hätte bei ihm klingeln können oder ihn anrufen, aber sie ließ ihn in Ruhe, wenn er es brauchte. Er wusste, er konnte jederzeit zu ihr kommen, hinauf in den ersten Stock des Hauses. Er war kein Kind mehr, nach dem sie dauernd hätte schauen müssen. Vor einem Monat hatten sie noch zusammen seinen Vierziger gefeiert. Nur er und sie. Es war ihr da schon aufgefallen, dass er kein Bedürfnis hatte, seine Freunde einzuladen. Als wäre ihm der Vierziger nicht egal gewesen, als hätte er ihm wehgetan und als wollte er diesen Schmerz am ehesten mit seiner Mutter teilen. Vielleicht hatte er sich gedacht: Viel habe er nicht erreicht bis zum Vierziger.

    Das halbe Haus gehörte Severin. Aber dazu hatte er es nicht selbst gebracht, er hatte es von seiner Großmutter geerbt. Die andere Hälfte hatte Rosa bekommen. Er hatte sich praktisch nichts erarbeiten müssen. Und im Haus hätte viel gerichtet gehört. Rosa hatte ihn auch immer wieder gefragt, wann er es denn angehen würde. Im Bad waren die Leitungen so verkalkt, dass sie fast kein Wasser mehr durchließen. Und überhaupt, das Haus war feucht und hätte längst trockengelegt werden müssen. Rosa merkte es nicht so, oben, im ersten Stock, aber wenn sie unten bei Severin hineinging, fiel ihr auf, wie muffig und modrig alles roch.

    Warum gerade mit einem Plastiksack, hätte Rosa gerne gewusst und hielt den Brief in der Hand, den Severin in der Hand gehalten hatte, als er Ernst gemacht hatte mit dem Vorhaben, das er sich wahrscheinlich schon länger ausgemalt und auf das er sich offenbar gründlich vorbereitet hatte. Warum hatte er überhaupt diesen Brief in der Hand? Wollte er seiner Mutter damit etwas sagen oder seinem Vater, in der wahnwitzigen Vorstellung, er könnte sich über den Brief direkt mit dem Vater verbinden in einer anderen Welt? Vielleicht hätte sie ihm den Brief nicht geben sollen, damals. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Aber Rosa hatte gedacht, er habe auch ein Recht darauf, zu erfahren, was in dem Brief stand, weil sich damals alle gefragt hatten, warum. Es gab keine Erklärung, weil Sigi ja offensichtlich glücklich war mit der neuen Frau und dem neuen Kind. Erst als der Brief ankam, von der kleinen Stadt in der Nähe von Innsbruck herein in die Südsteiermark, hatten plötzlich alle gewusst, warum. Severin war damals auch schon kein kleines Kind mehr, sodass sie den Brief vor ihm hätte verheimlichen müssen.

    Rosa war auch nie im Streit mit Elvira gewesen, der zweiten Frau von Sigi. Natürlich hatte es unschöne Szenen gegeben bei der Trennung, aber die hatten nichts mit Elvira zu tun, die es damals noch gar nicht gegeben hatte in Sigis Leben. Später kam der Vater immer wieder einmal vorbei mit dem kleinen Sohn, um den großen zu besuchen. Der Kleine war herzig, der Halbbruder vom Großen, und man sah, welche Freude der Vater gehabt hatte mit dem neuen Kind. Er erzählte auch voller Stolz, was er alles mit ihm machte, wenn die Frau arbeiten ging. Er wickelte ihn sogar, was er bei seinem ersten Buben nie getan hatte. Und wenn er von der Arbeit heimkam und die Frau wegging, zur Arbeit, wie sie sagte, dann machte er dem Kleinen das Abendessen und legte ihn schlafen und er war ganz stolz darauf, dass er es konnte und der Kleine es gernhatte, wenn der Vater bei ihm war und sich um ihn kümmerte.

    Rosa wollte er immer noch beweisen, dass er ein guter Vater war. Aus schlechtem Gewissen heraus vielleicht, weil er es bei Severin nie so deutlich gezeigt hatte. Oder er wollte Rosa zeigen, dass er sich weiterentwickelt hatte, dass er nicht mehr derselbe war, und bestimmt wollte er ihr demonstrieren, dass er es gut erwischt hatte mit der jungen Frau und dem Haus, das sie geerbt hatte und wo es immer etwas herzurichten gab.

    Severin fuhr immer wieder einmal hinaus, auch wenn es weit war von der Südsteiermark in die Innsbrucker Gegend, zu seinem Vater und dessen neuer Frau, oder er schaute bei ihnen vorbei, wenn er eine Tour hatte mit dem Lastwagen. Die junge Frau hatte Severin immer freundlich behandelt, hatte für ihn gekocht und sich gerne mit ihm unterhalten. Rosa gewann den Eindruck, dass sich Elvira sogar mehr um Severin kümmerte als sein Vater, und daher ließ Rosa ausrichten, dass der Kleine später gerne auch einmal zu ihr und Severin kommen konnte, wenn er größer war. Denn wären sie gut zu ihrem Buben, würde sie auch gut zu deren Buben sein.

    Ob sie es der Großmutter sagen sollten? Der Bruder von Sigi meinte, man solle es ihr ersparen. Sie habe genug mitgemacht, als ihr Sohn sich umgebracht hatte. Sie müsse es nicht auch noch erleiden, dass ihr Enkel nicht mehr lebte, auf ihre alten Tage. Es würde ihr nicht wirklich auffallen, dass er nicht mehr da war. Er hatte sie in den letzten Jahren nur noch selten besucht. Seit sie dement war, konnte er nur mehr wenig mit ihr anfangen. Und die Großmutter verwechselte Severin oft, dachte, es sei Sigi, der sie besuchte. Und wenn man sie darauf hinwies, dass es ihr Enkel war und nicht ihr Sohn, fragte sie nach Sigi, wie es ihm gehe und warum er nicht mitgekommen sei. Dann erzählte ihr Severin, dass sein Vater schon gestorben und deshalb nicht dabei war. Da fing sie zu weinen an, weil sie längst vergessen hatte, dass Sigi gestorben war, und wollte wissen, wann und warum. Und Severin brachte es nicht übers Herz, ihr zu erzählen, dass sein Vater sich umgebracht hatte. Er hielt es ja selbst kaum aus, sich das vorzustellen. Und so sagte er einfach, dass Sigi einen Herzinfarkt hatte, und da er ein starker Raucher war, wäre das auch nicht unwahrscheinlich gewesen. Der Großmutter kamen gleich die Tränen, zuerst, weil es für sie neu war, dass ihr Sohn nicht mehr lebte, und dann weinte sie über sich selbst, weil sie erkannte, wie vergesslich sie war, dass sie sich nicht einmal das gemerkt hatte. „Ich bin halt schon dumm", sagte sie und schüttelte den Kopf.

    Rosa mochte ihre Schwiegermutter, als sie noch ihre Schwiegertochter war. Und sie glaubte, dass ihre Schwiegermutter sie auch mochte. Vor allem, weil sie ihrem Sorgenkind ein Zuhause geboten hatte. Anfangs hatte es sie vielleicht noch gestört, dass Rosa so jung war, etwas zu jung vielleicht für ihren Sigi. Aber sie schätzte Rosas Anteilnahme an ihrem Leben. Rosas Freude an dem Salat, der bei ihr im Garten so schön wuchs und den sie am Strunk immer frisch abgeschnitten und Rosa mitgegeben hatte. Und sie sah auch Rosas Wertschätzung für die großen braunschaligen Eier von den Hühnern aus ihrem Stall, die einen weitläufigen Auslauf hatten und den ganzen Tag im Freien Gras, Klee und Würmer picken konnten.

    Rosa hatte schnell erkannt, dass das Produzieren von Lebensmitteln der eigentliche Sinn im Leben der Schwiegermutter war. Und bald hatten auch Rosa und Sigi zweimal im Jahr ein Schwein von den Schwiegereltern bekommen. Ein naturgefüttertes Schlachtschwein, keines, das mit gekauftem Soja aus Südamerika gemästet wurde und mit allen möglichen Zusatzstoffen angereichert war. Die Tiere für den Eigenbedarf durften doppelt so viel Zeit benötigen, um zu wachsen. Sie bekamen Küchenabfälle und frisches, feines Gras, wenn rund um den Hof gemäht wurde. Rosa hatte es sich angewöhnt, ihre Küchenabfälle der Schwiegermutter zu bringen, anstatt sie im Klo hinunterzuspülen. Das war ein schöner Kreislauf, und auf die Schweine der Schwiegermutter konnten sie sich verlassen wie auf Ostern und Weihnachten. Sie wurden am Hof geschlachtet, abgepackt und in die Gefriertruhe gelegt. Das war praktisch und Rosa musste kein Fleisch mehr im Supermarkt oder beim teuren Fleischhauer kaufen. Sie lernte von der Schwiegermutter, das ganze Schwein zu verwerten. Aus den Schwarten wurden knusprige Grammeln herausgekocht, die auf dem flüssigen Fett schwammen und abgeschöpft wurden. Das Fett kam in Rexgläser und wurde für Wiener Schnitzeln und Backhendeln verwendet. Leber und Hirn verarbeitete Rosa ebenso wie die Lunge und den Magen, aus denen sie eine Kuttel- oder Flecksuppe machte.

    Beim Schlachten half Rosa der Schwiegermutter, die Därme zu reinigen. Bei dieser Arbeit wurde heißes Wasser in die mit Kot gefüllten Darmschläuche geleert, so lange, bis der Schweinedreck ausgewaschen war und die Därme nicht mehr stanken. Dann wurden sie mit Rollgerstenbrät gefüllt, an den Rändern mit Zahnstochern verschlossen und im Ofen gebacken. Die Därme bekamen eine Kruste und die Breinwurst wurde mit Sauerkraut gegessen.

    Daran musste Rosa denken, als sie am großen Eichentisch in der Stube der Ex-Schwiegermutter saß, um das Begräbnis von Severin zu besprechen. Sie meinte, den Geruch von frisch ausgelassenem Fett zu riechen, als hätte der Schwager erst vor Kurzem geschlachtet. Dabei hatten sie doch längst keine Schweine und Kühe mehr, wahrscheinlich bildete sie sich diesen Geruch nur ein, weil er sie an eine Zeit erinnerte, an die sie gerne zurückdachte.

    Nun saß ihr die alte Frau mit einem kantigen Gesicht und schlohweißem Haar gegenüber. Früher war sie stolz darauf gewesen, dass ihre Haare dunkel geblieben waren, bis weit in ihre Sechziger hinein. Und sie war eine lustige Frau gewesen. Eine Zeit lang waren die Schwiegereltern mit auf die Zeltfeste und Bälle gegangen. Die Schwiegermutter hatte gerne getanzt, auch mit Rosa, das hatte Sigi damals nicht gestört. Und einmal, auf einem Faschingsgschnas, waren Rosa und die Schwiegermutter als Braut und Bräutigam verkleidet und niemand hatte sie erkannt, nicht einmal Sigi oder der Schwiegervater. Darüber konnten sie später immer wieder lachen. So lange, bis es die alte Frau vergessen hatte.

    Sie hatte auch sofort zugesagt, als Rosa sie gefragt hatte, ob sie auf Severin aufpassen würde, als sie wieder arbeiten gehen wollte. Das hatte sie ihr nie vergessen. Sigi nahm den Kleinen mit, wenn er zur Arbeit fuhr, und holte ihn wieder ab, wenn er auf dem Heimweg war. Es sah alles gut aus damals. Rosa fand es nach einigen Monaten langweilig, nur beim Kleinen zu sein, und außerdem konnten sie ihr Geld gut gebrauchen für eine neue Küche mit einem Ceranfeldherd und einem Dunstabzug, wie es alle modernen Küchen hatten. Für kleine Kinder gab es früher in der Kleinstadt keine Betreuung und die Schwiegermutter hatte sie neben der landwirtschaftlichen Arbeit übernommen, bis der Kleine alt genug war, um in den städtischen Kindergarten zu gehen.

    Die eigene Mutter hatte Rosa nicht fragen wollen. Die war sehr mit dem Haus beschäftigt, das nicht so ein guter Kauf gewesen war, wie ihre Mutter anfangs vielleicht gedacht hatte. Alles war alt und muffig, das Haus hatte nicht einmal einen Keller und überall stieg die Feuchtigkeit auf. Rosa hatte sich geärgert, dass ihre Mutter sie nicht in die Kaufüberlegungen einbezogen, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Vor allem, da sie nach dem Tod des Vaters eine Erbverzichtserklärung unterschrieben hatte, damit die Mutter abgesichert war gegenüber ihrer Tochter und weiter allein über das Haus verfügen konnte, das der Vater und sie gebaut hatten. Und dann wurde es abgerissen, es gab keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Die Umfahrung der Stadt war von allgemeinem Nutzen, da wurde auf ein paar Hausbesitzer keine Rücksicht genommen. Die breite Straße ging direkt durch ihr Haus hindurch, und genau dort, wo der Obstgarten gewesen war, befand sich nun der Drogeriemarkt, daneben der Schuhdiscounter und dahinter der Tierfuttermarkt. Mit der Ortsumfahrung kam die Einkaufsstraße. Alle wichtigen Geschäfte für den täglichen Bedarf wurden dort angesiedelt. Wenn man nicht etwas Spezielles brauchte, gab es keinen Grund mehr, in die Stadt zu fahren. Es war praktisch so, denn man musste nicht mehr in der Innenstadt mühsam nach einem Parkplatz suchen. Es waren genug Obst- und Gemüsegärten da, die zu Parkplätzen umfunktioniert werden konnten.

    Rosas Eltern hatten keine Reichtümer erwirtschaftet. Der Vater war Werkzeugmacher und hatte eine eigene Schmiedewerkstatt neben dem Haus, in dem sie wohnten. Aber sie hatten ein eigenes Haus auf eigenem Grund und Boden. Und der Vater war stolz darauf gewesen, dass sie dieses Haus hatten bauen können in den Fünfzigerjahren, mit einem Kredit, den sie langsam abstotterten, bis sie am Ende schuldenfrei waren. Dieses Haus war ihr Ein und Alles. Sie pflegten und behübschten es, strichen jedes zweite Jahr die Balken. Sobald das Holz einen Anflug von Verwitterung zeigte, auch die Fensterstöcke und Rahmen. An den Fenstern brachte die Mutter Blumenkästen an, die jedes Jahr mit neuen Petunien und Pelargonien bepflanzt wurden. Der Garten war voll mit Obstbäumen und obwohl die Mutter halbtags beim Konsum an der Kassa saß, nahm sie sich die Zeit, um all das Obst einzukochen, das in ihrem Garten gedieh. Rosa mochte auch den Bach, der hinter dem Obstgarten vorbeiplätscherte und wo es im Sommer immer kühler war als an allen anderen Schattenplätzen. Die Nachricht, dass die Umfahrung der Stadt genau durch ihre Siedlung gehen würde, traf Rosas Vater wie ein Schlag. Nie hätte er vermutet, dass er von diesem idyllischen Fleck Erde einmal wegziehen müsste. Als die Pläne der Stadtregierung immer konkreter wurden und ein Datum für die Schleifung der Häuser feststand, traf den Vater tatsächlich der Schlag, der es ihm ersparte, dabei zuschauen zu müssen, wie sein Lebenswerk zerschlagen wurde, wie Rosas Mutter damals sagte.

    Rosa war es aufgefallen, dass der Vater stiller geworden war in den letzten Monaten. Aber das war in der Zeit ihres Erwachsenwerdens. Sie war zu sehr mit ersten Liebeleien und ihren Arbeiten für die Lehrabschlussprüfung beschäftigt, als dass sie sich gefragt hätte, was ihren Vater bedrückte. Die Mutter nahm den Tod ihres Mannes hin als einen Schicksalsschlag. Sie jammerte nicht, sie beklagte sich nicht. Sie versuchte ihr weiteres Leben zu organisieren, verkaufte die Esse und den Amboss und alles andere, was aus der Werkstatt noch etwas einbrachte, bevor es von der Abrissbirne verwüstet wurde. Da Rosa noch nicht volljährig war, verfügte die Mutter über ihren Erbanteil. Sie sagte, dass sie ein gutes neues Objekt und keine verluderte Keusche mit dem Enteignungsgeld kaufen wollte. Und am Ende würde Rosa sowieso alles erben, wer denn sonst? Deshalb hatte Rosa dann auch nichts dagegen, dass die Mutter die untere Haushälfte dem einzigen Enkel vererbte, den sie hatte. Rosa war das recht, denn wenn schon Severins Vater nie etwas besessen hatte, sollte es bei ihrem Sohn nicht genauso sein. Er sollte etwas mitbekommen, und wenn er mit der Wohnung unten zufrieden war, musste er sich für den Rest seines Lebens keine Gedanken machen, wo er einmal wohnen würde, wenn seine Großmutter starb. Und schon gar nicht sollte er darauf schauen müssen, ob die Frau etwas besaß, die er vielleicht einmal heiratete. Dass er von seinem Vater nichts erben würde, musste er früher erleben, als alle dachten.

    Sigi hatte Rosa als richtige Städterin empfunden. Da er auf dem Dorf aufgewachsen war, imponierte es ihm, dass Rosa praktisch in Fußweite von der Innenstadt wohnte. Auch wenn er nicht gerne zu Fuß ging, wie die meisten Leute vom Land damals. Im Gegensatz zu Rosa, die es liebte, nach der Arbeit einen Schaufensterbummel durch die kleine Fußgängerzone

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