Traurige kleine Eisprinzessin: Sophienlust - Die nächste Generation 102 – Familienroman
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Gabriela wälzte sich unruhig im Bett. Ein Albtraum quälte sie. Sie hörte das Kreischen von Bremsen, vernahm das Knirschen verbeulten Blechs und spürte einen jähen Schmerz, als ihr Kopf gegen etwas Hartes schlug. Langsam drängte sich die Wirklichkeit in ihr Bewusstsein. Es war kein böser Traum, es gab einen Unfall! Ein fremder Autofahrer hatte dem Vater die Vorfahrt genommen und war in die Seite ihres Familienwagens gekracht. Gabrielas Herz pochte angstvoll. Sie war gerade erst zu sich gekommen, wusste nicht, was mit den Eltern und dem kleinen Bruder geschehen war, der neben ihr auf der Rückbank gesessen hatte. Sie lag in einem Krankenbett, das konnte sie spüren. Aber sie konnte sich nicht bewegen und auch die Augen nicht öffnen. Panik ergriff sie. Da hörte sie die Stimme ihrer Mutter. Sie klang seltsam belegt. »Wird sie wieder gesund werden?« Von wem sprach die Mutter? Von ihr? War sie schwer verletzt, musste man um ihr Leben bangen? »Keine Sorge«, antwortete jemand beruhigend. War es ein Arzt?
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Buchvorschau
Traurige kleine Eisprinzessin - Birgitta von Meierhofen
Sophienlust - Die nächste Generation
– 102 –
Traurige kleine Eisprinzessin
Unveröffentlichter Roman
Birgitta von Meierhofen
Gabriela wälzte sich unruhig im Bett. Ein Albtraum quälte sie. Sie hörte das Kreischen von Bremsen, vernahm das Knirschen verbeulten Blechs und spürte einen jähen Schmerz, als ihr Kopf gegen etwas Hartes schlug. Langsam drängte sich die Wirklichkeit in ihr Bewusstsein.
Es war kein böser Traum, es gab einen Unfall! Ein fremder Autofahrer hatte dem Vater die Vorfahrt genommen und war in die Seite ihres Familienwagens gekracht. Gabrielas Herz pochte angstvoll. Sie war gerade erst zu sich gekommen, wusste nicht, was mit den Eltern und dem kleinen Bruder geschehen war, der neben ihr auf der Rückbank gesessen hatte. Sie lag in einem Krankenbett, das konnte sie spüren. Aber sie konnte sich nicht bewegen und auch die Augen nicht öffnen. Panik ergriff sie. Da hörte sie die Stimme ihrer Mutter. Sie klang seltsam belegt.
»Wird sie wieder gesund werden?« Von wem sprach die Mutter? Von ihr? War sie schwer verletzt, musste man um ihr Leben bangen?
»Keine Sorge«, antwortete jemand beruhigend. War es ein Arzt? »Die Frakturen der Beine werden heilen. Ihre Tochter wird wieder vollständig genesen.«
»Gott sei Dank«, stöhnte nun der Vater auf. »Wir hätten es nicht ertragen, wenn auch Gabriela …« Er brach ab und schluchzte.
»Es tut mir sehr leid um Ihren Sohn«, sagte der Arzt hörbar erschüttert. »Aber wir konnten nichts mehr für ihn tun.«
Gabriela hielt den Atem an. Sie sprachen von Tim. Tim war nicht mehr bei ihnen. Ihr Herzschlag setzte einen Moment aus. Wie konnte das sein, er war doch erst fünf Jahre alt!
»Er hatte den Sicherheitsgurt seines Kindersitzes gelöst und ...« Die Stimme des Vaters versagte, und die Mutter unterdrückte ein Schluchzen.
Meine Schuld!, schrie es in Gabriela. Es ist meine Schuld, dass Tim sterben musste! Aber niemand hörte sie. Ja, sie war schuld. Sie hatte nicht auf den kleinen Bruder aufgepasst. Dabei wusste sie, dass er sich mitunter von seinem Kindersitz abschnallte, wenn ihn dieser daran hinderte, etwas Interessantes nachzuverfolgen. Diesmal war es die Schafherde gewesen, die kurz vor dem Unfall seine Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte es zu spät bemerkt, hatte in ihrem Comicheft geschmökert. Das würde sie sich niemals verzeihen. Ihr kleiner Bruder war wegen ihres Versagens gestorben. Sie hatte es nicht verdient, gesund zu werden. Eine dicke Träne quoll unter ihren geschlossenen Wimpern hervor und rollte langsam über ihre Wange.
»Sie weint«, rief die Mutter erschrocken. »Sie kommt zu sich.«
»Ein gutes Zeichen«, seufzte der Arzt erleichtert auf. Dann runzelte er argwöhnisch die Stirn. Hoffentlich hatte die Kleine das Gespräch nicht belauscht. Auf diese Weise hatte sie nicht erfahren sollen, dass der Bruder den Unfall nicht überlebt hatte. Das konnte ein Trauma auslösen. Er trat ans Bett und drückte den Arm der jungen Patientin. »Gabriela hörst du mich?«
Doch die Zehnjährige reagierte nicht, nur die Tränen liefen über ihre Wangen. Sie dürfen nicht wissen, dass ich wach bin, dachte sie panisch. Sie wollte nicht die Vorwürfe in den Augen der Eltern sehen, weil sie nicht genug auf den Bruder geachtet hatte. Sie könnte es nicht ertragen, wenn Mama und Papa sie nun weniger liebten, da sie durch ihre Schuld den Sohn verloren hatten.
Edith Winkler strich sanft über die nassen Wangen ihrer Tochter. »Kleines, quäle dich nicht«, sagte sie mit brüchiger Stimme, die ihr kaum gehorchen wollte. »Wir haben dich lieb. Komm zu uns zurück.«
»Ich bin zuversichtlich, dass sie bald erwacht«, lächelte der Arzt. »Aber wir sollten ihr jetzt Ruhe gönnen.« Er wies zur Tür, worauf die Eltern sich zögernd zurückzogen. Er warf nochmals einen prüfenden Blick auf seine kleine Patientin, dann ging auch er davon.
*
»Gabi beeile dich, wir müssen los.« Edith stopfte die Unterlagen in ihre Handtasche und nahm den Autoschlüssel vom Schlüsselbrett im Flur. Sie runzelte ärgerlich die Stirn. Von ihrer Tochter war noch immer keine Spur. Raschen Schrittes lief sie zu Gabrielas Zimmer, das sich im Erdgeschoss ihres Hauses befand, und klopfte energisch an die Tür. »Kleines, die Zeit drängt, Dr. Wallrab wartet nicht.«
Wieder keine Antwort. Unwirsch drückte Edith die Türklinke herunter und stockte im Schritt. Ihre Tochter lag lang ausgestreckt auf dem Bett und hielt die Augen geschlossen. Der Rollstuhl stand mitten im Zimmer, offenbar in einem Wutanfall dorthin befördert.
»Gabriela, was soll das!«, schimpfte Edith. »Ohne die Therapie kommst du doch nie auf die Beine.«
»Mit der Therapie auch nicht«, trotzte das Mädchen und richtete sich auf. »Der Psychologe kann mir auch nicht helfen, er redet nur. Aber ich kann nie wieder laufen, nie wieder auf meinen Schlittschuhen Pirouetten drehen.«
Sie schniefte unglücklich. Vor dem Unfall hatte sie so manchen Wettbewerb im Eiskunstlauf gewonnen. Ihr Trainer war gar überzeugt, wenn sie so weitermachte, würde sie eines Tages an der Olympiade teilnehmen können. Doch nun war der Traum geplatzt. Die Knochenbrüche ihrer Beine waren zwar verheilt, aber sie konnte noch immer nicht laufen und war auf den Rollstuhl angewiesen. Die Ärzte standen vor einem Rätsel und hofften, dass der Psychotherapeut die Ursache der Blockade herausfinden würde. Doch bisher hatte auch er keinen Erfolg. Sie konnte ihre Beine nicht spüren, sosehr sie sich bemühte.
Edith seufzte. Ihre vormals so kecke und fröhliche Kleine hatte sich seit dem Unfall verändert. Jetzt war sie nur noch bockig, wollte niemand um sich, nicht einmal ihre beste Freundin, und starrte trübsinnig vor sich hin. Sie setzte sich zu ihrer Tochter an den Bettrand und strich ihr sanft eine Strähne ihres seidigen blonden Haares aus der Stirn.
»Liebes, du darfst die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen«, mahnte sie. »Der Unfall ist doch erst ein paar Monate her und die Knochenbrüche gerade verheilt. Du musst Geduld haben.« Sie stand auf und holte den Rollstuhl bei. »Jetzt komm, wir können die Therapiestunde nicht absagen.«
»Melde mich krank, Mama«, bat Gabriela und rang die Hände. »Bitte ich will heute nicht zu dem Psychotherapeuten, fühle mich wirklich nicht wohl.« Demonstrativ rollte sie sich auf die Seite und drehte der Mutter den Rücken zu.
Abermals seufzte Edith. »Gut, dann nutze ich die Zeit für ein Gespräch mit Dr. Wallrab«, gab sie nach. »Versuche ein wenig zu schlafen, ich bin bald zurück.« Sie beugte sich über ihre Tochter und hauchte ihr ein Kuss auf die Wange. Dann verließ sie das Zimmer und zog behutsam die Tür ins Schloss.
In der Diele warf sie einen schnellen Blick in den Spiegel und überprüfte ihre Frisur. Der flotte Kurzhaarschnitt, der ihr zartes Gesicht vorteilhaft betonte, saß wie immer perfekt. Dafür waren die Kummerfalten, die Tims Tod um ihre Mundwinkel eingegraben hatte, umso deutlicher zu sehen. Seufzend holte sie den Lippenstift aus der Handtasche und fuhr die Lippen nach, in der Hoffnung, die Spuren ihrer Trauer zu kaschieren. Als dies nichts nutzte, steckte sie den Stift verdrossen weg und ging raschen Schrittes davon.
*
Eine halbe Stunde später betrat Edith die Praxis von Dr. Wallrab in der Ortsmitte von Maibach. Der Psychologe, der zudem eine therapeutische Ausbildung hatte, hatte einen ausgezeichneten Ruf, weshalb sie keine Kosten scheuten, um der Tochter zu helfen.
»Heute ohne Gabriela?«, empfing Dr. Wallrab sie mit hochgezogenen Augenbrauen und wies zu dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Er war ein etwas beleibter, kleiner Mann mit Nickelbrille, hinter der freundliche, kluge Augen funkelten.
Edith fand den Psychologen sympathisch, doch heute befiel sie Unbehagen. Sie ahnte, dass er in Ermangelung der Tochter sie mit Fragen löchern würde, und davor hatte sie Angst. Sie konnte noch immer nicht über das Geschehen sprechen, ohne dass ihr Herz in Aufruhr geriet.
»Gabriela …, sie fühlt sich nicht wohl«, stotterte sie und kaute nervös auf ihrer Unterlippe, während sie umständlich Platz nahm. »Ich dachte, sie könnten mich vielleicht über die Fortschritte aufklären und …«
»Es gibt keine Fortschritte, solang Gabriela nicht mitspielt«, fiel der Arzt der besorgten Mutter seufzend ins Wort. »Das Mädchen sperrt sich gegen die Behandlung. Manchmal habe ich das Gefühl, sie will sich für irgendetwas bestrafen.« Als Edith entsetzt aufblickte, hob er die Hand. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Winkler. Ich will damit nicht sagen, dass Gabriela ihre Behinderung nur vortäuscht. Sie kann tatsächlich nicht laufen, spürt ihre Beine nicht. Ihr Unterbewusstsein blockiert sie und solang wir nicht herausfinden, was die Ursache dieser Blockade ist, können wir ihr auch nicht helfen.«
Er runzelte die Stirn und betrachtete sein Gegenüber eindringlich über den Rand seiner Brille. »Könnte es sein, dass der Unfall das Trauma verursacht hat, gibt es da etwas, was Gabriela bedrückt?«
»Sie leidet furchtbar unter dem Verlust des kleinen Bruders«, antwortete Edith spröde. Sie stöhnte verzweifelt. »Wir alle haben Tims Tod noch nicht verkraftet.«
»Sprechen oder sprachen Sie mit ihrer Tochter je über das Geschehen?«, forschte Dr. Wallrab weiter nach. Er nahm