Globalisierte Familien: Mobilität und Mediatisierung im 21. Jahrhundert
Von Maria Borcsa und Ivy Daure
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Über dieses E-Book
Heutzutage teilen sich Familien nicht mehr automatisch einen Haushalt, eine Nationalität oder eine Identität. Neuere Formen familiären Lebens sind weniger an eine einzelne Lokalität gebunden. Durch digitale Medien können wichtige Lebensentscheidungen über Länder und Kontinente hinweg gemeinsam getroffen werden. Mobilität und Migration sind nicht mehr notwendigerweise auf Dauer angelegt und der Begriff der Akkulturation ist neu zu bestimmen, wenn er nicht ideologisch werden soll. Was bedeuten diese Veränderungen der familiären Mobilität und Mediatisierung für systemische Beratung und Therapie? Welche möglichen blinden Flecke sollten bei der Arbeit mit mono- und transnationalen Familien beleuchtet werden? Gelingt es dabei, eine kosmopolitische Haltung einzunehmen und damit nicht nur hilfreich, sondern auch politisch zu werden? Dieser und weiteren Fragen geht Maria Borcsa nach.
Maria Borcsa
Prof. Dr. phil. Maria Borcsa, Psychologische Psychotherapeutin, ist Professorin für Klinische Psychologie an der Hochschule Nordhausen, Institut für Sozialmedizin, Rehabilitationswissenschaften und Versorgungsforschung. Sie war im Vorstand der Systemischen Gesellschaft (SG) und der European Family Therapy Association (EFTA) sowie Präsidentin der EFTA. Auszeichnung der European Family Therapy Association für ihre Exzellenz im Bereich der Familientherapieforschung und der systemischen Praxis.
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Buchvorschau
Globalisierte Familien - Maria Borcsa
Zu dieser Buchreihe
Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten.
Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick.
Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind.
Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten.
Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe
Vorwort
Der 2005 verstorbene österreichisch-amerikanische Ökonom Peter Drucker stellte 2002 in seinem Buch »Managing the next society«¹ die These auf, dass die Erfindung des Computers die Gesellschaft in einer Weise verändern wird, wie es zuvor jeweils nur die Sprache, die Entwicklung der Schrift und schließlich der Buchdruck vermocht hatten. Die grundlegende Idee ist, dass jeder Wandel der Art, wie Wissen weitergegeben und vernetzt wird, die Form und Art des sozialen Zusammenlebens tief greifend modifiziert. Es sind Anpassungen, die sich durchaus über Jahrhunderte hinziehen.
Drucker skizzierte eine »nächste Gesellschaft«, in der die Verarbeitung von Sinn auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine andere Qualität bekommen werde, die die Gesellschaft drastisch verändern wird. Wissen überwindet mühelos jede Grenze, Optionen über andere Formen des Zusammenlebens erreichen alle Winkel der Welt, Wissen wird vielfältiger, dynamischer usw. Zugleich werden damit aber auch gesellschaftliche Prozesse unberechenbarer.
Noch immer zeichnen sich die Konturen einer solchen nächsten Gesellschaft erst langsam ab, dabei hat ja bereits seit Erscheinen von Druckers Buch die Dynamik an Rasanz eher noch zugenommen, haben sich die Möglichkeiten, mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs) umzugehen, weiter vervielfältigt und perfektioniert.
Genau hier setzt das Buch von Maria Borcsa an. Sie fragt danach, wie diese IKTs das Leben von intimen Sozialsystemen, also von Paaren und Familien oder auch Freundschaften beeinflussen. Familienleben ist heute schon globalisierter als noch vor wenigen Jahren, eng miteinander verwandte Menschen leben oft räumlich so weit entfernt, wie dies in früherer Zeit undenkbar gewesen wäre. Zugleich sind sie – und das ist das Spannende – oft enger miteinander verbunden als ihre Vorgeneration.
Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, wo, wenn das Telefon klingelte und der Ruf »Ein Ferngespräch!« erklang, alles unterbrochen werden musste, man eilte zum Apparat, jede Sekunde war kostbar und teuer. Entsprechend knapp fielen diese Gespräche aus, für ausgiebigere Berichte über das eigene Befinden wurde das langsamere Medium Brief gewählt.
Heute machen Kommunikationsapps einen lebendigen und engmaschigen Kontakt möglich, Kommunikationssysteme reaktualisieren sich heute mehrfach pro Tag durch Kurznachrichten oder Videobotschaften – »permanently online, permanently connected«.
Diese Veränderungen machen vor Beratung und Therapie nicht Halt. Sie erfordern neue Arbeitsformen, etwa wenn es darum geht, das Familienleben von Familien nachzuvollziehen, deren Mitglieder über die Welt verstreut sind und dennoch bis ins Detail übereinander Bescheid wissen, sich zu allen möglichen Ereignissen austauschen und bei Entscheidungen mit einbezogen sein wollen. Abgesehen davon,