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When: Der richtige Zeitpunkt
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eBook359 Seiten5 Stunden

When: Der richtige Zeitpunkt

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Über dieses E-Book

Leise, unsichtbar und unerhört mächtig. Das Gesetz der inneren Uhr. Wer kennt das nicht: Schlaflos, wenn alle anderen schlafen, und todmüde beim wichtigen Meeting. Die innere Uhr bestimmt, dass wir einmal mehr, einmal weniger geistig und körperlich fit sind. Wenn wir uns dieser Rhythmen und Phasen bewusst werden, schlafen wir nicht nur besser und sind im Wachzustand produktiver, sondern es eröffnen sich bisher nicht gekannte Möglichkeiten für Höchstleistungen und ein gesundes Leben. Der Bestsellerautor Daniel Pink erklärt das umfassende Ticken der inneren Uhr und wie wir es nutzen können.
SpracheDeutsch
HerausgeberecoWing
Erscheinungsdatum26. Apr. 2018
ISBN9783711051790
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    Buchvorschau

    When - Daniel H. Pink

    Davis

    EINLEITUNG

    CAPTAIN TURNER TRIFFT EINE ENTSCHEIDUNG

    Am 1. Mai 1915, einem Samstag, macht ein Luxusliner um 12.30 Uhr die Leinen los. Vom Pier 54 am Hudson River in Manhattan aus geht es nach Liverpool in England. Sicherlich war einigen der 1959 Passagiere und der Besatzung an Bord des riesigen britischen Schiffes nicht ganz wohl, was eher an der Zeit lag als an den Gezeiten.

    Großbritannien befand sich im Krieg gegen Deutschland, im Sommer vergangenen Jahres war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Erst kürzlich hatte Deutschland das Seegebiet um die Britischen Inseln zur Kriegszone erklärt – das Schiff musste genau dort durch. In den Wochen, die der geplanten Abfahrt vorausgingen, hatte die deutsche Botschaft in den USA sogar Anzeigen in amerikanischen Zeitungen geschaltet, um die potenziellen Passagiere zu warnen: Diejenigen, die die Gewässer »auf Schiffen aus Großbritannien oder seinen Verbündeten [befahren], tun dies auf eigene Gefahr«.¹

    Nur wenige Passagiere stornierten daraufhin ihre Überfahrt. Schließlich hatte dieses Linienschiff schon mehr als 200 Transatlantiküberquerungen ohne Zwischenfälle hinter sich. Es war eines der größten und schnellsten Passagierschiffe der Welt. Zur Ausrüstung an Board gehörten ein kabelloser Telegraf sowie Rettungsboote in ausreichender Anzahl (man hatte aus dem Untergang der Titanic drei Jahre zuvor gelernt). Außerdem, und das war vielleicht das Wichtigste, stand der Ozeanriese unter dem Kommando von Captain William Thomas Turner, einem der erfahrensten Seeleute der Passagierschifffahrt. Der schroffe 58-Jährige hatte im Laufe seiner Karriere zahlreiche Auszeichnungen erhalten und verfügte über »die Statur eines Banksafes«².

    Das Schiff überquerte fünf ereignislose Tage lang den Atlantischen Ozean. Aber als sich das massige Dampfschiff am 6. Mai der Küste Irlands näherte, erfuhr Turner, dass sich in diesem Gebiet deutsche U-Boote befanden. Umgehend verließ er das Kapitänsquartier und stellte sich auf die Brücke, um von dort den Horizont abzusuchen und schnell Entscheidungen treffen zu können.

    Am Freitagmorgen, dem 7. Mai, befand sich das Schiff nur noch 100 Meilen von der Küste entfernt, als dichter Nebel aufzog, woraufhin Turner die Geschwindigkeit von 21 Knoten auf 15 Knoten drosseln ließ. Gegen Mittag hatte sich der Nebel gelichtet, und in der Ferne konnte Turner die Küste ausmachen. Der Himmel war klar. Die See war ruhig.

    Jedoch bemerkte der deutsche U-Boot-Kommandant Walther Schwieger gegen 13 Uhr den Passagierdampfer, ohne dass der dortige Captain oder die Crew davon etwas mitbekamen. Im Laufe der nächsten Stunden traf Turner zwei unverständliche Entscheidungen. Zunächst erhöhte er die Geschwindigkeit des Schiffes nur ein wenig, nämlich auf 18 Knoten, jedoch nicht auf die Maximalgeschwindigkeit von 21 Knoten, obwohl die Sicht gut und die See ruhig war und er wusste, dass ihnen U-Boote auflauern könnten. Während der Überfahrt hatte Turner den Passagieren versichert, er werde das Schiff so schnell wie möglich nach Europa lenken, und bei Maximalgeschwindigkeit könne der Ozeanriese jedes U-Boot mit Leichtigkeit abhängen. Zweitens führte Turner gegen 13.45 Uhr eine sogenannte Vier-Punkt-Peilung zur Positionsbestimmung durch. Diese nahm 40 Minuten in Anspruch, obwohl es auch ein einfacheres Verfahren zur Kurskorrektur gab, das nur fünf Minuten gedauert hätte. Aufgrund dieses Verfahrens musste Turner das Schiff auf gerader Linie lenken, anstatt einen Zickzackkurs zu wählen, mit dem er etwaigen U-Booten samt ihrer Torpedos am besten hätte ausweichen können.

    Um 12.10 Uhr wurde das Schiff an der Steuerbordseite von einem deutschen Torpedo getroffen, der ein gewaltiges Loch in den Rumpf riss. Es entstand eine riesige Wasserfontäne, die Ausrüstung und Schiffsteile an Deck schleuderte. Einige Minuten später lief ein Kesselraum voll Wasser, dann der nächste. Diese Zerstörung löste eine weitere Explosion aus. Turner wurde über die Reling geschleudert, schreiende Passagiere liefen zu den Rettungsbooten. Danach, nur 18 Minuten nach dem Treffer, kippte das Schiff auf die Seite und begann zu sinken.

    Nachdem er die angerichtete Verwüstung in Augenschein genommen hatte, fuhr U-Boot-Kommandant Schwieger hinaus aufs Meer. Er hatte die Lusitania versenkt.

    Dieser Angriff kostete fast 1200 Menschen das Leben, von den 141 Amerikanern an Bord überlebten nur 18. Dieser Vorfall sorgte dafür, dass der Erste Weltkrieg eskalierte, dass die Gesetze der Kriegsschifffahrt neu geschrieben wurden und dass im Weiteren die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten. Aber was genau vor einem Jahrhundert an diesem Nachmittag im Mai passierte, ist bis heute ein Geheimnis. Zwei Untersuchungen, die unmittelbar im Anschluss an das Unglück durchgeführt wurden, brachten keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Die Resultate der ersten Untersuchung wurden von den britischen Behörden zurückgehalten, um Militärgeheimnisse zu schützen. Die zweite Analyse durch John Charles Bingham entlastete Captain Turner und die Schifffahrtsgesellschaft. Der britische Jurist, auch als Lord Mersey bekannt, hatte ebenfalls den Untergang der Titanic untersucht. Pikanterweise zog sich Lord Mersey einige Tage, nachdem die Anhörungen abgeschlossen waren, von dem Fall zurück und lehnte jedes Honorar für seine Leistungen ab. »Der Fall Lusitania war ein verdammtes, dreckiges Geschäft!«, so Bingham einige Zeit später.³ Im letzten Jahrhundert haben sich Journalisten mit Zeitungsartikeln und den Tagebüchern der Passagiere beschäftigt, ebenso haben Taucher versucht, anhand des Wrackes Schlüsse zu ziehen, was damals wirklich geschehen ist. Sowohl Autoren als auch Filmemacher produzieren weiterhin Bücher und Dokumentationen, die vor Spekulationen nur so strotzen.

    Hatte Großbritannien vorgehabt, die Lusitania einer Gefahr auszusetzen, oder gab es sogar eine Konspiration, das Schiff zu versenken, um damit die USA in den Krieg hineinzuziehen? Wurde der Passagierdampfer, der mit kleinkalibriger Munition beladen war, in Wahrheit zum Transport größerer und gefährlicherer, geheimer Waffen für die Briten benutzt? War Großbritanniens wichtigster Mann der Marine, ein 40-Jähriger namens Winston Churchill, irgendwie an dem Vorfall beteiligt? War Captain Turner, der den Untergang überlebte, nur eine Schachfigur im Spiel einflussreicherer Männer, nur »ein Dummkopf, [der] das Unglück anzog«, wie ihn ein überlebender Passagier beschrieb? Oder hatte er einen kleinen Schlaganfall erlitten, der sein Urteilsvermögen beeinträchtigte, wie andere behaupteten? Handelte es sich bei den Untersuchungen und Ermittlungen, deren umfänglichen Berichte bis heute unveröffentlicht geblieben sind, um massive Verschleierungsversuche?

    Mit Bestimmtheit kann das niemand sagen. Mehr als 100 Jahre investigativer Journalismus, historische Analysen und reine Spekulationen konnten bisher keine endgültigen Antworten geben. Aber vielleicht gibt es auch eine einfache Erklärung, die bisher nur keine Beachtung fand. Vielleicht hat Captain Turner, betrachtet aus der noch neuen Perspektive der Verhaltenswissenschaften und Biologie des 21. Jahrhunderts, einfach ein paar falsche Entscheidungen getroffen, die zu einem der größten Unglücke der Seeschifffahrt führten. Und vielleicht waren diese Entscheidungen deswegen so schlecht, weil er sie am Nachmittag traf.

    In diesem Buch geht es um Timing. Wir wissen alle, wie wichtig der richtige Zeitpunkt ist. Allerdings wissen wir nicht viel über das Timing an sich. Im Laufe des Lebens müssen wir ununterbrochen Entscheidungen über das »Wann« treffen: Wann suchen wir uns einen neuen Job, wann übermitteln wir jemandem eine schlechte Nachricht, legen einen Termin für einen Kurs fest, lassen uns scheiden, gehen joggen oder widmen uns ernsthaft einem Projekt oder einer Person? Doch kommen die meisten dieser Entscheidungen aus dem diffusen Dunst aus Intuition und Raterei. Timing, so glauben wir, sei eine Kunst.

    Ich möchte zeigen, dass das Finden des richtigen Zeitpunktes in Wirklichkeit eine Wissenschaft ist – immer mehr Ergebnisse aus verschiedenen und interdisziplinären Untersuchungen bieten dazu neue Einsichten über den Menschen. Darüber hinaus liefern sie einen nützlichen Leitfaden für effektiveres Arbeiten und ein besseres Leben. Geht man in einen beliebigen Buchladen oder in eine Bibliothek, stehen dort Regalmeter voller Ratgeber, wie man Dinge tun kann – wie man Freunde findet, andere beeinflusst oder innerhalb eines Monats lernt, Tagalog zu sprechen. Ständig werden neue Bücher publiziert, sodass die Zahl allein ihre Kategorie »Wie man …« braucht. Betrachten Sie dieses Buch als ein vollkommen neues Genre – ein Buch zum Thema »Wann«.

    In den letzten beiden Jahren habe ich mit zwei furchtlosen Forschern mehr als 700 Studien gelesen und analysiert. Sie berücksichtigten die Disziplinen Wirtschaft, Anästhesiologie, Anthropologie, Endokrinologie, Chronobiologie und Sozialpsychologie. Unser Ziel war es, die versteckte Wissenschaft des rechten Zeitpunktes ans Licht zu bringen. Auf den nächsten Seiten werde ich anhand dieser Recherche Fragen untersuchen, die uns unser ganzes Leben begleiten, aber meistens unseren Blicken verborgen sind. Warum spielen Anfänge – ob wir einen guten oder schlechten Start erwischen – eine so große Rolle? Und können wir noch einmal von vorn anfangen, wenn wir schon bei den Startblöcken ins Stolpern geraten? Warum hemmt uns manchmal die Mitte – eines Projektes, eines Spieles, ja sogar eines Lebens –, oder warum treibt sie uns in anderen Fällen an? Aus welchen Gründen erfüllt uns ein nahendes Ende mit neuer Energie, die nötig ist, um die Ziellinie zu erreichen, oder warum bringt es uns dazu, das Tempo herauszunehmen und den Sinn unseres Tuns zu hinterfragen? Wie stimmen wir unsere Zeit mit der anderer Leute ab – ob es nun darum geht, Software zu designen oder eine Chorprobe zu organisieren? Woran liegt es, dass die Stundenpläne einiger Schulen das Lernen behindern, während bestimmte Pausen dafür sorgen, dass die Schüler bei Prüfungen besser abschneiden? Aus welchem Grund verhalten wir uns auf eine ganz bestimmte Weise, wenn wir uns an die Vergangenheit erinnern, aber wiederum anders, wenn wir an die Zukunft denken? Und wie lassen sich schließlich Organisationen, Schulen und Leben gestalten, wenn man die unsichtbare Macht des Timings berücksichtigt? Wie, um es mit Miles Davis zu sagen, erkennen wir, dass das Timing nicht die Hauptsache ist, sondern die einzige Sache?

    Dieses Buch steckt voller Wissenschaft. Sie werden viele Studien kennenlernen, die ich alle im Anhang aufgeführt habe, falls Sie sich eingehender damit beschäftigen (oder meine Sorgfalt überprüfen) wollen. Aber es ist definitiv auch ein Praxis-Buch. Am Ende jedes Kapitels findet sich das »Zeithacker-Handbuch«, das Maßnahmen, Übungen und Tipps aufführt, damit Sie Ihre Einsichten praktisch umsetzen können. Wo fängt man also an?

    Der Startpunkt, an dem wir die Forschungsreise beginnen, ist die Zeit an sich. Beschäftigt man sich mit der Geschichte der Zeit, von den ersten Sonnenuhren der alten Ägypter über die frühen mechanischen Uhren des 16. Jahrhunderts in Europa bis zur Einführung der Zeitzonen im 19. Jahrhundert, stellt man schnell Folgendes fest: Das, was wir als »natürliche« Zeitabschnitte empfinden, sind im Prinzip nichts anderes als die Grenzen, die unsere Vorfahren festgelegt haben, um Zeit im Zaum zu halten. Sekunden, Stunden und Wochen sind Erfindungen des Menschen. Nur indem der Mensch sie abzählt, schreibt der Historiker Daniel Boorstin, »wird die Menschheit von der zyklischen Monotonie der Natur befreit«.

    Doch entzieht sich eine Einheit von Zeit unserer Kontrolle, nämlich der Inbegriff von Boorstins zyklischer Monotonie. Wir bewohnen einen Planeten, der sich mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und in wiederkehrendem Muster um die eigene Achse dreht und uns regelmäßig Licht und Dunkelheit aussetzt. Jede Rotation der Erde nennen wir einen Tag. Vielleicht ist der Tag unsere wichtigste Einheit, sie bestimmt, wie wir unsere Zeit aufteilen, gestalten und bewerten. Daher soll der erste Teil dieses Buches mit der Erkundung dieser Zeitangabe beginnen. Was können uns Wissenschaftler über den Rhythmus eines Tages sagen? Wie können wir mit diesem Wissen unsere Leistungsfähigkeit stärken, Gesundheit verbessern und Zufriedenheit steigern? Und warum sollte man, wie das Beispiel Captain Turners zeigte, wichtige Entscheidungen nie am Nachmittag treffen?

    TEIL I

    DER TAG

    1.

    DIE GEHEIMEN MUSTER DES ALLTAGS

    Was Menschen täglich tun, und wissen nicht, was sie tun! William Shakespeare, Viel Lärm um nichts

    Versucht man herauszufinden, was in den Menschen weltweit vorgeht, welche großen Emotionen sich auf dem ganzen Erdball finden lassen, gibt es Schlechteres als Twitter. Über eine Milliarde Menschen haben 2016 Accounts, und sie posten circa 6000 Tweets pro Sekunde.⁶ Allein der Umfang dieser 140-Zeichen-Messages, also was Menschen mitteilen und wie sie es tun, hat ein Meer von Daten erzeugt. Sozialwissenschaftler bedienen sich daran, um menschliches Verhalten zu untersuchen.

    Vor einigen Jahren haben die beiden Soziologen Michael Macy und Scott Golder von der Cornell University mehr als 500 Millionen Tweets analysiert. Diese Nachrichten wurden von 2,4 Millionen Usern in 48 Ländern innerhalb von zwei Jahren gepostet. Macy und Golder sahen in dieser Gesamtheit eine Möglichkeit, die Gefühle der Menschen zu erheben, insbesondere, wie sich »positive Affekte« (Emotionen wie Begeisterung, Zuversicht und Aufmerksamkeit) und »negative« (Emotionen wie Wut, Lethargie und Schuld) im Laufe der Zeit veränderten. Natürlich haben die beiden Wissenschaftler nicht jeden einzelnen der 0,5 Milliarden Tweets gelesen. Stattdessen setzten sie das effektive und weitverbreitete Textanalyseprogramm LIWC (Linguistic Inquiry and Word Count – Linguistische Untersuchung und Worthäufigkeit) ein, das jedes genutzte Wort hinsichtlich seiner emotionalen Bedeutung auswertete. Macy und Golder stellten ein bemerkenswert regelmäßiges Muster in den Tweets fest, die die Leute im Verlauf des Tages und der Nacht posteten (veröffentlicht in der angesehenen Zeitschrift Science). Der positive Affekt, der durch die Sprache, die die Twitterer wählten und durch die ihre aktive, engagierte oder hoffnungsvolle Stimmung ausgedrückt wurde, stieg im Allgemeinen am Morgen, erlangte nachmittags seinen Tiefpunkt und stieg wieder am frühen Abend. Ob ein Twitterer nun Nordamerikaner oder Asiate, Moslem oder Atheist war, spielte dabei keine Rolle. »Die zeitliche Verteilung des affektiven Musters ähnelt sich ungeachtet verschiedener Kulturen und geografischer Standorte«, so Macy und Golder. Ebenso wenig machte es einen Unterschied, ob die Tweets am Montag oder Donnerstag abgesetzt wurden. Am Wochenende waren die Ergebnisse jedoch leicht verändert. An Sonnabenden und Sonntagen lagen die Werte für positive Affekte im Allgemeinen etwas höher, und der Höhepunkt am Morgen fand etwa zwei Stunden später statt als an Wochentagen, doch blieb die Kurve insgesamt gleich.⁷ Ungeachtet der Tatsache, ob die Werte nun für ein großes Land wie die USA, die sich sehr von Region zu Region unterschieden, oder für ein kleineres und eher homogenes Land wie die Vereinigten Arabischen Emirate erhoben wurden, ähnelte sich das tägliche Muster komischerweise, und zwar wie folgt:

    Über Kontinente und Zeitzonen hinweg herrschten die gleichen täglichen Schwankungen – so vorhersehbar wie Ebbe und Flut: Nach einem hohen Wert kommt eine Talsohle, dann folgt ein Maximum. Es gibt ein verborgenes Muster unter der Oberfläche unseres Alltags, das so wichtig wie unerwartet und aufschlussreich ist.

    Um dieses Muster, seine Hintergründe und seine Bedeutung zu verstehen, müssen wir in das 18. Jahrhundert zurückreisen, und zwar nach Frankreich, wo auf dem Fensterbrett eines Büros eine Topfpflanze stand: Mimosa pudica. Sowohl Pflanze als auch Büro gehörten Jean Jacques d’Ortous de Mairan, zu seiner Zeit ein berühmter Astronom. An einem Sommerabend 1729 saß de Mairan an seinem Schreibtisch und tat, was französische Astronomen aus dem 18. Jahrhundert ebenso wie amerikanische Autoren tun, wenn sie vor dem Abschluss eines wichtigen Werkes stehen: Er starrte aus dem Fenster. Als die Abenddämmerung einsetzte, bemerkte de Mairan, dass sich die Blätter der Mimose auf dem Fensterbrett zusammenfalteten. Tagsüber, als das Sonnenlicht durch die Scheiben schien, waren die Blätter ganz ausgebreitet. Dieses Schema – bei Tageslicht entfalteten sich die Blätter, bei einsetzender Dunkelheit klappten sie zusammen – warf Fragen auf. Wie nahm die Pflanze ihre Umgebung wahr? Und was würde passieren, wenn die Abfolge von Licht und Dunkelheit unterbrochen würde?

    Es stellte einen Akt historisch bedeutsamer Prokrastination dar, als de Mairan den Blumentopf vom Fensterbrett holte, ihn in einen Schrank stellte und die Tür schloss, um kein Licht hineindringen zu lassen. Am nächsten Morgen öffnete er den Schrank, um nach seiner Pflanze zu schauen, und – mon Dieu! – die Blätter waren gespreizt trotz der Dunkelheit im Schrank. De Mairan führte seine Untersuchungen noch einige Wochen lang fort, indem er die Fenster mit schwarzen Vorhängen verhüllte, um dem kleinsten Lichtstrahl keine Chance zu geben, sein Büro zu erhellen. Das Muster blieb. Morgens öffneten sich die Blätter der Mimosa pudica, abends schlossen sie sich. Die Pflanze reagierte nicht auf Licht, das von außen auf sie schien. Sie gehorchte ihrer eigenen inneren Uhr.

    Seit de Mairans Entdeckung, die nun fast drei Jahrhunderte zurückliegt, haben Wissenschaftler festgestellt, dass fast alle Lebewesen über eine biologische Uhr verfügen, von Einzellern, die sich in Tümpeln versteckt halten, bis zu Vielzellern, die in Minivans herumfahren. Für das reibungslose Funktionieren des Organismus spielen diese inneren Zeitmesser eine wichtige Rolle. Sie herrschen über eine Reihe sogenannter circadiane Rhythmiken (lat. circa um … herum und diem Tag), die bei jedem Lebewesen im Hintergrund ablaufen. (Und in der Tat erwuchs aus de Mairans Topfpflanze die ganz neue Wissenschaft der Chronobiologie, die biologische Rhythmen untersucht.)

    Für Sie und mich übernimmt sozusagen die Funktion des Big Ben der Nucleus suprachiasmaticus oder SCN. Er besteht aus einer Ansammlung von ungefähr 20 000 Zellen, hat etwa die Größe eines Reiskorns und befindet sich im Hypothalamus, im unteren zentralen Bereich des Gehirnes. Der SCN kontrolliert das Ansteigen und Abfallen der Körpertemperatur, reguliert unsere Hormone und hilft uns, abends einzuschlafen und morgens wieder aufzuwachen. Der SCN braucht ein wenig länger als die Erde für eine ganze Umdrehung, nämlich circa 24 Stunden und elf Minuten.⁹ Unsere eingebaute Uhr nutzt also soziale Hinweise (Öffnungszeiten und Busfahrpläne) und Signale aus der Umwelt (Sonnenaufgang und Sonnenuntergang), um die inneren und äußeren Zyklen mehr oder weniger aufeinander abzustimmen – in einem Prozess, der »Phasenkopplung« genannt wird.

    Das hat zum Ergebnis, dass Menschen jeden Tag, genau wie die Pflanze auf de Mairans Fensterbank, im übertragenen Sinne zu bestimmten Zeiten »offen« und »geschlossen« sind. Diese Muster sind nicht bei allen Menschen identisch, ebenso wenig wie mein Blutdruck mit Ihrem übereinstimmt oder derselbe vor 20 Jahren war oder in 20 Jahren sein wird. Aber die Ähnlichkeiten sind im Großen und Ganzen bemerkenswert. Und wo sie das nicht sind, lassen sich die Unterschiede vorhersagen.

    Zunächst hatten sich Chronobiologen und andere Forscher mit den physiologischen Funktionen wie etwa der Melatoninproduktion oder metabolischen Reaktionen beschäftigt, doch nun umfasst ihr Arbeitsgebiet auch Emotionen und Verhalten. Die Wissenschaft bringt einige erstaunliche Muster in Bezug auf Zeit ans Licht, die unsere Gefühle und Leistungsfähigkeit beeinflussen – was uns wiederum Hinweise darauf gibt, wie wir unseren Alltag gestalten können.

    Stimmungsschwankungen und Stockschläge

    Trotz ihres Umfangs können Millionen von Tweets keinen perfekten Einblick in unseren täglichen Seelenzustand geben. Während andere Twitter-Studien bei der Untersuchung von Stimmungen zu ähnlichen Mustern gekommen sind wie Macy und Golder, haben sowohl das Medium als auch die Methodologie ihre Grenzen.¹⁰ In sozialen Medien präsentieren Menschen häufig ein Ideal, hinter dem sie ihre wahren und vielleicht nicht so idealen Gefühle verstecken. Darüber hinaus sind hochleistungsfähige Analyseinstrumente nötig, um diese Masse an Daten zu interpretieren, die nicht unbedingt in der Lage sind, Ironie, Sarkasmus und die anderen perfiden Tricks in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu entdecken.

    Glücklicherweise gibt es in den Verhaltenswissenschaften andere Methoden, um unsere Gedanken und Gefühle zu erforschen. Die Day Reconstruction Method (DRM) ist dazu besonders geeignet, denn mit ihrer Hilfe lässt sich Stunde für Stunde nachvollziehen, wie wir uns fühlen. Sie wurde von vier Forschern entwickelt, darunter Daniel Kahneman, der 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, und Alan Krueger, der den Vorsitz des Wirtschaftsrates im Weißen Haus unter Barack Obama innehatte. Mithilfe des DRM rekonstruieren die Studienteilnehmer den vorherigen Tag, indem sie alles aufschreiben, was sie getan und wie sie sich dabei gefühlt haben. Ein Ergebnis der DRM-Forschung ist beispielsweise, dass an jedem beliebigen Tag Menschen am wenigsten glücklich sind, wenn sie zur Arbeit beziehungsweise zurückfahren, und am glücklichsten, wenn sie mit jemandem schmusen.¹¹

    Im Jahr 2006 nutzten Kahneman, Krueger und Kollegen das DRM, um »die Qualität eines Effektes [zu untersuchen], die häufig übersehen wird: die Rhythmik im Laufe des Tages«.

    Mehr als 900 Amerikanerinnen aller ethnischen Gruppen, Altersgruppen, Haushaltseinkommen und Bildungsniveaus wurden gebeten, den vorangegangenen »Tag als eine fortlaufende Reihe von Szenen oder Episoden in einem Film« zu betrachten, wobei jede Szene zwischen 15 Minuten und zwei Stunden dauern konnte. Die Teilnehmerinnen beschrieben also, was sie in jedem Zeitabschnitt gemacht hatten, und wählten aus zwölf Adjektiven dasjenige aus, was am besten auf ihren jeweiligen Gemütszustand zutraf: glücklich, frustriert, erfreut, gereizt …

    Bei der Analyse der Daten entdeckten die Forscher im Verlauf eines Tages ein »konsistentes und starkes bimodales Muster«, also eine Struktur mit zwei Höhepunkten. Der positive Affekt stieg bei den Befragten in den Morgenstunden bis zu einem »optimalen emotionalen Punkt« gegen Mittag. Dann sank die Laune rapide ab und blieb im Verlauf des Nachmittages mäßig, bis sie in den frühen Abendstunden wieder anstieg.¹²

    Im Folgenden werden die Kurven für drei positive Emotionen präsentiert: glücklich, warm, erfreut. (Auf der y-Achse ist die Stärke des Gefühls aufgetragen: je höher die Zahl, desto positiver der Zustand; je geringer, desto weniger positiv; auf der x-Achse ist die Tageszeit von 7 Uhr bis 21 Uhr verzeichnet.)

    Die drei Kurven sind offensichtlich nicht identisch, aber sie folgen alle drei demselben Muster. Darüber hinaus ähnelt dieses Muster dem Tagesverlauf wie auf Seite 23 abgebildet: früh am Tag ein hoher Wert, dann fällt er ab, und danach steigt er wieder an.

    Betrachtet man

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