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Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution
Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution
Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution
eBook665 Seiten14 Stunden

Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution

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Über dieses E-Book

Dr. Joe Dispenza befasst sich bereits jahrzehntelang mit dem menschlichen Geist: Er untersuchte, wie er funktioniert, wie er Informationen speichert und weshalb er immer wieder dieselben Verhaltensweisen produziert. In dem Kultfilm What the Bleep Do We Know!? gab er erste Erklärungen, wie unser Gehirn sich weiterentwickelt, indem wir neue Fähigkeiten erwerben, uns mitten im Chaos konzentrieren lernen und sogar Körper und Seele heilen.
In seinem Buch Schöpfer der Wirklichkeit erläutert er diese Erkenntnisse in aller Ausführlichkeit und hilft Ihnen, die Kontrolle über Ihren Geist zu gewinnen. Sie lernen verstehen, auf welche Weise Gedanken chemische Reaktionen bewirken, die Sie in Abhängigkeit von bestimmten Mustern und Gefühlen halten, selbst wenn Sie dadurch unglücklich werden. Wenn Sie erst einmal wissen, wie diese schlechten "Programme" entstanden sind und immer wieder neu entstehen, wird es Ihnen nicht nur gelingen, sie zu durchbrechen, sondern sogar, Ihr Gehirn umzuprogrammieren, weiterzuentwickeln und damit neuen, positiven und wohltuenden Gewohnheiten Raum zu geben.
SpracheDeutsch
HerausgeberKoha Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2017
ISBN9783867287593
Schöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution

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    Quite possibly the best book book that I've read about how my brain works. Highly recommended.
  • Bewertung: 3 von 5 Sternen
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    In „Schöpfer der Wirklichkeit“ hat sich Joe Dispenza eines sehr spannenden Themas angenommen. Er vertritt die Theorie, dass jeder Mensch selbst für seine Gedanken verantwortlich ist. Niemand von uns ist darauf angewiesen, immer und immer wieder denselben negativen Denkmustern zu folgen. Es liegt ganz bei uns, diese negativen Denkgewohnheiten aufzubrechen und durch neue, positive Strukturen zu ersetzen. Auf diesem rein mentalen Weg kam es bei vielen Menschen, die unter vermeintlich unheilbaren Krankheiten litten, zu den erstaunlichsten Heilungserfolgen. So überzeugend, wie Dispenza diese bestechende Theorie präsentiert, glaubt man ihm sofort. Sein Buch hat etwas sehr Ermutigendes. Doch trotz dieser optimistischen Botschaft ist die Lektüre der knapp fünfhundert Seiten kein reines Vergnügen: Dispenza schreibt ungemein ausführlich. Die physiologische Grundlage, wie sich in unseren Gehirnen neue Nervenverbindungen bilden, wird genauestens dargestellt, was an sich hochinteressant ist. Die vom Autor ständig verwendeten Technik-Vergleiche sind jedoch auf die Dauer penetrant, ebenso wie seine zahlreichen Fallbeispiele. Natürlich will es Dispenza in seinem Bemühen, jeden Leser mitzunehmen, besonders gut machen, übertreibt dabei aber etwas. Dazu kommt, dass er sich selbst, seine persönlichen Erfahrungen bezüglich des Themas, sowie seine eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten, stark in den Vordergrund rückt. Dies ist zwar heutzutage weit verbreitet und gehört offenbar zur modernen Art, ein Sachbuch zu schreiben. Man kann es jedoch mit der Selbstdarstellung auch übertreiben. Die von Dispenza so gelobten Abbildungen im Buch sind ziemlich unübersichtlich. Schade auch, dass unser wichtigstes Denkorgan hier ständig als „Frontallappen“ bezeichnet wird. Ist der Gedanke, dass wir unsere besten Ideen in einem „Lappen“ entwickeln, nicht unästhetisch? Man hätte auch „Stirnhirn“, statt „Frontallappen“, schreiben können. Dispenza schneidet auch das in diesem Zusammenhang fast unvermeidbare Thema der Dualität von Körper und Geist an: Zunächst sagt er, dass Geist ausschließlich beim Denken in unseren Köpfen entsteht. Dann postuliert er jedoch, dass im Universum irgendetwas ist, was auf unsere Gedanken antwortet, seien sie nun positiv oder negativ, was dann zu entsprechenden Ereignissen in unserem Leben führt. Auch Dispenza kann also dieses uralte philosophische Problem, was, und wo, Geist denn nun eigentlich ist, nicht lösen. Der Autor behauptet zudem, gleich an mehreren Stellen, dass individuell erworbene Eigenschaften auf geheimnisvolle Weise in das Erbgut übergehen und so direkt an die Nachkommen weitergegeben werden können. Dieser Gedanke scheint mir rein spekulativ; es fehlen auch die Belege. Nicht zuletzt fällt die lieblose Übersetzung des Buches auf. So spannend Joe Dispenzas Idee auch sein mag, dem Leben, allein durch positive Gedanken, eine Wende zum Besseren zu geben: Er hat sie nicht besonders vorteilhaft aufbereitet.

Buchvorschau

Schöpfer der Wirklichkeit - Joe Dispenza

1

Anfänge

Wie wundersam, dass man nicht liest,

wie das Gehirn doch oft umschließt

in winziger Zelle, doch in Völle

Gottes Himmel oder Hölle.

Oscar Wilde

Ich möchte Sie einladen, einen Gedanken zu fassen, irgendeinen Gedanken. Gleich, ob Ihr Gedanke etwas mit Gefühlen des Ärgers, der Traurigkeit, der Inspiration, der Freude oder sogar sexueller Erregung zu tun hatte – Sie haben damit Ihren Körper verändert. Sie haben sich selbst verändert. Alle Gedanken – seien sie »Ich kann nicht …«, »Ich kann …«, »Ich bin nicht gut genug« oder »Ich liebe dich« – haben die gleichen messbaren Auswirkungen. Während Sie dasitzen, entspannt diese Zeilen lesen und dabei keinen Finger krümmen, durchläuft Ihr Körper eine Unmenge dynamischer Veränderungen. Wussten Sie, dass Ihre Bauchspeicheldrüse und Ihre Adrenalindrüsen (Nebennieren) aufgrund Ihres letzten Gedankens vielleicht plötzlich ein paar Hormone mehr ausstoßen? Wie in einem Gewitter zuckten elektrische Stromstöße durch verschiedene Bereiche Ihres Gehirns und verursachten die Ausschüttung bestimmter Neurochemikalien, deren Anzahl zu groß ist, als dass ich sie hier aufführen könnte. Ihre Milz und Ihre Thymusdrüse haben eine Massen-E-Mail ans Immunsystem verschickt, um gewisse Anpassungen vorzunehmen. Verschiedene Magensäfte wurden produziert, Ihre Leber hat Enzyme erzeugt, die vor wenigen Minuten noch nicht da waren, Ihr Herzschlag und Ihr Lungenvolumen haben sich verändert und die Durchblutung Ihrer Extremitäten wurde beeinflusst. All das nur durch einen einzigen Gedanken. So machtvoll sind Sie.

Aber wie können Sie all das bewirken? Wir verstehen intellektuell, dass das Gehirn im Körper viele verschiedene Funktionen steuert. Aber wie viel Verantwortung für die Aufgaben des Gehirns als oberster Instanz des Körpers liegt eigentlich bei uns? Ob es uns recht ist oder nicht: Sobald wir einen Gedanken gedacht haben, liegt der Rest völlig außerhalb unserer Macht. All diese körperlichen Reaktionen auf unser absichtsvolles oder unabsichtliches Denken entfalten sich jenseits unseres Einflussbereichs. Wenn man sich das einmal klarmacht, ist es absolut erstaunlich, welch weitreichende Konsequenzen ein oder zwei bewusste oder unbewusste Gedanken haben können.

Ist es zum Beispiel möglich, dass die scheinbar unbewussten Gedanken, die uns täglich und wiederholt durch den Sinn gehen, eine Kaskade von chemischen Reaktionen auslösen – Reaktionen, die nicht nur bestimmen, welche Gefühle wir entwickeln, sondern auch, wie es uns damit geht? Können wir akzeptieren, dass die Langzeitwirkungen unserer Denkgewohnheiten möglicherweise die Ursache für Ungleichgewichte in unserem Körper sind – bis hin zu Krankheiten? Trimmen wir am Ende durch unsere wiederholten Gedanken und Reaktionen unseren Körper darauf, krank zu sein? Katapultieren wir vielleicht einfach durch unser Denken unsere innere Chemie so oft aus dem Bereich des Normalen heraus, dass das Selbststeuerungssystem des Körpers irgendwann diese abnormalen Zustände als normal einstuft? Es ist ein subtiler Prozess, den wir bislang vielleicht noch nie so stark beachtet haben. Möge Ihnen dieses Buch ein paar Vorschläge bieten, wie Sie Ihr eigenes inneres Universum besser verwalten können!

Da es gerade um das Thema Wahrnehmung geht, möchte ich Sie bitten, jetzt einmal ganz aufmerksam zu sein und zu lauschen: Hören Sie das Brummen des Kühlschranks? Das Geräusch der vorüberfahrenden Autos? Das ferne Hundegebell? Oder Ihren eigenen Herzschlag? Indem Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach verlagert haben, haben Sie in Millionen von Zellen Ihres Gehirns einen Stromstoß und einen Spannungsanstieg ausgelöst. Durch Ihre Entscheidung, Ihre Aufmerksamkeit zu modifizieren, haben Sie Ihr Gehirn verändert – und zwar nicht nur im Vergleich zu seiner Arbeit wenige Augenblicke zuvor, sondern auch, wie es im nächsten Augenblick und vielleicht für den Rest Ihres Lebens funktionieren wird.

Wenn Ihre Aufmerksamkeit dann zu den Worten auf dieser Seite zurückkehrt, verändern Sie die Durchblutung in Ihrem Gehirn erneut. Sie lösen eine Kaskade von Impulsen aus, leiten elektrische Ströme zu verschiedenen Bereichen Ihres Gehirns und passen sie an. Auf mikroskopischer Ebene tun sich zahlreiche Nervenzellen chemisch zusammen und kommunizieren, um langfristige Beziehungen zueinander zu entwickeln. Weil Sie den Brennpunkt Ihrer Aufmerksamkeit verlagert haben, feuert das schimmernde dreidimensionale, komplexe neurologische Gewebe Ihres Gehirns jetzt in neuen Kombinationen und Sequenzen. Sie haben das aus freiem Willen getan, einfach indem Sie Ihren Fokus verändert haben. Der englische Ausdruck »You changed your mind« (»Sie haben es sich anders überlegt«; wörtlich: »Sie haben Ihren Geist geändert«) trifft hier wortwörtlich zu.

Als menschliche Wesen haben wir natürlicherweise die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit allem Möglichen zu widmen. Wie, wo, worauf und wie lange wir unsere Aufmerksamkeit auf irgendetwas richten, das definiert uns auf neurologischer Ebene – wie wir später noch genauer erkunden werden. Doch wenn unsere Aufmerksamkeit so beweglich ist, warum fällt es uns dann so schwer, bei Gedanken zu bleiben, die uns dienlich sind? Gerade jetzt, während Sie sich auf die Lektüre konzentrieren, haben Sie vielleicht Ihre Rückenschmerzen oder die Auseinandersetzung mit Ihrem Chef heute Morgen vergessen und denken vielleicht nicht einmal daran, welches Geschlecht Sie haben. Unser Seinszustand wird wesentlich dadurch bestimmt, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken.

Wie aus heiterem Himmel steigt zum Beispiel eine bittere Erinnerung aus unserer Vergangenheit auf, die gewöhnlich tief in den Falten unserer grauen Hirnsubstanz ruht; wie von Zauberhand erwacht sie zum Leben. Wir können uns auch um die Zukunft sorgen, um Dinge, die noch gar nicht existieren, bis wir sie in unserer Vorstellung heraufbeschwören. Für uns sind sie in diesem Augenblick real. Unsere Aufmerksamkeit kann alles zum Leben erwecken und »wirklich« werden lassen, was bis eben noch unbemerkt oder irreal war.

Ob Sie es glauben oder nicht: Den Erkenntnissen der Neurowissenschaft zufolge macht die Aufmerksamkeit, die wir auf einen Schmerz im Körper lenken, diesen Schmerz existent, weil die neuronalen Schaltkreise der Schmerzwahrnehmung elektrisch aktiviert werden. Wenn wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, dann können diese Neuronenmuster der Schmerzverarbeitung und Körperempfindung abgeschaltet werden – und prompt verschwindet der Schmerz. Doch wenn wir dann überprüfen wollen, ob der Schmerz wirklich weg ist, werden die entsprechenden Neuronenmuster wieder aktiviert, weshalb das unangenehme Gefühl zurückkehrt. Neuronenmuster, die wiederholt feuern, entwickeln stärkere Verbindungen. Achten wir zum Beispiel täglich auf einen Schmerz, dann wird unsere Schmerzwahrnehmung deutlicher, weil die entsprechenden Neuronenmuster durch die Beobachtung gestärkt werden. Ihre eigene Wahrnehmung kann also starke Auswirkungen haben. Das könnte eine Erklärung dafür sein, wie Schmerzen und Erinnerungen uns prägen, selbst wenn sie vielleicht schon lange zurückliegen. Wir werden neurologisch zu dem, woran wir wiederholt denken und worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Endlich hat man neurowissenschaftlich begriffen, dass wir die neurologische Grundstruktur unseres Selbst durch das prägen, worauf wir immer wieder unsere Aufmerksamkeit richten.

Alles, was uns ausmacht – unsere Gedanken, Träume, Erinnerungen, Hoffnungen, Gefühle, heimlichen Fantasien, Ängste, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Freuden und Leiden –, ist im lebendigen Gitterwerk unserer 100 Milliarden Gehirnzellen verankert. Wenn Sie dieses Buch bis hierher gelesen haben, ist Ihr Gehirn schon dauerhaft verändert. Wenn Sie auch nur eine einzige Information aufgenommen haben, sind zwischen winzigen Hirnzellen neue Verbindungen entstanden und Sie sind jemand anderes. Die Bilder, die diese Worte in Ihrem Gehirn hervorriefen, haben in der endlos weiten neurologischen Landschaft dessen, was Sie als »Ich« identifizieren, Fußspuren hinterlassen, denn dieses fühlende Wesen Ihres »Ich« existiert tatsächlich in dem inniglich miteinander verwobenen Geflecht Ihres Gehirns. Ihre Individualität definiert sich durch die Art, wie Ihre Nervenzellen miteinander verbunden sind, ausgelöst durch das, was Sie gelernt haben, an was Sie sich erinnern, was Sie erfahren, was Sie sich vorstellen, was Sie tun und was Sie über sich selbst denken.

Sie sind ein Werk, das laufend fortgeschrieben wird. Die Organisation Ihrer Gehirnzellen, die bestimmt, wer Sie sind, ist in ständiger Bewegung. Vergessen Sie die Idee, das Gehirn sei etwas Starres, Festes. Aus neurologischer Sicht werden wir unablässig durch die endlosen Reize der Welt verändert. Statt sich Nervenzellen als unbewegliche winzige Stäbchen vorzustellen, die zusammen die graue Masse Ihres Gehirns bilden, möchte ich Sie einladen, sie lieber als tanzende Muster aus zarten elektrischen Fasern eines lebendigen Netzwerks zu betrachten, die sich ständig verbinden und wieder lösen. Das kommt der Wahrheit dessen, wer Sie sind, viel näher.

Die Tatsache, dass Sie die Worte auf dieser Seite lesen und begreifen können, ist aus den vielen Interaktionen entstanden, die Sie im Lauf Ihres Lebens erfahren haben. Verschiedene Leute haben Sie unterrichtet und Ihr Gehirn mikroskopisch verändert. Falls Sie die Idee, dass sich Ihr Gehirn beim Lesen dieser Seiten verändert, akzeptieren können, erkennen Sie sicher leicht, dass Ihre Eltern, Lehrer, Nachbarn, Freunde, Familie und Kultur wesentlich zu dem beigetragen haben, wer Sie heute sind. Durch unsere Sinneswahrnehmungen, durch unsere verschiedenen Erfahrungen schreiben wir die Geschichte dessen, wer wir sind, auf die Tafel unseres Geistes. Unsere Meisterschaft zeichnet sich dadurch aus, wie wir dieses bemerkenswerte Orchester aus Gehirn und Geist dirigieren, denn wie wir gerade gesehen haben, können wir unsere mentale Aktivität durchaus steuern.¹

Jetzt wollen wir Ihr Gehirn noch ein wenig weiter verändern. Ich möchte Ihnen etwas Neues beibringen. Und das geht so: Schauen Sie auf Ihre rechte Hand. Berühren Sie mit dem Daumen Ihren kleinen Finger, dann den Zeigefinger, dann den Ringfinger und dann den Mittelfinger. Wiederholen Sie die Abfolge, bis Sie sie fließend meistern. Dann machen Sie die Übung schneller, bis Sie Ihre Finger sehr rasch bewegen können, ohne sich zu verhaspeln. Mit ein wenig Aufmerksamkeit sollten Sie in wenigen Minuten in der Lage sein, diese kleine Aktion zu beherrschen.

Um diese Übung zu machen, mussten Sie Ihren entspannten Ruhezustand verlassen und Ihre Aufmerksamkeit ein wenig anspannen. Sie haben sich entschieden, Ihr Gehirn ein bisschen auf Trab zu bringen; Sie haben Ihre Aufmerksamkeit freiwillig erhöht. Um sich die Bewegung zu merken, mussten Sie etwas mehr Energie in Ihr Gehirn bringen. Sie haben gewissermaßen den Dimmer des Lichts, das ständig in Ihrem Gehirn brennt, ein wenig hochgedreht, sodass es heller wurde. Sie wurden motiviert, und die Entscheidung aktivierte Ihr Gehirn.

Um den Bewegungsablauf zu erlernen und auszuführen, mussten Sie Ihre Aufmerksamkeit erhöhen. Das hat die Durchblutung und die elektrische Aktivität in Ihrem Gehirn verstärkt; Sie konnten sich besser auf das konzentrieren, was Sie taten. Sie hielten Ihre Gedanken davon ab, woanders hinzuwandern, und lernten etwas Neues. Dieser Prozess hat Sie Energie gekostet. Sie haben die Art verändert, in der ein Arrangement von Millionen von Hirnzellen in diversen Mustern feuert. Diese vorsätzliche Handlung erforderte Willenskraft, Fokus und Aufmerksamkeit. Und wieder haben Sie sich neurologisch verändert, nicht nur indem Sie einen Gedanken dachten, sondern indem Sie eine neue Handlung oder Fähigkeit demonstrierten.

Als Nächstes bitte ich Sie, Ihre Augen zu schließen. Diesmal sollen Sie die Übung nicht mit den Fingern machen, sondern sich nur innerlich vorstellen, es zu tun. Erinnern Sie sich also an das, was Sie gerade gemacht haben, und berühren Sie mental Ihre Finger auf genau die gleiche Weise: Daumen zum kleinen Finger, dann zum Zeigefinger, zum Ringfinger und zuletzt zum Mittelfinger. Üben Sie es mental ein wenig, ohne die Finger körperlich zu bewegen. Wenn Sie es ein paarmal gemacht haben, öffnen Sie die Augen wieder.

Haben Sie bemerkt, dass Ihr Gehirn sich die Sequenz genauso vorgestellt hat wie zuvor? Wenn Sie sich wirklich ganz darauf konzentriert haben, die Fingerübung mental zu wiederholen, waren dieselben Nervenzellen Ihres Gehirns aktiv wie zuvor, als sie es körperlich getan haben. Ihr Gehirn kennt keinen Unterschied, ob Sie eine Handlung in der Tat ausführen oder sie sich mental vergegenwärtigen. Diese Art von mentaler Übung eignet sich sehr gut dazu, um in Ihrem Gehirn neue neuronale Muster anzulegen und zu stärken.

Neuere neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass wir unser Gehirn einfach durch unser Denken verändern können. Überlegen Sie also: Was wiederhole ich innerlich am meisten, woran denke ich am häufigsten und was zeigt sich dann auch entsprechend? Gleichgültig, ob Sie Ihre Gedanken und Handlungen bewusst oder unbewusst formen – sie bilden immer einen Teil dessen, was Ihr neurologisches Selbst ausmacht. Womit auch immer Sie mental am meisten Zeit verbringen – es ist das, was Sie sind und was Sie werden. Ich hoffe, dieses Buch hilft Ihnen zu verstehen, warum Sie so sind und wie Sie so wurden und wie Sie sich durch bewusste Gedanken und Taten verändern können.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Was macht es uns möglich, die Funktionen des Gehirns willentlich zu modifizieren? Wo existiert dieses »Ich«, und wodurch können wir verschiedene Neuronenmuster an- und abschalten, was uns dann bewusst oder unbewusst handeln lässt? Dieses »Ich«, von dem hier die Rede ist, sitzt in einem Teil des Gehirns, der »Frontallappen« genannt wird. Ohne Frontallappen gibt es dieses »Ich« nicht mehr. Dieser Bereich des Gehirns hat sich in der Evolution als Letztes entwickelt und sitzt genau hinter der Stirn, direkt über den Augen. Im Frontallappen ist Ihr Selbstbild beheimatet, und was immer Sie dort gespeichert haben, bestimmt, wie Sie sich in der Welt verhalten und wie Sie Ihre Wirklichkeit wahrnehmen. Der Frontallappen steuert und reguliert die anderen, älteren Teile des Gehirns. Er bereitet Ihre Zukunft vor, kontrolliert Ihr Verhalten, träumt von neuen Möglichkeiten und lenkt Sie durchs Leben. Auch Ihr Gewissen ist dort verankert. Der Frontallappen ist unser Geschenk der Evolution. Dieser Teil des Gehirns ist äußerst anpassungsfähig, hier können unsere Gedanken und Handlungen sich entwickeln. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen helfen, diesen jüngsten Teil Ihres Gehirns zu nutzen, um Ihr Leben und Ihre Bestimmung neu zu gestalten.

Evolution, Veränderung und Neuroplastizität

Wir Menschen haben eine einzigartige Kapazität zur Veränderung. Dank des Frontallappens können wir vorprogrammierte, genetisch verankerte Verhaltensweisen, die Aufzeichnungen unserer Menschheitsgeschichte, überwinden. Weil der Frontallappen des Menschen höher entwickelt ist als der jeder anderen Gattung auf der Erde, sind wir enorm anpassungsfähig und verfügen über die Möglichkeit der Entscheidung, der Absicht und der vollen Bewusstheit. Wir besitzen ein sehr fortschrittliches Stückchen Biotechnologie, das uns aus unseren Fehlern lernen, uns daran erinnern und unser Verhalten entsprechend anpassen lässt.

Es ist richtig, dass ein großer Teil des menschlichen Verhaltens genetisch vorbestimmt ist. Alle Lebensformen können nicht anders, als das zum Ausdruck zu bringen, was ihnen genetisch bestimmt ist, und ein großer Teil dessen, was uns Menschen ausmacht, ist genetisch verankert. Aber wir sind nicht dazu verdammt, unsere Existenz verstreichen zu lassen, ohne zukünftigen Generationen einen evolutionären Beitrag zu hinterlassen. Wir können etwas zum evolutionären Fortschritt unserer Spezies beitragen, denn im Gegensatz zu allen anderen Arten ist es uns zumindest theoretisch möglich, unser Verhalten im Lauf eines Lebens zu ändern. Die neuen Verhaltensweisen werden zu neuen Erfahrungen führen, die sich in unseren Genen niederschlagen – sowohl für die Gegenwart als auch für die Nachwelt. Das gibt Anlass zu der Überlegung: Wie viele neue Erfahrungen hatten wir eigentlich in letzter Zeit?

Die Wissenschaft der Molekularbiologie hat gerade begonnen, sich mit der Idee zu beschäftigen, unsere Gene könnten mithilfe der richtigen Signale vielleicht genauso veränderbar sein wie unsere Gehirnzellen. Daraus ergibt sich die Frage: Können wir den Zellen unseres Körpers den chemisch oder neurologisch richtigen Reiz bieten, um Zugang zu der gewaltigen ungenutzten Bibliothek genetischer Informationen zu erlangen? Oder anders gesagt: Können wir durch den Umgang mit unseren Gedanken, Gefühlen und Reaktionen bewusst den richtigen chemischen Cocktail mixen, um Gehirn und Körper aus einem chronischen Stresszustand in einen Zustand der Regeneration und Veränderung zu überführen? Können wir den Beschränkungen unserer Biologie entrinnen und zu höher entwickelten menschlichen Wesen werden? Ich beabsichtige Ihnen zu zeigen, dass es tatsächlich sowohl theoretisch als auch praktisch etwas biologisch zu verändern gibt – indem eine mentale Veränderung aufrechterhalten wird.

Ist es uns möglich, das alte Modell hinter uns zu lassen, demzufolge unsere Gene Krankheiten erzeugen? Können wir über das jüngste Credo hinaus spekulieren, das davon ausgeht, dass die Umwelt die Gene aktiviert, die Krankheiten erzeugen? Ist es möglich, dass wir durch den Umgang mit unserer eigenen Innenwelt, unabhängig von der äußeren Umwelt, Einfluss auf unsere Gene gewinnen können? Wenn zwei Fabrikarbeiter 20 Jahre lang Seite an Seite gearbeitet haben und denselben schädlichen Chemikalien ausgesetzt waren, warum bekommt dann der eine Krebs und der andere nicht? Da muss ein inneres Ordnungselement am Werk sein, das stärker ist als die ständige Belastung durch Chemikalien, die bekanntermaßen zellschädigend wirken.

Immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse verweisen auf die Auswirkungen von Stress auf unseren Körper. Unter Stress zu leben bedeutet, in einem primitiven Zustand des Überlebenskampfes zu verharren, wie es die meisten Arten nicht anders kennen. Wenn wir um unser Überleben fürchten, beschränken wir unsere evolutionäre Entwicklung, weil die durch den Stress erzeugten Chemikalien unser Gehirn dazu bringen, sich seiner chemischen Grundstruktur gemäß zu verhalten. Wir werden also mehr wie Tiere und weniger göttlich. Die Stresschemikalien verändern unseren inneren Zustand und verursachen den Zusammenbruch von Zellen. Mit diesem Prozess werden wir uns in diesem Buch noch näher beschäftigen. Nicht durch akuten Stress, sondern durch immer wiederkehrenden chronischen Stress wird unser Körper geschwächt. Mein Ziel ist es, Ihnen die Auswirkungen von Stress auf den Körper zu zeigen und damit eine Bewusstheit zu schaffen, die Sie innehalten und fragen lässt, ob irgendjemand oder irgendetwas das eigentlich wert ist.

Oft erscheint es uns, als könnten wir diese Zustände emotionalen inneren Aufruhrs nicht abschütteln. Wir sind von diesen chemischen Wirkungen so abhängig, dass sie uns dazu treiben, weiterhin in Verwirrung, Unzufriedenheit, Aggression und sogar Depression zu leben – um nur ein paar Zustände zu nennen. Warum klammern wir uns an Beziehungen und Jobs, die längst nicht mehr gut sind für uns? Warum tun wir uns so schwer damit, uns selbst und unsere Lebensbedingungen zu verändern? Es gibt etwas in uns, das uns dazu bringt. Wie halten wir das Tag für Tag aus? Wenn wir die Umstände unserer Arbeit so wenig mögen, warum kümmern wir uns dann nicht um eine andere? Wenn wir in unserem persönlichen Leben unter etwas leiden, weshalb ändern wir es dann nicht?

Es gibt darauf eine vernünftige Antwort: Wir entscheiden uns, in denselben Umständen zu bleiben, weil wir abhängig geworden sind – abhängig von den damit verbundenen emotionalen Zuständen und von den Chemikalien, die diese Zustände hervorrufen. Natürlich weiß ich aus Erfahrung, dass die meisten Menschen sich mit jeder Art von Veränderung schwertun. Viel zu viele von uns verharren in Situationen, in denen sie unglücklich sind, und meinen, keine andere Wahl zu haben, als zu leiden. Ich weiß auch, dass sich viele von uns entscheiden, in Situationen auszuhalten, die sie ihr ganzes Leben lang quälen. Dass wir uns so entscheiden, ist eine Sache, aber warum wir uns so entscheiden, ist eine andere. Wir treffen die Wahl, in einer bestimmten Geisteshaltung fixiert zu bleiben – zum einen, weil es unserer Veranlagung entspricht, und zum anderen, weil ein Teil des Gehirns durch unsere wiederholten Gedanken und Reaktionen unseren Blick für das Mögliche trübt. Wie Geiseln in einem entführten Flugzeug fühlen wir uns an einen Platz gebunden und glauben, keinen Einfluss auf den Verlauf des Geschehens zu haben. Wir merken gar nicht, wie viele Möglichkeiten uns sonst noch zur Verfügung stehen.

Ich erinnere mich an eine wiederholte Situation in meiner Jugendzeit: Meine Mutter pflegte über eine ihrer Freundinnen zu sagen, sie sei erst glücklich, wenn sie unglücklich sei. Erst in den letzten Jahren, nachdem ich mich intensiv mit dem Gehirn und unserem Verhalten beschäftigt hatte, konnte ich auf biochemischer und neurologischer Ebene so richtig verstehen, was sie meinte. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe.

Vielleicht hat der Titel Schöpfer der Wirklichkeit Sie angesprochen, weil Sie an das menschliche Potenzial glauben und sich selbst entwickeln möchten. Oder Sie haben es in die Hand genommen, weil Sie mit Ihren Lebensumständen nicht ganz zufrieden sind und sich verändern wollen. »Veränderung« ist ein starkes Wort – und sie ist absolut möglich, wenn Sie sich dafür entscheiden.

Im Hinblick auf die Evolution ist Veränderung das einzige universelle, allen Arten hier auf Erden gemeinsame Element. Evolution bedeutet letztendlich Veränderung durch Anpassung an die Umwelt. Für uns Menschen spielt unsere Umwelt eine entscheidende Rolle. All die komplexen Lebensumstände, geliebte Menschen, unser sozialer Status, unser Wohnort, unser Beruf und Gelderwerb, unser Umgang mit unseren Eltern und Kindern und selbst die Zeit, in der wir leben – all das macht unsere Umwelt aus. Doch wir werden sehen: Veränderung bedeutet, über seine Umwelt hinauszuwachsen.

Wenn wir in unserem Leben etwas verändern, müssen wir es so gestalten, dass es eine andere Qualität bekommt, als wenn wir es sich selbst überlassen hätten. Veränderung bedeutet, anders zu werden; wir sind nicht mehr, wer wir einmal waren. Wir wandeln uns im Denken, Tun, Reden, Verhalten, in unserem Sein. Persönliche Veränderungen erfordern einen Willensakt und entstehen gewöhnlich, wenn uns etwas unangenehm genug war, dass wir es anders haben wollen. Entwicklung entsteht, wenn wir unsere Lebensumstände dadurch überwinden, dass wir etwas in uns selbst verändern.

Wir können unser Gehirn verändern und damit weiterentwickeln, um nicht mehr in diese sich wiederholenden, gewohnten und ungesunden Reaktionsmuster zu verfallen, die sich aus unserer Veranlagung und unseren vergangenen Erfahrungen gebildet haben. Wahrscheinlich haben Sie dieses Buch in die Hand genommen, weil es Ihnen attraktiv erscheint, aus Ihrer Routine auszubrechen. Vielleicht möchten Sie lernen, wie Sie die natürliche Befähigung des Gehirns zur Neuroplastizität (d.h. die Fähigkeit, in jedem Alter neue Neuronenmuster anzulegen) nutzen können, um Ihre Lebensqualität spürbar zu verbessern. Die Weiterentwicklung Ihres Gehirns – darum geht es in diesem Buch.

Unsere Fähigkeit zur Neuroplastizität ist äquivalent zu unserer Fähigkeit, unser Denken und uns selbst sowie unsere Wahrnehmung der Welt um uns herum – also unsere Wirklichkeit – zu verändern. Dafür müssen wir uns die gewohnten, automatischen Funktionsmuster unseres Gehirns vorknöpfen.

Testen Sie die Plastizität Ihres Gehirns anhand eines einfachen Beispiels: Betrachten Sie Abbildung 1.1. Was sehen Sie? Die meisten Menschen erkennen auf Anhieb eine Ente oder Gans. Ziemlich einfach, oder?

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Abbildung 1.1

Bei diesem Beispiel bewirkt eine vertraute Form auf dem Bild vor Ihnen, dass Ihr Gehirn ein Muster in Form eines bestimmten Vogels erkennt. Die Schläfenlappen des Gehirns, sie sitzen direkt über unseren Ohren und sind für die Erkennung von Objekten zuständig, speichern eine Erinnerung. Das Bild aktiviert ein paar Hundert Millionen neurologische Muster, die in bestimmten Teilen Ihres Gehirns in einer bestimmten Sequenz Impulse aussenden, und Sie erinnern sich an eine Gans oder Ente. Nehmen wir einfach an, die Ihrem Gehirn eingeprägte Erinnerung an das Aussehen einer Gans oder Ente passt zu dem, was Sie auf dem Bild vor sich sehen, und Sie können sich den Begriff »Gans« oder »Ente« ins Gedächtnis rufen. So interpretieren wir die Wirklichkeit – und zwar ständig. Es ist die Wiedererkennung von Mustern der Sinneserfahrung.

Jetzt wollen wir neuroplastisch werden. Versuchen Sie doch einmal, in dem Bild keinen Vogel mehr zu sehen, sondern einen Hasen. Um das zu tun, muss Ihr Frontallappen Ihr Gehirn zwingen, die Muster »abzukühlen«, die mit Vögeln verbunden sind, und die Gehirnwindungen so zu reorganisieren, dass sie sich anstelle eines Federtiers mit unauslöschlicher Neigung zum Wasser ein Feldtier vorstellen. Diese Fähigkeit, das Gehirn dazu zu bringen, seine gewohnten inneren Verbindungen aufzugeben und in neuen Mustern und Verbindungen zu feuern, ist die Neuroplastizität, die uns Veränderung ermöglicht.

Wie bei Abbildung 1.1 können wir die Welt und uns selbst in neuem Licht sehen, wenn wir unsere gewohnte Art des Denkens, Handelns, Fühlens, Wahrnehmens und Verhaltens hinter uns lassen. Und das Beste an diesem kleinen Experiment in Neuroplastizität ist, dass diese Veränderungen dauerhaft sind. Ihr Gehirn hat ein neues neurologisches Muster gebildet, das auf eine andere Art funktioniert. Sie haben neue Zellverbindungen geschaffen und damit sich selbst verändert. In unserem Zusammenhang haben die Begriffe »Veränderung«, »Neuroplastizität« und »Evolution« allesamt eine ganz ähnliche Bedeutung. Das Ziel dieses Buches besteht darin, Sie erkennen zu lassen, dass es bei Veränderung und Evolution immer darum geht, die Gewohnheit Ihres »Ich«-Seins hinter sich zu lassen.

Meine zwanzigjährigen Studien des Gehirns und seiner Auswirkungen auf das Verhalten haben mich im Hinblick auf die Menschen und unsere Fähigkeit zur Veränderung sehr hoffnungsfroh gestimmt. Das steht im Gegensatz zu dem, was wir lange Zeit geglaubt haben. Bis vor Kurzem wollte uns die wissenschaftliche Literatur weismachen, wir seien Opfer unserer Veranlagung und unserer Konditionierungen und uns bleibe nichts weiter übrig, als die Tatsache anzuerkennen, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist.

Ich meine damit Folgendes: Im Evolutionsprozess passen sich die meisten Arten, die schwierigen Umweltbedingungen ausgesetzt sind (wie Raubtieren, Klima, Verfügbarkeit von Nahrung, Hackordnung, sozialem Druck etc.) im Lauf von Jahrmillionen ihrer Situation an und finden einen Weg, die Schwierigkeiten zu überwinden. Vielleicht entwickeln sie eine gute Tarnung, vielleicht schnelle Beine, um den Fleischfressern zu entfliehen, oder andere Eigenschaften, die sich in ihrer physischen, genetischen Biologie niederschlagen. Unsere evolutionäre Entwicklung ist uns tief eingeprägt.

Sich verändernde Lebensumstände werden anpassungsfähigere Kreaturen dazu bringen, sich ihrer Umgebung entsprechend zu verändern und dadurch den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Jahrhunderte von Versuch und Irrtum erlauben es den biologischen Organismen, die dabei nicht aussterben, sich den Umständen anzupassen und auch ihre Genetik entsprechend zu verändern. So verläuft der langsame, lineare Prozess der Evolution für alle Arten. Die Umwelt wandelt sich; das Verhalten sowie die Aktionen werden den neuen Umweltbedingungen angepasst; die Gene speichern die Veränderungen und die Evolution folgt, indem sie den Wandel für zukünftige Generationen aufzeichnet. Alle Nachfahren dieser Organismen werden ihrer Umwelt jetzt besser gewappnet entgegentreten können. Die jahrtausendelange Evolution der Arten hat dafür gesorgt, dass der körperliche Ausdruck eines Organismus in der Regel seinen Lebensbedingungen entspricht oder ihnen überlegen ist. In den Genen werden die Erinnerungen und die Weisheiten unzähliger Generationen gespeichert.

Der Preis dafür sind angeborene Verhaltensmuster wie Instinkte, natürliche Fähigkeiten, Triebe, Ritualverhalten, Temperamente und gesteigerte Sinneswahrnehmungen. Wir neigen zu der Ansicht, das, was in unseren Genen angelegt ist, entspräche einem automatischen Programm, dem wir nicht entrinnen können. Sobald es in unseren Genen aktiviert ist – sei es durch eine ihm innewohnende Zeitschaltung oder durch einen Auslöser in der Umgebung (Natur versus Erziehung/Bildung) –, sind wir so verschaltet, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten. Es ist richtig, dass unsere Gene einen starken Einfluss darauf haben, wer wir sind – als lenkte uns eine unsichtbare Hand dahin, vorhersehbare Gewohnheiten anzunehmen und zu erwartende Neigungen zu entwickeln. Die Herausforderungen unserer Umwelt zu überwinden, bedeutet deswegen: Unsere Willenskraft muss uns über unsere Umstände hinausheben; Erinnerungen an vergangene Erfahrungen und die daraus entstandenen veralteten Gewohnheiten, die nicht mehr zu unseren jetzigen Lebensumständen passen, müssen wir loslassen. Eine evolutionäre Weiterentwicklung erfordert daher den Bruch mit genetisch veranlagten Gewohnheiten: Wir müssen das Erlernte als »Bahnsteig« benutzen, von dem aus die Reise weitergeht.

Veränderung und Entwicklung sind für keine Spezies angenehm. Unsere inneren Neigungen zu überwinden, unsere genetischen Programme zu verändern und uns an neue Umweltbedingungen anzupassen – das verlangt Willen und Entschlossenheit. Seien wir ehrlich: Keine Kreatur verändert sich gerne, es sei denn, sie erkennt es als Notwendigkeit. Das Alte loszulassen und das Neue anzunehmen, stellt immer ein großes Risiko dar.

Das Gehirn ist makroskopisch und mikroskopisch darauf ausgelegt, neue Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und dann routinemäßig darauf zurückzugreifen. Wenn wir nichts Neues mehr lernen oder aufhören, unsere Gewohnheiten zu ändern, leben wir nur noch die Routine. Doch unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, das Lernen einzustellen. Wenn wir es nicht mehr mit neuen Informationen »upgraden«, wird es fest verdrahtet und spult nur noch automatisierte Programme ab, die keine Entwicklung mehr zulassen.

Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit zur Veränderung. Wir sind so klug und fähig. Wir können in einem Leben Neues lernen, mit alten Gewohnheiten brechen, unsere Überzeugungen und Wahrnehmungen ändern, Schwierigkeiten überwinden, Fähigkeiten erwerben und auf geheimnisvolle Weise zu anderen Wesen werden. Unsere großen Gehirne sind die Instrumente, die es uns ermöglichen, mit solchen Riesenschritten vorwärtszueilen. Es erscheint uns lediglich als eine Frage der Entscheidung. Unsere Evolution ist unser Beitrag zur Zukunft, doch liegt es im Bereich unseres freien Willens, wie wir den Prozess einleiten.

Evolution beginnt jedoch mit der Veränderung des Individuums. Damit Sie sich mit der Idee anfreunden, bei sich selbst anzufangen, können Sie sich das erste Geschöpf vorstellen – sagen wir, ein Mitglied eines Rudels mit einem strukturierten Gruppenbewusstsein –, das sich entschloss, mit dem gewohnten Verhalten der Gruppe zu brechen. Auf irgendeiner Ebene muss dieses Wesen den Impuls gehabt haben, eine andersartige Aktion und eine Abweichung vom normalen Verhalten dieser Art könnte seinem eigenen Überleben und vielleicht auch dem seiner Art dienlich sein. Wer weiß, vielleicht sind auf diese Weise ganz neue Arten entstanden? Das sozial anerkannte Verhalten hinter sich zu lassen und etwas Neues auszuprobieren, erfordert eine gewisse Individualität – bei jeder Art. Sich kompromisslos für die eigene Vision eines neuen, verbesserten Selbst zu entscheiden und das eigene alte Verhalten zu überwinden – das kann sich dem lebendigen Gewebe aller nachfolgenden Generationen einprägen. Individuen, die dieses Maß an Kultiviertheit aufgebracht haben, werden von ihren Nachfahren oft hoch geehrt. Wahre Evolution besteht also darin, das genetische Wissen aus vergangenen Erfahrungen als Rohmaterial für den Umgang mit neuen Herausforderungen heranzuziehen.

Dieses Buch bietet Ihnen eine wissenschaftlich begründete Alternative zu der Annahme, unser Gehirn bestehe im Wesentlichen aus unveränderlichen Neuronenmustern; wir hätten in unseren Köpfen eine Art Neuro-Rigidität, die sich in dem unflexiblen, gewohnheitsmäßigen Verhalten äußert, das wir so oft erleben. Tatsächlich jedoch sind wir Meister der Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Neuroplastizität und hervorragend darauf eingerichtet, unsere neuronalen Verbindungen umzustrukturieren und das erwünschte Verhalten zu erzeugen. Wir verfügen über sehr viel mehr Macht, unser Gehirn, unser Verhalten, unsere Persönlichkeit und letztlich unsere Wirklichkeit zu verändern, als wir bislang angenommen haben. Ich weiß das, weil ich es selbst erfahren und weil ich davon gelesen habe, wie einzelne Menschen über ihre Situation hinauswuchsen, sich dem Angriff der jeweiligen Realität stellten und zu bedeuteten Veränderungen beitrugen.

Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hätte zum Beispiel nie so weitreichende Auswirkungen gehabt, hätte nicht ein echtes Individuum wie Dr. Martin Luther King Jr. entgegen all seinen Lebensumständen an die Möglichkeit einer anderen Wirklichkeit geglaubt. Dr. King hat das in seiner berühmten Rede zwar als »Traum« bezeichnet, aber letztlich beschwor und lebte er eine bessere Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt sind. Wie war ihm das möglich? Er entschied sich dafür, die neue Idee der Freiheit für sich selbst und für die Nation in seinen Geist zu implantieren, und diese Idee war ihm wichtiger als seine äußeren Lebensbedingungen. Und er stand kompromisslos zu seiner Vision. Dr. King war nicht bereit, seine Gedanken, sein Handeln, sein Verhalten, seine Worte oder seine Botschaft irgendwelchen äußeren Einflüssen unterzuordnen. Seinen äußeren Lebensumständen zum Trotz hielt er an seinem inneren Bild einer neuen Umwelt fest, selbst wenn das Beleidigungen oder körperliche Angriffe zur Folge hatte. Die Kraft seiner Vision war so groß, dass er Millionen von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugen konnte. Durch ihn hat sich die Welt verändert. Und er ist nicht der Einzige.

Unzählige andere haben den Verlauf der Geschichte durch einen vergleichbaren Einsatz beeinflusst. Millionen haben ihr persönliches Leben in ähnlicher Weise eingesetzt. Wir alle können uns selbst ein neues Leben erschaffen und es mit anderen teilen. Wir haben eine Hardware in unseren Köpfen, die gewisse Vorteile bietet. Allen äußeren Umständen zum Trotz können wir sehr lange Zeit an einem Traum oder einem Ideal festhalten. Wir haben auch die Fähigkeit, unser Gehirn neu zu programmieren, weil wir einen Gedanken in uns wirklicher werden lassen können als alles andere im Universum. Und darum geht es in diesem Buch.

Die Geschichte einer persönlichen Transformation

Ich möchte Ihnen ein wenig von Erfahrungen berichten, die ich vor 20 Jahren gemacht habe und die mich dazu bewegten, das Potenzial des Gehirns zu erforschen: die Macht des Gehirns, unser Leben zu verändern. 1986 war ich 23 Jahre alt. Ein knappes halbes Jahr zuvor hatte ich meine erste eigene chiropraktische Praxis in Südkalifornien eröffnet und verbuchte pro Woche schon eine beachtliche Menge von Patienten. Meine Praxis befand sich in La Jolla, einem Tummelplatz von Wochenend-Supermännern und Weltklasse-Athleten, die verbissen trainierten und sich mit derselben Intensität um ihren Körper kümmerten. Ich hatte mich darauf spezialisiert, sie zu behandeln. Während meiner Ausbildung in Chiropraktik befasste ich mich nebenher intensiv mit Sportmedizin. Nach meinem Examen hatte ich meine Nische gefunden und füllte sie aus.

Ich war erfolgreich, weil ich mit diesen getriebenen Patienten viel gemeinsam hatte. Ich war ebenfalls getrieben und höchst fokussiert. Wie sie hatte auch ich das Gefühl, jeder Herausforderung gewachsen zu sein. Ich hatte meine Ausbildung anderthalb Jahre früher als üblich – und mit sehr guten Noten – abgeschlossen. Jetzt führte ich ein klasse Leben, mit einer Praxis am La Jolla-Boulevard in Strandnähe und einem BMW. Eben das typische kalifornische Bild.

Mein Leben bestand aus Arbeiten, Laufen, Schwimmen, Radfahren, Essen und Schlafen. Die sportlichen Aktivitäten waren Bestandteil meines Triathlon-Trainings; Essen und Schlafen waren zwar notwendige, trotzdem oft vernachlässigte Tagesordnungspunkte. Ich sah meine Zukunft vor mir ausgebreitet wie ein Büffet: lauter köstliche Entscheidungsmöglichkeiten.

Die ersten drei Monate dieses Jahres hatte ich auf ein Ziel hingearbeitet: den Triathlon von Palm Springs am 12. April.

Das Rennen fing schon nicht gut an. Weil doppelt so viele Teilnehmer aufgetaucht waren wie erwartet, ließen die Organisatoren nicht alle gleichzeitig starten, sondern teilten sie in zwei Gruppen. Als ich zum Einchecken am Sammelpunkt auftauchte, stand die erste Gruppe bereits knietief im See und fingerte an ihren Brillen und Kappen herum, um sich startbereit zu machen.

Während einer der freiwilligen Helfer mir eine Nummer aufs Bein schrieb, fragte ich einen der Organisatoren, wann meine Gruppe dran wäre. »In etwa zwanzig Minuten«, erwiderte er. Noch bevor ich mich bedanken konnte, schallte jedoch ein Startschuss über den See. Der Mann sah mich an und meinte achselzuckend: »Geht wohl doch schon los.«

Ich konnte es kaum glauben, fasste mich aber schnell, rannte Richtung Umkleidebereich und sprintete barfuß um ein Ende des Sees, um zum Startbereich zu gelangen. Obwohl ich ein paar Minuten nach den anderen aus meiner Gruppe ins Wasser kam, befand ich mich schon bald mitten im Pulk zwischen einer Unzahl durchs Wasser wirbelnder Gliedmaßen. Während ich mich vorwärtskämpfte, musste ich mir bewusst machen, dass die Zeit lief und wir noch einiges vor uns hatten. Eine Meile später schwamm ich an Land, alle Muskeln angespannt und durchaus beansprucht, aber ich fühlte mich geistig fit. Die nächste Disziplin, das Radfahren, war schon immer meine Stärke gewesen. Diesmal standen uns 26 Meilen bevor.

Ich sauste zum Umkleidebereich und sprang in meine Radlerhosen. Sekunden später rannte ich mit meinem Rad zur Straße. Nach wenigen Hundert Metern kam ich bestens voran und ließ das Hauptfeld hinter mir. Ich entspannte mich auf meinem Sattel, duckte mich so flach wie möglich und ließ einfach nur meine Beine arbeiten. Die ersten 10 Meilen liefen großartig – ich fühlte mich bestens. Ich hatte mir die Strecke vorher angesehen und wusste, vor mir lag eine schwierige Kurve, wo wir auf den normalen Verkehr treffen würden. Ich erspähte den Streckenposten, drückte ein paarmal auf die Bremse, um die Geschwindigkeit ein wenig zu drosseln. Dann sah ich, dass ein Streckenposten mich weiterwinkte, und schaltete in den höchsten Gang, um möglichst viel Schwung mitzunehmen.

Ich war noch nicht ganz um die Kurve, da sah ich in meinem äußeren Blickwinkel etwas aufblitzen. Plötzlich flog ich durch die Luft: Eine rote Geländelimousine hatte mich mit 90 km/h gerammt und von meinem Fahrrad gerissen. Der Bronco fraß erst mein Rad, dann nahm er mich aufs Korn. Ich landete mit voller Wucht auf meinem Hinterteil und krachte anschließend heftig auf die Seite. Zum Glück hatte die Fahrerin inzwischen bemerkt, dass etwas passiert war, und trat auf die Bremse. Der Aufprall war so stark gewesen, dass es mich noch meterweit über den Asphalt schleuderte. Erstaunlicherweise geschah all das binnen ungefähr zwei Sekunden.

Während ich auf dem Rücken lag, hörte ich die Leute schreien und einen Hornissenschwarm von Radlern an mir vorüberziehen, zugleich fühlte ich im Inneren meines Brustkorbs warmes Blut zusammenlaufen. Ich wusste, meine Schmerzen konnten nicht von einer kleinen Weichteilverletzung herstammen. Irgendetwas war gar nicht in Ordnung. Ich spürte auch, dass meine Haut an bestimmten Stellen mit der Straßenoberfläche den Platz getauscht hatte. Die meinem Körper innewohnende Intelligenz begann, das Ruder zu übernehmen, während ich mich dem Schmerz überließ. Ich lag auf dem Boden und versuchte, regelmäßig zu atmen und ruhig zu bleiben.

Innerlich checkte ich meinen ganzen Körper durch. Meine Arme und Beine waren noch beweglich. Nach etwa 20 Minuten, die mir wie mindestens vier Stunden erschienen, fuhr ein Krankenwagen vor und raste mit mir ins John-F.-Kennedy-Krankenhaus. Ich erinnere mich vor allem daran, dass drei Sanitäter sich vergeblich abmühten, mir eine Infusion anzulegen. Ich war in einem Schockzustand. Dabei bewegt die Körperintelligenz das ganze Blut von den Extremitäten weg und hin zu den inneren Organen. Ich spürte auch, dass ich innerlich ziemlich stark blutete. Ich konnte fühlen, wie das Blut sich im Bereich meiner Wirbelsäule sammelte. Deshalb waren meine Venen in den Extremitäten kaum mit Blut gefüllt. Die Sanitäter durchlöcherten meinen Arm wie ein Nadelkissen.

Im Krankenhaus wurden Blut- und Urinproben genommen, Röntgenaufnahmen, Computertomografien und alle möglichen anderen Untersuchungen gemacht. Die Prozedur dauerte fast 12 Stunden. Nach drei erfolglosen Versuchen, den Rollsplit aus meinem Körper zu entfernen, gaben die Krankenschwestern auf. Ich war frustriert, verwirrt und litt Schmerzen. Das Ganze erschien mir wie ein Albtraum.

Schließlich kam der orthopädische Chirurg und medizinische Leiter der Klinik und führte seine Untersuchungen durch. Zunächst konnte er keine neurologischen Störungen feststellen. Dann checkte er im Computer meine Röntgenaufnahmen durch. Eine davon fiel mir besonders ins Auge: eine Seitenansicht meiner mittleren Wirbelsäule. Ich sah die Wirbel: Th8, Th9, Th10, Th11, Th12 und L1 waren deutlich zusammengedrückt, verformt und gebrochen. Seine Diagnose lautete: »Multiple Kompressionsbrüche der Brustwirbelsäule, der Wirbel Th8 zu über 60 Prozent zerstört.«²

Ich dachte bei mir, es könnte schlimmer sein. Meine Wirbelsäule hätte durchbrechen, ich tot oder gelähmt sein können. Dann holte der Arzt sich meine CT-Scans auf den Bildschirm. Sie zeigten um den gebrochenen Th8-Wirbel herum etliche Knochensplitter. Ich wusste, was er als Nächstes sagen würde, ich hätte es mitsprechen können: »Normalerweise macht man in solchen Fällen eine vollständige Laminektomie der Brustwirbelsäule mit Wirbelsäulenversteifungen nach Harrington.«

Ich hatte solche Laminektomie-OPs schon auf Video gesehen. Ich wusste, dass es ein ziemlich großer Eingriff ist, bei dem alle rückwärtigen Wirbelfortsätze abgesägt werden. Der Operateur arbeitet mit Instrumenten, die an Schreinerwerkzeuge erinnern, und mit Mini-Kreissägen, um eine glatte »Werkstückoberfläche« zu erzeugen. Dann werden die sogenannten Harrington-Stäbe aus orthopädischem Edelstahl eingesetzt und mit Schrauben und Klemmen an beiden Seiten der Wirbelsäule befestigt, um die gebrochenen oder unnatürlich verbogenen Bereiche der Wirbelsäule zu stabilisieren. Schließlich werden über die Stäbe aus den Hüftknochen entnommene Knochenstücke gesetzt.

Ohne emotional zu reagieren, fragte ich den Arzt, wie lang die Stäbe sein müssten. »Zwanzig bis dreißig Zentimeter, von oben bis unten«, meinte er. Dann erklärte er mir, die ganze Angelegenheit sei eigentlich völlig unbedenklich. Im Hinausgehen riet er mir noch, mir innerhalb der nächsten drei Tage einen Operationstermin geben zu lassen. Ich winkte ihm zum Abschied und bedankte mich.

Noch nicht zufrieden, bat ich den besten Neurologen der Gegend um seinen Besuch. Nach seiner Untersuchung und Begutachtung der Röntgenaufnahmen sagte er ohne Umschweife, meine Chancen, ohne Operation jemals wieder gehen zu können, lägen unter 50 Prozent. Der Th8 sei keilförmig komprimiert – auf der Vorderseite mehr, auf der Rückseite weniger. Bei einem Versuch mich hinzustellen, würde die Wirbelsäule das Gewicht meines Rumpfs nicht mehr tragen können und bräche durch. Der schräge Winkel des Th8 verändere die Gewichtsbelastung der anderen Wirbel, und dieses Ungleichgewicht würde seiner Meinung nach die Knochensplitter in den Wirbelsäulenkanal schieben – was eine sofortige Paralyse unterhalb des Th8 zur Folge hätte. Dann wäre ich brustabwärts gelähmt. Wie der Arzt noch hinzufügte, hatte er noch nie von einem Patienten in den USA gehört, der sich gegen diese Operation entschieden hätte. Zwar verfolgten einige Ärzte in Europa andere Ansätze, doch darüber wisse er kaum etwas und könne auch nichts empfehlen.

Am nächsten Morgen fand ich mich in einem Nebel aus Schmerzmitteln und Schlaflosigkeit wieder und stellte fest, dass ich immer noch im Krankenhaus war. Als ich die Augen aufschlug, saß Dr. Paul Burns an meinem Bett, mein alter Zimmergenosse aus dem Chiropraktik-College. Paul hatte eine Praxis in Honolulu, doch kaum hatte er von meinem Zustand erfahren, war er sofort nach San Diego geflogen, nach Palm Springs gedüst und für mich da, als ich an diesem Morgen erwachte.

Paul und ich entschieden, es wäre mir zuträglicher, mich ins Scripps Memorial Krankenhaus in La Jolla überführen zu lassen, um näher an meinem Zuhause in San Diego zu sein. Die Fahrt war lang und quälend. Ich lag festgezurrt auf einer Bahre; jede Straßenunebenheit teilte sich meinem Körper durch schmerzhafte Stöße mit. Ich fühlte mich hilflos. Wie sollte ich das bloß jemals durchstehen?

Als ich in meinem Krankenhauszimmer ankam, wurde ich sofort dem führenden orthopädischen Chirurgen Südkaliforniens vorgestellt. Er war mittleren Alters, erfolgreich, gut aussehend, sehr glaubwürdig und ernsthaft. Er gab mir die Hand und erklärte mir, es sei keine Zeit zu verlieren. Mit direktem Blick in meine Augen sagte er: »Sie haben eine Kyphose (eine unnatürliche Krümmung der Wirbelsäule) mit einem Winkel von 24 Grad. Die CTs zeigen, dass das Rückenmark verletzt ist und die Knochensplitter berührt, die von dem ursprünglich zylindrischen Wirbelsegment nach innen gedrückt worden sind. Die Knochenmasse musste dem Druck ja irgendwohin ausweichen. Ihre Wirbel gleichen Schottersteinen. Jede Minute kann eine Lähmung eintreten. Ich empfehle Ihnen, sich sofort nach der Harrington-Methode operieren zu lassen. Wenn wir länger als vier Tage warten, wird eine noch viel drastischere Operation notwenig sein, bei der wir den Körper von vorne öffnen, den Brustkorb aufschneiden und die Harrington-Stäbe von vorne und hinten einsetzen müssen. Diese Art von Operation hat nur eine Erfolgsquote von ungefähr 50 Prozent.«

Ich begriff, weshalb diese Entscheidung innerhalb von vier Tagen fallen musste. Die dem Körper innewohnende Intelligenz sorgt dafür, dass sich am Knochen Calciumstränge anlagern, um den Heilungsprozess möglichst schnell in Gang zu setzen. Nach vier Tagen müssen die Operateure durch diesen natürlichen Heilungsprozess hindurch und darum herum arbeiten. Wie der Arzt mir versicherte, würde ich in ein bis zwei Monaten wieder gehen und in meiner Praxis Patienten behandeln können, falls ich mich entschlösse, mich innerhalb von vier Tagen operieren zu lassen.

Aber irgendwie konnte ich mich nicht darauf einlassen, eine so wichtige Entscheidung über meine Zukunft so schnell zu fällen.

In der Zwischenzeit schlug ich mich fürchterlich mit diesem Konflikt herum und fühlte mich ziemlich überfordert. Der Arzt war sich seiner Sache so sicher, als gäbe es überhaupt keine zwei Meinungen dazu. Ich fragte ihn trotzdem: »Und was, wenn ich mich gegen die Operation entscheide?« Er antwortete ruhig: »Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Es wird drei bis sechs Monate dauern, bis Ihr Körper so weit geheilt ist, dass Sie wieder gehen können. Normalerweise müssen Sie diese ganze Zeit liegend, im Bett, verbringen. Danach würden wir Ihnen ein Ganzkörperkorsett anpassen, das Sie sechs bis zwölf Monate lang ununterbrochen tragen müssten. Wenn Sie meine professionelle Meinung hören wollen: In dem Moment, wo Sie versuchen, frei zu stehen, werden Sie gelähmt sein. Die Instabilität des Th8 wird eine Verstärkung der Vorwärtskrümmung und damit eine Durchtrennung des Rückenmarks bewirken. Wären Sie mein Sohn, lägen Sie jetzt schon auf dem OP-Tisch.«

Ich lag da, umringt von acht Chiropraktikern, alles meine engsten Freunde. Mein Vater war sogar von der Ostküste eingeflogen. Lange Zeit sprach niemand ein Wort. Alle warteten darauf, dass ich etwas sagen würde. Aber ich sagte nichts. Schließlich lächelten meine Freunde mich einer nach dem anderen an, klopften mir liebevoll auf den Arm oder auf die Schulter und verließen voller Respekt das Krankenzimmer. Als alle bis auf meinen Vater gegangen waren, wurde mir deutlich, wie erleichtert meine Freunde waren, nicht an meiner Stelle zu sein. Ihr Schweigen dröhnte in meinen Ohren, ich hätte es nicht überhören können.

Was ich während der nächsten drei Tage durchlitt, war die schlimmste Form menschlichen Leidens: die Unentschlossenheit. Immer wieder betrachtete ich die Diagnose-Bilder, beriet mich noch einmal mit allen und entschied schließlich, eine weitere Meinung könne nicht schaden.

Ungeduldig erwartete ich am nächsten Tag den letzten Fachmann unserer Gegend. Sowie er eintraf, wurde er von meinen Kollegen mit Fragen überschüttet. Sie zogen sich eine Dreiviertelstunde lang zur Beratung zurück und

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