Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus
Von Otto F. Kernberg
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Rezensionen für Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus
2 Bewertungen1 Rezension
- Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5
Jun 27, 2022
Otto Kernberg, lesen lohnt sich. Bringt viel Erkenntnis. Sehr empfehlenswert.
Buchvorschau
Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus - Otto F. Kernberg
Geleitwort
Im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen 2010 hielt Otto Friedmann Kernberg die klinische Vorlesung zum Thema „Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus in der Psychotherapie".
Kernberg floh 1939 mit seiner Familie aus Österreich nach Chile. Dort studierte er zunächst Biologie und Medizin, anschließend Psychiatrie und Psychoanalyse bei der Chilenischen Psychoanalytischen Gesellschaft. 1961 emigrierte er in die USA, wurde Direktor des C. F. Menninger Memorial Hospital, Supervisor und Ausbildungsanalytiker am Topeka-Institut für Psychoanalyse und Direktor des Psychotherapieforschungsprojekts der Menninger Foundation.
An mehreren Universitäten hat Kernberg gearbeitet. Seit 1973 arbeitete er als Professor für Psychiatrie, Lehranalytiker und Supervisor an der Columbia University in New York. 1976 wurde er Professor für Psychiatrie an der Cornell University in New York und Direktor des Instituts für Persönlichkeitsstörungen der Payne Whitney Clinic. Seiner Leitung oblag eine vergleichende Langzeitstudie der Kognitiven Verhaltenstherapie, der „Unterstützenden Psychotherapie und der „Übertragungsfokussierten Psychotherapie (Transference-Focused-Psychotherapy, TFP)
¹ – eine Methode der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen, die er maßgeblich beeinflusst hat. Damit sind nur einige Stationen seines absolut beeindruckenden beruflichen Werdegangs genannt.
Von 1997 bis 2001 war Otto Kernberg Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Zu den Lindauer Psychotherapiewochen kommt er seit etwa 20 Jahren. Dort hält er klinische Vorlesungen, Einführungsvorlesungen und Seminare. Im Zentrum stehen Narzissmus und Persönlichkeitsstörungen. Sein wahrscheinlich populärstes Buch darüber erschien 1975.² In den Jahren 1999 bis 2008 war er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Lindauer Psychotherapiewochen, dem Gremium, das die jeweiligen Themen vorschlägt.
Kernberg hat viele Auszeichnungen erhalten – aktuell die goldene Ehrennadel des Landes Wien, die Menschen für ihre Dienste verliehen wird, die ursprünglich aus Österreich stammen. Viele Werke, viele Artikel gehen auf seine Funktion als Autor, Mitautor oder Herausgeber zurück, so etwa das „Handbuch der Borderline-Störungen"³ oder auch „Ideologie, Konflikt und Führung⁴. Neu aufgelegt wurde jüngst „Narzissmus, Aggression und Selbstzerstörung"⁵.
Otto F. Kernberg hat ein sehr weites Spektrum an Interessen und Kenntnissen, und es ist immer wieder ein Vergnügen, an seinen Ideen teilzuhaben.
Im vorliegenden Band der „Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik befasst Kernberg sich mit „Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus". Er greift damit ein Thema auf, zu dem er seit 1980 eine Reihe von Publikationen vorgelegt hat, insbesondere den bedeutenden Band über schwere Persönlichkeitsstörungen.⁶ Er verfolgt dabei den Plan, für dieses große und verzweigte Thema ein allgemeines Konzept zu erstellen, das es erleichtern sollte, die Gemeinsamkeiten der Psychopathologie zusammenzufassen und zu klären, die klinisch mit dieser Problematik einhergehen, und praktische Hilfe für die Behandlung der betroffenen Patienten gibt.
In seiner Einführung führte er aus: „Zunächst werden die schwersten klinischen Fälle am Beispiel individueller Patienten vorgestellt. Anschließend sprechen wir die sozialen Auswirkungen dieser Problematik und deren Ursachen angesichts heutiger Kenntnisse der neurobiologischen wie auch psychiatrischen und psychologischen Forschung an und leiten dann über zur Technik der Behandlung. Wir bewegen uns hier sozusagen an der Grenze von Behandelbarem und schon nicht mehr Behandelbarem. Schritt für Schritt erläutert werden auch die Grundkonzepte von Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus. Zum Einstieg werden also klinische Fälle vorgestellt. Danach folgt die Ätiologie, schließlich die Behandlung."
Als Herausgeber der Reihe „Lindauer Beiträge" hat mir die Bearbeitung des Vorlesungsmanuskripts für die Publikation viel Freude bereitet. Ich hoffe, die Leser werden es als Bereicherung empfinden.
1 Kernberg OF (2000) Die übertragungs-fokussierte (oder psychodynamische) Psychotherapie von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation. In Kernberg O, Dulz B, Sachsse U (Hg) (2000) Handbuch der Borderline-Störungen. Schattauer, Stuttgart
2 Kernberg OF (1975) Borderline conditions and pathological narcissism. Aronson: New York. Deutsch: Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1978
3 Kernberg OF, Dulz B, Sachsse U (Hg) (2000) Handbuch der Borderline-Störungen. Schattauer, Stuttgart
4 Kernberg OF (2000) Ideologie, Konflikt und Führung: Psychoanalyse von Gruppenprozessen und Persönlichkeitsstruktur. Klett-Cotta, Stuttgart
5 Kernberg OF (2009) Narzissmus, Aggression und Selbstzerstörung – Fortschritte in der Diagnose und Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen. Klett-Cotta, Stuttgart
6 Kernberg OF (1984) Severe Personality Disorders. Yale University Press, New Haven/London. Deutsch: Schwere Persönlichkeitsstörungen. Klett-Cotta, Stuttgart 1986
1. Vorlesung
Erscheinungen des Todestriebes I: Wiederholungszwang, Sado-Masochismus und negative therapeutische Reaktion
Sigmund Freud war der erste große Theoretiker, der sich mit der Problematik der Gewalt als einer grundlegenden psychischen Motivation beschäftigte. Seine Theorie des Todestriebes⁷ versuchte erstmals, Aggression als eine entscheidende Motivation des menschlichen Wesens zu beschreiben. Obwohl heutzutage sehr kontrovers diskutiert, wurde diese Theorie ausschlaggebend für alle Untersuchungen zur Gewaltproblematik. Es ist daher immer noch sehr sinnvoll, von der Theorie des Todestriebes auszugehen, sie im Rahmen heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse zu untersuchen und sie auf der Grundlage unseres heutigen Wissens zu erörtern.
Die fundamentalen Triebe waren für Freud⁸ damals die Sexualität in einem weiteren Sinne einschließlich der Liebe, der Abhängigkeit, aller positiven, die menschliche Beziehung stärkenden Motive, und der Todestrieb, mit allen negativen Elementen der Zerstörungssucht von anderen und von sich selbst. Dabei sprach er von Trieben, nicht von Instinkten, denn er sah bereits ganz klar den Unterschied zwischen den biologisch begründeten Instinkten und den psychisch begründeten Trieben. Er beschrieb fünf Arten der klinischen Prädominanz zerstörender, aggressiver und gewalttätiger Handlungen (Tab. 1). Jedes dieser Syndrome sehen wir klinisch heute genau so, wie er sie damals beschrieben hat.
Tab. 1: Destruktion, Aggression und Gewalt in klinischen Phänomenen nach Freud
Natürlich haben wir auch viel dazugelernt und wissen nun eher, was in jedem dieser Syndrome steckt. Sie sollen in den ersten beiden Vorlesungen anhand von Fallbeispielen vorgestellt werden.
Wiederholungszwang
Es war besonders der Wiederholungszwang, der Freud dazu veranlasste, einen Todestrieb anzunehmen, agieren hier doch die Patienten gegen das basale Lustprinzip. Ihr Lebensziel scheint auf Zerstörung und Tod gerichtet zu sein.
Wiederholungszwang bei aggressiven Beziehungserfahrungen
„Wiederholungszwang" nannte Freud⁹ die Entdeckung, dass Patienten eine bestimmte, schwer belastende, aggressive, angst- und schreckenerregende Beziehung immer wieder in der Übertragung wiederholen, obwohl diese bereits geklärt und durchgearbeitet worden war.
Kasuistik
Die Patientin ist eine 26-jährige Frau mit narzisstischer Persönlichkeit, eine schöne, junge Frau aus aristokratischem Hause, sehr reich.
Sie hat alles, was sie sich wünschen kann, ist hoch intelligent, kreativ – eine kreative Künstlerin mit fast erschreckender Großartigkeit. Sie hielt sich für die beste Künstlerin ihres Fachs: Das haben noch nicht alle erkannt, wenn sie aber einmal überall bekannt sein wird, wird sie zu den Größten ihrer Disziplin zählen. Zudem ist sie einzigartig, denn sie hat Verstand und Tiefe, wenngleich auch dies noch nicht allgemein so gesehen wird, wie sie glaubt. Dennoch hat die junge Frau zwei Probleme in ihrem Leben: Sie ist noch nicht so berühmt, wie sie sein wollte, und obwohl sie so viele Männer um sich herum hat, wie sie sich nur wünschen kann, ist sie verzweifelt, glückte ihr bis jetzt doch keine feste Beziehung. Alle ihre Beziehungen zerbrachen, denn die Männer sind ja alle „Loser".
Sie weiß ganz genau, was sie will: einen Mann in ihrem Alter, der schön ist, athletisch, Professor an einer großen Universität oder Chef eines internationalen Konzerns und Hunderte Millionen Dollar „wert". Der macht ihr sofort ein Kind (das die Intelligenz der beiden vereint und ein Genie werden wird) und gibt ihr Geld,
