Die Sprache der Seele verstehen: Die Weisheit der Wüstenväter
Von Daniel Hell
()
Über dieses E-Book
Daniel Hell
Daniel Hell, geboren in der Schweiz, war von 1991-2009 Professor für Klinische Psychiatrie und Klinikdirektor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Seit seiner Emeritierung als Ordinarius für Klinische Psychiatrie an der Universität Zürich führt er an der Privatklinik Hohenegg eine eigene psychiatrisch-psychotherapeutische Praxis und engagiert sich in der Stiftung Hohenegg sozialpsychiatrisch. Als Autor von Fach- und Sachbüchern sowie Medienbeiträgen ist er weit über sein Fachgebiet hinaus bekannt.
Mehr von Daniel Hell lesen
Von Achtsamkeit bis Zuversicht: ABC des guten Lebens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNun muss ich Sie doch ansprechen: Zürcher Stadtmeditationen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLob der Scham: Nur wer sich achtet, kann sich schämen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDepression als Störung des Gleichgewichts: Wie eine personbezogene Depressionstherapie gelingen kann Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Die Sprache der Seele verstehen
Titel in dieser Serie (100)
Regeln zum Leben: Die Zehn Gebote - Provokation und Orientierung für heute Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErmutigen statt kritisieren: Ein Elternratgeber nach Rudolf Dreikurs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAngela Merkel - Die Protestantin: Ihr Aufstieg, ihre Krisen - und jetzt? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Brave-Tochter-Syndrom: ... und wie Frau sich davon befreit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKonflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation: Ein Gespräch mit Gabriele Seils Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Die Tretmühlen des Glücks: Wir haben immer mehr und werden nicht glücklicher. Was können wir tun? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGrenzen setzen, Grenzen achten: Wege zu einem glücklichen Miteinander Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVon den Altarstufen zur Showbühne: Geschichten und Bekenntnisse prominenter Messdiener Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIm Fluss der Zeit: Gedanken beim Älterwerden Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVon Beruf: Politiker: Bestandsaufnahme eines ungeliebten Stands Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Jahr in Prag: Auswandern auf Zeit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAD(H)S - So stärken Sie Ihr Kind: Was Eltern wissen müssen und wie sie helfen können Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMuhammad Yunus - Banker der Armen: Der Friedensnobelpreisträger. Sein Leben. Seine Vision. Seine Wirkung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWenn du willst, was du noch nie gehabt hast, dann tu, was du noch nie getan hast: Geschichten voll Weisheit und Wärme Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenQigong - Heilung mit Energie: Das Wissen der Traditionellen Chinesischen Medizin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWerde, wer du wirklich bist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAus Erziehung wird Beziehung: Authentische Eltern – kompetente Kinder Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Schafft die Stühle ab!: Plädoyer für einen bewegten Alltag Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Jahr in der Provence Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Sprache der Seele verstehen: Die Weisheit der Wüstenväter Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKonflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation: Ein Gespräch mit Gabriele Seils Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Gönn dir Zeit. Es ist dein Leben Bewertung: 2 von 5 Sternen2/5Welt ohne Christentum - was wäre anders? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDhammapada - Die Weisheitslehren des Buddha Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIn der Sprache liegt die Kraft: Klar reden, besser leben Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Nasr Hamid Abu Zaid - Ein Leben mit dem Islam Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAchtsamkeit in der Partnerschaft: Was dem Zusammenleben Tiefe gibt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMayer Amschel Rothschild: Ein biografische Porträt Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Ein Jahr in Rom Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEnergieräuber in Familie, Beziehung und Job erkennen und abwehren Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnliche E-Books
Erlöst leben: Die befreiende Botschaft Jesu Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHenri Nouwen - Mit Leidenschaft für das Leben: Vorwort von Anselm Grün Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPhänomen Nahtod: Faszinierende Entdeckungen eines Psychiaters Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Mystik im Alltag: Ein Handbuch für Erwachende Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie leise Sprache Gottes: Geistlich leben nach Johannes von Avila Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLeben an der Seite Jesu: Von Einkehr und Gebet beim Hören einer Bibelstelle (Markus 1, 21-38) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAn der Quelle des Lebens: Worte mit Herz und Verstand Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLicht ohne Schatten: Leben nach einer Nahtoderfahrung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Kraft der Gefühle: Nutzen Sie die Energie der Emotionen für sich und ihr Kind Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSie lachen das schon: Einführung in die Provokative SystemArbeit mit kommentierten Fallbeispielen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWorte der Freiheit: Die Seligpreisungen Jesu Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStadtplan für ein gutes Leben: Ein spiritueller Wegweiser Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungenintuitiv kreativ!: Kreativität und Intuition praktisch und sofort anwendbar Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNostalgie und Aufbruch: Von der Lust, die Welt zu gestalten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLass die Seele für dich sorgen: Entlastend glauben, achtsam leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIm Einklang leben: Worte zur Schöpfung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas achtsame Gehirn Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWir glauben, weil wir lieben: Woran ich glaube Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer offene Himmel: Meditationen zu Advent und Weihnachten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFülle und Nichts: Von innen her zum Leben erwachen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeld, Gesellschaft und Gewalt: Kapital und Christentum (Band 1) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVergewaltigung: Psychotraumatologisches Grundlagenwissen und existenzphilosophische Überlegungen für Notfallseelsorge und seelsorgerliche Begleitung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErwecke Deine Herzwährung: Die 21 Siegerwerte zum Reichtum Deines Lebens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Geheimnis der Seligpreisungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAngst ist die andere Seite von Liebe: Einfach loslassen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMärchen für die Seele: Märchen zum Erzählen und Vorlesen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerührt vom Klang der Liebe: Wege zum Herzensgebet Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWenn Liebe fließt, gibt es kein Leid: Aus dem Leben einer geborenen Heilerin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Psychologie für Sie
Ein neues Ich: Wie Sie Ihre gewohnte Persönlichkeit in vier Wochen wandeln können Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDu bist das Placebo: Bewusstsein wird Materie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWerde übernatürlich: Wie gewöhnliche Menschen das Ungewöhnliche erreichen Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Der Sinn des Lebens: Klassiker der Psychotherapie Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Gelassenheit - Die Kunst der Seelenruhe: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie 16 Persönlichkeitstypen im Überblick Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPsychologie der Massen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Wenn der Körper nein sagt: Wie verborgener Stress krank macht – und was Sie dagegen tun können. Internationaler Bestseller übersetzt in 15 Sprachen. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHypnose lernen - Praxishandbuch: für tiefe Trance, Selbsthypnose, Blitzhypnose und die sichere Anwendung im Alltag Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Die Tiefenpsychologie nach C.G.Jung: Eine praktische Orientierungshilfe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLexikon der Symbole und Archetypen für die Traumdeutung Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Narzissmus: Dem inneren Gefängnis entfliehen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBewährte Techniken der Manipulation: Dunkle Psychologie in der Praxis. Wie gerissene Menschen immer das bekommen, was sie wollen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUnruhe im Kopf: Über die Entstehung und Heilung der Aufmerksamkeitsdefizitstörungen ADHS Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIm Kopf des Narzissten: Schlage ihn mit seinen eigenen Waffen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Ich und das Es Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchöpfer der Wirklichkeit: Der Mensch und sein Gehirn - Wunderwerk der Evolution Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5When: Der richtige Zeitpunkt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPsychologie: Wie uns Willenskraft erfolgreich macht Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Endloses Bewusstsein: Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung Bewertung: 1 von 5 Sternen1/5Narzissmus: Werden wir zur Gesellschaft auf dem Ego-Trip? (GEO eBook Single) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHass, Wut, Gewalt und Narzissmus Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Glück: Wie das Leben gelingt (GEO Wissen eBook Nr. 1) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHeilpraktiker für Psychotherapie: Kompakttrainer mit den wichtigsten Prüfungsthemen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Die Sprache der Seele verstehen
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Die Sprache der Seele verstehen - Daniel Hell
Daniel Hell
Die Sprache der Seele verstehen
Die Weisheit der Wüstenväter
Titel der Originalausgabe: Die Sprache der Seele verstehen.
Die Wüstenväter als Therapeuten
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2007
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Agentur IDee
Umschlagmotiv: © ersler/ iStock / GettyImages
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-451-81472-3
ISBN (Print) 978-3-451-03115-1
Inhalt
Einführung
Kapitel 1
Seelische Einsichten ohne Psychologie
Kapitel 2
Der achtsame Umgang mit sich selbst als Mittel gegen Entfremdung
Kapitel 3
Wo Wut zugelassen wird, lässt sich Zorn überwinden
Kapitel 4
Der Umgang mit depressiven Verstimmungen
Schluss
Anmerkungen
Dank
Literatur
Meinen Eltern
„Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden: Weil wir sie lieben, solange wir sie lieben … Du sollst dir kein Bildnis machen, heisst es von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist."
(Max Frisch, Tagebuch)
Einführung
Was bringt einen ehemaligen Hochschullehrer der Psychiatrie und Leiter einer schweizerischen Universitätsklinik dazu, sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit den Ansichten der Wüstenväter auseinander zu setzen, die zu Beginn unserer Zeitrechnung lebten? Den ersten Anstoß dazu erhielt ich durch mein eigenes Fachgebiet. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit depressiven Störungen suchte ich nach Vorläufern moderner Konzepte zur Depression und bin auf die sog. ‚Akedia‘ gestoßen. ‚Akedia‘ ist ein griechischer Begriff und meint auf Deutsch soviel wie „Verdruss, „Mattigkeit
oder „Widerwillen. In der römischen Spätantike wurde er mit „Überdruss
(lat. taedium) oder mit „Angst des Herzens" (lat. anxietas cordis) übersetzt. Damit ist ein Zustand der unruhigen oder angstvollen Bedrücktheit gemeint, der offensichtlich Gemeinsamkeiten mit dem heutigen Begriff der Depression aufweist. Die Vorstellung, an der ‚Akedia‘ zu leiden, war insbesondere im Mittelalter sehr verbreitet und trat in Konkurrenz zum älteren griechischen Krankheitsbild der „Schwarzgalligkeit" (griech. Melancholie). Bis in die heutige Zeit hat das traditionelle Denken über die Akedia (als sündhafte Verführung) die Bewertung des depressiven Erlebens beeinflusst, genauso wie die antike Melancholieauffassung tiefe Spuren im modernen Depressionsverständnis hinterlassen hat. Gerade christlich erzogene Menschen sind in ihrer Einschätzung depressiven Leidens häufig vom alten Konzept der ‚Akedia‘ beeinflusst, meist ohne es bewusst wahrzunehmen.
Die Wüstenväter als Begründer eines Verständnisses der depressiven Verstimmtheit
Der Begriff der ‚Akedia‘ – als Ausdruck einer besonderen Depressionsform – geht auf die ersten christlichen Eremiten zurück. Sie führten als Wüstenmönche oder so genannte Anachoreten (von griech. Anachoresis: Zurückgezogenheit) vom 4. bis 6. Jahrhundert nach Christus ein asketisches und hartes Einsiedlerleben in den Wüstengebieten des Nahen Ostens. Mit Akedia bezeichneten sie eine Art spirituelle Trägheit oder Überdruss, der sie vor allem in den Mittagsstunden befiel. Schon von Antonius dem Großen, dem wohl bekanntesten Eremiten der ersten Generation, der um 250 – 350 n. Chr. lebte und dessen Versuchungen in die Geschichte eingegangen sind, wird berichtet, dass er an Akedia litt und in verdrießlicher Stimmung und mit düsteren Gedanken in der Wüste saß.¹
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts hat dann ein Wüstenvater der dritten Generation, Evagrius Ponticus, die eigentliche Theorie der Akedia als depressiver Verstimmung entwickelt. Sie wurde für das Mittelalter weitgehend bestimmend.
Allerdings wurde die ursprüngliche Lehre des Evagrius im Laufe der Zeit nicht nur popularisiert, sondern von amtskirchlicher Seite auch gesellschaftspolitisch instrumentalisiert. So mutierte die ursprüngliche Mönchskrankheit Akedia zu einer Todsünde der mittelalterlichen Kirchenlehre. Auf depressive Weise träge oder überdrüssig zu sein, wurde zu einem der schlimmsten Laster.
Ein eingehenderes Studium der Schriften von Evagrius Ponticus und der überlieferten Sprüche anderer Wüstenväter macht aber bald deutlich, dass das ursprüngliche Verständnis der Akedia keine gesellschaftliche oder religiöse Verurteilung beinhaltet hat, sondern eine tiefe und tiefsinnige Auseinandersetzung mit dem depressiven Erleben darstellt. Sie hat zu Einsichten geführt, die erst viel später von der Psychoanalyse in anderer Form neu entwickelt worden sind. Darüber hinaus stößt man bei der Lektüre der aufgeführten Schriften auf ein Menschenverständnis, das sich gerade von ideologisch geleiteten Beurteilungen abhebt. Die Wüstenväter beschäftigte vor allem die Frage, wie ein einzelner Mensch unter schwierigsten Bedingungen das Leben meistern kann.
Von dieser Haltung angesprochen, wurde mir das von den Wüstenvätern überlieferte Menschenbild zum zweiten und weiterführenden Anstoß für meine Auseinandersetzung mit den frühchristlichen Wüstenmönchen. Mir wurde deutlich, dass das „Depressionskonzept" der Akedia nur zu verstehen ist, wenn – neben den zeitbedingten Umständen des frühchristlichen Mönchtums – auch die Grundhaltung mitberücksichtigt wird, welche die Wüstenväter vertreten haben.
„Wer bin ich eigentlich?"
Die Grundhaltung der Wüstenmönche
Diese Grundhaltung lässt sich aus den so genannten Vätersprüchen erschließen, einer Sammlung von prägnanten Aussagen und Geschichten herausragender Wüstenmönche. Die Vätersprüche gehören zum ältesten Traditionsgut, das über die Wüstenmönche bekannt ist. Die Sprüche wurden zunächst mündlich weitergegeben, später schriftlich gesammelt und danach vielfach abgeschrieben. Die Überlieferung hat schließlich aus einem riesigen Schatz von Erzählungen und Gedanken der Wüstenmönche die eindrücklichsten Zeugnisse in den „Apophthegmata patrum – Sprüchen der Väter" ausgewählt.
Väter oder Abbas (= Vater) wurden jene Mönche genannt, die andere anleiteten und spirituell begleiteten. Diese ehrenvolle Bezeichnung – wie auch die Bezeichnung als Altvater oder Greis – war im Übrigen nicht vom Lebensalter abhängig, sondern von der Reife spiritueller Erfahrung. In analoger Weise wurden spirituell fortgeschrittene Frauen Amma (Mutter) genannt.
Die Grundhaltung der Wüstenväter und -mütter ist gekennzeichnet durch ihre persönliche Erfahrung des Eremitenlebens. Ihre wichtigste Frage ist nicht: „Stimmt meine Theorie? Vertrete ich eine theoretisch begründete Wahrheit? Sondern ihre Grundfrage lautet: „Wer bin ich eigentlich? Was wird mir an mir selber klar, wenn ich mich der Stille und äußeren Reizlosigkeit aussetze?
Von Abbas Poimen gibt es eine schöne Geschichte, die die Bedeutung der Selbsterfahrung für die Wüstenväter illustriert:
„Ein Anachoret, der in seiner Gegend großes Ansehen genoss, besuchte den Altvater Poimen. Der Greis empfing ihn mit Freude, und nachdem sie sich umarmt hatten, begann der Besucher viel über die heilige Schrift und von himmlischen Dingen zu sprechen. Da wandte Abbas Poimen sein Haupt ab und gab ihm keinerlei Antwort. Als der Einsiedler sah, dass er nicht mit ihm sprach, ging er betrübt davon und sagte zu dem Bruder, der ihn hergebracht hatte: ‚Ich habe diese ganze Wanderung umsonst gemacht. Denn ich kam zu dem Greis, aber siehe, er will nicht mit mir reden!‘ Da ging der Bruder zum Altvater Poimen hinein und sagte: ‚Vater, deinetwegen kam dieser große Mann, der in seiner Gegend ein so großes Ansehen besitzt. Warum hast du denn nicht mit ihm gesprochen?‘ Der Greis gab zu Antwort: ‚Er wohnt in den Höhen und spricht Himmlisches, ich aber gehöre zu denen drunten und rede Irdisches. Wenn er von den Leidenschaften der Seele gesprochen hätte, dann hätte ich ihm wohl Antwort gegeben. Wenn er aber über Geistliches spricht, so verstehe ich das nicht.‘ Der Bruder ging nun hinaus und sagte zu dem Einsiedler: ‚Der Greis redet nicht leicht von der Schrift, aber wenn jemand mit ihm von den Leidenschaften der Seele spricht, dann gibt er ihm Antwort.‘ Er besann sich und ging zu ihm hinein und sprach zu ihm: ‚Was soll ich tun, wenn die Leidenschaften der Seele über mich Macht gewinnen?‘ Da achtete der Greis freudig auf ihn und sagte: ‚Jetzt bist du richtig gekommen, nun öffne einen Mund für diese Dinge, und ich werde ihn mit Gütern füllen.‘"²
Wie in dieser Geschichte ausgedrückt, haben sogar religiöse Überzeugungen in den Hintergrund zu treten, um dem eigenen Erleben mitsamt den erfahrenen Nöten Platz zu machen. Deshalb kann Abbas Pastor warnen: „Halte dich fern von Menschen, die immer nur debattieren."²
Konsequenterweise haben die Wüstenväter keine systematische Lehre entwickelt, um ihre Einsichten als allgemeine Maximen zu verbreiten. Von Abbas Poimen stammt sogar der provokative Satz: „Den Nächsten belehren ist das Gleiche wie ihn anklagen."⁴
Es ging ihnen also nicht um eine theoretische und generalisierbare Erkenntnis, die in einem System allgemein zugänglich gemacht werden kann. Vielmehr suchten sie der Individualität des einzelnen Menschen und seinen Erfahrungsmöglichkeiten gerecht zu werden. Auch dazu gibt es eine schöne Geschichte:
Altvater Poimen fragte einmal den Altvater Josef: „Was soll ich tun, wenn die Leidenschaften an mich herankommen? Soll ich ihnen widerstehen oder sie eintreten lassen? Der Greis sagte zu ihm: „Lass sie eintreten und kämpfe mit ihnen!
In die (Wüste) Sketis zurückgekehrt, setzte er sich hin. Und es kam einer von den Thebäern (aus Theben) in die Sketis und sagte zu den Brüdern: „Ich fragte den Abbas Josef: ‚Wenn die Leidenschaften mir nahe kommen, soll ich widerstehen oder sie einlassen?‘ Und er sagte mir: ‚Lass sie ganz und gar nicht hereinkommen, sondern haue sie auf der Stelle aus!‘ Der Altvater Poimen hörte, dass der Abbas Josef so zum Thebäer gesprochen hatte. Er machte sich auf und ging zu ihm nach Panepho und sagte zu ihm: „Vater, ich habe dir meine Gedanken anvertraut, und siehe, du hast zu mir so gesprochen, aber anders zu dem Thebäer. Der Greis gab zur Antwort: „Weißt du nicht, dass ich dich liebe?
Er sagt: „Ja! Der Alte: „Sagtest du nicht zu mir: Wie zu dir selber so sprich zu mir?
Er antwortete: „So ist es!" Da sprach der Greis: „Wenn die Leidenschaften eintreten und du