Qigong - Heilung mit Energie: Das Wissen der Traditionellen Chinesischen Medizin
Von Johann Bölts
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Über dieses E-Book
In China wird es seit Jahrtausenden praktiziert, denn: Qigong stärkt die Lebensenergie. Immermehr Menschen entdecken die stabilisierende Kraft, die von den leicht erlernbaren Bewegungsfolgen ausgeht - Wohlbefinden für Leib, Seele und Geist, mit zahlreichen Fotos.
Johann Bölts
Dr. phil. Johann Bölts, geb. 1951, Diplom-Pädagoge, leitet seit 1991 das PTCH Projekt traditionelle chinesische Heilmethoden und Heilkonzepte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
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Buchvorschau
Qigong - Heilung mit Energie - Johann Bölts
Johann Bölts
Qigong – Heilung mit Energie
Das Wissen der
Traditionellen Chinesischen Medizin
HerderImpressum
Titel der Originalausgabe: Qigong – Heilung mit Energie
Das Wissen der Traditionellen Chinesischen Medizin
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv: © Designbüro Gestaltungssaal
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book): 978-3-451-80397-0
ISBN (Buch): 978-3-451-06784-6
Inhalt
Vorwort
Vorwort zur 6. Auflage
Kapitel 1
Qigong im Wandel der Zeiten
1. Qigong heute
2. Zur Geschichte des Qigong
Kapitel 2
Grundlagen der Qigong-Theorie
1. Qi, Gong und Qigong
2. Qigong und die Traditionelle Chinesische Medizin
Kapitel 3
Grundlagen der Qigong-Praxis
1. Die Dantians und die drei Tore
2. Die vier Wirkrichtungen
3. Die drei Regulierungen
4. Die sieben Prinzipien der Übe-Praxis
5. Äußere und innere Bedingungen
6. Hinweise für das Üben
Kapitel 4
Qigong und die Gesundheit
1. Das Gesundheitsmodell im Qigong
2. Die Entwicklung von Selbst-Kompetenz im Qigong
3. Allgemeine Theorie des Daoyin Yangsheng Gong
4. Spezielle Theorie und Besonderheiten des Daoyin Baojian Gong
Kapitel 5
Ausgewählte Qigong-Methoden
1. Basis-Übungen
2. Vertiefungs-Übungen
3. Das Daoyin Baojian Gong
4. Vorbereitende und abschließende Übungen
Anmerkungen
Literatur
Fragebogen QIE
Wenn wir eine Mutter mit einem kleinen neugeborenen Kind sehen, wenden wir uns zu ihr und fragen: »Wie geht es der Kleinen heute?« Sie sagt: »Ausgezeichnet, sie hat zwei Pfund zugenommen.« »Oh, wie schön!« In der nächsten Woche: »Wie geht’s dem Kind?« »Oh, schon wieder zwei Pfund zugenommen.« »Wunderschön!« Hier wird deutlich, dass wir die Entwicklung des Kindes an seinem körperlichen Wachstum messen.
Ein wenig später: »Geht Ihr Kind jetzt zur Schule?« »Ja.« »Und wie macht es sich?« »Ist eine der Besten.« »Oh, wie wunderbar!« Diesmal messen wir die Entwicklung des Kindes an seinen geistigen Fähigkeiten.
Was ist mit dem wichtigsten Teil des Kindes? Gehen wir jemals hin und fragen: »He! Wie geht’s der Seele des Kindes?« Darüber spricht niemand. Das messen wir nicht. Das Kind darf körperlich wachsen, das Kind darf geistig wachsen. Aber sind wir nicht dabei, ein Volk von Robotern zu schaffen, die die Seele missachten, die ihren eigentlichen Wert ausmacht? Hier liegt der Grund, warum wir den Kampf gegen Krankheiten nicht gewinnen.
J. R. Worsley in »Was ist Akupunktur?«
Vorwort
Mein verehrter Lehrer, Professor Ding Hongyu aus Nanjing, schrieb mir: »Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert des Qigong.« Dies mag angesichts der Zurückhaltung des schulmedizinisch orientierten Gesundheitsdenkens allem Fremden gegenüber an Übertreibung grenzen. Ein von Lobbyistendenken befreiter Blick auf die Situation unseres Gesundheitswesens lässt aber viele Fragen offen sichtbar und für die Betroffenen spürbar werden. Trotz einer steten Steigerung der Ausgaben für Gesundheit – es geht bei unserem Thema nicht nur um Geld. Viele Menschen leiden, sind in ihrem Lebensgenuss eingeschränkt, und ungetrübtes physisches und psychisches Wohlbefinden ist zu selten anzutreffen.
Krankheit ist ein Bestandteil des Lebens. Das heißt aber nicht, dass Krankheit zum beherrschenden Bestandteil des Lebens werden muss. Das Leben spüren und genießen bedeutet, fähig zu sein, die Gesundheit vor Beeinträchtigungen zu schützen und bei Beeinträchtigungen die Kräfte in uns zu stärken, die uns lieben und genießen lassen. Durch geduldiges und beständiges Üben von Qigong können wir selbst diese Fähigkeit in uns ausbilden. Ich habe in diesem Buch versucht zu beschreiben, wodurch diese Besonderheit des Qigong gekennzeichnet ist.
Dass dieses Buch geschrieben werden konnte, habe ich Professor Ding Hongyu zu verdanken, der mich schon seit vielen Jahren in Qigong unterrichtet. Ich hoffe sehr, dass die Bilder, auf denen er die ausgewählten Übungen demonstriert, seine Kunstfertigkeit anschaulich wiedergeben. Wang Yuan hat für mich die chinesischen Texte in hervorragender Weise ins Deutsche übersetzt. Er hat mir damit die Möglichkeit eröffnet, für dieses Buch und auch für vorangegangene Veröffentlichungen die Theorie des Qigong besser zu verstehen.
Möge das Qigong viele Interessierte finden und sich die Vision von Professor Ding Hongyu erfüllen!
Johann Bölts
Oldenburg, zwischen den Jahren 1993
Vorwort zur 6. Auflage
Die Weltgesundheitsorganisation hat 1997 in ihrer Jakarta-Erklärung zur Gesundheitsförderung im 21. Jahrhundert festgestellt: »Gesundheit ist ein grundsätzliches Menschenrecht und wesentlich für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung.«
Eine zukunftsorientierte Gesundheitsförderung macht dann Sinn, wenn sie die Menschen dazu befähigt, in ihrem Alltag Entscheidungen treffen und Probleme lösen zu können, kritisch und kreativ zu denken und sich selbst wahrnehmen und einfühlsam sein zu können.
Gesundheitsförderung bedeutet auch fähig zu werden, zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen und mit Emotionen und Stress positiv umgehen zu können.
Gesundheitserziehung darf sich deshalb nicht mit der Weitergabe von Informationen begnügen. Sie muss vielmehr Erfahrungsfelder anbieten, in denen gesundheitsbezogene Alltagskompetenzen und Alltagsfähigkeiten erworben werden.
Kann Qigong in diesem Sinne nachhaltig wirksam sein?
In unserem Oldenburger Forschungsprojekt untersuchen wir, welche Persönlichkeitskomponenten durch regelmäßiges Üben angesprochen werden und wie sie sich unter Qigong-Training entwickeln. Erste Ergebnisse der Studie lassen begründet vermuten, dass Qigong die Motivation für gesundheitsförderliches Handeln ebenso stärkt wie das Selbstvertrauen und auch für Achtsamkeit im Alltag sensibilisiert.
Dass dieses Buch jetzt zum sechsten Male aufgelegt und damit zwanzig Jahre nachgefragt wird, verdeutlicht das weiterhin große Interesse an diesen Übungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Gleichzeitig ist die Neuauflage eine Aufforderung, dieses Wissenschaftsgebiet weiterzuentwickeln. Die Frage ist nicht, was wir von diesem Wissen nutzen können, sondern ob wir es uns leisten können, dieses Wissen nicht zu nutzen.
Johann Bölts
im Januar 2015
Kapitel 1
Qigong im Wandel der Zeiten
1. Qigong heute
Beispiel 1:
Es ist 5.15 Uhr früh am Morgen und stockdunkel; die Temperatur liegt bei 28°, die Luftfeuchtigkeit bei 98 Prozent. Es ist kühl, denn am Tage kann es hier in Nanjing im Sommer bis zu 40° heiß werden. Auf einem betonierten Platz inmitten eines Sportgeländes stehen etwa 80 bis 100 Menschen. Aus einem kleinen Kassettenrekorder plärrt chinesische Musik, die von sanft gesprochenen Anweisungen unterbrochen wird. Die ganze Gruppe bewegt sich im Gleichklang, zumeist langsam, aber einige Male auch schnell mit den Armen schwingend oder mit den Füßen auf den Boden stampfend. Alle üben das Kranich-Qigong.
Um 5.45 Uhr etwa wird die Übungsreihe abgeschlossen. Viele Teilnehmende verweilen noch in einer besinnlichen Haltung und verlassen nach kurzer Zeit den Platz. Etwa die Hälfte verlässt den Platz nicht. Sie üben weiter. Aus der Ruhe entstehen bei jedem Einzelnen ganz unterschiedliche Bewegungsgestaltungen: hin und her schwanken, über den Platz tippeln und abrupt stehen bleiben, mit den Armen herumfuchteln, sich das Gesicht reiben. Wie in Trance, ohne aber völlig die Kontrolle zu verlieren, geben sich Männer und Frauen, junge wie alte, den inneren Bewegungsimpulsen hin. Dazu rufen, schreien, kreischen, lachen, stöhnen, ächzen, seufzen sie und begleiten so selbst ihren spontanen Tanz. Die Lehrerinnen und Lehrer gehen herum, helfen, stützen, verstärken, beruhigen, geben Qi oder beenden, indem sie Teilnehmende auf den Boden setzen. Gegen 6.45 Uhr haben fast alle diese Phase der freien Bewegungen abgeschlossen. Man unterhält sich, lacht und scherzt, ist ausgelassen; manche tanzen noch ein wenig zu Discomusik. Die Letzten verlassen gegen 7.00 Uhr den Platz. Am nächsten Morgen um 5.15 Uhr sind sie wieder hier.
001.tifBeispiel 2:
Die etwa 40 Frauen und Männer, die sich hier bei Temperaturen um ca. minus 10° in einem Park getroffen haben, mussten vor Kurzem wegen eines Krebsleidens operiert werden. Jeden Tag zwischen 9.00 und 10.00 Uhr üben sie das Guo-Lin-Qigong. Alle gehen mit halb geschlossenen Augen, ganz bei sich und in sich, mit zwei schnellen und einem langsamen Schritt. Immer der gleiche Rhythmus: zweimal schnell, einmal langsam. Ihr Atem ist deutlich zu hören – und zu sehen. Ein, Ein und Aus. Ein Lehrer und eine Lehrerin – selbst ehemalige Krebspatienten – unterbrechen dieses Gehen und vermitteln neue Übungssequenzen bzw. wiederholen die bisher gelernten und erklären deren Bedeutung und Funktion. In vielen Stadtteilen Beijings gibt es diese Gruppen; etwa zweitausend Personen nehmen teil. In einer groß angelegten Langzeitstudie des Krebsforschungsinstituts von Beijing soll der Einfluss von Qigong auf den Krankheitsverlauf bei Krebs untersucht werden.
002.tifBeispiel 3:
Einmal in der Woche treffen sich an Krebs erkrankte Frauen in einem Raum des Evangelischen Krankenhauses in Oldenburg, um unter Anleitung des Autors Übungen und Übe-Prinzipien aus einer Qigong-Methode zur Stärkung der Abwehrkräfte und des Immunsystems, das »49er-Leitbahnen-Bewegungs-Qigong«, zu erlernen und zu praktizieren. Zu diesem von der onkologischen Abteilung des Krankenhauses und der Carl von Ossietzky Universität durchgeführten Projekt gehört eine wissenschaftliche Begleitforschung, die untersucht, ob und in welcher Weise sich leibzentrierte Übe-Verfahren auf gesundheitsbezogenes Denken, Fühlen und Handeln auswirken.
003.tifIn den Schulen Chinas bereits werden aus dem Qigong Selbstmassagetechniken gelehrt, mit denen z. B. die Konzentrationsfähigkeit, aber auch die Sehkraft gefördert werden. Mittlerweile werden auch andere Qigong-Methoden zur Gesundheitssicherung in der Schule gelehrt. An den Hochschulen kann Qigong als Wahlfach belegt werden. Mehrere Zeitschriften befassen sich mit Qigong, insbesondere mit der Beschreibung alter und neu entwickelter Übungen und deren Wirksamkeit. In staatlich geförderten Einrichtungen und Institutionen wird die spezifische Wirkweise von Qigong erforscht. Internationale Kongresse über Qigong ermöglichen den Erfahrungsaustausch weltweit. Zhang Guangde, Professor für Qigong an der Sporthochschule in Beijing, hat seit den siebziger Jahren einen Methodenzyklus von Qigong-Übungen entwickelt, der auf einer so einfachen wie genialen Idee beruht: Für fast jede Erkrankung gibt es eine Medizin, dann kann es doch auch für jede Erkrankung ein spezielles Qigong geben. Ausgehend von diesem Gedanken sind auf der Basis der alten Qigong-Tradition und auf der Grundlage der Erkenntnisse der Traditionellen Chinesischen Medizin Qigong-Methoden für spezielle Organ-Funktionskreise entwickelt worden, um häufig auftretenden Erkrankungen in der Prävention angemessen begegnen zu können und in der Therapie und Rehabilitation den Heilungsprozess fördernde und stützende Qigong-Methoden zur Verfügung zu haben. Dieser Methodenzyklus heißt: Daoyin Yangsheng Gong und enthält z. B. folgende Methoden¹:
1. Qigong, um das Herz zu beruhigen und den Kreislauf zu regulieren
2. Qigong, um Qi zu stärken und die Lunge zu pflegen
3. Qigong, um die Milz zu stärken und den Magen zu harmonisieren
4. Qigong, um die Leber zu entspannen und die Gallenblase zu schonen
5. Qigong, um das Yuan-Qi zu nähren und das Zhen-Qi zu stärken
6. Qigong, um die Muskeln zu lockern und die Knochen zu stärken
7. Qigong, um die Abwehrkräfte zu stärken und das Immunsystem zu verbessern
Da diese Methoden sehr einfach zu erlernen sind und gleichzeitig eine gute medizinische Wirkung haben, sind sie in China sehr verbreitet. Eine andere Methode aus diesem Zyklus, das Daoyin Baojian Gong (Qigong, um die Gesundheit zu schützen), wird in Kapitel 5 ausführlich beschrieben. Diese Qigong-Methode ist auf einem Aktiv-Poster der AOK zu Qigong abgebildet und deshalb auch bei uns sehr bekannt.
In Deutschland ist die Geschichte des Qigong noch jung. Aber dennoch ist das Interesse enorm. In vielen Angeboten von Einrichtungen der Erwachsenenbildung ist Qigong zu finden. Sportvereine und Krankenkassen, die seit 1989 ihr Präventionsangebot aufbauen, bieten ebenso Qigong-Kurse an wie die vielen freien Vereine, die sich um das Qigong gebildet haben. Radio und Fernsehen greifen immer häufiger das Thema auf.
Diese Beispiele geben lediglich einen kleinen Eindruck von den vielfältigen Möglichkeiten wieder, Qigong einzusetzen. In China ist Qigong in den letzten dreißig Jahren zu einem Bestandteil des medizinischen Versorgungssystems geworden. In Krankenhäusern sind Qigong-Meister tätig, die die Patienten mit ausstrahlendem Qi behandeln. Dabei stimulieren sie – ähnlich wie in der Akupunktur oder Akupressur – die Akupunkturpunkte und regen so den Fluss von Qi und Blut im Körper an. Bei dieser Behandlung bleibt der Patient passiv. In vielen Sanatorien üben die Patienten zum Teil täglich mehrere Male Qigong, um die Genesung zu fördern und