Patchworkfamilien beraten
Von Corina Ahlers
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Über dieses E-Book
Wie kann nach der Trennung der übergang in die neue Lebenssituation für Erwachsene und Kinder beraterisch optimal begleitet werden? Die systemische Haltung, die eine zirkuläre Betrachtung von Kommunikation voraussetzt, ist besonders geeignet, um das Gelingen professionell zu unterstützen. Dafür muss der Gesamtkontext im Auge behalten werden. An der Konstruktion des gelingenden Patchworks sind die Ex-Partner, mögliche neue Partner und alle vorhandenen Kinder beteiligt. Auch die professionelle Umwelt (Jugendamt, Familiengericht, Schule, Mediation, Therapie) rahmt die problematische Kommunikation der Betroffenen. Die professionelle Haltung verlangt die emotionale Perspektivenübernahme für alle Mitglieder im Patchwork. Die gemeinsam erarbeiteten Veränderungsvorschläge werden auf ihre Machbarkeit überprüft. Pragmatisch optimiertes Vorgehen und die zähe Verhandlung von Alternativen sind der permanenten Einladung zur emotionalen Verstrickung mit Einzelnen entgegenzustellen.
Das Patchwork funktioniert nur, wenn die Kränkung aus dem Bruch verarbeitet und gute Erinnerungen in ein neues Leben integriert wurden. Die dafür notwendige Zeit ist nicht für alle gleich. Therapeutinnen und Therapeuten helfen die Zeit angemessen zu verwalten.
Corina Ahlers
Dr. Corina Ahlers, Psychologin, Dozentin, Systemische Familientherapeutin und Lehrtherapeutin für Systemische Therapie an der ÖAS (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie und Systemische Studien) und Sigmund Freud Privatuniversität in Wien, ist derzeit zu den Themen Patchworks, Gender und kultureller Bindung tätig (www.familieneu.at).
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Buchvorschau
Patchworkfamilien beraten - Corina Ahlers
Der Kontext
Einführung
Meine Quellen zu diesem Buch sind breit gestreut. Durch meine Biografie bin ich patchworkgeübt: Heute bin ich Großmutter von sechs Stiefenkeln, Mutter von Kindern zweier Väter und lebensbegleitend für Erwachsene aus früheren Patchworkbeziehungen. 1998 bis 2002 arbeiteten mein Mann und ich zusammen an einem qualitativen Forschungsprojekt zum Thema Patchwork (Sieder u. Ahlers, 2002). 2005 gründete ich zusammen mit zwei Kolleginnen, den systemischen Therapeutinnen Marion Waldenmair und Claudia Renner, das »Kompetenzzentrum FamilieNeu«. Es verfolgt die Absicht, defizitorientierte Einstellungen aufzulösen, die bei der Trennung von Paaren und Patchworkfamilien auftreten können (vgl. Ahlers, 1998, 1999). Wir arbeiten an der Alltagskommunikation und finden mit den Betroffenen kreative Alternativen für das Zusammenleben. Bis heute kommen Menschen zu uns – hinzugekommen sind Johannes Gutman, Harald Steininger und Rosita Ernst –, die sich zeitgemäß und kompetent beraten lassen und die Beurteilungen von Trennung und Patchwork überwinden möchten. Mit ihnen zusammen suchen wir praktikable Wege für ihren Alltag.
Das systemische Prinzip, nach dem das Setting der Sitzungen zirkulär und perspektivisch geplant wird, um Reden und Zuhören in der Begegnung möglich zu machen (Ahlers, 1996), ist für die Arbeit mit Patchworkfamilien besonders geeignet. Die in diesem Buch geschilderten Fälle und meine Reflexionen dazu spiegeln diese Praxis wider.
Alle Fallbeispiele sind frei erfunden und meinen niemanden im Konkreten. Die Fallvignetten sind als verdichtete und kombinierte Beschreibungen meiner Erfahrungen mit zahlreichen Menschen und Patchworkkonstellationen zu lesen.
Begrifflichkeiten
Mit »Patchworkfamilien« werden mehr oder weniger zufällig angeordnete biologische und psychosoziale Beziehungen nach der Trennung von Eltern beschrieben (Sieder, 2008). Das Wort »Patchwork« – Flickwerk – wird im Englischen nicht auf Familien bezogen. Diese bezeichnet man als »blended families«, Familien, die »verschnitten, gemischt, vermengt« werden. Die spanischen Begriffe »familias reconstituidas« oder »familias recompuestas« fokussieren auf die Restabilisierung der Familienverhältnisse nach dem Bruch. Sichtbar wird, wie Begriffe, welche diese mittlerweile alltäglich gewordene Lebensform beschreiben, Ideologien vertreten.
Der »Familienmythos« (Sieder, 2010), der die lebenslang zusammenhaltende Kernfamilie priorisiert, ist noch heute überzeugend – und das, obwohl das Konzept der »Kernfamilie«, welche ihre Mitglieder nach dem Motto »Blut ist dicker als Wasser« bindet, in der westlichen Industriegesellschaft eine Überlebenschance von circa 50 Prozent hat. Das bürgerliche Familienmodell (Sieder, 2010), in dem Ehe nicht mehr klassen- bzw. milieuspezifisch arrangiert wird, sondern in dem sich Liebespartner frei wählen, führt häufig zum Bruch und damit zum Aufbau einer neuen Beziehung. Mittlerweile ist Patchwork zur gewöhnlichen Begleitung postmoderner Lebenswelten geworden. Es gibt keine Garantie für das lebenslange Zusammenbleiben eines Paares, einer Familie.
In der Alltagssprache ist der »Stiefvater« vergangener Generationen zum »psychosozialen Vater«, zum »väterlichen Kameraden« bzw. zum »aktuellen Freund der Mutter« oder »LAP« (Lebensabschnittspartner) geworden. Die »Stiefmutter« ist nicht mehr »die böse Stiefmutter« aus den Märchen, zur »Ersatzmutter« wird sie nicht. Gerne wird sie »Lebensgefährtin« bzw. »Freundin des Vaters« genannt und mit ihrem Vornamen angesprochen. Sie wird der biologischen Mutter nicht vorgezogen,¹ aber man darf sie mögen.
Das Passagere der Beziehung in der Familie, die sich mal im Bruch und mal im Wiederaufbau befindet, wird im sperrigen Begriff der »Fortsetzungsfamilie« (Meulders-Klein u. Thery, 1998) am besten beschrieben. Jede Familie setzt sich nach der Trennung fort, verlassen/d, alleinerziehend, neu verliebt, mit den eigenen und/oder den fremden Kindern lebend und/oder mit der Aussicht auf zusätzliche gemeinsame Kinder in einer neuen Paarbeziehung. Das Wort »Fortsetzung« bewertet nicht. Beziehungen setzen sich fort, mit den gleichen oder mit anderen Partnern und Partnerinnen in neu gewählten Lebensräumen. Schnitzlers Stück »Der Reigen« (1920), in dem die Liebenden sich trennen und neu verpaaren, war bei seiner Uraufführung noch ein Theaterskandal und entspricht der heutigen Normalität. Der Reigen an Paarbeziehungen, die im Lebenslauf eines Menschen entstehen, wird auf Seite 46 illustriert. Im Patchworkgenogramm werden Beziehungskomplexität und temporäre Positionen sichtbar: ein spät gefundener Vater; verlassene Mütter, die mit ihrer Situation unterschiedlich umgehen; wiederentdeckte Halbgeschwister und isolierte leibliche Kinder.
Ob Professionelle in bzw. nach der Trennung aktiv werden, entscheidet die Kommunikation der Betroffenen: Wie wird die Trennungskrise bewältigt? Wie kompetent agiert das soziale und familiäre Netz? Stößt ein verlorenes Schulheft oder ein momentan aggressives Kind auf eine verständnisvolle oder auf eine überforderte Lehrerin? Kann eine Jugendamtssozialarbeiterin die krisengeschüttelten Eltern zur Vernunft bringen? Geht es den Kindern gut mit der ausgehandelten Besuchsregelung?
1992 führte Ludewig das Konzept des Problemsystems ein: Betroffene, die über ein Problem kommunizieren, erzeugen ein Problemsystem. Ihre Kommunikation macht sie zu »Mitgliedern« dieses Problemsystems. Sie müssen nicht anwesend sein, um die Kommunikation im Problemsystem zu halten, und sind dennoch Teil davon (Ludewig, 1992). In Patchworkfamilien heißt das: Wie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine problematische Kommunikation aufrechterhalten, ist nicht an das Zusammenleben, an die Haushaltsführung, an die Anzahl und das Alter der Kinder, die Besuchszeiten und ähnliche Kategorien gekoppelt. Bedeutung wird von Subjekten hergestellt. Kommunikation ist weder zeitlich (z. B. Frequenz der Besuche) noch örtlich (Wohnungen, Zimmer) definiert. Es wird geskypt, und Kinder sehen ihre getrennten Eltern einmal im Jahr. Man kann in der gleichen Straße wohnen und sich praktisch nie sehen. Ein kooperativer Dialog der Getrennten und wohlwollende Erzählungen über nicht anwesende Teile des Patchworks sind für alle Beteiligten förderlich. Dennoch: Akteure des Patchworks können sich höchst unterschiedlich zueinander verhalten: Vielleicht verstehen sich die Trennungspartner gut, die hinzukommenden Partner aber nicht; Großeltern mischen sich destruktiv in den Wiederaufbau einer neuen Familie ein; der Familienrichter bzw. die Sozialarbeiterin bemängelt den elterlichen Umgang mit den Kindern