Maigrets Geständnis
Von Georges Simenon
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Über dieses E-Book
Georges Simenon
Georges Simenon (Lieja, Bélgica, 1903 – Lausana, Suiza, 1989) escribió ciento noventa y una novelas con su nombre, y un número impreciso de novelas y relatos publicados con pseudónimo, además de libros de memorias y textos dictados. El comisario Maigret es el protagonista de setenta y dos de estas novelas y treinta y un relatos, todos ellos publicados entre 1931 y 1972. Célebre en el mundo entero, reconocido ya como un maestro, hoy nadie duda de que sea uno de los mayores escritores del siglo xx.
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Buchvorschau
Maigrets Geständnis - Georges Simenon
1
Der Reiskuchen von Madame Pardon
Das Dienstmädchen hatte den Reiskuchen in die Mitte des runden Tisches gestellt, und Maigret bemühte sich, sowohl überrascht als auch glücklich auszusehen, als Madame Pardon ihm errötend einen verschmitzten Blick zuwarf.
Es war nicht der erste Reiskuchen in den vier Jahren. So lange pflegten die Maigrets einmal im Monat am Boulevard Voltaire bei den Pardons zu Abend zu essen, und vierzehn Tage später kamen die Pardons in die Wohnung am Boulevard Richard-Lenoir, wo sich dann Madame Maigret mächtig ins Zeug legte.
Im fünften oder sechsten Monat hatte Madame Pardon einen Reiskuchen aufgetischt. Maigret hatte zweimal nachgenommen und gesagt, der Kuchen erinnere ihn an seine Kindheit. Seit vierzig Jahren habe er keinen so vorzüglichen gegessen, was auch stimmte.
Seitdem endete jedes Abendessen bei den Pardons in ihrer neuen Wohnung am Boulevard Voltaire mit diesem schweren Dessert, das sowohl das Süße und Erholsame wie auch das etwas Glanzlose der Zusammenkünfte betonte.
Die Maigrets hatten keine Verwandtschaft in Paris und kannten deshalb solche Abende nicht, die man an feststehenden Terminen bei Angehörigen verbringt. Die Essen bei den Pardons erinnerten sie an Besuche bei Tanten und Onkeln in ihrer Kindheit.
An diesem Abend war auch Alice mit ihrem Mann anwesend. Sie kannten die Tochter der Pardons schon seit deren Gymnasialzeit. Sie war seit einem Jahr verheiratet und im siebten Monat schwanger. Sie hatte die sogenannte »Maske«, rote Flecken auf der Nase und unter den Augen. Ihr junger Ehemann wachte darüber, dass sie genügend aß.
Maigret wollte gerade wieder den köstlichen Reiskuchen seiner Gastgeberin loben, als das Telefon klingelte, zum dritten Mal seit der Suppe. Die Freunde kannten das schon und fragten sich zu Beginn des Abends im Spaß, ob der Doktor es wohl bis zum Dessert schaffen würde, ohne von einem seiner Patienten angerufen zu werden.
Der Apparat stand auf einer Konsole, über der ein Spiegel hing. Pardon, die Serviette noch in der Hand, nahm den Hörer.
»Hallo, hier Doktor Pardon.«
Alle sahen zu ihm hin. Eine sehr schrille Stimme ließ den Hörer vibrieren. Außer dem Arzt konnte niemand die Worte verstehen. Man hörte nur aufeinanderfolgende Töne, wie von einer zu schnell abgespielten Schallplatte.
Maigret runzelte die Brauen. Das Gesicht seines Freundes wurde ernst und ein wenig beklommen.
»Ja … Ich höre Ihnen zu, Madame Kruger … Ja.«
Die Frau am anderen Ende der Leitung bedurfte keiner Ermunterung, um zu sprechen. Die Laute überschlugen sich und bildeten, jedenfalls für die, die nicht den Hörer am Ohr hatten, eine unverständliche, aber eindringliche Litanei.
In Pardons Mimik spiegelte sich stumm ein Drama. Der Arzt, der noch kurz zuvor entspannt und amüsiert die Szene mit dem Reiskuchen verfolgt hatte, wirkte jetzt wie weit entfernt von dem stillen bürgerlichen Esszimmer.
»Ich verstehe, Madame Kruger … Ja, ich weiß … Wenn es eine Hilfe für Sie ist, komme ich gern.«
Der Blick, den Madame Pardon den beiden Maigrets zuwarf, besagte:
»Da haben wir’s. Wir müssen wieder einmal ohne ihn weiteressen.«
Aber sie irrte sich. Immer noch schrillte die Stimme im Telefon. Dem Arzt wurde noch unbehaglicher zumute.
»Ja … Offenbar … Versuchen Sie, ihn ins Bett zu bringen.«
Seine Ohnmacht und Ratlosigkeit waren ihm anzusehen.
»Ich weiß, ja. Ich könnte nicht mehr für ihn tun als Sie.«
Keiner aß. Niemand am Tisch sagte ein Wort.
»Sie müssen sich darüber klar sein, wenn das so weitergeht, sind Sie es, die …«
Er seufzte und strich sich mit der Hand über die Stirn. Mit fünfundvierzig Jahren war er schon fast kahl.
Schließlich sagte er seufzend und mit matter Stimme, als gäbe er einem unerträglichen Druck nach:
»Also geben Sie ihm eine von den rosa Tabletten … Nein! Nur eine! Wenn sich in einer halben Stunde noch keine Wirkung zeigt …«
Alle meinten, die Erleichterung am anderen Ende der Leitung zu spüren.
»Nein, ich bin zu Hause … Guten Abend, Madame Kruger.«
Er legte auf und setzte sich wieder an den Tisch. Niemand stellte ihm Fragen. Es dauerte mehrere Minuten, bis die Unterhaltung wieder in Gang kam. Aber Pardon war abwesend. Der Abend verlief nach dem traditionellen Rhythmus. Man erhob sich, um den Kaffee im Salon zu trinken. Dort war der Tisch mit Zeitschriften bedeckt, denn während der Sprechzeiten diente dieser Raum als Wartezimmer.
Die beiden Fenster standen offen. Es war Mai. Der Abend war milde, und die Pariser Luft roch trotz der Autos und Busse nach Frühling. Familien aus dem Viertel schlenderten über den Boulevard Voltaire, und auf der Terrasse gegenüber saßen zwei Männer in Hemdsärmeln.
Der Kaffee war nachgeschenkt, die Frauen hatten sich mit ihrem Strickzeug in ihrer gewohnten Ecke niedergelassen, Pardon und Maigret saßen an einem der Fenster. Alice’ junger Ehemann zögerte, welcher Gruppe er sich anschließen sollte, und setzte sich schließlich zu seiner Frau.
Es stand schon fest, dass Madame Maigret die Patin des Kindes sein würde, und sie strickte ihm ein Jäckchen.
Pardon steckte sich eine Zigarre an. Maigret stopfte seine Pfeife. Beiden stand der Sinn nicht nach einem Gespräch, und so saßen sie eine ganze Weile schweigend da, während das Gemurmel der Frauen zu ihnen herüberklang.
Schließlich sagte der Arzt leise und wie zu sich selbst:
»Wieder mal ein Abend, an dem ich wünschte, ich hätte einen anderen Beruf.«
Maigret drängte ihn nicht, sich auszusprechen. Er mochte Pardon sehr. In seinen Augen war er ein echter Mensch im wahren Sinn des Wortes.
Pardon sah verstohlen auf seine Uhr.
»Vielleicht dauert es drei oder vier Stunden, aber es könnte auch jeden Moment sein, dass sie mich ruft.«
Er fuhr fort, ohne die Einzelheiten auszuschmücken, sodass man sich aus den Stichworten ein Bild machen musste:
»Ein kleiner Schneider, polnischer Jude, wohnt in der Rue Popincourt über einer Kräuterhandlung. Fünf Kinder, das älteste neun Jahre alt, die Frau erwartet das sechste.«
Er blickte unwillkürlich hinüber zu seiner Tochter.
»Aus medizinischer Sicht ist er nicht zu retten. Seit fünf Wochen quält er sich und kann nicht sterben. Ich habe alles versucht, damit er ins Krankenhaus geht. Aber wenn ich nur das Wort ausspreche, gerät er außer sich, ruft seine Familie herbei, weint, stöhnt, fleht sie an, sie dürften nicht zulassen, dass man ihn gewaltsam fortbringt.«
Pardon rauchte seine erste und einzige Zigarre an diesem Tag ohne Freude.
»Sie hausen in zwei Zimmern. Die Kinder schreien. Die Frau ist am Ende ihrer Kräfte. Sie müsste ich eigentlich behandeln, aber solange der Zustand andauert, bin ich machtlos. Vor dem Essen war ich dort, habe dem Mann eine Spritze gegeben und seiner Frau ein Beruhigungsmittel. Aber es wirkt bei beiden nicht mehr. Während wir hier beim Essen saßen, hat er angefangen zu stöhnen, dann vor Schmerzen gebrüllt, und seine Frau, die selbst …«
Maigret zog an seiner Pfeife und murmelte:
»Ich glaube, ich verstehe.«
»Gesetzlich, medizinisch darf ich ihm keine weitere Dosis geben. Es ist nicht der erste Telefonanruf dieser Art. Bisher konnte ich sie überzeugen.«
Er sah den Kommissar an, als wollte er ihn um Nachsicht bitten.
»Versetzen Sie sich in meine Lage.«
Wieder sah er verstohlen auf seine Uhr. Wie lange würde der Kranke sich noch quälen müssen?
Es war ein milder Abend, in der Luft hing eine gewisse Trägheit. Aus der Ecke des Salons hörte man das Gemurmel der Frauen und das rhythmische Klappern der Nadeln.
Zögerlich sagte Maigret:
»Es ist bei mir natürlich nicht ganz dasselbe. Aber wie oft habe auch ich mir gewünscht, ich hätte einen anderen Beruf gewählt.«
Es kam kein richtiges Gespräch auf, in dem ein Wort das andere gibt. Stattdessen entstanden immer wieder Löcher und Pausen, und aus Maigrets Pfeife stiegen die Rauchwölkchen auf.
»Seit einiger Zeit haben wir bei der Polizei nicht mehr die gleichen Befugnisse wie früher und infolgedessen auch nicht mehr die gleiche Verantwortung.«
Er dachte laut. Er fühlte sich Pardon sehr nah, was auf Gegenseitigkeit beruhte.
»Ich habe während meiner Laufbahn erlebt, wie unsere Befugnisse immer stärker zugunsten der Richter eingeschränkt wurden. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Jedenfalls war es nie unsere Aufgabe, ein Urteil zu fällen. Es ist Sache der Gerichte und der Geschworenen zu entscheiden, ob ein Mensch schuldig ist oder nicht, ob und in welchem Maß er verantwortlich gemacht werden kann.«
Während er sprach, spürte er die Spannung seines Freundes, spürte, dass er mit seinen Gedanken anderswo war, in den beiden Zimmern in der Rue Popincourt, wo der polnische Schneider im Sterben lag.
»Selbst heute noch, da wir nur noch Werkzeuge der Staatsanwaltschaft und des Untersuchungsrichters sind, gibt es immer den Augenblick, in dem wir eine folgenschwere Entscheidung treffen müssen. Denn schließlich können sich die Richter und Geschworenen erst aufgrund unserer Untersuchung und des von uns zusammengetragenen Beweismaterials eine Meinung bilden. Allein die Tatsache, dass jemand verdächtigt wird, dass er am Quai erscheinen soll und seine Familie, seine Freunde, die Concierge und die Nachbarn nach ihm ausgefragt werden, kann sein Leben völlig verändern.«
Es war Pardon, der jetzt murmelte:
»Ich verstehe.«
»War dieser Mensch fähig, ein Verbrechen zu begehen? Was man auch tut, es ist fast immer unsere Aufgabe, diese Frage zu stellen. Oft gibt es gar keine Indizien, oder sie sind wenig überzeugend.«
Das Telefon klingelte. Es war, als hätte Pardon Angst, an den Apparat zu gehen. Seine Tochter nahm den Hörer ab.
»Ja, Monsieur … Nein … Sie haben sich verwählt.«
Lächelnd erklärte sie:
»Unsere Nummer wird oft mit der vom Vertus verwechselt.«
Das Vertus war ein Tanzlokal in der Rue du Chemin Vert mit einer ähnlichen Telefonnummer.
Maigret fuhr halblaut fort:
»War der Mensch, den man vor sich hat und der ganz normal wirkt, fähig zu töten? Verstehen Sie, was ich sagen will, Pardon? Es geht nicht darum zu entscheiden, ob er schuldig oder unschuldig ist. Das ist nicht Sache der Kriminalpolizei. Und doch müssen wir uns fragen, ob es möglich ist, dass … Und insofern urteilen wir eben doch! Mir graut davor! Wenn ich das gewusst hätte, als ich bei der Polizei eintrat, ich weiß nicht, ob ich dann …«
Ein längeres Schweigen folgte. Er klopfte seine Pfeife aus und zog eine andere aus der Tasche, die er bedächtig und fast zärtlich stopfte.
»Ich erinnere mich an einen Fall, der noch nicht so lang zurückliegt. Haben Sie die Affäre Josset verfolgt?«
»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»In den Zeitungen wurde viel darüber geschrieben, aber die Wahrheit, sofern es die gab, kam nie wirklich ans Licht.«
Es geschah selten, dass Maigret von einem Fall sprach, mit dem er sich befasst