Das Leben ist kein Wunschkonzert: Dr. Norden Extra 135 – Arztroman
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Über dieses E-Book
Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben.
Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen.
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Buchvorschau
Das Leben ist kein Wunschkonzert - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Extra
– 135 –
Das Leben ist kein Wunschkonzert
Tatjana muss endlich erwachsen werden
Patricia Vandenberg
... möchte ich Dir danken für die unvergeßlichen Tage in Paris. Wenn ich nur daran denke, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Deine zarten Küsse, mit denen Du mich aufgeweckt hast, Dein Übermut, mit dem Du mich durch die Straßen von Paris gelockt hast. An beinahe jeder Ecke sind wir stehengeblieben, haben uns geküßt, bevor Du mich weitergeführt hast, immer tiefer hinein in das Gewirr aus Straßen und Gassen. Niemals werde ich diese Tage vergessen, niemals werde ich aufhören, Dich zu lieben...
Ada ließ das engbeschriebene Blatt sinken. Sie hatte genug gelesen. Während sie aus dem Fenster in die Dunkelheit hinausstarrte, spürte sie den Gefühlen nach, die sie nach der Lektüre des Briefes, der nicht an sie gerichtet war, empfand. Nichts, rein gar nichts. Kein Erstaunen, keine Wut, keine Enttäuschung. Sie hatte es schon immer geahnt, all die Jahre, die sie das Leben nun schon mit dem charmanten, gutaussehenden Karl Stiller teilte.
Dieser Brief war nur der Beweis für eine Tatsache, die sie sich beinahe schon herbeigewünscht hatte, um endlich Gewißheit zu haben. Innerlich ganz ruhig, drehte sie sich um, legte das Blatt Papier wieder zurück auf seinen Schreibtisch, wo sie es kurz zuvor gefunden hatte. Auf Karls Wunsch war sie hier in seinem Arbeitszimmer, suchte nach einer wichtigen Geschäftsunterlage, die er versehentlich liegengelassen hatte. Doch statt des Dokumentes hatte sie den Liebesbrief gefunden, geschrieben vor noch nicht einmal zwei Wochen.
Paris! Das war die einzige Enttäuschung, die Ada spürte. Wie oft hatte sie Karl gebeten, mit ihr nach Paris zu fahren, ihr die Stadt der Mode, des Glamours zu zeigen. Aber jedes Mal war ihm eine andere Ausrede eingefallen, um die Reise in letzter Minute abzublasen. Jetzt wußte Ada endlich, warum das so gewesen war. Sie seufzte tief, löschte die Messinglampe mit dem grünen, länglichen Lampenschirm, die auf dem massiven Eichenschreibtisch stand, und verließ auf leisen Sohlen das Zimmer. Auf dem Weg zurück in die Küche blieb sie vor dem wandhohen Spiegel stehen und musterte sich kritisch. Eine Frau mittleren Alters starrte sie mit ausdruckslosen Augen an. Sie war weder dick noch dünn, das Kleid, das sie trug, war weder hell noch dunkel, ihr unauffällig frisiertes Haar weder blond noch braun. Ada seufzte. Kein Wunder, daß Karl sie, vermutlich schon seit Jahren, mit anderen Frauen betrog. Aber war er es nicht gewesen, der sie zu diesem mausgrauen Stil gedrängt hatte, sie in ihrem Eifer gebremst und an ihre Pflichten, die Kinder Tatjana und Heiko zu erziehen und einen vorbildlichen Haushalt zu führen, erinnert hatte? Ada seufzte. Was war nur aus ihrem jugendlichen Temperament geworden? Warum hatte sie sich jahrelang in diese Rolle der biederen Hausfrau und Mutter drängen lassen, ohne ein einziges Mal Widerstand zu leisten? Wie sie jetzt vor dem Spiegel stand, schüttelte sie ungläubig den Kopf. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, den Anblick dieser grauen Maus, die da vor ihr stand, nicht länger ertragen zu können. Ärgerlich löschte sie das Licht, ging zurück in die Küche, wo einsam die schwere Eichenuhr vor sich hin tickte. Müde ließ sich Ada auf einen Stuhl sinken und erwartete den Anruf ihres Mannes, um ihm mitzuteilen, daß sie das gesuchte Dokument nicht gefunden hatte. Karl würde sehr böse sein.
Auch Tatjana Stiller war ärgerlich, als sie am Morgen die Augen aufschlug. Ihr Kopf dröhnte vor Schmerzen, die Welt drehte sich unter ihren schwankenden Beinen, als sie sich einen Weg durch ihr Schlafzimmer bahnte, der gesäumt war von leeren Flaschen, überquellenden Aschenbechern, umgefallenen Stühlen. Sie konnte sich nicht mehr recht an den vergangenen Abend erinnern und war sich auch nicht sicher, ob sie das überhaupt wollte. Im Bad ließ sie sich eiskaltes Wasser über die Handgelenke laufen, während sie blicklos in den Spiegel starrte. Die dunkelbraunen, glatten Haare waren wirr wie ihre Gedanken, das Gesicht von zuviel Alkohol und Zigaretten aschfahl. Der zähe Geschmack nach Rauch hing hartnäckig in ihrer Kehle, da konnte selbst die scharfe Zahnpasta nichts ausrichten, mit der sie sich zornig die Zähne schrubbte. In diesen Momenten verstand sich Tatjana selbst nicht mehr. Ohne es zu wollen, geriet sie immer wieder in die wildesten Parties, wachte häufig in Wohnungen auf, die sie nie zuvor gesehen hatte, neben Menschen, die sie nicht kannte. An diesem Morgen waren es wenigstens ihre eigenen vier Wände. Und der Mann, der das Bett mit ihr teilte, war niemand anderer als ihr Freund Keno. Erleichtert darüber ließ sich Tatjana wieder auf die Matratze fallen und drückte die Augen zu. Noch ein paar Stunden Schlaf, dann würde sie sich besserfühlen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr einfach nicht gelingen, zurück ins Reich der Träume zu finden. Das lautstarke Grunzen des schlafenden Kenos und der lärmende Verkehr vor ihrem Fenster hinderten sie daran. Unruhig wälzte sich Tatjana hin und her, schob die Bettdecke von der einen auf die andere Seite, als sie aufhorchte. Die Türglocke schrillte unbarmherzig durch den langen, wüsten Flur.
Tatjana seufzte, während sie nach einem fadenscheinigen Morgenmantel angelte, den sie etwas nachlässig über ihr knielanges T-Shirt warf. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare und öffnete gähnend die Tür, gefaßt darauf, einen lästigen Hausierer oder einen Bettler abwimmeln zu müssen. Aber als sie sah, wer da vor ihrer Wohnung stand, klappte ihr der Mund vor Überraschung wieder zu, daß die Zähne hart aufeinander schlugen.
»Mutter, was machst du denn hier?« keuchte sie nach dem ersten Schreck und zog die Wohnungstür ein Stück hinter sich zu, um Ada den Blick auf das Chaos zu verwehren.
»Guten Morgen, Tatjana. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt«, begrüßte Ada ihre Tochter mit leiser Stimme.
Augenblicklich spürte Tatjana, wie Aggressionen in ihr aufstiegen. Schon immer hatte sie ihre mausgraue, unentschlossene, stets gleichbleibend freundliche Mutter zur Raserei gebracht.
»Doch, hast du«, antwortete sie giftig. »Aber wenn du schon mal da bist, kannst du ja reinkommen.« Mit einem Mal freute sie sich diebisch darauf, Ada mit dem Durcheinander, das in der gesamten Wohnung herrschte, aus dem Konzept zu bringen. Mit funkelnden Augen machte sie die Tür weit auf. Aber Ada schien die Umgebung um sich herum gar nicht wahrzunehmen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, schob eine umgefallene Flasche beiseite, stieg über einen Stapel alter Zeitungen, die mitten auf dem Küchenboden darauf warteten, zum Altpapiercontainer gebracht zu werden.
Tatjana kochte innerlich. Mit einer energischen Handbewegung schob sie die benutzten Teller und Tassen auf dem Küchentisch beiseite, suchte auf dem Regal nach frischen Bechern, stellte sie knallend auf den Tisch und machte sich dann an der Kaffeemaschine zu schaffen. Regungslos stand Ada in der Küche und wartete.
»Steh doch nicht so rum wie bestellt und nicht abgeholt. Setz dich.«
»Ach ja, danke.« Ohne den grauen Mantel auszuziehen oder die schwarze, große Handtasche aus den Händen zu legen, setzte sich Ada vorsichtig auf die äußerste Stuhlkante. Tatjana ließ sich auf den anderen Stuhl fallen, griff nach einer verknautschten Packung Zigaretten und zündete sich eine an. Sie inhalierte den Rauch tief, während sie ihre Mutter unverwandt anstarrte. Die Kaffeemaschine brodelte leise, ein feiner Duft zog durch die Küche und erweckte Tatjanas Lebensgeister neu.
»Was ist los, Mutter? Warum bist du hier?«
Ada richtete ihre Augen auf ihre Tochter, die ihr so gar nicht ähnlich war, es nie gewesen war. Zeit ihres Lebens war Tatjana rebellisch und ungehorsam gewesen, eine Inkarnation des Schreckens für ihre ganze Familie. Trotzdem war sie es, ihre Tochter, die Ada nach der Schreckensbotschaft, die sie an diesem Morgen erreicht hatte, spontan besuchte. Sie konnte sich nicht erklären, warum das so war.
»Dein Vater, es geht um deinen Vater«, begann Ada leise und fühlte auf einmal eine abgrundtiefe