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Düstere Abgründe: Horror-Kurzgeschichten
Düstere Abgründe: Horror-Kurzgeschichten
Düstere Abgründe: Horror-Kurzgeschichten
eBook242 Seiten3 Stunden

Düstere Abgründe: Horror-Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Bei dem Buch "Düstere Abgründe" handelt es sich um einen Sammelband von Horror-Kurzgeschichten. Ein Menschenleben ist lang oder es ist kurz – aber vor allem ist es endlich. Der menschlichen Psyche hingegen scheinen keinerlei Grenzen gesetzt zu sein. Wie fühlt es sich an, wenn die zähe Dunkelheit über die bebende Seele kriecht, sich einem tief in den Schädel frisst und den Verstand zu erdrosseln sucht? Was geschieht mit der Moral, wenn man den Instinkten nicht länger Einhalt gebietet? Mit Phantasie als Brandbeschleunigender für das tiefste Grauen im Innern werden die verschiedensten düsteren Szenerien heraufbeschworen, die dem Leser das Gefühl geben, Teil zu sein, dabei zu sein, während der blanke Wahn aus den leblosen Augenhöhlen sickert. Zwischen Anregung und Aufregung dringt man ein in die Abgründe menschlicher Moral und menschlicher Psyche, wandelt an geisterhaften Orten, tanzt inmitten mystischer Gestalten, wird von alten finsteren Mächten heimgesucht und findet sich vor der Frage wieder, was wohl passiert, wenn man etwas zu bewahren versucht, das niemals je existiert hat. Reicht es, am Leben zu sein, um sich auch wahrlich lebendig zu fühlen? Eine nervenaufreibende Spannung – die viele Fragen und Ängste offen lässt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Jan. 2022
ISBN9783347414747
Düstere Abgründe: Horror-Kurzgeschichten

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    Buchvorschau

    Düstere Abgründe - Anja Sievers

    Die Spieluhr

    Heute Morgen hatte ich mir eine Spieluhr gekauft. Sie hatte dort gelegen, in Mitten verbrauchter Kindheitserinnerungen, zwischen Plüschtieren und Legofiguren, etwas versteckt und doch hatte sie meinen Blick fast magisch auf sich gezogen. Ich war nicht im Stande gewesen, wegzusehen. Diese alte leicht eingefallene Holzkiste besaß eine Wirkung auf mein Inneres, die mich in Erstaunen versetzte. So unschuldig hatte sie dort geruht, nur darauf wartend, dass ich sie in meine Hände schließen und sie heim tragen würde…

    So begab es sich nun, dass ich bereits den gesamten Tag in meiner kleinen Wohnung auf dem Sofa saß, die hübsche alte Büchse in den vor ihrer überwältigenden Schönheit zittrigen Händen liegend und den kunstvoll verzierten Deckel gebannt hob und ihn leicht wehmütig wieder schloss. Jegliche meiner Sinne konzentrierten sich auf diesen einen Akt, als würde die Schatulle meine Aufmerksamkeit gänzlich kanalisieren. Ich meinte fast zu sehen, wie meine bebende Seele als feiner glänzender Nebel in ihre Richtung gezogen wurde. Mein gesamter Körper war erfüllt von einer geheimnisvollen Inbrunst, einer völligen Hingabe an diesen einen Moment, der sich mehr und mehr in die Länge zog.

    Ich hob den hübschen Deckel erneut und es ertönte eine leise klimpernde Melodie, so rein, dass es mir das Herz zerriss. Im Takt dazu drehte sich eine kleine Ballerina in himmelblauem Kleid. Ihr filigran geschnitztes Gesicht begegnete dem meinen, ehe sie sich abwandte und ihre nächste Runde antrat. Ihr langes blondes Haar schien zu tanzen, während sie dort in der leisen hohen Melodie ihre Pirouetten schwang, scheinbar nur für sich selbst – und doch wohnte diesem Bild eine Anmut Inne, die sich kaum in Worte fassen lies.

    Wieder und wieder öffnete ich den Deckel, lauschte den ruhigen betörenden Tönen, beobachtete ihren kleinen friedvollen Tanz und es fühlte sich an, als würde ich langsam in eine andere Welt hineingezogen. Doch sobald ich die Büchse schloss, war dieses verzückte Bild plötzlich völlig abrupt verschwunden und stattdessen bemächtigte sich die schier unaushaltbare Stille meiner, gewährte meinen dunkelsten Gedanken Zutritt zu der maroden Oberfläche meines Schädels und verdarb mir schleichend den Verstand. Es war ein Antagonismus, wie er furchterregender kaum hätte sein können.

    Die Dose geöffnet und ein seliges Lächeln ruhte auf meinen Lippen.

    Die Dose geschlossen und meine Mundwinkel verhärteten sich, ein düsteres Grauen loderte tief in meinen Augen, das mir eigenartig fremd erschien, als bedürfte es keines wahrlichen Fundaments.

    Als ich das nächste Mal den hübschen Deckel hob und der Dunkelheit meiner Seele Einhalt gebot, kroch mir die leise Melodie unter die Haut bis tief in mein Innerstes hinein, wo sie fast zärtlich mein Herz berührte. Ich meinte zu spüren, wie die sanften Töne sich an dessen Außenwand schmiegten, es umgarnten, es dirigierten, bis ihre Lieder zusammenflossen und ihre Stimmen in Einklang sangen. Ich erhob mich von meinem Sofa, schloss die Spieluhr in meine Arme und begann, mich sacht zu drehen.

    Nun war es mein Tanz, meiner ganz allein.

    Die Bewegungen wurden ausladender, ich drehte mich bestimmter, schneller und auch als ich die Augen schloss konnte ich noch immer die kleine Ballerina neben mir sehen. Ihre langen blonden Haare umspielten ihren zierlichen Körper und sie schien mir zuzuzwinkern, während sie in eleganten Kreisen durch den kleinen Raum tänzelte.

    Ich wollte ihr folgen, näherte mich ihr, reckte während den fließenden Bewegungen die Arme empor und versuchte, sie zu berühren, doch je dichter ich an sie herantrat, desto weiter schien sie sich von mir fortzuschwingen.

    Plötzlich tanzte ich nicht mehr nur für mich. Plötzlich tanzte ich für sie. Für diese kleine zerbrechliche Person, die mich so betörend in ihren Bann zog. Ein Anflug von Unbehagen ergoss sich über mein pochendes Herz und lies mich die Dose schließen.

    Meine Augen flogen auf, doch da war noch immer diese Melodie. Sie durchdrang mich, pulsierte durch meinen Körper – obgleich der Deckel gesenkt blieb. Die Töne schwebten fast hypnotisch durch den Raum, drangen in meinen Kopf und nisteten sich in meinen Verstand.

    Es war zu viel, zu laut, zu schnell – doch diesem Irrsinn ein Ende zu bereiten lang nicht länger in meiner Hand. Meine Füße blieben nicht stehen, sie trugen mich fortwährend durch den Raum, ließen meinen Körper sich drehen, die Arme flogen auseinander und ein Schrei entwich meiner Kehle, so spitz, dass der Spiegel über der Spüle zerbarst. Ich besaß nicht länger die Kontrolle. Haltlos wirbelte ich durch das Zimmer, diese Melodie – sie waberte wie dunkler giftiger Rauch durch meinen Schädel und lies die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn verblassen.

    Ich öffnete die Dose wieder und die Musik verstummte. Die Ballerina verharrte regungslos auf der Stelle. Eine Stille trat ein, die eisig durch meinen Körper zuckte und ihn erschaudern lies.

    Langsam, ganz langsam drehte ich die Spieluhr um – und erstarrte. Der Schlüssel, an dem man sie aufzuziehen gedachte, war abgebrochen. Meine Finger glitten über den feinen bronzefarbenen Stumpf. Der dünne klebrige Faden eines alten Spinnennetzes schlang sich um meinen Daumen und für einen kurzen Moment hielt mein gesamter Körper den Atem an. Meine Pupillen weiteten sich und zogen sich wieder zusammen. Mein Atem hallte rasselnd von den Wänden wider. Es fühlte sich an, als würde jemand seine kalten toten Finger durch die Schläfen in meinen Schädel bohren, die glitschigen Stränge des dort zuckenden Gehirns packen und sie ganz langsam verdrehen, bis Widerstand spürbar war – und weiter.

    Ich schluckte. Stille. Dann setzte ich mich in Bewegung.

    Ich ging durch den Raum.

    Ein Schritt vor dem anderen, wie in Zeitlupe, wie in einer ganz eigenartigen Trance gefangen.

    Ein Schritt vor dem anderen.

    Die Spieluhr entglitt meinen zittrigen Fingern und stürzte dumpf zu Boden.

    Ein Schritt vor dem anderen.

    Dort war die Tür, ich musste nur die Klinke betätigen, diese Welt verlassen, irgendetwas verlassen…

    Meine Knie gaben nach und langsam sank ich zu Boden. Plötzlich sehnte ich mich nach meiner kleinen Ballerina. Ich sehnte mich nach ihrer Anmut und nach dem Lächeln, das sie mir, wenn auch nur für einen kleinen magischen Moment lang, auf die Lippen gezaubert hatte.

    Gedankenlos bewegte ich den Kopf nach vorn, holte aus und lies ihn zurückschnellen gegen das harte Holz der Tür. Der Schlag hallte dumpf durch das Zimmer. Ich begann zu summen. Es war die leise graziöse Melodie, die ich aus der Spieluhr zu hören geglaubt hatte. Wieder holte ich aus und lies meinen Schädel kräftig gegen die Tür krachen, im Takt zu den ruhigen Tönen, die meinen Lippen noch immer sanft entwichen.

    Wieder und wieder, als befände ich mich in meiner eigenen kleinen Spieluhr.

    Wieder und wieder.

    Der Schlüssel abgebrochen, der Verstand verdorben…

    Wieder und wieder.

    Etwas Warmes und Feuchtes breitete sich unter meinen Handflächen aus und der Gestank von Eisen hing in der Luft, doch all dem schenkte ich keinerlei Beachtung.

    Wieder und wieder knallte ich meinen Hinterkopf gegen die Tür, zu der schönen Melodie, bis schließlich ein lautes Knacken ertönte und die hintere Schädelplatte zersplitterte.

    Die Melodie war verstummt. Dem Raum wohnte eine Stille inne, die beinahe zum reißen gespannt war und dort vor der Tür, versinkend in einer Lache eigenen dunkelroten Blutes, sah man einen toten Körper, der Kopf zertrümmert, die Handspitzen nach vorn geglitten berührten sie eine kleine Spieluhr. Eine alte leicht eingefallene Holzkiste. Plötzlich sprang der Deckel wie von Zauberhand auf und eine leise Melodie hallte durch den Raum. Hoch, sanft, betörend und wunderschön schien sie ein Klagelied für den Toten anzustimmen, während eine kunstvoll geschnitzte Ballerina sich verzückt im Kreise drehte.

    Die Furcht

    vor dem Unausweichlichen

    Er saß an dem langen Holztisch in seiner kleinen Hütte, die sich, tief verborgen vor den Blicken jeglicher lechzenden Menschenaugen, mitten im dichten Wald befand. Es war still, nur der Wind heulte ab und an durch die morschen Giebel. Seine linke Hand lag auf dem Tisch, die Finger trommelten unentwegt im Takt seines Herzens auf die hölzerne Oberfläche – eine Rastlosigkeit ging von ihm aus, die angesichts der späten Stunde nicht in dieses Bild zu passen schien. Es sah aus, als würde er auf jemanden warten und es sah aus, als wäre ihm dieser Jemand alles andere als willkommen.

    Seine rechte Hand steckte tief in der Tasche seiner braunen Lederjacke, sie umklammerte die dort versteckte scharfe Klinge so fest, dass seine Knöchel eine weiße Färbung annahmen.

    Die Sekunden zogen sich in die Länge. Sein Blick huschte immer wieder zwischen Uhr und Fenster hin und her, als hoffte er, die Zeit beschleunigen und in der Dunkelheit der Nacht etwas sehen zu können. Plötzlich ertönte ein Knacken. Nur leise, doch es schien von außen zu kommen.

    Es war so weit, er war nicht länger allein.

    Beinahe konnte er die Präsenz spüren – jemanden, der in leisen Kreisen um seine Hütte zog. Eine geisterhafte Stille trat ein, während sich vor seinem inneren Auge die dunkle Gestalt zu formen begann, die sich nahezu geräuschlos über den moosbewachsenen Waldboden um seine hölzernen Wände bewegte. Plötzlich überkam ihn das Gefühl, man wollte ihn in seiner Unruhe und seiner tiefen Beklommenheit nur noch bestärken…

    Schluss damit.

    Er erhob sich geräuschlos von dem niedrigen Schemel und trat mit vorsichtigen Schritten an die Mitte zwischen Fenster und Tür. Wieder ertönte das Knacken von draußen, fuhr ihm tief unter die Haut und lies das Blut in seinen Adern gefrieren. Der Speichel schmeckte bitter auf seiner Zunge, der Anflug von Furcht lies sich nun nicht länger leugnen.

    Plötzlich erklang ein Lachen. Hoch und kalt wehte es zu ihm herüber, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken und lies ihn erschaudern. Nervös biss er sich auf die Unterlippe, um ein angespanntes Keuchen zu unterdrücken. Seine rechte Hand bewegte sich langsam nach oben, die Klinge des Messers blitzte kurz auf und seine Finger versteiften sich um den harten Griff.

    Er wartete. Sein Innerstes bebte, jeder Nerv seines Körpers schien vor Anspannung in unentwegter Vibration, doch nach außen verharrte er regungslos auf der Stelle. Lediglich sein Brustkorb hob und senkte sich stetig, verlieh der zittrigen Unruhe unter seiner Haut gewissermaßen einen Takt.

    Da zerbarst das Holz der Tür plötzlich in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein angsterfüllter Schrei drang tief aus seiner Kehle nach außen und er sprang nach vorn, das Messer hoch über den Kopf erhoben.

    Da stand diese dunkle Gestalt, inmitten der Bretterfetzen, die Arme weit ausgebreitet, die Lippen zu einem hässlichen breiten Grinsen verzerrt. Ihre Augen funkelten vor Erregung, ein feiner Speichelfaden tropfte die spröden Mundwinkel hinab und sie lachte schauderhaft, hoch und kalt.

    „Dachtest du wirklich, dich vor mir verstecken zu können?"

    Ihre Stimme klang rau und kratzig, so als hätte diese grauenvolle Kreatur sich ihrer über Jahre nicht bedient.

    „Dachtest du wirklich, du könntest mir entfliehen – mir?"

    Er war in der Bewegung erstarrt, die Hand mit dem Messer zitterte unentwegt.

    „Komm zu mir, na los, keine Scheu, komm zu mir und lass mich dich sterben sehen, dein Herz für immer in Schweigen hüllen!"

    So wie die Gestalt es sagte klang es beinahe wie ein Lied, eines, das man niemals weiterzutragen im Stande war. Die letzte Melodie, bevor die Seele für immer verblasste. Die letzte Melodie, bevor der Körper zu Asche zerfiel…

    Unter dem langen dunklen Mantel zog sie nun eine modrige alte Sense hervor, so lang, dass sie den oberen Rahmen der Tür mühelos durchtrennte. Das kleine Messer wirkte plötzlich possierlich, wie ein Spielzeug in seinen zittrigen Fingern.

    Dennoch, es gebot sich zu handeln. Komm und lass mich dich sterben sehen, dein Herz für immer in Schweigen hüllen…

    Er hechtete nach vorn auf die dunkle Gestalt zu, tauchte unter der langen gebogenen Klinge der Sense hindurch und bohrte ihr das Messer in den knochigen Hals. Ein Lachen ertönte wieder, hoch und kalt, schließlich röchelnd – ihr Atem war zunehmend von schwarzem klebrigen Blut durchsetzt, das ihm eiskalt in das bleiche Gesicht spritzte. Der Gestank nach Verwesung hing in der Luft, betäubte jeglichen seiner Sinne und sein Magen zog sich krampfhaft zusammen, wand sich unter dem bestialischen Geruch.

    Noch während er ungläubig auf die bis zum Stumpf versenkte Klinge starrte und das dunkle pechschwarze Blut sich über seine Kleidung ergoss, holte die hohe Gestalt aus und durchtrennte seinen Hals mit einer fließenden grauenvoll eleganten Bewegung. Der Kopf saß noch auf den verkrampften Schultern, so lange, bis seine Knie nachgaben und der tote Körper zu Boden sank. Sein Haupt rollte über die morschen Dielen, zog dabei eine blutrote Spur hinter sich her und die Gestalt lachte, hoch und kalt, ehe sie sich das Messer aus dem dürren Halse zog und mit der Dunkelheit der Nacht verschmolz.

    Memoria –

    Eine vergessene Erinnerung

    Er ging den dunklen Waldweg entlang und blickte hinauf zu den düsteren Baumwipfeln, die sich schemenhaft von dem schwarzen Nachthimmel abhoben. Ihre Äste erschienen ihm wie lange dünne Finger, die sich gierig nach den schwach glimmenden Sternen reckten und dieser geisterhafte Anblick lies ihn unbehaglich erschaudern.

    Er hasste es, abseits der Straße gehen zu müssen.

    Er hasste es, sich vor den Blicken aller verstecken zu müssen.

    Und er hasste es, nichts sehen zu können, weil die Dunkelheit ihm schon von klein auf kein guter Freund gewesen war. Sie machte ihm Angst, denn abseits der Kontrolle war der Ausgang ungewiss. Aber er liebte ihn, oh ja, wie sehr er ihn doch liebte. Nie zuvor hatte jemand solch tiefe Gefühle in seinem Innern hervorgerufen. Er brauchte ihm nur in die dunklen ruhigen Augen zu schauen und die Welt stand still – jegliche Unzufriedenheit über ihrer beider Geheimnis war augenblicklich verstummt und er wollte ihn nur in seine Arme schließen und niemals wieder hergeben. Je stärker die Liebe, desto höher ihr Preis…

    Er seufzte wehmütig und griff gedankenverloren nach dem kleinen hölzernen Totem, das an einem langen Lederband um seinen Hals hing.

    Es war ein Geschenk gewesen, das sein Liebster ihm einst aus seinem Urlaub in Mittelamerika mitgebracht hatte. Ein Geschenk von ihm, dem Seinen, ein Zeichen innigster Verbundenheit, das ihn zutiefst berührt hatte und es noch immer tat. Eines Tages sicherlich. Eines Tages, da würden sie sich in der Öffentlichkeit zueinander bekennen können… Gewiss…

    Plötzlich hielt er inne. Irgendetwas erschien ihm auf einmal anders. Er blieb stehen und horchte in die Stille der Nacht hinein. Ein kalter Wind rauschte den Weg herauf und lies ihn erzittern, sodass er die Jacke etwas enger zog und die Hände fest um seinen Körper schlang. Sein Atem entwich wie weißer Rauch und schraubte sich im verhaltenen Licht der Sterne langsam aufwärts. Das war für diese Jahreszeit äußerst ungewöhnlich, im Sommer hatte er eine derartige Kälte noch nie erlebt, selbst nicht bei Nacht. Er wand sich unangenehm auf der Stelle, unentschlossen und mit einem Anflug von Angst in den Knochen blickte er vor und zurück, überlegte, welcher Weg der sicherste wäre und welcher der sinnvollste. Doch die Möglichkeit einer Wahl wurde ihm genommen.

    Auf einmal war es schlagartig dunkel. Unkonventionell dunkel. Abartig dunkel. Es war, als hätte man der Wirklichkeit jeden noch so schwachen Tropfen Farbe restlos ausgesaugt. Ein glanzloses Schwarz – undurchdringlich fing es seinen Blick ein und raubte ihm jegliches Augenlicht. Der Orientierung gänzlich fern taumelte er zur Seite, reckte die Arme Halt suchend nach vorn – doch seine Finger griffen in die Leere. Das schwarze Nichts glitt zwischen ihnen hindurch, obgleich er es nicht sehen konnte – als würde man sich an dickem Rauch festhalten wollen, ohne der Gewissheit, überhaupt einen Arm zu besitzen… Ein schauriges Gefühl, das sein Herz merklich schneller schlagen lies. Er versuchte, sich auf sein Gehör zu konzentrieren, vielleicht vermochte ihm dieses zumindest den Hauch von Orientierung zurückzugeben – doch vergebens. Das Einzige, das er zu hören im Stande war, bestand in dem Rauschen seines eigenen Blutes, welches getrieben von Angst viel zu schnell durch seine Adern jagte. So taumelte er blindlings durch den Wald. Die Straße verschwand, die Bäume umringten ihn drohend, schienen ihn beinahe in sich einzuschließen und er irrte weiter umher. Abseits der Sinne und abseits der Wege.

    Plötzlich stieß sein rechter Fuß gegen etwas Hartes und ein spitzer Schrei entwich seinen vor Angst bebenden Lippen. Nun auch des festen Bodens unter ihm beraubt stürzte er in das feuchte Laub, wo er einen Moment lang regungslos liegen blieb. Was machte es für einen Sinn, sich seiner Kraft zu bedienen und aufzustehen? Er wusste weder, wo er war, noch wohin er ging. Vermutlich im Kreise… Wie ein Irrer in der Irre wandeln – und in der Irre noch irre handeln… Nein.

    Entschlossen setzte er sich auf und stützte sich auf dem nassen Laub ab, als er plötzlich etwas Festes unter seinen Fingern spürte. Verwundert hielt er inne. Könnte er doch bloß etwas erkennen… Vorsichtig schob er die feuchten Blätter beiseite und tastete nach dem harten Gegenstand, den er nun ganz deutlich fühlen konnte. Er schien aus der Erde hervorzuragen, gerade hoch genug, dass man ihn erahnen konnte, und er fühlte sich metallisch an. Die Neugierde krallte sich in ihn. Mit einer Macht, wie er es selbst kaum für möglich gehalten hatte, kratzte sie beinahe an der Grenze zur Skopophilie und er bohrte seine Finger tief in den feuchten Waldboden. Die aufgewühlte Erde stank nach faulendem Holz, der Geruch schmeckte eigenartig modrig auf seiner Zunge, doch er lies sich davon nicht abhalten – ignorierte sogar die kleinen Steine und spitzen Tannennadeln, die sich in seiner Hast tief unter seine Fingernägel bohrten. So grub er in dem faulenden Boden nach seinem Halt und die fremdartige Manie, die von ihm ausging, verblasste erst, als er den geheimnisvollen Gegenstand gänzlich freigelegt hatte.

    Neugierig strich er mit seinen Fingern um das glatte Metall. Es besaß eine gebogene Form und lies sich unter schwachem Quietschen in zwei Richtungen hin und her bewegen. Einen Moment lang dachte er nach. Die Theorien über das Wesen dieses Objektes waberten anfangs nebulös durch seinen Kopf, doch dann begann das schleierhafte Chaos Gestalt anzunehmen – als es ihm endlich wie Schuppen von den aufgeregt glühenden Augen fiel. Ein Griff. Es war ein Griff. Euphorie durchströmte ihn angesichts dieser mysteriösen Erkenntnis und hektisch legte er auch das

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