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Verhängnisvolle Brandung: Over the falls
Verhängnisvolle Brandung: Over the falls
Verhängnisvolle Brandung: Over the falls
eBook914 Seiten12 Stunden

Verhängnisvolle Brandung: Over the falls

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Über dieses E-Book

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Verhängnisvolle Brandung ist die bearbeitete Neuauflage der bereits 2013 erschienenen Over the falls-Trilogie und beinhaltet die Romane: Das Geheimnis der Brandung, Giselle und der Fluch der Willis und Bis zur letzten Woge.

Inhalt:
Eigentlich ist Giselle nach Hawaii aufgebrochen, um den Spuren eines Familiengeheimnisses zu folgen, doch auf der Insel hält das Schicksal noch einiges mehr für sie bereit. Sie entflieht dort auch ihrem tristen Leben in Deutschland und entdeckt sehr schnell ihre Leidenschaft fürs Wellenreiten.
Als sie dem sechsfachen Surfweltmeister Nainoa K. begegnet, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn und findet schon bald heraus, wie eng ihre eigene Familiengeschichte mit der des attraktiven Mannes verwoben ist.
Doch wird diese Liebe immer wieder durch mysteriöse Ereignisse auf eine harte Probe gestellt.
Over the falls -Verhängnisvolle Brandung ist ein spannendes und fesselndes Liebesabenteuer, das vor den traumhaften Kulissen Hawaiis spielt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum19. Apr. 2018
ISBN9783752817737
Verhängnisvolle Brandung: Over the falls
Autor

M. Amber

M. Amber ist freie Fotografin und Tanzpädagogin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide.

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    Buchvorschau

    Verhängnisvolle Brandung - M. Amber

    Zu diesem Buch:

    Die Surfer-Romanze Verhängnisvolle Brandung ist die bearbeitete Neuauflage der 2013 erschienen Over the falls-Trilogie und beinhaltet die Romane Das Geheimnis der Brandung, Giselle und der Fluch der Willis und Bis zur letzten Woge.

    Inhalt:

    Eigentlich ist Giselle nach Hawaii aufgebrochen, um den Spuren eines Familiengeheimnisses zu folgen, doch auf der Insel hält das Schicksal noch einiges mehr für sie bereit. Sie entflieht dort auch ihrem tristen Leben in Deutschland und entdeckt sehr schnell ihre Leidenschaft fürs Wellenreiten.

    Als sie dem sechsfachen Surfweltmeister Nainoa K. begegnet, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn und findet schon bald heraus, wie eng ihre eigene Familiengeschichte mit der des attraktiven Mannes verwoben ist.

    Doch wird diese Liebe immer wieder durch mysteriöse Ereignisse auf eine harte Probe gestellt.

    Over the falls – Verhängnisvolle Brandung ist ein spannendes und fesselndes Liebesabenteuer, das vor den traumhaften Kulissen Hawaiis spielt.

    Zu der Autorin:

    M. Amber ist freie Fotografin und Tanzpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide.

    www.m-amber.de

    Inhaltsverzeichnis

    Das Geheime Fotoalbum

    Erstes treffen

    Aufbruch

    Surfers Point

    Auf Josephs Spuren

    John Gandy

    Paddling out für duke

    Rückwanderung

    Die sonne Begrüssen

    Die goldenen Armreifen

    Kahuna

    Der verlorene sohn kehrt zurück

    Football am strand

    Alles was mein herz Begehrt

    Zweifeln und Hoffen

    Luau und alte Bekannte

    Rettung in letzter Sekunde

    Ohana

    Ho`oponopono

    Das fest

    Neues Kapitel

    Das geheimnisvolle Mädchen

    Der verschwundene Armreif

    Die willis

    Auf der suche nach bill walker

    Nainoa

    Per Anhalter nach Honolulu

    Im inneren des Mauna loa

    Feuer und eis

    Adele Aleuten

    Der pazifische Feuerring

    Kinder der Gezeiten

    Unsichtbare Mauern

    Ich sehe dich in meinen Träumen

    DAS GEHEIME FOTOALBUM

    Keine Ahnung, wie oft es passierte, aber die Abstände, in denen ich schweißgebadet und schreiend in der Nacht aufwachte, wurden definitiv immer kürzer. Das Erschreckende daran war, dass sich die Wände meines Zimmers immer noch in meine Richtung bewegten, obwohl ich bereits erwacht war. Die Stimmen, die zu mir gesprochen hatten, waren nicht verstummt. Der Traum hörte einfach nicht auf zu existieren.

    Auch in dieser Nacht raste mein Puls auf Hochtouren, während ich ins Badezimmer stolperte.

    Als stünde ich in einem bizarren Spiegelkabinett eines Jahrmarktes, blickte ich in eine verzerrte Fratze, die zu meinem Schrecken mein eigenes Spiegelbild war. Schnell spritzte ich mir bei laufendem Hahn so viel kaltes Wasser ins Gesicht wie nötig. Doch mein schwaches Herz pumpte immer noch zu unruhig. Zurück an meinem Bett suchte ich im Nachttisch nach meinen Tabletten und schluckte gleich zwei auf einmal, dann zog ich meine Beine an und rollte mich zurück unter die Bettdecke, die ich eng um meinen Körper wickelte. Einsamkeit und Angst machten sich in mir breit, doch mein Herz beruhigte sich dank der Medizin ein wenig. Ich atmete tief ein und zog die Knie noch enger an meinen Körper.

    Ich versuchte, die immer noch schwankenden Wände um mich herum zu ignorieren und schloss wieder die Augen.

    Doch egal, ob meine Augen offen oder geschlossen waren, der Raum kam auf mich zu, so nah, dass ich dachte, erdrückt zu werden. Das Atmen fiel mir schwer, meine Platzangst trieb mir erneut Schweiß auf die Stirn, aber ich blieb liegen und rührte mich keinen Zentimeter.

    Die hallenden Stimmen kamen näher und redeten wirr durcheinander. Unmöglich, etwas zu verstehen.

    Es wurde enger und immer lauter. Das Atmen schmerzte nun deutlich in meiner Brust, unter der mein Herz schnell und schneller schlug. In der letzten Sekunde, kurz bevor ich vor lauter Erschöpfung und Panik die Augen öffnen wollte, lösten sich die nahen Wände auf und gingen über in einen hellen Nebel, der mich wieder frei atmen ließ.

    Rauch und Licht mischten sich und gleichzeitig entspannte sich mein Körper. Mein Herz konnte sich beruhigen und Wärme durchzog meinen Körper. Angenehme Geräusche traten an die Stelle des angsteinflößenden Getuschels der unheimlichen Stimmen. Immer deutlicher wahrnehmbar. Schwingende harmonische Geräusche.

    Duft durchströmte mich. Angenehm und wohltuend.

    Wie konnte das möglich sein? Alles war so real.

    Ein Gefühl von Glück und Wärme durchflutete mich und endlich sah ich durch den hellen Nebel weiche Konturen. Der Nebel lichtete sich immer mehr und die Schatten dahinter nahmen mehr Gestalt an. Und was ich sah, passte zu den wogenden Geräuschen.

    Es war das glasklare und blaue Wasser des Ozeans, das vor mir auftauchte. Wunderschön, mit seinen weißen Stränden und den grünen Hügeln dahinter. Es fühlte sich an, als würde ich über diese Landschaft schweben wie ein Geist. Schwerelos sank ich immer tiefer und landete auf dem goldgelben Sand, als wäre ich leicht wie eine Feder. Der Sand war weich und warm, und kitzelte meine Fußsohlen. Ich ging ein paar Schritte, bis plötzlich, wie aus dem Nichts, vor mir am Strand eine Person auftauchte. Vorsichtig und langsam näherte ich mich der dunklen Gestalt. Die tief stehende Sonne schien mir ins Gesicht und zeichnete eine helle Lichtkante um den fremden Körper, der nur noch ein paar

    Meter von mir entfernt war.

    Ich blinzelte angestrengt.

    Es war mein Vater.

    Aufgeregt rannte ich auf ihn zu.

    Verwundert, meinen Vater dort so zu sehen, lief ich immer weiter.

    Je näher ich kam, desto schärfer wurde das Bild.

    Erst jetzt erkannte ich, dass er ein Surfbrett in seinen Händen hielt.

    Abrupt stoppte ich, so dass meine Füße sich tief in den warmen Sand pressten.

    Halt! Nein!

    Das war gar nicht mein Vater. Er sah meinem Vater nur sehr ähnlich.

    Trotzdem, der Mann schien mich zu kennen. Zu meiner Überraschung lächelte er mich an, dann ging er tief in die Hocke und streckte die Arme nach mir aus. Verwirrt blickte ich in seine Augen und dann an mir herunter. Was ich sah, waren die Füße eines kleinen Kindes. Als ich meine Hände hob und sie betrachtete, gab es keinen Zweifel. Ich war ein kleines Kind in meinem Traum. Meine Gedanken wurden unterbrochen, in dem Moment, als er seine Arme um mich schlang und sein Gesicht an meines drückte. Weiche Haare kitzelten mich an der Wange, sie rochen nach Jasmin und Kokosnussöl. Der Mann umarmte mich, und obwohl er mir fremd war, fühlte ich mich sicher und geborgen bei ihm.

    Ein lautes Donnern ließ uns beide erzittern und wir schauten gleichzeitig in dieselbe Richtung – Richtung Meer.

    Eine riesige Welle war dabei, binnen Sekunden über unseren Köpfen zu zerschellen. Der ohrenbetäubende Lärm wurde immer lauter. Als ich mit weitaufgerissenen Augen auf die über mir explodierenden Wassermassen starrte, ließ ich den Mann los. Mit einem heftigen Ruck riss mir die Welle die Füße vom Boden und ich spürte, wie mein Körper unter ihr verschwand.

    Wie eine Marionette schlug ich mit Armen und Beinen um mich. Wasser drang in meine Lunge.

    Schon wieder drohte ich zu ersticken, schon wieder raste mein Herz auf wie wild. Ich versuchte zu schreien und ich schrie so laut ich konnte, doch das Wasser der Flut rann meine Kehle herunter.

    Da war niemand. Niemand, der mich erhörte.

    Der fremde Mann war verschwunden.

    Schweißgebadet wachte ich auf.

    Erst als sich mein Herz beruhigte und ich wieder klar denken konnte, war mir klar: diesen Traum hatte ich schon einmal. Doch in meiner Erinnerung schaffte ich es nicht – ich war vielleicht fünf Jahre alt – über mein Erlebtes zu reden. Schon damals hatte der Traum so beängstigend realistisch gewirkt und so lebhaft, dass ein kleines Mädchen sich nicht erklären konnte, wo der Traum anfing und wo er aufhörte.

    Heute Nacht zog er mich erneut in seinen Bann, aber diesmal war ich bereit, das Rätsel, vor das er mich gestellt hatte, zu lösen.

    Beim Eintreten in die Wohnung kam mir noch der Geruch meiner Oma entgegen. Sie liebte Parfüms, diese Affinität hatte ich wohl von ihr geerbt.

    In der Luft schwirrten noch letzte Reste von verschiedenen Duft-Molekülen: Gucci, Chanel, Dior. Für mich bedeutete das Einatmen dieser Mischung aus bekannten Aromen ein Gefühl des Heimkehrens und der Geborgenheit.

    In der kleinen Wohnung hatte sich, soweit ich das so schnell beurteilen konnte, noch nicht viel geändert.

    Die kleinen goldenen Beistelltischchen auf den roten, dünn ausgetretenen Perserteppichen standen noch voll beladen an den Wänden und in den Ecken. Diverse Erinnerungsstücke und Nippes dekorierten den Raum. Goldene Spiegel unterschiedlicher Größen und Formen hingen an den Wänden, die mit schweren, beigen Stofftapeten verkleidet waren.

    Kastagnetten, Fächer, Schmuck und durchgetanzte Spitzenschuhe hingen an opulenten Haken neben der antiken Frisierkommode.

    Da, wo noch ein Plätzchen frei war, hingen alte schwarz-weiß Fotos, die auf Holzleinwände gezogen worden waren. Sie zeigten meist eine Tänzerin auf der Bühne mit ihrem eleganten Pas de Deux Partner, zwischendurch gesellte sich hin und wieder ein Theaterplakat dazu. Diese Wohnung war klein, eine Zwei-Zimmer-Wohnung, aber ich erinnerte mich sofort wieder daran, wie viel es hier auf Schritt und Tritt zu entdecken gab.

    Als Kind liebte ich diese Wohnung. Dort hinter dem Sofa lag immer ein Stapel alter Ballett- und Theatermagazine.

    Im Schlafzimmer gab es eine Sammlung von Ledertaschen und Gürteln von Aigner und Prada. Und natürlich ein ganzes Regal voller Parfümflaschen und kleinen goldenen Ballettfiguren, an denen Ketten und Ringe hingen. Alte Hutschachteln und Koffer aus vergangenen Zeiten stapelten sich gefüllt mit Schätzen auf den Schränken, und jeder Gegenstand war umhüllt von einem dieser verführerischeren Düfte aus dem Regal. Der Duft der großen weiten Welt: elegant, berauschend und frei. Ja, genau, Freiheit und Unabhängigkeit, doch gleichzeitig Sicherheit und Geborgenheit. Genau diese unterschiedlichsten Gefühle waren es, die ich hier damals verspürt hatte.

    Und nun? Ich wusste nicht, was mich in dieser Wohnung nach dem Tod meiner Oma erwartete.

    Ich ging weiter durch den breiten Flur ins Wohnzimmer. Die Zimmer waren so vollgestellt, dass man sich an manchen Stellen durchzwängen musste, um vorbeizukommen oder eben seine Beine heben musste, um drüberzusteigen.

    Auch hier sah es so aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Farbe Gold, warmes Rot sowie etliche Beigetöne dominierten den Raum und machten ihn warm und einladend. Die alten Holzdielen knarrten vertraut unter meinen Füßen.

    Als ich wendete und in der Küche ankam, standen meine Mutter und mein Vater dort in der Unordnung, und Mutter war dabei Omas liegengebliebenen Abwasch zu machen. Ekel konnte man in ihrem Gesicht ablesen. Papa sortierte Müll und packte alles Verderbliche in große blaue Müllsäcke.

    „Schrecklich hier, tu dir das doch nicht an, Giselle", bellte meine Mutter mich gleich an.

    „Ich weiß nicht, wie man in diesem Dreck leben kann, aber na ja", fuhr sie fort und blickte dabei meinen Vater vorwurfsvoll an.

    „Wozu braucht eine alleinstehende Frau dreißig Einmachgläser? Das ist doch nicht normal." Sie blickte jetzt zu mir.

    „Such dir raus, was du möchtest, der Rest wird eh weggeschmissen. Und wer bleibt auf den Kosten sitzen für diese Entrümpelung? Deine Schwester bestimmt nicht!", donnerte sie wieder in Richtung meines Vaters, der bedröppelt dastand. Immerhin war gerade seine Mutter gestorben.

    „Der Arme, dachte ich nur, „und seit wann sind Einmachgläser Dreck?!

    Ich schlurfte zurück ins Wohnzimmer.

    „Wo sind die Katzen?", rief ich verwundert, als ich merkte, dass ich keine von ihnen weder auf den Kratzbäumen, dem Sofa, noch auf ihrem Lieblingsplatz, der breiten Fensterbank, entdecken konnte.

    „Im Tierheim", war die kurze und knappe Antwort meiner Mutter.

    Bis zu diesem Augenblick war ich ziemlich gefasst und beherrscht gewesen, was mich selbst sehr wunderte. Aber als ich mir dann einen Wäschekorb nahm und anfing die Sachen meiner Oma zu sortieren und einzupacken, kamen mir plötzlich die Tränen.

    „Kindchen, du bist zu sensibel für so was, hab ich dir doch gesagt. Genau aus dem Grund halte ich es auch für keine gute Idee, dich mit zur Beerdigung zu nehmen. Denk drüber nach", redete meine Mutter, die plötzlich in der Tür auftauchte, auf mich ein. Mein Vater, der eingequetscht hinterm Türrahmen über die Schulter meiner Mutter schaute, guckte mich traurig an. Ich sah ihm einen kleinen Moment in die Augen, dann schaute ich runter auf eine alte Schmuckschatulle, um nicht gleich wieder das Weinen anzufangen.

    Ich wischte mir die Tränen mit meinem Ärmel ab und beeilte mich mit dem Einpacken, bevor meine Mutter beschloss, alles wegzuwerfen. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, so viele Sachen wie möglich, so schnell wie möglich aus der Wohnung meiner geliebten Oma in Sicherheit zu bringen. Die Miete für den nächsten Monat stand an und so wie ich meine Mutter kannte, würde sie dieses Geld als zum Fenster herausgeschmissen bezeichnen, wenn wir es nicht schaffen sollten, die Wohnung bis zum Ende des Monats „zu entrümpeln", wie sie es nannte.

    Ich kam zu dem alten Bauernschrank. Er war von Hand bemalen und meine Urgroßeltern hatten ihn durch zwei Weltkriege und auf der Flucht aus der Heimat unversehrt mit sich genommen. Er war sicher einiges wert und ebenso sicher würde er einen Streit unter den Erben entfachen um seinen zukünftigen Standort. Ich interessierte mich mehr für den Inhalt. Schachteln und Kartons voller Bilder und Briefe, Urkunden und Postkarten aus alten Zeiten. Hier drinnen lebte unsere Familiengeschichte. Ich kramte weiter in den Tiefen des Schrankes und fand ein altes Fotoalbum, an das ich mich gar nicht erinnern konnte. Die meisten Fotos, die sich in den Kartons befanden, kannte ich schon, auch die Fotoalben, die sich im Schrank stapelten. Alle hatte ich mir mindestens einmal bei meinen Besuchen angeschaut. Nur dieses nicht. Es war nicht besonders dick. Das Album war mit Stoff bespannt, türkisem Stoff auf dem die Skizze einer rosafarbenen Blume gedruckt war. Die Blume war auf der Vorderseite im goldenen Schnitt platziert. Es sah ganz anders aus als die vielen mit Samt oder Seide bezogenen alten Einbände – so farbenfroh. Behutsam öffnete ich es und blätterte. Auch in diesem Fotoalbum klebten einige dieser kleinen, quadratischen Schwarzweiß-Fotos. Bei den meisten handelte es sich um klassische Urlaubsbilder mit freundlichen Gesichtern am Strand. Wunderschöne, meisterhafte Landschaftsbilder und Städtebilder gab es zwischendurch, die nachträglich liebevoll coloriert wurden, und die noch Jahrzehnte später einen beeindruckenden Kontrast und Schärfe aufwiesen. Ich blätterte weiter und plötzlich stockte mir der Atem. Mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Dieses Bild dort rechts oben in der Ecke, es war das Bild aus meinem Traum. Dem lebhaften Traum meiner Kindheit, dem aufwühlenden Traum von vor einer Woche. Ich nahm das Foto vorsichtig heraus und spürte die Zacken des Fotopapiers zwischen meinen zittrigen Fingern. Ich drehte es um in dem Wissen, dass bei den meisten Fotos aus Omas Sammlung auf den Rückseiten der Name des Ortes und das Datum geschrieben standen. Auch auf diesem. Zusätzlich gab es noch ein paar Zeilen. Ich hatte keine Schwierigkeiten die alte schöne und elegante Schrift zu entziffern.

    „Hawaii ´52 Isla Grand Hotel und Diamond Head Waikiki Beach

    Surfen ist der beste Sport.

    Grüße aus meinem geliebten Hawaii. Joseph", las ich.

    Dann drehte ich das Bild nochmals um, dieses Mal traute ich mich, es länger und genauer anzuschauen. Doch es war genauso, wie ich es bereits gesehen hatte. Nur bewegte sich das Bild nicht, es war lediglich eine Momentaufnahme. Ein attraktiver junger Mann stand am Waikikibeach und posierte mit seinem Surfbrett. Der Mann war, schätzte ich, um die zwanzig Jahre alt und hätte auch Model sein können, selbst in der heutigen Zeit.

    Er sah meinem Vater in jungen Jahren wie aus dem Gesicht geschnitten aus.

    „Was machst du denn da, träumst du? Ich dachte, ich bekomme ein bisschen Hilfe von dir?! Ich schrubbe den Katzendreck weg und du sitzt hier und guckst dir alte Bilder an."

    „Mama, ich mache das schon! Macht ihr beiden bitte mal eine Pause. Wenn ich hier fertig bin, werde ich die Küche weiter saubermachen, versprochen!", beruhigte ich meine aufgebrachte Mutter, die erneut im Türrahmen stehenblieb.

    „Du und Saubermachen? Guck dir doch mal deine eigene Wohnung an, dann weißt du, dass in dir auch eine kleine Margarethe steckt."

    Sie sprach dabei den Namen meiner Großmutter mit einer nicht zu überhörenden Verachtung aus. Ich schluckte. Meine Mutter konnte jedem, der ihr zu nahe kam, binnen Sekunden das gesamte Selbstbewusstsein rauben.

    Ich hielt besser meinen Mund.

    Das Album machte ich wieder zu, nachdem ich das Foto behutsam zurück an seinen Platz steckte. Ich legte es vorsichtshalber nach ganz unten in den Wäschekorb, in dem ich alles sammelte, was ich aufbewahren wollte.

    Schnell trug ich die ersten vollgepackten Körbe und Kisten nach unten. Der Altbau verfügte über ein imposantes, riesiges Treppenhaus. Leider waren die Etagen bei einer Deckenhöhe von drei Metern und achtzig mehr als zwei Treppen mit gefühlten hundert Stufen voneinander entfernt.

    Ich kam ins Schwitzen und atmete schwer, aber ich behielt mein Ziel im Auge und wollte so vieles wie möglich in mein kleines Auto in Sicherheit bringen.

    Also lief ich, packte ich, kramte ich und lief wieder.

    Manchmal musterte meine Mutter beim Vorbeigehen die Dinge in den Kartons skeptisch.

    „Was willst du mit all dem Krams? Stell dich doch nicht so zu. Vielleicht will dein Papa was davon haben", waren nur einige ihrer bissigen Kommentare.

    „Papa kann das doch später in aller Ruhe durchsehen. Ich dachte, du wärst froh, wenn die Wohnung so schnell wie möglich leer ist?", versuchte ich abermals zu beruhigen und ließ mich nicht von meinem Ziel abbringen.

    Total erschöpft brach im am Abend bei einer alten Freundin meiner Oma auf dem Sofa zusammen. Meine Beine und Arme schmerzten.

    „Danke, dass ich hier übernachten darf", sagte ich zu Frau Kanter, die mir noch eine frisch bezogene Bettdecke für die Nacht reichte. Ich mochte Frau Kanter sehr und nun war diese alte zerbrechliche Frau sozusagen die letzte Verbindung zu meiner Oma hier in der Stadt.

    Ich war müde und hatte vor, mich gleich schlafen zu legen, doch zuvor wollte ich mir unbedingt dieses unbekannte Fotoalbum noch einmal in Ruhe anschauen. Ob ich noch mehr interessante Bilder darin entdecken würde? Es ließ mich nicht los und ich konnte ansonsten keine Ruhe finden. Alle Fotos, es waren höchstens fünfundzwanzig Stück, stammten aus den Jahren 1950 bis 1952 auf Hawaii. Meistens waren es Landschaftsaufnahmen, auf einigen war der unbekannte fremde Mann abgelichtet. Doch wer war dieser Mann? Womöglich ein Verwandter, der dort Urlaub machte oder sogar dort auf Hawaii lebte? Doch in meinem Traum fühlte sich seine Nähe mehr als nur vertraut an. Ich erinnerte mich daran, dass einige Mitglieder der Familie Aleuten nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA ausgewandert waren. Das war leider alles, was ich wusste, nichts Genaueres. Wen konnte ich danach fragen? Meine Oma war gestorben, und mein Vater war daran nicht besonders interessiert. Wenn es um Familiengeschichte ging, war Papa wortkarg wie ein Felsen. Meinen Opa kannte ich nur von Fotos, denn er starb sehr früh, als mein Vater noch ein Kind war.

    Mmmh, na klar, warum bin ich nicht schon vorher darauf gekommen?

    Frau Kanter war mit meiner Oma über dreißig Jahre lang befreundet. Irgendetwas musste sie doch darüber erfahren haben.

    Genau in dem Moment kam meine Gastgeberin ins Zimmer und fragte: „Was guckst du dir da an, Liebchen?"

    Ich zeigte ihr meine Entdeckung.

    „Der sieht ja aus wie dein Vater Luis. Mensch, das kenne ich gar nicht." Erstaunt nahm die nette alte Dame neben mir Platz.

    „Ich bisher auch nicht. Die meisten Bilder da drin entstanden auf Hawaii 1952, soviel ich bisher weiß", sagte ich und bereitete so vorsichtig mein Interview vor.

    „Hawaii?", fragte Frau Kanter verdutzt.

    „Ja, können Sie sich vorstellen, wer das sein könnte?"

    Ich zeigte nochmals auf das Bild mit dem posierenden Surfer, auf dem konnte man das Gesicht am deutlichsten erkennen.

    „So weit ich weiß, hatte dein Opa Alois keinen Bruder."

    Ich gab noch nicht auf, obwohl es klar war, dass Frau Kanter diese Bilder auch zum ersten Mal in ihrem Leben sah.

    „Ich dachte, vielleicht ein Cousin?, versuchte ich Frau Kanters Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Doch es war zwecklos. Die alte Dame rieb sich müde die Augen und seufzte leise: „Könnte sein, Liebchen. Zeig noch mal her. Sie nahm das Album und rückte ihre Lesebrille zurecht. Ein Funke Hoffnung machte sich in mir breit.

    „Ach, sieht das schön dort aus."

    „Ja, finde ich auch", schmachtete ich zurück und gab damit das Verhör auf.

    Dann träumten wir beide auf dem Sofa still vor uns hin, während wir das Album gemeinsam weiter durchblätterten. Bei der letzten Seite angekommen, nahm mir Frau Kanter das Album vom Schoß.

    „Kindchen, schlaf ein bisschen", sagte sie leise zu mir.

    Ich brauchte mich nur noch auf die Seite fallen zu lassen und Frau Kanter deckte mich liebevoll mit der frisch bezogenen Decke zu, so wie es meine Oma getan hätte.

    In dieser Nacht träumte ich abermals meinen Traum. Doch nun wusste ich bereits, wohin mich mein Traum führen würde. Nach Hawaii ins Jahr 1952.

    Diesmal machte mir der Traum keine Angst mehr, jedenfalls nicht mehr so viel. Aber etwas war anders als beim letzten Mal. In dieser Nacht war ich in meinem Traum älter, kein kleines Kind mehr. Alles andere blieb. Auch diesmal umarmte mich der Mann, als wäre ich ein ganz besonderer Mensch in seinem Leben. Ich nahm mir fest vor, ihn nicht mehr loszulassen, wenn die Welle käme. Es war mir nicht möglich. Selbst als ich mich mit all meiner Kraft an seinen Schultern festklammerte, riss es mir die Füße vom Boden. Wieder waren wir getrennt worden, wieder schrie ich so laut, dass ich davon aufwachte.

    Erleichtert stellte ich fest, dass mein Schrei Frau Kanter nicht aufgeweckt hatte. Auf Zehenspitzen schlich ich ins Bad und suchte nach dem Röhrchen mit den Herztabletten in meiner Kosmetiktasche. Zurück auf dem Sofa entspannte ich mich und beschloss, diesem geheimnisvollen Mann und seiner Identität unbedingt ein Stückchen näher kommen zu müssen. Aber wie?

    Nicht richtig ausgeschlafen, stand ich am nächsten Morgen früh auf, um weiter die Wohnung meiner verstorbenen Oma auszuräumen. Doch mein kleines Auto brach vor lauter Kartons schon aus allen Nähten, und so brachte ich bereits nach nur zwei Stunden die erste Fuhre zu mir nach Hause. Es war eine Fahrt von über drei Stunden und mir war klar, mit meinem alten VW Polo und den vielen Sachen meiner Oma, musste ich mindestens zwei Mal, wahrscheinlich eher drei Mal die Strecke fahren.

    Am späten Nachmittag war ich bereits zurück in Omas Wohnung und wollte weiter machen, wo ich aufgehört hatte. Ich bekam einen Schock. Ich war doch nur einen halben Tag unterwegs gewesen. Nicht mal einen ganzen. Die Wohnung war wie leer gefegt. Meine Mutter kommandierte einen Trupp Männer durch die Wohnung. Starr blieb ich im Flur stehen.

    „Wer sind denn die?, stotterte ich. „Und wo sind Omas ganze Sachen?

    „Das sind die Trödel-Profis, strahlte meine Mutter. „Und was meinst du mit Omas Sachen? Sie braucht das Zeug wohl kaum mehr, oder?

    „Was bedeutet das?, schrie ich meine Mutter an. „Wo sind die Sachen hin?

    Meine Stimme überschlug sich, Tränen traten in meine Augen. „Du…du hast absolut keinen Respekt und…", dann brach meine Stimme.

    „Wie konntest du das nur tun?!", war alles was ich noch mit krächzender Stimme rausbrachte.

    „Da!", meine Mutter war puterrot im Gesicht, zeigte mit strengen, kalten Augen auf zwei kleine Kartons, die trostlos in der Ecke auf dem Boden standen, obendrauf lag eine kleine Tiffany Lampe.

    „Das hab ich für dich aufgehoben. Hatte gedacht, du willst es behalten. Und jetzt ist damit Schluss!"

    Stumm nahm ich diesen kläglichen Rest eines Lebens auf den Arm, ging damit ein letztes Mal durch die Räume und nahm Abschied. Meine Mutter sagte nichts mehr. Beim Hinausgehen dachte ich kurz darüber nach, mich bei ihr zu entschuldigen, doch ich ließ es bleiben und verließ für immer diese Wohnung.

    ERSTES TREFFEN

    Während meiner Heimfahrt konnte ich an nichts anderes mehr denken. Dies konnte alles kein Zufall sein. Der Traum, der mir so unheimlich bekannt vorkam, dass es mich ängstigte. Dann das unbekannte Fotoalbum, in dem ich Erinnerungen fand, bei denen ich damals unmöglich anwesend sein konnte, denn ich war noch nicht geboren. Oder spielte mir meine Fantasie einen Streich? Hatte mir meine Oma eine Geschichte anvertraut, die mich als Kind schon nicht losgelassen hatte?

    Ich war mir sicher, dass mir nicht viel Zeit blieb, bis ich es mir aus tausend rationalen Gründen wieder anders überlegte. Bevor mich der Mut verließ, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Denn so realistisch der Traum auch war, er erzeugte in mir auch ein Gefühl des Verlustes und des Abschieds.

    Aber da war noch etwas anderes, das mich während der Autofahrt beschäftigte.

    Gerne hätte ich meinen Vater, wenigstens ein einziges Mal, in den Arm genommen und gedrückt. Sehr gerne hätte ich ihm gesagt, dass es mir leid tut, und dass ich ihn liebe. Jahrelang fühlte ich mich für ihn verantwortlich. Wollte ihm helfen der Mensch zu sein, der er vermag zu sein. Mutig und selbstbewusst sein Leben zu gestalten. Aber ich verstand immer mehr, dass diese Dinge nicht in meiner Macht lagen. Jeder konnte nur selber diese Entscheidungen treffen. Er musste alleine klarkommen und ich musste endlich lernen, loszulassen.

    Zu Hause angekommen, stellte ich als erstes die zwei letzten vollgepackten Kisten unter meinen Schreibtisch, um auf andere Gedanken zu kommen.

    Zwanzig Jahre alt und nichts wartete hier auf mich. Eine mickrige Ein-Zimmer-Wohnung und ein mies bezahlter Job als Kellnerin waren bisher alles, was ich nach der Schule zustande gebracht hatte. Ich fühlte mich jämmerlich.

    Die Vergänglichkeit des Lebens auf dieser Erde, der Tod meiner Oma, der so plötzlich kam, zogen schon ohne die mysteriösen Geschehnisse viele Veränderungen mit sich.

    Es war unmöglich, sie zu ignorieren, und so fand ich diesen Nachmittag überhaupt keine Zerstreuung in meiner Wohnung. Meine Gedanken kreisten immer wieder um dieselbe Geschichte.

    Wer war dieser Joseph und was machte er in meinen Träumen und warum lag er im zwölfmal zwölf Zentimeter-Format in schwarz-weiß verewigt im Schrank meiner Oma herum? Ich kramte eine Musik-Kassette aus einem der Kartons und schob sie in mein Kassettendeck der Anlage. Eine uralte Live-Aufnahme der Oper Turandot von Puccini war zu hören. Es war mehr ein Rauschen als Musik, aber ich ließ sie trotzdem laufen.

    Ich ging in meine kleine Küche und fing an, ein altes Kochrezept meiner Oma aus meiner losen Rezepte-Sammlung zu suchen. Tafelspitz mit Bratkartoffeln und Dill-Meerrettichsoße. Ich bezweifelte, dass irgendwer da draußen zu finde wäre, der im Stande war, dieses Gericht so zu kochen, wie es meine Oma kredenzte. Es war ein absolutes 4-Sterne-Essen von einer 4-Sterne-Köchin. Resigniert legte ich das Rezept wieder beiseite. Nein, niemals könnte ich meine Leibspeise so zubereiten, wie ich sie kannte und liebte. Darauf müsste ich halt einfach den Rest meines Lebens verzichten.

    Hungrig ging ich zum Schreibtisch, setzte mich vor meinen Rechner und wählte mich ins Internet ein. In der Suchmaschine gab ich den Namen Aleuten plus Hawaii ein. Und tatsächlich: es gab zu meiner Überraschung gleich mehrere Aleutens auf Hawaii, doch über einen Mr. Peter Aleuten wurde besonders viel berichtet. In Tageszeitungen und Lokalberichterstattungen, meist von der Insel Maui.

    „Warum war ich bloß damals in der Schule so faul in Englisch?, ärgerte ich mich. Die meisten Vokabeln in den Artikeln kannte ich nicht, doch ich glaubte zu verstehen, dass Mr. Peter Aleuten ein recht erfolgreicher Geschäftsmann war. Sein Hauptgeschäft hatte er gemacht, in dem er in den USA, besonders auf dem Festland, Zahnarztpraxen und Kliniken ausgestattet hatte. Aber er war auf Hawaii auch politisch aktiv, jedoch fehlten mir die nötigen Sprachkenntnisse, um solche speziellen Themen auf Englisch auch nur ansatzweise zu verstehen. Schließlich fand ich die Homepage seiner Firma Aleuten delta", auf der ich wiederum eine E-Mail-Adresse und die Telefonnummer erfuhr.

    Während ich mein Englischwörterbuch durchblätterte, klingelte das Telefon.

    „Hey!... Ach Mama, du bist es. …was? … Nein, ich komme morgen zur Beerdigung! ... Warum denn nicht? … Nein, ich breche nicht zusammen, versprochen. … Ja, ich pack meine Tabletten ein. Ich vergesse es nicht, nein. ...Grüß mir Papa ganz lieb. … Ja, gute Nacht."

    Schnell versuchte ich, nicht mehr an die bevorstehende Beerdigung zu denken.

    Der Versuch eine E-Mail auf Englisch zu formulieren, brachte die ersehnte Ablenkung. Als ich fertig war, las ich nochmals die Mail durch, bevor ich sie sendete:

    Sehr geehrter Herr Aleuten,

    mein Name ist Giselle Aleuten und ich wohne in Deutschland, in Hamburg.

    Ich habe ein altes Fotoalbum von meiner Oma geerbt, in dem ich ein Foto von einem Joseph fand, der auf Hawaii 1952 am Waikikibeach surfte. Ich denke, er ist vielleicht ein Verwandter von mir. Kennen sie einen Joseph Aleuten?

    Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir helfen könnten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Giselle Aleuten

    P.S. Ich sende Ihnen das Foto im Anhang mit."

    In der darauf folgenden Nacht fand ich nicht die ersehnte Erholung. Auch mein Wunsch, das nächste Kapitel meines Traumes beginnen zu können, blieb diese Nacht unerfüllt.

    Bevor ich mich am nächsten Morgen abermals früh aufmachte, um rechtzeitig zur Beerdigung meiner Oma zu kommen, checkte ich noch schnell meine E-Mails.

    Mein Herz machte einen kleinen Jubelsprung, als ich sah, dass Peter Aleuten tatsächlich schon geantwortet hatte.

    Er schrieb:

    „Liebe Giselle,

    ja, ich kenne Joseph Aleuten. Er ist der Mann auf Deinem Foto und er ist mein Vater. Leider ist er vor drei Jahren gestorben. Ich bin seit gestern in Deutschland, um bei der Beerdigung Deiner Oma anwesend zu sein. Es war ein letzter großer Wunsch meines Vaters, Abschied von ihr zu nehmen. Leider kam es nie mehr zu dem ersehnten Treffen zwischen ihnen. Nun möchte ich ihr die letzte Ehre erweisen. Ich gehe davon aus, dass wir uns morgen dort treffen werden, dann kann ich Dir mehr erzählen.

    Ich freue mich darauf, Dich zu treffen.

    Beste Wünsche,

    Peter Aleuten"

    Ich konnte mein Glück kaum fassen. Meinte das Schicksal es diesmal dermaßen gut mit mir? Ich hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, mit guter Laune zu der Beerdigung meiner Oma zu fahren. Den Sohn von Joseph Aleuten zu treffen, erfüllte mich jedoch plötzlich mit einem enthusiastischen Gefühl.

    Weswegen das so war, ahnte ich nicht, doch es fühlte sich angenehm warm an in meinem Bauch.

    Peter Aleuten würde mir meine Fragen beantworten, da war ich mir sicher.

    Und diese Antworten würden mir helfen, die Dinge zu ordnen.

    In Windeseile packte ich das Englischwörterbuch ein und verließ meine Wohnung. Die Autofahrt verging rasend schnell. Während ich mir die wichtigsten Fragen bereits auf Englisch in meinem Kopf übersetzte, war ich schon angekommen.

    Auf der Beerdigung war meine ganze Familie versammelt. Mein Bruder war mit seiner Frau und seiner Tochter aus Schweden angereist, ebenso war meine Tante aus München anwesend, doch die meisten waren Freunde und Nachbarn meiner Oma.

    Wie nicht anders zu erwarten, rückte sich meine Mutter in den Mittelpunkt des Geschehens. Die aufopfernde Schwiegertochter, die das Essen und die Tischdeko bis in die Perfektion hinein arrangiert hatte, um später im Lob der anderen zu baden.

    Wie froh ich war, das alles nur am Rande mitzubekommen.

    Immer noch plagte mich mein schlechtes Gewissen, weil es mir auf der Beerdigung meiner geliebten Oma so gut ging. Das lag auf jeden Fall an der Gegenwart von Peter Aleuten und seiner Frau Pela.

    Alle anderen Gäste beachteten die Unbekannten nicht mehr, als bei einem flüchtigen Händeschütteln möglich war. Andererseits hatte ich sie so ganz für mich alleine und das genoss ich sehr. Einzig Frau Kanter und Pfarrer Gregor setzten sich ab und zu an unseren Tisch, und obwohl Frau Kanter kein einziges Wort Englisch konnte, unterhielt sie sich mit Händen und Füßen angeregt mit Peter und Pela Aleuten.

    „Vielen Dank, dass ihr diese lange Reise auf euch genommen habt. Meine Oma…, sie hätte sich bestimmt sehr geehrt gefühlt", sagte ich holprig und hoffte, die passenden englischen Wörter zu benutzen.

    „Wir hätten deine Großmutter lieber zu Lebzeiten besucht, aber da gab es so viele Verunsicherungen auf beiden Seiten. Niemand startete den ersten Versuch", antwortete Peter Aleuten und seine Worte klangen sehr aufrichtig.

    Schnell schlug ich das Wort „Verunsicherung im Wörterbuch nach, ob ich es richtig verstanden hatte. „Verunsicherung, las ich das Wort auf Englisch langsam und unbewusst auch laut vor. Peter und Pela lachten. „Ja, richtig. Verunsicherung. Aber das können wir dir später erklären", versprach Peter mir und schaute sich danach im Raum um. Ich folgte seinen Blicken und konnte das Gefühl nicht loswerden, dass er besonders intensiv nach meinem Vater Ausschau hielt.

    „Hier ist nicht der richtige Ort dafür", wandte er schließlich ein. Natürlich verstand ich, was er meinte. Dies war eine Beerdigung und natürlich bemerkte auch ich die fragenden, aber auch teils eingeschüchterten Blicke der anderen Gäste auf Peter. Peter Aleuten war ein großer, stattlicher Mann, der sofort eine anziehende Aura verströmte. Jedenfalls auf mich. Es kann sein, dass er für andere sogar etwas Respekteinflößendes besaß, trotz seiner freundlichen Augen mit den vielen Lachfalten drum herum. Er besaß diese natürliche Autorität, etwas Majestätisches umgab ihn. Hätte er nicht einen eleganten, teuren Anzug angehabt, könnte man sich ihn auch gut als Indianer-Häuptling oder als König von Hawaii vorstellen.

    Seine Haut hatte diesen warmen goldbraunen Teint, wie ihn wohl alle männlichen Aleutens besaßen. Durch sein breites, rundes Gesicht und die hohen Wangenknochen, das markante Kinn und die pechschwarzen Haare ähnelte er meinem Vater. Früher als Kind bin ich tatsächlich der festen Überzeugung gewesen, mein Vater wäre ein Indianer, der nur auf ein geheimes Rauchzeichen wartete, um dann auf sein Pferd zu springen und davon zu reiten wie der Wind. Dem Horizont entgegen, bereit, die Welt von den Bösen zu befreien.

    „Giselle?", hörte ich Peters raue Stimme in meine Erinnerung hinein zu mir sprechen.

    „Oh, Entschuldigung. Ich war in Gedanken."

    „Das können wir sehr gut verstehen. Das ist bestimmt ein schwerer Tag für dich, heute Abschied von deiner Oma zu nehmen."

    „Gewiss, doch ich bin froh, dass ihr hier seid", antwortete ich.

    „Vielleicht bist du so lieb und erzählst uns ein bisschen was über deine Oma?

    Wir bedauern es so sehr, dass wir sie nie kennenlernen durften. Wir haben nur ein paar alte Geschichten über sie von meinem Vater gehört. Sie muss eine wirklich faszinierende Frau gewesen sein."

    „Ja, das war sie, bestätigte ich Peter, „vor allem aber hatte sie ein großes Herz, in dem sie für alle ein Plätzchen hatte. Wirklich für jeden. Egal, ob Menschen oder Tiere, für jedes Geschöpf zeigte sie Respekt und Liebe.

    „Das klingt ganz nach dem, was uns Joseph von ihr erzählt hat."

    „Was hat er über sie erzählt?", wollte ich von Peter wissen und platzte fast vor Neugier.

    „Oh, er schwärmte sehr für deine Oma, von ihrer Großherzigkeit und ihrem Mitgefühl. Damals auf der Flucht, erzählte uns Joseph oft, war sie stets die Erste, die etwas von ihrem Essen für die Kinder, Alten und Schwachen abgegeben hatte. Sie soll sogar einmal ihre Decke einer alten Frau geschenkt haben, die auf der Flucht nichts mehr besaß, als die Kleidung an ihrem Leib."

    „Ich liebe meine Oma sehr, sie war wirklich großartig. Sie schien jedoch ein Geheimnis zu haben. Sie hat mir jedenfalls nie etwas von Joseph erzählt. Was mich sehr wundert, da wir uns sehr nahe standen." Ich blickte die beiden fragend an.

    „Ja, das stimmt, ein Geheimnis über das mein Vater und deine Oma für immer schwiegen, es wurde nie gelüftet."

    „Nie?, erschrak ich. „Kennt ihr es auch nicht?

    „Nein, mein Vater erzählte mir nicht alles."

    Enttäuscht blickte ich runter zu meinen Fingern, die ich nervös in meinem Schoß knetete.

    Doch ich musste mehr erfahren und stellte Peter meine nächste Frage, die ich bereits zu Hause vorbereitet hatte, und blickte wieder nach oben.

    „Wie kommt es eigentlich, dass Joseph mit seiner Familie nach Hawaii ausgewandert ist? Ich meine, das ist ja ziemlich exotisch. Die meisten sind doch in die Großstädte wie New York und so ausgewandert."

    „Das ist ebenfalls ein großes Familiengeheimnis. Es ist wohl mehr ein Zufall gewesen, von New York aus sollte es nach Los Angeles gehen, doch mein Opa hat ein Ticket weiter nach Hawaii gekauft, mit dem letzten Geld, was sie besaßen."

    „Merkwürdig", grübelte ich.

    „Mehr als das, warf Peter ein. „Denn weißt du eigentlich, wo unser Name Aleuten herkommt?

    „Ich weiß, es gibt eine Inselgruppe oben bei der Beringstraße, die heißen Aleuten und einen Indianer-Stamm, der dort lebt", antwortete ich und verstand nicht gleich, worauf er hinaus wollte.

    „Ja, die Aleuten ist eine Inselgruppe im Pazifik, genau wie Hawaii, nur dreitausend achthundert Kilometer entfernt im Norden", erklärte Peter mir. „Stell dir vor, Giselle, dreitausend achthundert Kilometer, aber dazwischen ist nichts.

    Nichts weiter als das Meer. Keine anderen Inseln, nichts. Ist doch unglaublich, oder?"

    Er hielt kurz inne und nahm ein Schluck aus seinem Wasserglas, dann sagte er nachdenklicher:„Ich habe mich immer gefragt, wie unsere Familie zu diesem besonderen Nachnamen kam, und genau wie du, fragte ich mich oft, warum meine Familie dann ausgerechnet nach Hawaii ausgewandert ist. Die Entscheidung wurde einfach von meinem Opa getroffen. Warum gerade Hawaii, konnte mir niemand so richtig erklären."

    „Vielleicht Schicksal", meinte ich spontan und wunderte mich im selben Augenblick darüber, wie oft dieses Wort momentan in meinem Leben auftauchte.

    Peter nickte zustimmend, als ob ich die richtige Antwort gegeben hätte. Dann schwiegen wir eine ganze Weile darüber, jeder vertieft in seine eigenen Gedanken. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass auch Peter auf der Suche nach Antworten war, genau wie ich. Dieses Schweigen hatte aber nichts Unangenehmes, sondern im Gegenteil, es verschaffte mir eine friedliche Stille, die ich sehr mochte. Nach einer Weile durchbrach Peter die Stille, indem er ein paar Fotos aus seiner Hosentasche kramte und sie mir stolz präsentierte. Zu jedem Bild konnte er mir eine lebhafte Geschichte erzählen. Von seinem Vater und von dem Leben auf Hawaii, damals und heute. Ich hörte gespannt zu, schlug gelegentlich die Wörter im Übersetzer nach und genoss es einfach, schweigend dieser tiefen, rauchigen Stimme zuzuhören.

    „Sehr wahrscheinlich kamen unsere Vorfahren aus dem Norden, den östlichen Aleuten. Möglich, dass eine kleine Gruppe später über Russland nach Europa ausgewandert ist. Aber es gibt keine genaueren Aufzeichnungen darüber."

    „Peter, unterbrach Pela ihren Mann, „bestimmt will Giselle heute nicht unsere ganze Familiengeschichte hören.

    „Oh, Entschuldigung, Giselle. Ich vergesse manchmal, wenn ich im Redefluss bin, mich zu zügeln."

    Pela lachte zustimmend: „Das ist wohl wahr."

    „Nein, nein wirklich, diese Geschichten interessieren mich sehr, es ist ja auch irgendwie meine eigene Familiengeschichte, beteuerte ich den beiden, „bitte erzähl weiter, Peter Peter freute sich sichtlich über meine Begeisterung.

    „Bestimmt möchtest du viel lieber die allerwichtigste Geschichte hören, von deiner Oma Margarethe und von Joseph, meinem Vater? Jedenfalls das, was ich in Erfahrung bringen konnte, kann ich dir erzählen, wenn du möchtest."

    „Sehr gerne", sagte ich und nickte. Neben ihm kam ich mir vor, als wäre ich vier Jahre alt und er der Weihnachtsmann. Zugegeben, nicht der Weihnachtsmann vom Nordpol, sondern eher der von Hawaii. Pela ging locker als die hawaiianische Weihnachtsfrau durch. Wunderschön mit schwarzen langen Haaren und gütigen, herzlichen Augen. Ich konnte es kaum mehr erwarten, wie ein Kind kurz vor dem Weihnachtsabend, auch diese Geschichte aus dem Mund von Peter hören zu dürfen.

    „Du solltest dich jetzt aber auch mal zu deinen Freunden und deiner Familie setzen, Giselle! Wir haben dich wirklich lange genug in Anspruch genommen, sagte Pela mit ihrer sanften Stimme. „Die werden dich bestimmt schon alle vermissen.

    „Nein, ich sehe meine Familie doch ständig", rief ich eilig und das war eine glatte Lüge. Denn meinen Bruder sah ich höchstens einmal im Jahr, noch seltener die restliche Verwandtschaft.

    Pela hatte Recht. Traurig stimmte ich ihr innerlich zu. Es war Zeit, sich wieder mehr meiner Familie an diesem Tag zu widmen.

    „Wir sehen uns heute Abend, versprochen", tröstete Pela mich und legte ihre Hand auf meine, als sie meine Enttäuschung sah.

    Wir verabredeten uns für den Abend um sieben Uhr in ihrem Hotelrestaurant und das beruhigte mich ein wenig.

    Als die beiden weg waren, kam ich mir reichlich verloren vor.

    Erst jetzt merkte ich so richtig, wo ich überhaupt war, betrachtete die Räumlichkeiten genauer und nahm die anderen Gäste wahr.

    Als erstes ging ich rüber zu dem Tisch, an dem mein Bruder mit seiner Frau saß, doch das Gespräch mit ihnen war schleppend und ermüdend. Wir hatten uns wie immer nicht viel zu sagen.

    Mein Vater war in ein Gespräch mit seinem Schwager vertieft, bei dem ich ihn nicht stören wollte. Dann beschloss ich, mich in die Höhle des Löwen zu wagen und ging zu meiner Mutter in die Küche. Vielleicht würde es sie ein wenig besänftigen, wenn ich ihr bei den Nachbereitungen helfen würde. Ich nahm mir also mutig ein Geschirrhandtuch und fing an, schweigend das Geschirr abzutrocknen.

    „Wer waren denn die fremden Leute und was hatten die auf Margarethes Beerdigung zu schaffen?", platzte es aus meiner Mutter schon nach kürzester Zeit heraus. Denn im Gegensatz zu Peter und Pela war Schweigen für meine Mutter unerträglich.

    „Es ist ein Neffe von Opa Alois, wusstest du das nicht? Sie sind extra aus Amerika angereist."

    „Wer hat die denn eingeladen?" Am liebsten hätte meine Mutter den ganzen Tag als Bestrafung keine Silbe mit mir gesprochen, aber dafür war sie einfach viel zu neugierig.

    „Pfarrer Gregor hat sie in Kenntnis gesetzt, so hatte Margarethe es sich gewünscht. Aber du hättest sie ja auch selber danach fragen können, sie sind sehr nett", antwortete ich ihr, diesmal mit mehr Druck in meiner Stimme.

    Meine Mutter biss sich auf die Lippe. „Aus Amerika? Und was hast du dich so lange mit ihnen unterhalten? Du kennst die doch gar nicht. Seit wann kannst du eigentlich Englisch sprechen?"

    Ich stöhnte und ärgerte mich gleichzeitig, warum ich es bloß für eine gute Idee gehalten hatte, zu ihr zu gehen. Aber meine Mutter war noch nicht fertig mit mir.

    „Kein einziges Mal hast du dich mit Onkel Fred und Rosel unterhalten, die sind bestimmt stinksauer, und dein armer Vater Luis."

    Bei dem Namen meines Vaters kamen sofort wieder diese fiesen Schuldgefühle in mir hoch. „Wie schafft sie das bloß immer wieder so schnell?", fragte ich mich.

    Doch ich blieb in der Küche und stellte mich ihren Fragen. Obwohl ich mir nicht sicher war, auf welche ihrer Fragen meine Mutter tatsächlich eine Antwort erwartete, denn oft waren es bei ihr mehr Feststellungen, als ernst gemeinte Fragen. Ich druckste also vor mich hin: „Also, es war so, dass…", begann ich, doch meine Mutter kam mir wie immer zuvor, bevor ich auch nur ansatzweise etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte.

    „Mit so einem Strahlen im Gesicht auf der Beerdigung aufzutauchen, ist mehr als nur unverschämt. Dein Verhalten ist gegenüber Papa und mir dermaßen daneben. Schämst du dich nicht, was ist bloß mit dir los?"

    Ich verstummte.

    „Vielleicht stimmte ja tatsächlich etwas mit mir nicht?, dachte ich. „War es so offensichtlich, dass ich heute glücklich war? Bei dem Gedanken daran schämte ich mich tatsächlich ein wenig.

    Doch dann erinnerte ich mich sofort daran, was Oma Margarethe von mir erwartet hätte an diesem Tag. Und genau das hätte sie von mir erwartet. Was gab es für ein besseres Andenken an sie, als diesem verborgenen Teil ihres Lebens ein Stückchen näher zu kommen. Dieser Teil ihres Lebens, der meiner Oma scheinbar sehr am Herzen lag. Darüber hat sie bis zum Schluss geschwiegen, und am Tag ihrer Beerdigung wird das Geheimnis wahrscheinlich ein wenig gelüftet.

    AUFBRUCH

    Es war diesig und dämmerte bereits, als wir an diesem Abend durch den Prinzenpark gingen, um auf die andere Seite des Viertels zu gelangen.

    Susanne, meine Kollegin aus der Cocktailbar eines indischen Restaurants, redete auf mich ein. Sie war ein typisches Barmädchen, sie hörte sich gerne reden und fand sich dabei unwiderstehlich. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu und nickte ab und an zustimmend. Wir kamen am See vorbei und aus irgendeinem Grund ließ ich meinen Blick über die nebelige Wasseroberfläche schweifen. Verwundert beobachtete ich einen Schwan, der plötzlich aus dem Wasser auftauchte. Es schien, als hätte er seine Gestalt verwandelt in dem Moment als er auftauchte. Meine Sinne spielten mir einen Streich. Doch dann begann der Schwan wie eine Art einstudierte Choreographie zu tanzen. Und das sah ziemlich real aus.

    Er flatterte schnell, drehte sich und bog elegant seinen Kopf nach hinten, dann bewegte er sich wieder langsam. Sofort dachte ich an das Ballett Schwanensee und es fehlte nur noch die Musik von Tschaikowski, die dazu spielte. Ich ergänzte die Musik in meinem Kopf, während ich fasziniert und gebannt weiter zuschaute.

    „Giselle. Susanne tippte mir auf die Schulter. „Was ist los? Warum bleibst du stehen?

    Abrupt drehte ich meinen Kopf um. Meine Kollegin schaute mich misstrauisch und genervt an.

    „Wir sind spät dran, Giselle, oder willst du an deinem letzten Arbeitstag zu spät kommen?"

    „Nein, nein", rief ich aufgeregt hinter Susanne her, die ihren Weg fortsetzte ohne groß auf mich zu achten.

    „Schau mal dort, der Schwan! Ist das nicht erstaunlich wie er sich bewegt?

    Hast du so etwas schon einmal gesehen?, rief ich ihr hinterher und deutete dabei in Richtung Wasser. „Dort, auf dem See!

    Susanne, die einige Meter vor mir stehen geblieben war, folgte mit ihren Augen meiner Hand und blinzelte angestrengt zum See.

    „Was meinst du?", fragte sie und kippelte ungeduldig auf ihren High Heels herum.

    „Ähm?", ich justierte meine Augen, aber da war nichts mehr.

    Werde ich langsam paranoid?

    „Da war ein Schwan", stammelte ich etwas dümmlich.

    „Ja, klar, ein Schwan. Das ist ein See, Giselle, da gibt es Schwäne. Nun komm schon."

    Ich straffte meine Schultern und atmete einmal tief aus. Dann stolperte ich in Richtung Susanne. „Ja, ich komme ja schon."

    „Du bist in letzter Zeit so geistesabwesend, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Susanne mich mehr vorwurfsvoll als besorgt.

    Als ich Susanne eingeholt hatte und hastig versuchte, mich ihrem Tempo anzupassen (sie legte jetzt absichtlich einen Schritt zu), blickte ich nochmals über meine Schulter zurück. Doch da war nur noch ein heller Wirbel im Dunst zu erkennen. Verwirrt schüttelte ich mich.

    Während der Arbeit in der Cocktailbar wurde ich permanent damit aufgezogen, dass ich vor hatte, nach Hawaii auszuwandern und deswegen den Job schmiss.

    Mein Chef war am penetrantesten und schlenderte den gesamten Abend um mich herum, wie eine nervige Scheißhausfliege.

    „Also, Kleines, flüsterte er und griff mir von hinten um die Taille, wie er das bei „seinen Mädchen immer machte, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Ich hasste es und hätte ihm am liebsten in seine Eier getreten, als Abschiedsgeschenk sozusagen, aber dafür war ich definitiv zu feige.

    „Hast du dir das gut überlegt? Hawaii ist teuer und weit weg. Ich war mal da, und ich kann dir sagen, du wirst wieder zurückkommen. Ich halte dir deinen Arbeitsplatz frei." Dabei drückte er sich nun noch fester an mich.

    „Es wird total überschätzt, dieses Hawaii. Und du musst so viel arbeiten, dass du dich schnell nach dem hier zurück sehnen wirst. Mir entging nicht seine doppeldeutige Anspielung „nach dem hier, während er seine Hüfte an mich presste und ich befreite mich energisch aus seinem Griff.

    „Wie gesagt, Vincent, ich gehe erst einmal nur für sechs Monate dorthin, gab ich genervt zurück. „Um mir alles anzuschauen. Ich habe Verwandte dort.

    „Oh Mann. Übertrieben lässig überspielte er meine Abfuhr, „aber jetzt musst du erst einmal einen ausgeben.

    Dann schrie er in den Raum: „Hey, alle Mann aufgepasst, unser Hawaiimädchen hier schmeißt eine Thekenrunde."

    Ich stöhnte genervt, doch kurz darauf fing ich an, für alle einen Drink einzugießen. Das hieß wohl, ich hatte an diesem Abend umsonst gearbeitet.

    „So ein Mist", dachte ich, wo ich doch jede Mark für meine Reise brauchte.

    „Auf dich, Giselle!", rief mein bald Ex-Chef und alle hielten ihr Glas in die Höhe und prosteten mir zu. Ich tat es ihnen gleich.

    „Und wieder, fuhr Vincent mit seiner bissigen Rede fort, „verabschieden wir uns von einer verlorenen Seele, die glaubt, es gibt irgendwo einen besseren Ort als diesen hier. Er machte eine ausschweifende Geste mit der Hand durch seine Bar. „Salute!"

    Ich hätte kotzen können. Da sprach der blanke Neid aus ihm, das war mir klar.

    Trotzdem ärgerte ich mich, dass ich nicht einfach den Mittelfinger hob und verschwand. Ich blieb und lächelte den Rest des Abends gequält.

    „Na dann, alles Gute für dich, Giselle. Ich hoffe, du wirst dort glücklicher. Ich find es echt mutig von dir", verabschiedete sich Susanne nach der Arbeit von mir und nahm mich in den Arm.

    „Hier schien es dir ja nie wirklich gefallen zu haben. Du passt auch irgendwie besser nach Hawaii. Sie musterte mich amüsiert. „Siehst ja schon ein bisschen aus wie eine Hawaiianerin, wenn du nur nicht so blass wärst.

    Ungläubig trat ich einen Schritt zurück und starrte sie fragend an: „Wie meinst du denn das, es hätte mir hier nie gefallen? Wie kommst du darauf?"

    „Na ja, weiß nicht, druckste sie rum, „manchmal wirkst du traurig, als ob du eine unerfüllte Sehnsucht hast.

    „Tatsächlich? Das siehst du, wenn du mich anguckst?"

    „Oder willst du mir erzählen, dass dir die Arbeit hier Spaß gemacht hat? Du gehörst hier nicht hin. Du bist für was Anderes geschaffen. Da bin ich mir sicher."

    „Äh, ich wusste nicht, dass du so über mich denkst", gab ich meine Überraschung preis, denn als Letztes hätte ich von Susanne erwartet, dass sie sich Gedanken über mich machte. Und schon gar nicht solche. Für mich war sie halt immer nur das oberflächliche, immer gut gelaunte Mädchen, das sich den ganzen Tag überlegte, welcher Nagellack zu welcher Handtasche passte.

    Sie knibbelte nervös an ihren langen Ohrringen herum.

    „Ich weiß, dass du mich für oberflächlich hälst, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen, „aber wenn ich eines in meinen neun Jahren hinter der Bar gelernt habe, dann ist es Menschenkenntnis. Ich merke recht schnell, was für eine Person vor mir steht, glaub mir.

    „Neun Jahre? Wow, ich wusste gar nicht, dass du schon so lange dabei bist", staunte ich.

    „Ja, und die nächsten neun Jahre stehen mir schon auf die Stirn geschrieben, da kommt nicht mehr viel Neues. Ich bin und bleibe halt eine Saftschleppe. Sie lachte frech. „Das ist das, was ich am besten kann und was mir Spaß macht.

    So viel Offenheit machte mich ein wenig verlegen. Ich wollte ihr gerne sagen, dass das nicht stimmte, jeder könnte seinen Traum leben, aber ich tat es nicht.

    Susannes Leben war für sie so okay. Außerdem war sie das wohl selbstbewussteste Mädchen, das ich kannte. Dafür habe ich sie immer beneidet.

    „Aber du solltest schleunigst herausfinden, wo dein Platz ist. Du bist viel zu clever, um weiter hier rumzuhängen. Du hast dich echt richtig entschieden und die da drin…, sie zeigte auf die Bar, „sind doch nur neidisch und gefrustet.

    „Das ist echt nett. Danke, Susanne, wirklich."

    „Hey, grinste sie mich an, „wollen wir wieder zusammen zurückgehen?

    „Klar!", antwortete ich spontan.

    Bevor wir losgingen, bot Susanne mir eine Zigarette an und obwohl ich Nichtraucherin war, nahm ich sie an und wir machten uns gemeinsam auf den Heimweg, zurück durch den dunklen Park.

    Auf dem Weg scherzten wir, dass wir beide wohl „verlorene Seelen" waren in den Augen der meisten, und wir belustigten uns über die ekligen Annäherungsversuche von Chef Vincent. Susanne meinte, einen hässlicheren Hintern als Vincents hat sie noch nie gesehen, aber er passt zu seinem Gesicht.

    Ich hustete vor Lachen und von dem Inhalieren des Zigarettenrauchs so sehr, dass sich Susanne kurz Sorgen um mich machte. Doch dann holte sie zwei Flaschen Piccolo aus ihrer Handtasche.

    „Wollen wir auf uns anstoßen?"

    „Du weißt doch, ich vertrag keinen Alkohol, tut mir leid, aber..." Ich kramte schnell in meiner eigenen Handtasche herum und holte eine Dose Cola raus.

    „Tata, rief ich und stieß mit meiner Dose an. „Auf uns!, prostete Susanne mir fröhlich zu.

    „Auf uns", erwiderte ich ebenfalls gut gelaunt und fühlte mich wunderbar frei.

    Eine knappe halbe Stunde später standen wir vor meiner Haustür.

    „Schade", sagte ich und meinte es auch wirklich so.

    Susanne zog die Schultern hoch. „Jetzt heißt es Abschied nehmen. Lass dich nicht unterkriegen, okay?!" Sie gab mir einen Schmatzer auf die Stirn.

    „Versprochen!", sagte ich ihr zum Abschied.

    Sie grinste und schwebte davon. Etwas einsam winkte ich ihr hinterher und betrachtete voller Bewunderung, wie sie auf diesen hohen Absätzen so schnell und elegant laufen konnte. Während ich beschwingt die Treppen zu meiner Wohnung hinauf ging, überlegte ich, ob ich nicht gleich wieder umkehren sollte.

    Vielleicht sollte ich heute ausgehen? Aber mit wem?

    Es war schon nach Mitternacht und Susanne war fort. Meine einzige richtige Freundin Lea konnte ich um diese Uhrzeit nicht mehr anrufen. Außerdem verbrachte sie sowieso die meiste Zeit mit ihrem neuen Freund Guido. Ich könnte es auch machen wie Holden Caulfield in „Der Fänger im Roggen" und alleine durch die Nacht ziehen. Ich ging so langsam, wie es möglich war, die Stufen hoch und dachte darüber nach. Mit der Innenfläche meiner Hand strich ich über die fahle, weiße Wand. Lust hätte ich ja schon, nochmals Abschied von dieser Stadt zu nehmen. Oben in meiner Wohnung würde mich nur das Chaos erwarten, das sich ein paar Tage vor einem Auszug immer einstellte.

    Die meisten Möbel hatte ich verkauft, verschenkt oder verschrottet. Das Bett und ein paar Kartons waren geblieben und ich musste noch einen Haufen Wäsche waschen und Anziehsachen aussortieren, die ich auf meine Reise mitnehmen wollte.

    Doch da stand ich auch schon vor meiner Haustür.

    „Ach, was soll´s, ich bin eben kein weiblicher Holden Caulfield und das ist hier nicht New York City. Ich werde lieber Wäsche waschen", entschloss ich mich. Ich öffnete die Tür zu meiner Wohnung und schmiss meine Tasche auf den Boden im Flur.

    Puuh! Wo soll ich bloß anfangen in diesem Durcheinander?

    Genau, Musik!

    Schnell kramte ich in einem der bereits gepackten Kartons, auf dem „CDs & Bücher behalten" mit schwarzem Edding geschrieben stand. Dann zog ich eine alte CD von The Red Hot Chilly Peppers heraus, die weit oben im Karton lag und suchte meinen CD-Player.

    „Mist!, fluchte ich, denn den hatte ich bereits in einem der Kartons verpackt, die bei Lea zwischengelagert waren. Gerade legte ich die CD zurück in den Karton und wollte ihn wieder verschließen, als ich das Cover von einem meiner Lieblingsbücher, „Der Strand von Alex Garland, unter den CDs hervor blitzen sah. Kurz vor meinem Abenteuertrip nach Hawaii war ich genau in der richtigen Stimmung für diese Lektüre.

    Das Chaos um mich herum ignorierend, rollte ich mich ins Bett und machte es mir gemütlich. Nach siebzig gelesenen Seiten legte ich das Buch zur Seite. Es war bereits nach drei Uhr in der Nacht und ich hatte nichts geschafft. Keine Wäsche gewaschen, keine Sachen gepackt. Müde zog ich meine Jogginghose an und ein schlabberiges T-Shirt, welches ich aus einer Tüte raussuchte, und plumpste zurück ins Bett.

    Eins war klar, ich war weder Holden Claufield noch Richard aus „Der Strand", aber in drei Tagen würde ich nach Hawaii fliegen und nichts und niemand würde mich aufhalten können.

    Es war ein gutes Gefühl, endlich von einer Tagträumerin zu einer Person herangewachsen zu sein, die ihre Träume wahr werden ließ. Schon immer schlummerte in mir der Wunsch, Deutschland zu verlassen und irgendwo in einem sonnigen Land am Meer zu leben. In der Schulzeit hätte ich sehr gerne einen Schüleraustausch in die USA gemacht, aber meine Eltern hatten mich in meinem Vorhaben nicht unterstützt. Nach meiner Schulzeit schuf ich mir keine Möglichkeiten, meinem Traum näher zu kommen. Ich war mit meinen Alltagsproblemen beschäftigt: Geld verdienen und Rechnungen bezahlen. Ich hatte wenig Freunde und meine Freizeit verbrachte ich mit Lesen oder Musik hören. Ein ziemlich einsames und zurückgezogenes Leben. Die Bücher waren meine Freunde.

    Wenn ich kein Buch hatte, war ich auf Entzug, auf der Suche nach einer neuen Lektüre, die mich fesselte und in eine andere Welt entführte. Egal wohin die Reise ging, Hauptsache weg von meiner Welt. Bücher halfen mir sehr, mein Leben nicht selbst zu führen, sondern kurz in die aufregenden Leben der Romanfiguren zu schlüpfen. Das klappte soweit auch prima.

    Nur manchmal im Sommer, und der war bei uns Gott sei Dank nicht lang, wurde ich mit der harten Realität konfrontiert. Diese ganzen, scheinbar total glücklichen und sozial eingebundenen Menschen verließen plötzlich ihre Häuser und tummelten sich auf den Straßen, in den Cafés und in den Parkanlagen herum. Lachend, knutschend, Federball spielend. Ich hasste das. „Wo kommen die denn mit einem Mal nur her?", hatte ich mich dann immer gefragt. Immer wieder hatte ich mit Entsetzen festgestellt, dass ich nicht in der Lage war, so ein Leben zu führen. Nur in meinen Träumen. Ich konnte mir nicht erklären warum, aber es war so.

    Diese Leichtigkeit des Seins, diese Unbeschwertheit im Hier und Jetzt hatte ich selten erlebt. Es gab Zeiten, da hatte ich gedacht, es liegt an meiner Krankheit.

    Als es jedoch mit meinem Herzen durch die Medikamente besser gegangen war, änderte sich nichts in meinem Leben.

    Na, dann lag es womöglich an der verkehrten Stadt, am verkehrten Land, am verkehrten Job. Alles schien mir im Wege zu stehen, um endlich dem Leben, wie ich es mir ersehnte, näher zu kommen. Ich konnte noch nicht mal sagen, was mir Spaß machte, wo ich meine Talente sah. Ein einziges Gefühl, das ich seit meiner Kindheit in- und auswendig kannte, war immer präsent: mein Fernweh. Die besten Erinnerungen meines Lebens waren die, wenn ich in Bewegung war, auf Reise, egal wohin. Alleine der Reiseweg erzeugte bei mir dieses fantastische Gefühl. Dann war ich wunschlos glücklich. Aber was hatte ich daraus gemacht? Ich hatte nie genug Geld gehabt, um zu verreisen, und ich war zu ängstlich gewesen, um einfach so, nur mit ein paar Mark in der Tasche, als Rucksacktouristin loszuziehen. Eine vielgereiste Freundin von mir behauptete ständig, es gibt immer einen Grund, etwas nicht zu tun. Wenn man es aber einfach mal wagt, merkt man erst, wie einfach es ist, die Dinge anzupacken statt sie ständig vor sich her zu schieben.

    Lebe deinen Traum!

    War es so einfach?

    Vielleicht.

    Ich war auf dem besten Weg, es selbst rauszufinden.

    Und endlich war es soweit.

    Ich kaufte schnell noch zwei Reiseführer und ein hawaiianisches Wörterbuch.

    Und dann ging es los. Mein Auto ließ ich gegen zweitausend Mark bei einem Autohändler in der Nähe des Flughafens zurück und freute mich riesig über den Zuwachs in meiner Reisekasse. Weiter ging es mit dem Taxi. Selten war ich in einer so fabelhaften Stimmung. Am Flughafen erwartete mich mein kompletter, sehr überschaubarer Freundes- und Bekanntenkreis. Meine beste Freundin Lea, meine Nachbarin Viktoria mit ihrem Freund Ben und mein Ex-Freund Lars, mit dem ich im letzten Jahr auf der Schule zusammen gewesen war. Lars kam mit einer kleinen, wohl selbstgebackenen Torte und traurigem Dackelblick. Mir war klar, dass Lars immer noch unserer Beziehung hinterher trauerte. Es tat mir sehr leid, ihn so zu sehen, allerdings ärgerte es mich mehr, dass er mir so meine Hochstimmung trübte. Ich tat so, als ob ich mich über die Torte freuen würde und überlegte im nächsten Moment, was ich bloß damit in einem Flugzeug anfangen sollte. Immerhin lag vor mir ein Flug von über zwanzig Stunden. Da war so eine Torte eher hinderlich. Lea schenkte mir ein kleines Fotoalbum mit gemeinsamen Erinnerungsfotos und witzigen Anekdoten dazu. Von meiner Familie war weit und breit niemand zu sehen. Egal! Ich weigerte mich, mir die beste Laune meines Lebens verderben zu lassen. Als endlich auf der Anzeigentafel und durch die Lautsprecher darauf hingewiesen wurde, dass die Passagiere meines Fluges an Bord konnten, war ich heilfroh.

    Nach ein paar Abschiedsfloskeln saß ich tatsächlich im Flieger nach Hawaii.

    Genauer gesagt, erst einmal nach L.A. und nach einem Zwischenstopp von zwei Stunden weiter nach Maui. Dort lebte Peter mit seiner Familie. Erst war ich enttäuscht darüber, dass Peter nicht in Honolulu lebte, da ich ein echtes Großstadtmädchen war. Jedoch hatten Peter und Pela mir versprochen, dass ich alles sehen würde auf meiner Reise, auch den berühmten Waikiki Beach von den Fotos. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Ob das alles Wirklichkeit war? Ich zwickte mir selbst in den Arm. Au! Okay, ich träumte also nicht.

    Als die Stewardess mir eine Decke und ein Kissen für die Nacht bereithielt, war ich bereits neun Stunden unterwegs. Ich fror vor lauter Müdigkeit und kuschelte mich in die Decke. Draußen war es stockfinster, trotzdem haftete sich mein Blick an die Dunkelheit und ich ließ mir Zeit, die letzten Wochen und Tage nochmals Revue passieren zu lassen. Da war das Gespräch mit Peter und Pela Aleuten. Am Tag der Beerdigung in ihrem Hotel. Eigentlich hatte ich im Unterbewussten immer mit der Möglichkeit gerechnet. Doch als Peter mir die Geschichte meiner Oma und Joseph erzählt hatte, erschütterte es mein Innerstes. Es hatte sich angefühlt wie ein Boxhieb in meinen Magen. Mein sicheres Wissen über meine Großeltern war ins Schwanken geraten und natürlich hatte es auch mein bisheriges Verständnis über meine eigene Geschichte verändert.

    „Giselle, es könnte möglich sein, dass mein Vater dein Opa ist und dein Vater mein Halbbruder", hörte ich

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