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Tief Verborgen: Eine Familie - Ein Geheimnis
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eBook266 Seiten3 Stunden

Tief Verborgen: Eine Familie - Ein Geheimnis

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Über dieses E-Book

Eine tolle Mischung aus spannender Familiengeschichte & surrealer Räuberpistole.
Kaum zieht Emma in ihre neue Wohnung ein, holt sie das Geheimnis mit voller Wucht wieder ein. Rot, die Hände voller Blut. Es trocknet bereits, dringt tief in die Haut ein. Das Gesicht? Sie kann es einfach nicht erkennen.
Emma, aufgewachsen im Swan Valley, lebt seit Kurzem in München und studiert Architektur. Im Laufe dieses Sommers durchlebt sie plötzlich ungewöhnliche und gefährliche Situationen. Menschen kommen zu Tode, Missverständnisse bereiten Kummer, Kehrtwendungen bringen Ungewissheit.
Zur Klärung begibt sie sich auf die Reise in die Vergangenheit. Immer auf der Suche, stets begleitet von Menschen, die sie lieben.
Sie spürt, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmt und möchte das Geheimnis lösen.
Emma wird von einem Albtraum verfolgt ...
Emma verliebt sich in Daniele, aber ...
Emma begibt sich auf die Reise und trifft ...
Irgendetwas stimmt nicht, denn ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. Feb. 2014
ISBN9783847645399
Tief Verborgen: Eine Familie - Ein Geheimnis

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    Buchvorschau

    Tief Verborgen - Pia Schenk

    Im Morgengrauen

    Wahnsinnige Schmerzen toben in meinem Kopf, er wird zu schwer für meinen Hals, scheint sich auszuweiten. Ein tief eindringendes, kraftvolles Pochen und Dröhnen, nicht enden wollenden Paukenschlägen gleich. Weiter, weiter, immer weiter, ohne Einhalt bis hin zur Übelkeit. Bitterer Geschmack schießt in meinen Mund, füllt ihn aus. Die hämmernden Qualen lassen nicht nach, sie bleiben. Es ist ganz so, als ob etwas Unbesiegbares in mir gefangen wäre.

    Ich liege im Dunklen, weiß nicht wo. Kann mich kaum bewegen, meinen Körper nicht wirklich spüren. Mit Mühe hebe ich den rechten Arm an und führe die Hand zum Kopf. Gleichzeitig drehe ich mich langsam aus der Rückenlage auf die linke Seite und ziehe die Beine instinktiv an. Meine Finger tasten rau über mein Gesicht, wissen nicht, was sie suchen. Für einen kurzen Moment verweilen sie schützend an der rechten Schläfe. Sie sind ungewohnt taub und doch irgendwie feucht, verschaffen keine Erleichterung.

    Mein Mund ist plötzlich trocken, die Zunge wie angeschwollen. Es ist stickig und meine Hände fühlen sich jetzt seltsam klebrig an. Ich führe beide auf Augenhöhe und richte meinen Blick auf sie. Unwillig - habe kein gutes Gefühl. Sie sind schmutzig, rissig, schmierig. Ich betrachte sie genauer und alles, was ich sehe, ist rot. Meine Hände sind dunkelrot, rot - wie Blut. Von einer dicken Schicht bedeckt, es ist bereits geronnen und die Haut beginnt zu spannen. Ich verspüre Ekel und Juckreiz. Unbeirrt sinkt das Blut weiter, wird von den Poren geradezu aufgesogen und ein süßlicher, verdorbener Gestank findet ohne Gegenwehr seinen direkten Weg in meine Lungen.

    Aufsetzen und gehen", verlangt mein Gehirn, schlägt Alarm.

    Eine Tür.

    Der Weg vom Bett zur Tür scheint nicht weit. Das Ziel fest im Blick behaltend richte ich mich auf. Mein Körper gehorcht mir nur zögerlich. Warum nur? Ich will doch hier weg, raus aus der Düsterkeit, ins Helle, nach Hilfe rufen, lärmen, mich bemerkbar machen.

    Wankend komme ich der Tür näher, spare meine ganze Kraft, um zu brüllen. Ich bin schwach und mir ist schwindelig. Und doch reiße ich den Mund weit auf und kreische so laut ich kann. Meine Lippen bewegen sich heftig, aber kein Ton will aus meinem Mund kommen. Kein Laut.

    Nichts bewegt sich, kein Geräusch durchbricht die absolute Stille. Es ist noch immer dunkel und ich beginne zu frieren. Ein Luftzug, ein starker eiskalter Strom, ich fühle etwas auf mich zukommen. Stechend scharf trifft die Kühle meine Haut, schmiegt sich böse und unaufhaltsam an meine Schulter. Zeigt mir so, aus welcher Richtung sie kommt.

    Ich wende meinen Kopf und erkenne eine weitere Tür. Sie steht offen. Am hölzernen Türrahmen lehnt eine durch und durch dunkle Gestalt, nahezu die gesamte Öffnung ausfüllend. Ihr Umriss ist gut erkennbar, scharf, wie gezeichnet - einem Scherenschnitt gleich. Die dafür verantwortliche, grelle Lichtquelle dahinter blendet mich.

    Wie gerufen und ohne jede Hast schreitet der Schatten in meine Richtung, wird größer und größer. Seine Schuhe verursachen ein unangenehm knirschendes Geräusch auf dem alten Steinfußboden.

    Nein, nicht, lass mich! ", ich bitte und flehe, ich weine.

    Hände kommen auf mich zu, versuchen nach mir zu greifen, verringern den Abstand deutlich. Zu nah!

    Nein, nicht anfassen!"

    Ich habe jetzt solche Angst. Schlimme, schlimme Angst. Angst, Angst, Angst. Eine, die Bewegungen verhindert, blockiert. Der Schreck sitzt fest in meinen Gliedern und macht sie starr. Ich möchte so gerne rennen, aber ich kann nicht, stehe noch immer auf dem gleichen Fleck.

    Die Kontrolle. Ich habe keine Kontrolle mehr über mich selbst - habe sie verloren. Ich bin außer mir. So hilflos.

    Stillstand, Dunkelheit, pures Schwarz.

    Abrupt senkt sich Traurigkeit wie endgültig über mich. Einen Augenblick lang bin ich frei jeder Wahrnehmung. Frei und leicht.

    Aber dann, dann spüre ich sie in mir aufsteigen, sie ist überall, ich kann sie förmlich sehen – die Ausweglosigkeit. Wie ein Strudel nimmt sie mich gefangen, reißt mich mit und ein Schrei, ganz tief von innen kommend, lässt meinen Körper vibrieren.

    Ein Schrei voller Hoffnungslosigkeit dringt nach außen. Gellend und laut flieht er in den Raum, wird von den Wänden abgewiesen und dringt zurück in mein Ohr. Jäh beendet er alles und ich wache, ihn noch aushauchend, wieder auf.

    Atmen! Ich muss tief einatmen, durch die Nase, durch den Mund, Luft holen, die Lungen füllen. Ich muss mich beruhigen. Einatmen, ausatmen.

    Es war ein Traum, ich habe das alles nur geträumt, intensiv. Immer kommt er wieder, so verdammt real und raubt mir alle Kraft, wieder und wieder, der gleiche Traum. Kannte ich diesen düsteren Ort etwa? Das Gesicht, sein Gesicht, so sehr ich mich bemühe, ich schaffe es einfach nicht ihn zu erkennen und das viele Blut.

    Aber jetzt bin ich wach! Ich bin zu Hause und komme langsam der Gegenwart entgegen. Was ruft nur eine solche Angst in mir hervor? Ein ewiges Fragespiel ohne Antworten. Mir ist vorerst nicht mehr zum Denken zumute.

    Dieser Schlaf hatte mir keine Erholung gebracht und ich hatte Bedenken mich wieder hinzulegen. Manchmal träumt man ja dort weiter, wo man aufgehört hatte. Ich wusste nicht, ob ich das wollte, weiterträumen. Die Trennung zwischen nächtlicher Projektion und täglicher Realität schien sich zuweilen sanft aufzulösen. Sie begannen sich gegenseitig zu beeinflussen, gingen ineinander über. Die gefühlte Intensität des Traumgeschehens verwirrte mich, berührte mein Inneres, tief drinnen tat es weh. Alles wirkte so „wahr", so tatsächlich, so echt. Eine Erinnerung? Bleibt aus, fehlt.

    Bereits als Kind schreckte ich mit diesen Visionen aus dem Schlaf. Meine besorgten Eltern brachten mich zu Ärzten und Psychologen, um die nächtliche Ruhe wieder herzustellen. Trotz aller Gespräche und Analysen blieben sie mir erhalten, machten sich allerdings rar mit den Jahren.

    Aber jetzt bin ich froh zu Hause zu sein, ich fühle mich gerne zu Hause. Meine Augen fallen auf vieles, was mir gefällt, was ich gut zu kennen glaube. Allseits von Dingen umgeben, die nur mir etwas bedeuten, mit denen mich eine Geschichte verbindet, die mir Geborgenheit vermitteln.

    Die ersten Sonnenstrahlen treffen zaghaft auf der weitläufigen Dachterrasse ein, locken mich nach draußen. Einfach die Frühe genießen, die Frische des Morgens. Der Tag bricht gerade erst an und unter meinen nackten Füssen spüre ich das erfrischende Nass des Morgentaus, der den gefliesten Boden bedeckt. Schutzsuchend lehne ich mich an das Geländer und lasse meinen Blick wandern. Von Dach zu Dach, über die hohen Bäume hinweg bis zu den bauchigen Türmen der Frauenkirche, im Herzen Münchens.

    Meine Tasche für das kommende Wochenende am See hatte ich bereits gepackt. Ich musste mich nur noch sammeln und anziehen. Das klang einfacher, als es war.

    Würde es denn immer so weitergehen? Würde es denn nie aufhören? Konnte er nicht einfach weggehen, dorthin woher er gekommen war, der Traum.

    Ich holte so tief ich konnte Luft und schmetterte dem Traum und der Welt ein lautes „NEIN" entgegen.

    Das „NEIN tat mir gut. Ich sollte öfter mal „NEIN sagen!

    Aber eigentlich wusste ich genau, - er würde nicht weggehen, einfach so. Irgendetwas mit mir, in meinem Leben stimmte nicht und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Das glaubte ich verstanden zu haben und das musste ich jetzt endlich herausfinden.

    Da mir das Stehen im warmen Morgengrauen vorerst auch nicht weiter half, drehte ich mich um und ging zurück in meine Wohnung.

    Der Druck in meinem Kopf nahm wieder zu.

    Ich verspürte Müdigkeit, Durst und den Wunsch meine Hände zu waschen, - so lange zu waschen, bis sie sauber waren und nur noch klares Wasser an ihnen hinab rann.

    Kapitel 1 Swan Valley I

    Kaum war ich geboren, entschieden sich meine Eltern aus ihrer gewohnten Welt auszubrechen, um weit weg, auf der südlichen Halbkugel, eine neue Existenz aufzubauen.

    Das spurlose Verschwinden meines Großvaters Paul, zehn Jahre zuvor in Südafrika, sowie der plötzliche Unfalltod meiner Großmutter Lena gaben ihnen das nötige Startkapital dazu.

    Vor ihrer endgültigen Abreise mussten sie jedoch noch zwei schwere Hürden nehmen. Zum einen war da die legale Todeserklärung meines Großvaters, welche offiziell erst nach Ablauf der zehnjährigen „Wartefrist" erfolgen konnte. Und zum anderen schmerzte die Beteiligten, der darauf folgende bürokratische Vorgang der Erbteilung, - ein oft so kläglicher Versuch, auf rein rationale Art, die Quintessenz zweier Leben zu teilen. Schwer wog hier besonders, dass eine Entscheidung über den Verbleib des elterlichen Vermächtnisses gefällt werden musste. Aber da auch der Bruder meiner Mutter keinerlei Interesse an der Weiterführung des Familienunternehmens zeigte, wurde der Verkauf, in geschwisterlicher Übereinstimmung und erstaunlich lukrativ, abgewickelt. Die Obstplantage, die dazugehörigen Fabriken, der Weinberg, das elterliche Haus am Bodensee und alle damit verbundenen Erinnerungen existierten fortan nur noch in ihren Gedanken.

    Meine Mutter Carolin litt sehr unter dem Verlust ihrer Eltern, hatte aber - dank der neuen Zukunftsperspektive – wenig Zeit, sich ihrem Kummer hinzugeben.

    Meine Eltern einte eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Es war ihr lang gehegter Wunsch, gemeinsam ein Weingut aufzubauen. Vor der Hochzeit arbeitete mein Vater Nicholas als Bauingenieur beim Straßen- und Brückenbau, vor allem in Westaustralien. Er fühlte sich auf der anderen Seite der Welt sofort wie zu Hause. All seine freie Zeit verbrachte er damit, die abwechslungsreiche Landschaft um Perth auszukundschaften und das mediterrane Klima zu genießen.

    So kam er schließlich auch ins „Swan River Valley", der Name versprach ihm Mystisches. Der Schwanenfluss fließt vom Walyunga Nationalpark aus, auf seinem Weg zum Indischen Ozean, durch das Swan Valley, Perth, Guiltford und Fremantle. Den Namen erhielt der Strom von den schwarzen Schwänen, welche sich längs der Ufer niedergelassen hatten. Dorthin wollte er gehen und dorthin begaben sich nun beide einem ungewissen Glück entgegen.

    Mich ließen sie zunächst zurück im Hause meines Onkels Patrick - dem Bruder meiner Mutter, der mit seiner Frau Sarah und ihrem gemeinsam Sohn Jonah am Starnberger See lebte. Sobald wie möglich wollten sie mich nachkommen lassen.

    Meine Eltern erstanden gemeinsam ein bereits bestehendes Gut am Oberlauf des Swan Rivers, etwa 25 km weit von der Stadt Perth entfernt. Von der stark befahrenen Hauptstraße abgehend, begleitete eine geschwungene Privatallee, mit unzähligen, weißen Oleanderbüschen, den Besucher zum ebenfalls weißen, weit abgelegenen Wohnhaus.

    Im typisch viktorianischen Baustil erbaut, bot es uns Kindern später ausreichend Unterschlupf und reichlich Möglichkeit unsere Fantasie zu entwickeln. Man musste nur wenige Stufen auf einer breiten Treppe nach oben steigen, um auf die rund um das Haus laufende, überdachte Holzterrasse zu gelangen. Auf diesem Niveau lagen der Hauseingang, die Küche sowie der Wohn- und Essbereich. Den zweiten Stock, ausschließlich Schlafdomäne, zeichneten Giebel, Erker und zwei Türme aus, gaben der Idylle etwas Erlauchtes.

    In gebührendem Abstand wuchsen zur rechten Seite ein gewaltiger Eukalyptusbaum und eine Goldakazie, die nur zu gerne blühte. Ringsum erstreckte sich die Weinbepflanzung, die Hügel bedeckend.

    Gerade zum richtigen Zeitpunkt, denn nach einer rückläufigen Phase in den 60er Jahren, begann die Weinproduktion in Australien wieder zu florieren.

    Das noch unbekannte Land, die fremden Menschen und die neue Sprache waren für beide eine große Herausforderung. Und sicher haben sie mir nicht alles wahrheitsgetreu erzählt, aber durch ihren schon fast starren Glauben an die Sache kamen sie voran.

    Das Swan River Valley galt als Wiege des Weinanbaus in Westaustralien. Die Gegend verfügte daher über ein ausreichendes Angebot an Personen mit Fachwissen und somit hatten meine Eltern wenig Sorge damit, Unterstützung zu finden. Carolin, aus einem Agrarbetrieb stammend, hatte Erfahrung und Gespür im Umgang mit Pflanzen und so übernahm sie die Kultivierung der Reben, Shiraz und Sauvignon. Nach der Ernte betreuten sie gemeinsam den Herstellungsprozess, bis hin zur Abfüllung. Carolin war für ihre Kreativität und Nicholas für seine Leichtigkeit, dies in Reichtum zu verwandeln, bekannt.

    Nach doch fast vier Jahren holten sie mich dann endlich zu sich nach Hause. Ich gewöhnte mich schnell an die neue Umgebung, die Erinnerung scheint in diesem Alter gerne zu verblassen. Allerdings war diese neue, intensive Dreisamkeit nur von kurzer Dauer, - vielleicht zu kurz. Denn schon bald nach meiner Ankunft kündigte sich die meiner Geschwister an. So wurden sie also direkt in dieses schöne Leben hineingeboren und wir wuchsen gemeinsam inmitten grüner Reben und schwarzer Schwäne auf.

    Von Beginn an versuchten mir meine Eltern begreiflich zu machen, dass meine späte Ankunft im Swan Valley eine Unumgänglichkeit gewesen sei. Ein Verzicht für sie und für mich, zugunsten einer aussichtsreicheren Zukunft. Sie wollten, dass es mir an nichts fehle, im ersten Lebensjahr. Sie meinten, dass der Anfang hier in Australien, für mich als Baby, zu anstrengend gewesen wäre. Zumal sie auch kaum Zeit übrig gehabt hätten.

    Eigentlich hatten sie nur ein Jahr warten wollen, aber dann waren es doch vier geworden. Sie waren sicher, dass dies an sich nichts Ungewöhnliches sei. Ganz im Gegenteil waren sie davon überzeugt, dass ich bei Sarah, Patrick und Jonah hervorragend aufgehoben gewesen war. Dass ich schließlich erst mit vier Jahren ankam und bald danach noch die Zwillinge, Tim und Maximiliane, geboren wurden, war nicht beabsichtigt sondern einfach so gekommen.

    Meine Eltern versuchten uns Geschwister ebenbürtig zu behandeln, aber wir wollten so gar nicht übereinstimmen. Die drei gilt als besondere Zahl, als perfekt - in der Mythologie, den Naturwissenschaften, der Religion, der Musik. Aber in unserem Falle gelang es mir lediglich, diese Magie infrage zu stellen. Das Verhalten meiner Mutter mir gegenüber beruhte in der Hauptsache auf ihrem schlechten Gewissen. Nicht, dass sie mich nicht liebte - nein. Aber sie zwang mich zu sehr, sie in ihrer Rolle anzuerkennen und zu akzeptieren. In Maximiliane hingegen, auch Lilly genannt, erkannte sie ihr Spiegelbild. Und was sie sah, fand ihren Gefallen.

    Sie hielt uns Kinder gerne wie Fäden in der Hand und zog mit Geschick, den einen hierhin und den anderen dorthin. Um mit einem Hauch von Intrige schließlich immer ihren Willen durchzusetzen.

    Mein Vater hingegen hatte wenig Zeit sich zu kümmern und offen gesagt kümmerte ihn das alles reichlich wenig. Für ihn war es wesentlich und ausschlaggebend eine Familie zu haben, und Unstimmigkeiten waren keine Probleme, sondern Würze. Einen männlichen Erben hatte er auch aufzuweisen und somit würde der Name, die Familie weiter Bestand haben.

    Seine Arbeit war seine ganze Leidenschaft und er ging vollkommen in ihr auf. Nur dann und wann - ließ er von ihr ab. Um Alltagsflucht zu betreiben, einfach so, spontan, wenn auch leider nur sehr sporadisch. Wer ihm in diesem seltenen Moment über den Weg lief, war chancenlos mit von der Partie. Nachtwanderung bei Neumond, Cross-Golf im Weinberg, Ballonfahrt über Perth, zu allem und zu jedem Ja sagen, Krabbenwettessen, Beach Kricket, Mitternachtspicknick mit Lagerfeuer, Kinotriathlon, Kamelritt am Strand … Da ich nie genau wusste, wann es soweit war, trieb ich mich gerne in seiner Nähe herum. „Flüchten" mit meinem Vater konnte nämlich ganz schön schön sein.

    Tim hatte eine, von der Natur bedingte, besondere Beziehung zu seiner Zwillingsschwester und war ein ausgesprochen zurückhaltender, in sich ruhender Junge. Nur reizen durfte man ihn nicht, denn dann kam seine ungeheuer aggressive Veranlagung zum Vorschein. Zur Enthüllung dieser, musste man allerdings einen gewissen Aufwand betreiben und sich dann allerdings am besten verstecken.

    Lilly, als Gegenstück, gefiel es zu gefallen und pflegte keine Distanzen. Sie verfügte über eine ausgeprägte emotionale Intelligenz, welche sie vorzüglich zur Manipulation anderer einsetzte. Wir beide unternahmen nur selten etwas zu zweit. Unsere Ausflüge glichen dann allerdings auch eher einem Wettstreit, als einem gemeinsamen Abenteuer und wir beendeten sie gerne schmutzig, sowie hier und da lädiert.

    Geradezu eingebrannt hat sich die Erinnerung an unsere letzte Mutprobe; dem Ersteigen eines schräg gewachsenen Baumes, welcher weit über ein munteres Bachbett ragte. Infolge eines Unwetters halb entwurzelt und brüchig, fristete er sein Dasein, in dem er sich immer mehr in Richtung Wasser neigte. Lilly stieg zuerst nach oben, den Wipfel fest im Auge. Ich folgte, hielt mich weiter rechts und brach sofort mit einem gewaltigen Ast ins Wasser. Zu Hause angekommen wurde ich, nass und mit blauen Flecken, für mein Benehmen gerügt, während Lilly, vor Tapferkeit glänzend und total trocken, Bewunderung erntete.

    Nicht nur deswegen, aber vielleicht auch weil ich den entspannten Umgang mit meinem Cousin Jonah gewohnt war, fühlte ich mich eher zu Tim hingezogen. Wir beide verbrachten gerne und viel Zeit draußen, ohne zu reden, nur um zu beobachten. Tim entwickelte mit den Jahren ein wahres „Auge", zeichnete, malte und fotografierte. Während ich mich, außer der Ästhetik, gerne der Konstruktion widmete, wie z. B. ein Baumhaus mit Waldmöbeln zu bauen.

    Mit der Zeit wuchsen wir dann doch alle zusammen und jeder suchte sich den Platz, der ihm am besten passte. Ein leicht pendelndes Gleichgewicht hatte sich gefunden.

    Der Besucherstrom auf unserem Gut floss ohne Unterbrechung. Ob nun Freunde, Angestellte, Käufer, Lieferanten, Künstler oder Reisende, alle kamen gerne und wieder. Meine Eltern liebten diesen Trubel, der sie mit Energie zu versorgen schien. Und wer dann doch den Wunsch hegte, gelegentlich einmal auszubrechen, fand in der Gegend rund um Perth nahezu unerschöpfliche Möglichkeiten.

    All das machte mein Leben abwechslungsreich und anregend. Aber nichts und niemand konnte die tiefe Zuneigung, die ich von Sarah erhalten hatte, ersetzen. Manchmal träumte ich sogar von ihr und nur dann war ich fast glücklich.

    Dass sie nicht mehr lebte, erfuhr ich nicht unmittelbar nach ihrem Tode, sondern erst viel später. Eines Morgens, während ihres täglichen Schwimmtrainings, soll sie im Starnberger See ertrunken sein. Ein tragischer Unfall. Sie nie wieder sehen zu können verunsicherte mich sehr und ich beschloss, nie wieder von ganzem Herzen zu empfinden.

    Diese innere Überzeugung verteidigte ich lange erfolgreich und mit Resistenz. Das in der Liebe aufregende Wechselspiel von Melancholie und Euphorie fand in mir keinen Partner.

    Daniele kannte ich da noch nicht, aber mit ihm sollte sich alles für mich ändern.

    Mit einer Leichtigkeit setzte er sich über meine Vorsicht hinweg, rannte meine Klippen hinauf und Schranken hinunter. Er versetzte mich in einen, für mich exotischen, unkontrollierbaren Gefühlsstatus, den ich erst näher kennenlernen

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