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4 Extra Thriller Januar 2023
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eBook553 Seiten6 Stunden

4 Extra Thriller Januar 2023

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Über dieses E-Book

4 Extra Thriller Januar 2023
(499)
von Alfred Bekker, Franklin Donovan



Der Umfang dieses Buchs entspricht 550 Taschenbuchseiten.



Dieses Buch enthält folgende Romane:





Franklin Donovan: Trevellian und die Killer-Ballade

Alfred Bekker: Die Waffe des Skorpions

Alfred Bekker: Böser Bruder

Alfred Bekker: Wir fanden Knochen





Enrique Beltran hasste New York. Die riesige Steinwüste am Hudson River war viel kälter als seine mexikanische Heimat. Die New Yorker hetzten, drängelten, rasten. Die eleganten Ostküsten-Ladys warfen Beltran arrogante Blicke zu. Sie behandelten ihn wie Luft.

Dabei wollte der Mexikaner unbedingt im Mittelpunkt stehen. Darum war er Sänger geworden. Aus diesem Grund schrieb er Lieder, die es in sich hatten. Seine Texte waren schärfer und verletzender als Giftdolche. Den Menschen sollten seine Killerballaden in den Ohren dröhnen.

Hier, an der Ostküste, war man endlich auf ihn aufmerksam geworden. Und deshalb liebte Enrique Beltran New York. Hier würde er endlich ein Superstar werden, dachte Beltran.
SpracheDeutsch
HerausgeberCassiopeiaPress
Erscheinungsdatum17. Jan. 2023
ISBN9783753207865
4 Extra Thriller Januar 2023
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    4 Extra Thriller Januar 2023 - Alfred Bekker

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author 

    COVER A.PANADERO

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

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    4 Extra Thriller Januar 2023

    von Alfred Bekker, Franklin Donovan

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 550 Taschenbuchseiten.

    Dieses Buch enthält folgende Romane:

    ––––––––

    Franklin Donovan: Trevellian und die Killer-Ballade

    Alfred Bekker: Die Waffe des Skorpions

    Alfred Bekker: Böser Bruder

    Alfred Bekker: Wir fanden Knochen

    Trevellian und die Killer-Ballade

    von Franklin Donovan

    ––––––––

    Enrique Beltran hasste New York. Die riesige Steinwüste am Hudson River war viel kälter als seine mexikanische Heimat. Die New Yorker hetzten, drängelten, rasten. Die eleganten Ostküsten-Ladys warfen Beltran arrogante Blicke zu. Sie behandelten ihn wie Luft.

    Dabei wollte der Mexikaner unbedingt im Mittelpunkt stehen. Darum war er Sänger geworden. Aus diesem Grund schrieb er Lieder, die es in sich hatten. Seine Texte waren schärfer und verletzender als Giftdolche. Den Menschen sollten seine Killerballaden in den Ohren dröhnen.

    Hier, an der Ostküste, war man endlich auf ihn aufmerksam geworden. Und deshalb liebte Enrique Beltran New York. Hier würde er endlich ein Superstar werden, dachte Beltran.

    ***

    Noch ahnte Beltran nicht, dass er nur noch eine halbe Stunde zu leben hatte. Der gebürtige Mexikaner schlenderte durch El Barrio. So wurde der Teil von Harlem genannt, in dem überwiegend Latinos lebten.

    Wäre der kalte Wind vom East River nicht gewesen, Beltran hätte sich wie in Mexiko fühlen können. Überall roch es nach heißen Tacos und Burritos, aus den Bars tönte traditionelle Mariachi-Musik. Beltran grinste. Mit solchen sentimentalen Liebesliedern konnte man seiner Meinung nach keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Die moderne Zeit brauchte Sänger wie ihn, Enrique Beltran. Das war seine feste Überzeugung.

    An diesem Tag hatte Beltran richtig gute Laune. Selbst das kühle New Yorker Wetter machte ihm nichts mehr aus. In seiner Fantasie sah er sich schon als gefeierten Star der Latino-Musikwelt, von Mexico City bis Lima, von Kuba bis Paraguay.

    Und dann erblickte er Florentina. Mit ihren engen Hüftjeans ,und dem bauchfreien Pullover war sie ein echter Blickfang.

    Die junge Schönheit aus El Salvador arbeitete nur stundenweise an diesem Getränkestand in der West 116th Street. Daher wusste der Mexikaner nie, wann er sie treffen konnte. Bisher hatte sie ihn immer abgewiesen. Aber Beltran glaubte, dass an diesem Tag seine Glückssträhne begann. Daher wollte er bei Florentina einen neuen Eroberungsversuch starten.

    Die Salvadorianerin rollte bereits genervt mit den Augen, als sie Beltran auf sich zukommen sah. Dieser mexikanische Dummschwätzer war einfach nicht ihr Typ.

    »Buenos Dias, meine Schöne!«

    »Ich bin nicht deine Schöne, sondern die Limonadenverkäuferin von Señor Rodriguez. Und ich stehe mir hier nicht zu meinem Vergnügen die Beine in den Bauch.«

    »Warum so zickig, Florentina?« Beltran holte mit großer Geste eine Dollarnote aus der Tasche. »Eine eiskalte Orangenlimo für mich. Ich kann eine Abkühlung gebrauchen.«

    Florentina machte sich an der Zapfanlage zu schaffen. Giftig gelbe Flüssigkeit rann in einen Plastikbecher. Die Verkäuferin sparte nicht mit den Eiswürfeln.

    »Hier, dein Softdrink.« Sie kassierte und legte das Wechselgeld hin. »Und warum bist du so erhitzt bei dem ungemütlichen Wetter?«

    »Dein Anblick lässt mein Blut brodeln. - Nun schau mich nicht so vernichtend an, Florentina. Das war nur ein Scherz. In Wirklichkeit habe ich hart an meinen neuen Liedern gearbeitet, Tag und Nacht. Nun sind sie endlich fertig. Und ich habe echtes Dynamit produziert, das kannst du mir glauben.«

    Die Salvadorianerin war wenig beeindruckt.

    »Dynamit, soso. Hast du deshalb deinen Fanklub gleich mitgebracht?«

    »Was für ein Fanklub?«

    Beltran wollte sich umdrehen. Und dann ging alles ganz schnell. Einer der drei Männer, die ein Stück weit hinter dem Mexikaner standen, hielt plötzlich eine Pistole in der Hand. Die Waffe krachte zweimal hintereinander. Schon beim ersten Schussgeräusch warf sich Florentina geistesgegenwärtig zu Boden. Sie wusste, wie schnell man sich im Big Apple eine Kugel einfangen konnte.

    Doch keines der beiden Geschosse traf die junge Frau. Stattdessen schlugen sie in Beltrans Schädel ein. Das erste Projektil traf seinen Hinterkopf, das zweite hackte seitlich in seine linke Schläfe. Er war schon tot, als er mit dem Gesicht nach unten zu Boden ging-Florentina schrie entsetzt auf, denn plötzlich war überall Blut. Auch einige andere Passanten suchten entsetzt Deckung und riefen um Hilfe. Doch von den drei Männern ging einstweilen keine Bedrohung mehr aus. Sie stiegen in einen Buick und fuhren Richtung Midtown Manhattan davon.

    Beltran lag auf der Kante zwischen Gehweg und Fahrbahn. Sein Blut sickerte in den Rinnstein.

    ***

    Für Milo und mich begann dieser Arbeitstag mit einer Besprechung im Dienstzimmer von Mr McKee. Pünktlich fanden wir uns im FBI Field Office an der Federal Plaza ein. Die bezaubernde Sekretärin unseres Chefs hatte bereits für köstlichen Kaffee gesorgt. Mandy begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln.

    Jonathan D. McKee nickte uns freundlich zu und bat uns mit einer knappen Handbewegung, Platz zu nehmen. Nachdem wir auf den Besucherstühlen saßen, schauten wir ihn erwartungsvoll an. Assistant Director McKee faltete seine schmalen Künstlerhände auf der Schreibunterlage seines penibel aufgeräumten Tisches.

    »Gestern hat es eine Schießerei in El Barrio gegeben, wie Spanish Harlem ja seit einiger Zeit genannt wird. Die Tat erinnert an eine Exekution. Es wurden zwei Schüsse von hinten abgegeben, aus einer Distanz von ungefähr sechs Yards. Das Opfer hatte keine Chance.«

    »Gibt es schon Erkenntnisse über den Ermordeten, Sir?«

    »Negativ, Jesse. Es handelt sich um einen jungen Latino, vermutlich Mitte zwanzig. Er hatte keine Ausweispapiere bei sich. Das NYPD geht davon aus, dass es sich um einen illegalen Einwanderer handelt.«

    »Das klingt für mich nach einer Abrechnung im Gangmilieu«, sagte ich. »Gibt es Tätowierungen, die auf eine Bandenzugehörigkeit hindeuten?«

    »Nein, das nicht. Der Mann befand sich an einem Getränkestand, als die Schüsse fielen. Die Verkäuferin könnte etwas gesehen haben. Aber sie ist spurlos verschwunden.«

    »Zeugen leben manchmal gefährlich«, grollte Milo. »Warum ist dieser feige Mord eigentlich ein FBI-Fall, Sir? Für Gang-Verbrechen hat das NYPD doch eine eigene Task Force.«

    »Das stimmt, Milo. Allerdings hat sich bei einem Eiltest im Kriminallabor gezeigt, dass die Schüsse aus einer registrierten Pistole abgegeben wurden. Besagte Waffe fand bereits vor zwei Jahren bei einem Raubüberfall in New Jersey Verwendung.«

    Ich nickte. Dadurch, dass die Waffe in zwei US-Bundesstaaten für Verbrechen benutzt wurde, ging der Fall automatisch an uns, das FBI.

    »Gibt es weitere Zeugen?«, hakte ich nach. Der Chef schüttelte den Kopf.

    »Als ein Patrolcar eintraf, war der betreffende Straßenabschnitt der West 116th Street wie leergefegt. Die Kollegen vom Police Department konnten immerhin feststellen, wem der Getränkestand gehört. Die Leiche des Ermordeten befindet sich in der Gerichtsmedizin. Sobald es Erkenntnisse von der Obduktion gibt, werden Sie informiert. Ansonsten sprechen Sie am besten mit den Beamten beim zuständigen Precinct.«

    »Das werden wir tun, Sir.«

    Milo und ich erhoben uns von unseren Stühlen und eilten hinaus. In meinem Sportwagen-E-Hybriden fuhren wir nach Harlem, zur 25. Revierwache in der 119th Street.

    »Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist ein neuer Bandenkrieg«, sagte Milo, als wir aus dem Wagen stiegen. »Die Gangs halten gerade ausnahmsweise einmal die Füße still. Wenn neue Revierkämpfe drohen, dann wird bald das gesamte Barrio einem Hexenkessel gleichen.«

    »Gerade darum ist es wichtig, jetzt sofort einzugreifen«, erwiderte ich. »Ich bin gespannt, was die Kollegen uns erzählen können.«

    Wir hatten Glück. Die jungen uniformierten Cops, die als Erste am Tatort gewesen waren, traten gerade wieder ihre Schicht an.

    »Es gab also wirklich keine Zeugen?«, vergewisserte ich mich. Officer Jay Kaminski schüttelte den Kopf.

    »Aber an diesem Getränkestand muss jemand gearbeitet haben, G-Man. Der Inhaber heißt Paco Rodriguez. Er lässt ständig wechselnde Aushilfen Limo verkaufen, möglichst weiblich, jung und hübsch...«

    Seine Dienstpartnerin Officer Laurie Webster lachte und knuffte dem Cop freundschaftlich in die Seite.

    »Das stimmt, Jay kriegt immer Stielaugen, wenn wir an dem Getränkestand vorbeifahren.«

    Ich schrieb mir auf, wo wir diesen Rodriguez erreichen konnten. Er musste ja wissen, welche seiner Angestellten zur Tatzeit vor Ort gewesen war.

    »Ist euch sonst noch etwas aufgefallen?«, fragte Milo.

    Jay Kaminski und Laurie Webster verneinten.

    »Wie gesagt, es gab unmittelbar am Tatort keine Zeugen«, meinte die junge Polizistin nach kurzem Nachdenken. »Aber ein Zeitungsverkäufer hat einen Block weiter südlich kurz nach den Schüssen einen Wagen in die Lenox Avenue einbiegen sehen. Könnte ein Chevy oder Buick gewesen sein. Aber er wollte sich nicht festlegen.«

    Ich nickte. Da wir als FBI den Fall übernahmen, hatten die Detectives des Police Department nicht weiter ermittelt. Mehr Informationen als von diesen uniformierten Cops würden wir einstweilen nicht bekommen. Wir bedankten uns und verließen den Precinct.

    »Willst du diesem Rodriguez auf den Zahn fühlen, Jesse?«

    »Du hast es erraten.«

    ***

    Der Besitzer des Getränkestandes hatte eine Gewerbeanmeldung für sein Geschäft, was bei vielen fliegenden Händlern auf den Straßen von New York nicht selbstverständlich ist. Trotzdem war er schwer zu finden. Seine Geschäftsadresse in der Amsterdam Avenue sah mir verdächtig nach Briefkastenfirma aus. Sein privates Apartment war eine Bruchbude in Whitestone, Queens. Immerhin gab es dort eine neugierige Nachbarin, die uns einen Hinweis geben konnte.

    »Der Dicke ist selten hier«, plärrte sie. »Er hängt immer in so einer Texmex-Bar im Barrio herum.«

    »Und wie heißt der Laden genau?«, bohrte Milo nach.

    Die Frau legte die Stirn in Falten, wodurch die rosafarbenen Lockenwickler auf ihrem Kopf in Bewegung gerieten.

    »Rio Grande Girls, glaube ich. Irgendwo an der Lenox Avenue.«

    »Rio Grande Girls, kaum zu glauben«, murmelte Milo, als wir wieder in meinem roten Boliden saßen. »Immerhin ist es nicht weit vom Tatort bis zur Lenox Avenue.«

    »Mit den Schüssen wird dieser Señor Rodríguez wohl nichts zu tun haben, falls er wirklich vom Limonadenverkauf lebt. Dieses Verbrechen hat seinem Geschäft jedenfalls ziemlich geschadet. Seine Verkäuferin ist glatt getürmt.«

    »Stimmt genau, Jesse. Ich frage mich, ob sie auch die Kasse mitgenommen hat.«

    »Das wird uns Rodríguez schon verraten.«

    Doch so weit kam es vorerst nicht. Als wir das Rio Grande Girls betraten, verstummten dort schlagartig alle Gespräche. Die Bar war ein schlauchartiger düsterer Raum mit schäbiger Einrichtung. Selbst bei dem schummerigen Licht war der überall vorhandene Schmutz unübersehbar.

    Obwohl die Bar schäbig und trist wirkte, verkörperte sie doch ein Traumbild vom guten Leben, das diese Menschen hier hatten. Die meisten von ihnen hatten ihrer Heimat den Rücken gekehrt, weil sie dort unter noch viel erbärmlicheren Bedingungen hausten. Selbst die übelste Bar in New York City war für sie schon ein Teil ihres ganz persönlichen amerikanischen Traums.

    In der Bar hielten sich ein gutes Dutzend Menschen auf, die meisten von ihnen männliche Latinos. Doch es gab auch einige Mädchen und Frauen, die offenbar aus Süd- und Mittelamerika stammten. Jedenfalls sprachen sie alle Spanisch miteinander.

    »La policia!«, rief jemand mit sich überschlagender Stimme. »La Migra!«

    Ich wusste, dass die Beamten von der Einwanderungsbehörde im spanischen Straßenslang »La Migra« genannt wurden. Offenbar hielten die Barbesucher uns für Einwanderungsbeamte. Und außerdem schien das Rio Grande Girls keinen Hinterausgang zu besitzen. Jedenfalls stürmten die Latinos alle gleichzeitig auf uns los. Im ersten Moment glaubte ich, sie griffen uns an.

    Doch die Leute wollten nur fliehen. Dabei standen wir ihnen allerdings im Weg. Ich hatte nicht vor, mich von einer wild gewordenen Menge zu Boden trampeln zu lassen. Milo ging es gewiss genauso. Das konnte schnell gefährlich werden.

    »FBI! Niemand verlässt den Raum!«, rief ich. Doch damit machte ich alles nur noch schlimmer. Fäuste flogen, Ellenbogen wurden eingesetzt. Wir mussten uns unserer Haut wehren, um nicht einfach umgeworfen zu werden. Ich schickte einige Männer mit gezielten Kinnhaken zu Boden. Milo musste von einem Kerl mit rasiertem Schädel einen Kopfstoß in die Magengegend einstecken. Doch mein Partner drehte sich schnell, sodass er nicht die volle Wucht abbekam. Milo stellte dem Angreifer ein Bein, und dieser ging zu Boden.

    Und dann war der Spuk vorbei. Von den Männern und Frauen, die verschwunden waren, besaß gewiss keiner eine Aufenthaltserlaubnis. Doch das war jetzt nicht unser Anliegen. Wir suchten Paco Rodriguez.

    Wir fanden ihn selig schlummernd in einer Sitznische.

    »Das muss er sein«, bemerkte Milo trocken. »Jedenfalls, wenn die Nachbarin recht hat.«

    Die Lockenwickler-Lady hatte Rodriguez einen Dicken genannt. Die Figur dieses Kerls erinnerte wirklich an die eines Walrosses. Über seinem Bauch spannte ein Freizeithemd, das mit zahlreichen kleinen Eiffeltürmen bedruckt war.

    »Ein Mann von Welt«, lachte mein Freund. »Mal sehen, ob er wasserscheu ist.«

    Milo griff sich einen Sodawasser-Siphon und jagte dem Schlummernden eine Ladung von dem kühlen Nass ins Gesicht. Der Kerl riss seinen Mund auf, als käme er gerade von einer Tiefsee-Tauchtour zurück an die Meeresoberfläche.

    »Was ist...«

    »Paco Rodriguez?«, fragte ich laut und deutlich.

    »Jaaaa...«

    Wir hielten Rodriguez unsere FBI-Dienstausweise vor die Nase. Das ernüchterte ihn mehr als alles Sodawasser dieser Welt. Schlagartig verwandelte sich der Angetrunkene in einen unterwürfigen Musterknaben. Doch mir konnte er nichts vormachen. Dieser Rodriguez hatte etwas zu verbergen, das sagte mir meine langjährige Diensterfahrung.

    »Sie haben von den gestrigen Schüssen an Ihrem Verkaufsstand an der West 116th Street gehört, Mister Rodriguez?«, begann ich.

    Er nickte.

    »Deswegen musste ich ja Trost im Tequila suchen, G-man.«

    Rodriguez deutete auf eine leere Schnapsflasche, als ob diese irgendetwas beweisen würde. Dass er nicht mehr nüchtern war, konnten wir auf drei Meilen gegen den Wind riechen. Vor Gericht würde seine Aussage keinen Bestand haben, das war uns selbst klar. Doch wir brauchten für unsere Ermittlungsarbeit auch den kleinsten und scheinbar unwichtigsten Hinweis.

    »Sie haben wegen des Mordes getrunken?«, hakte ich nach. »Kannten Sie das Opfer?«

    »Das nicht, aber diese Florentina -sie ist mit dem Wechselgeld getürmt. Deshalb musste ich mir einen hinter die Binde gießen.«

    Rodriguez warf mir einen halb ängstlichen und halb hasserfüllten Blick zu. Vermutlich fragte er sich selbst, ob er sich gerade um Kopf und Kragen redete. Jetzt ließen wir ihn jedenfalls nicht mehr vom Haken. Meine Fragen kamen nun Schlag auf Schlag.

    »Ist Florentina die junge Lady, die an Ihrem Verkaufsstand Limonade ausgeschenkt hat?«

    »J-ja.«

    »Hat diese Florentina auch einen Nachnamen?«

    Rodriguez stockte. Er überlegte anscheinend, wie viel er uns verraten durfte. Ich lächelte ihn an.

    »Sie wollen doch gewiss Ihr Wechselgeld zurückbekommen, Mister Rodriguez?«

    Er nickte eifrig.

    »Und ob Ihre Angestellten eine Aufenthaltserlaubnis haben, kümmert uns wenig«, ergänzte Milo. »Wir sind nicht von der Einwanderungsbehörde, sondern jagen einen Mörder.«

    Der Geschäftsmann rang nach Luft.

    »Also gut, Agent. Florentina heißt mit Nachnamen Lopez. Sie haust als Untermieterin bei einem anderen Salvadorianer namens Jaime Valdez. Sie stammt selbst ebenfalls aus El Salvador.«

    Rodríguez nannte uns die Adresse. Die Straße befand sich auch in El Barrio.

    »Warum sind Sie dort nicht schon hingegangen, um Ihr Wechselgeld einzufordern?«, wollte ich wissen.

    »Dieser Jaime ist ein Loco, ein Verrückter. Er verliert schnell die Beherrschung«, jammerte Rodríguez.

    »Und warum haben Sie nicht die Cops verständigt?«, fragte ich. Darauf erwiderte Rodríguez nichts mehr. Er blickte zu Boden.

    ***

    Ich beantwortete die Frage selbst, als wir wenig später wieder im Auto saßen.

    »Wer geht schon zur Polizei, wenn er eine illegale Einwanderin beschäftigt?«

    »Da hast du recht, Jesse. Rodríguez ist doch cleverer, als ich zunächst dachte.«

    Wir erreichten das Haus, in dem die mögliche Zeugin wohnen sollte. Es war ein trister Wohnblock in der Edgecombe Avenue. Dieser Jaime Valdez, bei dem Florentina hauste, hatte ein Apartment im fünften Stockwerk. Wir erklommen die Treppe. Der Aufzug war kaputt.

    Milo und ich stellten uns links und rechts von der Tür auf. Ich schlug mit der Faust gegen das billige Holz.

    »Florentina Lopez? FBI New York. Öffnen Sie die Tür.«

    Von drinnen waren einige halblaute Sätze auf Spanisch zu hören. Im nächsten Moment dröhnte ein Schuss. Ein großkalibriges Projektil stanzte ein Loch in die Tür. Eine Frau kreischte, ein Mann stieß raue Schreie aus. Die Waffe wurde noch einmal abgefeuert. Milo und ich zogen unsere Pistolen. Mit einem schnellen Blick verständigten wir uns.

    Ich trat die Tür ein, während mein Partner mir mit seiner SIG Sauer im Beidhandanschlag Deckung gab. Das winzige Apartment bestand nur aus einem Raum. Dort lag eine Frau im Unterrock auf einem zerwühlten Bett. Sie schrie unverständliche Satzfetzen und hielt sich die Hände vor die Augen.

    Wollte sie nicht sehen, was geschah? Oder war sie so berauscht, dass sie ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren konnte? Das war momentan nicht meine größte Sorge, denn ihr Begleiter nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

    Mitten im Zimmer stand ein junger Mann mit kahlrasiertem Schädel und wild tätowierten Armen. Er trug nur ein T-Shirt und eine Armyhose. Sein flackernder Blick deutete darauf hin, dass er mit Drogen vollgepumpt war. Das stand für mich fest. Dieser Glatzkopf war unberechenbar. Er würde morgen nicht mehr wissen, was er heute getan hatte. Das machte ihn so gefährlich.

    Die schwere.357er Magnum in seiner rechten Faust deutete genau auf mein Gesicht. Wenn ich jetzt einen Fehler machte, war ich tot.

    »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich so ruhig wie möglich und schaute dem Kerl direkt in die Augen. Mir fiel Rodriguez wieder ein, der Jaime Valdez als einen Verrückten bezeichnet hatte. Nun, das konnte ich ihm nicht verdenken. Auf jeden Fall zitterte der Kahlrasierte vor Wut, ohne dass es einen erkennbaren Grund gab.

    »Nichts ist in Ordnung«, röchelte er. Dabei fuhr er sich mit der Zungenspitze über die rissigen Lippen. Er hatte anscheinend großen Durst. Auch das deutete auf Drogenkonsum hin.

    Ich war völlig konzentriert. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass nun auch Milo in der Wohnung stand. Mein Freund richtete seine Dienstwaffe ebenfalls auf den Durchgedrehten. Aber trotzdem konnte Valdez immer noch sehr viel Unheil anrichten.

    »Florentina«, sprach ich die Frau an. »Sagen Sie Ihrem Freund, er soll aufgeben. Noch ist nichts Schlimmes passiert.«

    Die Salvadorianerin versuchte, sich zusammenzureißen. Ihre Stimme zitterte, als sie das Wort ergriff.

    »Sie... Sie kennen ihn nicht. Er lässt sich nichts gefallen.«

    »Verdammt richtig!«, brüllte Valdez. »Und schon gar nicht von Bullen!«

    Nur meine Beobachtungsgabe konnte mich retten. Ich warf mich in der Zehntelsekunde zur Seite, bevor der Kerl seinen Finger um den Abzug krümmte. Eine unterarmlange Flammenzunge leckte aus der Mündung seiner großkalibrigen Waffe. Aber das Geschoss verfehlte mich.

    Von meiner liegenden Position aus feuerte ich zurück. Meine Patrone traf Valdez in die Wade und riss ihn von den Beinen. Die Pistole fiel ihm aus der Hand. Milo sprang vor und trat die Waffe von ihm weg. Außerdem ließ er den Täter in die Mündung seiner Dienstpistole blicken.

    »Keine Bewegung mehr, Valdez! Hände an den Kopf!«

    Blut sickerte aus dem Bein des Angeschossenen auf den dreckigen Teppichboden. Der Schock schien ihm seine Aggressivität vorerst ausgetrieben zu haben. Trotzdem legten wir ihm sicherheitshalber Handschellen an. Milo verständigte per Handy eine Ambulanz.

    Ich wandte mich inzwischen an die Frau.

    »Ich bin Agent Trevellian, FBI New York. Das ist mein Kollege Agent Tucker. - Sie sind doch Florentina Lopez, nicht wahr?«

    »Ja, die bin ich.« Tränen rannen aus ihren Augen. »Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand Jaime in den Weg gestellt hat. Er ist - wie eine Dampfwalze.«

    »Auch eine Walze kann gegen eine Häuserwand fahren. Warum hat er auf uns geschossen? Wir wollten nur mit Ihnen reden, Miss Lopez.«

    »Ich - Sie verstehen das nicht. Jaime hasst Bullen. Er wollte, er dachte - ach, ich weiß auch nicht.«

    »Jedenfalls war es nicht sehr klug von ihm, einfach zu schießen. Mordversuch an zwei FBI-Agents ist kein Kavaliersdelikt.«

    Ich wollte noch weitersprechen, aber in diesem Moment kamen die Sanitäter und der Notarzt. Außerdem erschienen noch zwei uniformierte Kollegen vom NYPD. Ich bat darum, dass der Verwundete in die Krankenabteilung von Rikers gebracht wurde. Auf der Gefängnisinsel ist man auf aggressive Täter unter Drogeneinfluss bestens vorbereitet.

    »Ziehen Sie sich bitte etwas über und begleiten Sie uns zur Federal Plaza«, sagte ich zu Florentina Lopez.

    »Bin ich verhaftet?«

    »Es geht uns um Ihre Zeugenaussage zu der Schießerei an der West 116th Street«, erklärte ich. Aber ich fügte hinzu: »Doch wenn Sie wollen, können wir Sie auch nach Ihrer Aufenthaltserlaubnis fragen.«

    Die Lopez biss sich auf die Unterlippe. Sie verschwand in dem winzigen Bad und kehrte wenig später in einem Kleid, Strumpfhosen und Pumps zurück. Milo musste sich auf den Notsitz quetschen, während Florentina auf dem Beifahrersitz meines Sportwagen-E-Hybriden Platz nehmen durfte. Sie bekam große Augen.

    »Wow, was für ein Wagen.«

    »Das höre ich öfter«, gab ich zurück.

    Florentina löcherte mich mit Fragen zu meinem roten Flitzer. An den verletzten Jaime oder ihre eigene Lage verschwendete sie scheinbar keinen Gedanken mehr. Diese Sorte Mensch habe ich als FBI-Agent schon oft genug kennengelernt. Sie leben hundertprozentig in der Gegenwart und machen sich keine Gedanken über die Zukunft. Als Zeugen sind sie leider meist ziemlich unbrauchbar. Doch wir waren auf Florentina angewiesen, wenn wir mehr über die Hintergründe des Mordes erfahren wollten.

    ***

    An der Federal Plaza gingen wir in einen freien Verhörraum. Ich belehrte Florentina über ihre Rechte und stellte klar, dass wir sie nicht als Beschuldigte vernahmen.

    Milo sorgte für Kaffee und Kekse, auf die sich die Salvadorianerin begeistert stürzte.

    »Sie wissen, wie man eine Frau glücklich macht, Agent Tucker«, sagte sie und schenkte Milo einen verheißungsvollen Blick. Mein Freund ist normalerweise keinem Flirt abgeneigt, aber nicht bei einer Frau wie Florentina Lopez. Daher blieb er zurückhaltend.

    »Erzählen Sie uns bitte, was gestern passiert ist, Miss Lopez.«

    »Ach, das ist schon so lange her. Wen kümmert das?«

    »Das hier ist kein Spiel«, sagte ich scharf. »Wir benötigen Ihre Aussage, um einen Mordfall aufzuklären. Und wenn Sie uns etwas verschweigen, dann sind Sie wegen Beihilfe dran.,«

    Diese klare Ansage wirkte. Jedenfalls bemühte sich die junge Frau nun offenbar, ihr Gedächtnis auf Trapp zu bringen.

    »Ich habe mal wieder für diesen Blutsauger Rodríguez gearbeitet, an seinem Limostand. Also, an dem in der West 116th Street.«

    »Hat er noch weitere?«

    »Ja, Agent Trevellian. Sechs oder sieben Stück, glaube ich. Der Fettsack macht doch selbst keinen Finger krumm. Stattdessen lässt er uns Mädchen für einen Hungerlohn schuften. Na ja, aber wenigstens will er keine gültigen Papiere sehen. Juanita, die wollte einen richtigen Arbeitsvertrag. Da hat er...«

    Ich schnitt ihr das Wort ab. Florentina war unkonzentriert. Juanitas Jobprobleme interessierten das FBI nicht.

    »Kommen wir zurück auf gestern, Miss Lopez.«

    »Können Sie nicht lieber Florentina sagen? Das bin ich so gewohnt.«

    »Also gut, Florentina. Was ist genau geschehen?«

    »Dieser Typ kam an meinen Stand. Er wollte gar keine Limo, er hatte es auf mich abgesehen.«

    »Wie meinen Sie das?«

    Florentina Lopez kicherte albern.

    »Ach, das wissen Sie doch genau, Agent Trevellian. Er wollte mich anbaggern. Haben Sie noch nie eine Lady angebaggert? Sie sehen doch gut aus, und...«

    »Wir reden hier nicht über mich, Florentina. Sie erzählten eben von einem Typen. Sprechen Sie von dem Mann, der erschossen wurde?«

    »Ja, genau der.«

    »Kennen Sie seinen Namen?«

    »Nur seinen Vornamen. Er heißt Enrique. Blöd, oder? Obwohl er ja nichts dafür kann. Und er stammt aus Mexiko. Und angeblich ist er ein Sänger, und zwar ein ganz toller.«

    »Ein Sänger?«, hakte ich nach. »Hat er etwas von Auftritten gesagt? Vielleicht in einem der mexikanischen Lokale, die Live-Musik anbieten?«

    »Davon weiß ich nichts, Agent Trevellian. Er meinte nur, seine neuen Lieder wären wie Dynamit. Er hätte Tag und Nacht daran gearbeitet.«

    »Das klingt für mich danach, als ob er die Lieder selbst komponiert hätte. Und die Texte geschrieben.«

    Florentina lachte noch einmal.

    »Ich glaube nicht, dass er eine besonders große Leuchte war. Ich kenne die Männer, Agent Trevellian. Enrique war ein kleiner Angeber, der mich beeindrucken wollte. Da hat er sich einfach irgendetwas ausgedacht.«

    »Sie meinen, die Sache mit den Liedern war erfunden?«

    Florentina hob die Schultern.

    »Keine Ahnung. Ich kannte den Typen doch kaum. Wissen Sie, wie oft ich tagtäglich angequatscht werde? Der dicke Rodríguez weiß doch ganz genau, warum er nur hübsche Mädchen einstellt. Sonst würde doch kein Mensch seine Dreckslimonade kaufen wollen.«

    »Lassen wir die Limonade mal beiseite. Was genau hat dieser Enrique zu Ihnen gesagt?«

    »Ach, nur diesen Unsinn mit seinen Liedern. Länger konnten wir gar nicht reden, denn da tauchten plötzlich diese Kerle auf. Ich dachte erst, sie würden zu ihm gehören. Deshalb fragte ich noch, ob das sein Fanklub sei.«

    »Was für Kerle?«

    »Drei junge Latinos, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig vielleicht. Sie standen mit etwas Abstand hinter Enrique. Ich hatte gar nicht bemerkt, woher sie gekommen waren. Auf jeden Fall zog der eine von ihnen einen Ballermann aus der Tasche. Ich dachte, ich flippe aus. Und schon hat er zweimal auf Enrique geschossen. Das Blut ist fast bis zu mir gespritzt.«

    Auf Florentinas nackten Oberarmen bildete sich eine Gänsehaut. In diesem Moment hatte sie keine Schwierigkeiten, sich genau zu erinnern. Sie durchlebte den schrecklichen Moment der Tat noch einmal.

    »Und dann, Florentina?«

    »Nichts. Ich meine, ich hatte mich flach auf den Boden geworfen. Das Beste, was man tun kann, wenn in New York die Luft bleihaltig wird. Die Typen sind in ein Auto gestiegen und weggebraust.«

    »Was für ein Wagen? Und in welche Richtung fuhren sie?«

    »Das weiß ich nicht, Agent Trevellian. Von Autos habe ich keine Ahnung. Ich meine, Ihr Sportwagen hat mich echt beeindruckt. Aber die Karre von den Kerlen war irgendeine Mittelklasse-Schleuder. Also nichts Ausgefallenes. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Ich hatte die Nase ja im Straßendreck. Und als ich mich dann aufgerappelt habe, bin ich stiften gegangen.«

    »Nicht ohne das Wechselgeld mitzunehmen«, bemerkte Milo trocken.

    »Hätte ich die Kohle vielleicht dort lassen sollen? In El Barrio? An einem unbewachten Getränkestand? Die Dollars wären keine zwei Minuten in der Kasse geblieben. Und ich dachte mir, ich kann das Geld besser gebrauchen als irgend so ein Straßendieb.«

    »Und warum sind Sie geflohen? Weil Sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben?«

    Florentina fuhr sich mit nervösen Bewegungen durch ihr Haar. Dann schaute sie sich um, als ob jemand hinter ihr stehen und sie belauschen würde. Schließlich gab sie mir eine Antwort.

    »Was glauben Sie denn?«

    »Könnte es nicht auch noch einen anderen Grund geben? Zum Beispiel, dass Sie die Täter kannten?«

    Florentina riss die Augen weit auf. Hatte ich sie jetzt entlarvt oder nicht? Das war schwer zu sagen.

    »Nein, das stimmt nicht! Ich weiß nicht, wer die Typen waren. Das müssen Sie mir glauben.«

    Ich schaute mir die Zeugin genau an. Meistens durchschaue ich Lügner ziemlich schnell. Aber bei Florentina war ich mir unsicher. Wusste sie mehr über diesen Enrique, als sie zugegeben hatte? Gab es vielleicht ein geheimes Motiv, das sich uns noch nicht offenbart hatte?

    Das würden die weiteren Ermittlungen zeigen müssen.

    »Okay, ich nehme Ihnen die Story ab«, sagte ich daher. »Würden Sie die Männer denn wiedererkennen, wenn wir Ihnen Fotos vorlegen?«

    »Sie meinen - so eine richtige Verbrecherkartei? Wie im Fernsehkrimi?«

    Ich nickte.

    »Versuchen kann ich es ja.«

    Florentina hörte sich nicht besonders überzeugend an, wie ich fand. Aber das konnte auch an ihrem Wesen liegen. Die Salvadorianerin war sehr sprunghaft. Was sie in einem Moment begeisterte, interessierte sie einen Augenblick später schon nicht mehr. Ich bat unsere Kollegin Jennifer Clark, der Zeugin die Datensätze von gewalttätigen Latino-Verbrechern in der passenden Altersgruppe vorzulegen.

    »Milo und ich fahren zum gerichtsmedizinischen Institut«, sagte ich zu Jennifer. »Wir wollen hören, was bei der Obduktion herausgekommen ist.«

    »Okay, wir werden mit dem Ganoven-Bilderbuch erst einmal genug zu tun haben.«

    Die blonde Agentin nahm Florentina unter ihre Fittiche. Jennifer konnte gut mit Menschen umgehen, wie ich aus unserer jahrelangen Zusammenarbeit wusste. Möglicherweise würde Florentina ihr gegenüber sogar etwas verlauten lassen, das sie meinem Freund und mir bisher verschwiegen hatte.

    ***

    Milo und ich stiegen wieder in meinen Sportwagen. Auf der Fahrt zur Gerichtsmedizin tauschten wir unsere Gedanken aus.

    »Wie schätzt du unsere salvadorianische Zeugin ein, Milo?«

    »Schwer zu sagen. Sie weiß vielleicht mehr, als sie zugibt. Ich könnte wetten, dass sie die Täter erkannt hat. Aber auf jeden Fall haben die Typen Florentina gesehen.«

    »Das stimmt. Zum Glück befindet sich Florentina jetzt in unserem Gewahrsam. Da ist sie sicher vor Kriminellen, die eine lästige Zeugin zum Schweigen bringen wollen.«

    »Ich habe mich gerade gefragt, ob auch dieser Jaime Valdez in die Sache verwickelt ist. Warum schießt er auf uns? Wollte er verhindern, dass seine Freundin uns gegenüber auspackt?«

    »Das sollten wir ihn selbst fragen, Milo. Seine Verletzung war nicht allzu schwer. Wir können ja mal in Rikers anfragen, ob eine Vernehmung schon möglich ist.«

    Mein Partner rief mit seinem Handy gleich auf der Krankenstation der Gefängnisinsel an. Dort teilte man ihm mit, dass Valdez von meinem Schuss nur eine leichte Fleischwunde davongetragen hatte. Allerdings würde es noch einen Tag dauern, bis sein Körper halbwegs entgiftet war. Valdez hatte eine gefährliche Mixtur von selbst gepanschten Partydrogen intus.

    Wenn wir Pech hatten, würde sein Gedächtnis dauerhaften Schaden nehmen. Seine Aussage war dann völlig unbrauchbar.

    Im Gerichtsmedizinischen Institut wurden wir bereits erwartet. Doc Morrow begrüßte uns mit einem Händedruck. Wir kannten den hageren ernsten Mann seit Jahren als einen sehr sorgfältigen und zuverlässigen Pathologen.

    »Der Tod des Opfers trat durch einen Schuss ein, der von hinten direkt in das sogenannte Scheitelbein traf.«

    Doc Morrow zeigte, uns die Stelle am Modell eines menschlichen Schädels, das sich in seinem Office befand. Er fuhr fort: »Die zweite Patrone streifte dann nur noch das Schläfenbein. Meiner Ansicht nach war diese Bluttat das Werk eines Profikillers, der nicht zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Menschen gefeuert hat. Er wusste genau, wohin er zielen musste.«

    Ich nickte grimmig. Der Tod des jungen Latinos war keine spontane Verzweiflungstat gewesen. Die Kerle hatten ihr späteres Opfer möglicherweise bis zur West 116th Street verfolgt. Aber wie sollten wir in diesem lateinamerikanisch geprägten Stadtteil nach drei jungen Latinos Ausschau halten? Solange wir keine genauere Personenbeschreibung hatten, war das sinnlos.

    Doc Morrow blätterte in seinen Unterlagen.

    »Es wird Sie interessieren, dass der Körper des unbekannten Toten zwei alte Narben aufweist. Die eine befindet sich an der linken Hüfte, die andere am rechten Rippenbogen. Beide stammen meiner Ansicht nach von Messerstichen. Diese Stichverletzungen sind schlecht und unprofessionell versorgt worden. Ich denke nicht, dass der Mann damit im Krankenhaus gewesen ist, weder hier noch in Lateinamerika.«

    »Das ist ein wichtiger Hinweis«, stellte ich fest. »Der Mann ist nicht mit seinen Stichverletzungen ins Hospital oder zum Arzt gegangen, weil er unangenehme Fragen vermeiden wollte. Er hat sich vermutlich von einem Quacksalber oder Banditendoc zusammenflicken lassen, so wie Kriminelle es tun.«

    »Auf jeden Fall hat er auch Drogen konsumiert, wenn auch nicht in großen Mengen«, sagte der Mediziner abschließend. »In seinem Blut konnten Rückstände von Kokain, Speed und Crack nachgewiesen werden. Aber ein Schwerstabhängiger war er nicht.«

    Unser Bild von dem Mordopfer bekam allmählich Konturen. War sein angebliches Musikerdasein nur erfunden, um Florentina zu beeindrucken? Auf jeden Fall mussten wir in der Unterwelt nach seinem Mörder suchen. Der Killer war gewiss kein Ersttäter, das konnte ich mir nicht vorstellen. Der Drogenkonsum des Latinos war für unsere Ermittlungen auch hilfreich. Woher hatte er das Rauschgift? Dealer gibt es in New York City leider mehr als genug.

    Ob es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und Drogengeschäften gab?

    Milos Handy klingelte. Mein Freund nahm das Gerät aus der Tasche und meldete sich. Das Gespräch dauerte nur kurz. Als er es beendete, leuchteten seine Augen.

    »Eine Patrolcar-Besatzung hat die mutmaßliche Mordwaffe gefunden. Die Pistole ist bereits auf dem Weg zur Scientific Research Division.«

    ***

    Das Jagdfieber hatte Milo und mich gepackt.

    »Vielleicht ist auch schon die Fingerprints-Auswertung des Opfers fertig«, sagte mein Partner hoffnungsvoll. »Ich glaube, wenn wir seinen Namen kennen, haben wir den Killer so gut wie überführt.«

    So optimistisch war ich zwar nicht, aber unseren Ermittlungen würde es zweifellos sehr helfen. Im kriminaltechnischen Labor wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt. Die Analyse der Waffe war noch nicht abgeschlossen.

    »Ich kann euch aber das Ergebnis des Fingerabdruck-Abgleichs schon mal geben«, sagte ein Techniker und reichte uns einen Schnellhefter.

    »Schau an«, murmelte Milo. »Kein Eintrag in US-Datenbanken. Dafür aber ein Treffer in Mexiko.«

    Ich nickte. Dank seiner Fingerabdrücke konnten wir den Toten nun als einen gewissen Enrique Beltran identifizieren, geboren vor 24 Jahren in Mexico City. Die Kollegen von der Policia Federal, der mexikanischen Bundespolizei, hatten ihn bereits mehrfach erkennungsdienstlich behandelt.

    Die grenzübergreifende Zusammenarbeit gehört zu den wichtigsten Vorzügen der modernen Strafverfolgung. In einer Zeit, wo auch die Verbrecher keine Staatsgrenzen mehr kennen, steht und fällt unsere Arbeit mit dem Einsatz der Kollegen in Mexiko

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