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Mit Glitzergarn ins Glück
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eBook253 Seiten3 Stunden

Mit Glitzergarn ins Glück

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Über dieses E-Book

Ein attraktiver Mann, der sich in Liesels kleinem Nähtreff die Kleidung vom Leib reißt?

In Liesels Nähtreff gibt es alles, was das Schneiderherz begehrt: ausgesuchte Stoffe und Kurzwaren, allerlei Tüddelkram - und praktische Lebenshilfe. Was es bisher nicht gab, sind gut aussehende Männer, die sich ausziehen.

Und Ben ist nicht der einzige Mann, der plötzlich in dem kleinen Laden auftaucht. Denn Liesels ruhiges Leben ändert sich komplett. Die Ladenmiete wird drastisch erhöht. Das kleine Handarbeitsparadies ist in Gefahr! Um ihren Lebenstraum zu retten, muss Liesel allerlei unangenehme Aufträge annehmen.

Mehr aus Versehen lernt sie dabei plötzlich MÄNNER kennen ...

Teil 1 der Serie "Der kleine Nähtreff" von Eva Kah.
SpracheDeutsch
HerausgeberObo e-Books
Erscheinungsdatum23. Nov. 2019
ISBN9783968160672
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    Buchvorschau

    Mit Glitzergarn ins Glück - Eva Kah

    1

    GEGEN DEN FADENVERLAUF

    Strippen:

    1. Ein physikalisches Verfahren in der Schwerindustrie, um beispielsweise Kerosin vom leichter brennbaren Benzin zu trennen.

    2. Menschen, die ihre Kleider ablegen.

    Zugegeben, dabei kann es auch heiß hergehen. Im Alltag stehen Normalsterbliche aber meist vor der entgegengesetzten Frage: Was ziehe ich an?

    Psst: Ich glaube, meine Freundin Bernadette kann zaubern.

    Sie vollbringt nämlich Dinge, die eigentlich gar nicht menschenmöglich sind. Gut, sie ist ja auch kein Mensch (obwohl ich das manchmal ganz gern vergesse), sondern eine Nähmaschine. Sogar eine sehr alte. Eine Bernina Favorit aus der Schweiz, Baujahr 1959, über dreißig Jahre älter als ich. Meine Oma hat sie mir zum vierzehnten Geburtstag geschenkt, und seither läuft und läuft und ... zaubert Bernadette vor sich hin. Zuerst in meinem Kinderzimmer, dann während der Ausbildungszeit im Lehrlingswohnheim und seit einigen Jahren in meinem Münchner Atelier. Atelier ist etwas hoch gegriffen. In meinem kleinen, kunterbunten, kreativen Laden, dem Herz meines Schaffens, meinem Lebensmittelpunkt – Liesels Nähtreff.

    Mir ist natürlich klar, dass auch eine Schweizer Qualitäts-Nähmaschine nur ein Apparat ist. Zwar ein sehr ausgefeilter, aber doch nur eine seelenlose Maschine. Bernadette jedoch wächst so oft über sich hinaus, dass es kein Zufall mehr sein kann. Sie näht durch zwanzig Schichten Stoff, wenn es drauf ankommt. Sie steppt gerade Linien in den vertracktesten Engstellen von dreifach umgeschlagenen Innenfutterteilen, obwohl ich da selbst gar nichts mehr sehe. Und trotzdem täuscht sie sofort einen Kurzschluss vor und hält millimetergenau vor meinem Fingernagel an, sobald ich Gefahr laufe, mit der extradicken Jeansnadel in meine eigene Hand zu nähen (was auch einer Schneidermeisterin nach acht Stunden an der Nähmaschine gar nicht so selten passiert). Wenn ich dann nachsehe, ist der Stecker in der Dose minimal wackelig, obwohl ich ihn am selben Tag erst kräftig festgedrückt habe. Das muss Absicht sein. Bernadette will nicht, dass mir etwas zustößt. Sie liebt mich. Und ich sie auch.

    Leider ist die ganze schöne Zauberei nicht reproduzierbar. Das bedeutet, ich werde niemals irgendwo irgendjemandem beweisen können, dass meine Nähmaschine zaubern kann. Aber ganz ehrlich – vielleicht ist das auch besser so. Schließlich bin ich schon Schneiderin, Ladeninhaberin, Nähkursleiterin, Kurzwarenverkäuferin und nicht zuletzt Stil- und Beziehungsratgeberin (letzteres nicht besonders erfolgreich, aber trotzdem stark nachgefragt).

    Wenn Bernie wieder mal etwas schafft, was ich alleine niemals schaffen würde, dann verwischen die Grenzen zwischen Benutzer und Gerät. Ich bin dann nicht länger die Krönung der Schöpfung und sie mein Hilfsmittel, sondern es verhält sich genau anders herum. In solchen Fällen darf ich nur noch hinter ihr sitzen, sie mit Strom, einem Tröpfchen Öl und dem richtigen Pedaldruck versorgen – und sie zaubern lassen.

    Zum Beispiel heute Nachmittag, als dieser unverschämt heiße Typ mit der kaputten Hose hier reingestürmt kam. Das hatte schon auch was von Magie, anders kann man es nicht sagen.

    Heute Nachmittag nämlich beugte ich mich mit einer meiner anstrengendsten Kundinnen über eine Rolle Webband und diskutierte deren von der Vorstellung der Kundin minimal abweichende Farbstellung, als es passierte.

    Im Internet hat das Rosa aber ganz anders ausgesehen, sagte die Frau Wumplitz gerade. Und da kostet es auch neunzehn Komma drei Prozent weniger. Sie wissen ja, dass ich nur wegen meiner datenschutzrechtlichen Befürchtungen bei Ihnen im Laden kaufe und nicht im Internet, gell?

    Selbstverständlich weiß ich das, und ich weiß es auch sehr zu schätzen. Mein Dank wird Ihnen ewig nachschleichen, nickte ich und lächelte die Wumplitz besonders freundlich an. Sie überhörte meinen Sarkasmus und lächelte befriedigt zurück. Diese Mäkelei kannte ich schon von ihr. Sie kaufte seit dem Tag meiner Ladeneröffnung vor drei Jahren bei mir ein, und noch nie hatte ihr etwas auf Anhieb gepasst. Obwohl sie eine meiner Nähkursteilnehmerinnen der ersten Stunde ist, siezen wir uns immer noch. Die Wumplitz ist der Kundentyp Pferdehändler, der auch auf dem ausgefuchstesten orientalischen Bazar noch seinen Reibach macht. Aber da sie jeden Monat einige kleine Scheinchen in meine Ladenkasse spült und schon zum Inventar gehört, spielte ich das Spielchen gerne mit. Wenn ich Menschen in all ihren verschiedenen Varianten und den Umgang mit ihnen nicht mögen würde, hätte ich Chemielaborantin werden können statt Schneidermeisterin.

    Innerlich bereitete ich mich darauf vor, dass ich der Wumplitz noch einen Kaffee ausgeben und ein paar Knöpfe schenken musste, bis wir uns handelseinig würden. Aber das war okay – die Knöpfe waren Farbmuster und lagen für exakt diesen Zweck schon bereit, und ich selbst konnte nach sechs Stunden im Laden auch einen Kaffee gebrauchen. Ich setzte also zu einer beruhigenden Antwort an. So à la Jetzt atmen wir beide erst mal tief durch, und dann gehen wir kurz nach draußen und schauen uns das Rosa noch mal bei Tageslicht an. Vielleicht ein Käffchen dazu, schwarz wie immer?

    In diesem Moment riss jemand so heftig die Ladentür auf, dass mein dahinter von der Decke baumelndes Klangspiel zu Boden fiel und ich mir Sorgen um die Glaseinsätze der Tür machte.

    Es war ein Anzugträger von Anfang Dreißig, der da hereinstürmte. Mein geschultes Auge enttarnte den Anzug sofort als einen von der alleredelsten Sorte. Bulgari, Brioni – auf jeden Fall aus Italien und maßgeschneidert. Ich weiß so etwas nur in der Theorie, weil ich ein halbes Modedesign-Studium und eine ganze Lehre als Maßschneiderin absolviert habe. Aus der Praxis kenne ich weder die Sorte Anzug noch die Sorte Mann. Keiner von beiden verirrt sich jemals in meinen kleinen Laden. Darüber steht schließlich Liesels Nähtreff. Nicht Haute Couture. Und bis auf den schwulen Uwe und das ein oder andere von seiner Mutter mitgeschleppte Kleinkind ist Liesels Nähtreff eine absolut männerfreie Zone – so wie mein Privatleben auch. Beides nicht unbedingt freiwillig. Aber ich bin nach einem langen Leidensweg zu der Überzeugung gekommen, dass das stärkere Geschlecht allergisch auf handarbeitende Frauen reagiert.

    Der attraktive Mann im teuren Anzug sah auch nicht besonders gesund aus. Er lief komisch. So wie jemand, der dringend zur Toilette muss. Oder eben wie jemand, dessen Hose kaputt ist und der nicht will, dass ihm die Weltöffentlichkeit auf die herausklaffende Unterwäsche guckt.

    Wichtiger Termin in sechs Minuten!, schnaufte er statt einer Begrüßung, schubste die Frau Wumplitz zur Seite und legte ohne Vorwarnung mitten in Liesels Nähtreff einen Striptease hin. Im Zeitraffer. Er öffnete seinen Gürtel, riss sich die Hose auf und ließ sie fallen, dann kickte er seine schicken Treter von sich und wand sich in Sekundenschnelle aus dem Beinkleid, das er in einer fließenden Bewegung aufhob und vor mir auf den Tresen knallte. Aus dem Knallgeräusch schloss ich, dass meine Tischplatte sich soeben eine neue Delle eingefangen hatte. Hosen knallen ja normalerweise nicht. Diese hier schon, weil noch Gürtel samt massiver Metallschnalle und ein dickes Portemonnaie dranhingen.

    Der heiße Typ (groß, dunkelblonde Haare mit einem sehr gepflegten kleinen Pferdeschwanz, kantiger Kiefer, Dreitagebart) stand jetzt in Unterhose und Socken vor mir. Enge Boxershorts, schwarz. Die Socken auch. Über den Rest seines Körpers konnte ich wenig sagen, weil er ein weißes Hemd und ein Sakko mit schmaler Lederkrawatte trug, aber von den Beinen her war er schon mal ziemlich preisverdächtig. Lang, wohlgeformt, muskulös, aber nicht aufgepumpt. Moderat behaart. Was auch immer ein Kerl im teuren Anzug mit Pferdeschwänzchen und Lederkrawatte beruflich machte – als Unterhosen- oder Sockenmodel hätte ihm ebenfalls eine glorreiche Karriere bevorgestanden. Er hatte mittelgroße Füße und die Sorte Beine, für die man keinerlei Änderungen am Schnittmuster vornehmen muss, wenn man ihnen eine Hose näht. Der Traum jedes Anzugschneiders. Und trotzdem war genau in diesem Bereich irgendwas schiefgelaufen. Anklagend deutete er auf seine Hose.

    Zack, aus dem Auto gestiegen und Schritt geplatzt. In der Preisklasse eigentlich nicht vorgesehen, aber trotzdem passiert.

    Die Frau Wumplitz und ich waren so perplex, dass wir erst gar nicht reagierten. Unsere Neutronen brauchten noch eine Weile, um das Geschehen von unseren Augen an das Stammhirn weiterzuleiten. So einen Anblick darf man als Frau ja auch nicht täglich verarbeiten – die Wumplitz schon mal bestimmt nicht und ich leider auch selten ... lassen wir das. Über mein Verhältnis zur Männerwelt werde ich mich bei anderer Gelegenheit auslassen.

    Das Sockenmodel sah sich um, während er auf meine Antwort wartete. Sein Blick irrlichterte durch den Laden, blieb an diesem und jenem Einbauschrank, der hundertjährigen Kassettendecke und dem fast genauso alten Teppichboden hängen und landete schließlich überdeutlich auf seiner eigenen protzigen Armbanduhr.

    Lady, Sie haben noch fünf Minuten, herrschte er mich prompt an und schüttelte die Hose. Wird's bald?

    Okay ... innerlich war ich kurz davor, mein erstes Urteil über ihn zu überdenken. Das war vielleicht doch kein unverschämt heißer Typ mit kaputter Hose, sondern eher eine unverschämt heiße Hose mit einem kaputten Typen. Was bildete sich der eigentlich ein? Na schön, es war nicht das erste Mal, dass ein Mann über eine Frau und deren Beschäftigung ein vorschnelles Fehlurteil fällte. Die armen Typen haben halt einen Tunnelblick. Wahrscheinlich hatte er im Schaufenster meine Adler-Nähmaschine von 1899 erspäht und den Geschäftsnamen einfach ignoriert.

    Das hier ist ein Nähtreff und keine Änderungsschneiderei, erklärte ich ihm extra langsam und deutlich. "Liesels Nähtreff. Ich bin Liesel, und hier treffen sich Freunde des Selbstgemachten. Hier kann man Nähkram kaufen und Nähen lernen, nicht nähen lassen. Steht auch draußen auf dem Schild. Lesen müsste man halt können, gell!"

    Das Sockenmodel ließ sich davon nicht abschrecken. Er guckte erst mit hochgezogenen Augenbrauen auf Bernadette und ihre jüngeren Kolleginnen, die sich hinter mir aufreihten. Dann deutete er auf das Maßband, das um meinen Hals hing.

    Ja und? Hier gibt es Nähmaschinen, und Sie können sie auch bedienen, oder? Das ist doch die Hauptsache. Er klopfte auf seine dicke Armbanduhr, öffnete sein Portemonnaie, legte einen Fünfzig-Euro-Schein auf den Tisch und sagte: Der könnte Ihnen gehören. Noch vier Minuten.

    Fünfzig Euro für vier Minuten Arbeit! Das war ja ein Stundensatz von ... Moment ... siebenhundertfünfzig. So viel, wie ich in einer Woche einnahm – wenn es eine gute Woche war.

    Was soll ich noch groß dazu sagen. Ich schluckte meinen Stolz hinunter und machte mich wortlos daran, die superteure maßgeschneiderte Hose zu flicken. Zufällig hatte ich vom vergangenen Projekt noch passendes dunkelgraues Garn eingefädelt. Als ich den Bund auseinanderzog und den Hosenboden in die Maschine einspannte, schnupperte ich unauffällig an dem Kleidungsstück. Ich war einfach neugierig, wie ein so gutaussehender Mann roch, schließlich kam ich ja selten in den Genuss. Was genau ich erwartete, weiß ich auch nicht. Vielleicht den betörenden Geruch von sonnenwarmem Leder, Tabak und Getreidefeldern. Holz, Rauch, eine Spur frischen Schweiß. Irgendetwas Cowboyhaftes, Wildes, das den elementaren Unterschied zwischen Männern und Frauen hervortreten ließ: Testosteron!

    Stattdessen roch ich – nichts. Nichts außer einer Prise Waschmittel. So rochen meine eigenen Sachen auch, wenn ich sie ganz frisch aus dem Schrank gezogen hatte. Etwas enttäuscht ging ich ans Werk.

    Bernadette war sichtlich geschmeichelt, ein so edles Stöffchen vorgelegt zu bekommen. Sie zauberte so gut wie selten zuvor. Nach nur drei Minuten waren wir fertig, und ich konnte mit Fug und Recht behaupten, dass die Naht nun besser ausgeführt war als vorher.

    Das Sockenmodel wiederholte seinen Striptease in umgekehrter Reihenfolge, bedankte sich knapp und stürmte ebenso rasant wieder davon, wie er erschienen war.

    Zurück blieben eine um fünfzig Euro reichere Nähtreff-Inhaberin und eine Frau Wumplitz, die ausnahmsweise für eine ganze Weile die Klappe hielt.

    Was war denn das?, sagte sie schließlich in einer Tonlage, die ich noch gar nicht von ihr kannte. Es klang, als ob ihre Eierstöcke spontan in Wallung geraten, durch ihren Rumpf nach oben gewandert wären und sich um ihren Kehlkopf gewickelt hätten. Offenbar hatte sie es dem Kerl nicht übelgenommen, dass er sie und ihr rosa Webband auf die Seite geschubst hatte. Im Gegenteil.

    Ich stehe ja auf Männer, die sich gut anziehen! Und dann auch noch so bestimmt und gerade heraus. Einer, der weiß, was er will. Kein Würstchen wie mein Hubert. Vielleicht war das einer von diesen Modebloggern? Diese Beine, meine Güte, dafür würde ich morden. Oder doch ein Fußballer? Hätte ich den kennen sollen? Aber nee, das kann kein Fußballer sein, er war ja nirgendwo tätowiert ... Hach, wie aufregend!

    Tja, München ist groß, seufzte ich. Wird schon irgendein B-Prominenter gewesen sein. Der Sohn von irgendwem. Oder ein aufstrebender Fernsehmoderator. Ich meine, Lederkrawatten kann man ja auch nicht in allen Berufen tragen.

    Damit schlossen wir das Thema ab und widmeten uns wieder dem rosaroten Eulen-Webband, von dem die Frau Wumplitz vor lauter innerer Wallung am Ende doch ganze acht Meter kaufte.

    Der Rest des Nachmittags verlief ruhig. Ich verkaufte drei Meter Ringeljersey und ein bisschen Bündchenstoff an eine Mutter mit von Kopf bis Fuß selbst benähten, vielleicht vierjährigen Zwillingsjungs. Ich ließ die Jungs unter dem Zuschneidetisch Verstecken spielen, während ihre Mama mit leuchtenden Augen durch die Stoffe stöberte. Sollte sie das Nähen ruhig auskosten, solange die lieben Kiddies sich noch nicht dagegen wehrten, dachte ich und gab ihr einen Rabattgutschein für ihren nächsten Einkauf. Dann beriet ich eine ältere Dame, die einen ganz speziellen Futterstoff für ihr Chaneljäckchen suchte. Wie sie freimütig gestand, arbeitete sie schon seit vier Jahren an diesem einen Stück, das sehr viele Handnähte erforderte. Ich lobte sie für ihre Ausdauer, aber auch bei mir wurde sie nicht fündig. Dazwischen befestigte ich das vom Sockenmodel heruntergerissene Klangspiel wieder an der Decke, saugte ein bisschen Staub (oder vielmehr Fadenreste und Wollmäuse aus Organza) im Lager und sortierte meine Restebox neu, damit sie für den nächsten Tag ein paar Eyecatcher bereithielt.

    Obwohl die Sache mit dem Sockenmodel, der Wumplitz und der Hose dank der üppigen Bezahlung sehr zu meinen Gunsten ausgegangen war, stieß mir das mit der Änderungsschneiderei auf dem Heimweg noch sauer auf.

    Es ist ja nicht das erste Mal, dass das passiert. Ich bin diplomierte Schneidermeisterin, nicht Kesselflickerin! Mein Job ist das Entwerfen von grandiosen Roben aus sechsundzwanzig komplizierten Schnittteilen und das Weitergeben des Näh-Feuers, nicht das Kürzen von Hemdsärmeln. Natürlich KANN ich auch Hemdsärmel kürzen und Hosen reparieren. Sonst hätte es das Sockenmodel nicht mehr vollständig bekleidet zu seinem ach so wichtigen Termin geschafft. Aber auch, wenn das jetzt vielleicht hochnäsig klingt: Von anderen Leuten genähtes Zeug zu flicken fühlt sich für mich ungefähr so an, als würde man Vincent van Gogh zwingen, ein Mandala auszumalen. Ich kann doch so viel mehr! Ich will nicht immer nur die krummen Nähte und falschen Pflegehinweise unserer schnelllebigen, unüberlegten Konsumgesellschaft ausbaden müssen. Die ausbeuterische Modeindustrie muss man nicht auch noch unterstützen, indem man sich jede Saison dreißig neue T-Shirts für je zwei Euro kauft und sich drei Wäschen später wundert, wieso da überall die Säume aufgehen – das ist es nämlich, was eine Änderungsschneiderin üblicherweise reparieren soll, und da spiele ich nicht mit.

    Lieber zeige ich meinen lieben Mitmenschen, wie sie sich ihre eigenen Träume auf den Leib schneidern. Klar kostet das Selbernähen Zeit und im Normalfall sogar mehr Geld, aber es lohnt sich in so vielfältiger Weise. Wer selber näht, erweist sich eine Wertschätzung für alle Sinne und investiert direkt in die Seele!

    Nähen ist mein Yoga, lautet ein vielzitierter Spruch zum Thema, und er trifft meiner Meinung nach vollkommen zu. Die ganze Körperhaltung ist doch eine andere, wenn man Liebe und Achtsamkeit in seine äußere Hülle steckt. Und mal ganz abgesehen von dem philosophischen Drumherum macht Stoffe streicheln und Meditieren vor der Nähmaschine auch einfach Riesenspaß. Das ist wohl sowieso der Hauptgrund für den Handarbeits- und Selbermachboom der letzten Jahre, ganz egal, ob man nun strickt, häkelt, filzt, klöppelt oder eben näht: Wo gibt es sonst so schnelle, greifbare, kuschelige Erfolgserlebnisse?

    Nähen ist nicht nur wie Yoga oder wie Zaubern – Nähen ist wie eine bunte Glitzerwolke aus Möglichkeiten, die über einen hereinbricht. Plötzlich ist man imstande, nahezu alles um sich herum mit Tüddelkram im eigenen Design zu überzuckern. Sogar sich selber! Dadurch wird das Leben nicht nur individueller und farbenfroher, sondern in nicht wenigen Fällen überhaupt erst erträglich. Stoffsucht ist die gesündeste Form von Drogenabhängigkeit.

    Das sieht meine Mutter nicht so. Mit der hatte ich gleich ein Date. Mir grauste es jetzt schon. Es gibt eindeutig angenehmere Möglichkeiten, seinen wohlverdienten Feierabend zu verbringen, aber Mama bequemte sich sowieso nur alle Jubeljahre aus ihrem Villen-Vorort in die Stadt, und ich war eine pflichtbewusste Tochter.

    Nur in Sachen Mode, da bin ich weniger pflichtbewusst. Da habe ich meinen ganz eigenen Kopf, da lasse ich nicht mit mir reden. Angebliche Widersprüche zu kombinieren, ist meine leichteste Übung. Das hatte im Kindergarten angefangen, als ich als einziges Mädchen der ganzen Gruppe einen pflegeleichten Kurzhaarschnitt trug, aber grundsätzlich Hosen verweigerte, auch im Winter und zum Radfahren (was ich mit vielen offenen Knien bezahlte, aber trotzdem nie bereute).

    Meine Eigenarten bei der äußeren Erscheinung setzten sich in der Schule fort: Wenn alle anderen Jeansjacken von Levi Strauss trugen, kam ich im alten Armeeparka meines Onkels daher. Wenn dann plötzlich Armeeparkas in wurden, stieg ich auf Levi Strauss-Jeansjacken um – allerdings mit Nieten und selbst gestickten Blümchenborten.

    Schon aus Prinzip wollte ich nie so aussehen wie jedes beliebige Mädchen, und weil ich optisch so gerne gegen den Strom schwamm, gewöhnte ich mich an die Rolle des Paradiesvogels. Einerseits, weil es die einzige Möglichkeit zur Rebellion gegen meine Mutter war, andererseits, weil meine Figur sich sowieso nicht so entwickelte, wie sie Anfang der Zweitausender Jahre hätte sein sollen. Statt mit Androgynität und schmalen Hüften wurde ich mit gleich zwei körperlichen Schwerpunkten gesegnet – Busen und Po. Damit war ich meiner Zeit mal wieder meilenweit voraus, denn Kim Kardashian kannte

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