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Schnittmuster für die Liebe
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eBook282 Seiten3 Stunden

Schnittmuster für die Liebe

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Über dieses E-Book

Freund futsch - check
Laden abgefackelt - check

Schlimmer hätte es für Liesel nicht kommen können: Erst erwischt sie den nagelneuen Freund Alex mit der Mitbewohnerin Mandy im Bett und dann fackelt sie auch noch versehentlich den eigenen Laden ab.

Hals über Kopf zieht Liesel zurück zu ihrer dominanten Mutter und will erst einmal überhaupt nichts mehr wissen vom Nähen. Sie stürzt sich in Abenteuer mit völlig unpassenden Männern - einfach aus Trotz. Von wegen langweilige Struckliesel!

Als Liesel endlich zur Besinnung kommt, ist es scheinbar zu spät, um Alex zurückzuerobern. Andererseits: Mit etwas Geschick, Mut und einer guten Stopfnadel lässt sich alles wieder flicken, notfalls auch ein gebrochenes Herz, oder?

Kann Liesel ihren Gefühls-Fadensalat noch auflösen?

Teil 2 der Serie "Der kleine Nähtreff" von Eva Kah.
SpracheDeutsch
HerausgeberObo e-Books
Erscheinungsdatum23. Nov. 2019
ISBN9783968160689
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    Buchvorschau

    Schnittmuster für die Liebe - Eva Kah

    1

    DAS GIBT SICH BEIM BÜGELN – ODER ETWA DOCH NICHT?!

    Aus der Schweiz kommen zwei Nobelmarken, die sich sehr ähnlich und dennoch ganz verschieden sind: Hilti und Bernina. Bohren und Nähen. Diese beiden Firmen bilden auf merkwürdige Art das gesamte Spektrum menschlicher Bedürfnisse ab: Haus bauen! Blöße bedecken! Es wäre jedoch verkehrt, darin vorschnell irgendwelche Geschlechterklischees zu erkennen. Schließlich ist BEIDES kreatives Konstruieren.

    Für den größten vorstellbaren Liebeskummer gibt es bestimmt geeignetere Orte als sein eigenes Kinderzimmer. Einsame Waldlichtungen bei Sturm vielleicht. Volle Bars in fremden Städten, deren Sprache man nicht versteht. Verfallene Bootsstege am Rand des Ozeans im Sonnenuntergang unter Gewitterwolken. Irgendwas, was die Gemütslage angemessen widerspiegelt.

    Ich aber war wieder bei Mama untergeschlüpft wie ein Entenküken, dessen Federstummelchen noch nicht zum Fliegen reichten. Doch nachdem mein Laden und Lebensmittelpunkt abgebrannt war und mich mein Freund ausgerechnet mit meiner Mitbewohnerin betrogen hatte, blieb mir nichts anderes übrig. Mein Konto hätte sowieso keine weiteren Reisen als eine im Münchner Nahverkehr zugelassen.

    So gesehen war es ja praktisch, dass meine Mutter ein großzügiges Haus im Nobelvorort Gräfelfing bewohnte und nicht auf Mallorca, wie sie es auch schon vorgehabt hatte, als sie noch Tennis spielte und für Boris Becker schwärmte. Mittlerweile war sie beim Golfen angelangt.

    In meinem Gräfelfinger Kinderzimmer konnte ich mich so richtig schön einigeln und gehen lassen. Jedenfalls solange ich das teure Parkett nicht verkratzte und jeden Dienstag die Putzfrau rein ließ. Offiziell hieß es Gästezimmer, aber das täuschte niemanden. Mama hatte keine Gäste außer mir, dafür war sie viel zu perfektionistisch.

    Ich kann nicht behaupten, dass ich mich in den Schlaf geweint hätte. Meine Augen blieben die ganze Zeit trocken, als ob die Hitze des Brandes auch meine Tränendrüsen verschmort hätte. Ich schluchzte auch nicht besonders laut. Sowas ist einfach nicht meine Art.

    Stattdessen stand ich morgens auf, putzte mir die Zähne, ging noch in Unterwäsche nach draußen in den Garten und sprang erst einmal in den Pool. Dort schwamm ich noch vor dem Frühstück meine Runden. Ich zählte nicht mit. Der Pool hatte die Form einer liegenden Acht, dem Zeichen für Unendlichkeit, und ich blieb auch unendlich lange darin. Bis die Haut an meinen Zehen und Fingerspitzen sich zu schwammig weißen Dünen aufwarf, aber noch bevor die Mittagssonne über die hohen Hecken des Grundstücks wanderte. Erst dann kletterte ich aus dem Wasser, nahm eine kurze warme Dusche und kochte mir Kaffee. Ganz nebenbei vermied ich so die morgendliche Begegnung mit meiner Mutter, die während meiner morgendlichen Poolrunden schon zur Arbeit fuhr und sowieso nicht wusste, was sie jetzt mit mir anfangen sollte. Mit einer erwachsenen Tochter kam sie genauso wenig zurecht wie damals mit einer zwölfjährigen.

    Mittags vergrub ich mich in meinem Zimmer und las Illustrierte. Nachmittags machte ich einen Spaziergang und sprang danach noch einmal bis zur völligen Erschöpfung in den Pool. Verbissen zog ich meine Achter in der Hoffnung, danach ohne Gedankenkarussell einschlafen zu können. Manchmal klappte das sogar.

    Das war meine Art der Traumatherapie. Kostete nichts, war ungefährlich, brachte Ertüchtigung für Körper und Geist. Und wenn ich dabei Wasser in den Augen hatte, dann lag das an meiner unausgereiften Schwimmtechnik.

    Davon abgesehen ging es mir gut. Überraschenderweise.

    Der Brand entpuppte sich nach und nach als heilsamer Schock. Nachdem die Polizei den Laden freigegeben hatte, musste ich auf Drängen meiner Mutter erst einmal einen Statiker engagieren, um sicher zu stellen, dass die Gebäudesubstanz durch den Brand keinen Schaden genommen hatte. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Trotzdem kam die komplette Einrichtung und Ware auf den Sondermüll, abgeholt durch Männer in Atemschutzmasken. Vorbei war es mit meinem selbst gebauten Webbandhalter, den goldenen Styropor-Stuckleisten, den kunterbunt durcheinander gewürfelten Regalen vom Sperrmüll, die ich aufgearbeitet hatte und in denen die Waren aussahen wie die liebevoll ausgewählten Juwelen, die sie ja auch waren. Mein Laden hatte ihnen einen über Jahre hinweg entstandenen, würdigen Rahmen verliehen. Außerhalb des Nähtreffs, hastig in Kartons geworfen, wirkten meine Stoff- und Kurzwarenschätze nur noch wie ein Haufen nutzloser Lumpen.

    In einem Anfall von Nostalgie bat ich das Entsorgungsteam, einen einzigen Gegenstand wieder vom Container zu nehmen: Bernadette, meine allererste Nähmaschine. Eine Bernina Record von 1963. Das Erbe meiner Großmutter. Unter ihrer Stahlblechhaube hatte sie wer weiß wie schlimme Hitzeschäden davongetragen. Vermutlich war innen sehr viel mehr geschmolzen als nur das Stromkabel, von dem nur noch ein paar Plastikkrümel übrig waren. Es hätte mir das Herz gebrochen, das sechzig Jahre alte Eisenross so malträtiert zu sehen, also ließ ich die Haube drauf und guckte sie gar nicht erst an. Wenigstens war Bernadette nicht bei Bewusstsein gewesen, als es mit ihr zu Ende ging.

    Ein auf Brandfälle spezialisierter Malerbetrieb renovierte die Wände und strich alles in sterilem Cremeweiß. Dabei ging natürlich jegliche individuelle Note flöten. Von all dem, was ich über die letzten Jahre an Liebe in diese uralten Räume hineingesteckt hatte, war nichts mehr übrig. Es war, als ob meine Nadelkissensammlung an der Wand und das jahreszeitlich dekorierte Schaufenster nie existiert hätten. Aber – hey. Ich war wirklich auf dem Weg zum Messie gewesen. In jeglicher Hinsicht! So gesehen hatte mir der Brand nur dabei geholfen, mein Leben zu entrümpeln. Auch von einem Mann, der es nicht ernst mit mir meinte.

    Ja, es gab wohl eine Menge Frauen, die nach einem Seitensprung einfach so weitermachten wie bisher. Die sogar die Schuld für die Affäre ihres Partners auf sich nahmen, ganz nach dem Motto: Wenn er das braucht, habe ich etwas falsch gemacht. Oder, schlimmer noch, die harmoniesüchtigen Leugnerinnen. Die so taten, als ob sie von nichts wüssten. Als ob nie etwas passiert wäre, als ob sie kein Hirn im Schädel hätten. Hauptsache, die Beziehungsfassade blieb stehen. Friede-Freude-Eierkuchen! Und wenn die Eier noch so faul waren. Also die aus dem Kuchen.

    Mit mir nicht! Ich hatte mein Männer-sind-Schweine-Erlebnis mittlerweile schon zweimal gehabt. Ein weiteres Mal würde ich mich nicht für ein dummes kleines Rotblondchen verkaufen lassen. Ab sofort würde das tapfere Schneiderlein zurückschlagen! Nur war ich ja nun streng genommen kein Schneiderlein mehr ... egal. Wenn ich schon einen Neuanfang hinlegen musste, dann aber richtig. Wo man einer Liesel Struck übel mitgespielt, wächst so schnell kein Gras mehr.

    Im Anschluss an das Polizeiverhör wegen eventueller Brandstiftung habe ich gleich mein WG-Zimmer ausgeräumt. Natürlich nicht persönlich. Keinen Fuß mehr würde ich an diesen Ort der Schmach setzen, der sich Hühnerstiege schimpfte. Damit ich weder Mandy noch Shanaya und schon gar nicht Alex über den Weg laufen musste, schickte meine Mutter zwei kräftige Fliesenleger aus Bulgarien, die ansonsten als Mädchen für alles in ihrer Firma arbeiteten und kein Wort Deutsch verstanden. Das war auch gut so, falls eine meiner ehemaligen angeblichen Freundinnen ihnen meinen neuen Aufenthaltsort entlocken wollte.

    Meine Mutter war nur zu gern bereit, mich wieder bei sich aufzunehmen. Unter einer Voraussetzung: Ich sollte ihr nicht länger als vier Wochen auf der Tasche liegen. Und: Ich durfte nicht nähen. Jedenfalls nicht in ihrem Haus. Nicht, solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst! Auf diesen Nähmaschinen liegt für unsere Familie einfach kein Segen. Die bringen nur Unglück.

    Da konnte ich ihr noch nicht einmal widersprechen. Bisher hatte mir mein Hobby nichts gebracht außer Schulden, Tränen und Einsamkeit. Selbstverwirklichung adieu! Der einzige Lichtblick an der Sache war, dass das mit dem Brand auch ganz anders hätte ausgehen können. Wenn ich die Pappschachtel mit der Osterdekoration spätabends neben das kaputte Elektrokabel gelegt hätte und nicht mittags, wäre der Brand vielleicht erst entdeckt worden, wenn es für die Bewohner in den darüberliegenden Stockwerken zu spät gewesen wäre. So war wenigstens nur ich selbst ruiniert, ich ganz alleine. Ich ging stramm auf die Dreißig zu, war Single und lebte wieder in meinem Kinderzimmer. Okay, es handelte sich zugegebenermaßen um ein ziemlich nobles Kinderzimmer mit Poolblick, eigenem Bad und separatem Zugang zur Dachterrasse. Wenn ich mit vierzehn nur halb so viel Wurstegal-Mentalität gehabt hätte wie jetzt, hätte ich die Vorzüge meines reichen Elternhauses schon früher zu schätzen gelernt ...

    Schwamm drüber. Die letzten zehn Jahre gehörten aus dem Gedächtnis der Welt getilgt. Im Moment war mir nach nichts als einigeln, und dabei durfte es ruhig etwas luxuriöser zugehen als in einer gewissen WG voller pseudokreativer, untreuer Prekariatsangehöriger.

    Die Handlanger meiner Mutter stapelten meinen gesammelten WG-Hausrat in die linke Hälfte der Doppelgarage. Mama fuhr ihr Porsche Cabrio so lange auf den Hof. Wenn schon Neuanfang, dann richtig! Stundenlang saß ich in der Garage auf einem meiner aus alten Jeans genähten Poufs (endlich waren die mal für was gut) und sortierte alles aus, was ich seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr in der Hand gehabt hatte. Das war eigentlich der Großteil. An einem Wochenende Garagenflohmarkt ging so gut wie alles davon weg. Ich spendete tonnenweise Stoffreste an Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Mich freute der Gedanke, dass man dort damit spielte und vielleicht noch die ein oder andere nette Kleinigkeit daraus machen konnte. Behalten hatte ich nur ein paar Stoffballen in Uni-Tönen, die ich irgendwann einmal in ferner Zukunft für mich ganz allein vernähen wollte. Klassische, anständige Stoffe, die nie aus der Mode kommen würden. Dunkel melierter Sweat, schwarzer Ripp-Jersey, grauer Strick, so etwas. Weder bunte Schildkröten noch tanzende Eichhörnchen, keine neonfarbenen Ananas und schon gar keine Kirschen würden mich auf meinem Weg in die Zukunft beschweren. Auch keine einzige Eule! Weg mit dem Schnickschnack, ich war schließlich eine erwachsene Singlefrau und kein Clown auf dem Kindergeburtstag. Nichts sollte mich an eine Vergangenheit erinnern, in der ich sowohl beruflich als auch persönlich auf ganzer Linie gescheitert war.

    Doch so umfassend ich ihn auch aus meinem Leben tilgte, ganz aus meinem Gehirn verbannen konnte ich Doktor Alexander Hohlmann trotzdem nicht. In den unpassendsten Momenten tauchte sein Bild in meinem Kopf auf wie eine nervige Werbeanzeige.

    Die kleinsten Anlässe genügten, um mich an all die liebenswerten Kleinigkeiten zu erinnern. An seine Macken, seine Eigenheiten, die ich in der kurzen Zeit unserer Beziehung Schicht für Schicht an ihm freigelegt hatte. Sie hätten bestimmt nicht jeder Frau gefallen, aber mich hatten sie jeden Tag und jede Stunde unseres Beisammenseins aufs Neue entzückt. Ich hatte mich manchmal gefühlt wie eine Naturforscherin, die eine ganz besonders seltene neue Spezies erforscht: Diese exotische Kreatur namens Mann! Und was für einem. Einem, der keinen Unterschied machte zwischen Leben und Arbeit. Der es nicht nötig hatte, abends schlechtgelaunt auf dem Sofa herumzufläzen. Der sein ganzes Wesen, seine ganze Energie und Aufmerksamkeit in das steckte, was er gerade tat, ob es das Zusammenlöten von Roboter-Gehirnen war oder das Küssen meines Bauchnabels. Er verschenkte sich komplett, an seine Arbeit oder seine Liebe. Die ich aus irgendwelchen Gründen so schnell wieder verloren hatte. Oder warum hätte er sonst bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in Mandys Bett hüpfen müssen?

    Keine Woche später saß ich in meinem alten Kinderzimmer und versuchte krampfhaft, ihn zu vergessen. Aber die hunderttausend verschiedenen Gründe, weshalb ich so glücklich mit ihm gewesen war, ploppten hartnäckig vor meinem inneren Auge auf.

    Selbst beim Kaffeetrinken fiel mir ein, wie er das gemacht hatte. Wie er dabei ausgesehen hatte. Wie er zum Beispiel seinen Kaffee mit konzentrierter Miene genau dreimal umgerührt hatte – im Uhrzeigersinn, weil das auf der nördlichen Erdhalbkugel gegen die natürliche Wasserablaufrichtung gerichtet und deshalb bestmöglich zum Verteilen der Flüssigkeiten Kaffee und Milch mit dem Granulat Zucker geeignet sei, jedenfalls unter der Annahme, dass alle drei Substanzen in üblichen Aggregatszuständen, Temperaturen und Mengen vorlägen und sich zu einem ähnlichen Zeitpunkt zusammen in einer genormten Tasse aus Porzellan oder Steingut befänden. Das hatte er ausgerechnet. Weil er so etwas eben konnte. Und nach dem Umrühren hatte er immer gelächelt und den Löffel aus der Tasse genommen, um ihn sich nicht beim nächsten Schluck ins Auge zu stechen, wie es ihm schon so oft passiert war.

    Nicht einmal Toast konnte ich mehr essen, weil ich den superstylishen Edelstahltoaster meiner Mutter immer mit seinem Toaster verglich. Der hatte die Form von Darth Vaders Helm und röstete den Schriftzug May the Force be with You in jede Scheibe. Alex hatte ihn mit großer Ernsthaftigkeit benutzt. In vielem war der Doktor der Physik ein Kind geblieben. Ob Mandy das zu schätzen wusste?

    In einem sentimentalen Moment gestand ich Mama, warum ich keinen Toast mehr zum Frühstück aß, obwohl sie mir extra eine Packung gekauft hatte. Sie hatte eine klare Meinung zu den Erinnerungen, die mich plagten.

    Siehst du, Kind, genau das ist der Grund, weshalb Ehen scheitern. Es ist doch immer das Gleiche: Anfangs ziehen sich die Gegensätze an, und spätestens nach ein paar Jahren gehen dir seine Macken so auf die Nerven, dass du ihn erwürgen könntest. Deshalb haben sich ja auch dein Vater und ich scheiden lassen, plauderte sie in ihrem üblichen Atomeisbrecher-Ton, der so viel Entschlossenheit und Kompetenz vermittelte und dem sie ihre Karriere als Unternehmensberaterin verdankte. Als Mutter waren ihr dieser Ton und diese Teflonpfannenhaltung auch stets sehr hilfreich gewesen. Mir als Kind nicht so sehr. Aber jetzt war ich ja groß und konnte damit umgehen.

    Toast ist sowieso nicht das Allerbeste, so vom Nährwert her, schloss meine Mutter ihre Ausführungen. Sei froh, dass du ihn los bist.

    Toast oder Mann? Egal. Ja, das sollte ich wohl sein. Froh. Jetzt im Moment gelang mir das vielleicht noch nicht ganz so überzeugend aus dem Effeff, aber bestimmt würde es in ferner Zukunft wieder mal besser hinhauen mit dem Frohsein. Ich würde wieder Fröhlichkeit verspüren, Lebensfreude. Mich locker machen. Spaß, oh ja, sogar Spaß haben. Irgendwann. Irgendwo. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

    Sei nicht traurig, Liesel. Ich weiß, du fühlst dich jetzt wie ... wie in den ... in den Altkleidercontainer gestopft. Ist mir damals mit deinem Vater genauso gegangen. Ich fürchte, Männer sind so. Beziehungen sind so. Meistens jedenfalls. Es gibt nun mal kein – wie nennt ihr Nähtussis das? Dieses Ding aus Papier, das man ausschneidet, auf den ... Stoff legt und dann noch mal ausschneidet? Puh, das klingt ja schon beim Beschreiben so umständlich und zeitraubend. Aber du weißt, was ich meine, oder?

    Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was da gerade passierte: Meine Mutter versuchte, mich zu trösten. Dafür griff sie sogar auf Fachausdrücke aus meinem Schneider-Vokabular zurück. Ich spürte, wie schwer es ihr fiel, diese Worte auch nur in den Mund zu nehmen. Altkleidercontainer. Ausschneiden. Stoff. Es war ihr so wesensfremd. Und auch für mich hatten die Begriffe ihre geliebte Heimeligkeit verloren.

    Schnittmuster?, murmelte ich.

    Genau, Schnittmuster! Das hat meine Mutter auch immer gesagt: Es gibt kein Schnittmuster für die Liebe.

    Deine Mutter? Meine Oma? Ich hatte Oma nie über die Liebe sprechen hören. Lag wahrscheinlich daran, dass ich nie gefragt hatte. Bei Oma war der sichere, warme Hafen mit den hübschen Streublümchenmustern gewesen, in dem ich meine erwachende Kreativität ausprobieren konnte. Nicht irgendwelche Hormonexperimente bejammern. Ich hatte Oma nie mit meinen pubertären Problemchen behelligen wollen. Oma war doch so kuschelig und roch nach Meister Proper Aprilfrisch, Oma war meine Anlaufstelle für perfekte Knopflöcher gewesen, für Muschelsäume und Haushaltstricks gegen ausfransende Nähte aller Art! Offensichtlich hatte ich da was verpasst.

    Ja, deine Oma, setzte Mama nach und begann zu erklären, weil sie mein Nachhaken missverstand. In Gefühlsdingen ist jeder seines Glückes Schmied. Oder Schneider, wenn du so willst. Jeder muss sich da selbst durchwursteln, und nur den allerwenigsten passt der Partner auf Anhieb. Oder gar auf ewig. Jedenfalls meiner Meinung nach, auch wenn ich von Handarbeiten wenig halte, sagte meine Mutter in der ihr eigenen, sachlichen Art. Aber keine Sorge. Es gibt noch genügend Männer da draußen. Zum Spaß haben. Auch für dich!

    Sie lächelte aufmunternd. Es sah nicht sehr überzeugend aus, aber meine Mutter war ja auch Unternehmensberaterin und nicht Psychologin oder gar Paartherapeutin. Wahrscheinlich auch besser so. Ich zwang mich meinerseits zu einem kurzen Heben der Mundwinkel und nickte stumm.

    Schnittmuster für die Liebe! Was für ein Blödsinn. Natürlich gab es das nicht, genauso wenig wie eine Betriebsanleitung oder ein Kochrezept für die Liebe. Wobei … so unpraktisch wäre das gar nicht. Es gab da draußen eine Menge unsicherer Hobbynäherinnen, die sich nichts selbst zutrauten und noch nach einem Schnitt für viereckige Tischdecken fragten, das wusste niemand besser als ich. Gäbe bestimmt einen Markt dafür, überlegte ich. Man bräuchte natürlich auch einen englischen Namen dafür, um es international zu verkaufen. Liebe wurde schließlich überall benötigt. The Pattern of Love. Welche Form dieses Schnittmuster wohl hätte?

    Mama unterbrach das zarte Pflänzchen meiner Marketinggedanken, bevor es richtig aufkeimen konnte.

    Aber jetzt gehen wir erst mal brav ins Bettchen, ja? Wir brauchen doch unseren Schönheitsschlaf. Du ganz besonders, mein Zuckerschnütchen!

    Mehr wurde nicht über mein Liebesleben gesprochen, und das war mir auch ganz recht so. Schluss mit Schnittmustern und dem ganzen Quatsch!

    2

    SPECKRÖLLCHEN UND STRICKSOCKEN

    Mindestens 20.000 Stiche sind nötig, um ein einziges, schlichtes Oberteil aus Jersey zu nähen. Wenn es ein klassisches T-Shirt mit Kragenverstärkung und doppelt abgesteppten Säumen werden soll, sind es sogar 40.000. Früher haben all diese Nähte meine Seele zusammengehalten, all diese Stiche meinen Leben strukturiert. Heute würde mich jeder einzelne Nadelstich direkt ins Herz treffen.

    Seit ich aufgehört hatte zu nähen, gehörte auch die abendliche Rotwein-Schokolade-Kombi meiner alten WG der Vergangenheit an. Ebenso wie das aufgewärmte vegane Kokoscurry und die selbstgebackenen Kekse (ob mit oder doch meistens ohne Hasch) von Shanaya auf dem Balkon der Hühnerstiege. Mangels Alternativen verbrachte ich viel Zeit mit meiner Mutter, und die hatte schon immer eine Tasse Kräutertee mit Ingwer für das Nonplusultra der Feierabendgestaltung gehalten. Also trank ich mit. Und ich aß auch mit: Morgens einen Milchkaffee und sonst nichts, mittags ein Käsebrot und vielleicht noch einen Joghurt, abends den schnell zusammenwürfelten Salat oder das bestellte Sushi, denn meine Mutter war nie eine große Köchin gewesen. Merkwürdigerweise hatte ich in ihrer Gegenwart auch nicht so viel Appetit.

    Meine Figur dankte es mir. Ich merkte es daran, dass mein knallroter Taillengürtel plötzlich zu einem Hüftgürtel geworden war. Zuerst dachte ich, es sei eine Materialermüdung. Aber als auch alles andere außer meinem einzigen Rollkragenshirt zu rutschen begann, musste ich mir eingestehen: Ich trug jetzt eine echte 38. Na ja, dachte ich zuerst, ist doch kein Problem. Kleider enger nähen ist einfacher als sie zu erweitern. Ob ich mir nicht doch wieder eine Nähmaschine holen sollte, um meine Sachen der neuen schlanken Linie anzupassen?

    Die Idee begrub ich rasch wieder. Denn mit den Kleidern kamen die Erinnerungen an den Nähtreff wieder hoch. An meinem Körper waren sie noch stumm gewesen, doch unter meinen Händen begannen sie ein Eigenleben zu entwickeln. Ich streichelte die Stofftextur, fuhr mit den Fingerspitzen die Nähte nach und wurde unwillentlich in der Zeit zurückgebeamt. Die Klamotten, die ich selbst entworfen und genäht hatte, sprachen zu mir. Wann wird es endlich richtig Winter?, fragte eine Russenmütze aus Walkstoff-Patchwork. Wir wollen mal wieder gebügelt werden!, riefen zwei meiner ersten Avas.

    Und schlimmer noch: Sie machten mir Vorwürfe. Ein Etuikleid aus Tweed quatschte mich an: Weißt du noch, wie du mich zwei Jahre im Eck liegen hast lassen, weil du zu faul warst, das Satinfutter per Hand einzunähen? Du hast es dann nur gemacht, um Beate den unsichtbaren Saumstich beizubringen. Und wie oft hast du mich seitdem angezogen, hm? Ein einziges Mal. Da hättest du es auch gleich sein lassen können!

    Ein Rock schrie: Ich sollte eigentlich eine Bluse werden! Mein Glück, dass du dich nicht für passende Knöpfe entscheiden konntest und das Rockschnittmuster sowieso mal ausprobieren wolltest. Weißt du noch? Weißt du noch??

    Natürlich wusste ich noch. Das war ja das Unangenehme. Alles wusste ich noch, alles.

    Wenn ich auf

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