Im Himmel ess' ich Zuckerwatte: Tagebuch einer Mutter eines krebskranken Kindes
Von Wiebke Vahlbruch
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Über dieses E-Book
Tagebucheinträge einer Mutter, die die Hoffnung niemals aufgab und gleichzeitig oftmals am Ende ihrer Kräfte war. Sie schildert den tagtäglichen Kampf gegen den Krebs und die schmerzhafte Erkenntnis, dass Momo gegen Windmühlen kämpft.
Als sie von seinem Rückfall erfährt, ist das zugleich wie ein Todesurteil. Und dennoch wird sie nicht müde sich mit Momo zusammen den Himmel auszumalen.
Eine berührende und zerreißende Geschichte über einen Kampf, der nie gewonnen werden konnte.
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Buchvorschau
Im Himmel ess' ich Zuckerwatte - Wiebke Vahlbruch
DAS BAUCHGEFÜHL BELÜGT DICH NIE
Manchmal hat man so ein Bauchgefühl. Es gibt Menschen, die hören darauf. Und es gibt Menschen, die überhören es gerne. Aber unterm Strich hat man instinktiv immer Recht.
Wenn man Pläne macht, dann fällt das Schicksal lachend vom Stuhl. Oh ja. Es kommt meistens anders als man denkt. Aber ganz am Ende ergibt oft vieles einen Sinn.
Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Ein Geschichte von dem wohl mutigsten Tiger den ich kenne.
Dieser Junge, von dem ich erzählen möchte, heißt Moritz. Aber eigentlich war er für alle von Anfang an Momo. Diesen Spitznamen hatte er schon weg, da war er noch nicht mal auf der Welt. Seine Schwester Emma war damals erst 2 Jahre alt und konnte Moritz noch nicht aussprechen. Und so hatte Momo schnell seinen Namen weg.
Momo war von Anfang an ein besonderes Kind. Schon im Mutterleib war nichts so, wie man es erwartet hatte. Das Ersttrimesterscreening war damals auffällig und somit wurden wir zur Fruchtwasseruntersuchung nach Münster geschickt. Die Ergebnisse waren nicht wirklich zufriedenstellend. Es wurde zwar Trisomie 21 und Co ausgeschlossen, allerdings sagten die Ärzte damals, dass dennoch etwas nicht so ist wie normalerweise
. Sei es ein Gendefekt oder sowas in der Art. Aber was es schlussendlich ist, konnte uns zu diesem Zeitpunkt niemand sagen. Wir hätten noch unendlich viele Untersuchungen machen können um noch mehr darüber heraus zu finden. Aber diese ganzen Untersuchungen sind natürlich immer mit einem Risiko verbunden.
Und irgendwann muss man überlegen, wofür man das alles macht. Ob man aufgrund der Ergebnisse eine Entscheidung treffen würde oder ob diese Entscheidung schon längst feststand. Für uns war es klar. Wir wollten dieses Kind. Wir liebten dieses Kind. Und wir würden im Leben nicht daran denken es abzutreiben, wenn wir erfahren hätten, dass es eine Behinderung hat. Somit war dieses Thema für uns durch. Wir haben auf sämtliche Untersuchungen verzichtet und warteten auf den Tag X. Auf den Tag der Geburt. Und auch diese war so ganz anders als bei seiner Schwester. Wie hätte man vorher wissen sollen, dass solch besondere Kinder
fast immer gleich auf die Welt kommen, wie ich später durch viel Literatur erfahren habe. Momo kam nach 33 Stunden heftigen Wehen völlig still auf die Welt. Wir lagen die erste halbe Stunde ( gefühlt waren es Stunden ) einfach nur da und schauten uns an. Und es lag etwas besonderes in der Luft. Dass die Schwestern immer wieder Momo auf den Po klopften und ihn dazu animierten zu schreien, blendete ich komplett aus. Er war ruhig und still und lag einfach nur da. Wir waren heilfroh, dass er gesund war und alles andere erschien uns nicht mehr wichtig. Wir hatten uns und das war das Wichtigste.
Die nächsten zwei Jahre waren so, wie man es sich vorstellt. Wir wuchsen als Familie zusammen. Emmi war so stolz und hat sich ganz liebevoll um ihn gekümmert. Natürlich haben sie sich auch oft gefetzt, aber das ist bei Geschwistern ja ganz normal.
Im August 2017 bin ich an Borelliose erkrankt. Das ist eine Erkrankung die durch einen Zeckenbiss ausgelöst wird. Ich habe dadurch eine beidseitige Gesichtslähmung bekommen und war ganze 8 Wochen im Krankenhaus. Das war eine schwere Zeit. Ich habe die Kinder kaum gesehen, da ich aussah wie geistig behindert und die Kinder damit schwer umgehen konnten.
Ich konnte weder richtig sprechen noch die kleinste Mimik in meinem Gesicht zeigen. Als sie mich das erste Mal wieder sahen, hat man den Schock in ihren Gesichtern gesehen. Emmi, meine Tochter, hatte sich relativ schnell daran gewöhnt. Für Momo war es schwieriger. Gut..er war auch jünger, aber er konnte nicht so gut damit umgehen. Er hat die ganze Zeit versucht mich zum Lachen zu bringen und ich habe auch laut losgelacht. Nur mit meinem Gesicht konnte ich es nicht zeigen. Es hat mir das Herz gebrochen. Daran habe ich heute noch zu knabbern.
Als ich entlassen wurde, ging relativ schnell die Reha los und mein Gesicht nahm nach und nach wieder Form an. Der normale Alltag
konnte wieder los gehen.
Allerdings hielt diese Normalität nicht lange an.
Im November erfuhr ich dann, dass mein Mann es mit der Treue seit 2 Jahren nicht so genau nimmt. Meine ganze Welt ist zusammen gebrochen. Ich bin froh, dass ich das alles auch erst jetzt aufschreibe, denn sonst würde dieser Part wahrscheinlich böse ausarten. Aber das ist Vergangenheit und sowas von unwichtig geworden.
2 Wochen später änderte sich unser aller Leben grundlegend.
Ich war dabei mich intensiv auf Wohnungssuche zu begeben. Den Kindern sagten wir natürlich noch nichts. Es war alles zu viel, zu früh, zu erschlagend. Wie soll man den Kindern etwas so normal wie möglich erklären, wenn man es selbst noch nicht versteht? Und wo noch so unendlich viel Wut und Enttäuschung und Traurigkeit hinter steht? Das wäre nicht fair.
the best vieiw comes after tthe hardest climb (pinterest)
Momo klagte zu dem Zeitpunkt des öfteren über Beinschmerzen. Er aß seit einiger Zeit schon nicht mehr richtig..was für Momo wirklich sehr ungewöhnlich war, weil er immer ein Kind war, dass gerne aß. Er sah bei näherem Betrachten blass aus und irgendwie…schlapp. Er war oft weinerlich und dann wieder fröhlich. Immer wieder im Wechsel. Ich dachte, dass er vielleicht etwas ausbrütet, aber dennoch war er nicht der Gleiche seit einiger Zeit. Und dann kam der 4. Dezember 2017.
Manchmal hat man so ein Bauchgefühl… Der ganze Tag schien mir schon eigenartig vorzukommen. Und es war erst der Anfang. Momo klagte seit Wochen über Schmerzen in der Hüfte. Er konnte nicht richtig laufen. Wir waren beim Kinderarzt, wurden dann überwiesen in das Krankenhaus im Nachbarort. Hüftschnupfen hieß es. Das müsse man aussitzen. Laut der Ärzte wäre das in 10-14 Tagen gegessen. Momo ging es von Tag zu Tag schlechter. Er war nicht mehr der Gleiche. Wollte nicht mehr spielen, nicht mehr essen und war generell wahnsinnig antriebslos und schlapp. Auf den AAArrrm..das waren seine Worte. Den ganzen Tag. Nach einer Woche Schmerzmittel und keine Sicht auf Besserung (im Gegenteil..es wurde immer schlimmer) ging ich erneut zum Arzt. Wir wurden wieder in das selbe Krankenhaus geschickt. Der behandelnde Arzt sagte mir dann, er würde jetzt die Schmerzdosis erhöhen und man könne nichts mehr machen. Ich wollte mich nicht abwimmeln lassen und sagte ihm, dass ich möchte, dass sie von ihm ein Röntgenbild machen. Er machte sich schon fast lustig und verneinte..bei diesem 'Krankheitsbild' würde ein Ultraschall reichen und ich könnte jetzt gehen.
Ich war außer mir. Wie konnte man ihn nur so leiden lassen. Irgend etwas stimmte nicht und als Mutter merkt man sowas einfach. Eine weitere Woche verging und Momo konnte auf einmal nicht mehr seinen Kopf zur Seite drehen. Er nahm für jede Bewegung den kompletten Oberkörper mit.
DA STIMMT WAS NICHT!!
Ich hatte mir geschworen, ich werde nie wieder in diese Klinik fahren, denn dort nehmen die mich sowieso nicht ernst. Ich fuhr also erneut um Hausarzt. Es war eine Vertretung da und zu meinem Glück schaute diese mal mit anderen Augen hin. Momo ließ sich kaum untersuchen. Sie brach das Ganze irgendwann ab und sagte: 'Sie fahren jetzt sofort in die Kinderklinik nach D.
Dort muss er einmal komplett durchgecheckt werden. Da stimmt etwas nicht. Ach neeeeee. Meine Güte. So fuhren also Uli, mein Schwiegervater, und ich (es war schon spät und dunkel und ich kannte den Weg nicht, deshalb ist er gefahren) in die Kinderklinik. Wir wurden stationär aufgenommen und legten uns nach diesem turbulenten Tag erst einmal schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir zum Ultraschall zitiert. Bis dato wurden schon einige Ultraschalle gemacht. Das Ganze dauerte sonst höchstens 5 min., aber bei diesem Ultraschall war alles anders. Der Arzt sprach nicht ein einziges Wort und schallte eine halbe Stunde lang. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht. Im Nachhinein wird einem natürlich vieles klar. Er verließ irgendwann das Zimmer mit den Worten: 'Ich muss das einmal mit meinem Kollegen besprechen'. Soweit so gut. Ich fühlte mich gut aufgehoben, da endlich jemand genauer hinschaute und sich Zeit nahm. Uli, der kurz vorher zu Besuch gekommen ist, wartete vor dem Behandlungszimmer. Als wir gerade dabei waren wieder hoch auf unser Zimmer zu gehen, wurden wir direkt zum Röntgen gerufen. Es war eigentlich nicht geplant, aber ich war sehr glücklich darüber, da -wie gesagt- endlich jemand genauer hinschaute. Was mir erst im Nachhinein bewusste wurde war, dass die Ärzte
Röntgenaufnahmen vom Thorax (Oberkörper) gemacht haben. Was hatte das Ganze also mit der Hüfte zu tun? Die Bilder wurden sofort ausgewertet. Die Schwester brachte uns wieder auf Station und sagte, dass der Arzt nach der Auswertung kommen würde und uns alles erklärt.
Wir waren eigentlich guter Dinge. Ich dachte mittlerweile an einen Leistenbruch oder Ähnliches. Ich war für alles gewappnet. Für fast alles…wie sich heraus stellte.
Irgendwann kam die Schwester ins Zimmer und bat uns mit ins Behandlungszimmer zu kommen, da der Arzt mit mir sprechen möchte. Selbst in diesem Moment dachte ich an nichts Schlimmes. Wir gingen also guter Dinge in dieses Behandlungszimmer (Uli kam mit) und dachten, wir bekommen endlich eine Diagnose und die Erlösung für Momos Schmerzen. Der Arzt begrüßte uns sehr nett und bat uns zu setzen. Und wie er anfing zu sprechen werde ich wohl niemals in meinem Leben vergessen:
„Frau Vahlbruch, wir haben den Moritz gründlich untersucht und haben etwas gefunden womit wir alle nicht gerechnet haben. Der Moritz hat 3 Tumore im Bauch. 2 in der Nierengegend und einen im Halsbereich. Wir können noch nicht genau sagen um welche Art von Krankheit es sich handelt, aber wir werden jetzt anfangen ihn noch genauer zu untersuchen. Mit MRT Aufnahmen. Wir werden ihm einen Katheter legen, damit wir schnellstmöglich mit der Chemotherapie anfangen können …"
Und so weiter und so weiter. Chemotherapie. Alleine dieses Wort löste in mir tausend Ängste aus. Die nachfolgenden Tage sind nicht mehr in meinem Gedächtnis. Kompletter Filmriss. Ich weiß nur noch, dass wir aus diesem Behandlungszimmer heraus gestolpert sind und Uli und ich komplett zusammen gebrochen sind im Flur der Station. Die Kinder, die dort unterwegs waren, fragten ihre Mütter was denn los sei. Was denn passiert sei. Wir konnten nur noch weinen. Nichts mehr sagen. Ich hatte Momo im Arm und ich weiß nicht mal mehr wie er reagiert hat. Es ist wie gelöscht in meinem Kopf.
So eine Nachricht reißt einem in Sekundenschnelle den Boden unter den Füßen weg. Ich kann nicht mal mehr beschreiben wie man sich fühlt. Es ist Wut und Leere und Angst und Hilflosigkeit. Alles gleichzeitig. Man begreift die Welt nicht mehr. Man fragt sich die ganze Zeit, warum man selbst nicht diese ganzen Schmerzen