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Ich bin dran: Ein Oststadt- Roman
Ich bin dran: Ein Oststadt- Roman
Ich bin dran: Ein Oststadt- Roman
eBook222 Seiten3 Stunden

Ich bin dran: Ein Oststadt- Roman

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Über dieses E-Book

Maxi Berger will Liebe, Glück und Erfolg. Und davon viel und möglichst für immer.
Die unkonventionelle Einrichtungsplanerin liebt ihre Arbeit, ihre pubertierenden Kinder, ihre Freundin Karla und die Oststadt. Das Leben scheint endlich in die ersehnte Richtung zu gehen, wäre da nicht ihr inneres Chaos, ein Wechsel von Ehrgeiz und Selbstzweifel, ein Mix aus Hoffnung und Angst. Sie sehnt sich nach Wertschätzung und nimmt auf dem Weg zu sich selbst so manch unterhaltsamen Umweg. Denn auch Maxis Leben läuft nicht nach Plan.

Die Geschichte von Maxi Berger, Ulmerin, Mutter, Frauenliebende, Suchende, Scheiternde, ist die Geschichte einer beseelten Kämpferin. Witzig, stark, voller Selbstironie. Eine Geschichte übers Scheitern und Aufstehen, übers Zweifeln und Wachsen. Entwaffnend intim und herzenswarm.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Mai 2020
ISBN9783347050716
Ich bin dran: Ein Oststadt- Roman

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    Buchvorschau

    Ich bin dran - Katja Sander

    1.

    Ich arbeite bei einem schwedischen Möbelhaus im Marketing. Kommunikation und Einrichtung. Ohne Aus- und Vorbildung. Gelernt habe ich etwas völlig anderes. Das ist dort nicht unüblich und ich bin für die Möglichkeit des Quereinstieges äußerst dankbar. Seitdem ich dort bin, lerne ich, dass man mit genügend Enthusiasmus und einverleibter Firmenphilosophie quasi alles erreichen kann. Schnelle Auffassungsgabe ist nie von Nachteil.

    Mein Eintritt wird von meiner Familie belächelt, warum weiß ich nicht. Weil sie es vielleicht anmaßend finden, jetzt als Einrichterin, als Interieur Designerin zu hantieren, obwohl ich eigentlich Zahntechnikerin bin? Oraldesign. Raumdesign. Also so groß ist der Sprung ja nun auch nicht. Und Fizzli-Puzzli war sowieso noch nie mein Format.

    Im hinteren Teil des Großraumbüros befindet sich die Abteilung der Schmücker, wie wir hausintern von manchen genannt werden.

    Ich lese kurz meine Emails und begebe ich mich direkt in die Kantine. Nicht, dass es mir an Motivation mangelt, lediglich an Kaffee. Es ist gerade mal zwanzig nach sieben und das ist nicht meine Zeit.

    Ich bin nun schon seit drei Jahren in diesem Haus. Nach drei Jahren wird nichts mehr. Da ist nur noch. Außer, man bewegt etwas ganz bewusst. Ich spüre, dass ich etwas tun muss. Ich muss etwas ändern. Wenn ich etwas nicht aushalten kann, dann ist es Stagnation. Glücklich sein ist in meiner Vorstellung eng damit verbunden, etwas Neues zu machen, am besten etwas Unkonventionelles, das in meiner Werteskala ganz oben steht. Etwas, das kein Geld bringt, aber ein cooles Image. Etwas Kreatives, wofür einen alle bewundern. Vielleicht, weil sie selbst weder den Mut noch die Verrücktheit besäßen, etwas Derartiges zu tun. Ein Wechsel in eine andere Niederlassung wäre zwar weder kreativ noch verrückt, aber es wäre ein Anfang. Für jemanden wie mich jedenfalls, mitten in der Phase der Familienverpflichtungen wäre schon so ein kleiner Ortswechsel etwas Außergewöhnliches.

    Inzwischen bin ich sattelfest. Kenne die Routinen, die Arbeitsweisen, kenne die Firmenstrukturen und die Geschäftsziele und weiß sowieso wie der Hase läuft. Ich hab das interne Entwicklungsprogramm durchlaufen und wär dann mal soweit. Auf meinen Lippen formt sich schon seit längerem der Satz: ich bin dran. Aber den hört man hier nicht gern, also verkneife ich ihn mir und vertraue darauf, dass diese Tatsache offensichtlich ist und ich es nicht aussprechen muss.

    Ich trinke meinen Kaffee leer und begebe mich auf die Morgenrunde durch die Möbelausstellung.

    Während ich durchgebrannte Glühbirnen wechsle, Spots ausrichte und Preisplakate aufhänge, habe ich genügend Zeit darüber nachzudenken, was ich mir genau vorstelle, unter meinem „ich bin dran".

    Klar will ich die Stelle meiner direkten Vorgesetzten. Versteht sowieso niemand, warum sie auf diesem Posten sitzt und nicht ich. Vermutlich wurde sie von ihrer letzten Stelle weggelobt. Ich finde sie unerträglich. Besonders morgens vor acht. Ihre Stimme ist eine Oktave zu hoch. Und zu laut. Neulich erklärte sie mir, wie man einen Akkuschrauber bedient. Da fällt mir nichts mehr ein. Also, ganz klar, dass ich ihren Posten verdiene. Diese Person bietet nicht mehr Kompetenz als ich, gut, sie hat Innenarchitektur studiert, aber das ist hier eh nicht relevant. Also kann ich warten, bis sie geht, oder aber, ich bewerbe mich weg.

    In Berlin entsteht demnächst ein neues Einrichtungshaus. Also ist es realistisch. Irgendwie. Ich schiebe meinen Arbeitswagen zum nächsten Interieur und träume von Berlin. Meine beste Freundin wohnt dort seit ein paar Jahren und meine Nichte. Berlin wäre eine Option. Klingt nach Platz für Großes, riecht nach Möglichkeiten der Entfaltung, nach Abenteuer, erinnert an Verruchtes und Glamouröses. Wer sich ausleben will geht nach Berlin. Berlin ist irgendwie anders. Berlin ist Berlin eben.

    In meinem Kopf formt sich eine Idee. Ich sehe, wie ein Bild entsteht. Vielleicht sollte ich heute Abend ins Atelier und mal wieder malen. Ich war schon viel zu lange nicht mehr dort.

    Das Atelier gehört einer Freundin und ist in einem alten Kindergarten untergebracht, inmitten eines riesigen Gartens mit altem Baumbestand und mannshoher Hecke. Ein Holzhaus, die Wände an den Ecken abgerundet, ganz nach Steiner‘schem Vorbild, den rechten Winkel vermeidend.

    Außer mir malen noch ein paar andere mehr oder weniger begabte Hobbykünstler dort. Am meisten beeindruckt mich der Schwarz-Weiß Maler mit seiner ausgeprägten Farbphobie. Manchmal liegt eine Tube rote oder blaue Ölfarbe auf seinem Beistelltischchen. Originalverpackt. Benutzt hat er sie noch nie. Ein schräger Vogel, mit dem ich kaum mehr als drei Sätze gewechselt habe bisher, der mir aber schon wegen dieser kleinen Macke äußerst sympathisch ist.

    Ich mag es, wenn ich dort alleine bin und mich beim Malen mit niemandem unterhalten, oder noch viel schlimmer, mich den Kommentaren zu meinen Bildern aussetzen muss.

    Ich probiere mich aus und finde mich dabei großartig. Das Ergebnis ist zweitrangig. Daran messe ich mich ungern. Das Ergebnis hält meinem eigenen Urteil nicht stand. Ich bemühe mich während des Malens nicht an das Ende zu denken, sondern an den Prozess. Und wenn ich dann mit einem Tuch im Haar vor meinen angerührten Farben stehe, mit dem Spachtel über die Leinwand schabe, immer in enormen Tempo, mehr Produktionshalle als Mußestunde, dann entstehen Serien von wilden Farbflächen, meist ohne Ziel, meist ohne Motiv. Im Hintergrund läuft Musik, die zu meiner Stimmung passt, und dann gibt es nur noch ein Gefühl und Farbe und Leinwand. Nicht abwarten können, die nächste Farbe dazu, mit dem Ergebnis unzufrieden und Sand darüber und gekratzt und gestrichen und dann die ganze Farbschale darüber gegossen und den einzelnen Farbspuren beim Verlaufen zugesehen, um dann, kurz vor ihrem Ende, kurz bevor sie sich auf dem Boden ergießen, einzugreifen und mit dem Spachtel zu begrenzen, umzuleiten und dann wieder zu vermengen mit dem was vorher war, in der Mitte und dem darunter und daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Sich plötzlich über eine handtellergroße Fläche freuen, die so genial erscheint, die so wundervoll und schön geworden ist, über diesen winzigen Fleck freuen, in einem so großen Gesamten, auf einer so großen Leinwand. Und dann nicht darüber zweifeln und urteilen, ob dieses Etwas es wert ist, dieses Bild schön zu finden, ihm einen Platz zu geben, eine Daseinsberechtigung. Sondern, es erst mal zur Seite zu stellen, und eine neue Leinwand hernehmen und von vorne beginnen.

    Irgendwann, Tage, Wochen später, wenn die Romantik zuschlägt oder der Materialmangel, nehme ich mir diese eine Leinwand wieder her, um sie zu übermalen und ihr und mir eine neue Chance zu geben.

    Es ist beim Malen genau wie in meinem Leben, denke ich: Heilig ist der Moment. Es gibt kein Ziel und kein befriedigendes Ergebnis. Ich bilde mir ein, das sei gut so. Ich finde das Entstehen toll, aber selten das Resultat. Ich finde meistens das Planen toller als das Ausführen. Vielleicht schmiede ich deshalb so gerne Pläne und wage mich selten an die Umsetzung, weil ich mich vor dem Ergebnis fürchte. Vor dem Versagen. Vor dem Nicht-Genügen. Zumindest bei den großen Dingen des Lebens. Einen Wochenendausflug kriege ich hin.

    Ich male ein pink-grünes, zweigeteiltes Bild zu meiner Stimmung „Berlin". Und es ist etwas Neues in diesem Bild. Ich male mit einem feinen Pinsel das Brandenburger Tor auf den pinkfarbenen Hintergrund. Ganz gegenständlich und erkennbar. Und weil ich so verzückt bin über dieses visualisierte Stadtgefühl, schreib ich noch ein paar spontane Sätze, male noch ein drittes Bild, nur mit Worten:

    Berlin.

    Stadt der Städte

    wild, laut, hässlich

    und doch unbeschreiblich schön

    schrill und voller Tempo

    Stadt der Freiheit –

    einst der Zwänge

    voll von Widersprüchen,

    Unverbindlichkeit

    und doch voller Gefühl

    Stadt der Gestrandeten,

    der egozentrischen Selbsterfinder

    Stadt der Sehnsüchte

    und meiner unheimlichen

    Liebe.

    Berlin.

    Selbstzufrieden wasche ich meine Farbschüsseln aus, räume die Staffelei an ihren Platz und wickle mir das Tuch aus den Haaren. Meine Haare sind kurz. Ich brauche das Tuch nicht zum Bändigen einer wilden Mähne, sondern für meine kleine Künstlerseele. Ich fühle mich so wunderbar kreativ mit einem Stück Stoffturban. Es ist schön, mich selbst glauben zu machen, es gäbe etwas in oder an mir, das man bändigen müsse. Das zeugt von einer großen Kraft, von etwas Sprudelndem. Und für den Fall, dass mir das niemand glauben könnte, übe ich mich mal in Selbstüberzeugung.

    Ein paar Farbflecke wasche ich an den Händen bewusst nur oberflächlich. Darf man morgen gerne sehen, dass ich kreativ war. Dass es ein Mehr gibt bei mir. Mehr Schöpferisches. Ein Überschuss an Energie und Schaffensfreude und dass da was dran ist an dieser Maxi, die ja jetzt auch mal dran wäre. Demnächst.

    Während wir uns der saisonalen Anpassung auf der Bettenfläche widmen und dort dünne Sommerdecken gegen dicke Winterdaunen tauschen und Himmelbetten zu Kuscheloasen mit unzähligen Kissen verzaubern, wabern meine Gedanken wieder nach Berlin.

    In zwei Wochen ist es nämlich so weit. Ich fahre mit meiner Liebsten Karla für ein verlängertes Wochenende zu meiner Nichte. Meine Liebste ist gerade mal wieder nicht konstant meine Liebste, nicht dass es eine andere gäbe, aber unsere Unterschiedlichkeit nagt an der Kontinuität. So habe ich beschlossen, dass uns ein bisschen Paar-Zeit gut tut. Und ganz nebenbei kann ich mir ja auch mal Berlin genauer anschauen. Nicht die touristischen Attraktionen, sondern mögliche Fahrtwege zur Arbeit will ich testen, die Alltagsstimmung spüren an Knotenpunkten wie Alexanderplatz in einer vollen U-Bahn morgens um sechs Uhr dreißig. Wir könnten uns den neuen Standort der Niederlassung ansehen. Ganz zufällig. Was willst du denn in Lichtenberg? Friedrichsfelde? Testen. Den Realitätscheck machen. Wo liegt das? Wie weit ist das von meiner Nichte Maike und meiner Berliner Freundin Anke entfernt? Wie teuer sind die Mieten und überhaupt, wie könnte mein Leben dort aussehen?

    Wer würde dort mit mir leben? Meine Kinder? Meine Partnerin irgendwann? Ich träume von einem möglichen Minikosmos in Berlin. Meinem bereits jetzt bestehenden sozialen Netzes, wenn es auch grobmaschig und mikroskopisch klein ist. Ich träume mich in eine kleine Altbauwohnung. Spartanisch aber mit Witz. Bunt und fröhlich und charmant. So wie ich eben. Die Staffelei neben dem Bett und Regale mit Pigmentgläsern bis unter die hohe Decke, ein Sofa in der Küche und einen großen, alten Tisch fürs Leben. Karla ist dabei der weiße Fleck in meiner Planung. Die Variable, Unbekannte. Sie würde die Stadt nicht wechseln, nicht mit mir in Berlin einen neuen Anfang wagen. Soviel steht fest. So wäre ein Umzug eine Zerreißprobe für unsere Beziehung. Könnte ich eine Beziehung auf diese Distanz dauerhaft leben? Sich nur an den Wochenenden und im Urlaub sehen, könnte das ausreichen? Telefonieren und schreiben, multimedial, doch ist alles kein Ersatz für einen Menschen ganz echt und pur, aus Haut und Haar, den ich spüren und halten will.

    Dieser Teil meiner Berlinträume ist etwas, das mir Angst macht. Und dennoch halten mich diese Träume von einem Neustart in meinem kleinen Ulmer Alltag lebendig.

    Ich könnte es doch versuchen? Es gibt immer ein Zurück.

    Wenn ich abwäge, was mich in Ulm hält, dann sind es bestimmte Menschen, die ich in meinem Leben nicht missen möchte, dann sind es die bekannten Gesichter, denen man begegnet, wenn man durch die Stadt geht und die gewohnten Wege, die einem das Gefühl von Heimat geben. Das Gefühl von Eingebettet sein in etwas Überschaubares, Berechenbares. Dann sind es auch die kurzen Wege, und dass dadurch alles schnell mal erledigt ist. Ganz nebenbei oder nebenan. Komisch ist, dass genau das Gegenteil mich in die Ferne lockt. Die Anonymität, die Größe, das Unverbindliche, die Vielfalt an Menschen und Möglichkeiten, an Kultur und Subkultur. Berlin bietet in meinen Augen so viel und ist dabei so leicht und lebendig. Und das trotz der schweren Last schwieriger Geschichte.

    Ich müsste ja nicht für immer dort sein. Vielleicht für eine unbestimmte Dauer, bis auch in Berlin der Nordwind weht und es mich weiter zieht an einen Ort, an dem ich glaube mich selbst zu finden, das Glück und die Liebe und die Gewissheit: jetzt ist ewig. Jetzt ist gut, wie es besser nie sein könnte.

    Ich bin auf die neue Wohnung meiner Nichte Maike gespannt. Zusammenlegung zweier Liebenden ist immer der schönste Umzugsgrund. Ich freue mich für sie. Weniger freudig bin ich allerdings, wenn ich an ihren neurotischen Kater denke, der sich widernatürlich und schmerzhaft an meine Fersen heftet, wenn ich seine Wege kreuze. Ich werde ihn schon überleben. Und er mich hoffentlich auch…die Stralauer Allee soll ja sehr befahren sein?

    Ihre Wohnung ist groß, um nicht zu sagen riesig. Zwei kleine mehr oder weniger zarte Frauen und eine vierbeinige Bestie teilen sich eine Etage mit Blick auf die Spree und die Molecule Man Plastik von Borofsky, die ausschaut wie drei Menschen mit Einschusslöchern.

    Meine Nichte ist mit einer echten Diva liiert. Aber Hallo. Sie hat Geschmack, zweifelsohne, die Wohnung ist schon kurz nach Bezug auf Hochglanz poliert. An den Wänden hängen Kunstklassiker und im raumhohen Bücherregal steht brav gereiht, was man heute gelesen haben muss, wenn man seine Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum offenbaren möchte. Die junge Dame gibt sich älter als sie ist. Das finde ich vermutlich so lächerlich wie sie meine Bemühungen, jünger zu scheinen, als ich bin. Ihr Outfit ist so perfekt inszeniert, wie die ganze Person. Nichts, aber auch kein einziges Härchen, ist dem Zufall überlassen. Das Make-Up ist perfekt, ein umwerfend schöner roter Mund, die Haare streng aus dem Gesicht gebunden, der Rock sitzt knapp und sexy wie die Bluse, die leicht aufreizend, aber nicht anzüglich über die prallen Brüste spannt. Die Füße stecken in hohen Lackschuhen, zu denen die passende Handtasche im Flur auf einem antiken Stuhl steht. Maike lehnt lässig in ihrer Baggy-Pants im Türrahmen und beobachtet mich amüsiert. Wahrscheinlich würde ich vor Neid und Ehrfurcht jetzt ganz klein werden, wenn ich mich nicht damit trösten könnte, nur die Hälfte ihrer Freundin zu wiegen. Maike wird in die Küche geschickt, um Kaffee zu kochen. Befremdlich für mich. Aber sie sieht glücklich aus. Vielleicht ist es das, was sie gesucht hat. Einen schönen, starken Ruhepol an ihrer Seite, eine, die ihr die Umtriebigkeit gönnt und eine Brücke schlägt, zwischen Subkultur und etablierten Leben? Ich fühle mich meiner Nichte so verbunden und dann doch so fremd, dass ich mir diese Frage nicht mal beantworten kann ohne zu spekulieren: ist sie angekommen?

    Maikes Freundin, Madame du Maison, liegt nach 4-Käsepizza mit Schokosoufflé auf dem Canape und lackiert sich die Fußnägel. Eigentlich wollen wir los. Maike rechnet Trockenzeit, plus Schuhauswahl, plus Klamottenwechsel, plus vergessenes Irgendwas und bangt um unsere Pünktlichkeit, formt im Geiste einen Plan B und flüstert ihrer Liebsten zu: „Lass dir ruhig Zeit, Schatz, zwei Minuten hast du noch". Nur über die Spree, einmal ans andere Ufer, um im Badeschiff ein Konzert nicht zu verpassen, das sie mit initiiert hat. Organisieren, Checken, Machen. Das ist Maikes Welt. In dieser fühlen sich auch andere wohl, besonders diejenigen, die gerne machen lassen. In den nächsten drei Tagen organisiert sie Einkäufe, Tickets und Flyer und Menschen die sie unter Menschen bringen, plant die nächsten Termine ihrer eigenen Veranstaltungsreihe, stemmt Studium und Thekenschichten in der Simon Dach Straße und vergöttert die Frau, mit der sie sich auf ein langes Leben eingerichtet hat. Als ob ich an ihrer Entwicklung irgendwie beteiligt gewesen wäre, empfinde ich so etwas wie Stolz.

    Am Samstag schlendern wir über den Flohmarkt am Boxhagener Platz. Ich kaufe mir ein kleines Frotteestoffkunstwerk für Zuhause und hole mir Anregungen fürs Atelier. Wie war der Spruch noch? Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu. Das sollte ich mir zu Herzen nehmen und Dinge, die mir guttun nicht so oft schleifen lassen. Sollte. Könnte. Hätte. Ich unterhalte mich mit einem Geschichtenschreiber, den ich amüsant finde und freue mich, dass Maike einen neuen Fahrradsattel mit passender Stange findet, nachdem ihrer schon wieder geklaut wurde. Irgendwie sieht er dem alten verdächtig ähnlich, findet sie.

    Wir frühstücken zu viert im Kurhaus. Karla bestellt Unmengen an Kaffee und Kakao und Croissants und Käse und Obst und Maike wird nicht müde, jedem, den wir treffen, freudestrahlend zu erzählen, ich sei ihre lesbische Tante aus Ulm.

    Fühle ich mich jetzt geschmeichelt? Wenn ich auch nur annähernd denke, zwischen ihrer Welt und meiner bestünde kaum ein Unterschied, wir lebten im gleichen Homokosmos, ticken ganz ähnlich und sind aus demselben Holz gemacht, so werde ich in jenen Momenten eines Besseren belehrt. In jenen Momenten, in denen sie mich so ahnungslos und anrührend ihren Freunden

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