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Das dunkle Reich: Ein Fantasyroman
Das dunkle Reich: Ein Fantasyroman
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eBook708 Seiten10 Stunden

Das dunkle Reich: Ein Fantasyroman

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Über dieses E-Book

Beim Kampf um das Überleben seiner Geliebten und das der gesamten Menschheit taucht Devius in eine Welt des Vergessens und der Dunkelheit ein, die von mystischen dunklen Göttinnen beherrscht wird. Eine Parallelwelt zu der unseren. Verborgen hinter dunklen Spiegeln. Dabei muss er gegen seinen niedrigsten Instinkte und gegen eine Übermacht von finsteren Geschöpfen, die Krieger der dunklen Horden, kämpfen. Wird seine Liebe zu Clarissa stark genug sein, um seine Feinde zu besiegen und sie zu befreien? Oder werden sie beide Opfer der finsteren Verlockungen werden und auf ewig in der Dunkelheit aufgehen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Mai 2017
ISBN9783742788412
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    Buchvorschau

    Das dunkle Reich - Darius Dreiblum

    Prolog

    Wie jeden Freitagmorgen ging Susanne Grafe in den Supermarkt in ihrer Nähe einkaufen. Ihre zwei Kinder hatte sie schon in die Schule und den Kindergarten gebracht. Der Einkaufszettel war geschrieben. Sie hatte heute Nacht schlecht geschlafen, daher war sie nicht voll konzentriert, während sie auf dem Parkplatz des Discounters eintraf. Aber ansonsten ging ihr der Einkauf fast wie von selbst von der Hand.

    Als sie an der Kasse stand, fiel ihr allerdings ein, dass sie die Bananen vergessen hatte. Aber die konnte sie morgen auch noch holen.

    Mit „Das macht 73,84 EURO, bitte", riss die Kassiererin sie aus ihren Gedanken. Sie nahm ihr Portemonnaie aus ihrer Handtasche, öffnete es und zog ihre Kreditkarte hervor. Gerade war sie dabei, sie in den vorgesehenen Schlitz zu stecken, doch dann hielt sie irgendetwas davon ab. Plötzlich fühlte sie, dass ihr kalter Schweiß auf der Stirn stand und sie sich seltsam benebelt fühlte. Hatte sie Fieber? Dann erinnerte sie sich. Irgendjemand beugte sich in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers über sie, während sie kurz aus ihrem Schlaf erwachte. Aber so schnell diese Vision gekommen war, war sie auch wieder verschwunden.

    „Bitte geben sie ihre Geheimnummer ein.", sagte die Verkäuferin genervt. Susanne Grafe versuchte es, aber sie konnte sich nicht mehr an diese Zahlenkombination erinnern. Auch beim dritten Mal nicht. Was hatte das zu bedeuten? Sie wusste genau, dass sie die Nummer vor ein paar Minuten noch gewusst hatte, aber jetzt war da gar nichts mehr, nur Leere.

    Die Röte stieg Susanne Grafe ins Gesicht und sie spürte die Blicke der anderen Leute auf sich. Bestimmt dachten sie, sie sei verrückt. Auch die Verkäuferin wurde immer genervter:

    „Zahlen Sie jetzt in bar?"

    „Nein, soviel Geld habe ich nicht dabei. Kann ich den Einkaufswagen hier stehen lassen? Dann hole ich Geld von der Bank."

    „Na gut, wenn sie meinen."

    Susanne Grafe floh förmlich aus dem Supermarkt. Was war nur los mit ihr? Als sie jetzt atemlos vor der Tür stand, fiel ihr nicht mehr ein, wie sie zu ihrer Bankfiliale kommen konnte. Bei welcher Bank war sie überhaupt Kundin? Die Verzweiflung machte ihr das Atmen schwer. Sie musste sich jetzt erst einmal beruhigen, setze sich dazu auf den nahen Fahrradständer. Aber je mehr sie nachdachte, desto weniger Dinge fielen ihr ein.

    Die Leute aus dem Supermarkt gingen an ihr vorbei, schauten sie seltsam an. Am liebsten hätte sie sie angeschrien, sie sollten sie nicht so anstarren, aber sie fühlte sich völlig kraftlos, konnte einfach nicht mehr. Vielleicht sollte sie ihren Mann anrufen, damit er sie abholen kommt. Ja, das war ein vernünftiger Gedanke. Sie kramte ihr Handy hervor, wollte ihn anrufen. Doch dann fiel ihr der Code zum Entriegeln ihres Handys nicht mehr ein. Das war zu viel für sie. Ihr stiegen Tränen in die Augen und sie fing hilflos an zu weinen. Immer mehr und immer lauter schluchzte sie vor Verzweiflung.

    Doch dann wurde Susanne Grafe von ihrer tiefen Niedergeschlagenheit abgelenkt und gezwungen hochzuschauen. Sie hörte wie ein Mann mittleren Alters verzweifelt um Hilfe rief und dann sah sie ihn auch schon den Parkplatz des Discounters erreichen. Er kam genau in ihre Richtung gelaufen und hatte sie sich scheinbar als Ziel ausgesucht. Der Mann trug einen teuren Anzug, aber die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und er wirkte ungepflegt. Schließlich erreichte er sie und fiel ihr weinend vor die Füße. Susanne Grafe wischte sich selbst die Tränen aus den Augen und fragte ihn voller Mitgefühl, was denn mit ihm sei. Daraufhin schaute er auf und sagte:

    „Ich fühle mich so furchtbar allein und finde den Weg nach Hause nicht mehr. Können Sie mir helfen?"

    „Wo wohnen Sie denn?"

    „In einem großen Haus mit blauen Fensterläden und einen großen blauen Tor."

    „Und in welcher Straße?"

    „Das weiß ich nicht."

    Gerade wollte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht stehlen, denn sie dachte, er wollte sie veralbern. Aber dann versuchte sie sich daran zu erinnern, wo sie selbst wohnte und es fiel ihr nicht mehr ein. Als sie nun aufblickte, sah sie lauter Menschen auf dem Parkplatz und der Straße rumlaufen, die vor sich hinmurmelten oder auch laut riefen. Allen war gemeinsam, dass sie nicht mehr wussten, wo ihr zu Hause war.

    1. Kapitel

    Devius schaute aus dem Fenster und beobachte, wie die Sonne langsam aufging. Es würde wieder ein heißer Tag werden. So heiß, dass einem jede Bewegung und jeder Gedanke dadurch schwer fiel. Das ging schon seit Wochen so. Keine Aussicht auf Abkühlung. Selbst die Nächte waren kaum noch zu ertragen. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen und einen wehmütigen Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Gestalt wirkte gebeugt und kraftlos. Seine schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Da war er sich sicher. Wie so oft in letzter Zeit, waren seine Gedanken mit Kummer erfüllt. Jeden Morgen wurde er von einem Alptraum aus dem Schlaf gerissen, der ihn atemlos und voller Angst erwachen ließ. Doch das war nicht das Einzige, was ihn quälte. Er hatte dunkle Ahnungen. Ahnungen, dass bald etwas Furchtbares geschehen würde. Doch er wusste nicht, was ihn dazu brachte, das zu denken. Zweifelte langsam an seinem Verstand.

    Jede Nacht schlich sich der Alptraum erneut in seinen Kopf und jeden Morgen wachte er davon auf und konnte sich nur an Bruchstücke davon erinnern:

    Er befand sich in einem dunklen Raum, in dem er nur Umrisse und Schatten wahrnehmen konnte. Je weiter er in den Raum vordrang, desto unruhiger wurde er. Während seine Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen, hörte er einen leisen monotonen Gesang.

    Als er sich in diese Richtung wandte, sah er dort ein sanftes dunkelblaues Leuchten, das aus einer spiegelnden Fläche an der Wand entsprang. Dieses Leuchten zog ihn unerklärlich an, wirkte gleichzeitig aber auch bedrohlich auf ihn. Irgendetwas verbarg sich hinter dem Leuchten. Das wusste er. Langsam und zögerlich ging er nun darauf zu. Je näher er der leuchtenden Fläche kam, desto besser konnte er erkennen, dass der Gesang von einer Gruppe von etwa einem Dutzend dunkler Gestalten davor ausging.

    Devius lauschte ihnen eine ganze Weile, konnte aber nicht erkennen, aus welcher Sprache die Worte dieses bedrückend und finster klingenden Liedes stammten. Nach und nach kam ihm sogar der Verdacht, dass es gar keine menschliche Sprache war, in der dort gesungen wurde. Das war jedoch nicht das Einzige, was ihm auffiel. Je weiter er ging, desto deutlicher sah er, dass es sich bei der leuchtenden Fläche um einen großen Spiegel handelte, der auf eine seltsame Art und Weise durchlässig erschien.

    Devius hatte sogar das Gefühl, dass er mit seiner Hand darin versinken würde, wenn er versuchen würde, diese Fläche zu berühren. Sie vielleicht sogar seinen gesamten Körper aufnehmen würde. Voller Neugierde näherte er sich immer mehr diesem Spiegel und versuchte schließlich, seine Oberfläche zu berühren. Er steckte seine Finger aus und fühlte …

    Allerdings endete an dieser Stelle abrupt Devius Erinnerungsvermögen. So sehr und so oft er sich auch bemühte, Licht in das Dunkel seines Gedächtnisses zu bringen, gelang es ihm nicht. Der fehlende Teil seines Alptraumes blieb in tiefer Dunkelheit verborgen. Und das, obwohl er genau wusste, dass genau diese Passage ihm eine Erklärung für seine dunklen Ahnungen liefern würde.

    Es fiel ihm immer schwerer sich auf sein Leben zu konzentrieren und seine beruflichen Aufgaben zu meistern. Er war ein angesehener und begabter Grafiker, aber seitdem er zum ersten Mal diesen Traum gehabt hatte, konnte er sich kaum überwinden, die Aufträge, die er für einige Werbeagenturen erledigen sollte, anzufertigen oder auch überhaupt damit zu beginnen.

    Ähnlich verhielt es sich mit seinem Privatleben. War er vor nicht allzu langer Zeit noch oft durch die Straßen seiner Heimatstadt Darmstadt flaniert und hatte sein Leben bis zur Neige ausgekostet, so blieb er seit eineinhalb Monaten mehr und mehr zuhause und konnte sich immer seltener dazu bewegen, einen guten Freund zu treffen. Er begab sich in eine Isolation, die immer schwieriger von ihm zu durchbrechen war. Obwohl er im Innersten wusste, dass ihm das nicht gut tat, stand er dem hilflos gegenüber.

    Nachdem er sich nach der heutigen Nacht und dem durchlebten Alptraum besonders schlecht fühlte, sagte Devius sich, dass es nicht mehr so weitergehen konnte. Er brauchte Ablenkung, sonst würde er noch verrückt werden. Daher entschied er sich, seinen Freund Jasper anzurufen und ihn zu bitten, mit ihm heute auf Kneipentour zu gehen. Jasper, der ziemlich überrascht, aber auch ehrlich erfreut war, endlich mal wieder von seinem Freund Devius zu hören, meinte:

    „Eigentlich sollte ich Dir ja böse sein, dass Du Dich schon so lange nicht bei mir gemeldet hast, aber mir fiel es schon immer sehr schwer, lange zornig auf Dich zu sein, daher kann ich Dir auch gleich zusagen. Ich werde Dich heute Abend um sieben abholen. Aber wage es nicht, mir doch noch abzusagen. Also, bis dann, ich freue mich, Tschau!".

    Nachdem das Telefonat beendet war, musste Devius erst einmal über seinen Freund Jasper lächeln. Ihm gelang es immer wieder, ihn auch in den schlimmsten Momenten noch aufzuheitern. Er war wirklich froh, so einen Freund zu besitzen. Jetzt wusste Devius ganz sicher, dass er eine gute Entscheidung getroffen hatte. Ja, er freute sich darauf, seinen alten Freund endlich mal wieder zu sehen und auch darauf, mit ihm das Nachtleben von Darmstadt mit seinen vielen Studentenkneipen zu genießen. Das hatten sie in der Vergangenheit schon öfters getan. Devius glaubte fest daran, dass ihm dieses Erlebnis wieder auf den richtigen Weg bringen und ihm helfen würde, den lästigen Alptraum zu vergessen. Vorher wollte er aber noch ein wenig schlafen, um ausreichend ausgeruht für den Abend zu sein.

    Sobald er es sich auf dem Sofa in seinem kleinen Wohnzimmer bequem gemacht hatte, schlief er auch schon ein und glitt erneut in seinem Alptraum. Schon in der ersten Sekunde des Traumes merkte er allerdings, dass etwas anders war. Jemand befand sich ganz in seiner Nähe. Schien nur darauf zu lauern, ihn zu ergreifen und zu überwältigen. Dieses andere Wesen strahlte eine so große Kälte und so eine starke Bösartigkeit aus, dass er anfing, vor Angst zu zittern. Er wagte kaum zu atmen und musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben. Unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft gelang es ihm schließlich, den Kopf in die Richtung dieses Wesens zu bewegen. Doch es war zu spät. Der Wecker klingelte. Devius wachte völlig von Schweiß durchnässt aus seinem Traum auf. Er hatte die Gestalt nur noch aus den Augenwinkeln erblicken können. Wusste nicht, ob sie Mann oder Frau gewesen war.

    Devius versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben, dass es wichtig gewesen wäre, zu erkennen, wer in seinem Alptraum bei ihm gewesen war. Diese Chance war vertan. Nun wollte er sich auf den anstehenden Abend konzentrieren. Er machte sich frisch und zog sich ein paar neue Kleider an. Devius war großgewachsen und hatte schon immer gerne Sport getrieben. Er besaß eine freundliche und höfliche Art, mit anderen umzugehen, was viele Frauen sehr ansprach. Allerdings übte das andere Geschlecht auch eine große Faszination auf ihn aus. Sogar so sehr, dass er manchmal dachte, dass es ein wenig einer Krankheit glich, wenn er vom Liebreiz der Frauen so hingerissen war. Das hing vielleicht auch damit zusammen, dass er ohne Mutter aufgewachsen war.

    Zurzeit hatte er allerdings keine feste Beziehung. Im Moment war er auch gar nicht in der Stimmung sich zu verlieben. Seine letzte Liebesbeziehung lag schon ein paar Monate zurück und war ziemlich abrupt auseinander gegangen. Bis zuletzt hatte er gedacht, dass Rebecca seine große Liebe war, aber damit hatte er sich bitterlich getäuscht. Rebecca war eine sehr gutaussehende, rothaarige Frau gewesen. Leider war sie auch verheiratet, weswegen die Beziehung zwischen ihr und Devius nach eineinhalb Jahren auseinanderging. Ihr Ehemann hatte von dem Verhältnis seiner Frau erfahren und machte Devius ziemlich deutlich klar, dass er seine Frau für sich alleine haben wollte. Da Rebecca zu verwöhnt war, um sich ein Leben mit einem armen Künstler wie Devius vorstellen zu können, trennte sie sich von ihm.

    Das tat Devius unglaublich weh. Doch insgeheim hatte er schon damit gerechnet. Außerdem versuchte er sich damit zu trösten, dass die Momente mit Rebecca so intensiv gewesen waren, dass er hoffte, noch lange daraus Kraft schöpfen zu können.

    Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür und Devius wurde aus seinen Gedanken an Rebecca gerissen. Er schaute kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es schon kurz vor Sieben und aller Wahrscheinlichkeit nach Jasper war, der jetzt schon zum zweiten Mal klingelte. Nachdem Devius die Tür geöffnet hatte, stand Jasper vor ihm und lächelte ihn voller aufrichtiger Zuneigung an. Jasper war sein bester Freund. Er kannte ihn schon seit seiner Schulzeit und hatte glücklicherweise nie den Kontakt zu ihm verloren. Jasper hatte in etwa die gleiche Größe wie Devius, war allerdings blond und hatte fast immer ein verschmitztes Lächeln in seinem mit Sommersprossen übersäten Gesicht. Sein Freund war im Gegensatz zu ihm ein sehr kontaktfreudiger und humorvoller Mensch. Er und Devius ergänzten sich somit auf eine seltsame Art und Weise. Während Devius immer schon eher zurückhaltend, sehr nachdenklich und schon fast menschenscheu war, liebte Jasper es, sich unters Volk zu mischen, neue Leute kennenzulernen und ohne nachzudenken Spaß zu haben.

    Devius hatte seinen Freund schon immer dafür bewundert, wie es ihm ohne Schwierigkeiten gelang, andere Menschen auf eine sehr charmante Art für sich einzunehmen und sie dazu zu bringen, ihn zu mögen. Insbesondere bei Frauen gelang ihm das. Durch Jasper hatte Devius fast alle seine Freundinnen kennengelernt und unter anderem auch Rebecca. Jetzt nahm Devius seinen Freund in die Arme:

    „Danke, dass Du so spontan für mich Zeit hattest und mich begleiten willst. Es tut mir so leid, dass ich mich so lange nicht bei Dir gemeldet habe, aber mir geht es seit ein paar Wochen nicht besonders gut. Deshalb freue ich mich umso mehr, Dich zu sehen, Jasper. Und wie geht es Dir?". Jasper verwandelte sein offenes Lächeln in ein breites und verschmitztes Grinsen und sagte:

    „Mir geht es doch immer gut, wenn wir uns sehen. Es wurde aber auch langsam Zeit, dass Du Dich bei mir meldest. Sag, was war die ganze Zeit mit Dir los und wieso geht es Dir nicht gut? Nie hattest Du auf etwas Lust, wenn ich Dich angerufen habe. Solche depressiven Phasen bin ich von Dir gar nicht gewohnt. Noch nicht einmal als Rebecca sich von Dir getrennt hatte."

    Devius nickte und erzählte Jasper nun von seinem Alptraum und seiner Wirkung auf seine Leben. Nachdem er geendet hatte, fragte Jasper ihn, warum er ihm das denn nicht schon viel früher erzählt hatte. Darauf konnte Devius ihm keine richtige Antwort geben. Nein, er konnte es einfach nicht erklären. Vielleicht weil er Angst davor gehabt hatte, für verrückt erklärt zu werden.

    „Devius, Du weißt doch hoffentlich, dass Du mir alles erzählen kannst, ohne Angst davor haben zu müssen, dass ich mich darüber lustig mache oder Dich für geisteskrank halte." meinte Jasper daraufhin mit ernstem Gesicht.

    „Aber ich denke, wir können ja später nochmal darüber sprechen. Jetzt sollten wir uns erst mal auf den Weg in Stadt machen."

    Devius bewohnte eine Dreizimmerwohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses in Darmstadt Bessungen, einem der schönsten Stadtteile Darmstadts. Von seiner Wohnung aus blickte man direkt auf den Orangeriegarten und nur ein paar Minuten Fußweg von seiner Wohnung entfernt war eine Haltestelle der Straßenbahnlinie drei. Zu dieser Haltestelle hatten die beiden Freunde vor, sich auf den Weg zu machen.

    Kurz vor ihrem Aufbruch wollte Devius allerdings im Bad noch einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild werfen. Dieser Blick dauerte dann aber doch so unvermutet lang, dass Jasper langsam ungeduldig wurde. Er klopfte sachte an die Tür und fragte:

    „Alles klar bei Dir, Devius?" Plötzlich hörte er ein Stöhnen seines Freundes. Jetzt klopfte Jasper mit aller Kraft gegen die Badtür und rief besorgt nach Devius. Es war nichts zu hören. Ein dunkles Gefühl der Besorgnis machte sich rasend schnell in ihm breit. Er versuchte die Badtür aufzudrücken. Einen Spaltbreit konnte er sie öffnen, aber dann wurde sie durch irgendetwas blockiert. Nochmals trommelte Jasper voller Panik heftig mit seinen Fäusten gegen die Tür. Jasper war völlig verzweifelt und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Dann hörte er wie Devius erneut aufstöhnte und rief ihm zu, dass er ein Stück zur Seite rutschen sollte. Sofort versuchte Jasper erneut die Tür zu öffnen und diesmal gelang es ihm. Er sah nun, dass Devius an die Badewanne gelehnt dasaß und einen völlig weggetretenen Ausdruck machte. Er schien nicht bei sich zu sein.

    Jetzt fing Devius auf einmal an zu schreien und verdrehte dabei die Augen, so dass nur das Weiße darin zu sehen war. Dabei sah er so verwirrt aus, dass Jasper fast schon Angst vor ihm bekam. Immer wieder schrie er, dass die dunkle Göttin ihn in Ruhe lassen sollte. Dann begann er auch noch, wild um sich zu treten. In jedem Fall war er durch Jasper allein nicht mehr zu bändigen. Dieser entschied daher einen Rettungswagen für seinen Freund zu rufen.

    Kurz bevor der Rettungswagen eintraf, beruhigte sich Devius erneut und war er auch wieder besser ansprechbar. Nachdem Jasper seinem Freund etwas zu trinken geholt hatte, fragte Devius ihn, was denn überhaupt geschehen war. Jasper erzählte ihm, dass er völlig von Sinnen gewesen war und dass er während der ganzen Zeit immer wieder etwas von einer dunklen Göttin geschrien hätte. Das nahm Devius mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis.

    „Ich kann mich nur noch daran erinnern, in den Spiegel geschaut zu haben, danach hatte ich ein Blackout. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist, aber langsam habe ich Angst, den Verstand zu verlieren, Jasper"

    „Das glaube ich, aber ich bin mir sicher, dafür lässt sich eine Erklärung finden. Wichtig ist, dass Du Dich jetzt erst einmal untersuchen lässt. Nicht dass sich hinter Deinem Alptraum und diesem Anfall von eben etwas Schlimmeres verbirgt." Devius, der sich noch sehr schwach fühlte, musste seinem Freund recht geben und ließ sich daher ohne Probleme von den inzwischen eingetroffenen Rettungssanitätern mitnehmen.

    Auf der Fahrt ins Krankenhaus machte sich Devius sehr viele Gedanken. Was war nur mit ihm los? War er vielleicht gerade dabei wahnsinnig zu werden? Und wer zum Teufel war diese dunkle Göttin? All das beschäftigte ihn, während er in der Notfallambulanz des Krankenhauses aufgenommen wurde. Später als er schon Krankenbett lag, grübelte er noch lange darüber nach. Irgendwann gelang es ihm dann schließlich doch noch einzuschlafen, aber es war kein erholsamer Schlaf, der über ihm seine Flügel ausbreitete und ihn die Dunkelheit zog.

    2. Kapitel

    Das Erste, was ich bemerkte, war, dass die Sonne mir ins Gesicht schien und mir heiß war. Wo war ich hier? Ich lag in einem Bett, aber das war nicht mein Bett. Und dieses Zimmer gehörte ganz sicher nicht zu meiner Wohnung. Was mir noch auffiel war, dass Stimmen außerhalb des Zimmers zu hören waren und es seltsam roch. Was war nur mit mir passiert und wo befand ich mich hier? Ich konnte es nicht sagen.

    Da hingen Bilder und Fotos an der Wand. Die Menschen darauf kamen mir irgendwie bekannt vor, aber ich wusste nicht woher. Das Bett in dem ich lag, sah fast wie ein Krankenhausbett aus. Es hatte Seitengitter und eine Vorrichtung, mit der man sich hochziehen konnte, so eine Art Galgen. Ich versuchte mich hochzuziehen, da fühlte ich, dass das nicht ging. Ich konnte meine Arme nicht bewegen. Sie waren festgebunden, genauso wie meine Beine.

    Wer hatte mich hier gefesselt und warum? Ich konnte mich nicht erinnern. Langsam stieg ein panisches Gefühl in mir hoch. Wieso war ich hier gefangen und was wollte man von mir? Dann noch dieser Geruch. Es stank hier richtig. Eben bemerkte ich es. Dieser seltsame Geruch ging von mir aus. Ich hatte eine Windel an und die war randvoll mit Scheiße gefüllt. Ich lag in meiner eigenen Scheiße und war gefesselt. Außerdem konnte ich mich nicht mehr an meinen Namen erinnern. Es fiel mir nicht mehr ein, wer ich war. In diesem Moment war mir alles Zuviel und fing ich an lauthals zu schreien.

    3. Kapitel

    Clarissa hatte seit sechs Wochen das Gefühl, verfolgt und beobachtet zu werden. Nein, inzwischen war sie sich ganz sicher, dass sie verfolgt und beobachtet wurde. Aber nicht wie in irgendeinem zweitklassigen Kriminalfilm durch einen Mann mit Trenchcoat, Hut und Sonnenbrille, sondern von einer eleganten und gutaussehenden Frau mittleren Alters, die ihr seit ein paar Wochen wie ein Schatten folgte. Anfänglich war ihr das noch nicht richtig aufgefallen, aber nachdem diese Frau immer wieder an den verschiedensten Orten wie in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder im Supermarkt bei der Erledigung ihrer abendlichen Einkäufe in ihrer Nähe auftauchte, kam ihr langsam dieser Verdacht.

    Je mehr sie darauf achtete, desto deutlicher wurde ihr, dass ihre Verfolgerin eigentlich fast immer in ihrer Nähe war. Zumindest, wenn sie nicht gerade arbeitete oder sich in ihrer Wohnung aufhielt.

    Sobald Clarissa die Wohnung verließ oder in der Mittagspause mit ein paar Kollegen etwas Essen ging, bemerkte sie nach wenigen Augenblicken, dass ihr Schatten in der Nähe war und sie nicht mehr aus den Augen ließ. Sie wurde durch diese Fremde sehr genau beobachtet, fast schon begutachtet.

    Clarissa konnte sich die Verfolgung durch die Fremde nicht erklären.Was konnte dahinter stecken? Clarissa führte ein ganz normales Leben ohne besondere Aufregungen, fuhr ein- bis zweimal im Jahr in Urlaub und bewohnte eine hübsche kleine Zweizimmerwohnung im Frankfurter Ostend. Sie hatte nicht viele Freunde, aber ihres Wissens nach auch keine Feinde. Die junge Frau war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, nachdem ihre Eltern bei einem schweren Autounfall ums Leben kamen. Sie hatten ein sehr enges und liebevolles Verhältnis. Leider sah sie ihre Großmutter nicht mehr sehr oft, da sie beruflich sehr eingespannt war und vor drei Jahren den Job bei der Bank in Frankfurt angenommen hatte. Damals bot es sich an, von Darmstadt wegzuziehen, wo ihre Großmutter immer noch lebte.

    Clarissa war eine junge Frau mit einem sehr ansprechenden Gesicht und langen lockigen blonden Haaren. Außerdem hatte sie strahlend blaue Augen, die schon so manchen Mann mit ihrem Glanz verzaubert hatten. Sie war relativ groß und sehr sportlich. Allerdings war sie nicht besonders selbstsicher, sondern litt eher an Selbstzweifeln. Dies führte dazu, dass, wenn sie sich in einer Beziehung zu einem Mann befand, sehr schnell Angst bekam, ihn wieder zu verlieren und deshalb eifersüchtig wurde, wenn er ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Daher hielten ihre Beziehungen oft nicht sehr lang und die Phasen zwischen den Beziehungen wurden immer länger. Und in einer solchen Phase befand sie sich nun schon seit einem Jahr.

    Als Clarissa heute von der Arbeit nach Hause fuhr, wurde sie wie üblich von der Fremden verfolgt. Mittlerweile hatte sie sich schon fast daran gewöhnt, wo immer sie hinging von ihrem Schatten begleitet zu werden, aber heute war irgendetwas anders. Die junge Frau hatte ein seltsames Gefühl, eine dunkle Vorahnung, die sie nicht genau fassen konnte. Nachdem Sie zu Hause eintraf und ihre Wohnungstür aufgeschlossen hatte, wurde dieses Gefühl noch einmal verstärkt. Etwas stimmte mit ihrer Wohnung nicht. Es lag ein Geruch in der Luft, der nicht zu ihrer Wohnung gehörte. Es war der Geruch eines Parfüms, das sie vor sehr langer Zeit schon einmal gerochen und nie wieder vergessen hatte. Ihre Mutter hatte es damals aufgelegt, kurz bevor sie zusammen mit ihrem Vater mit dem Auto verunglückt war. Es war ihr ein paar Tage vor der Autofahrt von ihrem Vater zum Hochzeitstag geschenkt worden. Es war ein sehr teures Parfüm gewesen. Sie konnte sich sogar noch an den Namen erinnern. Es hieß Amouage.

    Aber es war nicht nur der Geruch, der Clarissa auffiel, sondern auch, dass verschiedene Dinge in ihrer Wohnung sich nicht mehr an dem gleichen Platz befanden wie heute Morgen als sie aus dem Haus ging. So war sie sich ganz sicher, dass die Bücher in ihrem Bücherregal linksbündig in dem Regal gestanden hatten, jetzt standen sie rechtsbündig. Oder die antike Vase, die sie preisgünstig auf dem Flohmarkt erstanden hatte, stand jetzt genau in der gegenüberliegenden Ecke ihres Wohnzimmers. Alles in allem machte die Wohnung den Eindruck, als ob sie durchsucht worden war und als ob derjenige, der sie durchsucht hatte sich zwar bemüht hatte, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, dabei aber immer die Seiten verwechselt hatte.

    Wenn das Alles nicht so beängstigend gewesen wäre, hätte Clarissa vielleicht darüber lachen können. Tatsächlich konnte sie es nicht verhindern, dass ihr ein hysterisches Kichern aus ihrer immer trockener werdenden Kehle entwich. Sie wurde seit sechs Wochen von einer vermutlich verrückten Frau verfolgt und jetzt wurde auch noch in ihre Wohnung eingebrochen und sie durchsucht, aber weswegen?

    Sie hatte ein bisschen Bargeld und paar wenige Schmuckstücke aus Gold und aus Silber in ihrer Wohnung, aber davon fehlte keines. Und wie war der Einbrecher in ihre Wohnung gekommen? Weder an der Haustür noch an den Fenstern waren Einbruchsspuren sichtbar. Konnte sie sich in ihrer Wohnung überhaupt noch sicher fühlen, wenn jemand ohne Probleme in sie eindringen konnte? Bestand eine Verbindung zu ihrer Verfolgerin, die sie auf Schritt und Tritt verfolgte? Sehr wahrscheinlich, oder? Dies alles nahm jetzt doch sehr bedrohliche Ausmaße an. Gerade fasste Clarissa den Entschluss, die Polizei anzurufen, und wollte zum Telefon greifen, da durchschnitt das Klingeln des Telefons die nachdenkliche und langsam bedrohlich werdende Stille ihrer Wohnung.

    Clarissa zuckte aufgrund des lauten und unerwarteten Geräusches erschrocken zusammen und nahm erst nach kurzem Zögern das Telefon zur Hand. Nachdem sie sich kurz geräuspert hatte, meldete sich mit

    „Ja, hallo?"

    „Spreche ich mit Frau Clarissa Mandel?"

    „Ja, ich bin Clarissa Mandel und mit wem spreche ich?"

    „Hier spricht Dr. Hartmann von der Klinik für Neurologie des Klinikums Darmstadt. Sie sind die Enkelin von Frau Rosemarie Mandel?" Clarissa fuhr trotz der Hitze ein eiskalter Schauer über den Rücken.

    „Ja, das ist richtig. Was ist mit meiner Großmutter?"

    „Ihre Großmutter wurde gestern Nacht hier mit einem Schlaganfall eingeliefert. Es geht ihr sehr schlecht. Wir haben Ihre Telefonnummer unter ihren persönlichen Dingen gefunden. Meinen Sie, es wäre möglich, Ihre Großmutter hier in der Klinik schnellstmöglich aufzusuchen?"

    Clarissa stiegen die Tränen in die Augen und sie merkte wie ihr die Angst um ihre Großmutter die Kehle zuschnürte.

    „Ja, ich komme so schnell wie möglich.", stieß sie heiser hervor. Sie ließ sich von dem Arzt noch die Adresse und Telefonnummer der Klinik geben und bedankte sich bei ihm für seinen Anruf. Dann übermannten sie ihre Gefühle und fing sie am ganzen Körper an zu zittern und fürchterlich zu schluchzen. Wie konnte das nur passieren, ihre Großmutter war doch immer so fit gewesen und hatte immer ein so gesundes Leben geführt? Und jetzt sollte sie einen Schlaganfall erlitten haben? Das war doch unmöglich, oder? Wenn ihre Oma jetzt starb war der letzte Mensch tot, von dem sie vorbehaltlos geliebt wurde und den sie vorbehaltlos liebte. So etwas durfte einfach nicht geschehen. Sie würde alles in ihrer Macht stehende tun, das Ihre Großmutter am Leben blieb.

    Nur, was konnte sie tun? Wichtig war, dass Ihre Großmutter ihre Nähe spüren konnte. Also musste sie jetzt erst mal so schnell wie möglich in das Krankenhaus nach Darmstadt kommen. Zum Autofahren war sie allerdings viel zu aufgeregt, stellte sie fest, als sie mit zitternden Fingern den Autoschlüssel einstecken wollte. Also würde sie mit dem Zug fahren müssen.

    Clarissa entledigte sich ihrer Bürokleidung, machte sich frisch und zog ein bequemes Sommerkleid über. Sie hatte sich nach dem wohltuenden Duschen etwas beruhigt und war nicht mehr ganz so verzweifelt wie kurz nach dem Anruf des Arztes. Sie blickte noch kurz in den Spiegel, der in ihrem Flur hing, und machte sich dann auf den Weg nach draußen. Den Kopf voller dunkler Gedanken bemerkte sie gar nicht, dass Ihre Verfolgerin, die kurz nachdem sie das Haus verließ, wieder ihre Spur aufnahm und ihr auf Schritt und Tritt folgte. Mit der S-Bahn fuhr sie zum Hauptbahnhof und von dort aus mit dem Zug nach Darmstadt. Als sie schließlich um kurz vor acht in den Darmstädter Kliniken eintraf, war die Besuchszeit eigentlich schon vorüber. Dr. Hartmann hatte allerdings veranlasst, dass sie von der diensthabenden Krankenschwester trotzdem zu ihrer Oma gelassen wurde.

    Sobald Sie das Zimmer ihrer Großmutter betrat, fuhr der Schreck in Clarissas Glieder. Ihre Oma Rosemarie lag völlig reglos in ihrem Bett und hing an diversen Schläuchen und Apparaten. Mit eingefallenen Wangen und fast so blass wie die weiß getünchte Krankenhauswand hinter ihr, sah sie beinahe schon wie tot aus. Nur wenn man ganz aufmerksam lauschte, konnte man die leicht röchelnden Atemzüge der alten Dame hören.

    Schnell eilte Clarissa zum Bett ihrer Großmutter, nahm die außergewöhnlich kalte und sich wie altes Pergament anfühlende Hand in die eigene und begann leise zu sprechen.

    „Oma, hörst Du mich? Ich bin es, Clarissa. Was machst Du denn nur für Sachen? Wir wollen doch im Herbst zusammen ans Meer fahren. Bis dahin musst du wieder fit sein." Und tatsächlich schien es so, dass Clarissas Großmutter die Anwesenheit ihrer Enkelin bemerkte, denn sie begann sich leicht zu bewegen und atmete auch etwas schneller. Kurze Zeit später zitterten ihre Augenlider und öffnete sie langsam die Augen. Ihre Augen waren hellgrün und hatten immer noch den intelligenten und liebevollen Ausdruck, den Clarissa so an ihnen mochte. Gleichzeitig wirkten sie aber nicht mehr so jung und kraftvoll wie noch bei ihrem letzten Besuch in Darmstadt vor ein paar Wochen. Nein, die Kraft war aus ihnen verschwunden und hatte einer starken Traurigkeit Platz gemacht. Trotzdem glaubte Clarissa ein leichtes Lächeln über das Gesicht Ihrer Oma huschen zu sehen.

    Ihre Großmutter versuchte zu sprechen, aber es kam nur ein leises Krächzen über ihre Lippen. Die alte Dame deutete daraufhin zu dem Schränkchen, das neben ihrem Bett stand. Dort befand sich ein Schnabelbecher mit Wasser. Clarissa nahm den Becher und führte ihn vorsichtig an die Lippen ihrer Großmutter. Diese trank daraus ein paar Schlucke und versuchte wieder zu sprechen. Wieder kamen nur ein paar unverständliche Laute aus ihrem Mund, was ihre Großmutter sichtlich betroffen machte. Nach noch einem vergeblichen Versuch standen Tränen in den Augen ihrer Großmutter.

    Es schlich sich die Befürchtung in Clarissas Gedanken, dass ihre Großmutter nicht mehr sprechen konnte. Der Schlaganfall hatte wahrscheinlich zu einer Lähmung des Sprachzentrums von Rosemarie Mandel geführt. Clarissa versuchte ihr Entsetzen darüber nicht zu zeigen. Sie war aber eine schlechte Schauspielerin, deshalb entging der alten Dame ihr entsetzter Gesichtsausdruck nicht. Sowohl Clarissa als auch ihre Großmutter versuchten die Fassung zu bewahren, aber dann fingen doch beide an zu weinen. Schnell setze Clarissa sich nun zu ihrer Großmutter auf das Bett und nahm sie liebevoll in den Arm. Erst nach einer ganzen Weile konnten sich die beiden sich wieder beruhigen und voneinander lösen.

    Plötzlich wurde Clarissas Großmutter unruhig, als ob ihr etwas Wichtiges eingefallen war und dies dringend erledigt werden musste. Rosemarie zeigte mehrmals auf ihr Schränkchen und wurde sichtbar ungeduldig als ihre Enkelin nicht gleich verstand, was sie wollte. Endlich verstand Clarissa, dass sie in den persönlichen Dingen ihrer Großmutter etwas suchen sollte. Nur was?

    „Ich soll etwas für Dich in Deinen Sachen suchen? fragte Clarissa ihre Großmutter. Diese nickte und versuchte ein „Ja! hervorzubringen, was ihr aber nicht gelang. „Die Frage ist nur, was ich für Dich suchen soll."

    Rosemarie hob ihre Hand und deutete auf ihre Brust. Auf einmal fiel Clarissa ein, was sie an ihrer Großmutter schon die ganze Zeit vermisste. Es war ihr goldenes Amulett mit dem Kristall in der Mitte. Solange Clarissa sich erinnern konnte, trug Rosemarie dieses Amulett. Sie hatte es ihrem Wissen nach nie abgelegt, selbst in der Nacht nicht. Die junge Frau wusste, wie wichtig das Amulett ihrer Oma war, deswegen fing sie sofort an, in dem Schränkchen am Bett und im Kleiderschrank danach zu suchen. Doch auch nach dem zweiten noch genaueren Suchen, konnte sie das Schmuckstück von Rosemarie nicht finden.

    Mit unruhigen Augen wurde sie während der ganzen Zeit der Suche durch ihre Großmutter beobachtet. Als klar wurde, dass sich das Amulett nicht in dem Zimmer befand, machte sich eine große Enttäuschung auf dem Gesicht der alten Dame breit.

    „Ich werde die Nachtschwester fragen, ob sie etwas von Deinem Amulett weiß." meinte daraufhin Clarissa zu ihrer Großmutter. Diese nickte ganz schwach als Zeichen ihrer Zustimmung. Während Clarissa das Zimmer verließ, um die diensthabende Krankenschwester zu suchen und mit ihr zu sprechen, hörte sie Rosemarie leise seufzen.

    Als Clarissa aus dem Zimmer ihrer Großmutter trat, schaute sie kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es schon fast zehn war. Die Suche nach dem Amulett hatte doch einige Zeit in Anspruch genommen. Während des Abends und der Nacht war der Krankenhausflur nur sehr spärlich erleuchtet und Clarissa musste sich erst einmal orientieren. Ihrer Erinnerung nach müsste sich das Stationszimmer links von ihr befinden, also wandte sie sich nach links. Als sie einen Moment gegangen war und an einem großen Spiegel vorbeikam, nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Da sie davon ausging, dass sie die Nachtschwester wahrgenommen hatte, ging sie in diese Richtung und rief:

    „Schwester, könnten Sie bitte einen Augenblick warten! Ich habe eine Frage." Nachdem sie keine Antwort erhielt und niemand mehr zu sehen war, ging sie doch wieder in die ursprüngliche Richtung. Plötzlich hatte sie erneut den Eindruck, dass sich im Schatten des Flurs jemand oder etwas bewegte. Sie wollte gerade wieder in diese Richtung wenden, da tippte ihr jemand auf die Schulter, so dass sie vor Schreck zusammenzuckte und ihr Atem für einen kurzen Moment stillstand.

    „Oh entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie erschreckt habe, Frau Mandel, aber ich dachte, ich hätte Sie nach mir rufen hören." sagte die Nachtschwester, die laut ihrem Namensschild Schwester Anna hieß.

    Nachdem sich Clarissa von ihrem Schreck erholt hatte und wieder normal atmen konnte, erklärte sie Schwester Anna, dass ihre Oma ihr goldenes Amulett vermisste. Die Krankenschwester nahm Clarissa daraufhin mit ins Stationszimmer und suchte nach Informationen zu dem Schmuckstück. Aber weder bei den wenigen persönlichen Sachen von Rosemarie Mandel noch in der Krankenakte fanden sich irgendwelche Hinweise auf das Amulett.

    „Vielleicht hat ihre Großmutter das Amulett verloren, als sie in Ihrem Haus den Schlaganfall erlitt und dort zu Boden stürzte. In der Akte steht auf jeden Fall nichts davon, dass sie ein Schmuckstück trug, als sie hier eingeliefert wurde."

    „Vielen Dank für Ihre Mühen, dann werde ich wohl in dem Haus danach suchen müssen." entgegnete die junge Frau daraufhin etwas enttäuscht.

    „Wollen sie denn heute Nacht bei Ihrer Großmutter bleiben, dann würde ich Ihnen eine Decke raussuchen?"

    „Ja, das wäre sehr nett von Ihnen. Morgen früh werde ich in das Haus meiner Großmutter gehen, um dort nach dem Amulett zu suchen. Ich hoffe, ich finde es dann dort." Clarissa bedankte sich nochmals bei Schwester Anna und ging zurück zum Zimmer ihrer Oma. Sie öffnete leise die Tür und sah, dass ihre Großmutter erneut die Augen geschlossen hatte und vermutlich schlief. Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett ihrer Großmutter und nahm wieder ihre Hand. Kurze Zeit später kam Schwester Anna mit der versprochenen Decke herein und gab diese Clarissa. Sie nahm die Decke dankbar an, deckte sich zu und versuchte ein wenig zu schlafen. Aber dank des unbequemen Stuhls und der vielen Gedanken, die sie beschäftigten, gelang ihr das lange Zeit nicht.

    Clarissa hatte Angst um ihre Oma. Bestand überhaupt Hoffnung, dass sie je wieder sprechen konnte? Würde sie an ihrem Schlaganfall sterben müssen? Und das  Amulett. Wieso war es ihrer Großmutter in ihrer jetzigen Situation so wichtig? All das beschäftigte sie, bis sie spät in der Nacht in einen unruhigen Schlaf fiel. Sie wurde von schrecklichen Alpträumen gequält, die so realistisch waren, dass es fast den Anschein hatte, dass sie die Wirklichkeit abgelöst hatten und Clarissa nie mehr daraus erwachen würde. In ihren Träumen wollte die fremde Frau das Amulett unter allen Umständen in ihren Besitz bringen und Clarissa musste dies, um das Leben ihrer Oma zu retten, auf jeden Fall verhindern. Es war wie ein Kampf der Dunkelheit gegen das Licht, der in Clarissas Alpträumen stattfand, so empfand sie es zumindest, als sie am nächsten Morgen völlig übernächtigt aufwachte. Und der Ausgang dieses Kampfes war offen.

    4. Kapitel

    Als Devius am nächsten Morgen von der Ambulanz auf die Normalstation verlegt wurde und sein Zimmer bezogen hatte, kam sein behandelnde Arzt zu ihm, stellte sich ihm vor und besprach mit ihm die anstehenden Untersuchungen. So sollte bei ihm eine Kernspintomografie des Kopfes und ein Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht werden. Dr. Hartmann erklärte ihm alle diagnostischen Maßnahmen sehr genau und strahlte dabei eine ausgesprochene Ruhe und eine hohe fachliche Kompetenz aus. Daher fiel es Devius leicht, Vertrauen zu ihm zu fassen.

    Kaum hatte der Arzt sein Zimmer verlassen, wurde Devius auch schon von einem Krankenpfleger zu seiner ersten Untersuchung gebracht. In Laufe des Tages musste sich der junge Mann nun den verschiedensten Tests und Untersuchungen unterziehen. Da er ständig mit irgendetwas beschäftigt war, dachte er wenigstens eine gewisse Zeit nicht an die Probleme, die seine Seele quälten und seinen Geist verdunkelten. Als alle geplanten Untersuchungen abgeschlossen waren, teilte man ihm mit, dass ihm morgen während der Chefarztvisite die Ergebnisse mitgeteilt werden würden. Nun hatte Devius wieder ausreichend Zeit, sich Gedanken über seinen gesundheitlichen Zustand zu machen, zumindest bis sein Zimmernachbar ins Zimmer zurückkehrte.

    Das war ein siebzig Jahre alter freundlicher Herr, der scheinbar schon lange keinen geeigneten Gesprächspartner mehr gehabt hatte und in Devius eine willkommenen Gelegenheit sah, um ausführlich seine Erkrankungen, aber auch eine Vielzahl von Geschichten aus seinem langen Leben schildern zu können. Das dauerte dann auch bis in den späten Abend und fast die halbe Nacht. Zumindest bis Devius vor Erschöpfung einschlief, was aber den älteren Herren nicht daran hinderte, weiter zu sprechen und von seiner Vergangenheit zu berichten.

    Selbst als Devius nach einer sehr kurzen Nacht früh morgens durch seinen Alptraum geweckt wurde, war sein Zimmernachbar, der übrigens Anton Müller hieß und ein pensionierter Lehrer war, schon wach und begrüßte ihn mit einem fröhlichen

    „Guten Morgen, junger Freund, Sie scheinen ja schreckliche Träume zu haben, so wie Sie im Schlaf stöhnen und schreien."

    Aber diese fröhliche und scherzhafte Fassade von Anton Müller war in Wirklichkeit nur aufgesetzt, denn in seinem Innersten hatte sein Mitpatient große Angst vorm Sterben und den damit verbundenen Schmerzen. Der ältere Herr litt nämlich, wie Devius in der letzten Nacht von ihm erfahren hatte, an einem inoperablen Hirntumor. Den versuchten die Ärzte durch eine neue spezielle Art von Bestrahlung, der Schwerionentherapie, zu bekämpfen. Die Heilungschancen dafür waren allerdings in seinem Fall nicht besonders hoch. Folgen des Tumors waren starke Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen, weshalb Anton Müller zusätzlich noch sehr starke Medikamente nehmen musste. Von denen hatte er allerdings den Eindruck, dass sie ihm nicht helfen würden. Anton fühlte sich daher im Moment der Schulmedizin ein wenig ausgeliefert.

    Nachdem Devius sich gestreckt und seinem Mitpatienten ebenfalls einen guten Morgen gewünscht hatte, erzählte er ihm von seinen Problemen:

    „Ja, ich leide jetzt schon eine ganze Weile an diesem Alptraum und habe dadurch große Schwierigkeiten. Gestern hatte ich zusätzlich noch eine Art Anfall, was mir einen ziemlichen Schreck eingejagt hat und weswegen mein Freund für mich einen Rettungswagen gerufen hat."

    „Das mit den Alpträumen kenne ich. Ich selbst habe jahrelang daran gelitten. Es ist wirklich schrecklich, nicht richtig schlafen zu können. Derzeit komme ich zwar mit sehr wenig Schlaf aus, aber das ist wohl eine Nebenwirkung der Medikamente. Das meinen jedenfalls die Ärzte."

    „Langsam bin ich wirklich am Verzweifeln. Ein bis zwei Nächte schlecht zu schlafen ist kein Problem, auch eine Woche würde man sicher durchstehen können, aber mehrere Wochen ohne richtigen Schlaf, das ist wirklich die Hölle. Jetzt ist auch noch dieser Anfall dazugekommen. Das ist alles fast schon nicht mehr auszuhalten." Devius schlug nun voller Verzweiflung seine Hände vors Gesicht und spürte eine würgenden Klos in seinem Hals. Wäre er in diesem Augenblick allein gewesen, hätte er seine Tränen nicht mehr unterdrücken können und sicherlich angefangen vor Kummer zu weinen.

    Anton Müller, der Devius voller Mitgefühl betrachtete, ahnte, wie sich der junge Mann fühlen musste, und versuchte ihn ein wenig zu trösten:

    „Ja, das glaube ich, junger Mann. Andererseits sollte man nie die Hoffnung aufgeben. Wie schon erwähnt, habe ich selbst ja sehr lange Zeit an schrecklichen Alpträumen gelitten. Mir ging es dabei ähnlich schlecht wie Ihnen. Am Schluss war ich fast völlig am Boden zerstört und musste deswegen sogar meinen Beruf aufgeben. Eines Tages habe ich dann per Zufall durch einen Bekannten die Adresse einer Heilerin bekommen. Nachdem ich bis dahin schon eine größere Anzahl von Ärzten und Quacksalbern ausprobiert hatte, aber mir keiner helfen konnte, war diese Dame meine letzte Hoffnung. Tatsächlich hat sie mich von meinen Alpträumen befreien können."

    „Und wie hat sie das gemacht?" fragte Devius, der seinem Gegenüber zunehmend wacher und interessierter zuhörte.

    „Tja, das ist eine gute Frage und ich habe damit gerechnet, dass Sie sie mir stellen werden. Aber ehe ich darauf antworte, muss ich noch ein paar Worte zu meiner Person verlieren. Wie Sie ja schon wissen, war ich viele Jahre Lehrer an dem Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt. Meine Fächer waren Mathematik und Physik. Ich war also durch und durch Naturwissenschaftler. Bedingt durch meine Schlafstörungen musste ich diesen Beruf leider schon mit sechzig aufgeben und wurde frühpensioniert. Und Sie können mir glauben, dass ich aufgrund meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung immer sehr großes Vertrauen in die Schulmedizin hatte und nicht im Mindesten esoterisch veranlagt war.

    Das hat sich allerdings nach den Besuchen bei Frau Adler ziemlich schnell geändert. Silvia Adler hatte mich schon bei meinem ersten Besuch tief beeindruckt. Trotzdem sie jünger war als ich, machte sie ab der ersten Minute einen wissenden, ja fast weisen Eindruck auf mich. In unserem ersten Gespräch, das fast zwei Stunden dauerte, brachte Sie Dinge zum Vorschein, die völlig aus meiner Erinnerung verschwunden waren. Schon nach wenigen Sitzungen hatte sie die Lösung für mein Problem parat." Ehe der alte Lehrer seinen Bericht weiter fortführte machte er eine kleine Pause, um noch einmal tief durchzuatmen und um sicherzustellen, dass Devius aufmerksam war und er ihm gespannt zuhörte.

    Und Devius hing wirklich an den Lippen von Anton Müller und war völlig fasziniert, von dem, was er ihm erzählte.

    „Frau Adler fand heraus, dass es für meine Heilung von den Alpträumen unabdingbar war, mir eine Art Schutzschild aufzubauen, der dunkle Gedanken und Einflüsse von mir abprallen und gute und hilfreiche Dinge weiter an mich herankommen ließ. Um das zu gewährleisten, musste ich mir einen Ring anfertigen lassen, in dem ein spezieller Stein eingefasst wurde, den sie mir während unserer letzten Sitzung schenkte. Silvia Adler hat mir nie gesagt, welche Art von Stein das war, aber er hat gewirkt. Nachdem der Ring fertiggestellt wurde und ich ihn regelmäßig trug, hatte ich keine Alpträume mehr.", fuhr Anton Müller mit seinen Bericht fort.

    „Wäre es möglich, dass ich mir den Ring einmal anschauen kann?" fragte Devius daraufhin den älteren Herrn. Antons Gesicht nahm einen leicht traurigen Ausdruck an, als er Devius antwortete:

    „Ja, ich würde ihn gerne Ihnen zeigen, aber leider ist mir der Ring vor etwa einem Jahr abhandengekommen. Zwar haben die Alpträume glücklicherweise seitdem nicht mehr begonnen, aber kurz danach hat man diesen verdammten Hirntumor bei mir festgestellt."

    Nun war es Devius, der sein Gegenüber voller Mitgefühl anblickte, aufstand, zu ihm ging und ihm tröstend die Hand auf den Arm legte.

    „Ja, das ist sehr bedauerlich zu hören. Ich ahne, wie sie sich damals gefühlt haben müssen. Hatten Sie denn mit Frau Adler keinen Kontakt mehr aufgenommen können, nachdem der Ring verschwunden war?", fragte Devius interessiert nach.

    „Leider bin ich nach der Entdeckung des Hirntumors in die Mühlen der Schulmedizin geraten und halte mich seitdem fast ständig in irgendwelchen Kliniken auf. Außerdem sind die Medikamente und die Strahlentherapie so kräftezehrend, dass ich keine Energie hatte, mich mit Silvia zu treffen oder überhaupt mit ihr zu sprechen.", entgegnete Anton Müller.

    „Wissen Sie denn, ob sie noch weiterhin praktiziert?", wollte Devius wissen.

    „Soweit ich gehört habe schon, allerdings soll sie wohl keine neuen Patienten mehr annehmen. Aber ich denke, wenn Sie ihr sagen, dass sie von mir geschickt wurden, dann wird sie vielleicht eine Ausnahme machen. Unser Verhältnis war am Ende der Behandlung doch sehr eng und ziemlich vertraut. Haben Sie zufälligerweise einen Zettel und Stift, dann schreibe ich Ihnen ihre Adresse und Telefonnummer auf?" Devius ließ sich nicht lange bitten, sondern suchte aus seiner Jackentasche schnell einen kleinen Skizzenblock und einen Bleistift heraus, die er beide dem alten Herren ans Bett brachte. Dieser lächelte ein wenig über die Eile von Devius, schrieb dann aber wie versprochen die Adresse und Telefonnummer von Silvia Adler auf den Block und reichte dann beides an Devius zurück.

    Devius, der sehr froh und dankbar für diesen Hoffnungsschimmer war, lächelte Anton Müller nun dankbar an.

    „Am liebsten würde ich mich jetzt gleich auf den Weg zu Frau Adler machen und versuchen, mit ihr einen Termin zu vereinbaren. Aber ich denke, ich sollte die Chefarztvisite abwarten, um zu erfahren, was die Spezialisten zu meinem Zustand zu sagen haben."

    „Meiner Einschätzung nach dürfen Sie nicht zu viel erwarten, da von den Fachärzten zu wenig der Mensch in seiner Ganzheit gesehen wird. Dr. Hartmann stellt da sicherlich eine rühmliche Ausnahme dar, aber leider kann er sich oft gegen seinen Chefarzt nicht durchsetzen. Ich glaube, Sie werden gleich Gelegenheit haben das festzustellen. Denn wenn sich meine Ohren nicht täuschen, hat gerade die Chefarztvisite begonnen."

    Tatsächlich dauerte es nur wenige Augenblicke bis es an der Tür des Krankenzimmers klopfte und kurz darauf befand sich schon ein großer Tross an Ärzten und Krankenschwestern im Zimmer von Devius und Anton. Der Chefarzt sprach eigentlich kaum direkt mit den zwei Patienten, sondern schaute nur oberflächlich über die Krankenakte der Beiden und gab dann dem Oberarzt Dr. Hartmann und seinen Assistenzärzten Anweisungen, wie die weitere Behandlung aussehen sollte. Das einzige, was Devius dabei heraushören konnte, war, dass bei ihm kein organischer Befund vorlag, er aber trotzdem auf Verdacht erst mal sowohl ein Mittel gegen Depressionen und als auch ein Mittel gegen Epilepsie einnehmen sollte.

    Ehe er und sein Mitpatient auch nur eine Frage stellen konnten, war das Zimmer schon wieder bis auf die zwei Patienten leer.

    „Tja, da muss ich Ihnen wohl Recht geben, von ganzheitlicher Medizin kann man in diesem Fall nicht sprechen" sagte Devius, dessen verdutzter Ausdruck auf dem Gesicht noch nicht ganz verschwunden war und Anton zu einem kleinen Lächeln verführte.

    „Ich bin davon überzeugt, wenn Sie eine klare und unumstößliche Diagnose hätten, dass die Ärzte hier mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen würden, Sie zu heilen. Bei Ihnen, Devius, gehe ich aber eher davon aus, dass den Ärzten auf Grund der mangelnden Befunde nicht klar ist, an was Sie leiden. Daher befinden Sie sich noch im Stadium eines Versuchskaninchens. Frage ist, wollen Sie das oder wollen Sie doch noch lieber eine andere Meinung einholen?" meinte Anton mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht zu Devius. Devius überlegte kurz, ehe er antworte und sagt dann:

    „Sie haben es also auch so verstanden, dass entsprechend den Untersuchungsergebnissen kein organischer Befund bei mir vorliegt. Also weder ein Hirntumor noch irgendetwas anderes akut Bedrohliches bei mir festzustellen war?"

    „Genau so habe ich es auch verstanden."

    „Na, dann werde ich sehen, dass ich hier möglichst schnell entlassen werde und Kontakt zu Frau Adler aufnehme."

    „Das würde ich an Ihrer Stelle auch tun.", sagte Anton Müller nun mit einem aufmunternden Lächeln zu Devius. Devius war in diesem Moment natürlich sehr beruhigt, dass sein Leiden keine organische Ursache hatte, andererseits hatte er aber damit auch immer noch keine greifbare Lösung für seine Probleme. Er hoffte sehr, dass es ihm gelingen würde, mit Silvia Adler Kontakt aufzunehmen und mit ihr zu sprechen. Devius ahnte noch nicht, wie wichtig eine Begegnung mit Silvia Adler für sein weiteres Leben und das Wohl der ganzen Menschheit sein würde. Und wie viel er Anton Müller für diesen Hinweis verdankte.

    5. Kapitel

    Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, aber niemand reagierte darauf. War ich hier in einem Gefängnis oder in einer Irrenanstalt oder warum war ich hier sonst gefesselt? Ich schrie, bis ich keine Kraft mehr hatte und nur noch ein leises Wimmern aus meinem Munde kam. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Warum war ich hier gefangen? Und warum kümmerte sich niemand um mich?

    Aus welchem Grund konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wie ich hierher kam und wo ich hier war? Was war passiert? Was wusste ich überhaupt noch? Alles war so schwammig und nicht greifbar. Ich war verheiratet und hatte einen Sohn. Das stand auf jeden Fall fest. Ich lebte in einer Stadt, in einem schönen Haus. Nur wie hieß diese Stadt? Ich wusste es nicht mehr. Je mehr ich versuchte, mich an etwas zu erinnern, desto mehr entglitt es meinen Fingern und wurde unerreichbar für mich.

    Meine Verzweiflung wuchs wieder. Hatte man mir Drogen gegeben, so dass ich alles vergaß? Wie konnte mir nur so etwas passieren? Nun musste ich auch noch auf Toilette und hatte keine Lust in die Windel zu machen. Daher fing ich wieder an zu rufen und hoffte, dass nun jemand auf mich reagierte. Ich bittete und bettelte, dass jemand zu mir kommen sollte. Tatsächlich hörte ich nach einer Weile Schritte vor der Tür, die sich auf das Zimmer zu bewegten. Endlich geschah etwas.

    6. Kapitel

    Clarissa hatte in der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugemacht und war schon vor Sonnenaufgang wach. Nachdem sie der schlafenden Rosemarie Mandel zum Abschied einen Kuss auf die Stirn gehaucht hatte, machte sie sich auf den Weg zum Haus ihrer Großmutter. Da sie immer noch einen Zweitschlüssel des Hauses besaß, brauchte sie dazu den im Krankenhaus hinterlegten Schlüssel nicht mitzunehmen.

    Das Haus ihrer Großmutter lag in der Roßdörfer Straße. Das war nicht allzu weit von der Neurologischen Klinik entfernt. Um einen einigermaßen klaren Kopf zu bekommen, entschloss sich Clarissa zu Fuß loszulaufen. Die Straßen waren um diese Uhrzeit noch fast menschenleer, daher fiel ihr sofort auf, dass sie wieder von der fremden Frau verfolgt wurde. Auf Grund der großen Sorge um ihre Großmutter und der sehr schlechten Nacht, die hinter ihr lag, war sie in einer ausgesprochen schlechten Stimmung. Nachdem sie nun auch noch feststellen musste, dass sie wieder verfolgt wurde, stieg ihr Adrenalinspiegel in nicht unerheblichem Maße. Dies wiederum führte dazu, dass sie die Verfolgung nicht länger ertragen und die Fremde zu Rede stellen wollte.

    Gerade hatte Clarissa ihren ganzen Mut zusammengenommen und drehte sich zu ihrer Verfolgerin um, da umhüllte sie plötzlich ein dunkler Schatten und fühlte sie auf einmal eine unangenehm kalte Berührung auf ihrem Arm. Im gleichen Moment wurde ihr schwarz vor Augen und musste sie sich vor Schwäche an den Rand des Bürgersteigs setzen. Nachdem der Schwindel etwas nachgelassen hatte und sie wieder einigermaßen bei sich war, hatte Clarissa Schwierigkeiten damit, sich daran zu erinnern, was sie hier eigentlich tat. Erst nach ein paar Minuten fiel ihr wieder ein, dass sie sich auf dem Weg zum Haus ihrer Oma befand, um dort das Amulett zu suchen. Eine weitere Weile dauerte es, bis ihr erneut einfiel, dass sie verfolgt wurde und ihre Verfolgerin eigentlich zur Rede stellen wollte. Die war aber nun nirgends mehr zu sehen. Daher entschloss sich Clarissa ihren Weg wieder auf zu nehmen. Gerade in diesem Moment roch sie wieder das Parfüm ihrer Mutter in der Luft, maß dem aber keine größere Bedeutung bei.

    Clarissa erreichte das Haus ihrer Großmutter ohne weitere Vorfälle nach fünfzehn Minuten Fußmarsch. Ohne dass sie es bemerkte, war die fremde Frau ihr dennoch weiterhin gefolgt. Die Fremde bewegte sich dabei so geräuschlos und verschmolz so geschickt immer wieder mit irgendwelchen Schatten, dass sie für Clarissa unsichtbar war.

    Als Clarissa nun vor der Haustür des kleinen Einfamilienhaus stand und den Haustürschlüssel in ihrer Handtasche suchte, tauchten in ihrem Kopf jählings eine Vielzahl von Kindheitserinnerungen auf. Sie erinnerte sich plötzlich an alle Einzelheiten des Augenblicks, als ihr von ihrer Großmutter unter Tränen mitgeteilt wurde, dass ihre Eltern nicht wieder nach Hause zurückkehren werden. Es war ein sehr kalter und klarer Wintertag vor fünfundzwanzig Jahren. Sie übernachtete bei ihrer Großmutter, da ihre Eltern übers Wochenende bei Freunden im Sauerland eingeladen waren und sie lieber bei ihrer Großmutter übernachten wollte. Clarissa hatte sich gerade vor dem Kamin in eine Decke eingekuschelt, als auf einmal das Telefon läutete. Ihre Großmutter, die keinen Anruf erwartete, sah etwas erschrocken aus, hob dann aber doch den Hörer ab. Während dieses Telefonats wurde Rosemarie Mandel mitgeteilt, dass ihr Sohn und ihre Schwiegertochter bei einem schweren Autounfall umgekommen waren.

    Wie Clarissa später erfahren sollte, geriet das Auto ihres Vaters auf der Fahrt ins Sauerland auf einer Eisfläche ins Rutschen, überschlug sich mehrmals und ging dann in Flammen auf. Beide Eltern verbrannten in dem verunglückten Auto. Rosemarie Mandel versuchte damals ihrer Enkelin das sehr schonend beizubringen, aber obwohl Clarissa erst sechs Jahre alt war, merkte sie doch den unglaublichen Schmerz und die Trauer bei ihrer Großmutter und wurde auch selbst von diesen Gefühlen überwältigt. Das gemeinsam durchlebte Leid schweißte die Beiden von da an noch enger als bisher zusammen.

    Ihre Großmutter besaß eine sehr große Sammlung alter Bücher, die in einer kleinen Bibliothek in der Nähe des Wohnzimmers untergebracht waren. Viele Jahre lang las Rosemarie ihrer Enkelin jeden Abend eine Geschichte aus einem dieser Bücher vor. Am liebsten mochte Clarissa altertümliche Sagen. Bis heute hielt diese Vorliebe für das geschriebene Wort bei ihr an und es verging kein Tag, an dem sie nicht zumindest ein Kapitel in einem ihrer Bücher las und keine Woche, in der sie nicht nach neuem Lesematerial in der örtlichen Buchhandlung oder Bibliothek suchte.

    Rosemarie Mandel sammelte aber nicht nur alte Bücher, sondern liebte auch antike Möbel und alte Bilder. Daher fühlte

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