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Der Himmel kann warten: Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen.
Der Himmel kann warten: Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen.
Der Himmel kann warten: Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen.
eBook252 Seiten3 Stunden

Der Himmel kann warten: Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen.

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Über dieses E-Book

Aaron Keller, Mitte dreißig, beruflich erfolgreich und im Privatleben wenig hoffnungsvoll, wäre seiner Jugendliebe Lena wahrscheinlich noch bis zur Rente hinterhergelaufen, hätte diese ihn nicht zufällig in die Nähe von Nora geführt.
Aaron ist fasziniert von der Salsa-Tänzerin im "Cielo", die so anmutig und selbstbewusst und dennoch eigenartig verletzlich durchs Leben wandelt.
Innerhalb einer Woche entwickelt sich ein wunderbares, dünnes Band der Vertrautheit zwischen dem nüchternen IT-ler und der jungen Künstlerin, die jenseits aller Konventionen ihr Glück gefunden zu haben scheint.
Alles beginnt so verheißungsvoll für Aaron, bis Noras schrecklicher Unfall ihr frisches Glück scheinbar jäh zerstört...
Eine Sekunde Unachtsamkeit nur, und Aarons Leben steht erneut auf dem Kopf. Von nun an beginnt ein Kampf gegen die Zeit und den Verlust seiner Realität. Auf der Suche nach "seiner" Frau scheint es plötzlich, als richte sich die ganze Welt gegen ihn...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum15. Jan. 2013
ISBN9783844238808
Der Himmel kann warten: Oh Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen.

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    Buchvorschau

    Der Himmel kann warten - Katrin Zimmer

    Samstag, 25. September, 14.53 Uhr

    „Halten Sie mal."

    Der Sanitäter drückte mir die Infusion in die Hand. Es war verrückt: an der Infusion hing der Schlauch und am Schlauch hing das Leben. Noras Leben. Ich starrte ins Leere.

    „Halten Sie das jetzt, bitte", wiederholte der Sanitäter mit sanftem Nachdruck und schob mich auf die Seite.

    Ich war nicht dumm. Ich wusste sehr wohl, dass man Infusionen, an denen Schläuche hingen, nicht festhalten musste. Dafür gab es Ständer. Oder Rettungssanitäter. Aber ich gehorchte und hielt sie fest.

    Der Sanitäter war schlauer. Er wusste, dass man Menschen, die eben ihren Halt zu verlieren drohten, etwas geben musste, an dem sie sich festhalten konnten. Zur Not eine Infusion.

    Nora lag rücklings auf dem Boden. Ihre offenen, blonden Haare waren fächerförmig über den Asphalt gebreitet und nur an den Spitzen blutrot gefärbt. Es gehörte da nicht hin, das Blut, das sich in einem kleinen Rinnsal seinen Weg nach unten bahnte und nach und nach die Haare tränkte. Es sollte aufhören! Nora sah so friedlich aus. Ihre Augen und ihr Mund waren geschlossen und wie sie so dalag erinnerte sie mich an Dornröschen im hundertjährigen Schlaf. Meine wunderschöne Nora.

    Der Fahrradfahrer saß an der Straßenecke und hielt sein verheultes Gesicht in beide Hände vergraben. Ich sah nicht, dass er heulte, ich hörte es nur. Dabei hätte ich heulen sollen. Oder Nora, wenn sie nur konnte. Aber doch nicht er. Dabei hätte er einem fast ein bisschen leidtun können. Wie ein Häufchen Elend saß er da und schüttelte unaufhörlich den Kopf, während um ihn herum zwei Polizisten ihn zu beruhigen versuchten. Oder zu befragen. Oder beides. Aber der Junge heulte nur. Er hatte ein paar Schürfwunden an Armen und Beinen, soweit ich das erkennen konnte. Sein Fahrrad, das gegenüber auf der Straße lag, war schwarz-gelb und wohl ziemlich hinüber. Ein Blechschaden! Ich hoffte innigst, dass er nicht um sein Fahrrad heulte.

    Wenn Nora doch auch nur einen Blechschaden gehabt hätte.

    Zwei weitere Sanitäter hatten Nora inzwischen in eine Vakuummatratze gebettet. Wie es einer Prinzessin gebührte. Nicht in eine Vakuummatratze, natürlich, sondern in ein Himmelbett, eigentlich. Aber zur Not tat es auch die Matratze. Mich hatte man meiner Aufgabe entledigt die Infusion zu halten. Die Flasche hing jetzt an einer Vorrichtung auf der Liege. Wie sie dort hingekommen war, wusste ich nicht. Ich stand neben mir. Bildlich gesprochen.

    Nora stöhnte auf. Meine Alarmglocken läuteten. Die sollen doch aufpassen, was sie da machen!

    „He, Sie tun ihr weh!" Ich wollte hin. Dornröschen retten.

    „Beruhigen Sie sich. Wir versuchen Ihre Frau nur stabil zu lagern."

    Der Sanitäter, der mich vor kurzem noch mit Nachdruck auf die Seite geschoben und mit der Infusion versorgt hatte, hielt meine Schultern fest. Ein zäher Mann mit ruhigen, braunen Augen und einem seltsamen Schnauzer mitten im hageren Gesicht.

    „Wir tun, was wir können. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht. Beruhigen Sie sich. Der Rettungshubschrauber muss in jedem Moment eintreffen, so lange kümmert sich Doktor Schlick um ihre Frau."

    Ich nickte. Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworfen, aber stattdessen nickte ich nur. Es sieht doch gar nicht so schlimm aus, wollte ich sagen. Kein Blechschaden, nur ein bisschen Blut. Was war das bisschen Blut schon, das konnte man doch wieder wegwischen. Aber ich sagte nichts.

    „Möchten Sie die Beine hochlegen? Sie sehen blass aus."

    Ich schüttelte den Kopf.

    „Dann setzen Sie sich wenigstens." Der nette Hagere schob mich zu seinem Auto und bot mir eine Sitzgelegenheit an.

    „Wir fliegen Ihre Frau gleich in die Klinik nach Ludwigshafen."

    Ich nickte. Fliegen. Ich sah das Bild ganz deutlich vor mir. Nora hätte nicht einfach über die Straße gehen sollen ohne sich zuvor umzusehen. Sie hatte das Geräusch nicht gehört. Wer hört schon einen Fahrradfahrer, wenn er in Schallgeschwindigkeit an einem vorbeirauscht. Aber ihn traf wohl keine Schuld, Nora hätten gucken sollen. Stattdessen flog sie in hohem Bogen über das Rad des jungen Mannes fast bis auf die andere Straßenseite. Kopfüber. Und blieb dann auf dem Rücken liegen. Ich hatte noch ein gehauchtes Huch gehört als er sie frontal erfasste. Aber ich konnte nichts tun, ich konnte nur zusehen. Und rüber rennen. Und die Nummer wählen, die man im Kopf hat. Jeder kennt diese Nummer, die man wählt, wenn man in Not ist. Genauso wie jeder weiß, dass man sich erst umdreht, bevor man über die Straße geht. Nora heute nicht. Beschissene Katze!

    Das Rotorgeräusch wurde immer lauter. Die Menschen gingen in Deckung als der Wind stärker wurde. Und es waren viele Menschen, die inzwischen um die abgesperrte Unfallstelle standen und gafften. Wie die Menschen immer gaffen mussten! Dabei war es gar nicht das Mitleid, das sie antrieb, es war die Sensationslust und die Erleichterung darüber, dass es glücklicherweise einen Anderen erwischt hatte.

    Mitten auf dem Feld neben der kleinen Kreuzung kam der Hubschrauber herunter. Das Gras legte sich widerstandlos auf die Erde und die Leute klammerten sich an ihren Jacken fest als könnten sie damit verhindern, jeden Moment weggeweht zu werden. Bloß nicht bewegen. Bloß nichts verpassen. Immer schön stehen bleiben und die Kleidung festhalten.

    Es dauerte nicht lange bis Nora eingeladen war und der Hubschrauber wieder losfliegen konnte. „Fahren Sie mit?"

    Ich nickte wohl. Der Sanitäter schob mich in den Rettungswagen und schloss die Klappe hinter mir. Wir fuhren ins Krankenhaus zu meiner Frau. Dabei war sie gar nicht meine Frau.

    Samstag, 18.September, Friedericus

    Aaron wartete im Friedericus. Das Cafe in der Friedrichstraße war voll besetzt. Auf den Stühlen lagen schon die Decken bereit, die vor dem kühlen Wind schützen sollten, der sich um diese Jahreszeit gerne die Langeweile vertrieb.

    An diesem Tag war er gnädig. Draußen saßen die Menschen auf den Korbstühlen, um die letzten wärmenden Strahlen der Spätsommersonne zu genießen, die sich in den vergangenen Tagen immer rarer machte. Und die Wenigen, die mangels Freiluftplätze drinnen saßen, versammelten sich um die Tische und schlürften ihren Kaffee mit sehnsuchtsvollem Blick nach draußen. Wer bei diesem Wetter an einem Samstagnachmittag drinnen Kaffee trank, der musste den Kaffee wirklich nötig haben.

    Es war halb vier als er sich endlich einen Milchkaffee bestellte. Lena war nirgendwo zu sehen.

    Die Leute schlenderten gruppenweise an ihm vorüber. Ehepaare, Wanderer, gestylte Ladies im Shoppingfieber, Familien mit hüpfenden, eisschleckenden Kindern, Touristen. Mit Rucksäcken, mit Taschen, Frauen mit Männern im Schlepptau, ihren Männern, die wahlweise die Tüten schleppten oder die mit Tüten behängten Kinderwägen schoben. Im Sommer war es immer erstaunlich, wie gutgelaunt selbst die Männer bei einem Einkaufsbummel waren. Vielleicht lag es an den schönen Ausblicken die sie auf die im Sommerschlussverkauf erworbenen Kleider und Röcke werfen konnten, die die jungen, unverheirateten Frauen zur Schau trugen. Wenn sie nur ein paar Schritte hinter ihrer Liebsten schlenderten, dann konnten sie ungestört ihre Blicke schweifen lassen.

    Lena hatte sicherlich auch schöne Beine (wahrscheinlich, weil sie nicht verheiratet war), aber Aaron konnte sie nirgendwo erblicken. Lena kannte er schon von der Schule. Sie besuchte die Parallelklasse, teilte später nichts als einige Kurse mit ihm und war immer vergeben. Die einzige Gelegenheit, ihr näherzukommen, bot sich in der zwölften Klasse in der Theater-AG. Keiner wusste, wie er es geschafft hatte, aber Aaron war damals Romeo und Lena war Julia. Eigentlich war er ein lausiger Schauspieler, aber die Jungs in der AG waren dünn gesät und keiner war so groß wie er. Das waren wohl die einzigen Gründe, warum die Wahl auf ihn fiel. Leider führte die Deutschlehrerin Frau Kubitsch nicht auch im echten Leben Regie, und so gehörte nach dem Fall des Vorhangs sein heldenhafter Romeo schon wieder der Vergangenheit an.

    Sie hatten dann zusammen studiert. Kunstgeschichte. Aarons Interessen entsprach es nicht, und eigentlich war es auch nur ein weiterer, missglückter Versuch, seiner Herzensdame näher zu sein. Glücklicherweise schaffte er es, sich nach kurzer Zeit einzugestehen, dass er sein Interesse an dem Studium nur ihretwegen heuchelte, und bog zur Informatik ab. Aus den Augen…

    „Hallo Aaron, schön, dass du da bist!"

    Aaron zuckte zusammen. Auf ihr plötzliches Erscheinen war er nicht mehr vorbereitet gewesen.

    „Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Wartest du schon lange?" Lena drückte ihm ein Küsschen auf die Wange, legte ihre Umhängetasche ab und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl, den Aaron in der letzten halben Stunde mehr nur als einmal gegen genusssüchtige Passanten verteidigt hatte. Entschuldigend schenkte sie ihm ein Lächeln. Es war dasselbe Lächeln, an das er sich noch gut erinnern konnte. Es hatte sich kein bisschen verändert.

    „Ich schaue mir gerne die Leute an."

    „Ganz der Alte. Wirklich. Also du wartest schon lange. Ich hatte noch eine Besprechung. Ging nicht früher, ehrlich." Wieder ein Lächeln. Lena war ein bisschen außer Atem.

    „Ist schon in Ordnung. Auf DICH warte ich gerne. Das weißt du doch!"

    „Wie meinst du das jetzt? Lena zweifelte einen Augenblick, ob sie die Zweideutigkeit richtig verstanden hatte. Sie war unsicher. Aber nur kurze Zeit. „Danke für die Blumen. Lena rückte den Stuhl ein wenig näher an den Tisch heran. „Wie geht es dir? Wie lange haben wir uns jetzt schon nicht gesehen?"

    „Fünfzehn Jahre, denke ich." Aaron musste nicht lange darüber nachdenken. Dafür war Lena die letzten Jahre immer noch viel zu präsent gewesen in seinen Gedanken.

    „So lange ist das schon her? Nein!" Lena rechnete nach.

    „Ich hab mein Abitur fünfundneunzig gemacht. Ich denke, bei dir war es ähnlich."

    „Oh ja, ich erinnere mich. Du warst doch der aus der Parallelklasse. Aus der b. Der Christian."

    „Nein, tut mir leid. Michael."

    „Ach Michael. Entschuldige, hätte ich mir gleich denken können."

    „Macht nichts, Claudia." Aaron grinste. Er war selbst überrascht über seine Schlagfertigkeit.

    „Was möchtest du trinken?"

    Lena studierte die Karte. Aaron wettete auf einen Latte Macchiato.

    „Was trinkst du denn?" Ein neugieriger Blick in Aarons fast leere Tasse.

    „Einen Milchkaffee."

    „Hm." Lena blätterte vor und wieder zurück.

    „Haben die auch Wein?"

    „Bestimmt."

    Sie studierte das Ende der Karte. Die alkoholischen Getränke standen immer hinten.

    „Die haben einen leckeren Weißwein hier."

    „Ach ja? Lenas Augen wanderten die Seite entlang. „Den Riesling, meinst du?

    „Nein, den Silvaner. Nicht zu trocken und sehr fruchtig."

    „Hm. Ich mag ja lieber den Roten."

    Aaron ließ seinen Blick auf Lenas Gesicht ruhen. Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorüber gegangen, immerhin war auch sie schon Mitte dreißig. Sie hatte ein paar Fältchen um die Augen und ihr Teint ließ nicht unbedingt auf eine gesunde Lebensweise schließen. Aber er fand sie immernoch attraktiv. Die dunklen Haare, die ihr damals fast bis an den Po reichten, hatte sie zu einem klassischen Bob geschnitten und ein kurzer Pony unterstrich ihre wachen Augen. Die Frisur passte zu ihr, er hatte Lena schon damals für ihre klaren Vorstellungen bewundert, zumindest, was ihren Lebensentwurf betraf. Was die Getränkeauswahl anging, so war sie wohl weniger entschlossen.

    Ihre feinen Hände flogen fast selbsständig über die Seiten der Karte. An der linken Hand trug sie einen Ring. Aaron glaubte nicht, dass es Zufall war, dass sich der Ring dort befand, wo normalerweise der Ehering seinen Platz hatte. Dass sie verheiratet war hatte sie ihm gar nicht erzählt. Aber sie hatten sich auch nicht lange unterhalten. Natürlich hätte er es sich denken können, wie naiv von ihm. Lena, die in der Schule schon Jeden haben konnte. Verabredet hatten sie sich, nachdem sie sich auf der Straße getroffen hatten. Sie war zu Besuch gewesen bei ihren Eltern in Neustadt. Ohne Mann, ohne Kinder. Vielleicht waren die nur unterwegs. Oder nicht dabei. Man musste ja auch nicht alles gleich erzählen. Dann war das hier wohl so etwas wie ein kleines Wiedersehen zwischendurch. Ein Treffen von alten Schulfreunden. Von Romeo und Julia vor den Kulissen. Nur davor. Ein bisschen quatschen, lachen, alte Geschichten auskramen und dann wieder gehen. Küsschen links, Küsschen rechts. Mach’s gut und bis in fünfzehn Jahren wieder. Hier im Friedericus.

    „Ich glaube, ich nehme einen Latte Macchiato."

    Aaron grinste in sich hinein. Bingo. Mit flavour.

    „Mit Vanille, bitte."

    Nochmal Bingo.

    „Du bist verheiratet?" Aaron schielte auf ihren Ring. Jetzt, da sie die Karte auswendig gelernt hatte, konnte sie sich ja vielleicht wieder ihm zuwenden. Wenigstens für die nächste halbe Stunde oder so.

    „Ähm, ne."

    „Nein?"

    „Nein."

    „Warum trägst du dann einen Ring da?" Aaron war ein bisschen erleichtert über diese Antwort.

    „Ich war mal verheiratet."

    „Ach so?"

    „Also eigentlich bin ich es noch."

    „Scheidung läuft?"

    „Ja. Ziemlich blöde Sache. Auf Lenas Stirn bildeten sich kleine Sorgenfalten. „Rüdiger versucht gerade alles an sich zu reißen. Das Haus, die Kinder…

    „DER Rüdiger?" Aarons Augenbrauen hoben sich um mindestens zehn Zentimeter. Knapp Unterkante Haaransatz. Wenn sie jetzt bejahte, würde Aaron ein bisschen enttäuscht sein von Lena. So viel schlechten Geschmack hätte er ihr gar nicht zugetraut. Rüdiger war der Streber der Stufe, ein geleckter Schönling noch dazu, mit wohlhabendem Elternhaus und ekelhaft guten Manieren. Rüdiger wollte man vielleicht kennen, der guten Beziehungen wegen, aber mit Rüdiger wollte man sicher nicht zusammen sein.

    „Ja. Rüdiger Hollermann."

    Aaron schluckte. Er schluckte die bissige Bemerkung hinunter bevor sie ihm über die Lippen kam. „Und die Kinder?"

    „Die leiden natürlich am meisten. Sophie ist noch nicht einmal zwei, die wird es wohl am besten verkraften. Aber Leon und Sarah, die sind schon sechs. Gerade sind sie in die Schule gekommen. Was glaubst du, was die jetzt durchmachen müssen?!"

    „Ich kann mir vorstellen, dass das kein Zuckerschlecken ist. Und wo sind die jetzt?"

    „Bei meinen Eltern. Ich hab ihnen gesagt, dass ich mich mit einer alten Schulfreundin treffe." Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.

    „Na vielen Dank auch!"

    Lena lächelte und streifte Aarons Hand. Nur flüchtig. Aber es reichte aus, um ihm eine Gänsehaut über den Rücken zu jagen. Immernoch.

    Samstag, 25. September, 15.02 Uhr

    Der Sanitäter hieß Schrott. So zumindest stand es auf seinem Namensschildchen. Noch nicht einmal Hr. Schrott. Einfach nur Schrott. Er tat mir leid, ich an seiner Stelle hätte meine Mutter verklagt. Oder besser: meinen Vater. Oder den Namen meiner Frau angenommen. Heutzutage ist das ja keine große Sache mehr. Aber Schrott trug seinen Namen mit Fassung, genauso wie er das Schildchen mit Fassung trug. Vielleicht war er auch gar nicht verheiratet oder solidarisierte sich lediglich mit seinem Einsatzfahrzeug.

    Der Wagen war eine Katastrophe. Die Federung war so erbärmlich, dass man bei jeder Bodenwelle seiner Sitzhöcker gewahr wurde. Wenn ich eine Nierenkolik gehabt hätte oder sonst was Schmerzhaftes, ich wäre dem Herrn Schrott schon längst an die Kehle gegangen. Ich war noch niemals in einem Ambulanzwagen gefahren, aber ein bisschen komfortabler hatte ich es mir schon vorgestellt. Gut, dass Nora das erspart blieb.

    Wahrscheinlich war der Hubschrauber vor uns da. Ganz bestimmt war er das. Ich wollte raus. Ich hörte Noras Stöhnen in meinen Ohren. Bei jeder Unebenheit der Straße erschütterte ihre hilflose Stimme mein Trommelfell. Ich musste ihr helfen.

    Die Umstände sprachen dagegen. Inzwischen standen wir an der fünfundzwanzigsten Ampel zwischen Neustadt und Ludwigshafen. Wo doch die längste Strecke aus Autobahn bestand. Ich starrte aus dem Fenster. Herr Schrott auch. Er hatte es aufgegeben, mich zu ermuntern, und das war mir auch lieber so.

    Draußen zogen die anderen Autos an uns vorbei, während wir nicht vorwärts kamen. Ich hatte den Fahrer im Verdacht, dass er stundenlang im Kreis fuhr, weil er keinen Bock mehr auf den nächsten Einsatz hatte. Aber der Pfeil auf dem Schild neben uns an der Ampel, das erste, das ich entdeckte, deutete nach rechts. Klinikum war darauf zu lesen. Na Gott sei Dank! Dann konnte es nicht mehr weit sein.

    Der Fahrer legte einen regelrechten Kavaliersstart hin. Ein ungeahnter Temperamentsausbruch, der den beleibten Körper des Fahrers plötzlich durchzuckte. Selbst Herr Schrott, der die ganze Fahrt über recht regungslos auf seinem Sitz gesessen hatte, ließ sich zu einer Frotzelei hinreißen „He Manni,

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