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Generalprobe -Leben aus Musik-
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eBook115 Seiten1 Stunde

Generalprobe -Leben aus Musik-

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Über dieses E-Book

Musik, wenn sie in unser Leben tritt, verwandelt uns. Die einen mehr, die anderen weniger. Schon Goethe wusste: "Wer die Musik liebt, ist nur ein halber Mensch. Wer sie aber treibt, der ist ein ganzer Mensch."
Die Sammlung vereint alle zehn Geschichten der Edition Generalprobe - im April 2011 schaffte sie es in die Top Ten der 2. Neobooks-Staffel.
Wir befinden uns auf den Spuren des Musik-Gens, denn die Handelnden sind ausnahmslos der Tonkunst verfallen.
Als Zugabe lesen Sie einen musikalischen Weihnachtskrimi: Trio Trombone.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Nov. 2013
ISBN9783847603627
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    Buchvorschau

    Generalprobe -Leben aus Musik- - Martin Mehner

    Zwischenbilanz meiner Hände - Prolog

    Martin Mehner, Autor

    Das erste Mal habe ich wirklich über meine Hände nachgedacht, als ich meiner Freundin unter den Rock griff. Ich riss ihr dabei nämlich eine Laufmasche in die West-Feinstrumpfhose. Nur mit meiner Hornhaut. Strumpfhosen waren teuer damals, die guten gab's nur im Intershop. Ich glaube, sie hat ihre sogar noch mal gestopft.

    Wo kam die Hornhaut her?

    Ich schrieb damals mit Bleistift. Ich mochte das kratzende Geräusch und den Geruch, und ich mochte es, wenn ich mit dem Radiergummi verbessern konnte. Bleistifte mag ich heute noch.

    Bis dahin waren Hände eher selbstverständlich. Meistens ging es gar nicht um meine, sondern um anderer Leute Hände. Wie haben sie geheult, all die gestandenen, werktätigen Frauen, als mein Kumpel zum Frauentag das alte, schöne Tucholsky-Gedicht aufsagte: Mutterns Hände.

    Ich hätte mitheulen können. Aber meine Mutter lebt heute noch und ihre Hände auch – was hab ich doch für ein Glück! Zwar schneidet sie keine 'Stullen' mehr, aber alljährlich putzt sie einen ganzen Rehrücken ab und verköstigt ihre vier Kinder samt Familien. Also doch: Mutterns Hände!

    Einige Male brannten ihre Hände in meinem Gesicht – davon schrieb Tucholsky natürlich nicht. Der Grund: Meistens war es, weil ich meine Hände nicht so benutzt hatte, wie ich sollte. Zum Beispiel, weil ich vergessen hatte, meine Hausaufgaben zu machen, mein Zimmer zu saugen, meine Sachen wegzuräumen, das Geschirr abzutrocknen, meistens mehrere Sachen auf einmal. Und weil ich dann sagte, ich hätte keine Zeit gehabt.

    Sie hat mir aber auch beigebracht, dass man Brennnesseln mit den bloßen Händen ausraufen kann, ja, dass es sogar schön sein kann, wenn es hinterher tüchtig brennt. Großmutter, so hieß es, peitschte sich sogar den Rücken damit, gegen ihr Rheuma. Schauer der Bewunderung, wenn ich das hörte.

    Zugegeben, heute benutze ich schon mal Handschuhe, aber nur, weil es so lange dauert, bis ich nach dem Holzschleppen die Eichensplitter heraus gezupft kriege.

    Klar, Thema waren meine Hände auch schon früher, ganz ohne Nachdenken. Da gab es Kumpels, die nach der Schneeballschlacht ins Haus kamen und sagten: Das kribbelt so schön!

    Die Glücklichen! Für mich war es eine Tortur, mir wurde immer schlecht, weil es höllisch weh tat. Das kalte Wasser auf meinen Fingern brannte, als würde es kochen!

    In meiner Stadt gab es noch Kohlenplätze! Kohlenplätze rochen vor allem nach Fisch und erst, wenn man näher kam, auch nach Kohlen. Meistens traf man auf einen kleinen Teller, auf dem noch die Mittelgräte lag; manchmal erwischte man auch die Katze, während sie dabei war, die Mittelgräte freizulegen. Mutter sagte, die Katzen sollten angelockt werden, um auf dem Kohlenplatz Mäuse zu fangen. Ich wurde angelockt, weil man auf dem Kohlenplatz Geld verdienen konnte.

    Zehn Pfennig gab es für einen Kasten, wenn man ihn mit Kohlen voll stapelte. Ich ging hin und freute mich, dass ich eine Mark machen konnte. Meistens schaffte ich zwei Kästen, manchmal drei. Ein Moskauer Eis kostete zwanzig, eine Waldmeisterbrause fünfzehn Pfennig. Das Eis wurde am Rand schwarz von meinen Händen. Von den Kohlenhänden.

    Warum kannst du deine Hände nicht waschen?, fragte mich meine Flötenlehrerin. Ihr Ton war so, als hätte ich ihre Hände im Gesicht. Irgendwo zwischen zornig und hysterisch. Meistens schwieg ich. Es ging ja nicht um ihren, sondern um meinen Ton, den Flötenton.

    Wozu ihr erzählen, dass ich für den Badeofen zuständig war, dafür, dass die Familie warmes Wasser zum Duschen hatte. Holz und Kohlen lagen im Keller und wir wohnten im dritten Stock.

    Außerdem hatte ich dafür zu sorgen, dass Kartoffeln im Haus waren. Und ich sorgte für das Eingemachte: die Ordnung im Kellerschrank. Meine Hände hatten den Überblick zu haben, über das, was weg musste, und das, was richtig weg musste, weil es verdorben war.

    Später lernte ich (Mutter gab mir den Rat), meine Hände zu schrubben. Heißes Wasser, so dass sie krebsrot wurden, gefühlte fünfzig Grad, und dann, wenn sie glühten, mit viel Seife die Bürste ansetzen. Unter den Nägeln war es besonders heftig. Und besonders nötig.

    Die Hände meines Vaters zitterten immer. Schlimmstenfalls traf er mit der Kaffeekanne nicht mal die Tasse. Ich kann mich kaum daran erinnern, weil er nicht bei uns wohnte. Jedenfalls nicht mehr, als ich anfing zu beobachten. Da musste ich mich an andere Männer halten, zum Beispiel den Fahrradmonteur in der Fabrik, wo ich in den Ferien arbeiten ging. Der hatte vermutlich vier Hände: Mit zweien schraubte er Fahrräder zusammen, jeder Griff saß, immer war er der Schnellste. Mit der dritten führte er die Zigarette zum Mund und mit der vierten die Kaffeetasse.

    Aber auch er zitterte. Das gehörte wohl dazu. Später las ich Gewalt und Zärtlichkeit, sozialistischer Realismus. Heute würde ich sagen: kommunistischer Romantizismus. Und doch! Wie sitzen sie tief, diese Sätze: Seine Hände waren vom Arbeiten so schwer, dass sie beim Streicheln zitterten. Ich liebte diesen Satz.

    Heute zittern meine Hände auch. Schon lange. Demzufolge hasse ich Kaffeetassen mit kleinen Henkeln und Kerzen, die angezündet werden wollen. Außerdem Sopranblockflöten, weil sie so leicht sind. Dafür gehe ich lieber in den Wald und arbeite Eichenkronen auf. Da kommt es nicht darauf an. Und wenn ich meine Frau streicheln will, kommt es auf die Stelle an, wo ich sie streicheln will, ob es darauf ankommt. Ob ich zittere. Außerdem spiele ich Bassblockflöte, die ist schwer genug.

    Mit meinem Bruder, dem, der anderthalb Jahre älter ist, habe ich gerungen. Die Faust war tabu. Ohne Vereinbarung, es war einfach so. Manchmal bereute ich, dass ich das nicht gelernt hatte. Als mir in einer Kneipe ein Typ sein Bier ist Gesicht schüttete, war ich dicht davor. Ich hätte ihn kratzen sollen!

    Rechts trage ich immer Nägel. Die sind zum Gitarre-Spielen. Dafür klappern sie auf dem Klavier. Und sie brechen ab, wenn ich Eichenkronen aufarbeite. Wachsen wieder nach, wenn der Sommer kommt. Und sind selten sauber.

    Fast hätte ich die Probezeit nicht bestanden. Als Berater muss man gepflegt aussehen, das erwarten die Leute. Fast wie ein Arzt. Musst du halt öfter abwaschen, sagten die Kollegen.

    Das ist halt so auf dem Lande, sagten andere. Wenn man mit der Flex eine Fensteröffnung sägt, mitten hinein in den alten Backstein, werden die Hände sogar rot. Oder wenn man Rote Rüben schneidet. Das ist schön, fast wie Kriegsbemalung. Dazu der Geruch nach Eichenholz oder Feuer! Damit dann streicheln...

    Was dürfen sie noch erleben? Diese Hände! Was müssen sie noch durchmachen? Heute waren sie wieder fast erfroren; bei minus siebzehn Grad ist jedes Stück Holz wie ein Klumpen Eis. Die Kuppen summen beim Tippen. Und nach dem vierten Espresso sind sie bereit zum Fliegen. Wahrscheinlich fliegen sie noch, wenn der Rest von mir schon streikt.

    Das sind nicht meine Hände. Sie gehören zu etwas Größerem.

    Mein einer Großvater schrieb für die Zeitung, der andere war Pianist. Ich habe sie beide nicht kennen lernen dürfen, kriegsbedingt.

    Dafür lebte die eine Großmutter später mit einem neuen Mann. Der war ein handfester Bauer. Seine Hände hatten in der Kriegsgefangenschaft gelitten, waren rissig geworden vom Baumwollpflücken für die Amis. Er schonte sie nicht. Auch das beeindruckte mich.

    Ich wünsche oft, ich hätte die anderen beiden Großväter gekannt. Aber wenigstens haben

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