Von Leidenschaften und Verlusten
Von Martin Bartholme
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Über dieses E-Book
Der Autor findet zudem auch für ernste und gesellschaftskritische Themen die passenden Worte. So beschreibt er neben dem alltäglichen Rassismus und der fortschreitenden Umweltzerstörung auch Momente tiefer Depression, die Angst vor dem Tod, das Scheitern einer Beziehung und die Einsamkeit am Ende eines langen Lebens. Mit seiner teils poetischen, teils dramatischen Erzählweise verdienen seine Stories unsere ganze Aufmerksamkeit.
26 berührende Geschichten voller Atmosphäre und Tiefgang über Liebe und Schmerz, Hoffnung und Melancholie - Geschichten von Leidenschaften und Verlusten, die unter die Haut gehen.
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Buchvorschau
Von Leidenschaften und Verlusten - Martin Bartholme
Von Leidenschaften und Verlusten
Kurzgeschichten.
Martin Bartholme
Von Leidenschaften
und Verlusten
Kurzgeschichten
Impressum
© 2020 Verlag Renate Brandes
Text: Martin Bartholme© 2020 Verlag Renate Brandes
Fotografien/Abbildungen: Kirsten Bartholme
Umschlaggestaltung: Axel Teichmann
ISBN: 978-3-948818-01-2
1. Auflage
Printed in Germany
E-Book Distribution: XinXii
www.xinxii.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar
Alle in diesen Kurzgeschichten vorkommenden Personen, Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden.
Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Orten oder Ereignissen sind rein zufällig.
Inhalt
Sommer 06
Unsere Stelle
Wiedersehen
Es hat sich in all den Jahren nichts verändert
Der Türke
Provinzmonarchen
Wir lassen uns gehen
Sudan
So sein wie ihr
Schönstes Geschenk
Vergissmeinnicht
Fast konnte ich den Nazis dafür dankbar sein
Keine Atempause, Geschichte wird geschrieben!
Drei Wochen Stille
Bum Bum, Bäng
Verpasst
Schönes Leben
Einmal das Meer sehen
Du fehlst
Videothek
Schokolade zum Frühstück
Anmerkung:
Liebeserklärung
Die Zeiten haben sich geändert
Morgen
Wiege der Menschheit
Nicht Vergessen
Danke
Der Autor
Für Kirsten
Sommer 06
Endlich Ferien, dachten wir. Die Letzten unseres Lebens. Sechs Wochen grenzenlose Freiheit. Keine Lehrer, die uns belehren, keine Prüfungen, die uns stressen, keine Hausaufgaben, kein Leistungsdruck, kein Wecker, der uns um 6:30 Uhr den Schlaf raubt. Danach ein neuer Lebensabschnitt. Mit dem letzten Pausengong klappten wir die Bücher zu - wie sehr liebte ich dieses helle Schrillen. Immer das beste Geräusch des Tages, ein Wohlklang in meinen Ohren.
Die jüngeren Schüler rannten hinaus auf den Schulhof. Alle freudig erregt, mit einem Grinsen im Gesicht. Wir verließen zum letzten Mal die große Holztüre dieses alten Gemäuers. Die hochstehende Mittagssonne blendete uns in den Augen. Nach einigen Schritten blickte ich kurz zurück und hielt inne. Ein wenig Wehmut mischte sich in meine erhabene Stimmung. So viele Jahre hier verbracht - gelernt, gebüffelt, verzweifelt, geliebt - das volle Programm ›Leben‹ an einem Ort. In Sekundenbruchteilen schossen mir noch einmal die Bilder der Vergangenheit in den Kopf. Das heimliche Rauchen in der Pause auf dem Schulklo, mein erster Zungenkuss mit Miriam nach dem Sportunterricht, das missglückte Chemie-Experiment bei Lehrer Eilers - aber auch die Prüfungsangst vor der Mathe-Klausur, die drögen und nie enden wollenden Physikstunden, den Ärger mit meinen Eltern nach schlechten Noten.
Ich wende mich ab. Lachend kommt Tom auf mich zu gerannt, ein 6er Dosenbier und einen kleinen Schnaps in seinen Händen. Er hatte die Getränke extra heute früh im Gebüsch neben der Sporthalle versteckt.
»Ein gebührender Drink für den großen Anlass«, meinte er morgens um 7:30 Uhr. Nun schrie er übermütig: »FUCK Schule, endlich freiii«.
Das ›I‹ zog er in die Länge wie ein indianisches Kriegsgeheul. Wir setzten uns mitten auf den von der Sonne erwärmten Asphalt des Pausenhofes. Alle meine Freunde, die ganze Clique. Wolle,
Freddy, Tom, Annika und Miriam.
Miriam, meine erste große Liebe. Seit der elften Klasse waren wir ein Paar. Doch bald würden sich unsere Wege trennen. Sie wollte in Freiburg Medizin studieren, ich etwas Soziales in einer Stadt, in der der Numerus Clausus nicht so übermäßig hoch war. Mein Abizeugnis war eher durchwachsen. Würden wir das hinbekommen? Eine Fernbeziehung? Ich hoffte es, aber innerlich kämpfte die Skepsis mit der Zuversicht eine Schlacht auf Augenhöhe. Auch die anderen würde es in alle Winde zerstreuen. Wir wollten weg aus der Enge der Kleinstadt, hinaus in die weite Welt. Für jeden von uns ein Aufbruch ins Ungewisse. Annika würde ein Jahr nach Australien zum Work and Travel reisen, Wolle wollte seinen Rücken gerade machen für das Vaterland, Freddy stattdessen lieber alte Menschen pflegen. Und Tom? Tom hatte noch keine Ahnung bezüglich seiner Zukunft.
»Erstmal nichts!«, war seine gängigste Antwort auf eben jene Frage.
Auf jeden Fall würde sich unser Leben komplett ändern und wir hatten keinen blassen Schimmer, was die Folgejahre für uns bereithalten würden. Die nächsten Wochen vergingen wie im Rausch. Nachts stiegen wir ins Freibad ein oder ließen uns vom Lagerfeuer wärmen. Die Abende waren sternenklar und wir selten nüchtern. Tagsüber lagen wir am Baggersee oder lümmelten herum in den Cafés unserer kleinen Heimatstadt. Auf dem Soundtrack dieser Zeit mischte sich kalifornischer Punkrock mit den Klängen des Reggae, 70er Jahre Oldies mit Hip-Hop Beats, die Hosen mit den Ärzten. Wir zogen die Vertrautheit in uns auf, denn wir wussten, wir würden sie bald verlieren. Ein einmaliges Zusammensein, ein großer Zusammenhalt - sechs Wochen lang. Selten war das Leben bunter als an jenen Tagen. Und danach sollte nichts mehr so sein, wie es einmal war.
Heute sitze ich sinnierend auf der Couch im Wohnzimmer. Zu Freddy habe ich ab und an noch Kontakt, Annika wohnt mittlerweile wieder auf dem Hof ihrer Eltern, Tom lebt in den USA. Wolle hatte mit 25 einen Autounfall. Er verstarb an seinen inneren Blutungen, nach Stunden des Kampfes, im Krankenhaus.
Und Miriam? Was wurde aus Miriam? Damals trennten wir uns, wenige Monate nach dem Beginn des Wintersemesters. Die Distanz war wohl doch größer als die Liebe. Was macht sie heute? Ich laufe zum CD-Player und lege den selbstgebrannten Sampler aus dem Sommer 06 in das Laufwerk. Während sich Die Ärzte zurück nach Westerland wünschen, klappe ich meinen Laptop auf und suche in meinen alten Kontakten die Mailadresse von Miriam heraus. Sentimental und etwas melancholisch schreibe ich ihr einige Worte.
Nachdem ich den Rechner wieder zugeklappt habe, kommt meine kleine Tochter in den Raum, die Gedanken verfliegen.
Sie fragt: »Papa - machst du was mit mir?«
»Klar - Spielplatz oder Tierpark?« Gemeinsam wagen wir uns in das nächste bunte Abenteuer.
Unsere Stelle
Langsam fahre ich mit meinem Zeigefinger die schmalen Furchen nach. Sie sind kaum noch zu erkennen. Behutsam kratze ich das Moos von dem Punkt des Herzens, an dem sich die beiden Rundungen wieder vereinen. Die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Nur mit Mühe kann ich in der Mitte die beiden Buchstaben entziffern. Ein großes E neben einem etwas kleineren A. Dazwischen ein Pluszeichen. Das mathematische Symbol wurde offensichtlich vor langer Zeit mit großer Hingabe in die Rinde geritzt und ist heute noch am deutlichsten erkennbar.
Ich gehe zwei Schritte zurück und schaue empor. Die alte Trauerweide lässt ihre ausladenden Äste stolz im Wind tanzen. Wenige Meter dahinter gurgelt langsam der schmale Fluss in Richtung Norden. Die Richtung in der Du, nach meinem Wissen, in der Zwischenzeit wohnst. Du warst das E in dem Herzen - unbeholfen eingraviert in den Stamm des dicken