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Der Blick in die Flasche und andere Kurzgeschichten
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Der Blick in die Flasche und andere Kurzgeschichten
eBook157 Seiten2 Stunden

Der Blick in die Flasche und andere Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Es gibt Welten, die wir nur aus den Augenwinkeln erkennen können. Für einen Moment öffnen sich ihre Tore und wenn Katzen über Licht und Dunkelheit entscheiden, Hüte das Ende der Welt einläuten und grüne Küchenschränke zu reden beginnen, verschwimmen die Grenzen der Realität.
Was ist wahr? Was ist Einbildung? Tauchen Sie ein in sieben Geschichten zum Träumen, Schmunzeln und Nachdenken.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Feb. 2020
ISBN9783750224476
Der Blick in die Flasche und andere Kurzgeschichten

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    Buchvorschau

    Der Blick in die Flasche und andere Kurzgeschichten - Marie Grünberg

    Eine seltsame Begegnung

    Es war ein Morgen wie viele andere. In der Nacht zuvor hatte es gewittert und auf den Wegen spiegelte sich die Morgensonne in den Pfützen.

    Nicht weit von der Kreuzung entfernt sah ich sie. Sie war so wunderschön, dass mir für einen kurzen Augenblick der Atem stockte. Mit ihren leuchtenden, grünen Augen sah sie nach links und rechts, bevor sie die Straße überquerte und langsam auf die Bushaltestelle zu lief. Ihr weißes Fell glänzte in der Sonne. Behände wich sie allen Pfützen aus und blieb am Schild der Haltestelle stehen. Für einen Moment sah es so aus, als würde sie weitergehen. Aber dann setzte sie sich und begann ihr Fell zu putzen.

    Mit dieser Bushaltestelle hatte es etwas Merkwürdiges auf sich. Ihr Schild stand mitten in einem kleinen Beet zwischen buschigen Hecken und ich hatte dort noch nie einen Bus halten gesehen. Worauf also wartete die weiße Katze? Natürlich dachte ich an den großen felligen Katzenbus aus Totoro. Aber ich glaubte nicht daran, dass an dieser Haltestelle ein solcher Bus fahren sollte.

    Ich sah auf meine Uhr. Ein wenig Zeit hatte ich noch, also blieb ich stehen und versuchte sie unauffällig zu beobachten. Es schien, als wäre sie tief in ihrer Fellpflege versunken, aber ihre aufgestellten Ohren zeigten, dass sie ihre Umgebung trotzdem aufmerksam verfolgte.

    Katzen merken es natürlich immer, wenn man sie beobachtet. So drehte sich auch diese weiße Schönheit zu mir um und musterte mich. Ich hatte Angst, sie würde ihren Platz an der Haltestelle verlassen, aber sie drehte sich einfach wieder um und wartete weiter. Scheinbar stellte ich für sie keine Bedrohung dar und sie duldete meine Anwesenheit.

    Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich mich beeilen musste, wenn ich nicht zu spät kommen wollte. Im selben Augenblick, als hätte sie meine Gedanken gelesen, setzte sich auch die weiße Katze in Bewegung und kam direkt auf mich zu. Ich bemühte mich sie nicht anzuschauen, konnte aber meine Augen nicht von ihr lassen. Sie dagegen beachtete mich überhaupt nicht.

    Fast hoffte ich, sie würde zu sprechen anfangen. Doch sie lief grußlos an mir vorbei und verschwand hinter der nächsten Hausecke. Ich wäre ihr zu gern hinterhergelaufen, aber die Zeit drängte. Und so machte ich mich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg.

    In den nächsten Tagen kreisten meine Gedanken ständig um die ungewöhnliche weiße Katze. Jeden Morgen hielt ich nach ihr Ausschau, aber ich sah sie weder an der Haltestelle sitzen, noch konnte ich sie in einem der Gärten oder hinter einer der vielen Hecken erspähen.

    Erst nach einer Woche sah ich die weiße Katze wieder. Ich war spät dran und blieb nur kurz in einiger Entfernung von der Bushaltestelle stehen, um nach ihr Ausschau zu halten.

    Da saß sie. Ihr Fell war, wenn überhaupt möglich, in der letzten Woche noch weißer geworden. Es strahlte förmlich. Sie aber saß da, als wäre nichts geschehen. Als hätte sie jeden Tag dort gesessen und mir nicht viele schlaflose Nächte bereitet, in denen meine Gedanken um sie kreisten.

    Sie musste mich sofort bemerkt haben und doch drehte sie sich erst nach einer Weile zu mir um. Es schien so, als hätte sie nur auf mich gewartet, denn nach einem letzten Blick in den Himmel drehte sie sich wieder zu mir um und kam auf mich zu. Nur ein paar Schritte vor mir blieb sie stehen und musterte mich mit ihren grünen Augen.

    Ich hätte so gern meine Hand nach ihr ausgestreckt, um ihr wunderschönes weißes Fell zu berühren. Bestimmt hätte es sich ganz weich angefühlt. Aber ich wusste genau, dass sie mir das nicht erlauben würde. So saß sie vor mir, sah mich an und gleichzeitig auch durch mich hindurch, so als wäre ich für sie gar nicht wirklich da.

    Unsere Begegnung wiederholte sich von nun an jede Woche. Während der Tage, an denen ich sie nicht sah, hatte ich immer Angst sie würde nicht wieder an der Bushaltestelle erscheinen. Aber sie saß immer am selben Tag zur selben Zeit dort und wartete. Nur an Regentagen bekam ich sie nicht zu Gesicht.

    Sobald sie mich bemerkte, schaute sie noch einmal in den Himmel hinauf und setzte sich dann für ein paar Augenblicke vor mich hin, bevor sich unsere Wege wieder trennten.

    So verging der Sommer und der Herbst begann. Unser morgendliches Treffen hatte sich zu einem lieben Ritual entwickelt. Das Fell der weißen Katze wurde immer weißer und strahlender. Aber berühren ließ sie sich noch immer nicht. Als die Tage immer kürzer wurden, war es noch dunkel, wenn ich die weiße Katze traf. Bisher hatte sie immer ruhig an der Bushaltestelle gesessen und gewartet. Jetzt war sie aufgeregter, konnte nicht mehr still sitzen und lief zwischen den Hecken hin und her. Etwas lag in der Luft. Vielleicht kam, worauf sie schon solange wartete langsam näher.

    Ein Bus hatte während der letzten Monate nicht einmal an der Haltestelle gestoppt.

    Überhaupt waren mir während unserer Begegnungen nie andere Menschen, Tiere oder Fahrzeuge aufgefallen. Als wäre die Welt in unseren wenigen gemeinsamen Minuten nur von uns beiden bewohnt.

    An einem Morgen beachtete mich die weiße Katze überhaupt nicht. Ich war es gewohnt, dass sie sich immer erst nach einer Weile zu mir umdrehte. Doch an diesem Tag saß sie nur da und schaute gespannt nach oben. Es war schon spät in diesem Jahr und bis jetzt hatte es noch nicht geschneit.

    Der Himmel hing voller rötlich gefärbter, dicker, schwerer Wolken und nach einer Weile fing es tatsächlich an zu schneien. Zum ersten Mal in diesem Winter.

    So gebannt wie die weiße Katze nach oben schaute, hätte es mich nicht gewundert, wenn statt Schneeflocken kleine weiße Schneekatzen vom Himmel gefallen wären. Doch es waren gewöhnliche, wunderschöne sechszackige kleine Sterne, die langsam zur Erde schwebten.

    Als der Boden von einer dünnen weißen Schicht bedeckt war, drehte sich die weiße Katze endlich zu mir um. Sie schien erstaunt mich zu sehen, als hätte sie nicht damit gerechnet mir noch einmal zu begegnen. An diesem Morgen ließ sie sich zum ersten Mal von mir berühren.

    Sie kam zu mir, rieb ihren Kopf an meinen Beinen und stupste mich an, bis ich endlich anfing ihr weiches Fell zu streicheln. Es war noch viel weicher als ich es erwartet hatte und für eine Weile ließ sie es sich gefallen, dass ich ihr den Kopf kraulte. Doch als es Zeit wurde für mich zu gehen, drehte sie sich um und ging zurück zu ihrem Platz an der Haltestelle, wo ich sie wartend hinter mir ließ.

    Ich weiß nicht, was mich dazu trieb an diesem Abend noch einmal hinauszugehen. Vielleicht war es der glitzernde weiße Schnee, der den ganzen Tag vom Himmel gefallen war und mich mit jeder Flocke an die weiße Katze erinnerte. Ich kam aus einer anderen Richtung als sonst und so sah ich sie erst, als ich direkt vor dem Schild der Bushaltestelle stand. Ihr Fell leuchtete silberweiß, als hätte sie in ihrem Bauch eine kleine Kerze zu stehen. Der glitzernde Schnee um sie herum wirkte im Vergleich zu ihrem Fell beinahe grau.

    Die kleine weiße Katze schaute gebannt in den fallenden Flockenwirbel und ich folgte ihrem Blick. Es sah aus, als würde ein schwarzer Schatten zwischen den Schneeflocken hin und her springen und landete schließlich genau neben der weißen Katze. Es war ein schwarzer Kater, dessen tiefschwarzes Fell das Fell der weißen Katze noch viel heller leuchten ließ.

    Es schien, als wären Tag und Nacht aufeinandergetroffen und erst in diesem Moment fiel mir ein, dass es der Tag der Wintersonnenwende war. Die längste Nacht und der kürzeste Tag des Jahres. Es war, als hätte die Dunkelheit in Gestalt des schwarzen Katers den Himmel verlassen, um nun das Licht aufsteigen zu lassen. Sie konnten nur wenige Stunden zusammen sein, bevor sie wieder für ein halbes Jahr getrennt wurden. So verschwanden die weiße Katze und der schwarze Kater gemeinsam im dichten Flockenwirbel. Ich wartete noch lange in dieser Nacht, aber keiner von beiden kam zurück an die Bushaltestelle.

    Seit dieser Nacht habe ich unzählige Male an der Bushaltestelle gestanden. Aber weder die weiße Katze noch den schwarzen Kater habe ich jemals wieder gesehen.

    Vielleicht teilen sie sich noch immer die Herrschaft über Licht und Dunkelheit und treffen nur an zwei Tagen im Jahr aufeinander. Vielleicht waren es aber auch nur eine gewöhnliche weiße Katze und ein gewöhnlicher schwarzer Kater, die sich zufällig in dieser Nacht trafen. Doch dann bliebe die Frage, worauf die weiße Katze so lange gewartet hat.

    Ich bin mir sicher, eines Tages werde ich sie wiedersehen und dann wird sie mir vielleicht ihr Geheimnis verraten.

    Hüte der Macht

    Kleine Gestalten

    Es war eine dunkle, sternenlose Neumondnacht. Die Wolken hingen tief und schwer über den Dächern meiner Stadt und die Straße, auf der ich ging, wurde nur dumpf von einzelnen Laternen beleuchtet, deren Vorrat an Lampenöl noch nicht verbraucht war. Nur wenige Lampenanzünder versahen noch ihren Dienst, deshalb brannten manche Lampen tagelang, während andere dunkel blieben.

    Außer mir war keine Menschenseele unterwegs und ich setzte meine Schritte vorsichtig und lautlos, um die Ruhe der Stadt nicht zu stören. Nur in wenigen Fenstern brannte noch trübes Licht. Die letzten Geschäfte der Stadt waren schon seit Tagen geschlossen und mit Brettern vernagelt. Ich versuchte zu erraten, ob die merkwürdige Krankheit, die sich seit einigen Monaten in unserem Land ausbreitete, noch weitere Opfer gefunden hatte. Doch überall sah es gleich verlassen aus.

    Es hatte mit einigen vereinzelten, weit voneinander entfernten Fällen begonnen und zog sich nun durch alle Gesellschaftsteile unseres Landes: Bauern, Kaufmänner, Schüler, Polizisten und Politiker, Junge, Alte, Männer und Frauen. Selbst vor unserem Premierminister hatte die geheimnisvolle Krankheit nicht Halt gemacht.

    Das Staatsbegräbnis hatte erst vor zwei Wochen stattgefunden. Und obwohl er ein bekannter und auch außerhalb unseres Landes beliebter Politiker gewesen war, waren zu seinem Begräbnis nur wenige Menschen erschienen. Niemand aus dem Ausland hatte es gewagt unser Land zu betreten. Denn noch immer beschränkte sich die Krankheit nur auf unseren Staat.

    Auf einer unbeleuchteten Bank am Straßenrand lag ein Bettler unter einer Zeitung und schlief. Ich brauchte nur einen kurzen Blick auf die Titelseite zu werfen, um zu wissen, dass es eine aktuelle Ausgabe war. Wenn man nach zwei Wochen noch von aktuell sprechen konnte. Ich kannte viele Berichte daraus bereits auswendig, die meisten hatte ich selbst geschrieben.

    Ich war die dritte Nacht in Folge unterwegs, um mich mit einem Informanten zu treffen. Bisher war er nicht aufgetaucht und auch jetzt war seine übliche Zeit bereits verstrichen, in der ich ihm sonst an der Ecke Rathausstraße und Kurze Gasse begegnet war. In Gedanken machte ich einen weiteren Strich auf der Liste der Opfer. Ein Viertel der Bevölkerung war der Krankheit bereits zum Opfer gefallen. Und mindestens ein weiteres Viertel lag krank zu Hause oder in den überfüllten und überforderten Hospitälern. Vermutlich lagen viele von ihnen längst tot in ihren Zimmern, wo niemand sie fand.

    Aus Angst vor Ansteckung und da man immer noch nicht wusste auf welchem Weg sich die Krankheit verbreitete, obwohl die klügsten Köpfe unseres Landes nach der Ursache forschten, wurden alle Leichen ohne weitere Untersuchung sofort verbrannt. In den Krematorien stapelten sich die Urnen, da oft keine Familienangehörigen mehr zu finden waren. Und wenn doch, so waren diese meist nicht bereit sich in die Nähe eines Friedhofs zu wagen, da sie es als schlechtes Omen ansahen.

    Erst gestern hatte ich einige Krematorien der Stadt besucht, um einen Artikel über ihre Arbeit zu schreiben und diesen zusammen mit der aktuellsten Namensliste der Opfer in der nächsten Ausgabe der letzten Zeitung in dieser Stadt zu veröffentlichen.

    Nach und nach war das gesamte öffentliche Leben zusammengebrochen. Niemand wagte sich aus dem Haus, da überall die Ansteckung

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