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ICH, DIE FRAU DES TALIBAN: Die wahre Geschichte einer verbotenen Liebe
ICH, DIE FRAU DES TALIBAN: Die wahre Geschichte einer verbotenen Liebe
ICH, DIE FRAU DES TALIBAN: Die wahre Geschichte einer verbotenen Liebe
eBook355 Seiten4 Stunden

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN: Die wahre Geschichte einer verbotenen Liebe

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Über dieses E-Book

Weit fort von ihrer Heimat und der erdrückenden Enge des Lebens, das den Frauen dort aufgezwungen wird, begegnet Maraima, Tochter einer reichen afghanischen Familie, der großen Liebe in der Person eines Engländers. Diese Liebe fügt ihr jedoch großes Leid zu und treibt sie nach Hause zurück.
Maraimas Geschichte handelt von verbotener Liebe und von Abenteuern, von einer Frau, die ihrem Herzen folgt und dabei gesellschaftliche Tabus bricht, um ihre große Liebe zu leben.
Vor dem Hintergrund des tragischen Bürgerkriegs und der absoluten Herrschaft der Taliban wird Maraima in einer alptraumhaften Ehe gefangen gehalten. Die Gegenwart Peters, des Mannes, der ihr Schicksal bestimmt hat, ist der einzige Lichtblick in ihrem Leben. Seinetwegen überschreitet sie sämtliche gesellschaftlichen Schranken ihres Volkes.
Allein und von allen verlassen erleidet Maraima klaglos ihr Martyrium in einer schmerzlichen Umklammerung von Leben und Tod in Kabul, in Kandahar, in Peschawar, und versucht, aus Schmerz und Tränen Hoffnung auf Leben zu schöpfen.
Die wahre Geschichte einer entschlossenen, zutiefst liebenden Frau, von ihr selbst erzählt und von der Autorin als fesselnder Roman niedergeschrieben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Juli 2013
ISBN9783847641087
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    Buchvorschau

    ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis

    Prolog

    Weit fort von ihrer Heimat und der erdrückenden Enge des Lebens, das den Frauen dort aufgezwungen wird, begegnet Maraima, Tochter einer reichen afghanischen Familie, der großen Liebe in der Person eines Engländers. Diese Liebe fügt ihr jedoch großes Leid zu und treibt sie nach Hause zurück.

    Maraimas Geschichte handelt von verbotener Liebe und von Abenteuern, von einer Frau, die ihrem Herzen folgt und dabei gesellschaftliche Tabus bricht, um ihre große Liebe zu leben.

    Vor dem Hintergrund des tragischen Bürgerkriegs und der absoluten Herrschaft der Taliban wird Maraima in einer alptraumhaften Ehe gefangen gehalten. Die Gegenwart Peters, des Mannes, der ihr Schicksal bestimmt hat, ist der einzige Lichtblick in ihrem Leben. Seinetwegen überschreitet sie sämtliche gesellschaftlichen Schranken ihres Volkes.

    Allein und von allen verlassen erleidet Maraima klaglos ihr Martyrium in einer schmerzlichen Umklammerung von Leben und Tod in Kabul, in Kandahar, in Peschawar, und versucht, aus Schmerz und Tränen Hoffnung auf Leben zu schöpfen.

    Die wahre Geschichte einer entschlossenen, zutiefst liebenden Frau, von ihr selbst erzählt und von der Autorin als fesselnder Roman niedergeschrieben.

    1

    Kabul, 1999

    Die Hinrichtungsstätte… Das Stadion… Die geschlossenen Fahrzeuge, in denen wir transportiert werden, fahren jetzt durch das Eingangstor auf die Tribüne zu, wo die Knan, die Herrscher, sitzen. Die Menge johlt, wiegt sich vor und zurück, von einer Seite zur anderen. Turbane und Burkas sind gleichermaßen vertreten. Doch wen kümmert das schon…

    Ich fühle mich wie im Zentrum eines Kreisels; der Schwindel dreht mir den Magen um, dessen Bitterkeit mir in den Mund steigt. Meine Lippen sind trocken. Entlang der ersten Reihe sehe ich kleine Steinhaufen. Einer dieser seelenlosen Brocken wird in Kürze die schmerzhafte Waffe sein, die meinen Tod herbeiführen, meinen Lebensfaden für immer zerreißen wird. Mein Herz krampft sich zusammen, als mir bewusst wird, dass ich nunmehr die letzte Phase des Alptraums durchlebe, der mein Schicksal ist.

    Die Wärter treiben uns ungefähr in der Mitte des Sportplatzes aus den Wagen, unweit der Tribüne der Offiziellen. Gewehrsalven sind zu hören; sie zerreißen die Luft und bohren sich in die ausgezehrten Körper der Männer. Die Menge gröhlt triumphierend. Vor Grauen schlagen meine Zähne aufeinander. Die Frauen neben mir beginnen zu stöhnen und wie wilde Tiere zu heulen. In irrsinniger Todesangst versuchen sie, nach rechts und links auszubrechen, doch vergebens. Grobe Stöße, Fußtritte und Schläge mit Stöcken und Gewehrkolben stellen die Ordnung wieder her.

    Zur Statue erstarrt verfolge ich die brutalen Szenen, stumm und vor Panik wie von Sinnen. In meiner Verzweiflung hebe ich die Augen zum Himmel und flehe Gott um Hilfe an.

    Als Antwort segelt ein Wurf Steine auf uns zu, begleitet von Beschimpfungen und Flüchen aus geifernden Mäulern. Der erste trifft mich in den Bauch - mein Leib krümmt sich vor Schmerz. Der zweite landet in der Seite. Ich schreie gellend, immer und immer wieder, versuche verzweifelt mit krampfhaften Bewegungen, den nächsten Steinen auszuweichen. Die Frauen neben mir sind bereits in die Knie gesunken. Sie wurden offenbar am Kopf getroffen. Die Glücklichen…

    Einige Sekunden noch dauert die Steinigung an. Das Gefühl, als ob alles, was geschieht, einer anderen Person widerfährt, breitet sich in mir aus. Schmerzen und Verzweiflung haben mir meine letzten Kräfte genommen.

    Ich weiß, dass in wenigen Minuten alles zu Ende sein wird. Schon spüre ich den brennenden Atem des Todes auf meinem Gesicht.

    Dann plötzlich, wie ein Protest Gottes, wird der Himmel durch einen furchtbaren Blitz in zwei Hälften zerfetzt. Ein ohrenbetäubendes Krachen übertönt alle anderen Geräusche und erschüttert das Stadion wie ein Erdbeben.

    Geschützdonner ist in nächster Nähe zu hören. Raketen und Granaten zerschneiden die Luft und bohren sich an verschiedenen Stellen ins Stadion, graben sich tief in die Sitzreihen und den Boden ein und wirbeln Körper, Betonplatten, Erde in die Höhe.

    In wilder Panik rennt die aufgeschreckte Menge, in Staubwolken eingehüllt, blind durcheinander, nur fort, trampelt sich gegenseitig nieder, stößt schrille Schreie aus, rast.

    Als ich mich, verwundet und schwindlig, nach links wende auf der Suche nach einem Weg, um bei diesem Aufruhr und Höllenlärm zu entkommen, trifft mich ein Stein seitlich am Kopf, neben dem Ohr. Und wie ein Vorbote des Nichtseins von Morgen, das bereits zu Gestern wurde, schwindet die Welt, schwindet mein Leben dahin…

    2

    London

    Völlig außer Atem kam ich beim Restaurant am Beauchamp Place an. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und der Ärger schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nicht verstehen, warum der sonst so zuverlässige Bill mich nicht abgeholt hatte, wie es verabredet war. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich anzurufen und mir Bescheid zu sagen, dass ihm etwas dazwischengekommen war. Jetzt war ich ganze zwanzig Minuten zu spät dran, um meine Gäste zu empfangen. Unverzeihlich! Im Stillen hoffte ich, dass wenigstens Peter, mein Liebster, vor mir angekommen war. So schnell ich konnte, ohne mit meinen hochhackigen Sandaletten lang hinzuschlagen, lief ich durch die kleine Allee, die zum Eingang des Restaurants führte. Wie ich so mit einer Hand den Saum meines Kleides haltend zur Tür hastete, war ich sicher nicht gerade die personifizierte Eleganz. Einen kurzen Moment hielt ich inne, um meinen Pulsschlag auf seine normale Geschwindigkeit zu reduzieren oder zumindest in der beklemmenden Enge meines Brustkorbs etwas Platz für das rasende Herzklopfen zu schaffen, indem ich meine Schultern straffte. Mit der einen Hand glättete ich die Falten meines Kleides und strich mit der anderen eine lästige Haarsträhne zurück, die mir über die Augen fiel. Im selben Augenblick bemerkte ich den Portier, der mir mit einer Verbeugung und einem höflichen ‘Guten Abend’ die Tür aufhielt. Eilig erwiderte ich den Gruß und betrat mit einem tiefen Atemzug das Restaurant.

    Sofort umfing mich die besondere, behagliche Atmosphäre des mit dezentem Luxus eingerichteten Lokals. Der Maitre führte mich mit seinem gewohnten höflichen Lächeln an reich gedeckten Tischen vorbei, die bereits besetzt waren. Köpfe hoben sich, und teils bewundernde, teils neugierige Blicke richteten sich auf mich. Die Frauen musterten mich von Kopf bis Fuß auf jene ganz spezifische, prüfende Weise, die bei den anderen nach Fehlern sucht, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen. Doch ich kümmerte mich nicht darum.

    Ich folgte dem Maitre, bis wir endlich an meinen Tisch gelangten. Alle waren schon versammelt und unterhielten sich angeregt. Es gab mir einen Stich, als ich sah, dass außer Bill auch Peter fehlte. Ich bat meine Freunde für die Verspätung um Entschuldigung, doch denen machte es offenbar überhaupt nichts aus. Lachend und scherzend umarmten sie mich und gratulierten mir zum Geburtstag. Die ersten Drinks hatten bereits das Blut und die Stimmung erwärmt. In ihren Augen spiegelte sich der Glanz der Kristallgläser wider, die mit hellem Klang aneinander stießen und sich mit bewundernswerter Geschwindigkeit leerten, wobei sie die gute Laune und die Unbeschwertheit verbreiteten, die Alkohol in reichen Mengen und ein vertrauter Freundeskreis garantieren.

    Mit gutmütigen Neckereien und humorvollen Anspielungen wiesen sie mir den Platz am Kopfende des Tisches zu und übergaben mir ihre Geschenke mit der Bitte, sie in Ruhe zu Hause zu öffnen, um nicht überall das Einwickelpapier zu verstreuen. Mir war es recht. Nina, meine zypriotische Freundin, drückte mir liebevoll die Hand, während Raymond mir vom andern Ende des Tisches zurief: „Bestimmt sind die Jungs im Verkehr stecken geblieben. Die Straßen waren verstopft, kurz bevor ich gekommen bin."

    Ich wollte ihm entgegnen: Und wie hast du es geschafft, rechtzeitig hier zu sein? Doch stattdessen lächelte ich ihm verständnisvoll zu.

    Eine merkwürdige Verstimmung breitete sich in meiner Magengegend aus. Ich nahm zwei Schluck Wein, um mich zu beruhigen, und warf heimliche Blicke auf die vergoldete Uhr an der Wand gegenüber. Halb neun. Wie rücksichtslos, mein Gott, wie ungezogen! Im Hintergrund läutete das Telefon. Ich starrte in die Richtung in der Hoffnung, es sei Peter, der sein baldiges Kommen ankündigte, und wartete darauf, dass mich der Kellner an den Apparat rief. Doch nichts geschah.

    Der Maitre trat auf mich zu und fragte höflich, ob das Essen serviert werden solle. Es war mir unangenehm meinen Gästen gegenüber. Ich wusste nicht, wie lange Peter und Bill sich noch verspäten würden, und beschloss deshalb, mit dem Essen zu beginnen. Mir war aufgefallen, dass auch die Kellner leicht ungeduldig wurden. Die Gerichte waren im Voraus bestellt und, wie mich der Maitre informierte, nach den Vorlieben jedes Anwesenden sorgfältig ausgewählt worden.

    Als die Kellner anfingen, die silbernen Platten aufzutragen, wurden sie von allen mit freudigen Ausrufen empfangen, besonders als meine Gäste sahen, dass jedem sein Leibgericht serviert wurde, kunstvoll garniert, dazu eine Fülle von Beilagen und zartem Gemüse. Alle machten sich mit sichtlichem Appetit über das Essen her; Peters Abwesenheit schien eher unbemerkt geblieben zu sein. Bei mir war das allerdings nicht der Fall. Lustlos nahm ich ab und zu einen kleinen Bissen, mehr aus Höflichkeit, und spülte mit kräftigen Schlucken Wein nach. Meine Unruhe verwandelte sich langsam in Erregung. Eine böse Ahnung hatte begonnen, mein Inneres mit hämmerndem, unregelmäßigem Herzrasen zum Beben zu bringen. Ich versuchte, das Zittern meiner Hände vor den anderen zu verbergen, indem ich mein Glas fest umklammerte. Jedes Mal, wenn ein Gast die Tür öffnete, schreckte ich auf meinem Platz hoch und wünschte, es wäre Peter. Doch meine Hoffnung wurde immer wieder enttäuscht. Ich fing Ninas Blick auf, die mir stumm bedeutete, ich solle mich beruhigen.

    Viertel nach neun. Schon lange hatte ich das Gefühl, dass mein Stuhl mich einengte und wie ein Schraubstock gefangen hielt. Ich konnte das Warten nicht länger ertragen. Ich musste etwas unternehmen und dabei darauf achten, meinen Freunden möglichst wenig Anlass zu Kommentaren zu geben. So gelassen wie möglich stand ich auf, als wollte ich zur Toilette gehen, und begab mich zum rückwärtigen Teil des Lokals. Die Blicke der Restaurantbesucher, die mir auf dem Weg dorthin folgten, trugen ein Weiteres zu meiner Gereiztheit bei. Als ich dicht an einer Gesellschaft junger Leute vorbeiging, hörte ich jemanden sagen: „Hat dieses Mädchen nicht etwas Exotisches? Woher sie wohl kommt?"

    Für den Bruchteil einer Sekunde überkam mich die unbändige Lust, mit ungewohnter Aggressivität zu antworten: Aus Afghanistan. Was schert es dich? Doch ich beschloss, die Bemerkung zu überhören, und setzte meinen Weg fort. Anstatt geradeaus zu gehen, wandte ich mich rasch nach links, wo, wie ich wusste, eine Telefonzelle stand, damit die Gäste in Ruhe ihre Anrufe erledigen konnten. Sie war besetzt. Ein Herr in mittleren Jahren telefonierte mit lebhaften Gesten und strich dabei immer wieder nervös mit der Hand über seinen dichten weißen Haarschopf. Mal setzte er sich auf den Hocker, dann stand er wieder auf und schüttelte abwechselnd seine Beine aus. Er machte nicht den Eindruck, als habe er mich bemerkt – und selbst wenn, ignorierte er mich demonstrativ. Seine Langatmigkeit schürte meine Wut noch mehr. Ich hätte am liebsten die Tür aufgerissen, ihn an seiner weißen Mähne gepackt und mit Fußtritten nach draußen befördert. Er jedoch fuhr ungerührt mit seinem Gespräch fort, ohne den Sturm meiner Ungeduld zu ahnen. Schließlich geruhte er, den Hörer aufzulegen und das Feld zu räumen.

    Ich ging in die Zelle, schloss die Tür sorgfältig hinter mir und wählte mit zitternden Fingern die Nummer von Peters Büro. Dreimal verwählte ich mich. Innerlich fluchend, versuchte ich es aufs Neue, diesmal mit mehr Aufmerksamkeit. Ich hörte, wie es am andern Ende der Leitung läutete, immer und immer wieder.

    „Irgendwer soll antworten, zum Teufel noch mal!", murmelte ich vor mich hin. Ich war außer mir.

    Nach fünfzehnmaligem Läuten hob endlich jemand den Hörer ab. Ich ließ mir bestätigen, dass es Peters Apparat war, und bat darum, ihn zu rufen. Der Unbekannte informierte mich, dass um diese Zeit alle schon fort seien, und fügte hinzu, dass Peter an jenem Tag gar nicht im Büro gewesen sei. Wie vom Donner gerührt, fragte ich nach Bill und erfuhr, dass auch Bill nicht im Dienst erschienen war. Schnell legte ich auf und versuchte nachzudenken. Panik begann, meinen Verstand zu blockieren und meine Denkfähigkeit zu trüben.

    Wie blöd ich bin, murmelte ich vor mich hin, natürlich hätte ich erst zu Hause anrufen müssen.

    Bill und Peter wohnten zusammen in einer Dienstwohnung in Hamstead. Mit wieder belebter Hoffnung rief ich die Nummer an und wartete. Ein-, zwei-, drei-, zehn-, zwanzigmal läutete das Telefon. Ich dachte, ich hätte vielleicht einen Fehler gemacht, und wählte noch einmal, indem ich die Zahlen einzeln vor mich hin sagte. Jedes unbeantwortete Läuten erschien mir plötzlich wie eine Welle, die zurückschwappte und über mir zusammenschlug. Die verrücktesten Bilder – von Unfällen, Krankenhäusern und anderen schmerzlichen Situationen – belagerten meinen Verstand mit zunehmender Intensität und hämmerten schonungslos auf meine Phantasie ein, bis sie zum Höhepunkt gelangten und sich in einem inneren Schrei entluden, der unsägliches Leid und unendliche Seelenqual in sich barg. Wie Schlangen glitten die Bilder unbarmherzig durch die Stille der Zelle und besudelten die Klarheit meines Verstandes. Mein Kopf leerte sich. Es gab nur noch ein Vakuum, das nicht denken, keinen Beschluss über meine nächsten Schritte fassen konnte. Ich hörte ein Murmeln über meine Lippen kommen, als wären es Worte einer anderen Person. Waren es Flüche, waren es Anklagen, war es Verzweiflung? Meine Augen brannten, und eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg durch mein sorgfältiges Make-up. Schnell wischte ich sie ab.

    Durch das leise Klopfen an der Tür kam ich wieder zu mir. Eine lächelnde, elegante alte Dame wollte telefonieren. Ich bat um Verzeihung und verließ die Telefonzelle, um zu meinem Platz zurückzukehren. Was hätte ich darum gegeben, dort hinter der pfirsichfarbenen Trennwand Peter am Tisch bei den anderen sitzen zu sehen! Doch wieder wurde meine Hoffnung enttäuscht. Keiner der beiden Männer war erschienen.

    Wie ein Automat setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl. Meine Gäste nahmen keine Notiz von meiner Seelenqual. Sie waren schon halb betrunken und nicht gewillt, ihre Heiterkeit trüben zu lassen, nur weil irgendjemand von den Geladenen nicht erschienen war. Sie hatten nicht die Absicht, Zeit von ihrer lebhaften Unterhaltung dafür aufzuwenden, die Besonderheit oder die Bedeutung der Abwesenden zu untersuchen. Es interessierte sie nicht im Mindesten.

    Zum hundertsten Mal richtete mein Blick sich auf die Tür. Dann zur Uhr. Viertel nach zehn. Inzwischen spürte ich, wie meine nervöse Erregung von einem Schock abgelöst wurde. Jedes Mal, wenn ich einem meiner Freunde antworten musste, unternahm ich enorme Anstrengungen, um meiner Stimme einen natürlichen Klang zu verleihen. Die Mühe, die es mich kostete, machte mich schwindlig. Selbst die einfachsten Worte, die an mich gerichtet wurden, prasselten wie Schüsse auf mich ein, ohne dass ich die Kraft hatte, sie abzuwenden, indem ich den Gesprächspartner ignorierte. Ich war es nicht gewohnt, meine Beherrschung in einem solchem Grade zu verlieren, dass meine Zunge, mein Denken und mein Verhalten an die Grenzen des Ordinären stießen, dass ich Ausdrücke gebrauchte, die zu anderen Zeiten ein Verrat an meiner sittsamen muslimischen Erziehung gewesen wären und mich beschämt hätten. Ich hatte so etwas noch nie erlebt, und gerade deshalb schockierte es mich so. Warum war ich nicht in der Lage, das Problem ruhig und logisch anzugehen? Warum war es mir so absolut unmöglich, mich mit dem Thema auseinander zu setzen, ohne die Nerven zu verlieren?

    Doch ich bekam von keiner Seite Unterstützung. Sogar die Dinge um mich herum begannen plötzlich, die physikalischen Gesetze zu missachten. Der polierte, sündhaft teure Holzfußboden löste sich in dunkle Schatten auf. Die Wände wirkten schief und wankend. Der Tisch neigte sich und gab ein eigenartiges Knarren von sich, dabei wackelte er aufgrund von unsichtbaren Erschütterungen. Die Wanduhr schnitt mir Grimassen. Sogar die kostbaren Kristalle der Kronleuchter signalisierten mir mit höhnischen, gehässigen Blitzen meine Verlassenheit. Jetzt ist es soweit, dachte ich, ich bin verrückt geworden. Ich schüttelte den Kopf, um wieder zu mir zu kommen. Vielleicht lag es am vielen Wein, den ich so unbedacht heruntergestürzt hatte. Unaufgefordert tauchte in meinen Gedanken unablässig die schwarze Katze auf, die ich am Morgen gesehen hatte, und ich fühlte bereits, wie mich das Unheil fest am Nacken packte.

    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie einige meiner Gäste ein unterdrücktes Gähnen diskret hinter der Hand zu verbergen suchten. Sie waren voll der guten Speisen und Getränke und sehnten sich nun gewiss nach ihrem warmen, weichen Bett. Halb eins. Es war spät geworden. Das Lokal war fast leer. Die Kellner ließen Anzeichen von Müdigkeit erkennen. Auch sie warteten sicher ungeduldig darauf, nach Hause zu ihren Familien zu kommen. Es war Zeit, die Rechnung zu verlangen. Doch eine neue, schonungslose Erkenntnis ließ mein Blut gefrieren. Ich hatte nicht genügend Geld dabei, um den zweifellos horrenden Betrag für das Abendessen zu bezahlen. In meiner Panik wandte ich mich an Nina, die sich den ganzen Abend mit bewundernswertem Geschick um unsere Freunde gekümmert hatte, während ich meinen Schockzustand hinter einem idiotischen Lächeln zu verbergen suchte. Beschämt flüsterte ich ihr meine neue Sorge ins Ohr.

    „Kein Problem, beruhigte sie mich lächelnd. „Wozu habe ich meine goldene Kreditkarte?

    Erleichtert rief ich den Maitre und bat um die Rechnung. Verlegen sah er mich an.

    „Die Rechnung ist bereits beglichen, Madam, erwiderte er. „Ich hoffe, Sie haben das Abendessen genossen. Ich danke Ihnen.

    Darauf entfernte er sich mit einer leichten Verbeugung, um einige Gäste hinauszubegleiten. Ich blieb mit einem seltsamen Geschmack der Gewissheit zurück, dass an der ganzen Angelegenheit irgendetwas faul, oder vielmehr hinterhältig ausgeklügelt, war.

    Ein Blitz der Erkenntnis zuckte durch die Welt meines Verstandes und verlieh dem schmerzhaften, vagen Unbehagen des ganzen Abends Formen; nun konnte ich es benennen: Verdacht. Bisher unbegründet und unbewiesen, doch die Grundlage für meinen persönlichen Alptraum während all dieser Stunden. Die schwache Hoffnung, die ich hegte, dass ich vielleicht etwas übersehen hatte, konnte das Reptil, das meine Eingeweide fraß, nicht verjagen. Ein leises Zögern, das den Gedankenstrudel, die Erkenntnis von Zusammenhängen, die ich tief hinten in mein Gehirn verdrängt hatte, aufzuhalten drohte, wurde beiseite geschoben. Das, was ich befürchtet hatte, kam nun unbarmherzig zum Vorschein, um die letzten Reste meiner Sicherheit und meines Selbstbewusstseins zu erschüttern. Es war die Erinnerung an die Szene, die sich am Morgen desselben Tages abgespielt hatte. Eins nach dem anderen zeigten die verfluchten Bilder ihr wahres Gesicht, völlig verschieden von der Dimension, die ich ihnen am Morgen zugeschrieben hatte, und nahmen endlich ihre richtigen Farben an. Die Farben des Betrugs, der Verantwortungslosigkeit, des Verrats. Die ganze Zeit lang war ich wie eine Blinde gewesen, die versuchte, mit ihrem weißen Stock die Hindernisse auf dem Weg zu ertasten. Dabei lagen sie doch auf der Hand. Ich durchforschte meinen verwirrten Verstand, fand den Anfang des Handlungsfadens vom Morgen und drehte die Uhr um sechzehn Stunden zurück. Wie ein Schatten beobachtete ich, ohne dass mir ein Wort entging, die Hauptdarstellerin der Szene, die niemand anders war als ich selbst, die Afghanin Maraima. Meine vorsichtig formulierten Worte und Sätze und Peters Reaktion darauf verbanden sich endlich zu einem Ganzen, ließen mich die tatsächliche Bedeutung der Situation, oder eher des demütigenden, blamablen Komplotts zu meinen Lasten erkennen, der sich nun unter dem Druck der unvermeidlichen Offenbarung der Wahrheit entblößte.

    Fühlte ich mich bereit zur Aufdeckung dieses Abgrunds, der für mich jede Minute mehr zur realen Wirklichkeit wurde? Würden meine zitternden Beine die Last des Grabsteins meiner Träume tragen können, den Schmerz und die Scham darüber, dass man mich heute im Stich gelassen und meiner Liebe den Boden unter den Füßen weggezogen hatte? Mein Verstand hatte bereits begonnen, die Kehrseite der Dinge zu reflektieren. Die umgekehrte, neblige, schmerzhafte Seite. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mein Gesicht nicht abwenden von dem Gefühlssturm, der drohte, mich nicht nur ordentlich durchzurütteln, sondern mich völlig zu vernichten.

    3

    Meine Regel ist seit drei Wochen überfällig. Trotz meiner Bemühungen konnte ich das Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.

    Seit Tagen drehte und wendete ich nun schon die Worte und Formulierungen in meinem Kopf herum und versuchte, die beste Art zu finden sie auszudrücken. Tief in meinem Innern nagte etwas wie Unsicherheit, Verlegenheit, vielleicht auch Beunruhigung. Es war nichts Konkretes, und ganz gewiss stützte es sich nicht auf irgendein Anzeichen in Peters Verhalten. Ich spürte einfach, dass mir etwas entging, hatte nicht das Gefühl, die Situation im Griff zu haben. Die Verzagtheit, mit der ich die Worte aussprach, bestätigte meine tief sitzende, unbestimmte Angst. Meine Augen hefteten sich forschend auf Peters Gesicht, wollten jede Reaktion, jede Änderung seines Ausdrucks, jede Verwunderung, jedes Unbehagen oder vielleicht sogar seinen Zorn registrieren. Bis auf eine unmerkliche Überraschung blieb er jedoch ruhig und erwiderte meinen Blick mit demselben Ernst, der auch in seiner Stimme lag, als er mir antwortete.

    „Mach dir keine Sorgen, mein Mädchen. Ich glaube nicht, dass du schwanger bist. Aber selbst wenn, bringen wir das schon in Ordnung. Vereinbare einen Termin mit deinem Gynäkologen für Montag, wenn ich auch frei habe, damit wir zusammen hingehen können."

    Dann kam er durch das Zimmer zu mir. Ich saß zurückgelehnt auf dem ungemachten Bett. Er streckte die Hand aus, strich mir über das Haar und küsste mich sanft auf die Lippen. Dann schenkte er uns beiden den Kaffee ein, den er gerade aus der Küche gebracht hatte, nahm einige Schlucke und fuhr fort, sich vor dem Spiegel der Frisierkommode anzuziehen. Der Spiegel reflektierte sein Bild, so vertraut, so geliebt – das Bild des hoch gewachsenen, kräftig gebauten Mannes, der sich bücken musste, um sich dem für seine Größe zu niedrigen Spiegel anzupassen. Als er den Arm ausstreckte, um in sein Hemd zu schlüpfen, spannten sich die Muskeln über dem flachen Magen und dem breiten Brustkorb. Selbst diese gewöhnlichen, fast routinemäßigen alltäglichen Bewegungen hatten die Anmut eines Panthers, eine Geschmeidigkeit, die mich faszinierte und erregte, als sähe ich sie zum ersten Mal. Meine Augen trafen die seinen. Sie sandten mir ihr lächelndes Blau, das durch die Schatten auf seinem schmalen Gesicht und das hellblaue Hemd noch intensiver wurde. Mit einer geschickten Bewegung bändigte er eine eigenwillige Strähne, die der Welle seiner glänzenden schwarzen Haare entkommen wollte. Als er seine Krawatte gebunden hatte, kam er wieder zu mir und setzte sich neben mich.

    Ich habe für heute Abend um halb acht einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant am Beauchamp Place bestellt. Es ist dein Geburtstag, und ich dachte, wir sollten ihn mit unseren Freunden feiern. Ich fahre direkt vom Büro dorthin, weil ich eine wichtige Konferenz habe und es spät werden kann. Ich habe Bill gebeten, dich um sieben hier abzuholen, denn ich werde es nicht schaffen. Sag mir, dass es dir nichts ausmacht, Baby.

    Mein Herz machte einen Freudensprung. Alle vorwurfsvollen Gedanken, dass er nicht an meinen Geburtstag gedacht hatte, und alle aus meiner weiblichen Unsicherheit geborenen Zweifel an meiner Bedeutung für ihn entfernten sich beschämt aus meinem Kopf. Nicht nur hatte er an meinen Geburtstag gedacht, sondern auch noch arrangiert, dass wir diesen besonderen Tag alle zusammen feiern würden. Das Glück verbreitete ein warmes Gefühl in meiner Seele und beschwichtigte die Fragezeichen meines Verstandes. Doch das Wichtigste, das Lebenswichtige für mich war die Art und Weise, wie er auf die Möglichkeit meiner Schwangerschaft reagiert hatte, seine Ruhe und die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Aussicht als unser gemeinsames Problem akzeptierte. Er gab mir eindeutig zu verstehen, dass, wenn sich jemand damit auseinander setzen musste, dies für uns beide galt. Seine Sicherheit rann wie Balsam durch meine Adern und wirkte wie ein Beruhigungsmittel für meine Sorgen, die ich schon so viele Tage mit mir herumtrug. Er schickte mir einen Kuss durch die Luft, nahm sein Jackett und sagte beim Gehen: „Zieh doch bitte das grüne Kleid an, das dir so gut steht. Ich will, dass mein Baby heute Abend schön ist wie eine Göttin."

    Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, breitete sich Stille im Zimmer aus. Ich mochte nicht länger im Bett bleiben und machte mich mit kindlichem Eifer daran, das Zimmer aufzuräumen, wobei ich mir seine liebevollen Koseworte, seine Zärtlichkeiten und seine Küsse noch einmal genüsslich auf der Zunge zergehen ließ und meine Nase wollüstig den Duft seines Aftershaves einsaugte, der noch in der Luft lag.

    Mein überschäumender Tatendrang entlud sich in der Geschicklichkeit, mit der ich das große Bett machte, wobei ich ein weiteres Mal über die herrliche, mattgelbe Bettdecke strich, die aus derselben schweren Seide war wie die Vorhänge, die die beiden Fenster zum Park hinaus umrahmten. Durch den farblichen Kontrast passte sie perfekt zu dem dunklen, kunstvoll verzierten Kopfteil des Bettes und den glänzenden, blank polierten Oberflächen der klassischen Möbel, die Sardi, meine Mutter, und Winda, meine Großmutter, so sorgfältig ausgewählt hatten. Ich liebte diese Wohnung am Holland Park und schätzte mich glücklich, dass meine Mutter sie mir für die Zeit meines Medizinstudiums zur Verfügung stellte. Immerhin entgingen ihr während dieser Zeit beträchtliche Mieteinnahmen.

    Was mir allerdings Eindruck machte, war, dass mein Vater nichts von der Existenz der Wohnung wusste. Die beiden Frauen ließen mich hoch und heilig versprechen, dass ich ihm niemals verraten würde, dass die Wohnung Eigentum meiner Mutter war. Ich wunderte mich zwar sehr darüber, aber die Jugend hat die Fähigkeit, über Situationen hinwegzusehen und sich keine Gedanken über Themen zu machen, die die persönlichen Belange der Erwachsenen betreffen. Außerdem war sie ein Geschenk meiner Großmutter an ihre heiß geliebte Tochter, meine Mutter; und wie sie selbst mir sagte, würde sie ihr ein Dach über dem Kopf, Unabhängigkeit und Sicherheit bieten, falls etwas in ihrem Leben schief ginge und sie Kabul aus irgendeinem Grund verlassen müsste. Das Wie und das Warum gingen nur sie etwas an. Mir genügte es, dass ich dieses wunderbare Zuhause mit seinen vier Schlafzimmern genießen durfte, das riesige Wohnzimmer

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