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Beauty of Death
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eBook939 Seiten14 Stunden

Beauty of Death

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Über dieses E-Book

Dunkle Kreaturen, von denen Sterbliche nichts ahnen, treiben in den Schatten ihr Unwesen. Sie trachten danach diese Welt zugrunde zurichten, wie sie ihre eigene zugrunde richteten, vor langer Zeit. Nur einige auserwählte Menschen vermögen es, hinter den Schleier zu schauen und die Menschheit vor diesen bösen Wesen zu beschützen - doch der Preis dafür ist hoch.

Kaitlin Blackfield sieht sich nach ihrer Erweckung mit der Tatsache konfrontiert, dass die Realität nicht so ist, wie sie ihr bisher erschien. Sie gerät in eine Welt, die an Normalsterblichen unbeachtet vorüberzieht. Sie trifft auf Geschöpfe, von denen sie zuvor nur in Geschichten gelesen hatte. Dabei wird ihr klar, dass sie eine der Wenigen ist, die dazu in der Lage sind, die Zerstörung der Welt aufzuhalten.

Und inmitten des ganzen Chaos zieht ein Sturm auf...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Sept. 2020
ISBN9783752613094
Beauty of Death

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    Buchvorschau

    Beauty of Death - Franziska Hoffmann

    Wer das Leben nicht schätzt, verdient es nicht.

    Leonardo Da Vinci

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Teil I: Krieger und die Schönheit des Todes

    Erwachen

    Boston

    Die Dunklen

    Cami

    Vergangenheit

    Probe

    Jagen

    Momente

    Damian

    Kampf

    Thea

    Malachai

    Risse

    Gast

    Teil II: Hexen und die Unsterblichkeit

    Tiefe Wunden

    Lincoln

    Freunde und Feinde

    Ende

    Blutmond

    Sturmnacht

    Schattenblut

    Zukunft

    Veritas

    Nachtschatten

    Gemeinsam

    Epilog

    Anhang

    Hexenwesen

    Haus Shadowblood

    Haus Stormnight

    Haus Fearwood

    Haus Firebird

    Haus Darkwater

    Haus Ravenmind

    Die Krieger

    Die Dunklen

    Elben

    Vampire und Werwölfe

    Schatten und Gestaltwandler

    Zauberworte

    Kriegererweckungs- und Verewigungs-Ritual

    Initiation und Vollendung

    Blutmondritual

    Vereinigungsritual

    Die Akademie

    PROLOG

    Die Straße lag dunkel und endlos vor uns. Nur wenige hohe Laternen im Abstand von mehreren hundert Metern warfen große weiß-gelbe Lichtkreise auf den Asphalt und das daneben liegende Feld. Autos waren weit und breit nicht zu sehen, was aber nicht weiter verwunderlich war, da diese Straße selbst am Tag nicht gerade vielbefahren war. Inzwischen war es sicher weit nach vier Uhr am Morgen und die Sonne würde wahrscheinlich bald am Horizont zu sehen sein und uns in ihr romantisches rötlich-oranges Licht tauchen. Doch ganz so weit schien es noch nicht zu sein. Der Seitenstreifen der Landstraße war ausgetreten und abfällig, sodass man im Dunkeln leicht den kleinen Abhang hinunter stolpern konnte. Besonders wenn man betrunken war, so wie wir. Ein lautes, ausgelassenes Lachen ertönte hinter mir und wurde direkt von einem zweiten noch etwas lauterem Kichern übertönt. Die Töne stammten von meinen Freundinnen Candice und Bradley, die hinter uns liefen und sich gerade über die Beutezüge des heutigen Abends unterhielten. Obwohl von einer Unterhaltung kaum die Rede sein konnte, da keine der beiden noch sonderlich schnell Sätze zu beenden vermochte. Ihre Zungen schienen sich um jedes noch so kleine Wort zu klammern und sich in sich selbst zu verhaken, wodurch die Laute nur schwerfällig und kaum verständlich aus den Mündern purzelten. Während ich möglichst konzentriert darauf bedacht war, einen Fuß vor den anderen zu setzten, spürte ich einen Blick von der Seite. Als ich meinen Kopf umwandte, blickte ich direkt in die bernsteinfarbenen Augen von Keith. Er lächelte schief und nahm meine Hand. Es wirkte etwas unbeholfen, weil auch er nicht mehr unbedingt nüchtern war, doch schlussendlich kreuzte er seine Finger mit den meinen und die Wärme, die er ausstrahlte, ging sofort in mich über. Für einen kleinen Moment hatte ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes als die Beschaffenheit des Untergrundes unter meinen Füßen gerichtet und so rutschte ich mit dem linken Fuß ab. Ein paar Steine lösten sich aus dem Abhang und rollten, gleich einer Minilawine, auf das Feld hinab. Bevor ich jedoch hätte stürzen können, fasste Keith meine Hand noch etwas fester und zog mich näher zu sich. Dadurch bekam ich wieder die minimale Stabilität, die ich seit dem Verlassen des Clubs aufrecht erhalten hatte. Sofort ertönte das Gelächter hinter uns auf ein Neues. Candice und Bradley lallten sich etwas zu, was wohl auf meinen allgemein betrunkenen Zustand, der mich schon ein paar Stunden zuvor in eine peinliche Lage gebracht hatte, anspielen sollte. Weder Keith noch ich beachteten die beiden sonderlich, während wir weiterliefen, als wäre nichts gewesen. Doch so einfach ließen mich die beiden natürlich nicht davon kommen. Sie legten uns von hinten ihre Arme um die Schultern und drängelten ihre Köpfe in den Spalt zwischen Keith und mir, um sich hineinzuzwängen.

    »Hey Kat! Kat bist du sicher, dass das da Keith ist und nicht der Türsteher des Clubs?«, prustete eine mir ins Ohr, während die andere abermals schallend anfing zu lachen. Wieder spielten sie auf den Zwischenfall an, bei dem ich vollkommen betrunken einen anderen Kerl mit meinem Freund verwechselt und sehr eng mit ihm getanzt hatte. Keith hatte zwar gemeint, es mache ihm nichts aus und er hatte es nach einem Moment sogar ebenfalls zum Totlachen gefunden, doch bei den wiederholten Stichen, die mir meine besten Freundinnen versetzten, schien selbst ihm der Kragen fast zu platzen. War es Eifersucht, die ich in seinen Augen aufblitzen sah, oder doch nur Wut auf die beiden Mädchen, weil sie so aufdringlich und nervig waren?

    »Vielleicht ist sie ja noch so betrunken und high, dass sie den falschen Kerl mit nach Hause nimmt!«, fügte Candice atemlos hinzu und wischte sich die Tränen vom Lachen aus den Augen. Nun reichte es auch mir langsam. Normalerweise hätte ich sicher bei ihren Späßen mitgemacht, vor allem bei dem hohen Alkoholpegel, der mich wanken ließ. Aber da ihre Witze sowohl mich als auch Keith verletzten, musste Schluss damit sein. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie anzubrüllen und ein paar unschöne Dinge über sie in ihre Gesichter zu schleudern, doch ehe ich mich versah rutschte mir der Vorschlag heraus, ihnen zu zeigen wie nüchtern ich noch war, indem ich Räder auf der Asphaltstraße schlug. Sie sprangen natürlich sofort darauf an, klatschten in die Hände und blieben stehen, um sich wie ein Publikum in Reihe an den Straßenrand zu stellen. Ich hatte also keine andere Wahl, als meinen Vorschlag in die Tat umzusetzen, sodass ich einen Augenblick später mitten auf der Straße stand und hochmütig zu ihnen hinüber blickte. Dann streckte ich die Arme nach vorne aus und ließ mich in die gleiche Richtung kippen, in der Hoffnung, dass ich mich nicht würde übergeben müssen. Doch kaum kamen meine Hände auf dem Boden auf, fühlte ich mich wieder stocknüchtern. Die Straße war gar nicht so dunkel, wie es mir noch wenige Minuten zuvor vorgekommen war. Der Mond spendete helles Licht, das sich auf dem nebelfeuchten Asphalt leicht spiegelte. Und meine Ohren, die eben noch von der lauten Musik im Club halb taub gewesen waren, vernahmen nun den Wind, der mir um die Ohren pfiff und die Blätter der Bäume am Straßenrand zum Rascheln brachte. Und noch etwas war auf einmal zu hören. Es klang im ersten Moment wie ein Wirbelsturm, der auf uns zu fegte, im nächsten Augenblick mischte sich der dröhnende Motor eines Fahrzeugs mit hinein. Und dann die Schreie meiner Freunde am Feldrand. Ich wollte aufhören und zur Seite springen, doch irgendetwas hinderte mich daran und zwang mich ein Rad nach dem anderen zu schlagen. Auf dem Kopf stehend erblickte ich die immer näher kommenden Lichter. Und dann wusste ich plötzlich, dass es gleich vorbei sein würde, für mich. Denn vor meinem inneren Auge sah ich noch einmal, wie ich mit Bradley, Candice und Keith im Club tanzte und trank. Erinnerungen an meine Familie-meine Eltern, meinen großen Bruder und meine kleine Schwester-flogen an mir vorüber und machten Platz für den Abend meines 17. Geburtstages, an dem ich mit meinen Freunden eine große Party veranstaltet hatte. Ich erinnerte mich, als wäre es nur vor wenigen Stunden passiert, an den Alkohol und die Drogen, die uns so fertig gemacht hatten, dass wir auf dem Heimweg im Auto eines betrunkenen Freundes mitgefahren waren, der versehentlich einen alten Mann angefahren hatte. Im Nachhinein wusste ich, dass wir unglaublich verantwortungslos gewesen waren. Keiner von uns hätte sich an das Steuer eines Autos setzten dürfen, in dieser Nacht. Doch die Bilder in meinem Kopf hörten noch nicht auf, mich zu quälen. Sie zeigten mir die vergangenen Jahre voller Trinkgelage und Partydrogen. Die ewigen Streits, die ich mit meinen Eltern geführt hatte und wie unfair ich zu meinen Geschwistern gewesen war. Doch nichts davon konnte ich nun noch ändern. Denn mein Ende stand fest, ob ich es wollte oder nicht. Unaufhörlich setzte ich meinen Weg auf der Asphaltstraße Rad schlagend fort. Die Lichter des Fahrzeugs hinter mir kamen stetig näher und die Schreie meiner Freunde wurden immer leiser, während ich in uralten Erinnerungen meiner Kindheit schwelgte, von denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich sie besaß. Sie zeigten mir, dass ich einmal glücklich gewesen war. Mein Zuhause, meine Familie-all das hatte ich einst sehr zu schätzen gewusst und ich fragte mich, wann sich das geändert hatte. Wann war ich zu diesem Mädchen geworden, das so oft wie möglich von Zuhause wegläuft, um sich zu betrinken und wann immer es geht mit der Familie Streit beginnt? Wann war ich der süßen Kaitlin Blackfield entwachsen und zu dieser düsteren Form meiner selbst geworden? All das konnte ich jetzt allerdings nicht mehr ergründen, da der Truck-denn genau das musste das Fahrzeug sein – mir nun ganz nahe war und mich jeden Moment treffen würde. Mit einem letzten Blick auf meine Freunde spürte ich die Motorhaube, die mich rücklings auf den Asphalt stieß und die Räder, die mich überrollten. Es war nur ein Sekundenbruchteil, in dem mein Körper von der gewaltigen Kraft des Fahrzeuges zerstört wurde. Knochen brachen, die Luft entwich aus meinen Lungen und dann wurde mir schwarz vor Augen.

    TEIL I

    Krieger und die Schönheit des Todes

    ERWACHEN

    Kaitlin! Komm wach auf! Es wird langsam Zeit!«, drang eine Stimme an mein Ohr, was mich zum ersten Mal stutzen ließ. Wie konnte ich etwas hören, wenn ich doch eigentlich tot sein sollte? Außerdem war mir die Stimme gänzlich unbekannt, aber vielleicht war das hier ja auch der Himmel oder die Hölle. Gott oder Satan, der mich da rief. Ich konnte es nicht sagen, ich war nicht religiös.

    »Komm schon, wach endlich auf! ...Meine Güte, so lange, wie du, war vor dir noch niemand tot! Allerdings könnte ich auch in ein paar Stunden wiederkommen, wenn sie die Obduktion schon begonnen haben, kein Problem!« Jetzt war ich mir sicher, dass es nicht Gott war. Die Stimme klang äußerst genervt und ein dumpfes Pochen, wie von Fingerspitzen, die ungeduldig auf etwas Klopfen, war zu vernehmen. Nach einem Moment setzte er seinen Monolog fort. »Es könnte für dich ziemlich unangenehm werden, also vielleicht bequemst du dich einfach dazu, die Augen aufzumachen. Ich weiß übrigens, dass du mich schon hören kannst!« Nun kam ich langsam zu mir, um im nächsten Moment schlagartig jedes Wort zu verstehen. Meine Augen waren unwillkürlich weit aufgerissen und starrten umher. Allerdings blendete mich das helle Licht dermaßen, dass ich mir einen Moment später eine Hand vor die Augen hielt, während ich mich langsam aufrichtete. Erst nach einigen Sekunden hatten meine Pupillen sich wieder verkleinert und ich erkannte in dem kalten Neonlicht eine Gestalt, die direkt neben mir stand und der die Stimme gehören musste. Es war ein attraktiver, junger Mann mit schwarzen Haaren, seine Augenfarbe konnte ich nicht erkennen. Er grinste mich an und wartete wohl darauf, dass ich etwas sagen würde.

    »Ist das der Himmel? Bist du ein Engel?«, war das Einzige, was mir in diesem Augenblick einfiel. Der Fremde lachte, schüttelte dabei den Kopf und sah sich um.

    »Oh nein, das hier ist ganz sicher nicht der Himmel. Wenn er es wäre, wäre irgendetwas mächtig schiefgegangen und ich bin ungefähr so weit von einem Engel entfernt, wie man es sich nur vorstellen kann!«

    Daraufhin war ich noch verwirrter und versuchte meine Umgebung einzuordnen, doch es wollte mir beim besten Willen nicht gelingen.

    »Wo bin ich denn?«, fragte ich stattdessen den Unbekannten mit dem breiten weiße-Zähne-Lächeln.

    »In der Leichenhalle!«, antwortete er nüchtern, woraufhin mir ein Schauer des Entsetzens über den Rücken lief und ich mich noch einmal genauer umschaute. Danach bestand kein Zweifel mehr, dass der Fremde die Wahrheit gesagt hatte. Um uns herum gab es ausschließlich silbern metallene, quadratische Türen, hinter denen sich wohl in die Wand eingelassene Schubkästen befanden, wie mir nun klar wurde. Ich selbst lag auf einer Metallplatte, halb in einer schwarzen Plastikhülle und war aus einem dieser nischenähnlichen Kästen gezogen worden, wahrscheinlich von diesem fremden Jungen.

    »Aber ich…ich wurde doch…!«, stotterte ich und er half mir bei der Beenden des Satzes.

    »…von einem Truck überfahren? Oh ja, der hat dich volle Kanne erwischt. Todeszeitpunkt 4 Uhr 44. Unser eins hat immer diese Schnapszahlen. Ich bin 23 Uhr 23 gestorben. Mich hat zwar niemand für tot erklärt, aber Zissy hat…!« Er unterbrach sich und winkte ab, »Ich schweife ab, das ist im Moment nebensächlich. Wir müssen erst einmal schauen, dass wir hier rauskommen. Dein Tod war etwas unglücklich. Da deine Freunde dabei waren, haben sie einen Notarzt geholt und ich konnte dich nicht sofort wieder aufwecken, deswegen sind wir jetzt in der Leichenhalle und sollten uns beeilen!« Er hielt mir eine Hand entgegen, doch ich ergriff sie nicht. Seine Worte klangen so absurd, dass ich unwillkürlich auflachte, woraufhin er mir eine Hand auf den Mund presste, damit ich still war.

    »Wieso lachst du, was ist so lustig?«, murmelte er verwirrt und betrachtete mich mit hoch gezogenen Augenbrauen. Als er seine Hand wieder von meinem Mund nahm, schüttelte ich den Kopf und antwortete.

    »Du meintest mein Tod wäre unglücklich…als wäre das nicht jeder. Und dass meine Freunde den Krankenwagen geholt haben, war ein Glück, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich tot! Alles was du sagst ergibt überhaupt keinen Sinn.« Der Fremde seufzte und griff mich am Oberarm, woraufhin ich zurückzuckte, doch er verdrehte die Augen und zog mich aus der Plastikhülle, so dass ich die Beine von der Metallbahre schwingen konnte.

    »Das bist du ja auch, aber dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Ich beantworte dir liebend gerne all deine Fragen…später.« Mit wackeligen Beinen stand ich vorsichtig auf, doch ich wäre fast wieder hingefallen. Der Fremde fing mich auf und hielt mich fest, bis er sich sicher war, dass ich nicht wieder umkippen würde. Dann zog er aus einer Papiertüte Kleidungsstücke, die er mir nacheinander gab.

    »Ich wusste im Voraus nicht, wie viel Schaden der Truck anrichten würde, also habe ich dir lieber etwas mitgebracht. Es fällt auf, wenn du mit zerfetzten Sachen rumläufst. In einer großen Stadt wäre das nicht so schlimm, aber die Einwohnerzahl von Pittsburgh ist nicht besonders hoch. Also müssen wir aufpassen nicht zu sehr aufzufallen!« Er reichte mir eine schwarze Jeans, ein Top und eine Jacke, doch ich machte keine Anstalten mir auch nur die Schuhe auszuziehen, stattdessen schaute ich an mir herab. Mein dünner Faltenrock hing eher in Fetzten als in Falten von mir, ich war barfuß und von meinem silbern glitzernden Top fehlte ein Träger, so dass es halb herabhing und den Großteil meines Oberkörpers freigab, also zog ich es mir schnell über den Kopf. Als der fremde Mann das sah, drehte er sich um und räusperte sich, wahrscheinlich um ein Lachen zu verbergen. Während ich auch meinen Faltenrock abstreifte, fragte ich die Dinge, die mir schon seit einigen Minuten auf der Zunge brannten.

    »Ich verstehe das nicht. Du meintest ich bin bei dem Unfall gestorben und ein Arzt hat meinen Tod festgestellt? Wieso stehe ich dann jetzt hier?« Der Fremde schien nicht genervt, sondern vollkommen ruhig und wiederholte seine Aussage.

    »Wir haben jetzt nicht genug Zeit alles zu besprechen, tut mir leid Kaitlin, aber später haben wir dann die Gelegenheit. Es sind zwar nicht wirklich Ärzte unterwegs, um dich zu obduzieren-das habe ich nur gesagt, um dich aufzuwecken- aber wir sollten trotzdem so schnell wie möglich hier raus. Du warst mehr als zwei Stunden tot, das ist ungewöhnlich, aber ich vermute das liegt daran, dass der Truck dir so ziemlich jeden Knochen im Körper gebrochen hat. Bist du endlich fertig?« Er wandte sich wieder zu mir um und betrachtete mich. Das Grinsen auf seinem Gesicht zeigte mir, dass ihm gefiel, was er sah, doch er räusperte sich erneut und reichte mir noch ein paar Boots, die ich hastig anzog. »Wir werden ein Stück Motorrad fahren müssen, da wir so weit vom Bahnhof weg sind. Ein Taxi können wir nicht rufen, denn was uns noch fehlt ist ein hysterischer Taxifahrer, der im Fernsehen von deinem Verschwinden erfährt und sich an dich erinnert. Das würde auch seinem Image nicht sonderlich guttun.« Während er sprach holte der Unbekannte eine durchsichtige Plastiktüte mit einem Blatt Papier darin aus einer Innentasche seiner Jacke. Dann streifte er sich Gummihandschuhe über und holte den Zettel aus seiner Tüte. Mit einem dünnen schwarzen Stift schrieb er ein paar Zeilen darauf und legte das Blatt in die schwarze Plastikhülle auf meiner Bahre.

    »Ich dachte wir ständen unter Zeitdruck!«, merkte ich an, doch er winkte ab und steckte den Stift und das nun leere Plastiktütchen in seine Jackentasche zurück.

    »Für Höflichkeiten bleibt bei mir immer Zeit, genauso wie für Späßchen. In diesem Fall beides!« Ich erhaschte noch einen kurzen Blick auf den Zettel und musste schmunzeln.

    Entschuldigen Sie bitte die zusätzlichen Unannehmlichkeiten und Umstände, die wir Ihnen bereiten.

    Dann zog der Junge, dessen Name ich immer noch nicht kannte, den Reißverschluss der Hülle, in der ich noch Minuten zuvor gelegen hatte, zu, lauschte in die Stille der Leichenhalle hinein und zuckte mit den Schultern.

    »Nichts zu hören im Flur. Dann los!« Er schob die metallene Schublade zu und stopfte meine alten Klamotten und die Einweghandschuhe in die Papiertüte, aus der er meine neuen Kleidungsstücke geholt hatte. Dann begab er sich zum Ausgang, ohne nachzuschauen ob ich ihm folgte. Als er schon an der Tür war, drehte er sich doch noch einmal um.

    »Kommst du? Oder willst du etwa hierbleiben?«

    »Wo bringst du mich hin?« Er seufzte.

    »Dazu haben wir jetzt nun wirklich keine Zeit. Du wirst mir vertrauen müssen Kaitlin. Bitte, komm jetzt!« Nach kurzem Abwägen der Möglichkeiten, entschied ich mich dazu dem Fremden hastig zu folgen. Draußen war es noch dunkel, als wir durch die Hintertür auf einen dreckigen kleinen Hof traten.

    »Woher kennst du eigentlich meinen Namen?«, fragte ich, während ich zuschaute, wie er die Papiertüte in einen leeren Müllcontainer schmiss.

    »Ach das ist schwierig, das erkläre ich dir auch lieber später. Aber ich hoffe du hängst nicht an deinen Pailletten und trauerst ihnen zu sehr hinterher?« Ich schüttelte verwirrt den Kopf, bevor er eine Glasflasche aus seiner Jacke holte und ein wenig der enthaltenen Flüssigkeit in den Container kippte. »Gut, die sind jetzt nämlich nicht mehr zu retten!«, erklärte er knapp, als eine Stichflamme hervorbrach. Der Unbekannte knallte den Deckel des Mülleimers zu, wobei der Ärmel seiner Jacke, den er bis über die Hand gezogen hatte, Fingerabdruckspuren am Container verhinderte. Dann nahm er einen kräftigen Zug aus der Flasche und hielt sie auch mir entgegen.

    »Auch einen Schluck? Ist nur Schnaps von einer Tankstelle, aber zur Not frisst der Teufel…na ja!« Ich lehnte ab, woraufhin er mit den Schultern zuckte und dann weiterlief.

    »Sag mal, was hast du denn noch so in den Taschen deiner Jacke?«, fragte ich, während ich versuchte seinem schnellen Schritt nachzukommen. Er verstand wohl den scherzhaften Ton in meiner rhetorischen Frage nicht oder er ignorierte ihn.

    »Ein paar Messer, den Schlüssel für das Motorrad, eine Einkaufsliste, die Zissy mir letztens gegeben hat und die ich immer noch nicht abgearbeitet habe. Dann wäre da noch ein wenig Bargeld, unsere Zugtickets, zwei Mullbinden für Notfälle und drei Stofftaschentücher, falls du dich in Tränen auflöst!«, zählte er auf und ich runzelte die Stirn.

    »Messer?« Er zuckte die Achseln.

    »Falls wir angegriffen werden. Ich gehe nie ohne Waffen aus dem Haus!« Ich starrte ihn entsetzt an, weil ich mir lieber eine Antwort wie: »Zum Schälen und Schneiden von Äpfeln!« erhofft hatte.

    »Besteht denn die unmittelbare Gefahr angegriffen zu werden? Wirst du verfolgt oder so?« Er lachte laut auf und ließ den Ständer des Motorrads hochschnappen. Nun bemerkte ich, dass wir das Krankenhaus und den Hinterhof schon lange hinter uns gelassen hatten.

    »Oh Kaitlin, du würdest schreien, wenn du wüsstest wie viele Leute, oder sagen wir lieber Wesen, es gibt, die mich gerne noch toter sehen würden, als ich jetzt schon bin.« Ich schluckte schwer. Wenn er mir nicht bald alles erklärte, würde mein Kopf wohl platzen. Mein Gehirn schien jetzt schon nur noch Brei zu sein, von dem ganzen Wirrwarr, das er von sich gab.

    »Und da denkst du ich steig mit dir auf diese Höllenmaschine?« Der Mann war bereits auf das Motorrad gestiegen und hatte den Motor angelassen.

    »Ach komm schon Kaitlin, ich bin ein sehr sicherer Fahrer!«, wollte er mich beruhigen und grinste breit.

    »Dann sag mir wenigstens einmal, wie du heißt!«, verlangte ich von ihm und er lachte auf.

    »Oh Mann, ich wusste doch, dass ich etwas vergessen habe!« Er hielt mir eine Hand entgegen. »Hallo Kaitlin Blackfield, wenn ich mich vorstellen darf. Mein Name ist Hunter!«

    Der Fahrtwind wehte mir die Haare um den Kopf und teilweise ins Gesicht, während ich hinter Hunter auf dem Motorrad saß und mich an ihn klammerte. Ich hatte eine Höllenangst, doch das wollte ich nicht zugeben, also hatte ich meine Arme um seinen Oberkörper geschlungen und die Augen zusammengekniffen, um möglichst wenig von der Fahrt mitzubekommen. Es dauerte nicht sehr lange, da hielten wir an und ich öffnete vorsichtig die Augen. Lautes Stimmengewirr herrschte um mich herum und als meine Augen vollends geöffnet waren, sah ich Massen von Menschen.

    »Wo sind wir?«, fragte ich und ließ mir von Hunter von dem Motorrad helfen.

    »Am Bahnhof von Pittsburgh. Unser Zug fährt in etwa sechs Minuten, wir müssen uns also leicht beeilen!« Er klappte den Ständer vom Motorrad schnell aus, ließ den Schlüssel stecken und das Gefährt einfach am Straßenrand stehen.

    »Was wird aus dem Ding?« Hunter winkte ab und führte mich in das Bahnhofsgebäude.

    »Das ist nicht meins. Ich habe es mir nur geliehen, der Besitzer wird es heute hier abholen!«

    Als wir auf den Bahnsteig hinaustraten, wurde mir schlagartig klar, dass es hell geworden war. Bis dahin hatte ich das noch nicht registriert.

    »Wie konnte es so schnell hell werden? Als wir aus dem Krankenhaus kamen, war es doch noch stockduster!« Der Junge neben mir zuckte mit den Schultern.

    »Als ich dich geweckt habe, war es schon recht spät. Die Dunkelheit war wahrscheinlich unnatürlich. Ich vermute mal die Hexen haben das gemacht, um uns zu helfen. Damit wir ungesehen aus der Leichenhalle kommen.« Schon wieder etwas, das ich einfach nicht verstehen konnte.

    »Hexen? Was soll das denn heißen?« Er winkte ab und schloss hinter mir die Tür des Zuges.

    »Das erkläre ich dir alles sofort, wenn wir ungestört sind und uns keiner belauschen kann!« Da fiel mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, wo wir hinfuhren, auf die Anzeige über dem Zug zu schauen, hatte ich völlig vergessen.

    »Wo fahren wir eigentlich hin?«

    »Boston!«, antwortete er kurz und knapp und schob mich in ein leeres Abteil, dessen Tür und Fenster er sofort mit den Vorhängen verdunkelte. Ich ließ mich auf einen Sitz am Fenster fallen und zog den Vorhang etwas zur Seite, um rausschauen zu können.

    »Und jetzt erfahre ich endlich, warum ich von den Toten wiederauferstanden bin?«, fragte ich, wie nebenbei und schloss den Vorhang wieder. Im Abteil war es jetzt ziemlich dunkel, doch ich konnte noch erkennen, dass Hunter sich mir gegenüber auf einen Platz gesetzt hatte.

    »Na ja eher, warum du überhaupt so früh, sagen wir mal ›gestorben‹ bist…aber natürlich auch warum du jetzt nicht mehr ›tot‹ bist!« Er korrigierte mich, als sei es eine einfache Sache, die man mal noch besprechen musste und lächelte dabei sogar. »Ich fange am besten mit einer Geschichte an!« Ich verdrehte genervt die Augen und seufzte.

    »Ich will keine Geschichte hören, sondern die Wahrheit!«, verlangte ich und er lachte, wohl über meine ungeduldige Art.

    »Es ist eine wahre Geschichte, Kaitlin! In jeder Geschichte steckt auch etwas Wahrheit!« Ich lehnte mich zurück in den Sitz.

    »Nenn mich bitte Katie, dieses dauernde Kaitlin nervt!«, murrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Er zog einen Mundwinkel nach oben.

    »Willst du ab jetzt so heißen? Du brauchst einen neuen Namen. Dann heißt du also nicht mehr Kaitlin Blackfield, sondern Katie?« Ich runzelte die Stirn.

    »Warum brauche ich denn einen neuen Namen?«

    »Weil du ›tot‹ bist.«, antwortete er mit der Nüchternheit, die er schon die ganze Zeit an den Tag legte. Ich starrte ihn stattdessen verständnislos an.

    »Aber ich sitze doch hier und rede mit dir! Wie kann ich da tot sein?« Er lachte.

    »Genau das will ich dir ja mit der Geschichte erklären! Also, vor ungefähr 600 Jahren kamen Wesen auf unsere Erde, die hier nicht hingehörten. Wir nennen sie die dunklen Elben, weil sie genauso vollkommen scheinen, wie Elben. Ich vermute, Elben, beziehungsweise Elfen, wie ihr sie nennt, kennst du. Sie werden immer als perfekte, wunderschöne Wesen dargestellt und das sind sie auch. Doch auch wenn diese anderen dunklen Wesen sehr schön aussehen, sind sie boshaft, hinterlistig und sehr gefährlich! Ihre eigene Welt hatten sie langsam aber sicher zugrunde gerichtet, also fielen sie bei uns ein. Vielleicht kannst du dir vorstellen, welche schrecklichen Folgen diese Invasion nicht nur für die Erde, sondern auch für die Menschheit hatte. Wenn sie hier Fuß fassen würden, wäre unsere Welt innerhalb von wenigen Jahrhunderten genauso zerstört, wie ihre eigene! Die Hexen, die es schon seit Ewigkeiten gibt, mussten also etwas unternehmen. Du musst wissen, sie mögen die Erde eben ziemlich und stehen drauf alles im Gleichgewicht zu halten! Deswegen erschufen sie eine neue Spezies, denen es erlaubt sein würde, gegen die dunklen Wesen zu kämpfen und sie zu vernichten. Dazu wählten sie Menschen aus, die ihren rechten Weg verloren hatten, aber aus Sicht der Hexen noch eine zweite Chance verdienten. Für die Gunst, diese zweite Chance zu bekommen und den Menschen im Kampf gegen die Feinde zu helfen, forderten sie ein Opfer. Also konservierten sie die Körper der ausgewählten Menschen und setzten sie dann einer Macht aus, die sie eigentlich getötet hätte, um sie danach anschließend wiedererwachen zu lassen. Du bist also nicht wirklich gestorben, denn Hexen können niemanden von den Toten wiedererwecken. Dein Körper wurde durch einen Zauber konserviert und in eine Art Verwandlung versetzt. Sobald der Truck dich dann getötet hat, lief die Verwandlung ab und ich konnte dich nach deren Beendigung wieder aufwecken. Der Prozess des Sterbens an sich ist eigentlich eher für uns, damit wir nicht vergessen, warum wir keine Menschen mehr sind. Aber nehmen wir der Einfachheit halber einfach mal an, du wärst wirklich gestorben. Diese Auserwählten waren jedenfalls nach ihrer Erweckung viel schneller, stärker und geschickter als ihre Mitmenschen. Und so nannte man sie schon bald die Krieger der Toten. Weil sie augenscheinlich gestorben waren um übernatürlich zu werden. Es ist sehr unterschiedlich, was als Abkommen vom rechten Weg betrachtet wird und nicht jeder wird dazu erwählt eine Chance zu bekommen, sein Leben noch einmal zu beginnen und wiedergutzumachen, was er angerichtet hat. Deshalb gibt es nicht wirklich viele von uns« Ich schluckte schwer und schloss angestrengt die Augen. Alles, was er erklärt hatte, klang wie eine Geschichte, die ich vor ein paar Jahren noch gerne gelesen hätte. Nach einem Moment öffnete ich die Augen erneut und räusperte mich.

    »Du willst mir also sagen, dass irgendeine runzlige alte Frau mit Warze auf der Nase mich umgebracht hat, um mich dann wieder auferstehen zu lassen, damit ich gegen dunkle…Dings kämpfe?« Hunter lachte auf.

    »Also runzelig würde ich sie jetzt nicht gerade bezeichnen. Sie sind unsterblich und ziemlich wunderschön. Aber…ja so ähnlich!«, unterbrach er sich, als er merkte, dass weitere Verbesserungen nur zu mehr Verwirrung führen konnten und stimmte mir zu. »Die Hexen haben deine Handlungen und dich schon lange im Blick und vor etwa zwei Monaten haben sie dich dann auserwählt und mich losgeschickt. Ich beobachte dich seit etwa einer Woche. Ich wusste nicht genau wann sie den Truck schicken würden!«, erklärte er.

    »Du wusstest schon so lange, dass ich sterben würde? Warum hast du mich nicht gewarnt? So was wie: ›Hey Kaitlin, schlag lieber kein Rad auf der Straße, ein Truck könnte gleich vorbeikommen und dich platt rollen! ‹ Dann müsste ich jetzt nicht tot sein!« Er seufzte.

    »Hättest du mir auch nur ein Wort geglaubt? Außerdem hätten dich die Hexen dann halt irgendwie anders umgebracht. Es war schon seit zwei Monaten dein Schicksal, zu einer von uns zu werden!« Auf seine Worte hin verstummte ich einen Augenblick, bevor ich wieder etwas sagen konnte.

    »Aber was habe ich denn getan?«, flüsterte ich bestürzt, wobei ich ihn nicht anschaute.

    »Du hast das Leben nicht zu schätzen gewusst. Stattdessen hast du leichtsinnig dein eigenes Leben und das anderer aufs Spiel gesetzt!« Mir wurde sofort klar, was er meinte und so schaute ich wieder auf.

    »Der Alkohol und die Drogen…aber der Mann, den wir angefahren haben…er ist nicht gestorben und außerdem saß ich nicht einmal am Steuer!« Hunters Gesichtsausdruck blieb gleich. Er zeigte keine Reaktionen.

    »Wie gesagt, sie hatten dich schon länger im Blick. Der Unfall war nur der ausschlaggebende Punkt. Und du hättest am Steuer sitzen können. Ihr wart alle betrunken, aber keiner von euch hat es für nötig befunden, zu sagen, dass man betrunken lieber nicht Auto fahren sollte. Du auch nicht! Dadurch wurde ein Unschuldiger verletzt, dabei ist es völlig egal, ob er überlebt hat oder gestorben ist. Er hätte gar nicht erst verletzt werden dürfen, verstehst du?« Ich nickte wie betäubt.

    »Aber wieso brauche ich jetzt einen neuen Namen? Und warum fahren wir nach Boston? Wie kann ich dir die ganze Geschichte überhaupt glauben? Mit diesen Kriegern…das kannst du dir auch alles nur ausgedacht haben!« Wieder schien er weder überrascht noch genervt.

    »Wir fahren nach Boston, weil ich von dort hergekommen bin. In Boston wohne ich mit noch einer Kriegerin namens Narzissa zusammen. Sie hat mich erweckt, so wie ich dich aufgeweckt habe. Den neuen Namen brauchst du, weil niemand wissen darf, dass du nicht so tot bist, wie du nach diesem Truck Unfall eigentlich sein solltest. Wirklich niemand! Deswegen fahren wir auch in einen ganz anderen Bundesstaat, damit niemand dich sieht, der dich kennen könnte!« Ich schluckte schwer.

    »Heißt das, ich sehe meine Familie nie wieder? Aber…das geht nicht!« Er setzte ein bedauerndes Lächeln auf, was mich fast in den Wahnsinn trieb. »Okay…ich glaube dir das alles nicht! Du erzählst mir hier irgendetwas von Hexen und Elben…So etwas wie Hexen gibt es nicht und auch keine toten Krieger oder wie auch immer. Ich bin bei dem Unfall gar nicht gestorben. Sie haben mich wieder hingekriegt und ich lebe noch!« Hunter seufzte.

    »Da ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass du in der Leichenhalle wieder aufwachst…statt in einem Krankenhausbett, oder nicht?!« Da kam mir plötzlich eine Idee, die das alles erklären würde.

    »Ich bin gar nicht aufgewacht. Ich liege im Koma und all das hier ist nicht echt!«, rief ich aus und Hunter lachte.

    »Oh bitte stürz dich jetzt nicht aus dem Zug, um deine Theorie zu überprüfen. Ich habe keine Lust dich von den Gleisen zu kratzen. Einfacher ist es dich in den Arm zu kneifen. Falls du im Koma liegen solltest, dürftest du keinen Schmerz spüren!« Ich kniff mich fest in den Oberarm und fühlte sofort ein Stechen, dort wo meine Fingernägel Furchen in meine Haut gegraben hatten. Also doch kein Koma.

    »Und wie kannst du mir beweisen, dass es wirklich so etwas wie tote Krieger gibt?« Er lächelte, sichtlich erfreut, dass ich ihm langsam Glauben zu schenken schien.

    »Das Herz eines Kriegers schlägt ungefähr doppelt so schnell, wie das eines normalen Menschen. Leg eine Hand auf dein Herz. Du wirst es spüren!« Gespannt legte ich eine Hand auf die Stelle wo mein Herz sich, meiner Meinung nach, zu befinden hatte. Schon nach wenigen Augenblicken spürte ich einen hastigen Herzschlag an meiner Hand. Als wäre ich gerade gerannt, allerdings war ich nicht außer Atem.

    »Okay, aber das kann auch die Aufregung sein. Weil ein Fremder namens Hunter mich gerade in einen anderen Bundesstaat verschleppt.« Er lachte leicht, anscheinend amüsierte ich ihn ziemlich. Mir fiel auf, dass er seit wir im Zug saßen außerordentlich viel gelacht hatte.

    »Sehe ich aufgeregt aus? Gestresst oder der Gleichen?«, fragte er dann und stand auf. Als Antwort schüttelte ich den Kopf. »Gut, dann fühl meinen Herzschlag!« Er kniete sich direkt vor mich hin, nahm meine Hand und legte sie sich mitten auf die Brust. Mir stockte der Atem als ich seine warme Haut unter dem dünnen T-Shirt spürte. Erst fühlte ich nur Hunters kräftige Muskeln, doch dann zeigte sich darunter ein rasendes Pochen. Erschrocken zog ich die Hand weg und er grinste.

    »Des Weiteren ist unser Blut viel dunkler als früher, es sieht etwas lilafarben aus, fast schwarz.« Aus einer Jackentasche holte er eines der schon erwähnten Messer und schlitzte sich damit die Handinnenfläche der linken Hand auf. Ich keuchte entsetzt auf als eine dunkle Linie entstand und tief lila Flüssigkeit hervorquoll, doch er blieb immer noch ganz ruhig. »Außerdem heilen wir auch um einiges schneller, als normale Menschen. Jedenfalls bei so kleinen Schnittwunden, wie dieser hier.« Er zeigte mir abermals seine Hand und ich konnte dabei zu sehen, wie die Haut sich wieder schloss. Nachdem er sich die Hand an seiner Hose abgewischt hatte, genau wie das Messer auch, war nichts mehr zusehen. »Bei größeren Verletzungen geht das allerdings nicht so schnell. Wenn wir zu viel Blut verlieren, können wir sterben und dann ist es auch endgültig.« Ich musste schlucken.

    »Ich bin also scheinbar gestorben und habe mich dabei in etwas anderes verwandelt?«, fragte ich nach und Hunter nickte, dieses Mal sehr ernst.

    »Schön, dass du endlich akzeptierst, dass es die Krieger der Toten gibt und du ab jetzt dazu gehörst!« Ich schluckte abermals schwer.

    »Was wäre denn die Alternative? Zu akzeptieren, dass ein Truck mich überfahren hat und ich tot bin?« Er erwiderte nichts und ich spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen und dann meine Wangen hinab liefen. Mir war egal, dass der Mann mir gegenüber mich heulen sah. Bis er in seine Jacke griff und ein Taschentuch hervorholte. Ich erinnerte mich wieder an seine Worte von heute Morgen: » zwei Mullbinden für Notfälle und drei Stofftaschentücher, falls du dich in Tränen auflöst« Vorhin war mir das ziemlich lustig vorgekommen. Da hatte ich ja auch noch keine Ahnung gehabt, welch tiefe Abgründe er mir offenbaren würde. Er hatte es ganz nüchtern gesagt und das machte mich in diesem Moment wütend. Wahrscheinlich fand er es auch noch lustig mich zum Weinen zu bringen. Ich runzelte die Stirn und funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.

    »Belustigt es dich, dass ich tot bin? Ich…ich werde meine Familie nie wiedersehen. Auch wenn ich Mist gebaut habe, habe ich doch wenigstens meine Familie geliebt! Gerade du müsstest doch das Gefühl kennen, die Familie für immer zurücklassen zu müssen! Aber vielleicht bist du ja auch gar nicht in der Lage, irgendetwas zu fühlen! Ich mag ja nicht viel über dich wissen, aber du musst in deinem Leben ebenfalls etwas falsch gemacht haben, wenn du jetzt ein toter Krieger bist. Also hast du kein Recht, über mich zu richten oder dich über mich zu amüsieren. Wahrscheinlich hast du jemanden ermordet! Vermutlich sogar mehrere Menschen! Du hast kein Recht…« Nun verstummte ich und auch Hunter blieb kurz still, was ich mit Genugtuung bemerkte. Allerdings hatte er die ganze Zeit keine Miene verzogen und nun legte er das Stofftaschentuch neben mich auf die Sitzbank und stand auf. Ich ließ mich wieder gegen die Rückenlehne sinken und seufzte. Bevor er die Abteiltür öffnete, drehte er sich noch einmal zu mir um. »Auch wenn du mir das im Moment vielleicht nicht glaubst, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Und ich finde es absolut nicht lustig, dass du tot bist. Ich war in genau der gleichen Lage, wie du jetzt, nur dass es bei mir schon ein paar Jahre zurück liegt. Und ja…du hast recht. Ich habe auch einige Dinge in meinem Leben falsch gemacht. Aber offenbar hat jemand befunden, dass ich eine zweite Chance verdient habe und du auch.« Seine Stimme klang so sanft, wie ich es von ihm zum ersten Mal hörte. Er schloss die Hand fester um den Griff der Schiebetür und senkte den Kopf. »Ich lasse dich kurz allein, dann kannst du versuchen dich etwas zu beruhigen!«, meinte er noch, dann zog er die Abteiltür auf, trat auf den Flur und schob die Tür wieder zu. Ich lehnte meinen Kopf an die Rückenlehne und schloss die Augen. Eigentlich war ich ja sogar froh, dass er mich allein gelassen hatte, aber ich war auch erschrocken über mich selbst. Der Wortschwall, den ich Hunter entgegen geschmissen hatte, war unkontrolliert hervorgesprudelt, ohne dass ich mich dazu entschieden hatte, etwas davon auszusprechen. Natürlich war die Situation, in der ich steckte, außergewöhnlich, aber ich wusste, dass es kein Zurück gab und ich versuchen musste, mit all dem klar zu kommen. Dabei war es sicher nicht verkehrt jemanden zu haben, der wusste wie man sich fühlte und einem helfen konnte. Ich hatte keine Ahnung wo ich hinmusste und über meine Situation als Kriegerin wusste ich noch weniger. Ich konnte also nur darauf hoffen, dass Hunter tatsächlich so gefasst war, wie er getan hatte und mir meine Worte nicht übelnahm. Eigentlich nahm ich mir vor, auf seine Rückkehr zu warten, doch schon kurz nachdem ich die Augenlider geschlossen hatte, fiel ich in einen tiefen traumlosen Schlaf. Der Tod hatte mich wohl doch mehr erschöpft, als erwartet.

    BOSTON

    Es kam mir so vor, als wären gerade einmal fünf Minuten vergangen, dabei waren es höchstwahrscheinlich mehrere Stunden, als ich aus dem Schlaf hochschreckte und verwirrt um mich blickte. Ich saß immer noch in dem abgedunkelten Zugabteil. Mein Kopf war zur Seite gerutscht und hatte an der Fensterscheibe gelehnt, die sich sogar durch den Stoff des Vorhangs kalt anfühlte. Hunter saß mir gegenüber in eine Zeitung vertieft, die er sich vors Gesicht gehoben hatte. Ich fragte mich insgeheim wie er in dieser Dunkelheit lesen konnte.

    »Wie hast du geschlafen?«, begann mein gegenüber auf einmal ohne ein einziges Mal hinter seiner Zeitung hervorzublicken.

    »Recht gut für eine Zugfahrt eigentlich!«, stellte ich fest und streckte mich, soweit das in diesem doch etwas beengten Abteil möglich war.

    »Ich dachte, du hast vielleicht Hunger und habe dir einen Burger mitgebracht!«, erwiderte er, während er weiterlas. Ich schaute mich kurz um und nahm eine Plastikverpackung, die neben mir auf dem Sitz lag und in der ich den Burger vermutete. Er faltete die Zeitung zusammen und betrachtete mich interessiert.

    »Wenn du möchtest, kann ich, sobald wir in Boston angekommen sind, veranlassen, dass du woanders hin versetzt wirst. Soweit weg von mir, wie du möchtest. Eigentlich bildet einen sein Erwecker aus, aber sicher kann man eine Ausnahme machen.«, bot er ruhig und mit Andeutung auf meinen Gefühlsausbruch von vorhin an. Ich schluckte schwer und schüttelte dann den Kopf.

    »Nein, Hunter es tut mir leid, was ich vorhin alles gesagt habe. Ich weiß nicht wo das her kam. Eigentlich hatte ich nicht vor, solche Dinge auszusprechen, aber irgendwie kamen sie unkontrolliert aus mir heraus. Ich hoffe du bist nicht allzu sehr verletzt!« Während ich auf seine Antwort wartete, biss ich in den Burger. Er blieb einen Moment stumm und beugte sich dann vor, mir entgegen.

    »Keine Sorge, ich bin nicht verletzt so schnell schaffst du das nicht. Es ist übrigens ganz normal, dass nach der Verwandlung alle Gefühle erst einmal etwas heftiger ausfallen. Ich weiß, dass es schwierig ist, zu akzeptieren, was gerade mit dir passiert, aber du machst das wirklich ziemlich gut!« Nachdem ich hinuntergeschluckt hatte, räusperte ich mich und wechselte dann das Thema.

    »Schlafen und essen können wir also, obwohl wir tot sind?«, fragte ich bevor ich erneut in den Burger biss und kaute, woraufhin er nickte.

    »Ja. Schlafen, essen, trinken…geht alles! Wir brauchen vielleicht ein bisschen weniger von allem, aber sonst…!« Ich kaute und schluckte, während ich den Vorhang vorm Fenster etwas zurückzog, um nach draußen schauen zu können. Es war wieder dunkel geworden.

    »Habe ich den ganzen Tag geschlafen?«, fragte ich entsetzt und Hunter nickte.

    »Ja, sei froh. Mit dem Zug dauert das echt ewig, aber im Flugzeug wäre es zu gefährlich gewesen, dass dich jemand erkennt. Hinzu bin ich geflogen, die Stewardessen lassen einen echt gar nicht in Ruhe mit ihren Decken und Essen…Wir fahren jetzt noch ungefähr einen Tag! Willst du nicht doch lieber in dein Bett im Schlafwagen? Ich habe eines gebucht!«, bot er mir an, doch ich konnte auf sein Geplänkel noch nicht eingehen. Mir schwirrte noch zu viel im Kopf umher. Ich ließ den Vorhang wieder fallen.

    »Was meintest du eigentlich mit »Erwecker«? Was hat das zu bedeuten?« Er winkte ab.

    »Dein Erwecker ist der, der dich von den Toten wieder aufgeweckt hat. Daran wirst du dich auf ewig erinnern…also daran, wer dich erweckt hat. Außerdem besteht eine gewisse Bindung zwischen Erwecker und Erwecktem. Ich meine damit, dass du spüren wirst, wenn dein Erwecker dem Tod nahe ist und deine Hilfe braucht. Anders herum natürlich auch…also dein Erwecker wird auch spüren können, wenn du in großer Not bist und dir, wenn möglich zu Hilfe kommen.« Während ich die leere Plastikverpackung beiseiteschob, musterte ich Hunter, der all das sachlich erklärte, als ginge es dabei gerade nicht auch um uns. Dann räusperte ich mich und schluckte noch einmal, bevor ich wieder zum Sprechen ansetzte.

    »Was passiert jetzt?« Über das meiste war ich immer noch nicht im Klaren.

    »Wir kommen dann erst einmal in Boston an und ich bringe dich zu uns nach Hause, wo du ab jetzt wohnen wirst. Dort isst du etwas…und dann zeige ich dir dein Zimmer und den Rest des Hauses. Tja und dann kommt es auf dich an. Ob du dich lieber noch etwas hinlegen willst oder Zissy dir die Stadt zeigen soll oder du shoppen gehen möchtest. Ich auf jeden Fall werde mich erst einmal aufs Ohr hauen, denn nach so langen Reisen bin ich immer todmüde…und ich denke, morgen fängt Zissy mit dir etwas vom theoretischen Teil an. Soweit alles klar?« Ich nickte.

    »Ja okay…also heißt das jetzt wirklich, dass ich meine Eltern nie wiedersehen werde? Also ich meine…wirklich nie nie wieder?« Er schüttelte traurig den Kopf.

    »Nein Katie, ich fürchte du wirst sie nie wiedersehen. Du könntest das, was für dich jetzt beginnt als komplett neues Leben betrachten, aber keine Sorge. Auch wenn wir nicht den allerbesten Start hatten, fühle ich, dass wir gut miteinander auskommen werden. Moment, habe ich da gerade etwa gesagt, dass ich etwas fühle…?« Am Ende grinste er breit und zwinkerte mir zu. Ich seufzte und ließ mich in meinem Sitz zurückfallen.

    »Du Schwachkopf. Können wir meinen Ausbruch von vorhin nicht einfach mal vergessen?« Er grinste immer noch und lehnte sich ebenfalls zurück.

    »Und schon weiß ich nichts mehr davon! Willkommen bei den Kriegern der Toten, Katie. Ich verspreche dir, die Zeit, die du bei uns verbringen wirst, wird einmalig!« Und das glaubte ich ihm aufs Wort.

    Wie Hunter es gesagt hatte, fuhren wir noch mehrere Stunden und stiegen einmal um, bevor wir endlich in Boston ankamen. Dort führte Hunter mich durch die Stadt, deren Straßen trotz der frühen Stunde schon mit vielen Menschen gefüllt war. Zu manchen Gebäuden erzählte mein Begleiter mir etwas und er machte mich auf Sachen, wie Einkaufszentren oder andere nützliche Orte, aufmerksam. Am Ende kamen wir an einer Häuserreihe mit altehrwürdigen Bauten mit Wasserspeiern auf den Dächern und schweren Eingangstüren aus Holz, zu denen Steintreppen führten, an. Das Haus, auf das Hunter zusteuerte, war mitternachtsblau gestrichen und besaß weiße Fensterrahmen, die mit kunstvollen Reliefs verziert waren. Die Haustür bestand aus schwarzem Holz mit Schnitzereien in Form von Ranken. Die Steintreppe führte direkt vom Bürgersteig aus zu der Tür und die Geländer waren ebenfalls aus Stein. Als wir sie erklommen hatten, zog Hunter einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und sperrte die Tür auf.

    »Willkommen zuhause!«, verkündete er, während ich in die Diele trat und das Licht anging. Ich befand mich in einem kleinen Flur mit Garderobenhaken und einer dunklen Kommode, über der ein großer Spiegel mit Holzrahmen hing. Die Wände waren hier viel heller gestrichen als die Außenfassade und bildeten einen angenehmen Kontrast zum Boden, der aus dunklen Holzdielen bestand. Nachdem ich Hunter ein paar Schritte gefolgt war, entdeckte ich eine Treppe aus ebenfalls dunklem, edlem Holz, das dazu gehörige Geländer prachtvoll mit Schnitzereien versehen. Hunter führte mich in eine Küche mit cremefarbenen Fliesen und haselnussbraunen Schränken. Die Gerätschaften sahen ziemlich modern aus, ganz untypisch für das sonst eher altmodisch anmutende Haus. In der Mitte des Raums stand ein Tisch mit vier Stühlen. Er steuerte sofort auf einen sehr großen metallenen Kühlschrank zu, hinter dessen Türen sich viele Fächer befanden.

    »Okay…hast du Hunger?«, fragte er und wandte sich zu mir um, während er schon die Schüsseln mit Essen inspizierte. Ich nickte einfach nur und trat noch einen Schritt in die Küche.

    »Na gut wir hätten hier…Salsa Sauce, Salami, Tomatenketchup, Peperoni, Cola, Käse, Schokocreme und Hackfleischbällchen…oh nein, warte, die sind schon hier seitdem ich nach Pennsylvania aufgebrochen bin. Okay wir hatten Hackfleischbällchen!« Mit einem Grinsen stellte er eine Keramikschüssel beiseite und seufzte dann.

    »Tja sieht nicht nach sehr viel Brauchbarem aus, wahrscheinlich liegt das daran, dass ich schon vor zwei Wochen hätte einkaufen gehen sollen. Rufen wir lieber mal die Köchin!«, meinte er dann und lief zurück zur Küchentür.

    »Narzissa, bist du da?« Getrappel war aus dem Obergeschoss zu hören, dann eine sich öffnende Tür.

    »Hunter, bist du das?« Er schnaubte halb verächtlich, halb belustigt, aber die Belustigung schien zu überwiegen.

    »Ja, Zissy. Komm, beweg dein hübsches Hinterteil hier runter. Der Hausherr hat Hunger, Weib!« Mit einem hellen Lachen kam Narzissa die prächtige Treppe heruntergerannt und umarmte Hunter stürmisch.

    »Hunter, endlich! Ich habe mir schon Sorgen gemacht!« Sie küsste ihn auf die Wange und ließ dann wieder von ihm ab.

    »Es gab keine nennenswerten Zwischenfälle. Cami hat den Truck nur ziemlich spät geschickt, halb fünf vorgestern Morgen!« Narzissa runzelte auf seine Worte hin die Stirn.

    »Ich dachte sie hätten sich auf halb drei geeinigt?!« Hunter winkte ab.

    »Camille hat mir kurzfristig noch die Planänderung zukommen lassen. Katie war gestern auf einer Party und ganz öffentlich sollte es nicht passieren. Es waren auch so schon zu viele Menschen anwesend. Ihr Freund und zwei Mädchen!«, erklärte Hunter rasch und wurde dabei immer leiser, als wäre es etwas Geheimes, das ich nicht hören durfte. Die Frau namens Narzissa nickte zufrieden und holte tief Luft.

    »Na gut, jetzt seid ihr ja da! Übrigens, wenn du mich noch einmal «Weib» nennen solltest, kratze ich dir deine hübschen dunklen Augen aus, die dir so lieb und teuer sind!« Sie grinste noch breiter und wandte sich dann zu mir um. Nachdem sie mich flüchtig gemustert hatte, umarmte sie mich ebenfalls herzlich und streichelte mit einer Hand beruhigend über meinen Rücken.

    »Kaitlin Blackfield. Ich freue mich wirklich dich zu sehen!«

    »Katie!«, verbesserte ich sie, immer noch von ihr umschlungen, »Einfach nur noch Katie!« Sie löste sich von mir und schob mich, mit den Händen an meinen Schultern, eine Armeslänge von sich, um mich abermals betrachten zu können.

    »Katie, es ist mir eine Ehre, dich bei uns willkommen zu heißen. Ich hoffe du kannst dich schnell hier einleben. Sei dir sicher, wenn irgendetwas sein sollte, habe ich jederzeit ein offenes Ohr für dich. ...Ich bin übrigens Narzissa. Hunters Erweckerin!« Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte und musterte sie meinerseits währenddessen.

    »Ja, Hunter hat mir schon von dir erzählt. Beziehungsweise, er hat dich schon ein oder zweimal kurz erwähnt.« Narzissa besaß lange goldene Haare, die fast glatt bis knapp über ihre Schultern flossen. Ihre Augen leuchteten in einem geheimnisvollen Blauton, so dunkel wie der Nachthimmel und die Fassade dieses Hauses. Sie trug eine enganliegende hellgraue Röhrenjeans, dazu eine schwarze Bluse aus dünnem Stoff, die einen guten Kontrast zu ihren hellen Haaren bildete. Ihre Schuhe besaßen einen ziemlich hohen Absatz und glitzerten in einem metallicschwarz.

    »Ein besseres Timing hättet ihr übrigens fast nicht haben können. Ich habe vor ungefähr zehn Minuten die Lasagne aus dem Ofen genommen und mir etwas mit hoch ins Zimmer genommen. Sie dürfte noch heiß sein!«, verkündete die blonde Schönheit dann und öffnete den Ofen. Heraus holte sie eine Auflaufform, die sie auf dem Holztisch platzierte. Hunter holte aus einem anderen Schrank zwei Teller, Besteck und zwei Gläser, womit er den Tisch fertig eindeckte.

    »Möchtest du auch Cola Katie, oder etwas Anderes? Ich finde sicher irgendwo noch ein Bier oder sonst etwas!« Ich winkte ab und setzte mich auf einen der vier Stühle an den Tisch.

    »Cola ist perfekt, danke!« Narzissa setzte sich mir gegenüber und Hunter ließ sich, nachdem er uns beiden Cola eingeschenkt hatte, zu meiner Linken nieder.

    »Guten Appetit, ich hoffe es schmeckt euch. Ich habe mir gedacht, dass ihr sicher sehr hungrig seid, wenn ihr ankommt. Da lag ich wohl richtig oder?!« Hunter lachte während er große Stücke Lasagne aus der Form hebelte und auf die Teller legte.

    »Bei mir hast du da eigentlich immer Recht!« Narzissa lachte wieder ihr glockenhelles Lachen, stand auf und holte sich ein Glas aus einem Schrank, in das sie Leitungswasser aus dem Hahn füllte.

    »Ich weiß, du hast sowieso immer Hunger, Hunter!« Sie setzte sich wieder zu uns und schaute Hunter zu, der sofort angefangen hatte sich mit der Gabel das Essen in den Mund zu schaufeln. Ich nahm die Gabel eher gemächlich in die Hand und wandte mich an Narzissa.

    »Danke…für das Essen und dass ihr mich hier sein lasst!« Sie winkte ab.

    »Das ist doch gar nicht der Rede wert, Katie. Du gehörst jetzt zur Familie der Krieger. Du bist eine von uns, was bedeutet, dass wir zu dir halten. Ich weiß, es ist schwer umzudenken, aber ich fürchte dein altes Leben solltest du hinter dir lassen. Kaitlin Blackfield ist Vergangenheit. Jetzt gibt es Katie. Du bist eine Kriegerin, wie wir. Wie gesagt, wir sind alle eine Familie. Wir passen auf einander auf!« Ich nickte dankbar und begann zu essen. Hunter war die ganze Zeit ruhig, sein Teller war inzwischen leer, als ich mir die erste Gabel Lasagne in den Mund steckte. Er nahm sich das nächste Stück aus der Auflaufschale.

    »So, wie geht es denn eigentlich heute weiter?«, fragte Narzissa, nachdem sie einen Schluck aus ihrem Glas genommen hatte. »Ich könnte dir dann erst einmal dein Zimmer zeigen, wenn du willst!« Hunter griff ein, indem er die Hand hob, zum Zeichen etwas sagen zu wollen, aber erst noch runter schlucken zu müssen.

    »Also…!«, er schluckte noch einmal, »…ich werde Katie ihr Zimmer und das Haus zeigen!«, verkündete er, was keinen Widerspruch zuließ. Narzissa hob beschwichtigend die Hände.

    »Okay und anschließend?« Hunter hatte schon den nächsten Bissen Lasagne im Mund.

    »Ich gehe danach schlafen!«, antwortete er mit vollem Mund, doch Narzissa wischte seinen Kommentar mit der Hand weg.

    »Das weiß ich doch Hunter! Und was beliebt Katie zu tun?« Ich zuckte mit den Schultern.

    »Ich weiß nicht. Was schlägst du denn vor?« Sie grinste fast etwas hinterhältig.

    »Ich würde eine Shoppingtour vorschlagen. Du brauchst ja auf jeden Fall neue Klamotten!« Ich verschluckte mich fast an meinem Bissen, den ich gerade in den Mund gesteckt hatte, weil ich schnell etwas erwidern wollte.

    »Aber ich habe kein Geld, um mir etwas zu kaufen. Ich konnte ja nichts mitnehmen!« Sie lachte und winkte ab.

    »Das weiß ich doch, deswegen brauchst du doch neue Klamotten. Aber um Geld brauchst du dir keine Sorgen machen. Das wird alles von Cami geregelt, die uns betreut. Also was hältst du davon? Shoppen?« Ich zuckte die Schultern und schaute zu Hunter hinüber. Er starrte mich entgeistert an.

    »Was schaust du mich so an? Ich bin nur dein Erwecker, nicht dein Vormund. Du kannst über so etwas jetzt selbst entscheiden! Ab jetzt bist du offiziell erwachsen, egal ob du 17 oder 21 Jahre alt bist!« Er war mit seinem zweiten Stück Lasagne fertig und schob den Teller von sich.

    »Heißt das eigentlich, dass ich jetzt 17 Jahre alt bleibe?« Hunter nickte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

    »Ja im Prinzip schon. Wir leben ewig, außer jemand bringt uns um!« Er gähnte, da er jetzt gesättigt war, brauchte er Schlaf.

    »Wie lange bist du denn schon 17?« Er schwieg einen Moment, wahrscheinlich überlegte er, was er mir erzählen wollte.

    »Also erst einmal bin ich 19 und das…schon ein paar Jahre!« Ich seufzte.

    »Okay, du willst mir also nicht sagen, wie alt du bist, aber Narzissa wird es mir schon irgendwann erzählen.« Diese grinste schelmisch, woraufhin Hunter aufstöhnte.

    »Also wenn ihr dann shoppen gehen wollt, würde ich Katie jetzt gerne ihr Zimmer zeigen. Narzissa, du kannst ja inzwischen aufräumen, saubermachen oder so was Ähnliches!« Er warf ihr noch ein spitzbübisches Grinsen zu und stand dann auf, schob seinen Stuhl an den Tisch und lief aus der Küche, ohne zu schauen, ob ich ihm folgte, also erhob ich mich ebenfalls und rannte ihm hinterher. Er stand vor einer Tür am Ende des Flures und wartete leicht lächelnd auf mich.

    »Das ist das Wohnzimmer und außerdem eine kleine Bibliothek, wo du so ziemlich alles finden kannst, was mit den Kriegern und anderen Wesen zu tun hat. Und ein paar andere Bücher natürlich auch.«, erläuterte er und trat in den Raum hinein. Die Wände waren in einem sehr gemütlichen Schokoladenbraun gestrichen und fast voll gestellt mit Regalen, in denen Tausende und Abertausende Bücher standen. Unterbrochen wurden die Regale von einem großen steinernen Kamin mit einem Sims aus Holz an einer Seite des Raumes. In der Mitte standen sich zwei gemütlich aussehende Sofas gegenüber, die jeweils mit Kissen überhäuft waren.

    »So, als nächstes käme dann die Küche, die hast du aber schon gesehen. An sie grenzt noch eine Speisekammer und das wäre dann auch schon die erste Etage. Jetzt gehen wir runter in den Keller!« Er verließ vor mir das Wohnzimmer und führte mich zu dem offenen Treppenhaus, das nicht nur in das obere Stockwerk, sondern auch nach unten führte, wie ich nun erkannte. Nachdem er einen Lichtschalter betätigt hatte, joggte er die Treppenstufen leichtfüßig nach unten.

    »Hier unten haben wir unsere kleine Waffenkammer und Trainingsräume zum Bogenschießen und so weiter. Dort werde ich dich auch trainieren, aber erst später. Zuerst kommt der theoretische Teil.«, erklärte er währenddessen und öffnete die erste Tür, an der wir vorbeikamen. Dahinter lag ein sehr dunkler Raum ohne Fenster. Auch hier schaltete Hunter das Licht an und ich fand mich plötzlich in einer Waffensammlung wieder. An den Wänden hingen Dolche in verschiedensten Größen, Bögen mit Pfeilen und einige andere Sachen, die ich nicht einmal genau benennen konnte, außerdem zwei Anzüge, die wohl für den Kampf gedacht waren.

    »Oh wow…davon fasse ich sicher nichts an!«, stellte ich trocken lachend fest und er winkte ab.

    »Wenn du nicht noch einmal sterben willst, wirst du das früher oder später schon. Du musst die Waffen als Freunde betrachten. Freunde, die dir manchmal das Leben retten können.« Ich seufzte und wandte mich zum Gehen.

    »Okay…aber mich würde eher der Trainingsraum interessieren!« Er schloss hinter uns die Tür und führte mich den Gang, dessen Wände, Boden und Decke aus Beton und Stein bestanden, entlang. Am Ende des scheinbar endlosen Ganges öffnete er eine weitere schwere Holztür, die den Blick auf einen kurzen Raum freigab, der um eine Ecke führte und hier wohl genauso lang war, wie der Gang, den wir gerade entlanggelaufen waren. Aus der Zielscheibe, die an seinem Ende stand, schloss ich, dass es die Übungsbahn zum Bogenschießen war. Auch hier gab es noch eine Holztür, die zu einem quadratischen, mit Matten ausgelegten Trainingsbereich führte.

    »Hier kann man Nahkämpfe sehr gut trainieren. Wendigkeit, Ausweichmanöver und Falltechniken sind dabei sehr wichtig. Wie du mit den Waffen umgehst und dich im Gelände bewegst, zeige ich dir auf einem Grundstück nicht weit von hier, welches uns ebenfalls gehört. Dort steht eine große alte Fabrik und drum herum gibt es einen verwilderten Garten mit vielen Bäumen und hohem Gras. Das ist alles perfekt zum Üben und Camille, die Hexe, die für uns zuständig ist, hat das Gebiet um die Fabrikhalle für andere Leute unzugänglich gemacht. Sie sehen es zwar, aber selbst kleine Jungs, die zu gerne in Ruinen herumturnen, interessiert weder, warum die Halle noch steht und alles so verlassen ist, noch dass manchmal irgendwelche Teenager hinein und hinausgehen. Ihnen erscheint das alles so unwichtig, dass sie es schnell wieder vergessen. Für alle übernatürlichen Wesen außer uns Kriegern ist der Zutritt durch eine unsichtbare Schutzwand verwehrt. Abgesehen von den Hexen natürlich. Camille wird heute Abend oder morgen sicherlich mal kommen, um dich willkommen zu heißen. Sie ist sehr nett für ihre 300 Jahre, die sie schon auf dem Buckel hat, keine Sorge.« Mir stockte der Atem.

    »300 Jahre? Wow, sterben Hexen denn auch nie?« Er nickte.

    »Außer jemand bringt sie um. Unsterblich sind sie nicht, sie leben nur ewig. Übrigens wenn Zissy dir sowieso bald erzählt, wie alt ich bin, kann ich dir auch schon ihr Alter nennen. Narzissa ist nämlich schon 211 Jahre alt. Ich bin dementsprechend jünger.« Ich musste unwillkürlich etwas grinsen.

    »Also 180?« Er schüttelte den Kopf und verließ die Trainingsräume, um wieder zum Treppenhaus zurück zu kehren. Hastig machte ich das Licht aus und schloss die Tür hinter mir, bevor ich ihm nachrannte.

    »150?« er schüttelte abermals den Kopf, während er die Treppenstufen erklomm. »Älter oder jünger?« Nachdem wir wieder im Erdgeschoss waren, liefen wir noch weiter hinauf ins erste Obergeschoss.

    »Ich zeige dir lieber dein Zimmer wenn’s recht ist!« Ich antwortete nicht und folgte ihm stumm die Treppe hinauf. Die Wände des Gangs hier oben waren mit dunklem Holz vertäfelt, fünf Türen gingen in verschiedene Zimmer ab. Jeweils zwei rechts und links, die fünfte direkt am Ende des Flurs.

    »Das ist Zissys Zimmer…!« Er deutete auf die zweite Tür auf der linken Seite. »Das hier ist meines!« Nun zeigte er auf die Tür direkt gegenüber. »Und das soll dein Reich werden!« Als er das sagte, öffnete er die erste Tür auf der rechten Seite. »Wir haben maximal Platz für fünf Krieger, aber zurzeit sind wir ja nur zu dritt. Eigentlich sind wir auch schon längere Zeit allein. Zissy und ich!« Ich runzelte die Stirn und blieb noch auf dem Gang stehen.

    »Ich dachte du hast schon so viele erweckt. Wo sind dann die ganzen Krieger?« Ich sah, dass er mir nicht antworten wollte, denn er stieß die Tür zu meinem Zimmer noch weiter auf, als Aufforderung für mich hinein zu gehen. Als ich das Zimmer dann endlich betrat, stockte mir der Atem. Ich hatte alles erwartet- Waffen an Steinwänden, eine Pritsche als Bett- aber das hier hatte ich sicher nicht für möglich gehalten. Die Wände waren in einem beruhigenden Dunkelgrün gestrichen. Zehn Zentimeter unterhalb der Decke war ein Muster aus Ranken in Silber an die Wand gemalt. Dieses Muster zog sich über alle vier Seiten des Zimmers. An einer Wand stand ein riesiges, massives und prachtvolles Himmelbett mit schneeweißen Laken. Die Matratze schien einen halben Meter dick zu sein, auf jeden Fall sah sie sehr bequem aus. An einer anderen Wand, genau gegenüber dem Bett, stand ein mächtiger mit Schnitzereien verzierter Kleiderschrank, vor einem Fenster befand sich ein Schreibtisch mit einem Stuhl und auch von diesem Raum ging noch eine weitere Tür ab, hinter der sich ein kleines rustikal gestaltetes Bad befand.

    »Ich wusste nicht, was dir gefällt, deswegen habe ich die Wände einfach grün gestrichen!«, erklärte Hunter und beobachtete mich, wie ich umherlief und mich umschaute. »Also du kannst das auch noch ändern. Pink oder so!« Ich verdrehte die Augen und kehrte zu ihm zurück.

    »Nein danke, du hast das super gemacht. Es gefällt mir!«, erwiderte ich und küsste ihn leicht auf die Wange. Als ich mich wieder von ihm wegbeugte, grinste er mich schief an und trat einen Schritt zurück zur Zimmertür.

    »Also ich gehe dann mal in mein Bett!«, murmelte er und räusperte sich kurz. »Fühl dich einfach wie Zuhause, das ist ja jetzt dein neues Zuhause. Narzissa holt dich dann bestimmt zum Shoppen ab. Bis morgen…oder so!« Nach einem weiteren Lächeln verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich schaute ihm noch nach und wandte mich dann wieder dem Zimmer zu. Obwohl ich gerade erst sozusagen gestorben war und meiner Familie und meiner gewohnten Umgebung entrissen worden war, konnte ich es nicht vermeiden, beim Anblick meines neuen Zuhauses zu lächeln. Ich erwischte mich sogar jetzt schon dabei, wie ich mein neues Leben zu akzeptieren begann und mir eine Zukunft hier in Boston mit Narzissa und Hunter ausmalte.

    »Wie alt ist Hunter denn nun?«, fragte ich Narzissa, als wir aus der S-Bahn stiegen, die uns durch Boston gefahren hatte. Sie lachte in sich hinein.

    »Ach ja, das wollte ich dir ja verraten! Er ist 66 Jahre alt. Im April wird er 67. Er hasst es, wenn Leute das wissen, weil er meint, dass ›Ich bin 200 Jahre alt!‹ klingt wie ›Oh yeah, ich bin unsterblich!‹, aber ›Ich bin 66‹ klingt eher wie ›bald gehe ich in Ruhestand!‹. Ich bin mir sicher, dass Hunter dir schon längst erzählt hat, dass ich über 200 Jahre alt bin.« Ich nickte daraufhin, musste aber auch grinsen, weil ich Hunters Meinung irgendwie verstehen konnte.

    »Ja, er hat es mir erzählt. Er wusste ja, dass

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