Funkstille und andere Gespräche: Erzählungen - Band 2
Von Thomas Stefflbauer, Thilo Mutter, Angela Rieger und
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Über dieses E-Book
Da prallen Machos in Muskelshirts auf umweltbewusste Mütter beim Aldi um die Ecke. Raben aus Märchenwäldern kreuzen die Wege von Frauen, die sich auf nächtlichen Ausflügen in Tiere verwandeln.
Im Schreiben, mit ihren Erzählungen finden hier Menschen zusammen, die sich nicht davor scheuen, auch das Auf- und Ableben von Liebesgeschichten zu feiern.
Überhaupt mischt sich hier Vieles: Ernstgemeintes mit Satirischem. Erlebtes mit Erdachtem. Rückblick mit Utopie. Denn als Wortpalast sind wir der Meinung, dass Meinungen sowieso nur dazu da sind, durch Erzählungen mindestens hinterfragt, doch gern auch ad absurdum geführt zu werden.
Thomas Stefflbauer
Der gebürtige Österreicher hat jahrzehntelang in den USA gelebt und wohnt seit 2013 in dem sich ständig verändernden Berlin . Diese Mischung aus kulturellen Lebenserfahrungen fließt eins zu eins in seine Geschichten und seine Erzählungen ein. Spannende Inhalte mit Tiefgang und surrealen Aspekten sind seine Spezialität.
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Buchvorschau
Funkstille und andere Gespräche - Thomas Stefflbauer
9/11
Thomas Stefflbauer
Berlin. Blick auf den Turm am Alex. Beinahe 20 Jahre ist es jetzt her, seit seltsame Trauben aus schwarzen Punkten an den qualmenden Glaswänden über unseren Köpfen hingen. Einer nach dem anderen löste sich und fiel ins Leere.
„They are jumping!", rief ich ins Halbdunkel unserer kleinen Wohnung, wo meine Frau sich gerade an die Banalität des tiefblauen Herbsthimmels im schwarzen Rahmen unseres Bildschirms klammerte. Ein Herbsthimmel, der die Realität vor unserem Fenster verhöhnte.
Zwei Jahre später lag sie wieder, immer noch, mit mir auf dem Sofa desselben Raums. Draußen war es stockdunkel. Und im Halbdunkel ihres Bauches wuchs unsere Antwort auf die Katastrophe jenes strahlenden Herbsttages.
Dann war es wieder September. Zehn Jahre später. Zwei Neuanfänge später. Jetzt war die Realität ein Punkt, der darauf wartete, losgelassen zu werden. Doch dieses Mal waren die Rollen vertauscht. Ich suchte nach dem besten Platz, um von den schwelenden Ruinen meines Selbstvertrauens zu springen. Es war dunkel. Pechschwarz, bis auf die Lichter der Stadt. Und das Feuer wütete hinter mir. In mir. Mein 11. September am 26. September. Sie werden ohne mich besser dran sein, sagte ich mir.
Sonnenaufgang. Bäume. Ein Friedhof. Raschelnde Blätter mit einem Hauch von Gelb gegen einen strahlend blauen Himmel. Warme Winde.
Ich setzte mich hin. Stand auf. Wanderte umher.
Kleine Vorstadtstraßen führten einen Hügel hinauf. Mehr Bäume. Große Häuser. Ein Boot am Rande eines Waldes. Stunden später wachte ich unter einem Baum auf. Und ich wusste nicht, ob der Tod ein grausamer Scherz war, oder ob Punkte einfach nicht sterben, wenn sie springen.
Einen Monat später googelte ich den Ort. Es war das Boot, das ihn verriet. Und ich wusste mit absoluter Klarheit, dass ich nie wieder dorthin gehen konnte.
Also ging ich nach Berlin.
Kartoffel und Sellerie
Hans-Christian N.
In dieser Geschichte soll es um eine Kartoffel gehen. Eine Kartoffel namens Peter. Warum sie Peter hieß, und wie sie überhaupt zu einem Namen gekommen war, ist dabei nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Peter eines frühen Morgens unsanft aus seinen Träumen gerissen wurde. Kräftige, von tiefen Schwielen geprägte Hände entfernten ihn aus dem gewohnten, heimischen Erdboden und warfen ihn in eine nicht weit entfernt abgestellte Schubkarre, in der sich schon viele von Peters Artgenossen befanden. In Panik geraten erlebte Peter einen Schweißausbruch. Seine Kartoffeligkeit triefte aus allen Poren. Es sollte nicht lange dauern, da setzte sich die Schubkarre über den unebenen Acker rumpelnd in Bewegung. Dies sollte der Beginn einer Odyssee sein, dessen letztendliches Ziel uns alle verblüffen würde.
Der nächste Schauplatz dieser Geschichte ist die Küche eines Fünf-Sterne-Restaurants in Berlin-Charlottenburg. Nachdem Peter die üblichen Stufen einer mitteleuropäischen Agrarwirtschaft durchlaufen hatte, hatte er sich zusammen mit anderen Lebensmitteln letztendlich neben einem brodelnden Kochtopf wiedergefunden. Desillusioniert betrachtete er gerade die grelle Deckenbeleuchtung der Küche, als er hinter sich ein leichtes „Pssst … vernahm. Peter blinzelte kurz und drehte sich dann langsam um. Eine lang gewachsene Selleriestaude mit pink gefärbten, kurz geschnittenen Haaren und vor sich verschränkten Armen blickte ihn herausfordernd an. „Also, ich weiß ja nicht, wie es Dir geht
, meinte die Staude. „Aber meine Lebensplanung sah nicht vor, in einem Kochtopf und anschließend im Magen irgendeines reichen Futzis zu landen. Wollen wir nicht gemeinsam die Fliege machen? Peter schwieg einen Moment. „Aber wie kommen wir hier heraus?
, fragte er unsicher. Die Selleriestaude zeigte mit einem Arm auf eine Ecke hinter dem riesigen Kühlschrank. „Ich habe dort vorhin eine paar Tomaten verschwinden sehen. Ich glaube, die Ratten betreiben dort eine geheime Fluchtroute."
In diesem Moment näherte sich bedrohlich die wie ein gewaltiges Bergmassiv erscheinende Gestalt eines Kochs, der seinen langen Schatten auf Kartoffel und Sellerie warf. „Los, wir müssen uns beeilen!", rief die Staude und ergriff Peters Hand. Gemeinsam rannten sie zum Rand des Tischs und sprangen mit geschlossenen Augen in die Tiefe. Unsanft kamen sie auf dem harten Boden auf, und vor allem die Kartoffel rollte noch einen halben Meter, bis sie schließlich zum Stillstand kam. Peter blickte sich um und versuchte, sich neu zu orientieren. Da sah er die Selleriestaude auf sich zurennen, den massiven Leib des Kochs dicht auf den Fersen. Die Staude riss Peter mit sich, und sie begannen rasch, in Richtung Kühlschrank zu laufen. Dort hatte eine geschmeidige Ratte den vorderen Teil ihres Leibes aus einem Loch in der Wand hervorgestreckt und winkte Kartoffel und Sellerie zu sich heran. Peter überbrückte gemeinsam mit seiner neuen Gefährtin die letzten Zentimeter zum Loch und rettete sich in die Sicherheit verheißende Dunkelheit.
Kartoffel, Sellerie und Ratte waren auf einer spiralförmigen Rutschbahn gelandet, die für eine rasante Abfahrt tief nach unten sorgte. Der Fahrtwind blies ihnen ins Gesicht. „Mein Name ist übrigens Melanie, meinte Sellerie. „Peter
, stellte er sich vor. Das sollte der Beginn einer vielleicht wunderbaren Freundschaft werden. Aber erst mussten sie den Fängen der keineswegs altruistisch agierenden Ratten entkommen …
Der Stein
Tobias Schmidt
Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahren ich in diese fremde Gegend kam, in der festen Überzeugung, es würde mir gelingen, dass sie mir fremd blieb. Und es gelang mir. Die Überschwänglichkeit, Geselligkeit, der vollkommen grundlose Frohsinn der Einheimischen waren kein Hindernis, denn eine gewisse Andersartigkeit meines Auftretens und der Art, wie ich mich hier niederließ, wie ich hauste und meine Tage verbrachte, sicherte mir jede nötige Distanz. Ich bin der festen Überzeugung, dass es mein Stück Land ist, auf dem ich meine Ernte einfahre. Es ist ein Stück Ödnis, umschlossen von grauen Sträuchern und dem erbarmungslos blauen Himmel. Nur ein paar verkrüppelte Kiefern ragen aus dem Sand, wie zu schwungvoll aufgestanden, als drohten sie unter dem Gewicht der Äste nach hinten zu kippen. Das Dorf liegt in sicherer Entfernung, und erst am Horizont versteckt sich das salzige Kräuselmeer. Niemand hat je Interesse an dem Stück Land gezeigt, aber als ich Anspruch darauf erhob, schien im