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Der Vogelgott: Roman
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eBook251 Seiten5 Stunden

Der Vogelgott: Roman

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Über dieses E-Book

Hier hat eine große Erzählerin aus einer grimmigen Geschichte einen grandiosen Roman gemacht. Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen – mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen können wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist. Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr ausgeliefert zu sein scheinen.In diesem unwiderstehlichen Roman entpuppt sich eine geheime Welt als die unsere, in der die Natur ihre Freundschaft aufkündigt und wir ihrer Aggression und Düsternis gegenüberstehen.Das ist nicht die übliche Jung und Jung Literatur, werden manche denken. Beim Lesen und vor allem Weiterlesen fragt man sich, warum man das Buch nicht aus der Hand legen kann, zumal hier nicht mit altertümlichen Spannungselementen gearbeitet wird.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. März 2018
ISBN9783990271605
Der Vogelgott: Roman
Autor

Susanne Röckel

geboren 1953 in Darmstadt, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (Paula Fox, Antonia S. Byatt, Irène Némirovsky u.a.) in München. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Tukan-Preis für ihren Roman Der Vogelgott, der 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.

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    Buchvorschau

    Der Vogelgott - Susanne Röckel

    Manuskript)

    I

    IM LAND DER AZA

    Niemand hat mich gebeten, diesen Bericht zu schreiben, und ich fürchte, er wird nur Widerwillen oder herablassende Besorgnis ernten wie alles, was ich seit meiner Rückkehr aus Kiw-Aza den Ärzten gegenüber geäußert habe. Es wird nicht leicht sein, noch einmal einzutauchen in die so schmerzlichen und verwirrenden Geschehnisse, mich noch einmal dem Schrecken auszusetzen, der mich damals fast um den Verstand brachte. »Hier sind Sie in Sicherheit«, wurde gesagt, als ich zurückkehrte. Man gab mir ein Zimmer, ein kahles, zellenartiges Zimmerchen in diesem großen stillen Krankenhaus am Stadtrand, verschrieb Tabletten, das Übliche. Sicherheit? All diese langweiligen und lächerlichen Therapien können die Erinnerung nicht löschen. Was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Ich müsse erkennen, dass ich keine Schuld trage, sagen sie. Doch wie können sie sich anmaßen, über diese Dinge zu urteilen? Je länger ich gezwungen bin, mir ihr beschwichtigendes Geschwätz anzuhören, desto klarer wird mir, dass ihnen die Fähigkeit fehlt, sich das, was dort geschehen ist, auch nur annähernd vorzustellen. Ihrer Arglosigkeit zum Trotz halte ich an dem fest, was meine Albträume zuverlässig überliefern. Ich kann nicht behaupten, dass ich über alles, wovon hier die Rede sein soll, präzises Wissen besitze. Vieles wird in der Schwebe bleiben, weil es mir im Strudel von Ereignissen, die mich mit teuflischer Macht in ihrem Bann hielten, nicht immer gelang, kaltes Blut zu bewahren; und die papiernen Begriffe, die eine auf Lehrstühlen thronende »Wissenschaft vom Menschen« für haarsträubende barbarische Gebräuche geprägt hat, wollen zu dem, was ich erlebte, nicht passen. Die Ärzte mögen glauben, was sie wollen, aber wenigstens sollen mein Bruder und meine Schwester – die Einzigen, die noch an meinem Leben Anteil nehmen – erfahren, wie es wirklich war. Ich passe mich den Regeln an, die hier herrschen, und tue, was von mir erwartet wird. Ob allerdings jener Thedor Weyde, der von hier aufbrach, noch derselbe ist, der ein paar Monate später zurückkehrte, bezweifle ich, und ob dieser Thedor Weyde – also ich – je wieder das werden kann, was man unter einem selbstgewissen Mitglied der Gesellschaft versteht, ist mehr als fraglich. Bin ich deshalb krank, wie sie behaupten? Die Antwort muss ich anderen überlassen, ebenso wie die Folgerungen aus dem, was ich – immer in den frühen Morgenstunden, wenn die Wirkung der Tabletten nachlässt und der leere, kalte europäische Himmel in meinem Fenster sichtbar wird – hier aufschreibe.

    Aus diesem Himmel schwebt eine weiße Feder zu mir herab. Schaudernd lege ich sie auf mein Blatt.

    Ich war ein schwaches, unentschlossenes Kind, das jüngste von drei Geschwistern, und wurde, vielleicht zu meinem Unglück, von meinen keineswegs besonders vermögenden Eltern stets mit besonderer Großzügigkeit behandelt. Über meine Geschwister pflegte mein Vater, Lehrer und Ornithologe, regelmäßig zu Gericht zu sitzen (meine Mutter fungierte als stumme Beisitzerin), wegen mangelnder Leistungen, irriger Meinungen, unüblicher Wünsche und sonstiger Verfehlungen, die stets reichlich vorhanden waren. Dabei kam es zwischen ihm und meinem Bruder Lorenz zu hitzigen Auseinandersetzungen. Lorenz war klug und aufgeweckt, eloquent; er mühte sich ab und ließ sich in Machtkämpfe verwickeln, ohne die dunkle Angst des Vaters zu spüren, die seiner Strenge, seinem Ehrgeiz zugrunde lag. Für Lorenz fielen die Strafen stets am härtesten aus. Auch mit Dora suchte der Vater den Kampf und machte ihr die Jugendjahre schwer. Doch der Streit mit seinen beiden älteren Kindern schien ihn immer mehr Mühe zu kosten und Kraft zu rauben. Ich jedenfalls, der kleine, bebrillte, ungewandte Thedor, war von alldem ausgenommen, mir fiel die Milde, die väterliche Güte und Nachsicht zu, die den anderen vorenthalten war, für mich fand er stets Entschuldigungen und versöhnliche Worte – was der bedrückenden Wirkung jener Zusammenkünfte auf mich keinen Abbruch tat.

    »Was habt ihr heute gelernt?«

    Mit diesem Satz pflegte er die Sitzung zu eröffnen, womit er sofort jeden Wunsch in mir erstickte, mich zu äußern. Denn mir war nur allzu bewusst, dass ich, im Gegensatz zu seinem älteren Sohn und seiner Tochter, die Fähigkeit des Lernens nicht besaß. Ich kann nicht sagen, wie es mir gelungen ist, die Schule zu absolvieren. Statt mir Dinge zu merken und über die Lösung von Problemen nachzudenken, statt mir neuen Stoff zu erkämpfen oder Wissensgebiete zu erobern, statt zu pauken, zu büffeln und nach Höherem zu streben, konzentrierte ich mich darauf, nach Zufällen und günstigen Gelegenheiten Ausschau zu halten, die mir halfen, das alles möglichst unbehelligt zu überstehen. Ich mogelte mich durch; ich wartete ab. Ja, mein Leben bestand – bis zu jenem Tag, an dem ich plötzlich beschloss, meiner Stadt den Rücken zu kehren – eigentlich nur aus Warten. Ich wartete auf das Ende der Schulstunden; ich wartete auf die Abende, an denen ich mich wegschleichen konnte, um ins Kino zu gehen; ich wartete darauf, dass irgendetwas Besseres kam. So wartete ich auch auf das Ende der Gerichtssitzungen mit meinem Vater. Vielleicht hatte er gerade heute irgendetwas mit seinen Freunden vor, was ihn daran hindern würde, sich unsere Hefte vorlegen zu lassen? Denn er liebte es, Hefte geräuschvoll durchzublättern und ironisch zu kommentieren. Besonders die langen Aufsätze, die Lorenz damals so gern verfasste und in denen er die Lage der Armen, die Ungerechtigkeit der Welt anprangerte, kritisierte er mit schneidenden Bemerkungen. »Wir werden sehen, was ihr einmal aus unserer Welt macht«, sagte er mit abgrundtiefem

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