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Wenn Luftschlösser flügge werden: … und wie Ravioli dein Leben verändern können
Wenn Luftschlösser flügge werden: … und wie Ravioli dein Leben verändern können
Wenn Luftschlösser flügge werden: … und wie Ravioli dein Leben verändern können
eBook299 Seiten4 Stunden

Wenn Luftschlösser flügge werden: … und wie Ravioli dein Leben verändern können

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Über dieses E-Book

Zwei Teenager aus unterschiedlichen Welten. Ein Ereignis, das sie verändern wird. Und die Frage, ob sie daran zerbrechen oder es gemeinsam schaffen, zurück ins Leben zu finden.

Sie haben noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Warum auch? Die sechzehnjährige Rose und der gleichaltrige Adam gehen zwar seit Jahren in dieselbe Klasse, stammen aber aus Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er: Gefeierter Basketballstar. Beliebt. Reich. Rebell. Sie: Außenseiter. Mittelklassefamilie. Unscheinbar. Kurzum, ein Niemand.
Sie verbindet nicht das Geringste, bis sich eines Tages ihre Wege an einem Bergpass kreuzen. Ihre Welten geraten aus den Fugen, als Adam mit seinem Motorrad verunglückt und Rose, die dort mit ihrem Fahrrad unterwegs ist, ihn findet.
Schlagartig verändert sich alles. Adam ist querschnittsgelähmt, an einen Rollstuhl gefesselt und kehrt der Welt den Rücken. Und auch Rose kann nicht vergessen, was damals passiert ist. Der Tag verfolgt sie – nicht nur in ihren Träumen. Ob sie es wollen oder nicht, sie haben von nun an etwas gemeinsam: Einen schicksalhaften Moment, der alles verändern wird. Die Frage ist, ob sie daran zerbrechen oder es gemeinsam schaffen, zurück ins Leben zu finden. Aber wollen sie überhaupt wieder dahin zurück?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Mai 2015
ISBN9783738027648
Wenn Luftschlösser flügge werden: … und wie Ravioli dein Leben verändern können

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    Buchvorschau

    Wenn Luftschlösser flügge werden - Marie Lu Pera

    Kapitel 1

    Eigentlich hätte ich viel früher mit den Bullen gerechnet. So gesehen, konnte ich mir noch ein Sandwich machen, ehe ich die Tür öffne, von der ich bis eben noch lautstarkes Poltern vernommen habe. Bevor die Cops sie eintreten, mache ich lieber freiwillig auf.

    Zu meiner Verblüffung, die ich mit angehobenen Augenbrauen kundtue, steht Richard vor mir.

    „Wo ist er?", verlangt er aufgebracht. „Und lüg mich ja nicht an, denn ich weiß ganz genau, wer das ist." In dem Moment hält er mir ein Bild von einer Überwachungskamera ins Gesicht.

    „Das ist Schwester Rose im Putzkittel", erkläre ich schulterzuckend.

    Wo ist er?", verleiht er seinen Worten von zuvor Nachdruck.

    Ich lächle. „Es geht ihm gut."

    „Wo hast du ihn hingebracht, Rose?", fordert er.

    „Das kann ich dir nicht sagen."

    „Kannst du nicht oder willst du es nicht?", hakt er ungeduldig nach. Dabei lässt er seinen Blick über meine Schulter hinweg gleiten, um sich auf die Suche nach Spuren des Verbleibens des Gesuchten zu machen.

    „Beides irgendwie. Adam hat gesagt, er meldet sich bei euch, wenn er so weit ist", antworte ich.

    Verdammt Rose!, flucht Richard haareraufend. „Sag schon, wo mein Bruder ist. Um deinetwillen.

    „Tut mir leid, Richard", weigere ich mich weiterhin.

    Er schüttelt den Kopf. Im nächsten Augenblick zieht er sich etwas aus dem Türrahmen zurück und Cops treten an seine Stelle, von denen mir einer einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase hält, während mich der andere festnimmt, nachdem ziemlich schnell klar war, dass man in meiner winzigen Bude niemanden verstecken kann.

    ********

    Zwei Jahre zuvor

    Juhuuuuuuu!!!"

    Ein Junge aus meiner Schule ist gerade mit seinem Motorrad jauchzend an mir vorbeigezogen und verpasst mir so richtig schön einen Beinaheherzinfarkt. Vor Schreck bin ich sogar vom Weg abgekommen und lande mit meinem Fahrrad direkt im Straßengraben.

    Dieser Angeber.

    Vor Wut brülle ich ihm ein „JA, GIB GAS! DIE WELT BRAUCHT ORGANSPENDER!" hinterher, bevor ich mich hochrapple und mir den Dreck von der Hose klopfe, die total im Eimer ist. Ich hab mir sogar das Knie aufgeschlagen.

    Wunderbar.

    Kann dieser Vollidiot von Möchtegern-Rowdy nicht woanders einen auf Adrenalinjunkie machen? Warum ausgerechnet heute und auf dieser Straße? Müsste er nicht zu Hause sein und … keine Ahnung … Dinge machen, die Jungs in seinem Alter so tun? Mit Mädchen rummachen oder auf seine Playstation einhacken.

    Und sagt mir mal einer, wieso dieser Angeber eigentlich alle Klischees auf einmal erfüllen muss? Reich. Beliebt. Arrogant. Rebell.

    In der Schülerzeitung stand mal, dass er angeblich gesagt hätte, das Wort „Nein würde in seinem Sprachgebrauch nicht existieren. Na dann kommt er hoffentlich nie in den Genuss, meine Kindergartentante kennenzulernen. Bis ich vier war hab ich dort praktisch auf den Namen „Nein gehört. War ja klar, dass sie mir die Schuld in die Schuhe schiebt. So viel dazu, dass das Spielzeug schwer entflammbar ist.

    Die Motoren seiner Maschine heulen erneut abartig laut auf. Unglaublich, dass er denkt, so etwas würde Mädchen imponieren. Naja, so unglaublich ist das auch wieder nicht – immerhin zieht er die Mädels an wie ein Staubsauger Fussel. Bei mir löst das allerdings alles andere als Bewunderung aus – eher so etwas wie ernsthafte Bedenken, ob er mit dem Lebensstil einundzwanzig wird.

    Als ich mich gerade wieder aufs Rad schwingen will, erkenne ich, dass ich einen Platten habe. Toll.

    „GANZ TOLL. DENKST WOHL, NUR, WEIL DU DER BASKETBALL-STAR DER SCHULE BIST, KANNST DU DIR ALLES ERLAUBEN. ABER NUR ZUR INFO: DIE BUNTEN SCHILDER AM RAND DER STRASSE, DIE UNBEACHTET AN DIR VORBEIGEZOGEN SIND, GELTEN AUCH FÜR DICH, mache ich meinem Ärger Luft. „ABER AUF DEINE SPORTLERLEBER WARTEN SIE WAHRSCHEINLICH IM KRANKENHAUS SCHON SEHNLICHST, setze ich gleich noch hinterher.

    Als ob er mich hören könnte. Der ist bald über alle Berge. Außerdem macht das Teil einen Höllenlärm, der schön langsam im Canyon verhallt. Zurück bleiben Emissionen und eine kurzzeitige Ausschüttung von Testosteron, die ihn wahrscheinlich sogar berauscht. Und wofür das alles? Für den kurzzeitigen Nervenkitzel.

    Ich bin immer noch dabei, meinen Frust in mich hinein zu murmeln, da ertönt plötzlich ein abartig lautes Reifenquietschen gefolgt von einem Crash, der mir durch Mark und Bein geht.

    Einige Sekunden brauche ich, um zu realisieren, was hier gerade passiert ist, weil mein Herz so schnell klopft, aber im nächsten Moment funktioniert mein Gehirn wieder so einigermaßen und setzt erste Impulse, die mich dazu bringen, mein Rad fallenzulassen und loszulaufen.

    Wie eine Irre sprinte ich die kurvenreiche Bergstraße hinauf. Es fühlt sich so an, als würde mich ein fremder Körper den Asphalt, der sich in Form einer Schlange ins steile Gelände gefressen hat, entlang tragen, ohne dass ich dabei einen einzigen klaren Gedanken fassen kann.

    Das ändert sich auch nicht, als ich mich der Unfallstelle nähere und das Motorrad sehe – korrigiere: Die qualmenden Überreste dessen, was mal ein Motorrad war – das richtig schlimm aussieht. Eigentlich erkennt man die ursprüngliche Form gar nicht mehr – es hat eher Ähnlichkeit mit einer zerdrückten und achtlos weggeworfenen Blechbüchse.

    Und da ist gerade nur ein Gedanke, der sich durch meine Hirnwindungen schlängelt: Jetzt weiß ich, wieso sie die Dinger „Höllenmaschine" nennen. Ich schüttle den Kopf, um mich von dem Bild der lodernden Flammen, das mich gefangen nimmt, zu befreien.

    „ADAM!", brülle ich in der Hoffnung, er wäre vor dem Crash mit der steilen Felswand, die in einer Haarnadelkurve liegt, abgesprungen.

    Stille.

    Nein. Das ist jetzt nicht wahr. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.

    Mein Atem geht stoßweise. Panisch suche ich die Umgebung nach allem, das Ähnlichkeit mit einem Menschen haben könnte, ab, finde aber nur Schrottteile vor. Ich versuche, mich an die Farbe seiner Motorradkluft zu erinnern, schaffe es aber nicht, mich darauf zu konzentrieren. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt. Wenn sein Anzug schwarz ist, mindert jede Minute, in der ich hier tatenlos rumstehe, die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn finden kann, wenn die Dunkelheit hereinbricht.

    Ich raufe mir die Haare und zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben. Zuerst suche ich hinter den großen, losen Felsbrocken, die sich im Laufe der Zeit von der steilen Felswand gelöst haben und am Straßenrand liegengeblieben sind.

    Nichts.

    Als ich an die Leitplanke herantrete, trifft mich fast der Schlag. Dort unten liegt ein lebloser Körper in der Böschung.

    „ADAM!" Er bewegt sich nicht – wurde wohl vom Motorrad geschleudert und ist hier runtergefallen. Auf einem kleinen Plateau ist er dann zu liegen gekommen. Ein paar Meter weiter und er wär den Abgrund hinuntergestürzt.

    Mir schwant Schlimmes.

    Wie in Trance trete ich über die Absperrung und rutsche das steile Gelände hinab. Immer wieder verliere ich im losen Geröll Halt und schlittere auf dem Po abwärts. Dabei zerkratze ich mir die Arme an den messerscharfen Felsbrocken, die sich unter meinem Körper lösen und in die Schlucht fallen. Ich schlucke schwer und versuche, mich an den herausragenden Wurzeln der Sträucher, die hier wachsen, festzuhalten.

    Bloß nicht runtersehen.

    Im Nu habe ich ihn erreicht. Er liegt auf dem Rücken – regungslos. Würde er nicht der Einzige sein, der in der Gegend so ein Motorrad fährt, würde man ihn gar nicht erkennen – in dem schwarzen Lederanzug und dem abgedunkelten Helm. Es wär einfach nur ein Fremder, dem etwas Schreckliches zugestoßen ist. Das wär so schon schrecklich genug gewesen.

    Bedauerlicherweise sind wir uns nicht fremd.

    „Adam!", flüstere ich eingeschüchtert.

    Stille.

    Okay, Hilfe! Ich muss Hilfe holen – bringt mein Gehirn einen halbwegs brauchbaren Gedanken zustande.

    Mit zitternden Fingern taste ich ihn nach seinem Handy ab, das ich ihm aus der Brusttasche ziehe und den Notruf wähle.

    Irgendwie stammle ich nur zusammenhangloses Zeug, als sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet. Es würde mich wundern, wenn die Frau kapiert hätte, was ich von ihr will, aber mehr ist gerade nicht drin.

    Als sie mich fragt, wie schlimm der Verunglückte verletzt ist, lasse ich das Telefon einfach fallen und knie mich neben Adam.

    Woher soll ich das wissen? „Bin ich Arzt, oder was?", schimpfe ich in Gedanken.

    „Adam", versuche ich es erneut mit kratziger Stimme, die kaum mir zu gehören scheint, doch er gibt kein Lebenszeichen von sich.

    Durch das schwarze Visier seines Helmes kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Sein Körper ist nicht unnatürlich verdreht und er scheint nirgends zu bluten, aber er könnte innere Verletzungen haben. Immerhin ist er tief hinuntergestürzt.

    Okay, keine Panik – beweg dich endlich, tadle ich mich selbst. Du weißt, wie so etwas funktioniert. Ich taste nach seinem Hals, schiebe das Leder weg und fühle seinen Puls. Nichts. Verdammt.

    Ein gequälter Laut entweicht mir. Ich presse die Augen zusammen und wiederhole „Du kannst das" wie ein Mantra, während ich den Erste-Hilfe-Kurs gedanklich abspule, den Verschluss seines Helms öffne und ihn vorsichtig vom Kopf ziehe. Dabei passe ich auf, seinen Kopf so wenig wie möglich zu bewegen.

    Er sieht aus, als würde er schlafen, was mich grad noch mehr mitnimmt. Seinen einst rosigen Wangen ist eine fahle Blässe gewichen. Es ist so, als wäre das Leben aus ihm zurückgewichen. Kunststück: Er hat ja keinen Puls. Obwohl ich das eben kontrolliert habe, lässt mich die Erkenntnis zusammenzucken.

    Er ist tot. In diesem Moment.

    Bei mir hat Schnappatmung eingesetzt. Meine Hände zittern so stark, dass ich sie zu Fäusten ballen muss.

    „JETZT REISS DICH ZUSAMMEN!", brülle ich mich selbst an.

    Mein Kopf ist total leer, als ich beginne, ihn zu reanimieren. Ich zähle nicht mal mit – auch dafür bin ich zu verängstigt, weil sich seine Lippen so kalt anfühlen. Das bringt mich grad dermaßen aus dem Konzept. Außerdem weiß ich beim besten Willen nicht mehr, wie oft man einen Patienten beatmen muss, bevor man die Herzmassage macht. Ich bin sicher, hätte mich vorhin jemand gefragt, hätte ich es noch gewusst – und das ohne großartig überlegen zu müssen. Aber jetzt – jetzt ist alles anders.

    Wie ein Roboter versuche ich einfach, Luft in seine Lunge zu bekommen und mich fest auf seine Brust zu stemmen.

    Ich habe Angst, ihm die Rippen zu brechen oder so fest zu pusten, dass das seine Lungenflügel nicht aushalten könnten. Gerade weiß ich nicht mal mehr, ob das überhaupt die richtige Stelle ist, an der ich drücke.

    Ich hätte besser aufpassen sollen, als uns die Schulkrankenschwester alles erklärt hat. Obwohl ich sicher war, alles kapiert zu haben, zweifle ich gerade an meinem Erinnerungsvermögen, das nur vage und total verschwommen die Szene der Schüler, die um die Übungspuppe herumstehen, preisgibt.

    Plötzlich habe ich Angst, dass sein Herz womöglich schon schlagen könnte und ich mit meinen laienhaften Beatmungsversuchen alles nur noch schlimmer mache. Daher halte ich inne und taste erneut nach seinem Puls.

    Nichts.

    Ich lege sogar mein Ohr auf seine Brust, um ganz sicher zu sein. Auch nichts.

    Erneut beginne ich, sein Herz zu massieren. Ich mache einfach weiter. Was soll ich denn sonst machen? Tränen laufen mir unentwegt über die Wangen, so total überfordert bin ich mit dieser Situation.

    Das dauert alles viel zu lange. Verdammt, wo bleiben denn die Leute, die für sowas ausgebildet sind? Sie haben sicher so ein Elektroschocker-Ding bei sich, das ihn zurückholen kann.

    Mir wird gerade klar, dass es ewig dauern kann, bis sie hier sind. Wir sind hier auf einem Bergpass – mitten im Nirgendwo.

    Ich hätte den Unfallort irgendwie markieren sollen. Ihnen eine genauere Beschreibung geben können oder … ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich hab alles falsch gemacht.

    In regelmäßigen Abständen kontrolliere ich seinen Puls, aber kann nichts spüren. Ich zweifle sogar kurz an mir selbst, ob ich die Stelle vielleicht nicht genau erwischt habe, wo man den Herzschlag fühlen kann. Womöglich lebt er ja noch und durch meine amateurmäßigen Wiederbelebungsversuche bringe ich ihn wahrscheinlich erst recht um.

    Erneut kontrolliere ich den Puls an der anderen Seite seines Halses und am anderen Handgelenk – um ganz sicher zu gehen und mein menschliches Versagen auszuschließen. Da ist nichts, absolut gar nichts. Naja, bis auf meinen Herzschlag, der so stark pocht, dass er für uns zwei schlagen könnte.

    „Adam, komm schon. Hilf mir mal ein bisschen. Mach die Augen auf", ist mein jämmerlicher Versuch, mich selbst zu beruhigen, während ich nur noch am Zittern bin.

    Die Minuten vergehen und ich hab schon keine Kraft mehr, für mich selbst Sauerstoff zu produzieren, geschweige denn für jemanden anderen. Darüber hinaus kündigt ein Pfeifen in meinen Ohren nichts Gutes an. Ist wohl der verzweifelte Versuch meines Körpers mir klarzumachen, dass ich nicht genug Luft für mich selbst übriggelassen habe.

    Ein paar Tiefe Atemzüge sollen mich davor bewahren, umzukippen. Obwohl es jetzt besser geht, fühle ich mich immer noch schwach und ein dumpfes Gefühl macht sich schön langsam in meinem Kopf breit. Ich presse die Augen zusammen, um den Schwindel zu vertreiben, der immer wieder meinen Blick verschwimmen lässt, und mache stoisch weiter.

    Grad bin ich mir überhaupt nicht mehr sicher, ob ich einen Notruf abgegeben habe. Womöglich hab ich mir das nur eingebildet oder sie finden die Stelle nicht nach meiner Wegbeschreibung. Was hab ich überhaupt gesagt? Wie lange ist das her? Ich erinnere mich nicht.

    Erneut entweicht mir ein gequälter Laut, da Adam sich immer noch nicht rührt. Er müsste doch nach Luft schnappen und die Augen aufreißen. Im Film passiert das doch ständig. Die Leute husten kurz und kommen dann wieder zurück. Das ist aber kein Film, sondern die Realität, belehre ich mich selbst eines Besseren.

    Ich kann nicht mehr – will gerade heulend auf seine Brust sinken, weil ich einfach nur unsagbar erschöpft und überfordert bin, da höre ich die Sirenen von weiter Ferne. Zuerst dachte ich, ich hätte es mir eingebildet, aber dann sehe ich die Lichter auf den Bäumen flackern.

    Mir fällt ein Stein vom Herzen, denn ich bin froh, die Verantwortung über sein Leben an jemanden abgeben zu können, der Ahnung hat, was mich gerade echt noch mehr fertigmacht.

    Man sollte doch zuallererst eigentlich froh sein, dass ein Arzt eintrifft, der dem Verletzten hilft. Bin ich echt so egoistisch? Was ist denn bloß los mit mir?

    „HIER. WIR SIND HIER!", brülle ich, nachdem ich knallende Autotüren höre. Woher ich die Kraft für eine halbwegs starke Stimme nehme, weiß ich selbst nicht.

    Am Rand der Böschung über mir tauchen schon Rettungssanitäter auf. Und als hätte mein Körper darauf gewartet, endlich zusammenklappen zu dürfen, wird mir im nächsten Moment auch schon schwarz vor Augen.

    *********

    „Hallo. Hallo. Aufwachen!" Jemand tätschelt mir die Wange, da reiße ich die Augen auf. Es ist einer der Sanitäter. Neben mir hieven sie gerade Adam, den sie auf eine von diesen Bergungsliegen geschnallt haben, die Böschung hoch.

    Es war also kein abartiger Alptraum. So viel dazu.

    „Alles in Ordnung?, fragt mich der junge Mann, den ich auf etwa einundzwanzig schätze. „Bist du hinten auf dem Motorrad gesessen? Seh ich so aus?

    „Ja, ich schüttle energisch den Kopf, „Nein, helfen sie ihm, nicht mir, schnauze ich ihn volle Breitseite an. Okay, ich hab gerade echt keine Nerven mehr. Er runzelt die Stirn, packt aber sogleich mit an.

    Gefühlte zehnmal rutsche ich aus und knalle mit den Knien auf die spitzen Steine, die den Hang säumen, aber es ist mir egal. Irgendwie spür ich grad meinen Körper gar nicht richtig.

    Nur bruchstückhaft bekomme ich mit, dass mich jemand am Ellbogen schnappt, mich in den zweiten Rettungswagen zieht und mich auf einen Sitz drückt.

    Dabei fixiere ich die Lichter der sich drehenden Signalbeleuchtung, die in regelmäßigen Abständen meine Füße beleuchtet und flehe innerlich, ob das nicht doch bitte ein böser Traum sein kann.

    *******

    „Junge Dame? Junge Dame?" Jemand stupst mich am Arm an, was mich hochschießen lässt. Vor mir stehen zwei Officer, die mit ihren Uniformen und den Waffen ganz schön respekteinflößend aussehen. Einer von ihnen ist groß und schlank – der andere eher pummlig. Irgendwie haben sie Ähnlichkeit mit Dick und Doof.

    Aufgebrachte Stimmen lassen mich meinen Blick von den zwei Cops abwenden und mich der Frau zuwenden, die gerade lauthals die Stationsschwester zur Schnecke macht, weil sie wissen will, was mit ihrem Sohn passiert ist.

    Es ist Adams Mum. Sie ist im Elternbeirat und kommt mir manchmal auf dem Schulhof entgegen, wenn sie zu einer der Versammlungen in die Schule kommt. Nicht, dass sie mich jemals beachtet hätte. Ihre Parfumfahne, die mich jedes Mal eingehüllt hat, als sie majestätisch an mir vorbeigestöckelt ist, ist aber anhaften geblieben. Zumindest steigt sie mir jedes Mal in die Nase, wenn ich sie sehe – auch wenn das manchmal aufgrund der zwischen uns herrschenden Distanz und der aktuellen Windrichtung gar nicht möglich ist. Das passiert übrigens gerade. Der süße Duft nach Sandelholz mit dieser Prise Zitrone fühlt sich irgendwie tröstlich an.

    Adams Dad steht neben ihr und versucht, sie zu beruhigen – mit minderem Erfolg wohlgemerkt.

    „Beruhige dich, Eireen", beschwört er sie und blickt um sich. So, als würde er sich für ihren furienreifen Auftritt schämen. Glücklicherweise bemerkt er mich nicht. Er ist schlank, groß gewachsen und hat graues, dichtes Haar. Die Mandelaugen hat Adam auf jeden Fall von ihm geerbt. Das kantige Gesicht mit der schmalen Nase auch.

    Doof deutet auf meine aufgeschlagenen Knie. „Das sollte sich ein Arzt ansehen", ruft er der Stationsschwester zu. Toll. Musste das jetzt sein?

    „Sie hat jegliche ärztliche Hilfe verweigert", verpetzt sie mich volle Breitseite. Mann, hak das doch ab. Tja, das wird wohl immer zwischen uns stehen – ihrem rechthaberischen Blick und den vor der Brust verschränkten Armen zufolge.

    Das ruft natürlich Adams Eltern auf den Plan. Wie auf ein stilles Zeichen hin, wenden sie sich uns zu, blicken zuerst auf die Officer, meine blutigen Knie und dann auf mich. Adams Mum stellt gerade die nötigen Zusammenhänge her, dass wir – entgegen der Stationsschwester – etwas wissen könnten und peilt uns an. So viel dazu. Ihre Aufmerksamkeit ist mir wohl ab jetzt sicher.

    Einer der Cops – Dick – zieht mich in dem Moment in einen kleinen Raum, der stark nach Schwesternzimmer Schrägstrich Kaffeeküche aussieht, während Doof hinter mir durch die Tür schlüpft und sie mit seinem Körper verbarrikadiert, da Adams Mum versucht, hier reinzukommen. Dabei hört man sie von draußen aus schimpfen und die Türklinke scheppern.

    Ich lasse es wehrlos geschehen, da ich mich kaum im Griff habe und wohl auf Führung von außen angewiesen bin.

    Ich bin immer noch voll am Zittern und grad so durcheinander, dass sich mein Kopf komisch anfühlt, als wär darin nichts als ein Vakuum. So gesehen, macht mein Spiegelbild, das ich im Vorbeigehen in einem kleinen, an der Wand hängenden Rahmenspiegel erhasche, die Sache auch nicht gerade besser. Salzige Krusten von getrockneten Tränen ziehen sich über meine Wangen, die bleicher nicht sein könnten. Meine grauen Augen wirken fahl und leblos. Die schmalen Lippen sind aufgerissen und lechzen nach Feuchtigkeit. Braune Strähnen haben sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst und hängen mir ins Gesicht. Ich hab nicht mal mehr die Kraft, meine Hand zu heben und sie mir aus der schweißnassen Stirn zu streichen.

    „Laut den Sanitätern warst du – ich darf doch du sagen – die Erste an der Unglücksstelle, als der Notarztwagen eingetroffen ist", beginnt Dick und erlöst mich von meinem Anblick. Wird das jetzt so etwas wie eine Vernehmung fürs Unfallprotokoll, oder so?

    Mehr als ein Nicken ist nicht drin.

    „Hast du den Unfall gesehen?", will sein Kollege von der Tür aus wissen.

    Ich schüttle den Kopf.

    „Erzähl uns genau, was passiert ist", fordert Dick.

    „Ähm. Ich reibe mir den pochenden Schädel und versuche, mir einen Satz zurechtzulegen, der Sinn ergibt. „Keine Ahnung, er ist den Abhang runtergestürzt.

    Mehr ist wieder nicht drin.

    „War der junge Mann mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs?", will Dick wissen.

    Das ist eine dieser Fangfragen, mit der sie Adam alles in die Schuhe schieben wollen. Die nehmen ihm sicher auch Blut ab, um festzustellen, ob er angetrunken war oder unter Drogeneinfluss stand. Ob es wahr ist, was alle sagen? Dass er in Clubs weißes Zeug schnupft. Ist sicher nur dummes Gerede.

    Dick schnippt mir ins Gesicht, was mich schlagartig aus meinen Gedanken reißt. „Ist er schnell gefahren?", formuliert er die Frage um, so als würde er vermuten, ich hätte sie beim ersten Mal nicht kapiert.

    War er zu schnell? Ich weiß nicht. Schon irgendwie. Kann man mit dem Ding überhaupt langsam fahren? Kippt man da nicht zur Seite? Ist das nicht der Sinn an solchen Höllenmaschinen? Ans Limit zu gehen, meine ich.

    Höllenmaschine … ob Adam es schaffen wird? Was, wenn nicht? Was, wenn das mit dem Elektroschocker-Ding zu spät gekommen ist.

    Erneut schnippt er mit den Fingern. „Hallo? Krieg ich heute noch eine Antwort?", verlangt er gelangweilt.

    „Ich weiß es nicht.

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