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Der Sandmann kann mich mal
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eBook451 Seiten6 Stunden

Der Sandmann kann mich mal

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Über dieses E-Book

Selbstbewusste Lebenskünstlerin, die ihr Herz auf der Zunge trägt, trifft auf personifizierten Egozentriker. Und beide haben sie, was der jeweils andere braucht. Die Frage ist, wie arrangieren sich zwei Menschen, die das Schicksal zwar zusammengeführt, aber die unterschiedlicher nicht sein könnten?

Ruby – fünfundzwanzig – Lebenskünstlerin, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Der notorische Pleitegeier hat die Supermarktkasse ein für alle Mal satt. Eins ist klar, ein anderer Job muss her.
Wie durch einen Wink des Schicksals, ergattert sie eine Stelle als Assistentin in einer Kanzlei. Der Haken an der Sache: Ihr Boss geht dem Quacksalber-Gewerbe nach. Als so eine Art Wunderheiler soll sie ihm bei seinen Hausbesuchen zur Hand gehen und die Kanzlei in seiner Abwesenheit schmeißen.
Zu dumm nur, dass sie absolut nichts mit Wünschelruten-Scharlatanen aller Art am Hut hat. Für sie ist das Geld-aus-der-Tasche-Ziehen, aber solange die Kohle in Form von Gehalt in ihre Brieftasche fließt, soll es ihr recht sein.
Ruby entpuppt sich – zumindest wenn es nach ihrem Boss geht – als relativ ungeeignet für den Job, aber bis geeigneter Ersatz für sie gefunden ist, müssen sich die beiden wohl oder übel arrangieren. Denn ihr Boss hat ziemlich genaue Vorstellungen von seiner Assistentin, die kaum jemand erfüllt, aber mangels Alternativen ist er auf sie angewiesen so wie sie auf seine kleinen, grünen Scheinchen.
Was tut man nicht alles für einen unterdurchschnittlich bezahlten Job, bei dem man überdurchschnittlich oft mit seinem Boss aneinandergerät, dass die Funken fliegen.
Sie hält ihn für einen nymphomanischen Egozentriker. Für ihn ist Ruby eine Prinzessin auf der Erbse mit Menstruationshintergrund, die um keinen spitzen Kommentar verlegen ist.
Doch was Ruby verschwiegen hat: Es gibt einen Grund, warum sie sich in keinem Job lange hält. Eine mysteriöse Krankheit, die sie vor aller Welt zu verbergen versucht, sucht sie heim. Natürlich kommt schon bald alles ans Licht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Dez. 2014
ISBN9783738003161
Der Sandmann kann mich mal

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    Buchvorschau

    Der Sandmann kann mich mal - Marie Lu Pera

    12 Monate, 10 Stunden, 2 Minuten

    „Siebenundsiebzig Dollar und dreißig Cent, legt der pummelige Bankbeamte mit der Pünktchen-Krawatte mein „Vermögen offen.

    Das kann nicht stimmen", pruste ich.

    „Nein, warten Sie, wendet er ein. „Tatsächlich, ich habe mich in der Zeile geirrt. Es sind nur siebzig Dollar und dreißig Cent, nach Spesen und Bearbeitungsgebühren.

    „Ja, das klingt schon eher nach mir", spotte ich.

    Er fand das weniger komisch, rückt sich die Brille zurecht, räuspert sich und notiert etwas, das ich nicht erkennen kann.

    „Haben Sie denn noch andere Besitztümer, die den Wert Ihres Kontostandes übersteigen?", hakt er nach.

    „Definieren Sie ‚Besitztümer‘", fordere ich.

    „Immobilien, Oldtimer, Goldbarren", zählt er genervt auf.

    „Oh, ich würd ja sagen, ich hab ein Haus, ein Äffchen und ein Pferd, aber Sie sind es ja gewohnt, angelogen zu werden, also bleiben wir doch bei der Ironie.

    Nun zu meiner ultimativen Geschäftsidee. Halten Sie sich fest. Ich bin dafür, dass Alkohol nur noch mit Kindersicherungsverschlüssen verkauft wird. Wer zu besoffen ist, kriegt die Flasche nicht auf. Ich warte nur noch auf den Nobelpreis, dann starte ich voll durch." Hey, das war ein Scherz. Brauchst gar nicht so böse zu kucken.

    „Haben Sie einen Job oder so etwas in der Art?", deckt er gleich zu Beginn des Verhörs meinen Schwachpunkt auf.

    „Oder so etwas in der Art", antworte ich.

    Der Beamte räuspert sich erneut. „Wir sind also zurzeit beschäftigungslos", schlussfolgert er.

    „Jetzt gehen Sie aber hart mit sich ins Gericht", bemerke ich.

    Bevor er an die Decke gehen kann, wende ich ein: „Oh, ich bin vielbeschäftigt. Ich versuche, mich ausgiebig der Betreuung eines Zengartens hinzugeben und hab ’ne Garnelenzucht. Ja, ich weiß, ist viel Verantwortung, aber ich mach mir deswegen keinen Stress."

    „Miss Brown, ich bezweifle, dass Sie überhaupt imstande sind, die Hypothek zu tilgen, die bereits auf Ihren Namen läuft, geschweige denn dazu kommen, noch in diesem Leben einen weiteren Kredit abzustottern."

    „Dann freu ich mich jetzt schon drauf, Sie in sechzig Jahren überraschen zu können", kommt es über meine Lippen, bevor ich es aufhalten kann.

    Wir bewegen uns wohl in Sachen Humor auf verschiedenen Bewusstseinsebenen, was mir sein Gesichtsausdruck verrät, der eher in Richtung Bis-zur-Schmerzgrenze-gekünsteltes-Lächeln geht.

    Dabei lässt er seinen Blick ziemlich offensichtlich über meine Klamotten gleiten. Wohl undercover für die Fashionpolizei unterwegs. Gut, der Fummel ist von der Stange, aber da sehen wir doch mal großzügig darüber hinweg.

    „Die Antwort lautet nein, Miss Brown", stellt er resümierend fest.

    „Auf dem Schild vor der Tür steht: ‚Sie haben den Traum – wir machens möglich‘", argumentiere ich.

    „Im Kleingedruckten steht: ‚Bei ausreichenden Sicherheiten der Schuldner‘", klärt er mich auf.

    „Das heißt also, da sollte eigentlich stehen: ‚Sie haben den Traum – wir haben jederzeit die Macht, ihn platzen zu lassen – je nachdem wies um Ihre Besitztümer steht‘."

    „Ich kann Ihnen gerne eine Ansprechperson in der Marketingabteilung nennen, bei der Sie sich beschweren können", stellt er emotionslos fest.

    „Leihen die mir Geld?", will ich wissen.

    „Nein."

    „Wobei wir wieder am Anfang stehen", fasse ich dieses zermürbende Gespräch zusammen.

    „Vielleicht probieren Sie es bei einem anderen Bankinstitut", versucht er mich abzuwimmeln.

    „Ich dachte, Sie wären mein persönlicher Finanzberater und das ‚in allen Lebenslagen‘ – steht zumindest auf Ihrer Visitenkarte. Gibt’s da auch Kleingedrucktes?", hinterfrage ich seine Worte.

    „Natürlich nicht. Ich empfehle Ihnen, keinen weiteren Kredit mehr aufzunehmen."

    Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?", pruste ich.

    „Auf der Seite derjenigen, die das Kleingedruckte erfüllen."

    Meinen theatralischen Kommentar: „Das sagen Sie mir jetzt – nach all den Jahren", hat er mir übel genommen und mich danach rausgeschmissen.

    Ich glaube, ich hab grad Geschichte geschrieben. Als erster Mensch, der ohne Kuli aus einer Bank rauskommt.

    So viel zum Plan, mein notorisches Pleite-Dasein zu beenden.

    Ich atme erst mal tief durch, als ich die Tür zu meiner WG aufschließe und mir erschöpft über den Nacken reibe.

    Linda, meine Mitbewohnerin, Marke ziemlich ausgeflippte Hippie-Braut, fängt mich bereits im Flur ab und mustert mich angestrengt am Türrahmen lehnend.

    Sie pflegt den alternativen Lebensstil, zumindest wenn man von den Öko-Tretern auf ihre Persönlichkeit schließen kann.

    Ihre blonde Naturwelle hat sie aber in einem strengen Dutt gebändigt, aus dem immer mal wieder widerspenstige Strähnen Ausbruchsversuche unternehmen, die sie mit vehementen Vergeltungsschlägen – unter Zuhilfenahme von ’ner Ladung Haarspray – im Keim erstickt, was ihr Naturell eines chilligen Kontrollfreaks unterstreicht.

    Ihre kompostierbaren Bio-Klamotten, die je nach Lage in der Waschmaschine von ihrer Passform in trockenem Zustand abweichen können, gehören zu den wenigen Dingen, die sie nicht im Griff hat.

    Irgendwie ist sie ein Typ der krassen Gegensätze. Streichelzart wie ein Kätzchen, aber ’ne Klappe wie ein ausgewachsener Brüllaffe.

    „Bist du vor den Weight Watchers geflüchtet oder den Bullen, weil du so aus der Puste bist? Wenn es Ersteres ist, gib mir ’ne Minute, damit ich unsere Waage im Klo versenken kann", erklärt sie – charmant, wie sie ist.

    Ihr „Apropos, wie wars auf der Bank?" lässt wieder gruslige Erinnerungen in mir hochkommen, bevor ich meine Tasche neben die Garderobe knalle, ins Wohnzimmer stapfe und mich auf die Couch fallenlasse.

    „Ich hatte schon bessere Gespräche – mit ’ner Kaktusse."

    „Das heißt Kakteen", korrigiert sie mich und lässt sich neben mir nieder.

    „Ich meinte dich", stelle ich klar.

    „Falls du Zerstreuung suchst, unsere Hanf-Plantage sieht aus, als ob sie einen Tropfen vertragen könnte", richtet sie mein Augenmerk auf die Zimmerpflanzen, die schon knusprig wachsen.

    „Quatsch, die simulieren nur."

    „Dann gönn ich mir einen edlen Tropfen", erklärt sie und benetzt ihre Kontaktlinsen mit einem dieser Plastikfläschchen, wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob da nicht was Hochprozentiges drin ist.

    „Er hat mich beschäftigungslos beschimpft und dann mit mir Schluss gemacht. Das muss man sich mal vorstellen", bringe ich sie auf den neuesten Stand der Realität, die mir wieder mal ins Leben pfuscht.

    „Und ich denk noch: ‚Das muss Liebe sein‘, so wie er dich auf dem Prospekt angesehen hat", spottet sie. „Dazu dein verträumter Gesichtsausdruck mit diesem Hauch: ‚Dich knack ich auch noch‘. Herrlich", kommt sie aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.

    „Ich beginne, eine innere Abneigung gegen Marketing in jeglicher Form zu entwickeln."

    „Und ich sag noch, zieh die Lederstiefeletten an und hol ihn aus seiner Finanzblase", wendet sie ein.

    „Sieht so aus, als wär ich jetzt wieder zu haben – kreditinstitutstechnisch gesehen", verlautbare ich.

    „Naja, passt dann wenigstens zu deinem Beziehungsstatus. Hättest du Freunde, würd sich sogar ein Facebook-Eintrag lohnen", erwidert sie schulterzuckend.

    Hab ich schon erwähnt, dass Linda so eine Gabe hat, dich mit der schonungslosen Realität immer weiter runterzuziehen. Krankerweise hab ich die verrückte Schmonzette trotzdem liebgewonnen, was mich wohl zu einem Sadisten macht.

    „Und was hast du jetzt vor?", wühlt sie weiter in meinem Kram rum.

    „Scheiße, keine Ahnung. Ich dachte, ich komm bei Elitepartner rein, aber die nehmen da nur Singles mit Niveau."

    „Wegen dem Geld, mein ich", stellt sie klar.

    „Erkennst du denn die direkte Abhängigkeit nicht?", stoße ich mürrisch aus.

    „Du brauchst keinen Mann, um unglücklich zu sein. Das kriegst du auch so hin."

    „Ich weiß auch nicht. Wenn ich gewusst hätte, wie sich das Leben später entwickelt, wär ich im Sandkasten sitzen geblieben. Naja, vielleicht mach ich ein freiwilliges asoziales Jahr oder kauf mir doch ’nen Krabbenkutter und steig bei Greenpeace als Walattrappe ein."

    „Egal was du vorhast, ich steh neben mir. Obwohl, du und ein Deck schrubben, neeeee. Erzähl. Wie wars im Krankenhaus?", will sie wissen und schafft es erneut, meine Stimmung, die bereits auf dem Tiefpunkt angelangt war, zu senken.

    Das hatte ich schon fast vergessen. Da war ich, bevor ich zur Bank bin. Heute ist nämlich Tag der beschissenen Termine. Muss ja schließlich auch mal sein.

    „Parkinson ist es nicht", antworte ich.

    „Das ist doch gut, oder?", mutmaßt sie.

    „Naja, ich dachte auch immer, Humor wär etwas Gutartiges, antworte ich schulterzuckend. „Zumindest bis ich dich getroffen habe.

    „Was ist ihre nächste Vermutung?", will Linda wissen.

    „Creutzfeldt-Jakob."

    „Was ist das?", hakt sie nach.

    „Keine Ahnung, aber er geht mir jetzt schon auf den Sack."

    „Wie stellt man das fest?"

    „Gar nicht, ich bin raus", verkünde ich niedergeschlagen.

    „Wie meinst du das, du bist raus?", hinterfragt sie meine Worte.

    „Das ist eine Metapher aus dem Glücksspieljargon. Man benutzt sie kurz bevor man die Karten auf den Tisch feuert, um auf das Scheitern eines Bluffs hinzuweisen oder in meinem Fall: Du kennst doch diese kleinen, grünen Scheinchen mit den toten Präsidenten drauf, die man einwerfen muss, damit Untersuchungen rauskommen. Krebs, Gehirntumor, Multiple Sklerose, Demenz und Parkinson haben meinen Geldspeicher ganz schön geleert.

    Was soll ich sagen, nachdem Dagobert Duck, der Penner, alles bei Mister Green verzockt hat, geht Creutzfeldt-Jakob leer aus."

    „Aber, will Linda schon protestieren, da unterbreche ich sie mit den Worten: „Hör zu, Linda. In den letzten zwei Jahren hab ich praktisch im Krankenhaus gewohnt. Die haben mir Körperflüssigkeiten abgezapft, von deren Existenz ich nicht mal wusste. Die kriegens einfach nicht raus, was mir fehlt. Vielleicht muss ich mich endlich damit abfinden, dass ich … „Wage es nicht, das laut auszusprechen, herrscht sie mich an. „Du wirst doch nicht so kurz vorm Ziel aufgeben. Naja, du hast doch jetzt diesen neuen Arzt. Wie hieß der noch mal?

    „Nein, der ist auch schon abgesprungen. Doktor Turner hat letzten Monat das Stethoskop geworfen und jetzt haben sie mir so einen jungen Musterschüler-Universitätsabgänger untergejubelt, der mich schon stresst, da hat er noch nicht mal das Zimmer betreten.

    Kennst du das, wenn man einen Hund mit dem Wort ‚Spazieren‘ anlockt und dann nicht mit ihm rausgeht? Das ist er."

    „Vielleicht ist er Scheidungskind, dann darf er das", mutmaßt Linda.

    „Wo ist eigentlich Doktor House, wenn man ihn braucht? Vielleicht hat der ja eine Idee. Ob der bloß twittert?"

    Linda seufzt laut auf. „Ich weiß genau, was du jetzt brauchst."

    „Mach keinen Scheiß, Linda. Sei ehrlich, wie gut kennst du mich mittlerweile?"

    „Sagen wir mal so, ich würde von einem obszönen Anruf von dir nicht empört sein. Aber genug der sexuellen Gefälligkeiten. Hör zu Ruby, dreh jetzt nicht durch, aber ich hab da kürzlich so eine Zeitungsannonce gesehen und vielleicht hab ich dort angerufen."

    „Oh, oh. Ich ahne Schlimmes", raune ich.

    „Jetzt lass mich doch erst mal ausreden. Das ist so ein Typ, der dir die Hand auflegt – ein Wunderheiler sozusagen – aber für Paranormales. Meine Fresse. „Da stand, er hat schon hunderten Opfern geholfen, bei denen die Schulmedizin versagt hat. Das ist doch als hätten die dir aus der Seele gesprochen. Das nennt man Marketing. Ich hasse Marketing.

    „Stand da auch, ob die nachher noch alle Organe hatten?", will ich wissen.

    „Jetzt geh doch nicht immer vom Schlimmsten aus", wirft sie mir vor.

    Ich schüttle genervt den Kopf. „Das sind Quacksalber, die dir das Geld aus der Socke ziehen. Glaub doch nicht immer alles, was in der Zeitung steht, raune ich. „Das ist ein Rückfall, oder? Ich dachte, du hättest die Zeitungsannoncen-Obsession bereits überwunden. Darf ich dich in diesem Zusammenhang an meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag erinnern.

    „Jetzt wirfst du mir das immer noch vor – nach all den Jahren", prustet sie entrüstet.

    „Das war letztes Jahr", informiere ich sie.

    „Der Tippfehler in der Einladung an meine Freunde – du hast ja keine eigenen – war ein Versehen. Wie oft soll ich dich noch anlügen?"

    „Da stand: ‚Es wird Tote geben‘", mache ich sie aufmerksam.

    „Dafür waren doch jede Menge Leute da", redet sie sich raus.

    „Eigentlich ist nur der Stripper gekommen, den du aus ’ner Annonce hattest."

    „Okay, ich gebe zu, der war ein Griff ins Klo", gesteht Linda.

    „Der war achtzig. Wir haben ihn bezahlt, damit er die Klamotten anbehält", rufe ich ihr die Szenen ins Gedächtnis, die mich heute noch schweißgebadet aufwachen lassen.

    „Der hatte aber gute Tipps. Sex ist gesund und verlängert das Leben – zum Beispiel."

    „Schon, aber du musstest ja unbedingt: ‚Dann komm und mach mich unsterblich‘ brüllen."

    „Hey, aber die Wahrsagerin war doch ganz unterhaltsam."

    „Du meinst die, die unseren Fernseher mitgehen hat lassen und von mir verlangt hat, ich solle ihr meinen Astralkörper zeigen. Ich weiß immer noch nicht, ob sie mich bloß anmachen oder in meiner Aura rumstochern wollte."

    „Naja, überall gibt’s ‘ne Dunkelziffer. Aber die Annonce ist seriös – das hab ich im Uterus. Igitt. „Da stand, man bezahlt nur bei erfolgreicher Heilung. Ja, umarmen und küssen kannst du mich später, aber fass bloß nicht meine Haare an. Beeil dich lieber, sonst kommst du noch zu spät zu dem Termin.

    Ich raufe mir die kurzen, braunen Locken. „Ich hab schon einen Termin? Sag mir, dass das nicht wahr ist", taste ich an.

    „Das war so ein Zufall. Heute ist jemand ausgefallen und der Typ konnte dich dazwischenschieben. Normalerweise muss man töten, um bei ihm so schnell einen Termin zu bekommen. Wenn das kein Wink des Schicksals ist, weiß ich auch nicht mehr", erklärt sie freudestrahlend. Und das Schlimmste ist, sie glaubt den Scheiß auch noch.

    Was für ein „Zufall". Ich fass es nicht, dass sie auf die älteste Masche der Welt reinfällt. „Um vier Uhr bei Starbucks an der Sechzigsten", ergänzt sie.

    Bei Starbucks?", krächze ich.

    „Ja, das war meine Idee. Dort ist um die Zeit immer der Teufel los, also bist du sicher, falls er sich doch als Grapscher, Serienkiller oder einer meiner zahlreichen Exfreunde, die mich durch dich zurückgewinnen wollen, herausstellen sollte.

    Außerdem könnt ihr gleich einen Kaffee trinken, falls er süß ist oder Dagobert Duck. Siehst du, ich hab an alles gedacht."

    Wieso keimt in mir das Bedürfnis auf, ein vollkommen überzeichnetes „Hhhhh auszustoßen? „Ich geh da nicht hin, da kannst du dich auf den Kopf stellen, verlautbare ich fuchsteufelswild.

    „Oh doch, das wirst du. Du hast selbst gesagt, die kriegen nicht raus, was dir fehlt. Das waren deine Worte."

    „Seit wann hörst du zu?", motze ich.

    „Gib doch den Quacksalbern auch mal eine Chance. Was hast du zu verlieren?"

    „Weiß nicht? Selbstbeherrschung, überlebenswichtige Teile meines Körpers, meine psychische Unversehrtheit", zähle ich auf.

    „Deine Jungfräulichkeit, ergänzt sie. „Ich werde für dich beten. Ich könnt grad aus der Haut fahren – okay, blöder Spruch.

    „Ich kann mir ja deine leihen. Oh, warte – futsch, verlautbare ich mürrisch, da setzt sie diesen Blick auf, den ich nur allzu gut kenne. Es ist dieses „Boah, diskutier nicht! Mach?!-Gesicht, das mich zu den Worten: „Du wirst nicht lockerlassen, oder?" treibt.

    Ich fasse es nicht, dass sie mich, unter Androhung diverser Gräueltaten, die eine Einschaltung in einer einschlägigen Single-Börse für schwer Vermittelbare beinhaltet, dazu genötigt hat, mich mit diesem Dilettanten zu treffen.

    Ist ja nicht so, dass ich mir nicht gerade wie eine vollkommene Bekloppte vorkomme, hier mit einer quietschgelben Plastiktüte mit der Aufschrift: „Rettet den Planeten, bevor er sich selbst rettet" rumzusitzen, mit der mich der Typ erkennen soll.

    Das war meine Idee", ahme ich die Stimme meiner Mitbewohnerin in meinen Gedanken nach.

    Ich meine, Halloooooo, wer druckt denn so einen Spruch auf Plastik? Ist ja auch egal. Ich bin erst alarmiert, wenn sie Tiere in Paaren auf Schiffe laden.

    Erinnere mich daran, das Zeitungsabo zu kündigen. Menschen wie Linda sollte der Zugang zu Printmedien verwehrt werden.

    Das Internetkabel kappe ich auch sicherheitshalber – man weiß ja nie. Womöglich hat sie für mich schon eine Haustier-Homepage angelegt, von der ich bis jetzt nichts wusste. Und bei meinem Glück hab ich da schon jemanden kennengelernt.

    Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass er schon eine Minute zu spät dran ist, was mich von meinem Platz förmlich aufspringen lässt. Tja, so ein Pech aber auch.

    Ich bin froh, aus dem Laden raus zu sein. Das sind definitiv zu viele, auf engstem Raum eingepferchte, hyperaktiv lechzende Koffeinjunkies.

    Naja, ich hab zwar nichts konsumiert, aber Starbucks ist jetzt um eine quietschgelbe Plastiktüte, die die Welt retten wird, reicher.

    Ein „Verzeihung", das jemand hinter mir gerufen hat, stoppt mich bei dem Versuch, mich vor dem Termin, der mir jetzt schon peinlich ist, zu drücken.

    Dass der Plan wohl gescheitert ist, verrät mir der Typ, den ich auf Ende vierzig schätze, der mir gänzlich unbekannt ist und bereits in freudiger Erwartung, mich zu quacksalben, auf mich zukommt. Erinnere mich daran, Linda zu lynchen.

    Er hat leicht ergrautes Haar, einen farblich dazu passenden Vollbart und diese George-Clooney-Fresse, die ich so sehr verabscheue.

    Die Tatsache, dass er gerade ein „Wir hatten telefoniert" ausgestoßen hat, erhärtet den Verdacht noch, dass es sich bei dem Kerl, der augenscheinlich ein Geistlicher ist, da er einen schwarzen Anzug mit diesem weißen Kragen-Dings trägt, um meinen paranormalen Quacksalber handelt.

    Ich klammere mich noch an den Gedanken, es könnte sich doch um einen von Lindas Exfreunden handeln, der nach ihr die Schnauze gewaltig voll hatte, tue das aber als letzten Akt der Verzweiflung ab.

    Kleiner Nachtrag: Erinnere mich daran, Linda zu verkloppen, bevor ich sie lynche, weil sie mich an einen Pater vermittelt und sich scheinbar als ich selbst ausgegeben hat.

    Womöglich kennt er bereits unsere Adresse, ist ein Soziopath, der vorher im Kostümverleih war und schon geistig die Schlachtmesser wetzt. Okay, ich sollte mir nicht so viele Horrorstreifen reinziehen – das schlägt aufs Gemüt.

    Meine Fresse, in was hat mich Linda da nur reingeritten? Und das Beste ist, er sieht total nett aus, so wie er mich hier offenherzig anlächelt, als könnte ich ihm alles anvertrauen. Er hat sogar Rehaugen, die einen zum verträumten Seufzen animieren. Das volle Programm also.

    Er streckt mir die Hand hin und stellt sich als „Pater Andrew" vor.

    „Ruby", rutscht mir mein echter Vorname raus.

    „Schön Sie kennenzulernen, Ruby." Das Wort „Vertrauenserweckend" trifft voll und ganz auf ihn zu.

    Ich habe sofort das Gefühl, mich in seiner Gegenwart sündiger Gedanken schuldig gemacht zu haben. Vielleicht schwatzt er mir ja gleich ’ne Beichte auf – oder das Pfarrblatt-Abo. Solche Leute sind mir echt nicht geheuer.

    Sicherheitshalber sehe ich davon ab, ihm die Hand zu schütteln. Nur für den Fall, dass er gleich eine Spritze zückt, um mich außer Gefecht zu setzen, damit ich heut Abend bei seiner schwarzen Messe die Hauptrolle spiele, bevor er sich meine Milz unter den Nagel reißt. Okay, ich sollte das abartige Kopfkino mal abstellen.

    Das muss ich einfach nachprüfen. „Ziehen Sie Ihr Jackett aus", verlange ich. Erst jetzt merke ich, wie abartig das geklungen hat.

    Er runzelt die Stirn und erwidert: „Wie bitte?" Dabei lächelt er irritiert. Er glaubt wohl, er hat sich verhört.

    „Machen Sie schon oder haben sie was zu verbergen?", stresse ich ihn. Okay, auch das hat jetzt irgendwie komisch geklungen.

    Ihm ist das absolut nicht geheuer. Das Unbehagen steht ihm ins Gesicht geschrieben, aber er knöpft sich in nächsten Augenblick die Jacke auf und streift sie sich über die Schultern.

    In dem Moment trete ich an ihn heran, umrunde ihn und klappe seinen Hemdkragen zurück. Flink kralle ich mir das Teil und prüfe die Innenseite des Saums und den Kragen.

    Er räuspert sich lautstark und dreht sich ertappt um, als ich ihn nach Waffen abtaste. Ich hab ihn jetzt nicht wirklich angegrapscht. So viel zum sündigen Verhalten.

    Ich rücke sein Jackett zurecht, klopfe ihm auf die Schulter und komme zu dem Schluss: „Sie sind sauber." Auch das könnte man durchaus anders auslegen – seinem Gesichtsausdruck zufolge.

    „Jetzt sehen Sie mich nicht so an, verteidige ich mich. „Ich wollte bloß nachsehen, ob da das Emblem eines Kostümverleihs drauf ist. Man weiß ja nie. Meine Fresse, ich bin echt einem Pater an die Wäsche gegangen. Bist du noch zu retten, Ruby?

    In seinen Zügen macht sich Erleichterung breit. Ich glaube, er hat grad totalen Schiss vor mir. „Ich habe auch einen offiziellen Ausweis, informiert er mich. Ach so. „Hier. Er hält mir seinen Personalausweis hin, der ziemlich echt aussieht.

    „Ausweise kann man fälschen, aber die Garderobe lügt niemals", entgegne ich selbstsicher. Er lächelt verschmitzt.

    „Keine Angst, ich will Ihnen nichts Böses, Ruby", beschwichtigt er.

    „Das haben die von der Grillkäsewerbung auch gesagt. Wo uns das hingeführt hat, wissen wir ja, kontere ich. „Der verursacht böse Schwellungen in der Hüftgegend. Übel sowas.

    Er schmunzelt und schüttelt leicht den Kopf. „Wollen wir?", fordert er mich mit einer galanten Armbewegung auf, ihn irgendwohin zu begleiten.

    „Wo wollen wir denn hin?", will ich wissen.

    „Na, Sie suchen doch einen Job, erklärt er. Wie viel hat Linda eigentlich über mich am Telefon ausgeplaudert? „Ich habe da genau das Richtige für Sie.

    „Moment mal, halte ich ihn zurück. „Sie wollen mich also nicht, … ich meine … anfassen? Mann, wie das klingt.

    Sein Blick spricht Bände, so überfordert ist er mit der Frage. Er räuspert sich und meint: „Nein, ähm … wieso jetzt?"

    „Naja, Sie machen doch dieses Ding mit Ihren Händen. Ich dachte, darum geht es. Ich meine, nicht dass ich da sonderlich scharf drauf wäre." Okay, ich labere.

    Pater Andrew scheint angestrengt zu überlegen. „Ah", trifft ihn die Erkenntnis. „Ein andermal vielleicht. Wollen wir?", wiederholt er beinahe krächzend und ignoriert meinen Einwand.

    In einem unbemerkten Moment – dachte er zumindest – lockert er seinen Kragen, was mir nicht verborgen blieb. Grinsend trotte ich neben ihm her.

    Ich frage mich, warum er sich so anstellt. Das Handauflegen ist doch Teil seiner Dienstleistung. Wie verklemmt kann man eigentlich sein? Naja, egal. Einen Job brauch ich sowieso dringender als alles andere.

    Da muss ich doch gleich mal nachfragen: „Was ist denn das für ein Job?"

    „Ein Geschäftspartner von mir sucht eine persönliche Assistentin. Ihre Referenzen sind hervorragend. Ich bin sicher, Sie haben gute Chancen." Mann, hat Linda jetzt auch noch meinen Lebenslauf mitgeschickt, oder was? Nein, unrealistisch. Es sei denn, sie hat ihn vorher noch aufgemotzt.

    Auf den Verdacht hin, dass mir die Antwort nicht gefällt. „In welcher Branche ist Ihr Partner denn tätig?", hake ich nach, während ich ihm hinterherlaufe.

    Immerhin will ich noch vorher die Gelegenheit haben abzuhauen, wenn er gleich die Worte Prostitution, Massageclub, Einfriedung oder IT-Branche in den Mund nimmt.

    Er stoppt und wendet sich mir zu. „Er ist so eine Art Arzt." Oh, oh – meine Alarmglocken läuten.

    „Wie kann man denn ‚so eine Art‘ Arzt sein? Ist er es oder nicht?", hinterfrage ich seine Worte.

    „Sagen wir mal so, er macht nur Hausbesuche und hilft, wo er kann", trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.

    „Ist er auch so ein Quacksalber wie Sie?", musste an der Stelle einfach mal gefragt werden. Wow, auch das war unbeabsichtigt frech. Ist mir mal eben rausgerutscht.

    Mit zuckenden Schultern lächle ich ihm scheu zu, als sich der Pater mir ziemlich vor den Kopf gestoßen zuwendet.

    „Ich bin sehr gespannt, wie er auf Sie reagieren wird, sagt er mehr zu sich selbst als zu mir. „Und Sie auf ihn, ergänzt er.

    „Wegen meiner großen Klappe?", mutmaße ich.

    „Ja, auch deswegen", erwidert er.

    „Moment, halte ich ihn zurück. „Wie viel springt für mich dabei raus?

    „Wie bitte?"

    „Naja, Kohle, Bares, Mücken, Moos, Schotter, Knete, Piepen, Kröten, Kies, Zaster, grüne Scheinchen. Ich muss doch wissen, ob es sich auszahlt, Ihnen hinterherzudackeln", kläre ich ihn auf.

    „Ich bin sicher, er wird Sie überaus großzügig entlohnen, wenn Sie ihm gute Dienste leisten", sagt er doch tatsächlich.

    „Ihr Geschäftspartner ist doch keiner von diesen Perversen, die ein Mädchen wie mich in so knappe Servieroutfits mit nichts drunter stecken, nur um ihre kranken Phantasien auszuleben. Dann kann ich da nämlich nicht nüchtern hin." Bäh, ich hasse kellnern.

    „Nein, ähm … mein Freund ist äußerst … seriös. Erneut räuspert er sich. „In allen Belangen, ergänzt er.

    „Wo ist der Haken?, frage ich ihn. „Und wozu das Räuspern? Sie verbergen was. Wenn Sie mich anlügen, fahren Sie zur Hölle.

    Er sieht ertappt aus. „Naja, Sie müssten auch nachts auf Bereitschaftsdienst sein, da manche Mandanten meines Geschäftspartners auch noch zu später Stunde seine Hilfe in Anspruch nehmen", gibt er zu.

    „Kein Problem. Ich bin eine Nachteule. Warten Sie mal. Mandanten? Sollten Sie nicht seine Patienten sein. Oder ist er jetzt auch noch ‚so eine Art‘ Anwalt, denn dann mach ich auf dem Absatz kehrt. Die sind doch alle gleich. Nehmen vor dem ersten Date schon Einsicht ins Vorstrafenregister, verwenden immer alles gegen dich, was du sagst und rufen ‚Einspruch‘, wenn sie mit der Stellung nicht zufrieden sind, knalle ich ihm ein paar Stereotypen hin. „Da war ich selbst schon Ohrenzeuge, ergänze ich.

    „Haben Sie denn Vorstrafen?", schlussfolgert er aus meiner Aussage. Verdammt, das war wohl ein Eigentor.

    „Nichts Erwähnenswertes. Außer Blasphemie, unsittliche Berührungen von Staatsbediensteten, Exhibitionismus. Er zieht die Augenbrauen hoch, da ergänze ich: „Das war ein Scherz. Das ist nur die Liste, die ich mir vorgenommen habe. Ein Mädchen braucht schließlich Ziele. Und Sie?

    „Ähm nein", antwortet er. Er hat wohl in seinem Leben noch nichts zustande gebracht.

    Er lächelt gekünstelt. „Um auf Ihre Frage zurückzukommen. Nein, mein Geschäftspartner mag die Bezeichnung ‚Patienten‘ einfach nicht sehr gerne."

    „Exzentriker also – ich wusste es, das ist der Haken", murmle ich.

    Der Pater lächelt und läuft weiter. „Sein Büro ist hier ganz in der Nähe, wir sind gleich da."

    „Ich hab Pfefferspray dabei und ’ne Kanone. Meine Freundin wird die Bullen rufen, wenn ich mich nicht in regelmäßigen Abständen melde. Außerdem hab ich Quetschnieren, ‘ne Raucherlunge, ‘ne Fettleber und ‘nen Klappenfehler, informiere ich ihn. „Okay, das mit der Kanone war gelogen, gebe ich zu.

    Er bleibt abrupt stehen und runzelt die Stirn, da beruhige ich ihn: „Wollts nur mal gesagt haben. Für den Fall, dass Sie mir ans Eingemachte wollen."

    Auch das lässt er unkommentiert, bevor er weiterläuft. An einem ziemlich in die Jahre gekommenen Bürogebäude hält er mir galant die Tür auf.

    „Ah, ein Gentleman der alten Schule, bemerke ich wohlwollend. „Sie sind echt ein Netter, aber ich nehm dann doch lieber das Arschloch.

    „Sie vertrauen mir immer noch nicht, Ruby", stellt er belustigt fest und schlüpft als Erstes hindurch.

    „Hey, ich bin eine Frau. Da ist es vollkommen normal, dass ich in der Minute 350 Gefühle durchlebe, knalle ich ihm ebenso amüsiert hin. „Vertrauen war aber grad leider nicht dabei. Naja, vielleicht beim nächsten Mal.

    Er zieht die Schultern hoch. „Ich bin Seelsorger. Viele Leute vertrauen sich mir an." Seh ich so aus, als bräuchte meine Seele Fürsorge?

    „Gut, dass mir Mama beigebracht hat, keine Silberrücken zu streicheln", spotte ich. Uh, das war frech.

    „Wir alle brauchen jemanden, der für uns sorgt, Ruby", meint er total überzeugt von diesem Schwachsinn.

    „Wo ist ein Bullshit-Button, wenn man ihn braucht", sprudelt es aus mir heraus, bevor ich es zurückhalten kann. Ich kann ganz gut alleine auf mich aufpassen.

    Mit amüsiertem Gesichtsausdruck steigt er vor mir die knarrenden Holztreppen hoch. Wir passieren einen langen Flur, wo er vor einer massiven Mahagoni-Eingangstüre Halt macht, dreimal klopft und daraufhin gleich eintritt.

    Ein kleiner Eingangsbereich mit einem Schreibtisch, an dem niemand sitzt, empfängt uns. Irgendwie erinnert mich das alles hier an diese Detektivbüros aus den Schwarzweißstreifen. Eine charakteristische, blickdichte Glastür, die in ein Hinterzimmer führt, untermalt meine Phantasie noch. Der kalte Zigarettenrauch auch.

    „Valentin?, ruft mein Begleiter in die Kanzlei. „Ich habe die Bewerberin mitgebracht. Stille.

    Der Boss scheint nicht da zu sein.

    Ein „Du kommst zu spät, Andrew", hinter mir, lässt mich schlagartig herumfahren. Hat er sich an uns rangeschlichen, oder was? Wo kommt der auf einmal her? Hing er bis vor Kurzem noch als Graf Dracula von der Decke? Ist ja echt gruslig.

    Vor mir steht ein ziemlich heißer Typ im schwarzen Maßanzug. Wow, er ist keine fünfunddreißig, schlank, groß, gut angezogen, hat einen Schlafzimmerblick, dunkle Augen mit Wahnsinns-Wimpern, total sexy, braune Strubbelhaare und so einen Wegschmacht-Dreitagebart.

    Würde er nicht dieses riesige, silberne Kreuz um den Hals tragen – was gegen die Dracula-Hypothese spricht – und mich grad mustern, als wär ich der Feind im Körper des verbotenen Geschlechts, könnte man glatt auf unkeusche Gedanken kommen. Er ist auf jeden Fall schon mal ein Hingucker. Ich mag den Job jetzt schon. Die Aussicht ist schon mal gut.

    Er ist wohl in derselben Branche wie Pater Andrew tätig – zumindest tragen sie dasselbe Kreuz. Bevor ich in Kloster-Phantasien abdriften kann, kasteie ich mich selbst gedanklich und reiße mich am Riemen.

    Mann, wieso sind immer alle heißen Typen entweder verheiratet, schwul oder Mönche? Und wieso hab ich gerade erneut das unbändige Bedürfnis, einen verträumten Seufzer loszulassen? Okay, kurze Hormonausschüttung, die ich mir natürlich nie anmerken lassen würde.

    Nein, ich schaffe es, meinen gespielt gleichgültigen Blick aufrecht zu halten, mit dem ich mich vor genau solchen Kerlen abschirme.

    „Ich hab meinen Bewerbungshelfer gefilzt. Das hat eine Weile gedauert", verteidige ich unser Zuspätkommen schulterzuckend.

    Einige Sekunden sieht er mich nur an, daraufhin verlangt er im verärgerten Befehlston: „Wer sind Sie?" Wofür hält sich der Typ eigentlich?

    Korrigiere meine Frage von vorhin: Mann, wieso sind immer alle heißen Typen entweder verheiratet, schwul, Mönche oder exzentrische Arschlöcher?

    „Dornröschen", spotte ich. „Wer sind Sie?", knalle ich ihm genauso arrogant hin. Pater Andrew hat die Augen weit aufgerissen und sieht von einem zum anderen.

    Der junge Mann wendet sich dem Pater zu und knallt ihm ein „Das ist ein Scherz" hin.

    „Keineswegs, erklärt dieser. „Sie wurde wärmstens empfohlen. Linda. Ich bring sie um. Was hat sie alles über mich erzählt, diese Schnepfe?

    Der junge Mann betrachtet mich erneut von oben herab, sagt dann: „Wie alt sind Sie?" Wow, Killerfrage.

    „Ich hab die Beatles nicht mehr live gesehen", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Glücklicherweise hakt er nicht weiter nach.

    „Sind Sie gläubig?", fährt er das Verhör fort. Was?

    „Ich hätt schwören können, mal ‘ne Marienerscheinung aufm Toastbrot gehabt zu haben. Was soll ich sagen, die Idee hatte schon jemand vor mir. Wieder 28.000 Dollar futsch." Kuck nicht so böse. Blöde Fragen, blöde Antworten.

    „Sie wollen also nichts von sich preisgeben", mutmaßt er.

    „Guter Hinweis und Überleitung zum Thema ‚Preis‘. Wie viel wären Sie denn bereit, für meine Dienste rauszurücken?"

    Was soll ich sagen, ich glaub, ich bin ein ziemlich direkter Mensch, was ich auch an seinen hochgezogenen Augenbrauen ablesen kann.

    „12 Dollar die Stunde", speit er mir überheblich entgegen. Mann, da krieg ich ja mehr, wenn ich putzen gehe.

    „Eine Frage. Seh ich aus wie ein mexikanischer Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung?", will ich wissen.

    „Nein", antwortet er emotionslos.

    „Wieso bezahlen Sie mich dann wie einen?" Die Frage kam für ihn wohl unerwartet, denn er braucht deutlich länger, um sie zu kontern.

    Der Typ schüttelt im nächsten Moment belustigt den Kopf und wendet sich erneut seinem Freund zu, der sich die Hand vor den Mund hält, weil ihm ein Grinsen entglitten ist.

    „Ich rate dir, dass es sich hierbei nur um ein Missverständnis handelt. Um deinetwillen", droht er ihm.

    „Also stellst du sie ein?", zieht Pater Andrew die falschen Schlüsse.

    „Gerne stelle ich für dich das Offensichtliche klar, erwidert er deutlich angepisst. „Natürlich lautet die Antwort nein. Sie kommt nicht infrage. Such weiter, fasst er die Entscheidung dieses abartigen Bewerbungsgespräches in aller Kürze zusammen, während er schon dabei ist so zu tun, als würd ich in seinem eng gesteckten Relevanzkorridor nicht mehr existieren.

    Irgendwie bin ich froh darüber. Er ist mir nicht geheuer, wie er so absolut stocksteif dasteht, als wäre er über alles erhaben.

    Außerdem ist er einen Tick zu sexy für einen Boss, der noch dazu unerreichbar ist – zumindest für uns weltliche Wesen.

    Im nächsten Moment dreht er sich um und lässt uns einfach stehen. Wow, wie überaus nett.

    Mein Priester

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