Anderswo leuchten die Straßen: Storys
Von Isabel Kobus
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Über dieses E-Book
Ein alter Mann will einer Ausreißerin helfen und lernt wieder zu fühlen. Das Feuerzeug eines Fremden lindert den Schmerz einer liebeskranken Frau.
Die Storys von Isabel Kobus handeln von Sehnsucht und den Dämonen der Liebe, von Einsamkeit und der Suche nach Glück - und von der leuchtenden Schönheit des Augenblicks.
Isabel Kobus
Isabel Kobus, geb. 1966, Dr. phil. in englischer und amerikanischer Literaturwissenschaft, arbeitet als freie Journalistin und Autorin im Raum Braunschweig. Sie hat mehrere Geschichten in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht und ist Mitglied der AG Literatur der Braunschweigischen Landschaft.
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Buchvorschau
Anderswo leuchten die Straßen - Isabel Kobus
Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.
Novalis
Well I'm at the station
And I can't get on the train.
Tom Waits, Blind Love
Inhalt
Erleuchtung
Lena
Eisblumen
Ein schöner Abend am Kanal
Das Haus
Dreams & Ashes
Katzenkopf
All die sanften Sterne
Der Jesus-Typ
Romy
Erleuchtung
Seit ich nicht mehr trinke, sauge ich den Anblick fremder Männer in mich ein. Dieser hier hat wirres Haar und einen stoppeligen Bart wie ein kiffender Hippie. Aber seine blauen Augen sind klar. Es ist das zehnte oder elfte Meeting der Selbsthilfegruppe. Er scheint schon länger dabei zu sein, war aber in den letzten Wochen in Kambodscha oder so unterwegs. Ist auf einem Boot den Mekong entlang gefahren und rundherum wurden die Regenwälder abgeholzt. Das erzählt er, ohne eine Miene zu verziehen. Als die Sitzung vorbei ist, steht er an der Tür und sieht mich an.
„Hast du die Gruppe vermisst, als du unterwegs warst?"
Wir laufen durch ein heruntergekommenes Wohngebiet.
„Nein", sagt er und zupft an seinem Bart.
„Bist du öfter auf Reisen?"
Er nickt. Kein großer Redner. Vor einem dreistöckigen Altbau bleibt er stehen und kramt seinen Schlüssel hervor.
„Ich heiße Casper, sagt er, „willst du mit hochkommen?
Seine Wohnung ist noch unaufgeräumter als meine in den schlimmsten Zeiten. Durch die angegrauten Rollos fällt kaum Licht. Der einzige Stuhl ist mit Klamotten bedeckt. Ich setze mich auf die Matratze, die auf dem Boden liegt. Casper setzt sich neben mich und küsst mich. Er riecht nach Räucherstäbchen. Ein großer Küsser ist er auch nicht, aber seine Hand auf meinem Rücken fühlt sich warm an und irgendwie richtig.
Am Fußende der Matratze steht eine nasenlose Buddha-Statue. Daneben lehnt ein Karton an der Wand, auf dem mit gelber Tusche geschrieben ist: „You are right here right now. Ich tippe auf Caspers nackte Schulter und frage: „Ist das da dein Motto?
Er schweigt eine Weile und sagt dann: „Naja, ich versuch’s halt. Achtsam sein und so. Nur im gegenwärtigen Augenblick fühlt man sich mit allem verbunden."
„Ich hab mich so gefühlt, wenn ich ’nen Liter Wein intus hatte", sage ich.
„Na toll, sagt er, „warum hast du dann aufgehört?
„Kannst du dir denken, sage ich, „die Scheiße geht ja nicht weg. Hast du getrunken oder was anderes?
„Lass uns nicht über alten Mist reden."
„Ach so, du bist ja in der Gegenwart."
Er streicht mir durchs Haar, ohne mein Grinsen zu erwidern.
„Das ist das, was zählt", sagt er.
Während ich mich anziehe, kramt er in einer Bücherkiste und drückt mir ein zerfleddertes Taschenbuch in die Hand.
„Hier, sagt er, „der weiß, wie’s geht. Kannst du behalten
Das Buch ist von einem Typen, der, dem Umschlagfoto nach zu urteilen, nicht mit übermäßigem Sex-Appeal gesegnet ist. Ich stecke es in meine Tasche. Mir hat schon lange keiner mehr was geschenkt.
Zu Hause dusche ich erstmal und checke meine E-Mails. Stefan hat sich nach drei Wochen wieder überlegt, dass er mich treffen will. Gleich sehe ich ihn vor mir, fühle seine Hände, seine Küsse. Ich mache ein paar Sit-ups. Bloß nicht anrufen. Männer wie ihn muss man zappeln lassen, das hab ich inzwischen verstanden. Ich hole das Buch aus der Tasche und blättere darin. Der Typ hat offenbar den Durchblick, wie man durch permanentes Gegenwärtigsein so richtig glücklich wird. Das erste Kapitel handelt davon, wie man sich selbst beobachtet. Als ich damit durch bin, beobachte ich bei mir das Bedürfnis, mir ein oder zwei Fläschchen kühlen Pinot Grigio einzuverleiben. Ich schließe das Buch und versuche, an Casper zu denken. Komischer Typ. Eine Ablenkung, immerhin. Man muss nehmen, was kommt.
In der Woche habe ich eine Menge im Büro zu tun und falle abends todmüde ins Bett. Nach drei Tagen kann ich nicht mehr widerstehen und rufe Stefan an. Er redet am Telefon eine halbe Stunde lang von den Konzerten, die er diesen Monat noch spielen muss. „Die letzten Tage hätte ich Zeit gehabt, sagt er, „aber du hast dich ja nicht gemeldet.
„Na dann viel Spaß mit deinen Groupies", sage ich und lege auf.
Jedes Mal, wenn ich mit ihm rede, bekomme ich Durst. Ich laufe durch die Wohnung, immer hin und her, so wie der Tiger im Zoo, neulich im Fernsehen. Schließlich packe ich mir Schminke ins Gesicht und gehe tanzen. Es sind nur die üblichen traurigen Gestalten im Club. Der Typ mit der Elvis-Tolle fragt mich, ob ich mit ihm nach Hause gehe. Aber dazu kann ich mich nicht aufraffen. Ich stelle fest, dass ich mich aufs nächste Meeting freue. Nein, eigentlich auf Casper.
„Hast du das Buch gelesen?", fragt er.
Wir liegen auf Caspers Matratze und gucken aus dem Fenster in die langsam vorübergleitenden