Alle Sterne für Dich
Von Jessina Lux
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Alle Sterne für Dich - Jessina Lux
Kapitel 1
DER TAG FÄNGT JA GUT AN. Anscheinend habe ich Hallus. Da drüben an der Wand steht klar und deutlich in femininer Schönschrift: „Hallo!"
Es ist eine Geisterschrift wie bei Belsazar. O je, das verheißt nichts Gutes.
Ich habe mit Wahnvorstellungen wirklich nichts am Hut. Ich bin doch nur ein kleiner Angestellter in einem irischen Plattenladen.
Das Hallo ist verschwunden, schneller noch als es gekommen ist.
Oh, wenn ich das jemandem erzähle, sperren sie mich ein.
Ich habe ehrlich nichts getrunken, auch nichts geraucht. Ich bin total bieder. Mein Name ist Walter. Walter Gulliver. Der Name sagt doch schon alles. So jemand macht nichts Gewagtes. Hat keine dunklen Geheimnisse. Und doch, habe ich diese Schrift gesehen. An der blauen Hauswand gegenüber.
Ich habe gerade neue CDs eingeräumt, weil es Freitag ist. Im Laden, der Golden Record heißt, lief Kate Bushs Cloudbusting.
Gut, ich hatte noch nichts gegessen. Vielleicht war es eine Hungerhallu?
Hastig packe ich mein Sandwich aus. Verschlinge es geradezu. Ein älterer Kunde kommt rein, das ist selten so früh am Morgen. Er sucht ein einzelnes Lied. Von Elton John. Er singt die Melodie kurz an und ich weiß sofort es ist Nobody wins. Auf welchem Album ist das noch? Ich habe einen Verdacht.
Ich suche die Platte heraus. Ich bin ein Experte in Musik. Das ist alles, was ich kann. Aber das kann ich wenigstens einzigartig gut. Freundin habe ich keine, keine Frau will mich so richtig. Ich bin wohl ein ziemlicher Nerd. An den Song ‘Music was my first love’ muss ich gerade denken. So ist es, und sie wird auch meine letzte sein, davon bin ich überzeugt.
Mein Heimatort, aus dem mich auch meine offensichtliche Einsamkeit nicht vertreiben konnte, heißt Starbay. Es ist, wie schon der Name vermuten lässt, ein Küstenort. Er ist zwar klein, hat aber alles, was man braucht. Ein Kino, mehrere Restaurants, Läden, Supermärkte und eben einen Plattenladen. Ich lebe gern hier. Die Menschen sind freundlich und begeisterungsfähig.
Ich glaube, ich gehe nach Hause und verkrieche mich in mein Elternhaus. Mir ist nicht gut. Wahrscheinlich ist Fieber der wahre Grund für meine morgendliche Sinnestäuschung.
Ich gebe Carl Bescheid. Er ist mein äußerst gemütlicher Boss. 150kg Idealgewicht. Er ist sofort einverstanden und will mir später sogar eine Suppe vorbei bringen.
Ich nehme also meine Lederjacke, es ist zwar August, aber es geht wie immer am Morgen ein kalter Wind, und mache mich auf den Weg.
Ich gehe ein paar Meter, blicke auf den Boden. Da ist wieder diese Schrift. Nun leuchtend weiß auf dunklem Asphalt. Die Sätze erscheinen nur kurz. `Ich bin Nara. Ich bin tot. Krieg keinen Schreck, mir geht es gut. Ich wünsch mir, dass du was für mich tust.´
Jetzt geht´s dann aber los. Ich sehe mich um, ob vielleicht jemand mit einem Laserpointer diese Sachen auf den Gehweg schreibt. Aber es ist keine Menschenseele zu sehen, dabei ist es schon elf.
Mein Herz stolpert beunruhigend. Prompt schreibt Nara: `Du solltest deinen Herzschlag in den Griff kriegen, der ist gerade bedenklich.´ Werde ich verrückt, sind das Botschaften meines abgespaltenen Bewusstseins? `Du solltest sowieso zum Arzt, sonst hast du in zwei Tagen einen Blinddarmdurchbruch!´‘Ich bleibe stehen, sehe in den Himmel, ist da vielleicht eine hinterhältige Drohne oder so was? Versteckte Kamera? Ich weiß nicht, was mich treibt, aber ich mache tatsächlich kehrt und schlage den Weg zu meinem Hausarzt ein. Es ist ungewöhnlich leer und ich komme schnell dran. „Sie sehen überarbeitet aus! meint Dr. Sharp auf den ersten Blick. „Und blass!
Ich nicke schweigend, dann sage ich: „Kann da was mit dem Blinddarm sein?"
„Haben Sie denn Schmerzen? „Eigentlich nicht, nur so ein ungutes Gefühl. Nennen wir es Vorahnung.
Dr. Sharp tastet mich ab. Macht „Hmh. Dann sagt er, er müsse das mit Ultraschall prüfen. Schließlich, nachdem er die kalte Paste im Hüftbereich verrieben hat, und die Sonde hat drüber gleiten lassen, ruft er aus: „Oh, oh.
Na, toll! „Das sieht tatsächlich ernst aus. Etwas aufgelöst frage ich: „Muss der jetzt raus?
„Yepp!"
Kapitel 2
Es sind jetzt zehn Tage nach der OP. Nara hat sich die ganze Zeit über nicht gemeldet. Vielleicht doch nur eine komische Art der Vorahnung? Ich bin noch krankgeschrieben, die Wunde schmerzt etwas. Ich mache es mir auf der Couch gemütlich mit einem Stück kalter Pizza und Bier.
Da erscheint an meiner weißen Wand ein: `Schalt aufs vierte! Jetzt!´ Ich fahre hoch, die Wunde wird gereizt und ich jaule auf. Nara also wieder. `Sorry. Aber schalt jetzt um!´Ich schalte um, sieht aus wie eine Reality Doku. Auf Deutsch.
Was soll das denn? Nara „redet" doch auf Englisch mit mir. Da ist so ein schlurfender Typ, der jetzt auf der Couch auch eine Pizza isst. Aber ich bin es dennoch nicht. Er sieht viel besser aus als ich. Jünger und mit einem feineren, klassisch schönem Gesicht, trotzdem sehr sympathisch. Sein Fernseher ist aus, er hört traurigen Deutschrock. Von dessen Text ich jedes Wort verstehe. Häh, wie geht das denn?
Eine dicke Träne läuft seine Wange runter. Nara sagt es mir jetzt als Gedanken direkt ins Ohr: `Das ist meine große Liebe. Sebastian.´
Ist der Schauspieler? Denke ich. Huch, Nara antwortet auf meinen Gedanken: `Nein, das ist echt. Und Echtzeit. Es ist jetzt fünf Jahre her, aber er kommt nicht klar.´
Ja, das sehe ich, aber was kann ich da machen?
`Er ist im Moment bei seiner Schwester in Vancouver. Ich hab schon versucht ihn zu erreichen, aber er hat komisch reagiert, wollte zum Psychodoc gehen...´ Ich, Walter, denke: Wie kommt der Kerl nur auf so was?!
`Kurzum, Walter, du musst ein Mädchen für ihn klarmachen, das wichtig ist für ihn, aber auch für die Entwicklung der Welt. ´ Na, wenn es sonst nichts ist! Ich muss? Frage ich.
`Natürlich musst du, sonst geht die Welt unter.´ Tut sie das nicht ohnehin? Meine ich. Und wieso interessiert dich das überhaupt, du bist doch schon tot. `Ich möchte aber ein Schutzengel werden.´
Dass du mich vorm Blinddarmdurchbruch bewahrt hast, war doch schon sehr engelhaft. `Das reicht aber nicht.´ Oh, Mann!!!!
Kapitel 3
Ich renne ins Bad und lasse hastig kaltes Wasser über mein Gesicht laufen. Das ist doch alles nicht wahr! Ich sehe in zwei dunkelbraune Augen mit für einen Mann langen Wimpern, einer etwas gebogenen Nase und schmalen Lippen. Ich habe Grübchen, wenn ich lächle, aber das ist mir gerade ein bisschen vergangen. Ich bin 47 Jahre alt und Nara zu hören, ist das absolut Abgedrehteste was mir im ganzen Leben passiert ist.
Nara: `Wenn du mir nicht glaubst, an meinem Todestag, dem 1.3.14 war Say Something von A Great Big World Nummer vier der britischen Charts.´ Huch, das hab ja noch nicht mal ich auf dem Zettel.
Ich: Ich glaube dir, das ist ja das schlimme! Ich höre das Lied in meinem Ohr, es ist als, als wären die Lautsprecher direkt hinter mir. WIE KANN DAS SEIN?
Nara: `Weißt du, warum ich das weiß? Weil ich fast alles weiß, ich hab Zugang zu unendlich vielen Informationen und außerdem: schon als Lebende hatte ich Kontakt zu Verstorbenen. Und jetzt, wo ich selber tot bin, habe ich eben einen Draht zu den Lebenden, ist doch logisch.´
Ich: Wusste Sebastian davon?
Nara: Nein, ich hab mich nicht getraut, ihm das zu sagen. Er ist sehr bodenständig, wenn auch phantasievoll.
Okay, dann sag mir, wie ist es da oben?
Nara: `Na, es ist der Himmel! Und das ist wörtlich zunehmen, alle lieben sich und alles ist eitel Sonnenschein. Es ist wie in einem schönen Traum. Und du weißt alles. Vergangenheit, Gegenwart. Die Zukunft nicht ganz, denn sie verändert sich ja dauernd. Aber ich bin müde, auf dieser Frequenz zu sein, ist sehr erschöpfend. Ja, auch angehende Engel sind mal kaputt.
Ich: Kennst du Elvis?
Nara: `Ja, schon.´
Ich: Wie ist er und Audrey und Marilyn?
Nara: `Alle nett. Elvis ärgert sich über Sekten, Audrey wünschte, sie hätte in ihrem Leben mehr gegessen, Elvis weniger und Marilyn sympathisiert mit Britney.
Wie sie das nonchalant erzählt, als wäre sie Best Buddies mit diesen Legenden.
Dieser Sebastian, was macht der in Kanada? frage ich in Gedanken.
`Seine Schwester Rahel ist dort verheiratet mit einem Kanadier, nicht sehr glücklich, wie du noch sehen wirst. Nach meinem Tod, da brauchte er einen Ortswechsel, weißt du, er gibt sich die Schuld.´
`Wieso das?´
`Das möchte ich nicht sagen, bitte.´
`Okay, aber was soll ich denn da machen? Ich werde nicht nach Kanada reisen für dich.´
`Das musst du auch nicht. Ich will nur, dass du mit meiner Handschrift einen Brief schreibst an ihn. Dann hat er es schwarz auf weiß und wird es glauben.´
`Wie soll das denn gehen?´
`Nimm ein Blatt Papier oder zwei und lass mich machen.´
Blitzschnell krame ich im Büro nach leeren Blättern Papier. Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch und zücke einen Stift.
`Äh, nicht jetzt, ist noch zu früh, ich sag´s dir dann, ich muss auch grad wohin.´
Ich staune. Und ich staune auch darüber, dass es blitzschnell immer normaler wird mit ihr zu kommunizieren. Ich glaube wirklich, bald wird es so selbstverständlich sein wie Radio Hören.
Kapitel 4
Nara ist also weg, ich `empfange´ sie nicht mehr. Carl ruft an und will wissen, wie es mir denn ginge. Ich rede neuerdings regelmäßig mit Geistern, denke ich, sage aber lieber: „Besser!"
„Kannst du bald wieder arbeiten? Ich hab jemanden kennengelernt und möchte mehr Zeit mit ihr verbringen." Carl und eine Freundin? Seitdem ich ihn kenne, und das sind jetzt schon neunzehn Jahre, hatte ich ihn noch nie mit einer Frau gesehen. Ich dachte eigentlich immer…
„Das freut mich aber für dich! Ich denke Montag ist es soweit und ich kann wieder arbeiten! Dann musst du mir alles erzählen, du alter Schwerenöter!"
„Oh, sie ist wundervoll! Sie ist ein bisschen älter als ich, mach keine Bemerkung, bitte!"
„Ich doch nicht! Wie viel älter?"
„Zehn Jahre."
Carl ist gerade fünfundfünfzig geworden, also ist die neue Liebe im Rentenalter. Na ja, ich finde das jetzt nicht schlimm, der Trend geht ja zum jüngeren Mann.
„Wie heißt sie denn, ist sie verwitwet?"
„Du bist ganz schön neugierig, das kann sie dir alles selber erzählen, wenn du sie triffst!"
Der gute Carl, ich freue mich wirklich für ihn, er sprach schon vom Ins-Kloster-Gehen. Der Montag wird definitiv spannend.
Nara hat sich nicht gemeldet, ich frage mich, ob es ihr gut geht. Gut, sterben kann sie ja nicht mehr, aber trotzdem mache ich mir ein wenig Sorgen. Ich habe also einen himmlischen Auftrag. Warum gerade ich, das frag ich mich schon, aber es fühlt sich immer selbstverständlicher an, Kontakt zum Jenseits zu haben, irgendwie. Und es ist auch tröstlich, dass es das überhaupt gibt. Ich möchte nicht sagen, dass ich so gar nicht daran geglaubt habe früher, aber Leute, die erzählen, sie hätten einen Draht nach oben, waren mir eigentlich von jeher suspekt. Eso-Quatsch eben. Warum ich dann Nara noch nicht gefragt habe, wie es meinen Eltern geht? Ich habe Angst zu fragen. Schlicht und einfach Angst.
`Du musst keine Angst haben!´ meldet sich Nara plötzlich, füllt meinen Kopf und mein Herz augenblicklich mit Wärme. `Es geht ihnen gut, sie passen auf dich auf. Sie bestellen liebe