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Echnatons Wahn: Historischer Roman
Echnatons Wahn: Historischer Roman
Echnatons Wahn: Historischer Roman
eBook388 Seiten5 Stunden

Echnatons Wahn: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Schon in seiner Jugend gibt sich Echnaton der leidenschaftlichen Verehrung des Sonnengottes Re hin. Noch zu Lebzeiten seines Vaters Amenhotep III. sorgt Echnaton dafür, dass er Mitregent des Reiches wird. Zwischen Memphis und Theben baut er seine eigene Stadt, Achet-Aton, wo er sich ganz dem Aton-Kult hingibt. Er wird zum skrupellosen Fanatiker und Unterdrücker des alten Glaubens, dem Nofretete, seine Gemahlin, noch im Geheimen frönt, was ihr zum Verhängnis wird. Nach seinem Tod wird der neunjährige Tut-ench-Amun zum Pharao gekrönt. Auch dessen Jugend schildert der Autor in lebensnahen Bildern.
Der Roman ist die spannende Geschichte Echnatons und seiner Familie.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Aug. 2014
ISBN9783847699507
Echnatons Wahn: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Echnatons Wahn - Martin Renold

    Erster Teil

    Teje und Eje

    Am Fluss, der aus der Unterwelt, aus dem Himmel und aus der Erde kommt, dessen Über­schwemmung Götter und Men­schen beglückt, der die Stadt Iti-tawi ergreift und in gehei­mem Lauf in das Delta strömt, an diesem Fluss, der zwischen Felsen im Osten und Westen das fruchtbare Land durchfließt und hier bei Ipu träge seine Flut nach Norden wälzt, sitzen ein Mädchen und ein Knabe, Teje und Eje.

    Teje ist ein munteres Mädchen von sechs Jahren. Von sei­nem runden Köpfchen fällt die schwarze Jugendlocke. Dunkle, beinahe schwarze Augen blicken gewitzigt in die Welt. Die Lippen formen sich zu einem kleinen Schmoll­mund. Ein leichtes, kurzes Trägerröck­chen verbirgt kaum den dunkelhäutigen Körper, der die nubische Herkunft des Mädchens erahnen lässt.

    Der Knabe ist wenig älter. Auch er scheint nubischer Her­kunft zu sein und lässt ver­muten, dass die beiden Geschwis­ter sind. Doch dem ist nicht so. Teje wohnt nur ein paar Schritte von hier in einem Haus, das ihren Eltern Juja und Tuja gehört. Eje wohnt ungefähr zwanzig Häuser weiter flussabwärts. Doch die beiden sind unzertrennlich, seit sie sich in der Schule kennen gelernt haben. Sie sind die flei­ßigsten und intelligentesten ihrer Klasse. Sie kennen schon einige hundert Hieroglyphenzeichen und haben schneller als die andern lesen gelernt. Auch die Zahlen sind ihnen nicht mehr fremd. Nach der Schule sitzen sie oft am Ufer des Flus­ses und stellen sich gegenseitig Aufgaben im Addieren und Subtrahieren, die sie rasch und meistens richtig im Kopf lö­sen.

    Heute hat Teje ihrem Freund eine schlechte Nachricht mit­zuteilen. Sie hat gehört, wie ihr Vater Juja zu Tuja, seiner Frau, gesagt hat, dass er nach Memphis ziehen möchte. Nein, nicht nur auf eine Reise, sondern für immer.

    Juja ist einer der vielen Priester des Min, des Gottes der Fruchtbarkeit. Der Tempel des Min in Ipu ist das Zentrum seines Kultes in Ägypten. Priester zu sein ist nichts Besonderes, es gibt davon Hunderte. Manche reinigen den Tempel oder bestellen die Felder, denn zu dem Tempel gehören große Ländereien. An­dere Priester arbeiten in den Stallungen. In einem besonderen Stall steht der Stier, dessen Stärke und sexuelle Kraft die Fruchtbarkeit des Gottes verkörpert, der im Tempel in einer Statue aus schwarzem Stein und als kraftstrotzender Mann mit erigiertem Phallus dargestellt ist.

    Juja ist ein intelligenter Mann. Er kann lesen und schrei­ben. Obwohl er nubischer Abstammung ist und seine Eltern keinen vornehmen Familien angehörten, ist er Vorsteher der Ochsen des Min geworden. Doch er ist ehr­geizig und möchte höher hinaus. Deshalb hat er sich etwas ganz Besonderes vorgenommen.

    Schon zu Zeiten der Pharaonen Mentuhotep und Sesostris gab es große Feste in Ipu. Zu Beginn der Aussaat und zu Be­ginn der Ernte wurden kultische Feste abgehalten. Dann kam der Pharao nach Ipu. In einem langen Zug der Priester und des Volkes trug man die Statue des Min aufs Feld. Der Pha­rao hackte ein Stück Erde um und bewässerte es oder erntete einige Büschel Getreide und band sie zu einer Garbe zusam­men. Der Gott schaute dem Pharao bei seiner zeremoniellen Handlung zu, und der Hohepriester sprach dazu die rituellen Verse, damit Min dem Land Fruchtbarkeit schenke und eine gute Ernte.

    Auch jetzt noch werden in Ipu Feste gefeiert. Doch der Pharao geht nicht mehr auf das Feld. Er opfert dem Gott in seinem Tempel. Das Fest dauert mehrere Tage. Es wird viel gelacht und getrunken, die Menschen berauschen sich, und dabei wird nicht nur an die Fruchtbarkeit auf den Feldern ge­dacht. Bevor der Pharao in seine Residenz zurückkehrt, emp­fängt er im Tempel Priester und Leute aus dem Volk, die Klagen oder Bitten an ihn vorbringen. Beim letzten Fest, das vor kurzem stattfand, hat sich auch Juja ein Herz gefasst. Er hat fein säuberlich auf einem Papyrus eine Bittschrift in Hie­roglyphenschrift geschrieben. Die hat er dem Pharao über­reicht. Thutmosis ist der kluge Mann mit dem fein geschnittenen Gesicht, der markanten Nase und den schmalen Lippen schon vorher unter den Bittstellern aufgefallen. Er hat erkannt, dass Juja zu Höherem berufen ist, und hat ihm seine Bitte erfüllt. Er hat ihn zu einem Schreiber am Hof in Memphis, seiner Lieblingsresidenz, ernannt. Mindestens einmal im Jahr residiert er zwar auch in Theben, im alten Waset, das auch Niut, Stadt der hundert Tore, oder Niut-Amun, Stadt des Gottes Amun genannt wird. Doch Thutmosis zieht die Residenz in Memphis vor, wo auch der größte Teil des Heeres stationiert ist, denn wenn Gefahr von den fremden Völkern droht, dann aus dem Norden von den Hethitern oder den Assyrern oder Babyloniern. Im Süden sorgen die nubischen Fürsten unter der Kontrolle der ägyptischen Gouverneure in Wawat und Kusch für die Sicherheit Ägyptens. Zurzeit ist allerdings auch die Lage im Norden verhältnismäßig ruhig.

    Teje hat alles, was sie daheim gehört hat, wie es dazu kam, dass die Familie nach Memphis zieht, ihrem Freund erzählt. Eje ist bestürzt über diese Nachricht. Denn Memphis ist weit weg von Ipu. Mit dem Schiff braucht man einige Tage, auch wenn einen die Strömung rasch zum Delta hinab trägt.

    Eje liebt das Mädchen und möchte es nicht verlie­ren. Teje ergeht es ähnlich. Sie bewundert den groß gewachsenen, starken Jungen. Für sie ist er wie ein Bruder. Doch er ist anders als Aanen. Der tut schon so erwachsen. Er ist älter als Eje. Aanen nimmt sie nicht ernst. Sie wollte, Eje wäre ihr Bruder. Und Eje? Er denkt nicht darüber nach. Er hat keine Schwester, weiß nicht, wie das ist. Er weiß nur, dass er sich jeden Tag auf die Begegnung mit Teje sehnt und dass ein wohliges Kribbeln über seine Haut fährt, wenn sie sich so nahe kommen, dass sich ihre nackten Arme manchmal wie von ungefähr berühren.

    „Wenn ich älter bin und meinen Eltern nicht mehr gehorchen muss, komme ich nach Memphis, verspricht Eje seiner Freundin. „Ich werde dich schon finden, und dann heiraten wir.

    Das ist ja noch besser als nur ein Bruder, denkt Teje. Aber da muss ich ja noch lange warten. Und ob er mich bis dann nicht vergisst? Sie ist glücklich über dieses Versprechen. Doch es genügt ihr noch nicht. Sie will eine Besiegelung dieses Gelöbnisses.

    Sie denkt nur kurz nach. Dann hebt sie einen scharfkantigen Stein am Ufer auf, dreht ihn in der Hand und besieht ihn von allen Seiten. Ohne zu zögern ritzt sie sich den Arm auf. Sogleich dringt Blut aus der kleinen Wunde. Sie hält Eje den Arm hin und fordert ihn auf:

    „Trink mein Blut!"

    Er hebt ihren Arm an seinen Mund und saugt das Blut auf. Dann nimmt er ihr den Stein aus der Hand und ritzt auch sich die Haut auf.

    Teje drückt ihre offenen Lippen auf seinen Arm, sobald sie das Blut herausquellen sieht, und schluckt sein dunkles Blut.

    „Jetzt sind wir auf ewig verbunden", frohlockt sie.

    „Ja, ich werde dich heiraten, sobald ich dich in Memphis gefunden habe, antwortet er. „Ich möchte Soldat und Wagenlenker und später Offizier oder Heerführer werden. In Sile ist der größte Teil des Heeres stationiert. Sile liegt im Delta, das ist nicht weit von Memphis. Dann werde ich immer in deiner Nähe sein.

    „Aber dann darf nie Krieg werden, meint Teje, „sonst musst du in die Schlacht ziehen, und dann bin ich wieder allein.

    „Wenn die fremden Völker gegen uns in den Krieg ziehen, werden wir sie rasch besiegen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde bald wieder bei dir sein und dich beschützen."

    Teje ist überzeugt, dass Eje die Feinde besiegen wird. Dass er in der Schlacht sein Leben verlieren könnte, denkt sie keinen Augenblick. In ihren Augen ist Eje ein Held, der unsterblich ist.

    „Vergiss nie, beschwört Eje das Mädchen, „dass du jetzt mein Blut in deinem Körper hast, so wie dein Blut in mir fließt. Wir gehören zusammen in diesem Leben, und unsere Kas sind auch unzertrennlich im jenseitigen Leben.

    Auch Eje denkt nicht, dass er im Krieg umkommen könnte. Trotzdem hat er natürlich wie Teje als Kind einer Familie, die nicht wie die Bauern und Handwerker dem niederen Volk, sondern einer bevorzugten Oberschicht angehört, bereits in der Schule gelernt, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Auch er hat schon erlebt, dass verstorbene Nachbarn einbalsamiert wurden, und hat dieses Geschehen mit dem in der Schule Gelernten in Verbindung gebracht. Ka, Ba und Ach, wurde den Kindern beigebracht, seien unsichtbare und unzerstörbare Bestandteile des Menschen.

    Beide, Eje und Teje gehen gerne in die Schule. Sie haben auch gelernt, dass das Ach eine schöpferische Kraft ist, die man täglich erneuern und vermehren muss. Dazu dient auch die Schule. Das Wissen, das einem hier vermittelt wird, vermehrt diese Energie, die dem Ach innewohnt. Wenn es ihnen einmal in der Schule doch nicht so gut gefällt, weil sie lieber draußen spielen oder schwimmen gehen möchten, dann denken sie einfach an ihr Ach, das sie auf keinen Fall vernachlässigen oder gar verkümmern lassen wollen. Nur mit einem starken Ach können sie es im Leben zu etwas bringen. Und das wollen beide.

    Auch über die andern beiden unsterblichen Elemente im Menschen wissen sie Bescheid. Der Ba, so wissen sie, könne, wenn die Mumie im Grab eingeschlossen sei, aus ihr entweichen und wie ein Vogel das Grab verlassen und alle Mauern durchdringen, müsse aber immer wieder zu ihr zurückkehren.

    In seiner kindlichen Fantasie stellt sich Eje in den kommenden Tagen und Wochen immer wieder vor, dass er, wenn er doch einmal in einer Schlacht umkommen sollte, als bunter Eisvogel zu Teje fliegen und sich auf ihre Schulter setzen würde. So könnte er jeden Tag bei ihr sein und müsste sie nur des Nachts verlassen, um in sein Grab zurückzukehren. Und wenn auch Teje einmal tot sein würde, so malte er sich aus, dann könnten sie zusammen als zwei verliebte Vögel über ganz Ägypten hinwegfliegen und die Welt erkunden.

    Heute, an diesem Tag jedoch, sind beide glücklich und verbringen noch viel Zeit mit Spielen am Ufer. Doch noch ehe Re am Horizont hinter den Felsen verschwindet und vom Mund der Göttin Nut verschlungen wird, um am Morgen erneut aus ihren Lenden geboren zu werden, hört Teje ihren Namen rufen. Es ist Tuja, ihre Mutter, die sie ruft.

    Nur ungern trennt sie sich von Eje. Erst als er ihr verspricht, dass er sie jeden Tag nach der Schule hierher an den Nil begleitet und sie noch eine Weile zusammen bleiben, verabschiedet sie sich und eilt barfüßig nach Hause.

    Teje drückt ihre Hand auf die kleine Wunde an ihrem nackten Arm. Doch lange kann sie sie nicht verbergen. Auf Mutters besorgte Frage weicht sie aus. Sie habe sich an einem Strauch die Haut aufgekratzt. Etwas ungläubig schaut die Mutter das Mädchen an, das mit einem verlegenen Lächeln die kleine Lüge zu vertuschen sucht. Doch weil die Wunde zu bluten aufgehört hat, bohrt Tuja nicht weiter, sondern holt aus ihrer Schlafkammer eine kleine Dose und reibt ihrem Kind die Wunde mit einer heilkräftigen Salbe ein.

    Aanen, Tejes älterer Bruder, hat seine Schwester durchschaut. Er zwinkert ihr zu. Er vermutet, dass ein kleines Geheimnis dahinter steckt und möchte sich gerne zum Komplizen und Mitwisser machen. Sobald sie allein sind, bohrt er mit Fragen nach. Doch vergeblich. Teje gibt ihr Geheimnis nicht preis, auch nicht in den folgenden Tagen, in denen Aanen sie immer wieder zu bedrängen sucht.

    Es dauert noch einige Monate, bis Juja mit seiner Frau und den beiden Kindern und mit Hab und Gut nach Memphis zieht.

    An dem Tag, da die Familie das Schiff besteigt, das, nachdem es abgehoben hat, langsam von der Strömung weggetragen wird, steht Eje am Ufer und winkt seiner Freundin nach, bis das Schiff seinen Augen entschwindet. Die beiden Kinder haben ihr mit Blut besiegeltes Versprechen nicht vergessen. Noch ein letztes Mal hatten sie sich gegenseitig daran erinnert und es erneut bekräftigt, ehe sie sich umarmt und Eje die Abschiedstränen Tejes an seiner Wange gespürt hatte. Er aber, wie es einem angehenden Soldaten ansteht, hatte tapfer gegen die Rührung in seinem Ka gekämpft und Haltung bewahrt.

    Eje, der Soldat

    Beinahe zehn Jahre sind vergangen seit dem Tag, als Eje jenem Schiff nachwinkte, das Teje mit ihren Eltern nach Memphis entführte. Aus dem Knaben ist ein junger Mann geworden. Er ist den gleichen Weg gegangen wie vor ihm Teje. In Memphis hat er das Boot verlassen. Er hat sich in der Kaserne gemeldet und ist als Soldat angenommen worden. Man hat ihn nicht nach Sile geschickt. Auf dem Kasernenhof und draußen in der Wüste ist er gedrillt worden. Man hat ihm das Schießen mit Pfeil und Bogen, das Speerwerfen beigebracht, und weil er sich so geschickt angestellt hat, durfte er auch schon bald mit den Pferden umgehen und Streitwagen lenken. Schon bald wurde er zum Anführer eines Trupps ernannt.

    Abends im Ausgang oder an den leider wenigen freien Tagen schlenderte er oft durch die Stadt, die ihm am Anfang so fremd und im Gegensatz zu Ipu viel lebendiger und abenteuerlicher vorkam. Kein Wunder, war Memphis doch um ein Vielfaches grösser als Ipu. Doch nicht nur am Tag war die Stadt voller Leben, auf den Märkten, wo die Menschen kamen und gingen, wo sie verkauften oder kauften und tauschten, wo sich schwer bepackte Esel und ihre Treiber durch die Menge drängten, oder am Hafen, wo Boote mit Zedernholz aus dem Libanon ankamen, wo Waren ein- und ausgeladen wurden, oder in den Vierteln der Handwerker, wo auf den Straßen Tische und Stühle und Särge gezimmert wurden, wo gehämmert, gesägt und geleimt wurde, bei Schlachthäusern, wo es nach Blut roch, oder anderswo nach frischem Brot, und wieder an andern Orten nach fein duftenden Ölen und parfümierten Wässerchen. In manchen Gassen stank es vom verfaulenden Abfall. Auch das war Memphis, die stolze Stadt, in der Teje lebte und die gleiche Luft atmete wie er.

    Auch abends war die Stadt nicht tot. Da gab es Schenken, in denen bei Bier und Spiel gelärmt und gelacht, auch manchmal gestritten wurde. In düsteren Gassen boten sich lockere Frauen an. Solche Orte mied er, obwohl sich manche Frau nach ihm umsah oder dem schönen jungen Mann mit den kräftigen Armen, den breiten Schultern und der muskulösen Brust schöne Augen machte.

    Eje wollte die Viertel der Armen ebenso kennen lernen wie jene der Reichen. Tagsüber hielt er oft Ausschau nach Teje, hoffend auf ein zufälliges Zusammentreffen. Doch nie begegnete er ihr. Solange er noch ein unausgebildeter Soldat gewesen war, scheute er sich, nach ihr zu fragen. Doch jetzt, als Truppenführer durfte er es wagen. Wie Teje wohl aussah? Sicher hatte sie sich in der Zwischenzeit zu einer schönen jungen Frau entwickelt. Er erfuhr, dass ihr Vater ein hoher Beamter schon am Hofe des Pharaos Thutmosis IV. geworden war und sein Amt auch unter Amenhotep III., der nach dem Tode seines Vaters vor drei Jahren König geworden war, ausübte. Auch Tejes Mutter und sie selbst wohnten im Palast.

    Er zögerte nicht, sich bei der Wache am Hauptportal zu melden. Weder die Wache selbst noch die Pracht des Palastes oder gar der Pharao, der hier residierte, konnten ihn einschüchtern. Nur die Erwartung des Wiedersehens mit dem Mädchen, das er in all den Jahren nie zu lieben aufgehört hatte, ließen sein Herz heftiger schlagen.

    Er wurde zum Haushofmeister geführt, der sich sein Begehren anhörte. In der Empfangshalle musste er warten, bis der Haushofmeister zurückkehrte und ihn durch lange Korridore bis zu den Wohnräumen von Teje und ihren Eltern führte. Auf das Klopfen öffnete eine Dienerin. Teje war das Kommen ihres Freundes aus Ipu gemeldet worden. Als wäre ihr dieser Besuch gleichgültig, saß sie vor einem Senet-Spiel, wo sie mit einer andern Dienerin spielte. Als Eje eintrat, erhob sie sich, und beide gingen, zuerst zögernd, dann mit klopfendem Herzen in freudigem Erkennen aufeinander zu und umarmten sich.

    Teje schickte die Dienerinnen mit einem Wink hinaus. Beide verließen rückwärtsgehend den Raum und zogen die Tür hinter sich zu.

    Teje und Eje setzten sich am Boden auf Kissen, einander gegenüber und schauten sich lange an, als versuchten sie in ihren Gesichtern die Kinder, die sie einst waren, wieder zu erkennen.

    Eje strengt sein Gedächtnis an, um sich zu erinnern, wie seine Freundin damals in Ipu ausgesehen hat, und überlegt, was sich an ihr verändert hat. Natürlich ist sie älter und größer geworden. Doch das ist nichts Besonderes. Nicht ungewöhnlich ist auch, dass sie ihre Jugendlocke abgeschnitten hat, schließlich ist sie jetzt erwachsen. Die Zeichen ihrer Weiblichkeit sind nicht zu übersehen. Sie hat volle Brüste, und ihre Hüften sind breiter geworden. Ihre leicht vorspringenden Lippen bilden immer noch einen Schmollmund, und ihre schwarzen Augen blicken selbstbewusst. Oder liegt in ihnen nicht auch eine Frage verborgen? Vielleicht die Frage nach ihrem gemeinsamen Geheimnis? Ob er sich daran erinnere? Diese ach so schönen Augen, in die er sich schon damals verliebt hat, wurden überwölbt von buschigen Augenbrauen. Jetzt hat sie die Haare ausgezupft und die Brauen mit einem schmalen, schwarzen Schminkstrich nachgezogen. Auch die Lider hat sie, wenn auch nur dezent, mit bläulicher Farbe geschminkt. Es steht ihr gut auf der dunkeln Haut. Ihr Kopfhaar hat sie unter einer kurzen Beutelperücke versteckt.

    Auch Teje betrachtet ihr Gegenüber aufmerksam. Eje ist groß geworden. Er hat breite Schultern und kräftige Arme, ein männliches Gesicht, trotz seiner Jugend. Sie könnte sich ihn gut als Heerführer vorstellen. Warum habe ich damals für ihn geschwärmt?, fragt sie sich. Weil er klug war? Weil er größer und stärker war als die andern gleichaltrigen Schüler? Ich weiß es nicht. Wohl doch einfach, weil er mir gefiel, weil wir es lustig hatten miteinander. Wenn ich ihn jetzt so sehe, dann meine ich, dass es richtig war, mich in ihn zu verlieben. Verlieben? War ich damals nicht zu jung, um zu wissen, was das heißt? Heute weiß ich es. Er ist ein junger Mann geworden, und ich bin eine junge Frau. Und er ist tatsächlich ein Mann zum Verlieben. Liebt er mich immer noch? Wäre er sonst gekommen? Und ich? Ich habe oft an ihn gedacht. Zuerst hat er mir gefehlt. Aber dann habe ich andere Jungen kennen gelernt. Doch für keinen konnte ich so schwärmen wie für Eje. Nun ist er da. Er hat sein Versprechen eingelöst.

    Sie ließ die Frage, ob ihre damaligen Gefühle zurückkommen würden, offen. Doch es würde ihr gefallen, wenn er sie noch liebte und begehrte. Als sie fürchtete, er könnte ihre Gedanken erraten, schob sie ihre Lippen vor, wie sie es als Mädchen getan hatte.

    „Du hast noch den gleichen Mund wie früher, sagte er, nur um dem Schweigen ein Ende zu machen. „Wenn du so ein Schmollmündchen machst, siehst du wieder aus wie die kleine Teje von damals.

    Erst allmählich entwickelte sich ein Gespräch, das von alten Erinnerungen, aber auch von dem, was beide in der Zwischenzeit erlebt hatten, genährt wurde. Gerne hätte Eje erfahren, ob sich Teje noch an die mit ihrem Blut besiegelten gegenseitigen Versprechen erinnerte. Doch er wagte nicht, sie darnach zu fragen. Durfte er denn erwarten, dass Teje ihm die gleichen Gefühle entgegenbrachte wie damals, dass sie ihm in ihren Gefühlen ebenso treu geblieben war wie er ihr? Schließlich war eine lange Zeit vergangen, Teje war zur heiratsfähigen Frau herangewachsen. Und hier am Hof und in der Stadt gab es sicher genügend junge Männer, die das schöne Mädchen, das Teje trotz allem in ihrer fröhlichen und unbekümmerten Art zu sein schien, gerne zur Gattin gewünscht hätten.

    Als Eje endlich auf Umwegen erfuhr, dass sie noch unverheiratet war, schien sein Herz einen Freudensprung zu machen. Denn schon bald hatte er tief in seinem Innern gespürt, dass er diese junge Frau ebenso liebte wie jenes Mädchen, das sie einst gewesen war, ja, ihn überkam ein noch viel tieferes Gefühl, er verspürte geradezu einen körperlichen Drang zu der bezaubernden Frau hin, eine Begierde, wie er sie noch nie erlebt hatte. Doch er hielt sich zurück, und nachdem auch Tuja, die Mutter, herzugekommen war und ihn als den Mitschüler ihrer Tochter und Spielgefährten früherer Zeiten erkannt und freudig begrüßt hatte, verließ er, nicht ohne sich anstandshalber auch mit ihr noch eine Weile unterhalten zu haben, die beiden, doch nicht ohne die Erlaubnis von Mutter und Tochter, wiederkehren zu dürfen, wann immer es ihm beliebe.

    Eje machte von dieser Erlaubnis Gebrauch, so oft er konnte. Manchmal spazierten sie zusammen im Garten des Palastes unter den Palmen und Sykomoren oder in der Stadt. Eje musste erzählen von den Jahren, die er ohne sie in Ipu gelebt hatte, von den Mädchen und den Jungen, die sie gemeinsam in der Schule gekannt hatten, und sie erzählte ihm, wie ihr Bruder Aanen Wab-Priester und bald darauf Vierter Gottesdiener von Re in Iunu und ihr Vater Erster königlicher Schreiber bei Thutmosis geworden war, wie der Pharao gestorben sei und wie sie und ihre Familie den neuen Pharao zur Krönung nach Theben begleitet hatten.

    „Dann seid ihr ja auf einem der Schiffe gewesen, die ich damals in Ipu stromaufwärts habe vorbeifahren sehen, sagte Eje erstaunt. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich laut nach dir gerufen.

    Tejes Mund verzog sich leicht zu einem merkwürdigen Lächeln, so als wäre es ihr peinlich gewesen, wenn er nach ihr gerufen hätte.

    Eje registrierte es mit leiser Beunruhigung. Hätte sie sich seiner vielleicht geschämt?

    Doch er verscheuchte diesen Gedanken rasch, und sie redeten von etwas anderem.

    Manchmal griff er nach ihrer Hand, und Teje ließ es geschehen. Ein prickelndes Gefühl durchflutete in solchen Momenten ihren ganzen Körper.

    Tejes Glück nahm jedoch schon bald ein vorläufiges Ende. Pharao Amenhotep hatte einen Brief von Rib-Addi, dem König von Gubla erhalten, in dem es hieß:

    „Ich habe mich unter die Füße meines Herrn sieben Mal und wieder sieben Mal geworfen. Wenn der König, mein Herr, keine Truppen sendet, sterben wir, und die Stadt Gubla wird eingenommen werden. Ich selbst hüte die Stadt Gubla Tag und Nacht. Viele Heerführer schicken nicht gern Truppen aus, wenn die Dinge für sie selbst gut stehen. Ich aber möchte gern, dass sie ausgeschickt werden, denn die Dinge stehen schlecht für mich. Möge der König, mein Herr, sich auf den Weg machen, möge er sein Land sehen und davon Besitz ergreifen. An dem Tag, an dem du dich auf den Weg machen wirst, wird das ganze Land um den König, meinen Herrn, zusammenströmen. Wer kann den Soldaten des Königs widerstehen?"

    Gubla war eine wichtige Hafenstadt im Libanon. Von hier kam das für Ägypten so wichtige Zedernholz. Rib-Addi, dem Vasallenkönig, musste gegen die Angreifer aus Amurru geholfen werden. Doch Amenhotep, der, dreizehnjährig erst vor zwei Jahren zum König gekrönt wurde und offiziell oberster Heerführer war und traditionsgemäß an der Spitze seiner Truppen in die Schlacht ziehen sollte, war in Kriegsdingen noch unerfahren. Seine Berater rieten ihm, einen erfahrenen General an die Spitze eines kleinen Heeres zu setzen. Ägyptische Kundschafter hatten Nachrichten überbracht, die besagten, dass es sich bei den Angreifern um kleinere Truppenverbände handelte, die mit den Waffen der Ägypter leicht zu besiegen wären.

    Unter den Truppen, die in den Libanon geschickt wurden, war auch die Einheit, zu der Eje gehörte. Er befehligte eine Abteilung Kampfwagen, die bereits in wenigen Tagen zu den Fußtruppen in einer vorgelagerten Festung stoßen sollte. Die leichten Wagen, die von zwei Pferden gezogen wurden, kamen rasch voran. Fußtruppen aus dem Delta hätten den Marsch nur verzögert. In der Festung waren genügend kampferprobte nubische und libysche Soldaten. Von der Festung aus gelangte man in zwei Tagen in die Gegend von Gubla. Rib-Addi hatte die Stadt so lange halten können. Späher hatten die Feinde aus Amurru in einem kleinen Tal ausgemacht. Von hier aus wollten sie gerade in einem neuen Angriff gegen Gubla vorstoßen, als ihnen die nubischen Bogenschützen und die Libyer, die mit Lanzen und Dolchen bewaffnet waren, den Weg versperrten. Es kam zum Kampf, in den auch Eje mit seinen Leuten eingriff. Er selbst lenkte den Wagen allen voran in das Schlachtgetümmel. Neben ihm stand der Bogenschütze. Immer wieder zog dieser einen der langen Pfeile mit ihren Metallspitzen aus dem ledernen Köcher, der am Wagen befestigt war. Und mit jedem dieser Pfeile traf er einen feindlichen Soldaten. Eje hielt mit der einen Hand die Zügel der Pferde, in der andern schwenkte er ein langes Schwert, das ihm allerdings weniger zum Kampf als zur Anfeuerung seiner Leute diente. Erst als sich der Kampf dem Ende zu neigte, die Feinde zum größten Teil getötet oder geflohen waren, sprang er vom Wagen und stürzte auf einen grimmig aussehenden Kämpfer zu, der sich offenbar bis zum Letzten wehren wollte und den er als Anführer des Feindes erkannte. In einem erbitterten Zweikampf tötete er den Mann. Die letzten Feinde, die noch ausgeharrt hatten, ergriffen, als sie ihren Anführer fallen sahen, die Flucht. Man ließ sie laufen, denn sie stellten nun keine Gefahr mehr dar.

    Der Feind hatte vor seinem Rückzug in das Tal, wo er sich auf einen neuen Angriff vorbereiten wollte, einige Posten vor den Mauern von Gubla zurückgelassen. Nachdem auch diese beim Anblick der ägyptischen Streitmacht flohen, öffnete Rib-Addi die Tore und empfing seine Befreier, die er mit allem, was an Bier und sonstiger Nahrung nach dieser langen Belagerung geblieben war, bewirtete. Eje und sein General wurden von der Bevölkerung der Stadt und von ihren eigenen Truppen als Helden gefeiert.

    Ehe die siegreichen Krieger zurückkehrten, versprach Rib-Addi, als Dank die Lieferungen des kostbaren Zedernholzes während drei Jahren zu verdoppeln, ohne dass Ägypten dafür eine Gegenleistung erbringen müsse.

    Obwohl es sich nur um einen kleineren Kriegszug gehandelt hatte, wurde das Heer in Memphis im Triumph empfangen. Die Geschichte von Ejes Heldentat verbreitete sich rasch in der ganzen Stadt. Der junge Pharao empfing Eje, den General und die nubischen und libyschen Offiziere in seinem Palast.

    Eje sah Amenhotep an diesem Tag zum ersten Mal. Wie alle andern warf er sich vor dem König auf den Boden. Nachdem dieser das Zeichen gegeben hatte, standen sie auf und traten auf einen Wink des Pharaos näher. Die Offiziere belohnte er mit goldenen Spangen und Reifen, den General mit einem prächtigen goldenen, mit Edelsteinen besetzten Pektoral. Eje wurde nebst einem goldenen Halsreif und der Beförderung zum Offizier mit einem Anwesen in der Stadt, das aus einem Haus und einem Garten bestand, belohnt.

    Teje erwartete ihren Freund nach der Audienz beim Pharao in ihrer Kammer. Sein Gesicht strahlte. Hatte er sein Ziel erreicht? Sicher noch nicht das endgültige Ziel, aber doch eine wichtige Etappe auf dem Weg dazu. Vielleicht sogar jene Stufe auf der Leiter seiner Karriere, die es ihm erlaubte, zusammen mit Teje eine Familie zu gründen.

    „Ich bin stolz auf dich, sagte Teje. „Du bist ein Held. Ich gratuliere dir zum Sieg. Ich bin aber auch froh, dass du heil aus dem Feldzug zurückgekehrt bist.

    Eje hörte das gerne. Also hatte sie um sein Leben gebangt. Das gab ihm Hoffnung.

    Teje wollte von ihm hören, was Pharao zu seinem Erfolg gesagt hatte.

    Er

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