Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Enophasia
Enophasia
Enophasia
eBook353 Seiten4 Stunden

Enophasia

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Seltsame Dinge geschehen in Enophasia. Gefährliche Raubkatzen durchstreifen plötzlich das Land und verbreiten Angst und Schrecken. Eine geheimnisvolle Dunkelheit ergreift Besitz von den immergrünen Wäldern und schränkt den Lebensraum der stolzen Einhörner immer mehr ein. Als dann auch noch die Elfen spurlos verschwinden, machen sich die beiden Einhornfohlen Rosenblüte und Schneekristall, Simnil der Baumzwerg und Landaselina die Elfenprinzessin auf, um die Geheimnisse zu ergründen durch die Enophasia bedroht wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum30. Sept. 2014
ISBN9783847613831
Enophasia

Ähnlich wie Enophasia

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Enophasia

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Enophasia - Olaf Sandkämper

    Vor langer Zeit ...

    „Wach auf, mein kleiner Pegasus. Wach auf und folge mir!"

    Das kleine, weiße Fohlen, das im weichen Moos tief und fest geschlafen hatte, erwachte und sah sich mit großen Augen um. Es blickte in das Gesicht einer wunderschönen Frau mit strahlenden, himmelblauen Augen und braunem, lockigen Haar. „Wo bin ich? Und wer bist du?", fragte es verwirrt.

    „Mein Name ist Eno, antwortete die Frau. „Und du bist in dem Land, das ich geschaffen habe, in Enophasia. Möchtest du, dass ich es dir zeige?

    Das Fohlen nickte und folgte ihr.

    Überall standen kleine Bäumchen, von denen die größten dem Fohlen gerade mal bis zur Flanke reichten. „Warum sind die Bäume hier so klein?", fragte es.

    „Weil dieses Land noch so jung ist, lächelte die schöne Frau. „Es ist gerade erst geboren worden. Genauso wie du, mein kleiner Pegasus. Möchtest du noch mehr von ihm sehen?

    Wieder nickte das kleine, weiße Pferd. Und gleich darauf fühlte es, wie es unter ihm ganz leicht bebte. Ein riesiges Stück des Bodens, auf dem es mit Eno stand, wurde plötzlich emporgehoben. Ein steinerner Turm schob sich aus dem Erdreich heraus und wuchs in den Himmel. Immer höher und höher ging es hinauf. Sie erreichten ein paar weiße Wölkchen, die an ihnen vorbei schwebten und noch immer ging es weiter, bis die Säule schließlich in unglaublich großer Höhe zu Stillstand kam.

    Die Frau sprach: „Sieh, das Land reicht im Norden bis an das ‚Meer der Stürme‘. Kein Schiff kann auf ihm fahren, denn es würde in den tosenden Wellen zerschmettert werden und untergehen.

    Im Osten befindet sich eine weite Grassteppe, die in eine Wüste übergeht, so heiß, dass niemand sie durchqueren könnte.

    Im Westen befindet sich das Graue Gebirge, so breit, dass niemand in einem einzigen Leben alle Berge überwinden könnte.

    Allein im Süden gibt es ein Gebirge, über das man nach Enophasia gelangen könnte. Aber der Weg führt über hohe Gipfel, auf denen immer Schnee liegt und auf denen es bitterkalt ist. Gefährliche Kreaturen streifen dort umher."

    Eno sah den fragenden Blick des kleinen Pegasus und fuhr fort: „Ich habe dieses Land geschaffen, um allen Wesen eine Heimat zu geben, die in der Welt der Menschen keinen Platz mehr haben. Schon bald werden Feen und Elfen, Zwerge und Wassernymphen, Einhörner und Wichtel hier herkommen und eine neue Heimat finden. Und mit ihnen all jene, die ebenfalls von den Menschen von ihren angestammten Plätzen vertrieben wurden."

    „Was sind Menschen?", fragte das Fohlen, während es weiter staunend über das weite Land sah.

    „Menschen ..., antwortete Eno, „Menschen sind Wesen, die vergessen haben, dass auch sie ein Teil der Natur sind. Sie roden die Wälder und vertreiben dadurch Feen und Elfen, weil sie nicht mehr an sie glauben. Sie brechen die Erde auf und verjagen die Wiesenwichtel aus ihren Wohnungen. Sie jagen das Wild und verfolgen die Einhörner. Das, mein kleiner Pegasus, das sind die Menschen.

    „Warum zeigst du mir das alles hier?, wollte das Fohlen wissen. „Ich bin keins dieser Wesen, die du vorhin aufgezählt hast. Ich bin doch bloß ein kleines und einfaches Pferd!

    Die Frau sah ihn an und lächelte: „Du bist kein einfaches Pferd! Du bist Pegasus, das stärkste und magischste aller Geschöpfe und der Hüter dieses Landes!"

    „Der Hüter dieses Landes?, fragte das Fohlen ungläubig. „Aber ich bin doch noch so klein. Ohne dich komme ich noch nicht einmal wieder von diesem Berg herunter.

    „Warum benutzt du nicht einfach deine Flügel?", fragte Eno lächelnd zurück.

    Da sah das Pferd an sich herab und blickte voller Erstaunen auf zwei Flügel, die ihm gewachsen waren. Vorsichtig breitete der Pegasus die Schwingen aus und schlug sie ein wenig auf und ab. Sofort erhob er sich in die Luft und flog eine Strecke.

    Als er wieder landete, sah er die Frau ehrfürchtig an und fragte: „Bist du eine Zauberin?"

    „Ich bin Eno. Das bedeutet: die Große Mutter. Denn ich bin die Mutter Enophasias. „Aber du bist so mächtig!, antwortete das Fohlen. „Wozu brauchst du noch jemanden, der dieses Land beschützt?"

    „Weil ich meine Kräfte für andere Aufgaben einsetzen muss. Ich werde diesem Land auf eine andere Weise dienen."

    „Heißt das, dass du mich allein lassen wirst?, fragte das kleine Pferd mit angstvollem Blick. „Soll ich deshalb der Hüter dieses Landes sein, weil du uns eines Tages verlassen wirst?

    „Im Gegenteil, lächelte Eno. „Ich werde dir und allen Geschöpfen Enophasias immer ganz nahe sein. Denn ich werde eins sein mit diesem Land. Ich werde in jedem Baum, in jedem Zweig, in jedem Blatt und Grashalm, in jedem Bächlein, ja sogar in jeder Erdkrume sein. Ich werde dafür sorgen, dass jedes Geschöpf in Enophasia einen Platz bekommt, an dem es Nahrung und Geborgenheit findet. Ich sorge dafür, dass es euch an nichts fehlen wird.

    „Und was bleibt dann noch für mich zu tun?", fragte der kleine Pegasus.

    „Es wird nicht immer so friedlich bleiben, erwiderte Eno und sah mit düsterem Blick in die Ferne. „Es werden dunkle Mächte kommen und eines Tages auch die Menschen. Es wird große Zerstörungen geben und Unfrieden unter den Bewohnern. Deine Aufgabe ist es, den Frieden im Lande zu bewahren und die Feinde Enophasias zu bekämpfen.

    Die Frau kniete sich zu ihm hinunter, sah ihn ernst an und fuhr eindringlich fort: „Entdecke deine Kräfte, die ich dir gegeben habe. Du darfst sie aber nur für das Gute einsetzen. Vergiss das niemals!"

    Pegasus nickte ernst.

    „Gut, sagte Eno und lächelte. Sie erhob sich und sprach: „Und nun komm und lerne das Land kennen!

    Pegasus wuchs schnell heran und war ein gelehriger Schüler, der schon bald all seine magischen Kräfte kannte und beherrschte. Er begleitete Eno auf Schritt und Tritt und lernte so alle Bewohner des Landes kennen, die nach und nach in Enophasia eintrafen.

    Als erste kamen die Wiesenwichtel nach Enophasia. Die Menschen hatten sie beim Anlegen ihrer Äcker verjagt. Dann folgten die Elfen, Feen und Wasserwesen, die aus ihren Wäldern, Flüssen und Seen vertrieben worden waren.

    Als letztes kamen die Einhörner. Sie hatte der Pegasus besonders gern, denn abgesehen von der äußeren Ähnlichkeit mit diesen Geschöpfen, fühlte sich das geflügelte Pferd auch durch die Art der Magie mit ihnen verbunden. Beide Wesen trugen das magische Licht in sich, dass sie sowohl zur Verteidigung als auch zum Angriff einsetzten konnten. Doch obwohl die Einhörner diese furchtbare Waffe besaßen, waren sie die friedlichsten Geschöpfe in ganz Enophasia.

    Als Eno und Pegasus eines Tages wieder durch das Land streiften, trafen sie auf einen Wolf, der sich ziemlich ungewöhnlich benahm. Er sprang auf sie zu, um dann wieder vor ihnen weg zu laufen. Dann stoppte er und kam erneut zurück. Dabei jaulte und bellte er.

    „Was hat er nur?", fragte Eno.

    „Ich denke, er möchte, dass wir mitkommen", vermutete Pegasus.

    „Dann folge ihm!", forderte Eno ihn auf.

    Pegasus erhob sich in die Luft und folgte dem grauen Wolf. Dieser lief schnurstracks nach Süden, auf das Gebirge zu. Das geflügelte Pferd ahnte, wohin der Wolf es führen wollte und flog voraus.

    Schon bald sah er, warum der Wolf so aufgeregt war. Aus den Bergen waren die großen Bären und die weißen Schneelöwen in das Land eingefallen. Sie jagten das Wild in den Wäldern und waren dabei von den Wölfen gestellt worden, die den Eindringlingen an Kraft und Zahl aber unterlegen waren.

    Plötzlich hörten die Angreifer von oben ein Wiehern und sahen ein strahlend weißes Wesen, das sich ihnen aus der Luft näherte. Als der Pegasus sie erreicht hatte, fing er an, kräftig mit seinen Flügeln zu schlagen, und sandte dabei ein blaues Licht aus. Das Licht war so gleißend hell, dass die Eindringlinge geblendet wurden und sich in panischer Angst zur Flucht wandten.

    Gleichzeitig brach ein so heftiger Sturm los, das auch der größte und schwerste Bär unter ihnen sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und wie ein trockenes Eichenblatt durch die Luft gewirbelt wurde.

    Den Wölfen schien das Ganze nichts auszumachen. Sie wurden weder geblendet, noch davon geweht. Stattdessen setzten sie den Fliehenden nach und sorgten durch schmerzhafte Bisse dafür, dass die Eindringlinge noch schneller flüchteten.

    Nachdem die Räuber vertrieben worden waren und sich die Wölfe beim Pegasus versammelt hatten, kam Eno hinzu, wandte sich an die Wölfe und sprach: „Danke, dass ihr so tapfer gekämpft habt. Ihr habt das Land vor großem Schaden bewahrt. Als Dank gebe ich euch die Sprache der magischen Geschöpfe Enophasias. Durch sie könnt ihr mit den anderen Bewohner des Landes reden und so Angst und Misstrauen abbauen. Außerdem sollt ihr von nun an die südliche Grenze des Landes bewachen. Wenn ihr Hilfe braucht, wird Pegasus für euch da sein."

    Dann wandte sie sich an das weiße Pferd: „Du warst ein gelehriger Schüler und hast alles beachtet, was ich dir beigebracht habe. Du hast Enophasia beschützt, seine Feinde vertrieben und doch keinen von ihnen getötet. Du hast sehr klug und umsichtig gehandelt.

    Von nun an bist du der Hüter Enophasias, denn das ist deine Bestimmung!

    Und auch ich werde nun das tun, was meine Bestimmung ist. Sei nicht traurig mein kleiner Pegasus, wenn ich nun gehen muss. Ich werde dich trotzdem niemals verlassen, denn ich und Enophasia, wir sind eins."

    Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging davon. Der Pegasus sah ihr nach, sah wie ihre Gestalt sich mit jedem Schritt ein wenig aufzulösen schien, bis sie schließlich ganz verschwunden war. In diesem Moment fing sich ein Windstoß in den Zweigen eines Baumes und Pegasus hörte, wie die Blätter raschelten: „Denke immer daran, mein kleiner Pegasus! Ich und Enophasia, wir sind eins!"

    Auf der Lichtung

    Es war ein warmer und sonniger Morgen in Enophasia. Seit ein paar Tagen hatte der Frühling Einzug gehalten und den ungewöhnlich langen und strengen Winter vertrieben. Tiefer Friede herrschte in den Wäldern, deren Bäume schon die ersten zarten jungen Blätter austrieben, während die Vögel des Waldes geschäftig in den Zweigen umher hüpften. Auf einer einsamen, kleinen Lichtung, die an einem Ausläufer des Grauen Gebirges lag, tummelte sich eine junge Einhornfamilie.

    Vor zwei Tagen hatten hier zwei kleine Einhornfohlen das Licht der Welt erblickt. Ausgelassen tollten die beiden nun über die Wiese, wälzten sich im frischen Gras, stoben auseinander, nur um sich im nächsten Augenblick wieder gegenseitig zu jagen. Im Gras lag, noch erschöpft von der Geburt, Morgenröte und schaute ihren beiden Kindern glücklich zu. Ihr zur Seite stand Silberstreif, der vor Vaterstolz fast platzte. Die Geburt eines Einhorns war seit jeher immer etwas Seltenes und Kostbares. Eine Zwillingsgeburt aber war ein unerhörtes Glück. Selbst die ältesten Mitglieder der Herde vermochten nicht zu sagen, wann es so etwas je gegeben hatte.

    „Ruh dich aus, Liebes, ich passe schon auf sie auf", sagte Silberstreif. Dankbar legte Morgenröte den Kopf in das junge Gras und schloss die Augen.

    Noch immer jagte sich das Geschwisterpärchen gegenseitig über die Lichtung.

    Den beiden fehlte noch das Horn auf der Stirn. Aber dort wo es einmal sein würde, war schon die kleine Erhebung zu sehen. Morgen, am dritten Tage ihres Lebens, würde es durchbrechen. Und mit ihm kamen auch die magischen Kräfte. Diese waren zwar noch klein, entfalteten sich aber in dem gleichen Maße, mit dem das Horn wuchs.

    Die kleine Stute hatte den zartrosa Schimmer ihrer Mutter geerbt und war von den Eltern Rosenblüte genannt worden. Das kleine Hengstfohlen hieß Schneekristall. Es war weiß wie alle Einhörner. Aber im Gegensatz zum silberweißen Fell seines Vaters war sein Weiß von einer Reinheit, wie man es noch bei keinem seiner Art gesehen hatte. Wenn Schneekristall direkt in der Sonne stand, umgab ihn eine Aura aus Licht, so dass es fast schmerzte, ihn anzusehen. Denn in den Strahlen der Sonne glühte das Fell des kleinen Hengstes wie flüssiges Gold.

    Die Lichtung, auf der die Familie sich aufhielt, grenzte nach vorne und zu den Seiten hin an einen dichten Wald. Die vierte Begrenzung bildete ein kleiner, flacher See, vor einer steil aufragenden Felswand, in den sich ein schmaler Wasserfall ergoss. Das leise Rauschen bildete eine angenehme Geräuschkulisse und machte die Stille des Waldes noch vollkommener.

    In der Nähe des Waldrandes, keine zwanzig Schritte von den Bäumen entfernt, betrachteten die beiden Zwillinge einen Schmetterling, der auf einer Blüte saß. Das kleine Insekt ließ es geschehen, dass die beiden Geschwister ihn genau betrachteten. Die Magie dieser Wesen wirkte schon jetzt. Selbst dieser Falter spürte, dass von den beiden Fohlen keine Gefahr ausging. Schließlich flatterte er weiter, auf der Suche nach frischem Nektar.

    Schneekristall verlor das Interesse an dem Schmetterling und versuchte die Blume zu fressen, auf der dieser eben noch gesessen hatte. Rosenblüte aber konnte sich gar nicht satt sehen an dem kleinen, bunten Kerl und folgte ihm über die Wiese. Unbekümmert springend entfernte sie sich dabei immer mehr von ihren Eltern und näherte sich dem Waldrand. Dabei entging ihr, dass sie von einem Paar großer, gelber Augen gierig angestarrt wurde.

    Regungslos, bis auf eine zuckende Schwanzspitze, und gut getarnt hinter einem dichten Farn, lag dort eine große Katze verborgen. Sie hatte das sandfarbene Fell eines Löwen mit verwaschenen Streifen, die an einen Tiger erinnerten. Die mächtigen Pranken gruben sich nervös in die Erde und zeigten dabei große, sichelförmige Krallen. Aber das Furcht erregendste waren die langen Eckzähne, die wie Dolche links und rechts seitlich aus dem Maul ragten. Dieses Tier war so groß wie ein ausgewachsenes Einhorn und hatte eine gewaltige Kraft. Ein einziger Hieb seiner Pranke und um das kleine Einhorn wäre es geschehen.

    Langsam, ganz langsam zog die Raubkatze die Hinterbeine an den Körper. Speichel tropfte auf den Boden, als sie den Kopf senkte und die Augen zu schmalen Schlitzen verengte. Noch zwei, drei unbeschwerte Sprünge des kleinen Fohlens und die große Katze würde es in Stücke reißen.

    In diesem Moment warf Morgenröte, die im Gras ein wenig gedöst hatte, den Kopf hoch. Sie wusste nicht, warum sie aufgewacht war. Vielleicht war es, weil die Vögel zu singen aufgehört hatten und der Wasserfall dadurch lauter erschien? Auch Silberstreif, der ein wenig abseits gegrast hatte, hatte etwas bemerkt und sah auf. Ihm schien es, als habe der Wald den Atem angehalten.

    „Rosenblüte, schnell komm her zu mir!", rief er.

    „Rosenblüte!", rief auch Morgenröte.

    Die kleine Stute blieb stehen und wandte sich um. Dann stieß sie sich mit allen vieren vom Boden ab und hüpfte mit lustigen Bocksprüngen zu ihren Eltern.

    In diesem Moment brach die große Katze mit lautem Gebrüll aus dem Gebüsch hervor. Mit einem gewaltigen Satz stürzte sie sich auf das kleine Einhorn. Rosenblüte gelang es, im letzten Moment auszuweichen. Erschreckt schrie sie auf und versuchte, sich zu ihrem Vater zu retten. Die Raubkatze rappelte sich auf und jagte dem Fohlen hinterher. Nur noch ein, zwei Sprünge trennten sie vom Fohlen. Da kam plötzlich von links ein kleiner, weißer Schatten. Schneekristall, der Rosenblüte am nächsten gewesen war lief zwischen die Katze und seine Schwester und kreuzte ihren Weg.

    Einen Moment lang war die Bestie verwirrt. Das verschaffte Rosenblüte einen klitzekleinen Vorsprung. Doch die Katze zögerte nur den Bruchteil eines Augenblicks. Dann jagte sie, die Augen fest auf die Beute gerichtet, der kleinen Stute hinterher. Dabei übersah sie aber die Eltern, die nun, mit leuchtenden Hörnern, auf Reichweite heran geprescht waren. Als sich das Raubtier mit einem letzten, mächtigen Sprung auf das Fohlen stürzte, schossen blendend weiße Lichtstrahlen aus den glühenden Hörnern und trafen die Katze mitten ins Herz. Sofort verglühte die Bestie in einem Funkenregen und löste sich auf. Einige Momente später erinnerten nur noch ein paar Lichtpunkte, die wie verirrte Glühwürmchen umher flogen, an das Untier. Dann erloschen auch sie.

    „Was war das?", fragte Morgenröte atemlos.

    Die beiden Fohlen drängten sich verstört an ihre Mutter und sahen ihren Vater aus ängstlichen Augen an.

    „Ich weiß es nicht, antwortete Silberstreif. „Aber es war nicht das, wonach es aussah. Kein Raubtier hätte es gewagt, ein Einhorn anzugreifen. Außerdem hätte es sich durch die Strahlen nicht aufgelöst. Es muss ein Zauberwesen gewesen sein!.

    „Ein Zauberwesen?, fragte Morgenröte ungläubig. „Aber wer erschafft ein solches Untier und zu welchem Zweck?

    „Ich weiß es nicht, antwortete Silberstreif. „Aber hier sind wir nicht länger sicher. Wir sollten sofort aufbrechen!

    Morgenröte war derselben Ansicht. Sie ließ ihre Fohlen ein letztes Mal auf der Lichtung trinken und sagte dann: „Kommt Kinder, wir müssen gehen." Die beiden folgten ihrer Mutter brav in den Wald hinein, wo Silberstreif sie bereits erwartete.

    Ohne den Blick von den Bäumen abzuwenden sprach er: „Wir müssen zum 'Palast des Lichts'. Die anderen Einhörner müssen gewarnt werden. Ich weiß nicht, was dieser Angriff zu bedeuten hat – ich befürchte aber nichts Gutes."

    Simnil

    Allein hätte Silberstreif vielleicht einen Tag gebraucht, um den Palast zu erreichen. Denn nichts kann mit einem galoppierenden Einhorn mithalten, nicht einmal die schnellsten Vögel. Aber Silberstreif war nicht allein. Seine Gefährtin musste sich noch sehr schonen und die Zwillinge brauchten häufig eine Pause. Außerdem waren sie noch zu verspielt, was das Fortkommen zusätzlich verlangsamte. Er schätzte, dass es eine Woche dauern würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

    Die Familie lief schweigend durch den Wald. Die Eltern, weil sie angespannt auf jedes Geräusch achteten, die Kinder, weil sie noch nicht sprechen konnten. Sie würden mit dem Horn auch ihre Sprache erhalten. Dieses war immer der erste Zauber. War das Horn erst einmal da, konnten die kleinen Fohlen sprechen, als hätten sie nie etwas anderes getan.

    Der Wald war so dicht, das man den Himmel nicht sehen konnte. Trotzdem war es hell und luftig und das Vorankommen bereitete keine Schwierigkeiten. Alles schien so wie immer zu sein. Und doch war es irgendwie anders in den Wäldern Enophasias. Morgenröte brach als erste das Schweigen. „Etwas ist anders als sonst. Aber ich weiß nicht was es ist. Die Vögel singen wie immer, aber leiser. Oder aber es erscheint weiter weg als sonst. „Du hast Recht, Liebes, antwortete Silberstreif. „Ich höre die Vögel, aber ich sehe keine – als ob sie sich verstecken. Aber vor was haben sie Angst?"

    Lautlos, die Sinne bis zum Zerreißen angespannt, trabten die Eltern durch den Wald, immer darauf bedacht, die Fohlen schützend in ihrer Mitte zu halten. Ab und zu knackte ein Zweig unter ihren kleinen Hufen, was von Silberstreif jedes Mal mit einem unwilligen Blick bedacht wurde. Aber er wusste, dass die Kleinen ihr Bestes gaben. Bei ihnen wirkte die Magie noch nicht. Die erwachsenen Einhörner aber waren eins mit der Natur. Sie hätten in vollem Galopp den Wald durchqueren können, ohne auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen.

    Nach einer Weile nahmen die Fehltritte der Fohlen zu. Morgenröte hatte schon vor einiger Zeit bemerkt, dass ihre Kinder müde wurden und suchte nach einem Platz für die Nacht. Sie fand ein weiches Plätzchen unter einer großen Weide, deren dichte Zweige fast bis auf den Boden reichten und so ein natürliches Dach bildeten, das Platz für die ganze Familie bot. Nachdem die Kleinen getrunken hatten, kuschelten sie sich ganz eng aneinander in das weiche Moos und schliefen, erschöpft von der langen Wanderung, sofort ein.

    Auch Morgenröte war müde und legte sich zu ihren Kindern. Zärtlich rieb sie mit ihren samtweichen Nüstern über Schneekristalls und Rosenblütes Stirn. Dann sah sie noch einmal hinüber zu Silberstreif, der völlig regungslos am Eingang ihres Unterschlupfs stand und in die Nacht hinaus sah. Sie wusste, dass er sich bis zum ersten Sonnenstrahl nicht mehr vom Fleck rühren und jedes Geräusch und jede Bewegung wahrnehmen würde. Nichts dort draußen würde es schaffen, sie im Schlaf zu überraschen. In der Ferne hörte sie das leise Grummeln eines entfernten Gewitters. Doch dieser Unterstand war so sicher und dicht, dass er den Regen zuverlässig abhalten würde. Beruhigt schlief auch sie bald ein.

    Am nächsten Morgen erwachte Morgenröte und sah gerade noch wie Silberstreif den Unterstand verließ. Sofort merkte sie, dass sich etwas verändert hatte. Der Wald war dunkel geworden, so als hätte jemand die Farbe weggenommen. Äste, Blätter und Zweige waren grau und schwarz. Sie trat neben Silberstreif, der die Umgebung genau musterte und sich ohne umzusehen sagte: „Es scheint, wir sind neben den Bäumen hier die einzigen Lebewesen in diesem Wald. „Ja, antwortete Morgenröte. „Ich höre keine Vögel und sehe auch keine anderen Tiere mehr. Was geschieht hier?"

    „Die 'Finsternis' hat sich diesen Teil Enophasias bemächtigt, antwortete Silberstreif düster. „Sie dringt immer tiefer in unser Land ein. Sind unsere Kinder schon wach? Wir sollten keine Zeit verlieren und uns auf den Weg machen. Unser Vorteil ist, dass wir nun nicht mehr so aufpassen müssen. Denn für einen Angreifer gibt es hier nun keine Deckung mehr. Auch die Bäume werden wohl bald verschwunden sein.

    „Hast so etwas schon einmal gesehen?, fragte Morgenröte verwundert und rieb ihre Nüstern an seinem Hals. „Ja. Es ist schon lange her. Vor vielen Jahren kam die Finsternis aus dem Norden und verschlingt seither unser Land. Ich war mit meinem Vater und dem Rat der Einhörner dort und habe es mir angesehen. Bisher haben wir noch kein Mittel gefunden, sie zurück zu drängen, darum hatte der Rat der Herde bislang noch nichts gesagt. Wo sich die 'Finsternis' breit macht, stirbt alles. Große Teile des Nordens wurden schon zerstört. „Aber wir sind hier im Westen!, warf Morgenröte ein. „Ja, antwortete Silberstreif traurig. „Aber im äußersten Nordwesten. Wie es scheint, breitet sich die Finsternis zuerst an den Rändern unseres Landes aus, bevor sie ins Landesinnere vordringt. Wer weiß, vielleicht ist der Osten auch schon betroffen."

    Inzwischen waren die Fohlen erwacht und traten aus dem Versteck heraus. Mit großen Augen sahen sie sich um. Der grüne Wald, durch den sie gestern noch gelaufen waren, war einem düsteren und dunklen Ort gewichen, der einen scharfen Kontrast zu den weißen Einhörnern bildete.

    Silberstreif drängte zum Aufbruch und nachdem die Kinder getrunken hatten, machte sich die Familie wieder auf den Weg.

    Nachdem sie einige Zeit durch diesen unwirklich anmutenden Wald gelaufen waren, kamen sie auf eine kleine Lichtung. Wie trostlos dieser Ort war, kein Vergleich mit dem grünen Fleckchen Erde, auf dem Schneekristall und Rosenblüte das Licht der Welt erblickt hatten. Hier war alles dunkel und trist. Am Himmel jagten dunkle Wolken dahin, aus denen kleine, grelle Blitze zuckten. Die Geschwister schauten sich dieses Schauspiel staunend einige Zeit an. Die Eltern hingegen, getrieben von Sorge, wollten schnell weiter.

    Am frühen Nachmittag stellte die kleine Gruppe fest, dass es im Wald wieder etwas Farbe gab. Scheinbar verließen sie nun den Einflussbereich der 'Finsternis'. Doch noch immer war es totenstill im Wald, kein Vogelgezwitscher, kein Plätschern eines Bächleins und kein Rauschen von Blättern drangen an ihr Ohr. Dafür hörten sie plötzlich etwas anderes. Es war ein leises, schleifendes Geräusch und es kam aus unmittelbarer Nähe.

    Die Einhörner blieben wie erstarrt stehen und lauschten. Dann, sehr langsam und vorsichtig, ging Silberstreif auf die Quelle des Geräusches zu. Es kam direkt hinter einer dicken Eiche hervor. Ganz langsam lugte der Hengst um den Baumstamm herum und sah – ein kleines, hageres Männlein, das sich mühte, einen viel zu großen Sack unter einer viel zu kleinen Baumwurzel hervor zu ziehen. Es trug braune Hosen und eine grünbraune Jacke mit einer spitzen Zipfelmütze und stand so am Baum, dass es dem Einhorn den Rücken zudrehte. Ab und zu fluchte der Zwerg leise und zerrte immer wieder aus Leibeskräften an dem braunen Sack. Dabei riss der Stoff und das Männlein fiel hinten über, knallte mit dem Kopf auf den Boden und - blickte direkt in die schwarzen Augen eines schneeweißen Wesens mit einem eben so weißen Horn auf der Stirn.

    „Oooaahh", schrie der Zwerg entsetzt, sprang behände auf die Füße und drückte sich mit dem Rücken an den Baum. Aus dem Gesicht, das fast ganz von einem braunen Bart zugewachsen war, funkelten zwei Augen, schwarz wie kleine Kohlen, die das Einhorn angstvoll anschauten. Gehetzt blickte der kleine Mann nach links und rechts auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit, dann wieder auf den Sack, der

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1