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Ardeen – Band 1: Der Kreis der Magie
Ardeen – Band 1: Der Kreis der Magie
Ardeen – Band 1: Der Kreis der Magie
eBook687 Seiten10 Stunden

Ardeen – Band 1: Der Kreis der Magie

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Über dieses E-Book

Der junge Eryn wächst abgeschieden von der restlichen Welt in den Bergen Nordardeens auf. In der Clangemeinschaft der Fenn, fernab jeglicher Magie, wird ihm beigebracht, die Zauberei zu verteufeln und an die Macht der Götter zu glauben.

Als Krieg das Land überzieht, wird er in den Strudel der Geschehnisse hineingezogen. Von seinen Feinden schließlich in die Tieflande verschleppt, entdecken Zauberer zufällig, über welch großes magisches Potential er verfügt und eine ganz neue Welt beginnt sich ihm zu eröffnen. Mühsame Jahre des Lernens beginnen und Eryn versucht die Geheimnisse, die sich um ihn ranken, zu entschlüsseln. Wobei sich die Dinge oft als ganz anders herausstellen, als zunächst vermutet.

Die Welt Ardeens ist ein Ort voller Magie und Fabelwesen. Mit viel Witz und Ironie entwickelt sich die Geschichte in meist kleineren abgeschlossenen Kapiteln und man merkt schnell, dass auch Magier mit recht alltäglichen Problemen zu kämpfen haben …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Okt. 2018
ISBN9783941436268
Ardeen – Band 1: Der Kreis der Magie

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    Buchvorschau

    Ardeen – Band 1 - Sigrid Kraft

    1. Die Finngul und ihre Prophezeiung

    Der junge Bursche lief durch das hohe Gras. Schlaksig, gerade erst in die Höhe geschossen, war er noch nicht besonders breit in den Schultern, dennoch waren seine Muskeln schon zäh und ausdauernd. Die langen blonden Haare waren mit einem Lederband im Nacken zusammengebunden, um ihm die Sicht frei zu halten. So lief er die sanfte Steigung des Berges hinauf und der Schweiß begann ihm den Rücken herunterzulaufen.

    Sein Atem jedoch ging immer noch ruhig. Er war das Laufen gewöhnt, ebenso den Umgang mit Pfeil und Bogen und dem Langmesser.

    Der Tag war herrlich sonnig, aber noch etwas frisch. Jedoch versprach es angenehm warm zu werden, sobald die Sonne noch etwas höher am Himmel emporgestiegen war. Eine leichte Brise strich über das Gras und wiegte es sanft. Die Luft war klar und man sah sehr weit. Überall zeigten sich die majestätischen Gipfel der Berge und selbst die höchsten unter ihnen, mit ihren weiß bedeckten Kappen, waren gut zu erkennen. Das Land der Fenn bestand aus Bergen und Tälern, durchzogen mit vielen Gebirgsbächen und einem steten Wechsel von Wald und Bergwiesen. Doch der junge Mann hatte keine Augen für die Schönheit der Natur. Sein Herz schlug schneller, nicht wegen der Anstrengung, sondern vor Aufregung. War er seinem Ziel doch inzwischen schon sehr nahe. Unter einer Gruppe Bäume blieb er kurz stehen und sah sich um. Von dort aus schlich er vorsichtig weiter, immer darauf bedacht, im Schatten der Büsche und Bäume zu bleiben. Als er die Kuppe des Hügels erreichte, wurde er noch vorsichtiger und verharrte hinter einem Strauch. Auf der anderen Seite lag, etwas versteckt in einer Senke, ein kleiner Bergsee. In letzter Zeit kam er oft hierher, an diesen malerischen Ort, wo das Wasser des Sees so klar war, dass man die Steine am Grund erkennen konnte.

    Aber auch das erfrischend kühle Wasser des Bergsees war nicht der Grund, weswegen er diesen Ort aufsuchte – sondern ihretwegen. Geduckt verharrte er hinter dem dichten Blattwerk und spähte zum See hinunter.

    Auch heute war sie da! Mit ruhigen Zügen teilte sie das Wasser, während ihr schwarzes Haar wie ein Schleier hinter ihr auf der Oberfläche trieb. Dann stieg sie an Land und Sonnenstrahlen brachten die Wasserperlen auf ihrer nackten Haut zum Glitzern.

    Der junge Mann merkte nicht einmal, wie ihm vor Staunen der Mund offen stand.

    Wunderschön, dachte er nur und ein flaues Gefühl regte sich in seiner Magengegend.

    Sie kannten sich seit ihrer frühesten Kindheit, doch erst in letzter Zeit empfand er diese tiefen, verwirrenden Gefühle für sie. Und mit tiefster Überzeugung schwor er sich:

    Aileen wird meine Frau werden, denn keine andere ist so wie sie.

    Alleine der Klang ihres Namens erfüllte ihn mit einem freudigen Hochgefühl, und obendrein war Aileen die Schwester seines besten Freundes Arun. Seine Welt wäre perfekt, wenn sie seine Gefühle erwidern würde. Doch noch hatte er sich nicht getraut, sie zu fragen.

    Inzwischen hatte sich Aileen wieder angezogen. Die Tropfen aus ihrem nassen Haar hinterließen dunkle Flecken auf dem Lederwams und sie setzte sich in die Sonne und wrang das Wasser, so gut es ging, aus ihrem langen Haar.

    Bald würde sie sich auf den Heimweg machen und der junge Bursche kämpfte mit sich. War jetzt der richtige Moment, um zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden? Sonst war er kein Feigling und furchtlos kämpfte er gegen die wilden Tiere des Waldes.

    Aber das hier ist etwas anderes. Was soll ich ihr sagen? Wie wird sie reagieren? Fühlt sie genauso wie ich, oder lacht sie mich nur aus? Dann entschied er sich dazu, noch abzuwarten. Vielleicht das nächste Mal. Schließlich kam sie fast jeden Tag hierher an den See, da würden sich noch genug Gelegenheiten ergeben.

    Ja, das nächste Mal werde ich so tun, als käme ich zufällig hier vorbei, um sie dann noch zufälliger beim Baden zu überraschen.

    Mit einer schwungvollen Kopfbewegung warf Aileen ihr nasses Haar auf den Rücken und dann richtete sie ihren Blick direkt auf das Unterholz, wo sich der junge Mann versteckt hielt.

    „Eryn!, rief sie mit gespielt sanfter Stimme. „Warum folgst du mir?

    Entdeckt, jetzt gibt es kein Zurück mehr! Der merkte, wie er vor Verlegenheit rot auf den Wangen wurde und stand zögerlich auf, dann behauptete er stockend:

    „Ich bin zufällig hier vorbeigekommen…"

    Mit vorwurfsvollem Blick musterte Aileen den Jüngling, als er nun linkisch näher kam.

    „Genauso wie gestern und vorgestern, vermutlich. Glaub nicht, ich hätte es nicht bemerkt, wenn du dich hinter diesen Büschen da versteckt hast. Also, warum folgst du mir?" Ihre Worte verlangten nach einer ehrlichen Antwort und wenn Eryn noch röter hätte werden können, dann wäre es jetzt passiert. Kein vernünftiger Gedanke wollte ihm mehr in den Sinn kommen und gerade so brachte er noch heraus:

    „Du bist schön, Aileen."

    Kokett zwinkerte sie mit den Augen und spitzte sinnlich die Lippen.

    „Das hörte ich schon von vielen jungen Männern."

    Alleine diese Vorstellung ließ ein Gefühl der Eifersucht in Eryn aufwallen, aber das gab ihm auch wieder etwas von seiner Selbstsicherheit zurück.

    „Keiner von denen meint es so wie ich. Wenn die Zeit kommt, möchte ich, dass du meine Frau wirst." Nun ist es heraus. War das zu direkt, zu aufdringlich? Wird sie mich jetzt auslachen und ich muss vor Scham im Boden versinken?

    Doch Aileen lachte nicht und ihre großen dunklen Augen wirkten plötzlich sehr ernst. Nun war sie nicht mehr die kokettierende junge Frau, sondern wieder jenes kleine Mädchen, das er schon so lange kannte. Dann griff sie nach seiner Hand und hielt sie fest.

    „Eryn, das ist eine ernste Sache und darüber sollte man keine Witze machen."

    Die Berührung bestärkte Eryn und er setzte sich direkt neben sie.

    „Das ist kein Witz. Ich liebe dich und möchte mit dir zusammen sein – für immer."

    Plötzlich standen ihr Tränen in den Augen und wieder wusste Eryn überhaupt nicht, wie er darauf reagieren sollte. Warum weint sie auf einmal? Was habe ich getan? Doch dann erschien es ihm richtig, seine Aussage noch einmal zu bekräftigen.

    „Mir ist es ernst, Aileen, und wenn der Namenstag kommt und die Finngul mir meinen Kriegernamen offenbart hat, dann komme ich und frage dich noch einmal." Doch Aileen schüttelte traurig den Kopf.

    „Es ist nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst. Ich mag dich auch gerne, Eryn... sehr sogar. Doch ich fühle mich noch nicht so weit und außerdem liebe ich die Jagd. Dann ereiferte sie sich: „Mit dem Bogen bin ich so gut wie jeder von euch jungen Männern, und darum werde ich am Namenstag den Speer nehmen.

    Das hatte Eryn als Allerletztes erwartet. ‚Den Speer nehmen‘ bedeutete bei den Clans der Fenn, dass eine Frau fünf Jahre lang als Kriegerin galt. In dieser Zeit war sie unter den Männern als Gleiche unter Gleichen anerkannt. Sie durfte Waffen tragen und mit auf die Jagd gehen. Allerdings stand sie dann auch unter dem Schutz der Götter und kein Mann durfte solange das Lager mit ihr teilen. Üblicherweise kümmerten sich die Frauen der Fenn um die Kinder, das Haus und die Feldarbeit in den kleinen Gärten. Das offene Tragen von Waffen war ihnen zwar nicht untersagt, galt aber als äußerst unschicklich und verstieß gegen die althergebrachte Tradition. Auch gab es viel zu tun, und das ließ den Frauen kaum Zeit für andere Tätigkeiten. In den Bergen zu überleben war nicht einfach, und jeder musste seinen Teil dazu beitragen. Den Männern oblag das Jagen, den Frauen das Sammeln und Anbauen von Früchten. Und nur, wenn eine Frau sich vor den Göttern als Zeugen für das Leben eines Mannes entschied, konnte sie diesen Pflichten entkommen. So entsprach es den Bräuchen der Fenn.

    „Aileen, überlege dir das noch einmal gut!, bat Eryn mit einem flehenden Tonfall in der Stimme, „Ich werde für dich sorgen und dir jeden Pelz bringen, den du dir nur wünschst. Bitte.

    Daraufhin aber weinte Aileen nur noch mehr.

    „Mach es mir nicht so schwer, Eryn. Fünf Jahre werde ich im Schutz der Götter leben und wenn du mich nicht haben kannst, dann wirst du mich bald vergessen und eine andere Frau finden. Ich wünschte mir wahrlich, du hättest nie mit mir darüber gesprochen, denn auch ich mag dich. Hättest du aber geschwiegen, dann hätte ich mir wiederum einreden können, dass du mich gar nicht magst und alles wäre viel leichter für mich."

    Eryn erhob sich und die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Aber noch gab er nicht alle seine Hoffnung auf.

    „Bis zum Namenstag bleibt dir noch genügend Zeit, um deine Entscheidung zu überdenken. Aber du sollst wissen, dass du mein Herz in deinen Händen hältst und am Namenstag werde ich dich noch einmal fragen."

    Dann wandte er sich verletzt um und ging betrübt davon.

    Die nächsten Tage gingen sich beide, so gut das eben möglich war, aus dem Weg. Ihre Gefühle waren viel zu durcheinander, als dass sie direkt mit dem anderen hätten reden können. Aber Aileens Bruder Arun war Eryns bester Freund und so redete Eryn mit ihm und Arun wiederum mit Aileen und dann erneut mit Eryn. Doch die dickköpfige junge Frau wollte sich nicht von ihrer Entscheidung abbringen lassen. Schließlich versuchte Arun, Eryn mit gut gemeinten Worten Trost zu spenden:

    „Fünf Jahre sind auch keine Ewigkeit, Eryn. Du wirst schon sehen. Irgendwann wird sie es satt haben, draußen im Regen zu schlafen, bei jedem Wetter stundenlang auf der Lauer zu liegen, um letztendlich ohne Beute heimzukehren. Nach fünf Jahren wirft sie den Bogen ins Feuer und kommt reumütig zu dir zurück."

    Mühsam rang sich Eryn ein Lächeln ab und stimmte seinem Freund zu. Aber für einen verliebten Jüngling waren fünf Jahre eben doch eine Ewigkeit.

    Eryns Vater Bron war ein Bär von einem Mann. Von ihm hatte Eryn alles über die Wildnis, die Bräuche und das alte Wissen der Fenn gelernt. Er liebte seinen Vater und Bron war seinerseits sehr stolz auf seinen Sohn, auch wenn Eryn im Aussehen ganz nach seiner Mutter kam. Dabei behauptete Bron immer, Eryn habe Lyesells gutes Aussehen geerbt, aber seinen Mut und sein Herz. Bei dieser Behauptung lächelte Lyesell Sonnenstrahl, Eryns Mutter, stets und umarmte Bron und küsste ihn. Wahrscheinlich sagte Bron diese Worte auch deshalb so oft.

    Und dann gab es da noch die alte Finngul, eine Mittlerin zwischen den Menschen und den Göttern. Jedes Dorf hatte seine eigene heilige Frau, und Bron meinte:

    „Wir können froh sein, eine so weise Frau wie die Finngul unter uns zu haben."

    Die Alte kannte sich bestens mit heilenden Pflanzen aus und hatte schon vielen Menschen in der Not geholfen. Außerdem konnte sie in die Zukunft sehen, doch davor warnte Bron stets:

    „Jede Prophezeiung hat ihren Preis. Oft ist es besser, nichts über die eigene Zukunft zu wissen. Und wenn man über die Dinge, die da kommen werden, nicht spricht, dann kann es auch gut sein, dass sie nie geschehen. So hüte dich vor dem Wissen der Zukunft, Eryn, denn das ist genauso teuflisch wie die Zauberei."

    Am Namenstag aber war es Tradition, dass die Finngul in die Zukunft der jungen Menschen sah und ihnen anschließend ihre wahren Namen offenbarte. Jene Namen, die direkt mit dem Lauf des Schicksals verbunden waren. Oftmals verknüpften sich damit auch kleine Prophezeiungen, die sowohl Gutes als auch Schlechtes enthüllen konnten.

    Dann endlich war der große Tag der Namensgebung gekommen, an dem Eryn und fünf weitere junge Männer und Frauen ihre Schicksalsnamen erhalten sollten. Für alle war dies ein großes Ereignis.

    Darum hatte sich das ganze Dorf eingefunden und stieg nun in gespannter Erwartung den Bergpfad zur Hütte der Finngul hinauf. Oben angekommen, verharrten die Dorfbewohner in gebührendem Abstand zur Hütte und warteten gespannt ab.

    Aus dem Schornstein der Hütte stieg Rauch auf, der sich als schmales Band in den Himmel kräuselte. Schließlich öffnete sich die Tür und das von tausend Runzeln zerfurchte Gesicht der Finngul schaute hinaus. Das schlohweiße Haar bestand nur noch aus wenigen Strähnen, die kaum die kahlen Stellen auf ihrem Schädel überdeckten.

    Wie alt mag sie sein? Eryn konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals anders ausgesehen hätte. Dennoch strahlte sie die Kraft der Berge und des Waldes aus. Sie winkte kurz mit der Hand und verschwand dann wieder in der Hütte.

    Deren, ein hagerer Jüngling, ging als Erster zur Hütte und öffnete ehrfürchtig die einfache Holztür. Dann trat er hinein. Draußen begannen die Leute leise miteinander zu tuscheln, bis Deren wieder herauskam und stolz verkündete:

    „Mein Name ist Deren Wolfsbruder."

    Von der versammelten Menge wurde er mit dem üblichen Ritual begrüßt:

    „Wir heißen dich als Mitglied unseres Clans willkommen, Deren Wolfsbruder."

    Nun folgte einer nach dem anderen und sie kamen zurück als Savas Eichenstamm, Griselle Windhaar, Arun Falkenherz und Aileen Nachtschatten.

    Als Letzter war Eryn an der Reihe. Schon stand er vor der Tür, die schief in den Angeln hing, und starrte auf das alte, verwitterte Holz. Man musste sie leicht anheben, um sie überhaupt öffnen zu können.

    Drinnen über dem Feuer hing ein Kessel, in dem eine Flüssigkeit brodelte. Was da in dem Kessel kochte, ließ sich nicht im Mindesten erraten. Hier drinnen roch es nach Rauch, aber auch nach dem berauschenden Duft von Kräutern. Die Finngul saß auf einem Haufen Felle und bedeutete Eryn nun näher zu treten. Zögerlich folgte er ihrem Wink, denn niemand hatte ihm gesagt, was genau ihn in der Hütte erwarten würde. Immer hieß es nur vage: „Ihr geht dann zur Finngul und sie wird euch eure Namen verraten."

    Das Schweigen schien eine Ewigkeit anzudauern, während die Finngul starr in das Brodeln des Kessels sah. Schließlich krächzte sie mit dünner Stimme:

    „Wer kommt, um seinen Namen zu erfahren?"

    „Eryn, Sohn von Bron Bärentöter und Lyesell Sonnenstrahl."

    Einen kurzen Augenblick fixierte die Alte Eryn mit ihren vom Alter milchig weißen Augen, dann starrte sie erneut in den Kessel. Dabei kam es Eryn so vor, als müsste er viel länger warten als die anderen vor ihm.

    Ist Deren nicht im Handumdrehen wieder herausgekommen? Aber wahrscheinlich empfinde ich die Zeit nur deshalb als so lange, weil ich so aufgeregt bin und trotzdem warten muss. Wird mein Name mächtig sein? Der Name eines großen Jägers oder Kriegers?

    Als die Finngul endlich zu ihm sprach, riss sie ihn aus seinen Gedanken:

    „Eryn, dein Name ist Bluthand, Eryn Bluthand."

    Der Name eines starken Kriegers, dachte Eryn stolz. „Danke, weise Finngul." Die Alte aber entgegnete brüsk:

    „Danke mir nicht, denn deine Hand wird in Blut getaucht sein."

    Sie winkte hektisch, damit er schnell ginge und auch Eryn war froh, die Hütte wieder verlassen zu können. Draußen verkündete er seinen Namen und die Gemeinschaft hieß ihn willkommen. Nun kehrte der gesamte Clan ins Dorf zurück, um zu feiern. Verheißungsvolle Namen waren heute vergeben worden und die Zukunft würde zeigen, welch große Taten ihre Träger einmal vollbringen würden.

    Die Finngul blieb allein in ihrer Hütte zurück und nahm den Kessel vom Feuer. Zu viele düstere Bilder waren heute aus dem brodelnden Wasser emporgestiegen. Die jungen Menschen kamen hoffnungsvoll zu ihr und sie sah nichts als Tod und Verderben. Besonders um Eryn rankten sich Geheimnisse, dunkle Geheimnisse. Eryn Bluthand – vieles war in seiner Zukunft möglich und er brachte das Verderben über andere.

    „Ein großer Tag, Alte", ertönte plötzlich eine mächtige, dunkle Stimme. Sie kannte diesen Klang, obwohl sie ihn lange nicht mehr gehört hatte. Doch nun war die geheimnisvolle Stimme wieder da. Die Finngul schrie dünn und fistelig, wobei sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt. Sinnlos, denn die Stimme sprach in ihrem Kopf.

    „Bluthand, eine schöne Umschreibung für Eidbrecher", bemerkte die Stimme zynisch.

    Die Finngul zuckte zusammen. Der geheimnisvolle Unbekannte wusste alles und sah alles.

    „Kein Mensch verdient einen schändlichen Namen, entgegnete die Finngul. „Was willst du diesmal?

    Die Stimme lachte: „Ein kleines Schwätzchen, eine alte Bekannte besuchen."

    Mit zittrigen Händen zog die Alte ihren verschlissenen Umhang zu. Es war kalt geworden.

    „Du kommst nie, ohne dass du etwas willst, Stimme", bemerkte sie misstrauisch.

    Die Stimme hatte ihren wahren Namen niemals preisgegeben. Sie war mächtig, das fühlte die Finngul deutlich. Mächtiger, als es sich die Finngul überhaupt vorstellen konnte. Und sie war mit dunkler Zauberei im Bunde.

    „So misstrauisch geworden, alte Vettel? Da kommt man nach langer Zeit wieder einmal zu Besuch und so wird man empfangen? Aber Spaß beiseite. Vielleicht war es gar nicht so falsch, dem Jüngling seinen wahren Namen zu verschweigen. An dem, was kommen muss, wird es ohnehin nichts ändern. Auch wird es für alle das Beste sein, wenn du ihm weiterhin nichts von Bedeutung sagst."

    In den letzten Worten schwang unmissverständlich eine Drohung mit und die Finngul erschauerte.

    Schon vor langer Zeit hatte sie einen Pakt mit der Stimme geschlossen. Später hatte sie das oft bereut, denn die mächtige Stimme machte ihr Angst. Oft hatte sie die Finngul gezwungen, Dinge zu tun, die mit Magie zu schaffen hatten. Eigentlich hätte dies gar nicht möglich sein dürfen, denn das Land der Fenn war frei von Magie.

    Unhaer wurden solche Landstriche genannt, in denen die Zauberkundigen nicht in der Lage waren, ihre verderbten Kräfte zu benutzen. Nur die Götter der Natur lenkten hier die Geschicke der Menschen. Daran zumindest glaubten die Fenn und lehnten alle Arten von Zauberei entschieden ab. Diese Meinung teilte auch die Finngul mit ihnen. Aber dann war da die Stimme und sie gab der Alten große Rätsel auf.

    „Wer bist du?", fragte sie, und wie schon die Male zuvor, bekam sie keine Antwort auf ihre Frage. Die Alte horchte, doch es blieb still, denn die Stimme war bereits wieder verschwunden.

    „Es ist Eryn. Die Stimme will etwas von ihm", murmelte die Alte vor sich hin. In diesem Punkt war sie sich sogar sehr sicher und dann wanderten ihre Gedanken zurück in ihre eigene Vergangenheit.

    Sie war noch ein Kind, als sie die Stimme das erste Mal vernommen hatte. Damals lebte sie an einem anderen Ort, weit fort von hier. Doch sie erinnerte sich nicht mehr genau, wo das gewesen war. Sie war damals noch sehr jung und ihre Eltern, an deren Gesichter sie sich auch nicht mehr erinnern konnte, waren bei ihr gewesen. Aber dann waren alle krank geworden und ihre Eltern starben. Auch ihr eigenes Leben war kurz davor zu verlöschen, und da hörte sie die Stimme das erste Mal. Sie lullte sie ein und versprach ihr ein langes und erfülltes Leben. Als sterbenskrankes Kind hatte sie nicht an die Zukunft gedacht, sondern nur gehofft, dass die Schmerzen endlich aufhören würden – und auch das versprach ihr die Stimme. Aber nur unter der Bedingung, dass sie selbst ein Versprechen gäbe. Ein Versprechen, welches sie mit einem Blutstropfen besiegeln müsste. Ihr kam das alles wie ein seltsamer Traum vor. Dennoch tat sie, was die Stimme forderte und ritzte sich die Hand, bis ein Blutstropfen hervorquoll. Dann gab sie ihr Versprechen. Einen Gefallen sollte sie der unheimlichen Stimme erweisen, wenn die Zeit dafür gekommen wäre. Niemand käme dabei zu Schaden, versicherte die Stimme und die Finngul wusste tief in ihrem Inneren, dass dies die Wahrheit war. Also gab sie das Versprechen, beruhigt, dass niemandem ein Leid daraus erwachsen würde. Im Gegenteil, die Stimme würde ihr sogar helfen – und so geschah es.

    Das Fieber verschwand und wenig später kamen Reiter vorbei. Furchterregend aussehende Krieger und bis an die Zähne bewaffnet. Die nahmen sie. Sie hatte große Angst vor diesen Männern, doch keiner tat ihr etwas an, solange sie bei ihnen war. Man brachte sie zu einem alten Mann in die Berge und dort blieb sie dann. Jener Greis war ein alter Finngul, und er lehrte sie das Wissen über die Kräuter und die Tradition. So verstrichen Jahre des Lernens und sie begann zu verstehen, bis sie selbst zu einer Finngul wurde – einer weisen Frau der Fenn.

    Seit sie das erste Mal die Worte in ihrem Kopf vernommen hatte, waren Jahre vergangen und sie hatte diese Erlebnisse aus ihrer Kindheit fast vergessen, als die Stimme wiederkehrte.

    Zu jener Zeit war Bron Bärentöter noch ein junger Mann gewesen und Lyesell Sonnenstrahl, die ursprünglich aus den Tieflanden stammte, war seine Frau. Beide liebten sich sehr, aber die Verbindung war nun schon mehrere Jahre lang kinderlos geblieben und Bron wünschte sich nichts sehnlicher als einen Sohn. Auch Lyesell hätte gerne Kinder gehabt und war schon mehrfach zu ihr – der Finngul – gekommen. Doch alle Kräuter, die sie ihr gab, halfen nichts. Es sei nicht der Wille der Götter, erklärte ihr daraufhin die Finngul und Lyesell weinte bitterlich und flehte sie an, dass sie alles für ein Kind tun würde. Auch bemerkte Lyesell, dass Bron immer mürrischer wurde und irgendwann würde er ihr die Schuld geben, dass sie ihm keinen Sohn schenken könne und er würde sich eine andere Frau suchen und sie verlassen. Diese Ängste waren nicht unbegründet, denn obwohl Lyesell mit ihren blonden Haaren, den vollen Lippen und den großen blauen Augen eine sehr schöne Frau war, musste ihr die Finngul recht geben.

    Lyesell war keine Fenn, aber sie liebte Bron von ganzem Herzen. Auch er liebte sie abgöttisch, aber er war auch ein Mann des Clans und somit stark mit der Tradition und der Sippe verbunden. Der Wunsch nach eigenen Nachkommen beschäftigte ihn sehr. Lyesells Schönheit aber würde im Laufe der Zeit verblassen, während Brons Zweifel stetig zunehmen würden. Dieses Wissen erfüllte die Finngul mit bedrückender Bitterkeit. Doch die Götter offenbarten ihr keine Möglichkeit, wie sie Lyesell helfen könnte. Und da kehrte die Stimme plötzlich zu ihr zurück und sprach:

    „Es ist Bron, der keine Kinder zeugen kann, nicht Lyesell. Wenn du ihr helfen willst, dann schicke die Frau zur richtigen Zeit zum heiligen Hain der Weide. Dort soll sie nach einem fremden Wanderer Ausschau halten. Er wird kommen und ihr beischlafen. Nur so kann sie ein Kind empfangen. Später wird dieser Mann nie wieder ihren Weg kreuzen und die Frau kann Bron gegenüber behaupten, das Kind wäre sein Sohn. Wenn sie ihm aber die Wahrheit erzählt, wird sie alles, was ihr etwas bedeutet, verlieren. Nimm Wasser aus deinem Kessel und gib es der Frau mit. Sie soll es trinken, während sie im Hain wartet. Aber auch du wirst Schweigen darüber bewahren, was daraufhin geschieht. Was gegeben wurde, kann auch wieder genommen werden."

    Lange dachte die Finngul über die Worte der Stimme nach. Im Angesicht der Götter war es nicht recht, so etwas zu tun. Sich mit Lug und Trug und dunkler Zauberei einzulassen, verstieß gegen jegliche Bräuche. Aber die Stimme hatte sie bisher nie belogen und nur Gutes bewirkt. So auch diesmal: Niemand würde zu Schaden kommen und schließlich würde es nur Glück und Freude bringen... Nur die Finngul würde ein dunkles Geheimnis mehr hüten müssen.

    Wie angewiesen hatte die Finngul das Wasser aus dem Kessel in eine kleine Flasche gefüllt. Gleich süßem roten Wein glitzerte die Flüssigkeit in einem tiefdunklen violetten Farbton. Kaum war die Flasche gefüllt, verschwand der Rest des verzauberten Wassers ganz von selbst aus dem Kessel.

    Ihr Leben lang hatte sie gehört, dass auf dem Land der Fenn keine Magie gewirkt werden könne, und dennoch geschahen jetzt Dinge, die kaum etwas anderes sein konnten.

    Wie mächtig muss jener sein, der sich hinter der Stimme verbirgt, dass für ihn andere Gesetze gelten?, dachte sie bewundernd und auch ein wenig verängstigt. Sie kannte Geschichten über die Kriege unter den mächtigen Magiern, die ganze Länder vernichtet hatten. Der letzte große Krieg war allerdings zwischen den Magiern und den Drachen ausgetragen worden. Doch die Drachen waren keinen Deut besser als die Magier. Immer brachten sie nur Leid über andere unschuldige Wesen, und das einzig aus dem Bestreben heraus, ihren Machtbereich zu erweitern.

    Am Ende jenes furchtbaren Krieges war ein ganzer Landstrich, das Mittelland, in einem Zaubernebel versunken und wurde fortan das Nimrod genannt. Keiner konnte es mehr betreten und niemand kam von dort heraus. Als sich das Mittelland in das Nimrod verwandelte, verschwanden alle Drachen und die mächtigen Zauberer waren in ihrer Zahl sehr dezimiert.

    Ein Segen für alle anderen Lebewesen dieser Welt, seufzte sie wissend.

    Das alles ging der Finngul durch den Kopf und doch schickte sie am nächsten Tag nach Lyesell. Die junge Frau war bereit alles zu tun, um dieses Kind zu empfangen und sich somit dauerhaft die Liebe Brons zu sichern.

    So geschahen die Dinge, wie die Stimme es ihr vorhergesagt hatte. Eryn wurde geboren und wuchs heran, und der kräftige und kluge Junge wurde der ganze Stolz seines Vaters.

    Wieder vergingen mehrere Jahre und es war eine schöne und glückliche Zeit. Doch plötzlich wurde Eryn krank. Ein hohes Fieber suchte ihn heim und ein hässlicher Ausschlag breitete sich auf seinem Körper aus. Und erneut versagte die Kraft der Heilkräuter. Bron brachte den Jungen zur Finngul und Lyesell war zutiefst besorgt. Brons Gesicht war eine eiserne Maske größter Sorge, während Lyesells rot geränderte Augen verrieten, wie bitterlich sie geweint hatte. Beide fürchteten um das Leben ihres Sohnes. Die Finngul wollte ihnen keine falschen Hoffnungen machen, denn sie sah bereits den Engel des Todes über dem Jungen schweben. So sprach sie tröstende Worte und ermahnte die Eltern, an die glücklichen Jahre zu denken, die ihnen zusammen vergönnt gewesen waren.

    „Die Götter geben und die Götter nehmen, sagte sie. „Doch noch einmal will ich alles in meiner Macht Stehende versuchen, um den Jungen zu retten. Dann schickte sie die Eltern erst einmal nach Hause.

    „Wenn der Morgen kommt, ist sein Schicksal entschieden", hatte sie zum Abschied gesagt, dann war sie allein mit dem Jungen und probierte ein letztes Mal die heilwirksamsten Kräuter aus. Aber diese Krankheit war anders als alles, was sie bisher gesehen hatte. Schließlich kühlte sie dem Jungen die Stirn, um ihm etwas Linderung zu verschaffen, bevor er für immer von ihnen ging. Eryn selbst war nicht mehr bei Sinnen. Manchmal redete er im Fieberwahn unverständliches Zeug, dann wiederum fiel er in einen unruhigen Schlaf. Nur die Götter konnten jetzt noch helfen und darum kniete sich die Finngul hin und betete. Aber es waren nicht die Götter, die ihr antworteten, sondern die Stimme.

    „Die Götter werden den Jungen nicht retten, aber ich kann es tun."

    „Wer bist du?, hatte sie gefragt, „Und warum tust du das alles?

    „Das tut nichts zur Sache und geht dich auch nichts an", ging die Stimme über die Frage barsch hinweg. Dann wurde sie wieder etwas versöhnlicher: „Wenn du dem Jungen helfen willst, dann sieh jetzt in deinen Kessel. Dort findest du eine silberne Schuppe. Leg diese auf die Hand des Kindes, sie wird dort schmelzen und eine Narbe hinterlassen. Male über die Narbe Zauberzeichen deiner Götter und er wird geheilt sein."

    Sich ihrer eigenen Hilflosigkeit bewusst, tat sie, was die Stimme von ihr verlangte und alles geschah so, wie es bestimmt worden war. Sie fand die Schuppe und legte sie vorsichtig auf Eryns Hand. Mit einem Zischen und Knistern brannte sich dieses seltsame Ding in die Haut des Knaben. Zuerst verfärbte sich die Stelle schwarz, dann wurde sie rot und schließlich blieb nur noch ein heller Fleck auf dem Rücken der rechten Hand zurück. Die Finngul nahm schnell ein Messer und etwas schwarzen Dicksaft und malte die Zeichen der Götter darüber, bis man nichts mehr von dem verräterischen hellen Fleck erkennen konnte. Ihr schlechtes Gewissen aber beruhigte es, dass nun heilige Zeichen das schändliche Werk dunkler Magie bedeckten.

    Schon nach kurzer Zeit ging es Eryn besser und zur Freude aller überlebte er die schlimme Krankheit, ohne irgendeinen Schaden davonzutragen. Den Eltern erzählte die Finngul später von dem Wunder, das die Götter vollbracht hätten. Sie selbst jedoch glaubte nicht daran, aber sie hütete sich auch davor, ihr dunkles Geheimnis preiszugeben.

    Die Fenn glaubten, dass Zauberei eine Lästerung der Götter wäre und nur Böses mit sich brächte. Die Finngul aber wusste nur zu gut, dass es diesmal nicht die Runen der Götter gewesen waren, die Eryn gerettet hatten, sondern diese seltsame, fingernagelgroße Schuppe, die am Grund ihres Kessels gelegen hatte.

    Und heute, zum Namenstag, waren diese jungen Leute voll freudiger Erwartung zu ihr gekommen und der Kessel hatte ihr ein grausames Bild nach dem anderen offenbart. Viele von ihnen würden jung sterben. Manche tapfer im Kampf, andere in Momenten schrecklicher Angst. Und Eryn schien sich im Zentrum dieser Geschehnisse zu befinden. Die Zukunft zu deuten, war nicht einfach. Die Finngul sah alle Visionen aus den Augen der Ratsuchenden. Meist erschienen ihr nur wenige Bilder von dem, was sein konnte. Äußerst selten hörte sie irgendwelche Worte dazu und manches Mal waren die Eindrücke so verschwommen oder kurz, dass sie nichts Genaueres erkennen konnte.

    Als Arun bei ihr war, hatte sie den Flug eines Falken am Himmel gesehen, dann kam ein Adler, der den Falken schlug. Die Szene wechselte und sie sah, wie Blut aus einer tiefen Bauchwunde quoll und wusste, dass diese Verletzung für den jungen Mann tödlich sein würde. Im selben Bild sah sie auch Eryn mit einem Schwert in der Hand, der danebenstand. Ist er nun Freund oder Feind? So etwas verrieten die Bilder nie. Man war nur ein Betrachter und die Deutung oft schwierig. Die Namen aber tauchten unabhängig von den Prophezeiungen in ihren Gedanken auf. Wahre Namen bargen Macht und als sie für Eryn gefragt hatte, da erhielt sie den Namen ‚Eidbrecher‘. Sie hoffte, dass dies ein Irrtum wäre und vollzog das Ritual noch einmal. Aber erneut erschien der unheilvolle Name in ihren Gedanken. Wie aber konnte sie diesem jungen, fröhlichen Mann einen solch dunklen Namen offenbaren? Und so zögerte sie. Da erinnerte sie sich an die alten Worte, deren wahre Bedeutung heutzutage keiner mehr kannte. Früher hatte man Eidbrecher auch ‚Bluthand‘ genannt. Und sie sagte Eryn diesen Namen, in der Hoffnung, die Vorsehung dadurch vielleicht zu verändern. Welche Eide er auch schwören mag und welche er brechen wird, er sollte sein Leben in der Clangemeinschaft nicht mit dem Wissen beginnen, dass solch eine Schande geschehen wird.

    Im Dorf unten feierten die Menschen, ob jung oder alt, die Namensgebung. Und wie jedes Jahr erzählte Narna die Geschichte der Fenn und alle lauschten andächtig:

    „Der Stamm der Fenn lebte einst im Grasland der Niederungen. Dies war zur Zeit der mächtigen Zauberer, der Drachen und anderer magischer Wesen. Die Fenn waren frei und keines Herrn Untertan. Dann aber tauchte der böse und mächtige Zauberer Harok auf und er missgönnte den Fenn ihre Freiheit und neidete ihnen ihre Unbekümmertheit. Darum verlangte Harok: „Unterwerft euch und dient mir fortan!"

    Doch Baelan, der beste Krieger der Fenn, sprach für den Clan und entgegnete:

    „Die Fenn werden sich niemals unterwerfen!" Und so schickte Harok schreckliche Kreaturen aus, um unsere tapferen Krieger einzuschüchtern. Doch Baelan, der mutigste aller Helden, tötete sie – eine nach der anderen. Da sandte Harok ein noch gewaltigeres Biest aus. Seinen Drachen. Das grässliche Untier kam nachts und verbrannte die Dörfer der Fenn. Viele starben qualvoll in den Flammen. Der mutige Baelan aber schwor Rache und folgte der Fährte des Drachen. Doch das Untier entzog sich dem Kampf mit dem Helden und flog stattdessen zum nächsten Dorf. Schließlich aber gelang es Baelan endlich, den Drachen zu stellen und in einem erbitterten Kampf besiegte der Held das Untier. Doch zahlte er einen hohen Preis. Schwer verwundet stand er an der Schwelle zum Tode und da schickten ihm die Götter eine Vision. Er träumte von einem Land, das frei von feiger Zauberei wäre und in dem die Fenn in Frieden leben könnten – unserem Land hier. Obwohl er schwach war, sprach er mit großem Eifer davon und die Fenn, die Heim und Vieh verloren hatten, nahmen den Rest ihrer wenigen Habseligkeiten und zogen los. Den Helden trugen sie auf einer Bahre mit sich, denn noch war seine Zeit nicht gekommen.

    Harok jedoch, in seinem kranken Geist, ließ die Fenn nicht in Frieden ziehen. Wieder schickte er seine Kreaturen und viele gute Männer starben in diesen Gefechten, doch der Großteil des Clans zog weiter.

    Schon waren die Berge zum Greifen nahe, da erschien Harok selbst. Rasend vor Wut wollte er nun gnadenlos alle Fenn töten. Wie durch ein Wunder war Baelan aber dem Tode entkommen und war zusehends von seinen Wunden genesen. Doch er war noch viel zu schwach, als dass er einen Kampf in dieser Verfassung würde überstehen können. Das wusste auch er und darum ging er zur Finngul und bat sie um Hilfe. Die damalige Finngul sah ihm ernst in die Augen und entdeckte dort nichts als Entschlossenheit. Da gab sie ihm einen Trank und sagte:

    „Einmal noch wirst du die Kraft der Götter haben, du wirst wild und unbesiegbar sein, doch wenn die Sonne am Horizont verschwindet, werden dich die Götter zu sich holen. Überlege gut, ob du dieses Opfer bringen willst!" Selbstlos, wie Baelan war, zögerte er nicht. Sein Leben gegen das aller Clanmitglieder. Ihm schien dies ein geringes Opfer, wenn der Clan dafür weiterleben könnte. So trank Baelan das Gebräu in einem Zug und mit dem Segen der Götter stellte er sich anschließend Harok entgegen.

    Viele Stunden lang kämpften sie unerbittlich und als die Sonne bereits den Horizont erreichte, da endlich gelang es Baelan mit letzer Kraft, den Zauberer zu besiegen. Der Schurke war tot, doch auch Baelans Zeit war fast gekommen. Aber er haderte nicht, sondern erwartete frohen Herzens, dass die Götter ihn zu sich rufen würden. Der Clan indessen erreichte die Sicherheit der Berge und fand hier seine neue Heimat.

    Ein Mann der Fenn lebt für den Clan und stirbt für den Clan. Keiner hat dies mehr gelebt als der Held Baelan. Ihr aber, die ihr heute eure Namen erfahren habt, seid wie Baelan. Dient dem Clan, achtet die Götter und hütet euch vor der Zauberei, denn sie ist Teufelswerk."

    Die Menge jubelte und die jungen Krieger fühlten sich selbst ein bisschen wie der große Held Baelan, bereit, für Ruhm und Ehre gegen jede noch so böse Macht zu kämpfen.

    Dann folgte die feierliche Aufnahme der jungen Krieger in die Gemeinschaft. In einem Ritual wurden ihnen die Waffen gegeben. Der Bogen mit den Kriegspfeilen, ein langes Messer, dessen Klinge der Länge eines Kurzschwertes entsprach, der kleine Holzschild mit Eisenbeschlägen und der Speer. In der Bergwelt mit ihren großen Wäldern erwiesen sich diese Waffen für die Jagd und den Kampf am geeignetsten. Dagegen waren schwere Panzerung und lange Schwerter im Dickicht und den steilen Hängen wenig hilfreich. Als Waldläufer mussten sich die Krieger des Clans vor allem schnell und leise bewegen können.

    Als den jungen Männern die Waffen gereicht worden waren, da fragte Narna, der die Zeremonien leitete, ob eine Frau den Speer nehmen wolle. Insgeheim hoffte Eryn immer noch, dass Aileen es sich anders überlegen würde. Aber sie war bereits vorgetreten und verkündete laut im Kreise der Anwesenden ihre Absicht.

    Ihre Worte versetzten Eryn einen Stich ins Herz, doch die Bräuche der Fenn waren zu achten. So hatte man es ihn von Kindesbeinen an gelehrt.

    Anschließend wurde bis tief in die Nacht hinein gefeiert, getanzt und alte Legenden wurden erzählt. Eryn gab sich Mühe, Aileen aus seinen Gedanken zu verdrängen und vermied es ihr auf dem Fest zu begegnen. Stattdessen gesellte er sich zu einer Gruppe junger Krieger. Schließlich wurden die Leute müde und einer nach dem anderen zog sich in seine Hütte zurück, bis auch die Letzten gegangen waren.

    Die nächsten Tage über gingen sie sich beide bewusst aus dem Weg. Zwar hatte Aileen behauptet, dass auch sie etwas für Eryn empfand, aber offensichtlich war er ihr nicht so wichtig, wie das Leben als Tochter des Speers. Das schmerzte ihn und hinterließ verletzte Eitelkeit. Im Grunde genommen hätte Eryn gerne mit Aileen über alles gesprochen, doch er wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte.

    Eryn litt schwer unter der Zurückweisung und so war er ganz froh, als sein Vater Bron Bärentöter kam, um ihn mit in die Stadt zu nehmen.

    Die Reise würde ihn auf andere Gedanken bringen, auch wenn ihnen vier Tage strammen Marsches bevorstanden. Bron wollte nach Falgars Tal. Eine Siedlung, die etwas im Süden am Rand des Gebirges lag. Dort wollte er Felle gegen Metallwaren und andere nützliche Dinge tauschen. Es war lange her, seit Eryn in der Stadt gewesen war – so lange, dass er sich kaum mehr daran erinnern konnte. Damals war die ganze Familie unterwegs gewesen und Eryn hatte nicht schlecht gestaunt, denn in der Stadt gab es einen Marktplatz, auf dem alles Mögliche feilgeboten wurde. Die Gebäude waren teilweise aus Stein gebaut und auch um vieles größer als jedes der Holzhäuser in seinem Dorf.

    Es gab schon immer ein paar Händler, die zwischen der Stadt und den Clandörfern hin und her zogen und Güter zu fairen Preisen handelten. Somit bestand nicht zwingend die Notwendigkeit, den weiten Weg bis zur Siedlung selbst zurückzulegen. Auch die wenigen Waldläufer, die nicht zu den Fenn gehörten, gaben ihre Waren vertrauensvoll den Händlern mit.

    Sehr früh am Morgen brachen Bron und Eryn mit drei vollbepackten Pferden auf. Jedes der strubbeligen kleinen Tiere trug einen riesigen Ballen Felle auf dem Rücken. Die meiste Zeit des Marsches über schwiegen sie, denn die schmalen Gebirgspfade ließen es nicht zu, dass sie nebeneinander gingen.

    Abends jedoch saßen sie zusammen am Feuer und Bron bemerkte mit einem Augenzwinkern:

    „Jetzt kann ich dich bedenkenlos mit in die Stadt nehmen. Da du nun ein Krieger des Clans bist, wirst du allen Versuchungen widerstehen. Da bin ich mir sicher."

    Eryn wollte umgehend wissen, welche Versuchungen ihn denn da erwarteten, doch Bron vertröstete ihn nur: „Warte es ab. Morgen ist wieder ein langer Tag und wir sollten jetzt besser schlafen."

    Voller Eifer bot Eryn sich an, die Wache zu übernehmen. Aber Bron gähnte schläfrig und winkte ab.

    „Heute können wir uns das sparen. Das Feuer wird die wilden Tiere abhalten und die Pferde stehen geschützt unter dem Felsvorsprung dort. Außerdem habe ich einen leichten Schlaf, falls sich doch ein wildes Tier nähern sollte. Es werden ganz sicher andere Tage kommen, an denen wir um eine Nachtwache nicht umhinkommen, also genieße heute den Luxus des Schlafes." Dann wickelte Bron sich in seinen Mantel. Ein zerschlissenes Monstrum aus dem Fell eines riesigen Bären. Diese Jagdbeute hatte Bron noch vor Eryns Geburt in einem Zweikampf mit dem Untier errungen. Ein Kampf, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Einige tiefe Narben auf seiner Haut erinnerten daran und Geschichten darüber wurden noch immer an den Herdfeuern des Clans erzählt: Der Zweikampf von Bron Bärentöter mit dem riesigen Bären.

    Jeder Tag brachte sie ein Stück weiter hinunter ins Tal. Die steilen Berghänge wandelten sich langsam zu sanften Hügeln und die Tieflande waren nicht mehr fern.

    „Es ist nicht mehr weit", bemerkte Bron, als sie auf einen breiten Weg stießen.

    Der zog sich durch die Hügel und lief anschließend parallel zu einem Fluss. Die nächste Biegung gab dann auch schon den Blick auf die Stadt Falgars Tal frei. Sie war von einem Erdwall umschlossen und darauf war ein Palisadenwall errichtet worden. Zwei Türme rahmten das Stadttor ein und davor standen Krieger mit großen Eisenschilden. Ihre Helme waren mit einem roten Pferdehaarbusch geschmückt und sie trugen glänzende Rüstungen aus Metallplatten. Als Eryn sich darüber bewundernd äußerte, lachte Bron nur und meinte, mit diesen Helmen würden sie nur in den Dornen eines Gestrüpps hängen bleiben. Am Tor angekommen, wurden sie sogleich nach Name und Herkunft gefragt und welches Anliegen sie denn in die Stadt führen würde.

    Eryn fand den Tonfall der Wachen ziemlich aggressiv, aber Bron schien sich daran nicht zu stören, sondern blieb ruhig und sachlich: „Wir sind Fenn aus den Bergen und wollen Felle handeln. Ich bin Bron Bärentöter und das ist mein Sohn, Eryn Bluthand." Eine der Wachen grinste amüsiert.

    „Bluthand, ein furchterregender Name für einen Knaben."

    „Wir geben unseren Kindern immer große Namen, damit sie später große Taten vollbringen", entgegnete Bron ebenfalls mit einem Lachen auf den Lippen, wohingegen Eryn die Röte ins Gesicht schoss. Am liebsten hätte er etwas gesagt, aber die Wachen winkten sie weiter und Bron marschierte bereits vor ihm durchs Tor.

    „Vater, ich finde es nicht lustig, wenn man Witze über meinen Namen macht."

    Bron verfiel in jenen belehrenden Tonfall, den er immer anschlug, wenn er seinem Sohn etwas beibringen wollte.

    „Eryn, lache über Worte und sie werden zu nichts. Wenn man nicht mehr über Worte lachen kann, dann wird Blut fließen und es braucht viele Worte, damit der Strom roten Blutes wieder versiegt. Überlege stets, bevor du handelst."

    Eryn schwieg, obwohl er die Meinung seines Vaters nicht teilte. Worte können herausfordern, und wer dann nichts entgegenzusetzen hat, ist ein Feigling.

    Sie folgten der Straße und die neuen Eindrücke der fremden Umgebung ließen Eryns Zorn rasch verfliegen. Beeindruckend waren die soliden Häuser aus Stein und selbst die Straße war mit Steinplatten gepflastert. Das bot bei Regen einen großen Vorteil, wo sich sonst Staub und Dreck in tiefen Morast verwandeln würden. An den Häusern hingen Schilder mit aufgemalten Zeichen.

    „Sind das Zauberrunen?", fragte Eryn interessiert, doch Bron klärte den Irrtum auf:

    „Nein, das sind Schriftzeichen der Tiefländer. Ich kenne nur ein paar davon. Das hier bedeutet ‚Schmiede‘. Wir werden später noch hierhin zurückkehren."

    Auch die Kleidung der Menschen hier war anders, als Eryn es gewohnt war. Nur die Wenigsten waren in warme Felle und widerstandsfähiges Leder gekleidet. Überwiegend trugen die Leute Bekleidung aus gewebten Stoffen, von denen manche hübsch verziert waren.

    „Wir könnten Mutter solch ein Kleid mitbringen, schlug Eryn vor, „Es würde an ihr viel schöner aussehen als an der alten Frau da. Bron lachte.

    „Da magst du recht haben. Sehen wir mal, wie viele Münzen uns am Ende übrig bleiben. Für ein schönes Stück Stoff wird es, hoffe ich, schon reichen. Schau, dort vorne ist der Marktplatz. Bron deutete mit der Hand auf einen größeren Platz voller Stände. Dann senkte er etwas seine Stimme: „Aber wenn ich jetzt gleich anfange zu handeln, dann sagst du am besten gar nichts. Handeln will nämlich gelernt sein. Hör nur zu und lass dir nichts anmerken.

    Zielstrebig steuerte Bron auf einen Stand zu, der Lederwaren und Felle feilbot. Nach einer herzlichen Begrüßung verloren die beiden Männer ein paar Worte über die guten alten Zeiten und dann folgte ein gegenseitiges Lamento über die Schwierigkeiten der Jagd und die des Warenverkaufs. Das Handeln begann. Nach einiger Zeit drohte Bron an, seine Waren einem anderen Händler zu verkaufen und der Fellhändler gab ein weiteres Zugeständnis. Behauptete aber mit Überzeugung, dies wäre jetzt mit Sicherheit sein letztes. Aber das hatte er schon die fünf Male davor beteuert und Bron ließ sich davon nicht beeindrucken. Ein weiteres Hin und Her folgte und dann wurde ein allerletzter Preis vereinbart und mit Handschlag besiegelt. Der Händler zählte die Münzen ab, während die Waren von zwei Gehilfen abgeladen wurden. Anfangs hatte Eryn sich noch für die Feilscherei interessiert, doch dann war ihm das Zuhören bei den endlosen Verhandlungen langweilig geworden und seine Neugierde wurde von den vielen interessanten Dingen gefesselt, die es auf dem Markt noch so gab.

    „Vater, wohin gehen wir jetzt? Sieh, dort drüben verkaufen sie den Saft der Götter." Für Eryn war das sehr erstaunlich, denn bei den Fenn war das Trinken von Alkohol nur zu ganz bestimmten Anlässen gestattet.

    „Eryn, die Götter der Fenn sind weise, denn der Saft der Götter macht aus Menschen Narren und so trinken wir Fenn nur zu den heiligen Festen davon. In den Augen der Götter sind wir ohnehin alle Narren, aber im Umgang mit anderen Menschen sollten wir unseren klaren Verstand behalten und uns nicht zum Narren machen." Eryn hörte seinem Vater gar nicht genau zu, denn er hatte schon weitere interessante Stände erspäht.

    „Dort drüben verkaufen sie Stoffe und hier lauter Backwaren."

    Da entdeckte er ein stattliches Ross, welches erheblich größer war als ihre struppigen Ponys. Temperamentvoll schnaubte es und scharrte dabei mit den Hufen.

    „Vater, sieh den Hengst dort drüben! Den würde ich gerne haben." Brons tiefes, gutmütiges Lachen erklang.

    „Das glaube ich gleich! Ein edles Ross, dieses Pferd. Aber für die Berge sind unsere Ponys besser. Das Tier dort ist für die weite Steppe, nicht für schmale Bergpfade, wo es sich nur die Beine brechen würde."

    Sehnsüchtig schaute Eryn noch einmal zurück, als sie schon an dem edlen Hengst vorbeigegangen waren. Sie bummelten über den Markt und kauften an einem Stand gebratenes Fleisch und ein Stück Brot. Es schmeckte ihnen umso besser, da es schon eine Weile her war, seit sie das letzte Mal etwas gegessen hatten.

    Später besuchten sie die Waffenschmiede und Bron erstand Pfeilspitzen und ein neues Beil. An anderen Ständen erwarben sie weitere Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs.

    Eryn beobachtete inzwischen alles in der neuen Umgebung. Da gab es in schöne Stoffe gekleidete Leute, die sich für ungemein wichtig hielten. Einen starken Gegensatz dazu bildeten die zerlumpten und ausgehungerten Gestalten am Straßenrand, die von den anderen wie Dreck behandelt wurden.

    Die Fenn kannten keine Klassengesellschaft, da die Clangemeinschaft für alle sorgte und jeder Einzelne seinen Beitrag zum Allgemeinwohl leistete. Ging es einer Familie schlecht, so gaben alle anderen etwas von ihrem Hab und Gut ab, um die Not zu lindern. Der Clanführer selbst wurde von den Männern des Clans gewählt. Doch wenn es um wichtige Entscheidungen ging, dann kam der Rat zusammen. Ihm gehörten alle anerkannten Krieger des Clans an und jeder durfte frei seine Meinung äußern. War die Angelegenheit zur Genüge besprochen, so folgte eine Abstimmung, bei der jeder eine Stimme hatte.

    Im Gegensatz zu dieser Form des Zusammenlebens versuchte Bron Eryn nun die Hierarchie der Tiefländer zu erklären, wusste aber selbst nicht so genau über alles Bescheid.

    „Sie haben einen Führer, den sie König nennen und der wiederum bestimmt Unterführer, denen er Macht und Land gibt. Es gibt viele Schichten in der Bevölkerung. Freie, Unfreie und Verurteilte.

    Im Clan sprechen wir alle von gleich zu gleich. Hier aber gibt es hohe Herren, mit denen die anderen in unterwürfiger Weise sprechen. Eine große Rolle spielt auch der Besitz von Geld. Wir lachen über so etwas und wenn einer gierig wird und beginnt, Besitz anzuhäufen, so sagt man bei uns: Kannst du dir Leben mit Gold kaufen?"

    „Ich kenne den Spruch!", warf Eryn ein und Bron zwinkerte ihm zu:

    „Das möchte ich meinen. Schließlich habe ich ihn dir gelehrt. Aber das hat auch seinen tieferen Sinn, denn in den Bergen brauchen die Leute einander dringender, um überleben zu können, und es ist eine schlimme Strafe, wenn man aus der Clangemeinschaft verbannt wird."

    Dann erzählte Bron Eryn auch von anderen Städten, die noch viel größer waren als Falgars Tal. Aber jene Orte kannte auch er nur aus den Erzählungen der Händler. Während Bron redete, waren sie beständig weitergegangen und nun blieb er plötzlich vor einem Haus stehen. Ganz unvermittelt wechselte er nun das Thema.

    „Junge, ich habe bemerkt, wie du Aileen angesehen hast."

    Ohne dass er es verhindern konnte, wurde Eryn rot. Er hatte so sehr versucht, Aileen aus seinen Gedanken zu verbannen und nun sprach sein Vater diese unliebsame Begebenheit an. Eryn wollte im Grunde genommen jetzt nicht darüber reden und reagierte leicht ärgerlich: „Aileen hat den Speer genommen."

    „Das weiß ich, entgegnete Bron und fuhr dann besänftigend fort, „Sie ist noch jung – genauso wie du. Lass einmal fünf Jahre vergehen, dann wird sie sicherlich anders denken. Wenn alle ihre Freundinnen schon eine eigene Familien haben, wird ihr die Jagd weit weniger attraktiv erscheinen. Bron zwinkerte mit den Augen, wie er es oft tat. „Fünf Jahre sind eine lange Zeit für einen ungeduldigen jungen Mann. Aber Aileen hat sich entschieden und unsere Bräuche muss man achten. Sie wird vorerst den Freuden entsagen. Aber bei einem Mann sieht das anders aus. Nichts spricht dagegen, dass du etwas Erfahrung sammelst und dafür sind wir bei diesem Haus hier genau richtig. Die Ehre der Fennfrauen ist zu achten. Aber diese Städter hier haben keine Ehre, so wie wir sie kennen. Und sie haben Häuser der Lust, in denen Männer ihre Bedürfnisse befriedigen können und entsprechend verwöhnt werden."

    Die Gefühle, welche Eryn nun empfand, waren schwer zu beschreiben. Eine Mischung aus Erregung und tiefer Ablehnung. Ich will Aileen haben – nicht irgendeine Frau. Andererseits bot sich ihm hier die Gelegenheit, seine männliche Lust auszuleben. Und wie alle jungen Männer hatte er ein brennendes Interesse daran, mehr über die Dinge zwischen Mann und Frau zu erfahren.

    „Außerdem, Frauen schätzen es, wenn Männer Erfahrung haben", fuhr Bron fort, wobei er Eryn ermutigend auf die Schulter klopfte.

    Die Ponys waren bereits angebunden und noch ehe Eryn sich versah, hatte Bron die Tür geöffnet und ihn hineingeschoben. Das Licht drinnen war gedämpft und ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Eine Frau mit einem tief ausgeschnittenen roten Kleid kam auf sie zu und Bron erläuterte sein Anliegen. Dann wechselten Münzen den Besitzer und anschließend drehte sich die Frau zu Eryn um und forderte ihn höflich auf, ihr zu folgen. Sie führte ihn in ein Zimmer, wo sie ihn anwies zu warten. 

    Kurz darauf öffnete sich die Tür erneut. Aber es war nicht die ältere Dame, die hereinkam, sondern eine junge Frau, die kaum älter als Eryn war. Sie lächelte und sagte ein paar aufmunternde Worte, dann machte sie sich an Eryns Kleidung zu schaffen, wobei ihre sanften Hände über seinen Körper glitten. Die anfängliche Unsicherheit des Jünglings verwandelte sich schnell in Erregung und Leidenschaft. Er merkte, wie sein Glied hart wurde. Die schlanke Schönheit küsste ihn und ließ nun selbst die Hüllen fallen. Eryn war inzwischen so erregt, dass er sich ergoss. Die Frau überspielte das Versehen gekonnt, und obwohl etwas unbeholfen, war dann der zweite Versuch von Erfolg gekrönt. Die junge Frau zeigte Eryn noch dies und das, bis sie ihm schließlich höflich zu verstehen gab, dass er jetzt gehen müsse. Draußen wartete Bron auf ihn und grinste breit über das ganze Gesicht. Allerdings verlor er keine weiteren Worte darüber, was sich gerade abgespielt hatte und sie machten sich

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